Die Stellung der amerikanischen Frau bis 1800

Während mehr als hundert Jahren nach der Entdeckung Nordamerikas und der vorgelagerten Inseln überwogen unter den ankommenden Europäern die Männer bei weitem. Einige von ihnen waren Forscher oder Entdeckungsreisende, die von der Karibik bis zur Hudson Bay ausschwärmten, die zahllosen Buchten und Zugänge zum Landesinnern nach dem legendären Weg nach China durchforschten oder nach Gold suchten; andere waren Fischer, die in den seichten Gewässern der Westindischen Inseln jedes Jahr reichen Fang machten, oder Trapper, die sich mit den bedrohlichen Wäldern Neuenglands und Kanadas maßen.
Die ersten Kolonien waren von der Vorstellung getragen, daß auf dem neuen Kontinent leicht und schnell Wohlstand zu erringen war, daß das Siedlerdasein vorübergehend war und die Siedler, durch Goldstaub und Tabakanbau reich geworden, bald zurückkehren konnten. Erst 1608, als Mistress Anne Forest und ihre Magd Anne Buras in Virginia eintrafen, wurde in der Geschichte der Kolonisierung der nördlichen Atlantikküste ein neues Kapitel eröffnet. Eine neue Seite davon schrieb Anne Buras, als sie den Tagelöhner John Laydon heiratete. Als nämlich die Londoner Kaufleute, die Kapital investierten, um aus der Kolonie Virginia ein Geschäft zu machen, erkannten, daß Männer allein keine dauerhafte Gemeinschaft bilden, sondern ein loser, ständig weiterziehender Haufen von Abenteurern bleiben würden, begannen sie damit, Frauen in die Kolonie zu schicken. Auf einem einzigen Schiff kamen 1619 neunzig Frauen: »Angenehme Personen jung und unverdorben... mit ihrer eigenen Zustimmung als Ehefrauen an die Siedler verkauft, wobei der Preis die Kosten des Transports decken sollte.«[1] Vielleicht wurden sie durch das Wissen, daß bei den Hunderten eifrig wartender Junggesellen jede einen Mann finden würde, mit der nachfolgenden Unbill versöhnt; doch das Leben kann ihnen nicht leicht erschienen sein. Virginia war nur ein Vorposten in der Wildnis und führte einen unablässigen Krieg gegen Seuchen, auswuchernde Vegetation und Indianer, die dem Eindringen der Weißen erbitterten Widerstand entgegensetzten. Noch Schlimmeres harrte der achtzehn verheirateten Frauen, von denen drei schwanger waren, und der elf Mädchen, die sich unter den 101 Passagieren der Mayflower befanden; sie nahm ein Jahr später Kurs auf Virginia, kam ab und landete an der Küste von Massachusetts.
Manche dieser Siedler waren aus anderem Holz geschnitzt als die in Virginia; zu den leibeigenen Dienstboten, angeworbenen Handwerkern und Abenteurern kamen hier Leute, die vor religiöser Verfolgung geflohen waren. Viele brachten ihre ganze Familie mit, um ihren Glauben zum Wohl ihrer Kinder in einer neuen Welt zu verwurzeln.[2] Trotz allem dürften selbst Frauen, die von tiefer Religiosität getragen waren, verzagt haben beim Anblick jener felsigen Küste im Novemberwetter und bei den Qualen, die sie durchstehen mußten, wenn sie in der überfüllten und übelriechenden Unterkunft ihre Kinder gebaren. Elizabeth Hopkins war bereits auf See mit einem Sohn niedergekommen, der Oceanus genannt wurde, - und als das kleine Boot in die Bucht von Cape Cod einlief, gebar Susanna White eine Tochter; Mary Allertons Sohn kam tot zur Welt, bevor die Siedler an Land gingen. Die junge Dorothy Bradford, Gattin des Mannes, der während der ersten furchtbaren Jahre die Kolonie leitete, ertrank neben dem ankernden Schiff, während ihr Mann und andere nach einem Ort Ausschau hielten, an dem sie siedeln konnten; wir wissen nicht, ob es ein Unfall war oder ob sie vor dem öden Wall aus Felsen und Wäldern zurückschreckte.
Stephen Vincent Benet schrieb über den ersten Winter, in dem die Siedler sich »wie Wespen am Saum des Kontinents« festklammerten:

»Das war das grimmige
neue Klima, dürftige Nahrung und harte Arbeit,
und Krankheiten kamen - nicht das Malariafieber,
aber Skorbut doch und die Krankheiten der Kälte...
Es war eine schreckliche Arbeit,
halsbrecherisch, im wirbelnden Schnee,
in stürmischem Regen, der bis ins Mark frieren machte.
Sie mochten ohnmächtig werden und sterben,
aber das Holz mußte geschlagen und gesammelt,
das Feuer in Gang gehalten werden...«

Während die Männer Feuerholz schlugen und herbeischleppten, ein »Gemeindehaus« errichteten und einige weitere Hütten bauten, pflegten die Frauen die Kranken. Als der Frühling kam, waren von den achtzehn Frauen nur noch vier am Leben. Von den Kindern waren bis auf sechs alle gerettet worden; zwanzig Jungen und elf Mädchen hatten überlebt. Die Kinder wurden größer, Schiffe brachten neue Siedler mit unterschiedlichsten Zielen, neue Kolonien entstanden von Maine bis Georgia und breiteten sich allmählich entlang der Flüsse und durch die Wälder ins Landesinnere aus. Zunächst traf die Härte dieses Lebens gleichermaßen junge Damen aus gutem Hause, Dienerinnen, Handwerkerfrauen und leibeigene Dienstmädchen. Ob sie nun aus Gewissensgründen kamen oder um der Verelendung und dem Gefängnis zu entgehen, sie standen vor der gemeinsamen Aufgabe, in einer Wildnis, die nichts leicht hergab, das Überleben für sich und ihre Familien zu sichern. Während die Männer auf Jagd gingen, Holz fällten, Häuser bauten, pflügten, gegen Indianer kämpften und im Gemeinderat zusammensaßen, sorgten die Frauen, ganz auf ihre eigenen Fähigkeiten gestellt, bei Geburten und Krankheiten füreinander und rangen mit fremdartigen Nahrungsmitteln und einem Klima, das im Gegensatz zu dem in England und Westeuropa in Hitze und Kälte gleichermaßen ungestüm war; von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang rackerten sie sich ab, um aus den rohen Häuten und dem Fleisch, die die Männer nach Hause brachten, brauchbares Essen und brauchbare Kleidung zu machen, bepflanzten und besorgten den Boden, den die Männer gerodet hatten. Aber auch diese Ehefrauen und Töchter von Siedlern reichten noch nicht aus, um das Wachstum von dauerhaften Gemeinschaften zu gewährleisten oder die unersättliche Nachfrage nach mehr Arbeitskräften zu befriedigen. Die Antwort waren Negersklaven einerseits und leibeigene Dienstboten (indentured servants) andererseits.
Viele von diesen letzteren kamen freiwillig, denn das Leben in England versprach wenig für sie; sie verdingten sich selbst für eine bestimmte Zeit, zwischen fünf und sieben Jahren, um so ihre Überfahrt zu bezahlen. Während ihrer Knechtschaft standen sie unter einem strengen Regiment: Jede Unbotmäßigkeit, die sie begingen, wurde härter bestraft als bei einem freien Bürger, und ihre Dienstzeit konnte verlängert werden - eine ständige Drohung gegenüber jedem Versuch, dem Herrn wegzulaufen. Ohne die Genehmigung des Herrn durften sie weder heiraten noch irgendeinen Beruf annehmen. Leibeigene zu sein bedeutete zur damaligen Zeit, nur wenig besser zu sein als ein Sklave.
