Danielle Nees

  • Wir treffen Danielle Nees in Paris, im Besprechungsraum, ihres Verlagsbüros. Sie hat kinnlange, schwarze Haare und die Art von allumfassendem Chic, den man mit Paris assoziiert. Streß und Pein? Das gehört bestimmt dazu, wenn man unter Einsatz der eigenen Ersparnisse und nach freiwilliger Aufgabe einer blendenden, prestigereichen Karriere einen neuen kleinen Verlag aufbauen will. Aber Danielle Nees, Verlagsleiterin und Miteigentümer des dynamischen französischen Verlagshauses mit dem unbescheidenen Namen FIRST, merkt man vom Streß wenig an. Schick, quirlig und souverän sind Ausdrücke die schon eher zu ihr passen.

Zu den Frauen ihrer Generation - die sie selber definiert als die Gruppe der bis 45jährigen Frauen in qualifizierten Berufen - merkt sie selber etwas überraschend an, diese Frauen seien vor allem »glücklich«. Doppelt und dreifach belastet, ja. Ungeduldig und zornig über das mangelnde Entgegenkommen von Partnern und Institutionen, ja. Oftmals frustriert, natürlich. Aber bei alledem überwiegend glücklich, weil erfüllt von den eigenen Möglichkeiten und Aktivitäten. Das glaubt Danielle, und wir nehmen es ihr ab, weil sie selber mit so viel Elan und Lust an ihre Arbeit herangeht. »Es war, wie wenn man sich verliebt«, beschreibt sie den Augenblick, in dem ihr nach langer Suche plötzlich der ideale Beruf klar geworden war. »Glück - das ist ein Gefühl, das sicher auch daher kommt, daß man sich auf Neuland bewegt. Zu wissen, daß die Gesellschaft für dich »kein Regal« hat - das ist ein unheimlich berauschendes Gefühl.
Ich mache die Bücher hier für Frauen, die aus meiner Generation sind und die so leben wie ich. Es sind professionelle Frauen. Frauen in qualifizierten Berufen. Sie sind, gemeinsam und einzeln, Trägerinnen gesellschaftlicher Veränderung. Aber die meisten sind nicht politisch, im üblichen Sinn. Durch ihr Leben, ihre Form zu leben, ändern sie den gesamten gesellschaftlichen Alltag. Sie sind, zumindest die europäischen Karrierefrauen, nicht so wie die amerikanischen. Die Europäerinnen akzeptieren diese Trennung nicht, sie wollen Beruf und den Rest des Lebens nicht rigoros auseinander dividieren. Dazu müssen Sie sich bloß den Terminkalender dieser Frauen ansehen. Da steht vielleicht: 9 Uhr, Budgetsitzung, 11 Uhr, Tochter impfen lassen 13 Uhr, Interview usw. Es ist anstrengend, sicher. Aber wenigstens ist das Leben eine Einheit. Und diese Frauen sind, würde ich sagen, glücklich. Nicht immer natürlich. Manchmal sind sie verzweifelt oder verdrossen, aber im allgemeinen haben sie einen mitreißenden Elan. Und vor allem: Sie sind ganz anders als die Männer ihrer Generation.