Vielleicht wären manche von den freiwillig Gekommenen weggeblieben, wenn sie gewußt hätten, welches Dasein sie erwartete. Aber ein anderer großer Teil der Leibeigenen kam nicht aus eigenem Antrieb, sondern als Opfer eines gut organisierten und blühenden Menschenhandels; sie wurden in den Straßen von London und anderen großen Städten aufgegriffen -erwachsene Männer und Frauen ebenso wie Jungen und Mädchen - und gefesselt aufs Schiff verschleppt. Wieder andere wurden von den Wärtern aus den Gefängnissen heraus verkauft, die überquollen von Leuten, die wegen geringfügiger Vergehen, Armut oder schwerer Verbrechen den drakonischen Strafen jener Zeit zum Opfer gefallen waren. Wieder andere waren zur Deportation verurteilt oder zogen die Leibeigenschaft, wenn man ihnen die Wahl ließ, langen Gefängnisstrafen oder dem Galgen vor. Falls sie ihre Dienstzeit als Leibeigene überlebten, waren sie frei, andere Anstellungen zu suchen, ein Gewerbe zu betreiben, das sie gelernt haben mochten, oder zu heiraten; viele gingen auf in »jener hoffnungslosen Masse armer Weißer, dem Landproletariat«.[3]
In dem Maße, wie Wachstum und zunehmender Reichtum eine Differenzierung in gesellschaftliche Schichten hervorbrachten, wurde es schwieriger, verallgemeinernd von der »Kolonialfrau« zu sprechen. Es war eine Sache, die Lady einer Tabakplantage im Süden oder die Gattin eines Kaufmanns in Neuengland zu sein; eine ganz andere Sache war es, als Pionierin eine Familie in West-Massachusetts oder den Allegheny-Tälern durchzubringen, als Witwe eines Fischers in Marblehead für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen oder als Dienstmädchen die Kontraktzeit abzuleisten.
Selbst unter den günstigsten Umständen mußten diese darauf gefaßt sein, von einem Tag auf den anderen entwurzelt und auf eine primitivere und härtere Lebensweise zurückgeworfen zu werden, wenn die Familie neues Glück im immer verlockenden Westen suchte. In einem solchen Fall bestanden nur graduelle Unterschiede zwischen den Nöten einer Pilgerfrau und denen von Frauen, die sich zuerst zu Fuß und später auf Planwagen durch die Bergpässe des Ostens in das Nordwest-Territorium quälten oder die 250 Jahre später die Wüsten und Sierras bis zum Nordwestpazifik durchquerten. Das Leben wurde niemals leichter; an die Kinder und die Plackerei im Grenzerhaus und im kleinen Gartenstückchen gefesselt, waren die Frauen derselben quälenden Einsamkeit, derselben Enttäuschung und Verzweiflung ausgesetzt.
Aus den dreißiger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts hat uns der Reisende und Beobachter Tocqueville, der eine dieser Grenzstationen, deren geographische Lage er nicht angibt, besuchte, ein Bild hinterlassen: »Am andern Ende der Behausung sitzt eine Frau, die ein kleines Kind auf ihren Knien schaukelt; sie... steht... in der Blüte der Jahre, ihr Aussehen deutet auf eine bessere Herkunft als ihre Lage, ihr Kleid verrät sogar noch einen nicht ganz unterdrückten Sinn für Putz; ihre zarten Glieder aber erscheinen abgemagert, ihre Züge sind müde, ihr Auge sanft und ernst... Ihre Kinder umdrängen sie; sie strotzen vor Gesundheit, Lebhaftigkeit und Lebenskraft; es sind echte Kinder der Wildnis: ihre Mutter wirft von Zeit zu Zeit schwermütige und freudige Blicke auf sie; sieht man der Kinder Kraft und der Mutter Schwäche, so meint man, sie habe ihre Kräfte erschöpft, indem sie ihnen das Leben schenkte, und als bedaure sie dieses Opfer nicht, das es sie gekostet hat. Das von den Auswanderern bewohnte Haus hat im Innern keine Einteilung und keinen Dachboden. Im einzigen Wohnraum, den es enthält, versammelt sich abends die ganze Famile. Diese Behausung stellt für sich allein eine kleine Welt dar; sie ist, in einem Blätterozean verloren, die Arche der Kultur. Hundert Schritt entfernt breitet der ewige Wald seinen Dämmer um sie aus, und es beginnt wieder die Einsamkeit.«4 Als die berühmte Rednerin und Führerin der Frauenwahlrechtsbewegung Anna Howard Shaw acht Jahre alt war, übersiedelte ihre Mutter mit den Kindern in die hinteren Wälder von Michigan, wo ihr Vater (der selber bei seiner Arbeit in einer Textilfabrik in Lawrence zurückblieb), für sie ein »Heim« gebaut hatte:
»Was wir da vorfanden, waren die vier Wände und das Dach eines wohlproportionierten Blockhauses, die in einer kleinen gerodeten Lichtung inmitten der Wildnis standen, Türen und Fenster wurden von viereckigen Löchern dargestellt, der Fußboden gehörte ebenfalls noch der Zukunft an, das Ganze wirkte schmerzhaft verloren und desolat. Es war später Nachmittag, als wir ankamen an der Öffnung, die die Haustür sein sollte, und ich werde nie den Blick vergessen, den meine Mutter auf den Ort richtete. Ohne ein Wort schritt sie über die Schwelle, stand sehr ruhig da und schaute sich langsam um. Dann schien irgend etwas in ihr nachzugeben und sie sank zu Boden. Ich glaube, selbst in jenem Moment war ihr noch nicht klar geworden, daß dieses der von Vater für uns bereitete Platz war und daß wir hier leben sollten. Als sie es schließlich faßte, verbarg sie ihr Gesicht in den Händen und saß stundenlang so da, ohne ein Wort oder eine Bewegung... Während mein achtzehnjähriger Bruder die Pferde anpflockte und Schutzfeuer entfachte, kam meine Mutter zu sich, aber ihr Gesicht, das sie jetzt hob, war schrecklicher als ihr Schweigen gewesen war ... nie wieder verlor es die tiefen Furchen, die jene ersten Stunden ihres Pionierlebens hineingeschnitten hatten.«[5]
Ganz gleich wie ihre soziale Stellung auch sein mochte, unter dem in den Kolonien und (bis zur Ankunft der Quäker) bei allen religiösen Sekten vorherrschenden Gesetz Englands hatten Frauen viele Pflichten, aber nur wenig Rechte. Insbesondere verheiratete Frauen litten unter dem »bürgerlich-rechtlichen Tod«: Sie hatten kein Besitzrecht und unabhängig von ihrem Ehemann keine Existenz als Rechtsperson.
»Mann und Frau sind eine einzige Person, aber wohlverstanden in bestimmter Weise. Wenn ein Rinnsal oder kleines Flüßchen eins wird mit Rhone, Humber oder Themse, so verliert das arme Bächlein seinen Namen, wird mit dem neuen Gefährten hin und her gerissen, hat selber keine Macht mehr, besitzt nichts, solange diese Ehe besteht. Sobald eine Frau geheiratet hat, heißt sie couverte, auf Lateinisch nupta, das heißt verschleiert; nämlich wolkenverhangen und in den Schatten getreten, ist sie ihres Stroms verlustig gegangen... Einer verheirateten Frau ist ihr Vorgesetzter, ihr Begleiter, ihr Meister das neue Selbst.«[6]
Das Konzept der femme couverte sollte noch bis ins 19. Jahrhundert hinein wirksam bleiben und für die verheirateten Frauen ein Hindernis sein, die versuchten, ob aus wirtschaftlicher Not oder um der geistigen Unabhängigkeit willen, seine Tabus zu durchbrechen. Verheiratete Frauen durften keine Verträge unterschreiben, hatten keinen rechtlichen Anspruch auf eigenes Einkommen und Vermögen, nicht einmal, wenn es als Erbschaft oder Mitgift ihnen gehörte, und sie hatten im Fall einer gesetzlichen Trennung keinen Anspruch auf die Kinder. Die Scheidung war, wenn sie überhaupt von Gerichten und Gesetzgebung gestattet wurde, nur in Fällen flagrantesten Unrechts erlaubt: Ehebruch, Verlassen und finanzielle Vernachlässigung, extreme Grausamkeit. Hinsichtlich der Möglichkeit für Frauen, auf gleicher Ebene mit ihren Ehemännern Rechtsansprüche geltend zu machen, waren sowohl die Gesetze wie auch deren Anwendung sehr unterschiedlich und reichten von der relativen Liberalität in Neuengland bis zu den erdrückenden Beschränkungen in den Kolonien an der mittleren Atlantikküste. Im Süden gab es lange Zeit überhaupt keine Scheidungsstatuten, und die gesetzliche Auflösung der Ehe war selten und schwer zu erwirken.[7] Gleich nach dem Gewohnheitsrecht war die Religion stärkste Kraft zur Aufrechterhaltung der untergeordneten Stellung der Frau. Die Kolonisten mochten aus den verschiedensten Gründen im Widerspruch zur Anglikanischen Kirche gestanden haben, doch befanden sie sich in voller Übereinstimmung mit ihr, wo es sich um die Überzeugung handelte, daß der Platz der Frau durch die Beschränkungen ihres Körpers und ihres Geistes bedingt sei, und diese waren die Strafe für Evas Erbsünde. Der Allmächtige hatte jedoch, um die Frau für ihre ureigene Rolle als Mutter auszurichten, besondere Mühe walten lassen, sie mit solchen Tugenden wie Bescheidenheit, Sanftmut, Mitleid, Leutseligkeit und Frömmigkeit auszustatten. Die Lady's Books aus den Tagen der Kolonialzeit erläutern detailliert die Verantwortung einer Frau - und ihre Grenzen; sie ergingen sich darin, wie wünschenswert ihre Tugendhaftigkeit im Gegensatz zu dem Freiraum war, den ihr Ehemann genoß. Die Frau wurde angewiesen, jegliches Wissen, das ihr über außereheliche Umtriebe ihres Mannes zu Ohren kommen könnte, für sich zu behalten.
Als »staatsbürgerlich tot« galten alle Frauen auch in politischen Angelegenheiten. Doch war dies kaum unzeitgemäß in einer Gesellschaft, die nur einigen Schichten von Männern, gewöhnlich auf der Grundlage ihres Besitzes, das Wahlrecht erteilte und in der alle als Kolonie mit nur begrenzter Mitsprache in wichtigen Angelegenheiten regiert wurden. Im Zeitraum vor der amerikanischen Revolution gab es einige wenige vereinzelte Fälle, in denen Frauen gewählt hatten; doch das Frauenwahlrecht wurde erst lange, nachdem aus dem Land eine unabhängige Republik geworden war, zu einer politischen Streitfrage.
Obwohl Frauen als minderwertig und deshalb jahrhundertelang als untergeordnete menschliche Wesen galten, gab es doch seit den ersten Tagen der Kolonisation immer Kräfte, die eine solche Haltung zu untergraben suchten. Nicht nur die protestantische Religion hielt Müßiggang für eine Sünde und verlangte daher von den Frauen, sie sollten spinnen, weben, klöppeln, Seife, Schuhe und Kerzen herstellen und gleichzeitig für Haushalt und Familie sorgen. Die wirtschaftliche Entwicklung selber machte eine solche Arbeitsteilung erforderlich, denn anfangs waren für diese Güter und Dienstleistungen keine anderen Quellen vorhanden. Aber nicht alle Frauen arbeiteten hinter den schützenden Mauern ihres Heims. Der Tribut, den die Erforschung des Landes, Jagen, Fischen, der Krieg gegen die Indianer und die Wanderung nach Westen von der männlichen Arbeitskraft forderte, hinterließ viele Frauen als Witwen und mit kleinen Kindern, für die sie sorgen mußten. Häufig führten sie das Geschäft ihres früheren Ehemanns weiter, so zum Beispiel Gasthäuser, Druckereien, Warenlager, sogar Zeitungen; manchmal gingen sie von sich aus solche Wagnisse ein; oder sie wurden Näherinnen, Putzmacherinnen, Dienstmädchen usw. In einer im Kampf befindlichen Gesellschaft, in der ständiger Arbeitskräftemangel herrschte, konnte kein soziales Tabu eine hungrige Frau müßig halten.[8] Außerdem führte die Grenzwirtschaft mit den Forderungen, die sie für das Überleben an die Menschen stellte, zu einem gewissen rohen Egalitarismus, der andere, lange wirksame Schicklichkeitsbegriffe durcheinanderbrachte. Frauen waren ebenso unentbehrlich wie Männer, denn ein Haushalt, der ihrer haushälterischen Fertigkeiten, bei Bedarf der Krankenpflege, des Scharfschießens und Jagens entbehrte, war nicht zu beneiden. Zwar rückte diese Tradition, je komplexer die koloniale Gesellschaft wurde, mehr und mehr ins Dunkel, aber ihre Wurzeln blieben im amerikanischen Leben und Denken verhaftet; als sich in der im Wandel befindlichen Welt die Grenze immer mehr nach Westen verschob, reiste die Idee, daß die Frau dem Mann gleich ist, mit, und das hatte weitreichende Folgen.
Die Frage des gleichen Status für Frauen erhob sich in den frühesten Gründertagen Neuenglands erstmals, als Anne Hutchinson die puritanische Bostoner Theokratie herausforderte, und zwar nicht nur auf der Ebene des religiösen Dogmas, sondern auch in dessen Voraussetzung, daß keine Frau in Kirchenangelegenheiten eine Stimme haben könne. Die Schlacht hielt sich streng im Rahmen theologischer Auseinandersetzung, aber dahinter stand unausgesprochen Anne Hutchinsons unerhörte Forderung, daß ihr als Frau erlaubt werde, ihre eigenen Gedanken über Gott zu haben und andere, Frauen eingeschlossen, dazu zu ermuntern, dasselbe zu tun. Wir wissen nur ganz wenig und Einseitiges über Anne Hutchinson: Sie hinterließ keine Briefe und kein Tagebuch, niemand aus ihrer Familie oder dem Kreis ihrer Anhänger gab ein Porträt oder eine Beschreibung von ihr und ihren berühmten »Konversationen«, die uns überliefert wären.[9] Das meiste, was wir über sie wissen, stammt aus der Feder des Mannes, der sie am meisten haßte - John Winthrop, Gouverneur der Massachusetts Bay Colony: gleichsam als ob alles, was wir über Jeanne d'Arc wissen, aus den Zeugnissen ihres Todfeindes Pierre Cauchon stammte. »Eine stolze und leidenschaftliche Frau«, schrieb Winthrop, »schlagfertig und geistreich, zungenfertig, kühner als ein Mann, obwohl in Einsicht und Urteilsvermögen vielen Frauen unterlegen.«[10] Die Puritaner waren den Pilgern gefolgt und auf der Flucht aus dem England der katholischen Stuarts 1630 in die Bucht von Massachusetts gekommen. Sie waren Calvinisten, deren Glaube besagte, daß die göttliche Erleuchtung und Führung nur einer kleinen Gruppe vorbehalten war und daß das Heil nur durch Gebet, Reinheit und Kirchgang erworben werden konnte: der sogenannte »Bund der Werke«.