Die Männer haben im wesentlichen noch den alten, klassischen Zugang zur Arbeit und auch zum Leben. Sie trennen Privatleben, Familie und Beruf. Sie planen ihr Leben in direkten Schritten ... auch wenn es dann vielleicht anders kommt. Frauen dagegen entwickeln einen ganz anderen Weg. Sie bewegen sich vertikal, horizontal, in Serpentinen, es ist viel freier. Du machst eine Zeit lang dies, dann entschließt du dich zu einer anderen Sache, dann versuchst du etwas Neues. Für diese Frauen gebe ich Bücher heraus. Mein eigener Weg ist auch sehr typisch für diese Gruppe von Frauen. Ich bin Ingenieurin, das war mein erstes Studium. Danach habe ich an der Harvard Business School studiert, Wirtschaftswissenschaften. Ich habe dann vier Jahre in Fontainebleau unterrichtet, in dieser Elite-Managementschule. Dort war ich die einzige weibliche Professorin und die jüngste. Ja, und dann bin ich geflüchtet. Es ist mir plötzlich bewußt geworden, daß ich mein ganzes Leben nur darauf ausgerichtet hatte, anderen Menschen eine Freude zu machen und meiner Mutter insbesonders. Das war äußerst prestigereich, und außerdem hatte ich eine Pionierfunktion. Ich machte für andere, nach mir kommende Frauen, die Türen auf... aber ich selbst war kreuzunglücklich dort. Ich bin geflüchtet, regelrecht davongelaufen, und zwar am Tag, an dem ich eine Beförderung erhielt. Ich brauchte ein volles Jahr, um meine Perspektive wiederzugewinnen und mir klar zu werden über meine weiteren Pläne, und dieses Jahr habe ich mir gestattet. Natürlich war ich in einer glücklichen Situation, denn ich hatte keine Familie, keine Kinder, niemanden, der wirtschaftlich von mir abhängig war, und keine Verpflichtungen in diesem Sinn. Ich hatte meine Ersparnisse, und damit fuhr ich nach Amerika. Ich habe dann gejobt. Ich arbeitete für einen Filmemacher, für eine Fluglinie, schrieb für Zeitungen ... das war alles sehr interessant, aber in Wahrheit war es ein Leerlauf.
Ich habe diesen Leerlauf gebraucht, um eine neue Richtung zu finden. Ganz langsam kristallisierten sich einige Anhaltspunkte heraus. Ich wurde mir zum Beispiel klar darüber, daß ich unbedingt in Paris leben wollte. Ich kam zurück, dann traf ich zufällig einen Verleger. Er wollte amerikanische Management Texte auf französisch herausbringen und hat mich engagiert. Nie werde ich meinen ersten Tag an diesem neuen Arbeitsplatz vergessen. Ich sehe mich noch: Ich ging durch die Tür, setzte mich hinter meinen neuen Schreibtisch, und schlagartig wurde mir klar, daß ich keine Ahnung, nicht die leiseste Ahnung hatte von diesem Beruf, von dieser Arbeit. Aber dann war es wie die Liebe. Ich merkte ganz schnell, daß ich meine Lebensaufgabe gefunden hatte, daß dies die Arbeit war, für die ich geschaffen war. Ich bin völlig vernarrt in diese Arbeit. Ich träume davon, lebe dafür... Es war eine schöne Zeit. Wir haben Bücher herausgegeben, die sehr erfolgreich waren. Aber nach vier Jahren wurde ich unruhig. Wissen Sie, ein Verlag ist eigentlich wie ein Kasino.
Man setzt auf ein Buch, wie man auf eine bestimmte Karte oder eine Farbe setzt. Eigentlich ist man Spieler, und der Kick kommt davon zu sehen, ob das Lesepublikum die eigenen Vorlieben teilen wird oder nicht, ob das Buch ein Renner wird oder nicht. Und meine Spielernatur verlangte von mir, auch mein eigenes Geld einzusetzen. Ich tat mich mit den zwei  Männern zusammen, die diesen Verlag soeben gegründet hatten, FIRST. Ich hatte Glück auf der ganzen Linie. Die Zusammenarbeit mit den beiden hat toll geklappt. Der Verlag ist toll gewachsen: Als ich dazu kam, hatte er einen Jahresumsatz von 1,3 Millionen Francs, jetzt - nach zwei Jahren - hat er einen Umsatz von 18 Millionen. Ansonsten habe ich ein Kind, einen wundervollen großartigen dreieinhalbjährigen Sohn, den ich spät bekommen habe, wie die meisten Frauen meiner besagten Gruppe.«