Mistress Hutchinson und ihre Familie kamen erst 1634 nach Boston. Zu jener Zeit hatte sich der calvinistische Glauben bereits zum Dogma verhärtet. Mistress Hutchinson war aber in der Zwischenzeit dazu gelangt, an das direkte Gespräch des Individuums mit Gott zu glauben - an den »Bund der Gnade«. Sie konnte sich keiner Orthodoxie unterwerfen, die so rigide war, ihr das Recht abzusprechen, ihren Glauben auf ihre Weise auszudrücken. Sie hatte dies bereits während der langen Überfahrt über den Ozean auf dem Schiff getan. In Boston angekommen, gewann sie immer mehr Anhänger aufgrund ihrer seltenen Kenntnisse über Heilpflanzen und ihrer Wortgewalt. Der entsetzten Obrigkeit kam zu Ohren, daß sich im Haus der Hutchinsons Gruppen von sechzig und mehr Menschen trafen, in der Mehrzahl Frauen, aber auch einige Männer, um Mistress Hutchinsons Theorie des »in uns weilenden Christus« und ihre eindringliche Kritik an den örtlichen Geistlichen zu hören.
Winthrop und seine Kollegen fürchteten mit einiger Berechtigung, daß das gesamte Gebäude der Gemeinde umgestürzt würde: im puritanischen Boston die etablierte Religion in Frage zu stellen, war unmöglich, ohne damit zugleich den Staat in Frage zu stellen, denn zwischen beiden gab es keine Trennung. Wenn Mistress Hutchinson darauf beharrte, daß ein Individuum mit Gott direkt in Kontakt treten könne, forderte sie für sich und alle anderen Gleichheit mit den Männern, die über Leben und Denken in der Massachusetts Bay Colony mit der absolutistischen Macht von Stuart-Königen herrschten.
Die neue Ketzerei erzielte erhebliche Einbrüche, und die Obrigkeit schlug erbarmungslos zurück, um ihre Macht zu schützen. Sie griff Anne Hutchinson von zwei Fronten her an, mit einem Gerichtsprozeß und einem Kirchenverfahren. Während ihres Prozesses vor einem bürgerlichen Gericht war sie schwanger und schwer krank. Trotzdem durfte sie sich solange nicht setzen, bis nicht mehr zu übersehen war, daß sie nicht mehr stehen konnte: »Ihre Haltung verriet körperliche Schwäche«, berichtet Winthrop knapp. Während des Prozesses war sie allen Schikanen ausgesetzt, die bis auf den heutigen Tag bei religiöser Verfolgung üblich sind: ihre Worte wurden verdreht; sie durfte die Beweisführung für ihre Verteidigung nicht selber antreten; ihre Richter erklärten, sie hätten sich ihr Urteil gebildet, schon bevor sie die Zeugen der Verteidigung verhörten, die eingeschüchtert und schikaniert worden waren. Das Gericht befand Anne Hutchinson für schuldig im Sinne der Anklage und ordnete ihre Verbannung aus der Kolonie an. Seine Erkenntnisse waren weit entfernt von aller Klarheit, aber auf Anne H utchinsons Bitte: »Ich wünsche zu erfahren, wofür ich verbannt werde?« hatte der große Winthrop nur eine Antwort: »Schweigen Sie, das Gericht weiß wofür und ihm ist Genüge getan.«[11]
Die Bestrafung nach dem bürgerlichen Gesetz allein konnte Mistress Hutchinsons Rückhalt bei ihren Anhängern nicht brechen; ihre Ketzerei mußte unbezweifelbar nachgewiesen werden. Sie wurde im Haus eines ihrer Widersacher gefangengesetzt und nach wochenlanger Inquisition, während der sie meist krank war, äußerte sie schließlich gewisse Fragen bezüglich der Lehre. Man stürzte sich sofort auf diese Fragen, betrachtete sie als Glaubenserklärungen und machte sie, zu neunundzwanzig ketzerischen Irrtümern aufgebläht, zur Grundlage des Prozesses, in dem sie exkommuniziert werden sollte.
Während des Prozesses versetzte Anne Hutchinson ihre Richter mit ihrer Furchtlosigkeit, ihrer Bibelfestigkeit und ihrer Wortgewalt in Angst und Zorn. Gegenüber der von ihr schriftlich bekundeten Reue reagierten sie wieder mit unverantwortlicher Voreingenommenheit: »Reue paßt nicht zu ihrer Miene.«[12] Was sollte man auch tun gegen eine Frau, die inmitten des sinnlosesten Feilschens über die Natur der menschlichen Seele sagen konnte: »Ich denke, daß die Seele nichts ist als Licht.«[13]
Aber noch immer war sie von Krankheit geschwächt, und ihre Verteidigung, anfänglich klar und glänzend, verfiel allmählich in Verwirrung und Schweigen. Als sie die Kirche unter dem Bann der Exkommunikation verließ, erhob sich nur ein Arm zu ihrer Unterstützung: der von Mary Dyer, die - von Mistress Hutchinson das erste Mal zum Zweifel angestachelt - zweiundzwanzig Jahre später dafür zahlen sollte; die Herrschenden Bostons, die noch immer um den rechten Glauben eiferten, erhängten sie als Quäkerin. Während des Winters 1637/38 errichteten Annes Ehemann, William Hutchinson, und etwa zwanzig andere Anhänger eine neue Heimat für sich und ihre Familien in Rhode Island, der neuen Kolonie von Roger Williams. Im Frühjahr trafen Anne und ihre kleinen Kinder dort ein. William, der während aller Prozesse an ihrer Seite gestanden hatte, starb vier Jahre später, und Anne zog mit ihrer Familie von neuem in die Wildnis, denn in der jungen Siedlung entflammten neue theologische Richtungskämpfe. Diesmal wählten sie das Ufer von Long Island Sound, wo heute Pelham Bay im New Yorker Stadtteil Bronx liegt. Sie glaubte, die Holländer hätten ihr das Land verkauft und den Indianern das ihnen zustehende Geld gegeben, aber sie war getäuscht worden. Die Indianer, die sie für an dem Schwindel beteiligt hielten, brachten sie und ihre Familie um. Der kleine gewundene Fluß und die große Autobahn, die den Belham Bay Park durchqueren, tragen heute ihren Namen.
Die Erbarmungslosigkeit, mit der Anne Hutchinson bestraft worden war, zeigt an, welche Standfestigkeit sie hatte und welche Bedrohung sie für den puritanischen Glauben und das puritanische Leben darstellte. Obwohl außer ihrer Bibelkenntnis ungebildet - denn sie war eine Frau, unerfahren in Rhetorik und Diskussion - gewann sie doch große Teile einer in der Theologie sehr bewanderten Gemeinde für ihre Überzeugungen. Sie forderte deren gebildetste und geschulteste Köpfe heraus, so daß diese schließlich nur noch zu Verfälschung und Zwangsmaßnahmen greifen konnten. Sie war auf dem amerikanischen Kontinent die erste Frau, die den Platz in Frage stellte, welcher in der allmählich Gestalt annehmenden neuen Gesellschaft den Frauen gewöhnlich zugewiesen wurde. Viele Leute erwarteten von den Frauen, dieselbe Rolle zu spielen, die sie immer gespielt hatten; Anne Hutchinson dachte anders darüber, und andere sollten bald in ihre Fußstapfen treten. Eine der legendären Figuren des amerikanischen Revolutionskrieges war »Molly Pitcher«, eine Marketenderin, deren Spitzname daher rührte, daß sie dem Bataillon ihres Mannes in Monmouth (New Jersey) immer Wasser brachte (pitcher = Krug, A.d.D.). Als er im feindlichen Feuer fiel, sprang sie hinzu und lud seine Kanone. Eine andere legendäre Figur war Deborah Sampson, die über ein Jahr lang aktiv in der Kontinentalarmee diente, bevor entdeckt wurde, daß sie eine Frau war.[14] Aber Frauen waren noch auf vielfältigere und wirksamere Weise im Kampf um die Unabhängigkeit und während der Jahre, die ihm unmittelbar voraufgingen, tätig.
Als die Empörung über die erzwungene Einfuhr von britischem Tee, dessen Preis durch exzessive Einfuhrzölle hochgetrieben wurde, anschwoll, kam es in Neuengland und den Staaten am mittleren Atlantik zu zahlreichen Zwischenfällen, bei denen Frauen Anti-Tee-Ligen organisierten, die die Verwendung von Tee-Ersatz aus Himbeeren, Salbei und Birkenbräu populär machten. Der populärste mit dem Namen »Freiheitstee« wurde aus vierblättrigem Pfennigkraut in einer komplizierten Prozedur hergestellt, bei der die Blätter zweimal gekocht und im Ofen getrocknet werden mußten.[15] Einige dieser Vereine schlössen sich für kurze Zeit eng zusammen und nannten sich »Töchter der Freiheit«, erreichten aber nie den Grad an Organisation ihrer Namensgeber, der »Söhne der Freiheit« unter Samuel Adams. Solche Gruppen versuchten, den Boykott britischer Waren durch Spinnen und Nähen von Kleidern und durch das öffentliche Gelübde, nur noch heimische Waren zu kaufen, zu unterstützen:
»Anfang Februar 1770 zettelten die Frauenzimmer von Boston eine öffentliche Bewegung zwecks Nicht-Einfuhr an, und die Hausherrinnen von dreihundert Familien schrieben sich namentlich in die Liga ein, womit sie sich verpflichteten, bis zum Widerruf der Zoll- und Steuergesetze keinen Tee zu trinken. Drei Tage darauf folgten die jungen Damen dem Beispiel ihrer Mütter und unterzeichneten ein Dokument folgenden Inhalts: >Wir Töchter jener Patriotinnen, welche immer und so auch jetzt im Interesse des Allgemeinwohls auftreten und darunter vor allem ihre Nachkommen verstehen, stellen uns mit großer Freude hinter sie und ihren Verzicht, ausländischen Tee zu trinken, in der Hoffnung, einen Plan zu vereiteln, der darauf abzielt, eine Gemeinde all dessen zu berauben, was ein Leben lebenswert machte«[16]
Während des Krieges horteten einige Kaufleute Zucker und Kaffee, und in mindestens einem Fall wurden solche Lager von Frauen gewaltsam »geöffnet«. Abigail Adams schrieb 1777 an ihren Ehemann John, der als Delegierter im Kontinentalkongreß in Philadelphia saß:
»Ein an Geld und Einfluß reicher, knauseriger Kaufmann (der Junggeselle ist) hatte in seinem Lager ein Faß voll Kaffee und weigerte sich, ihn dem Komitee unter sechs Schillingen das Pfund zu verkaufen. Daraufhin versammelte sich eine Anzahl Frauenzimmer, einige sagen hundert, einige sagen noch mehr, mit Karren und Kisten, marschierten zu seinem Magazin und verlangten die Schlüssel, die herauszugeben er sich weigerte. Woraufhin eine ihn am Schlafittchen nahm und auf den Karren schubste. Als er sah, daß er keine Gnade finden würde, gab er die Schlüssel heraus; sie kippten den Karren um und ließen ihn laufen; dann öffneten sie das Magazin, zerrten selbst den Kaffee heraus, verstauten ihn in die Kisten und machten sich davon. Es wird berichtet, sie hätten ihn auch gezüchtigt, aber das, glaube ich, ist nicht wahr. Eine lange Phalanx von Männern stand erstaunt dabei und schaute der gesamten Transaktion schweigend zu.«[17]
Als während des Krieges viele Männer in der Kontinentalarmee dienten, mußten die Frauen das so entstandene Vakuum füllen, um Familie und Farm am Leben und die Wirtschaft der dreizehn Staaten weiter in Gang zu halten. Ihr ungewöhnlichster Beitrag war, die Armee mit Kleidung zu versorgen; sie nahmen damit die Sanitätskommission, die im Bürgerkrieg berühmt werden sollte, und das spätere Rote Kreuz vorweg. Es gibt keinen Bericht darüber, ob derartiges auch während jenes Winters geschah, als Washingtons heftig bedrängte und zerlumpte Männer in Valley Forge die Stellung hielten. Aber man weiß, daß im Jahr 1780 Mrs. Ester de Berdt Reed, die Frau von Washingtons Generaladjutant, den Vorsitz über einen »Verein« führte, der zunächst von Frauen aus Philadelphia gebildet worden war, zu dem nach und nach aber auch Frauen aus anderen Gemeinden in Pennsylvania ebenso wie aus Maryland, New Jersey und Delaware stießen. Ungefähr siebentausend Dollar in bar wurden für die Herbeischaffung von dringend benötigter Kleidung, vor allem Hemden, gesammelt. Die Liste der Spender reichte von einer schwarzen Wäscherin, die sieben Schilling gab, bis zu einflußreichen Damen, die große Summen spendeten. Mrs. Reed starb vor der Vollendung ihres Werks; ihren Platz nahm ein fünfköpfiges Komitee ein, zu dem auch Sarah Bache, die Tochter Benjamin Franklins, gehörte, in deren Wohnung ein großer Teil der Schneider- und Näharbeiten ausgeführt wurde: Ein Besucher überlieferte, daß er ungefähr zweitausendzweihundert frisch gestärkte Hemden sah, die hoch aufgestapelt auf ihre Verschiffung warteten! So sporadisch und zufällig diese Bemühungen auch waren, sind sie doch die ersten uns bekannten Momente, wo amerikanische Frauen für ein bestimmtes Ziel zusammenarbeiteten   mit anderen Worten, sich organisierten.
Im Leben der jungen aufstrebenden Nation konnte kein Element statisch bleiben. Dieselben Kräfte, welche die Bande zwischen den Kolonien und dem Mutterland lösten, sollten bald manches an der Stellung der Frau im achtzehnten Jahrhundert obsolet machen. Explosive Ideen waren freigesetzt worden. Wenn der Mensch mit gewissen natürlichen Rechten ausgestattet war, wieso dann nicht auch die Frau? Wenn die staatliche Autorität sich aus der Vernunft und der Zustimmung der Regierten herleitete und nicht von Gott, konnte man Frauen dann weiterhin kraft der Autorität der Bibel im Zustand der Unterjochung halten?
Kurz vor dem Ausbruch der amerikanischen Revolution brachte das Pennsylvania Magazine von Tom Paine einen Artikel, der die Lage der Frauen beschrieb und anprangerte:
»Selbst in Ländern, in denen ihre Lage als die glücklichste gilt, (werden sie) in ihrem Wunsch, über ihre Gaben zu verfügen, beschnitten, durch die Gesetze ihrer Freiheit und ihres eignen Willens beraubt, zu Sklavinnen einer Weltanschauung, die sie mit absoluter Macht beherrscht und ihr leisestes Sichtbarwerden für eine Schuld ausgibt, rundherum eingekreist von Richtern, die zur selben Zeit ihre Tyrannen und ihre Verführer sind... Wer fühlt nicht mit dem zarten Geschlecht?«[19]
In enger Fühlung mit dem revolutionären Gärstoff standen Frauen, die nicht mehr der von Paine beschriebenen Gestalt entsprachen: Frauen wie Mercy Warren - Dramatikerin, Korrespondentin und befreundet mit Washington, Adams und Hancock; oder Abigail Adams, die 1776 an ihren Ehemann schrieb:
»Im neuen Gesetzbuch, von dem ich vermute, daß ihr es erstellen werden müßt, wünsche ich, ihr möchtet der Damen gedenken und mit ihnen großzügiger und wohlwollender verfahren als eure Ahnen. Legt nicht solche grenzenlose Macht in die Hände der Ehemänner. Bedenkt, daß alle Männer Tyrannen wären, wenn sie könnten. Wenn den Damen nicht besondere Sorgfalt und Aufmerksamkeit zuteil wird, werden wir gezwungen sein, eine Rebellion zu schüren, und wir werden uns durch kein Gesetz gebunden fühlen, bei dem wir weder Stimme noch Vertretung haben.«[20]
Mrs. Adams schrieb dies zweifellos mit leiser Ironie, doch auch mit einem bitteren Unterton. Sie war ihrer Zeit ebenso weit voraus wie Mistress Margaret Brent in den frühen Tagen der Kolonie Maryland. Als gesetzlich bestimmte Testamentsvollstreckerin des verstorbenen Leonard Calvert, Bruder und Stellvertreter des Besitzers der Kolonie, Lord Baltimore, und als ihrerseits rechtmäßige Eignerin eines Vermögens war diese Lady vor das erstaunte Parlament getreten und hatte für das Verfahren nicht nur eine, sondern gleich zwei Stimmen für sich beansprucht: die eine, da sie selbst Grundbesitzerin war, die andere als Anwältin des Besitzers. Als ihr Ansinnen scheiterte, verlangte sie, daß alle Verfahren der betreffenden Sitzungsperiode des Rates für ungültig erklärt würden. (Ihr Antrag wurde abgelehnt.) Sowohl Mistress Brent als auch Mrs. Adams waren eher Vorläuferinnen und Prophetinnen als Initiatorinnen. Die rechtliche Stellung der Frau, ganz zu schweigen von ihrer Stimme bei politischen Angelegenheiten, sollte bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts noch nicht Gegenstand vitalen Interesses werden. Der erste Bereich, in dem größere Rechte und Chancen für Frauen Bedeutung erlangen sollten, war der der Bildung. Der Kampf um Wissen, Ausbildung und um die Möglichkeit neue Ziele anzustreben und daran zu wachsen, der sich wie ein roter Faden durch die amerikanische Sozialgeschichte zieht, fand auf der Seite der Frauen seinen ersten Ausdruck in den Schriften von Judith Sargent Murray, mehr als zehn Jahre bevor Mary Wollstonecraft 1792 ihre Verteidigung der Rechte der Frauen veröffentlichte; dies wird gewöhnlich als Entstehungsdatum der modernen Frauenbewegung angenommen.[21]
Judith Murray lebte in Gloucester, einem Seehafen in Massachusetts; ihr Vater war dort ein wohlhabender Kaufmann und Kapitän zur See, der die revolutionären Kräfte unterstützte und als Delegierter in jener Versammlung von Massachusetts saß, die 1788 die Verfassung ratifizierte. Mrs. Murray war damals Gastgeberin, und später selbst Gast, der Familie des Präsidenten Washington. Stuart und Copley malten ihr Porträt. Ihr Geist war ständig auf der Suche nach neuen Bereichen, und irgendwann während des Revolutionskriegs schrieb sie einen Essay (der erst nach 1790 veröffentlicht wurde), in dem sie sich mit der Chancenungleichheit zwischen Männern und Frauen auseinandersetzte:
»Beziehen wir die Idee, daß die Natur so parteiisch bei ihrer Verteilung ist, wirklich aus reiflicher Überlegung? Ist es tatsächlich ein Faktum, daß die Natur der einen Hälfte der menschlichen Gattung eine so unbezweifelbare geistige Überlegenheit zugewiesen hat?... Und doch mag gefragt werden, woher eine solche Überlegenheit in dieser entscheidenden Seelenkraft (dem Urteilsvermögen) sich speist? Sollten wir ihre Quelle nicht in der unterschiedlichen Erziehung und den daraus folgenden unterschiedlich günstigen Bedingungen suchen? Soll etwa behauptet werden, das Urteil eines zweijährigen Knaben sei weiser als das eines gleichaltrigen Mädchens? Ich glaube, man kann allgemein beobachten, daß das Gegenteil wahr ist! Aber von diesem Alter an, welch eine Parteinahme! Wie hoch wird der eine gehoben und wie tief die andere niedergedrückt durch die gegensätzlichen Erziehungsweisen, die angewendet werden! Der eine wird zur Strebsamkeit erzogen, die andere frühzeitig eingesperrt und beschränkt. Im Laufe der Jahre muß die Schwester vollständig domestiziert werden, während ihr Bruder an der Hand genommen und durch all die blühenden Gärten der Wissenschaft geführt wird.«[22]
Als Erwiderung auf alle jene Kritiker, die befürchteten, gebildete Frauen könnten ihre häuslichen Pflichten vernachlässigen, schrieb sie: »Und wenn noch so laut geschrien würde, >deine häusliche Beschäftigung ist genug für dich< - ich würde ruhig fragen, ist es vernünftig, daß eine Anwärterin auf die Unsterblichkeit, auf die Freuden des Himmels, ein intelligentes Wesen, das eine Ewigkeit in der Kontemplation über Gottes Werk verbringen wird, in der Gegenwart derart degradiert wird, daß es keine anderen Gedanken haben darf als solche, die ihm durch den Mechanismus eines Puddings oder das Nähen von Kleidersäumen aufgenötigt werden?«[23]
In einem anderen, 1798 veröffentlichten Essay konnte Mrs. Murray jedoch bereits auf Gleichgesinnte verweisen:
»Frauenakademien sind überall im Entstehen, und was mir davon zu Ohren kommt, ist recht erfreulich... Man könnte mich des Enthusiasmus zeihen, aber so ist nun einmal mein Vertrauen in das Geschlecht, daß ich erwarte, unsere jungen Frauen werden ein neues Zeitalter in der Geschichte der Frau eröffnen.«[24]
Einer jener, die versuchten, ein neues Erziehungsmodell für Frauen durchzusetzen, war Dr. Benjamin Rush, Arzt, Naturwissenschaftler und Professor für Chemie an der Universität von Pennsylvania. Rush war Mitglied des (ausschließlich männlichen) Aufsichtsausschusses der Ladies' Academy in Philadelphia und erklärte dort 1787 vor einer Versammlung aus Studenten, deren Verwandten und Freunden, die Erziehung der Frau »sollte dem Zustand der Gesellschaft, der Sitten und der Regierungsform des Landes, in dem sie betrieben wird, angeglichen sein«. In der neu errichteten Republik mache es darum »der gleiche Anteil, den in diesem Land jeder Bürger an der Freiheit hat und den er an der Regierung haben kann, notwendig, daß unsere Damen in gewissem Maße in einer eigenen und passenden Erziehung herangebildet werden, damit sie dazu beitragen, ihre Söhne in den Prinzipien von Freiheit und Regierung zu unterweisen.«[25] Zu den Fächern, die Dr. Rush bei dem gegebenen Zustand der Gesellschaft
als für Frauen erforderlich ansah, gehörten englische Sprache und Literatur, Geographie, die Lektüre von Geschichtsbüchern, Biographien und Reiseberichten (als Gegengift gegen die alarmierend angestiegene Popularität des Romans), Gesang (als Hilfe zur Kräftigung des Körpers), Tanz (den er durchaus nicht für unschicklich erachtete) und Religionskunde. Doch trotz der fruchtbaren Gedanken einiger weitblickender Individuen und trotz der Zunahme von Frauenakademien, die zu Hoffnungen Anlaß gab und die Mrs. Murray erwähnt hatte, änderte sich die für Frauen erreichbare Art von Bildung ebenso wie die Anzahl und Auswahl der in ihren Genuß kommenden Frauen erst dann entscheidend, als die Expansion nach Westen und die Anfänge industrieller Produktion außerhalb des Hauses die gesamte Struktur der jungen Nation umwälzten. Als Samuel Slater 1790 in Pawtucket (Rhode Island) Wasserkraft für das Spinnen von Baumwolle nutzbar machte, bahnte er damit den Weg für die zwanzig Jahre später aufkommende Textilindustrie, die für die Stellung der Frauen weitreichende Auswirkungen hatte. Hatten sie den Bedarf an Kleidung zuvor mit Spinnen und Weben zu Hause gedeckt, so wurden jetzt immer mehr Frauen selbständige Lohnarbeiterinnen. Und wenn es jetzt »schicklich« wurde, daß eine Frau genau wie ein Mann vierzehn Stunden am Tag in einer Textilfabrik arbeitete, dann mußte eine ganze Reihe anderer gesellschaftlicher Tabus ebenfalls revidiert werden. »Das neue Zeitalter in der Geschichte der Frau«, das Judith Sargent Murray vorhergesehen hatte, kam in Sicht.
Die Frauen, die in den Großstadtstraßen gekidnappt oder aus überfüllten Gefängnissen heraus verkauft und als leibeigene Dienstbotinnen nach Amerika gebracht wurden, hatten, wenn sie überlebten, etwas, worauf sie hoffen konnten: am Ende der sieben Jahre würden sie frei sein. Mochte es auch nur die Freiheit äußerster Bedürftigkeit und Degradierung gewesen sein, so stand ihnen doch die Aussicht auf etwas Besseres vor Augen. Die schwarzhäutigen Männer und Frauen, die vom afrikanischen Kontinent verschleppt, nach Nord- und Südamerika gebracht und dort als Sklaven verkauft wurden, hielt keine solche Aussicht aufrecht. Zweihundert Jahre lang betrieben britische, französische, portugiesische, spanische und amerikanische Händler dieses Geschäft, durch das die Baumwoll- und Tabakplantagen im Süden mit Arbeitskräften versorgt wurden und dessen Erträge London und Liverpool, New York, Boston, Salem und Newport fett machte.
Die Welle neuerer Untersuchungen über Geschichte und Kultur der Schwarzen hat neue Ergebnisse darüber erbracht, welche erschreckende Zahl von Menschen vom Sklavenhandel in Afrika insgesamt betroffen war und wie groß das Ausmaß von individuellem Leid und Tod war, aber noch immer kommen die Gelehrten nicht annähernd zu übereinstimmenden Aussagen. Schätzungen, die sich früher auf etwa 20 Millionen Menschen vorwiegend, aber nicht ausschließlich, aus dem Gebiet der afrikanischen Westküste belaufen hatten, werden jetzt um die Hälfte niedriger angesetzt. Aber nicht annähernd diese Zahl erreichte den Bestimmungsort: die Sterblichkeitsrate auf See lag irgendwo zwischen 13 und 33 Prozent, und die Verluste waren schon groß, bevor die Sklaven überhaupt auf den Schiffen verstaut wurden.[26] Denn nach den Kriegen, aus deren Opfern ein Teil der Sklavenexporte bestand, nach kriegsähnlichen Beutezügen, die die Händler in die Dörfer der Hochebenen und der Dschungel unternahmen und die die andere wesentliche Nachschubquelle ausmachten - nachdem ganze Stämme aufgerieben, Familien auseinandergerissen worden waren, nach dem manchmal Hunderte von Kilometern langen Fußmarsch in Ketten durch äquatoriale Hitze und Regen, nach den Brandmarkungen und nach den Sklavenpferchen an der Küste kam die »Mittelpassage«, d.h. die Atlantiküberfahrt.[27] Die viertausend Meilen lange Fahrt fand anfänglich auf Schiffen statt, die noch kleiner als die Mayflower und deren Passagierlisten noch länger waren. Es gibt Berichte über Hundert-Tonnen-Schiffe, die fünfhundert oder gar siebenhundertfünfzig Männer und Frauen transportierten; gewöhnlich trugen so kleine Schiffe zwischen zwei- und dreihundert Menschen. Für Besatzung und Vorräte war wenig Platz, der Rest wurde ausgefüllt von der »Fracht«, die paarweise an Bänke gekettet war, welche den größten Teil der Ladefläche belegten. Manchmal war zwischen »Fußboden« und »Decke« nur ein halber Meter Abstand. Jede Schicht war gefüllt von Leibern, mit Handschellen aneinandergekettet; gelegentlich mußten sie ihre Beine krümmen, denn für Bewegung war kein Platz. Mit Ausnahme kurzer Augenblicke, in denen sie ihre Notdurft verrichten mußten oder an Deck gehen durften, blieben sie dort während der ganzen fünf bis sechs Wochen dauernden Reise. Ungefähr ein Drittel der Fracht bestand gewöhnlich aus Frauen. Das einzige Zugeständnis, das ihrem Geschlecht gemacht wurde, war, daß sie in getrennten Räumen angekettet wurden: »Wie Löffel hintereinander gestapelt, kamen sie oft nieder inmitten der beißenden Ausdünstungen dieser menschlichen Fracht.«[28]
Bei ungünstigem Wind und Wetter wurden Essen und Wasser knapp, und die Sklaven litten darunter am meisten. Die Vorkehrungen für die Beseitigung der menschlichen Exkremente waren immer unzulänglich, und Wascheinrichtungen gab es praktisch nicht. Ein Sklavenschiff konnte man nicht nur Meilen gegen den Wind riechen, auf ihm wüteten auch Krankheiten: Pocken, Augenkrankheiten, Ruhr, Wahnsinn. Tote Körper wurden über Bord geworfen, um die Ausbreitung von Infektionen in Schranken zu halten. Gelegentlich gab die Mannschaft ein Schiff, das von einer Seuche heimgesucht oder beschädigt war, einfach auf und ließ die Fracht gefesselt unter Deck einfach zurück.[29]
Obwohl von Großbritannien und den Vereinigten Staaten 1808 formell abgeschafft, ging der illegale Sklavenhandel auf amerikanischen Schiffen weiter. Kam ein Patrouillenboot in Sicht, war es für Händler und Besatzung am sichersten, die Sklavenfracht in Handschellen über Bord zu werfen, wo sie rasch vor den Augen versank oder Haie sich über sie hermachten. Die Sklaven selbst hinterließen kaum Berichte über die Atlantiküberque-rung; da sie aus vielen verschiedenen Stämmen kamen, konnten sie häufig nicht einmal miteinander sprechen. Erhalten sind Zeugnisse der Sklavenhändler - detailliert und leidenschaftslos wie das von Alexander Falcon-bridge:
»Ich sah, wie schwangere Frauen Babies gebaren, während sie mit Leichen zusammengekettet waren, die unsere betrunkenen Aufseher noch nicht weggeräumt hatten... Den jungen Frauen ging es anfangs noch am besten, denn sie durften an Deck kommen und der Mannschaft Gesellschaft leisten... Gegen Ende der Fahrt, die annähernd sechs Wochen dauerte, hatte der Tod den Hauptbestand gelichtet, und eine Anzahl Frauen war als Gesellschaft für die Männer nach unten getrieben worden.«[30] Um die Sterblichkeitsrate, die den Profit je Reise verminderte, zu verringern, hatten einige der größeren Schiffe später Ärzte an Bord; einer von ihnen schrieb mit der Teilnahmslosigkeit des Klinikers über den hohen Prozentsatz von Irrewerden insbesondere unter den Frauen:
»Eines Tages sah ich in Bonny eine beleibte Frau mittleren Alters, die einen Tag zuvor von einem Markt mitgebracht worden war; sie war an den Türpfosten des Büros eines schwarzen Sklavenhändlers gekettet und befand sich in einem Zustand erregten Wahnsinns. An Bord des Schiffes war eine junge Negerin an den Tisch gekettet, die, kurz nachdem sie gefangen und an Bord gebracht worden war, ihren Verstand verloren hatte. Bei einer früheren Reise waren wir genötigt, eine etwa zwanzigjährige Negerin einzusperren, weil sie verrückt geworden war. Sie wurde später verkauft, als sie gerade einen lichten Moment hatte.«[31]
Obwohl der Sklavenhandel hohe Profite, manchmal bis zu hundert Prozent je Fahrt, einbrachte, war das Risiko ebenfalls hoch und wurde durch die Unberechenbarkeit der Fracht noch verschärft. Zwischen Sklaven und Händlern tobte ein endloser Krieg, manchmal im Verborgenen, manchmal in Revolten ausbrechend. Wenn die Sklaven schon nicht die Kontrolle über das Schiff erringen konnten, so konnten sie zumindestens sterben. Sie schlugen zurück, nicht nur in Form von Meuterei, sondern auch mit Hungerstreiks, sie sprangen einfach über Bord, und gelegentlich verweigerten sie buchstäblich das Atmen. Der Sklavenhändler befand sich im Dilemma, entweder zu Strafen wie Aufhängen, Auspeitschen, Verstümmelungen oder Verhungernlassen, unterschiedslos für Frauen wie Männer, zu greifen, oder aber seine Ware nicht nur am Leben, sondern auch marktfähig zu erhalten - fähig zur Arbeit oder jedenfalls so aussehend. Es ist ein Wunder, daß überhaupt ein Drittel oder sogar die Hälfte überlebte und daß die Frauen noch immer gesunde Kinder zur Welt brachten.
Sie wurden zunächst auf den Karibischen Inseln ausgeladen, wo sie »eingewöhnt« und angelernt werden sollten. In Wahrheit versuchte man hier, die deutlichsten Spuren ihrer Atlantiküberquerung zu beseitigen und die Verkrüppeltsten und Kränksten auszusondern. Hier begann auch die Prozedur, mit der ihnen das Kleidertragen, die englische Sprache, die Plantagenarbeit und die Ehrfurcht vor dem Gott der Christen beigebracht wurde. Das vielschichtige und hochentwickelte afrikanische Stammesleben wurde ihnen ebenso gründlich ausgetrieben, wie einzelne Stämme und Familien zuvor zersplittert und zerstreut worden waren. Jede neue Schiffsladung wurde unter eine rasch anwachsende Bevölkerung »assimilierter Sklaven« gemischt; um 1830 waren es zwei Millionen, fast vier Millionen bei Ausbruch des Bürgerkrieges.
Nicht alle Sklaven befanden sich in ähnlichen Umständen oder litten dieselbe Not; die Institution der Sklaverei ließ Raum für eine große Variationsbreite, je nach wirtschaftlichem Status und individueller Persönlichkeit des Sklavenhalters. Vor dem Bürgerkrieg konnte eine Sklavin zu den zwei Millionen Sklaven in den sogenannten »Baumwollstaaten« gehört haben, sie mochte dort auf einer der größeren Plantagen gearbeitet haben, wo das Leben von Aufsehern kontrolliert wurde und die Sklaverei oft die brutalste und ausbeuterischste Form annahm. Oder sie konnte als »Hausbedienstete« auf einer solchen Plantage gewesen sein, in einer Gruppe, die von den Feldsklaven etwas abgesondert war. Oder sie konnte auf einer kleineren Plantage oder Farm mit weniger Sklaven sein, wo der Herr selbst noch auf dem Feld arbeitete und das Leben oft weniger hart war als unter der Peitsche des Aufsehers. In den günstigsten Fällen war es ein erdrückendes und fast hoffnungsloses Dasein.[32]
Sie konnte andererseits auch zu den zwei Millionen Sklaven in Virginia, Nord-Carolina, Maryland, Delaware, Kentucky, Tennessee oder Missouri gehören, wo das wichtigste Handelserzeugnis nicht Baumwolle oder Tabak war, sondern Sklaven. Diese Staaten »exportierten« jährlich etwa 100 000 dunkelhäutige Männer und Frauen in die Baumwollgebiete; sie marschierten in Karawanen zusammengekettet, die denen ähnelten, mit denen ihre afrikanischen Vorfahren zu den Küsten zusammengetrieben worden waren. Anzeigen erschienen:
»Neger zum Verkauf: ein etwa zwanzigjähriges Mädchen (aufgewachsen in Virginia) und ihre beiden Töchter, die eine vier, die andere zwei Jahre alt - bemerkenswert stark und gesund -, nicht einen Tag ihres Lebens krank gewesen mit Ausnahme der Pocken. Die Kinder sind gesund und kräftig. Sie hat äußerst fruchtbare Zuchteigenschaften und bietet eine seltene Gelegenheit für jedermann, der eine Familie kräftiger und gesunder Sklaven für den Eigengebrauch aufzuziehen wünscht.«[33]
Letztlich blieb kein Sklave von einem solchen Schicksal verschont, ganz gleich wie wohlwollend sein Halter oder wie privilegiert seine Lebensumstände waren. Ein Wechsel im Besitzstand der Sklavenhalterfamilie konnte den Verkauf der Sklaven und damit den Bruch persönlicher Bindungen herbeiführen: die Tragödien in Onkel Toms Hütte entstammen der millionenfachen Wirklichkeit des Sklavendaseins.
Die schwarze Frau sah sich zusätzlichen Gefährdungen ausgesetzt, die ihrem Geschlecht eigentümlich waren. Sie wurde dazu benutzt, das Arbeitskräftepotential ihres Besitzers oder seinen Bestand verkäuflicher Ware zu vermehren, indem sie Nachwuchs zu produzieren hatte; unter den gegebenen Bedingungen des Sklavenlebens und der medizinischen Versorgung mußte sie mit ihrer Gebärfahigkeit oft beide Forderungen gleichzeitig erfüllen.[34] Zudem schützte sie nichts vor der sexuellen Belästigung durch die weißen Männer; daß es sie gab, beweisen die zahlreichen Mischlinge, nach der Volkszählung von 1860 etwa 588 000. Dieser besondere Aspekt der Sklaverei hatte enorme Bedeutung für die weißen Frauen im Norden und trug nicht unwesentlich dazu bei, daß sich viele von ihnen der Antisklaverei-Bewegung anschlössen. Über seine Auswirkungen auf Leben und Moral der weißen Familie des Südens lieferten die Schwestern Sarah und Angelina Grimke ungeschminkte Berichte: »Nicht nur die Sklavin hat unter der Zügellosigkeit des Herrn und seiner Söhne zu leiden, sondern auch die gekränkte und entehrte Ehefrau und die Töchter, die zutiefst verletzt werden und im Verborgenen weinen.«[35] Zwar war die afrikanische matriarchale Struktur weitgehend zerstört worden, aber das Sklavendasein selbst verschaffte der schwarzen Frau einen einzigartigen Status. Nicht nur, weil angesichts der ständig fluktuierenden Beziehungen der Sklaven untereinander die Beziehung der Mutter zu den Kindern im Gegensatz zu der des Vaters klar war, sondern auch weil sie dem Besitzer zusätzlich zu ihrer eigenen Arbeitskraft weiteren Profit brachte, indem sie Kinder gebar und aufzog. Sie war deshalb weniger bedroht vom Verkauftwerden als die Männer und bildete so ein stabileres Element in dem Rest von Familienleben unter den Sklaven. »In der Regel war die Negerin als Ehefrau und Mutter Gebieterin über ihre Hütte, und abgesehen von der Einmischung durch den Herrn oder die Aufseher waren ihre Wünsche in bezug auf Heirats- und Familienangelegenheiten ausschlaggebend. Weder ökonomische Notwendigkeiten noch Tradition hatten ihr den Geist der Unterwerfung unter männliche Herrschaft einflößen können.«[36] So paradox es erscheinen mag, hatte auf diese Weise die Sklavin eine Art Würde errungen, derer sich viele weiße Frauen nicht rühmen konnten. Aber der Entfaltung zur vollen menschlichen Gestalt stand, weit unüberwindlicher noch als die Barrieren von Gewohnheitsrecht oder religiösen Vorschriften, die Mauer menschlicher Knechtschaft im Wege.