Die Bewegung für die Verbesserung und Erweiterung der Bildungsmöglichkeiten in der jungen Demokratie nahm vielfaltige Formen an. Sie umfaßte die Ausdehnung freier Schulbildung auf immer weitere Schichten der Bevölkerung, eine Berufsausbildung für Lehrer, Mittel für die finanzielle Ausstattung und die Entwicklung von Institutionen für weitergehende Bildung und höhere Forschung und Lehre.
Innerhalb des breiten Rahmens solcher Bestrebungen sahen sich die Frauen besonderen Hindernissen gegenüber. Man glaubte allgemein, das Gehirn einer Frau habe einen geringeren Umfang und sei deshalb, verglichen mit dem eines Mannes, minderwertig. Einigen der Frauen, die zuerst größere Bildungschancen forderten, ging es nicht um bessere Chancen für Frauen; sie glaubten lediglich, mehr Wissen machte sie zu besseren Müttern und effizienteren Hausfrauen. Manche von ihnen opponierten sogar gegen die im Entstehen begriffene Frauenrechtsbewegung; es war hauptsächlich die jüngere Generation von Frauen, deren Phantasie beflügelt und deren Geist geschärft wurden durch die Taten ihrer Vorläuferinnen, die bei der Förderung der rechtlichen und wirtschaftlichen Stellung ihres Geschlechts die Führung übernahmen.
Vielleicht war es gerade gut, daß die ersten Erzieherinnen nur so weit und nicht weiter dachten; es gab noch immer genug Hindernisse, um selbst die Stärksten zu entmutigen. Bis 1812 hatte die Frauenbildung trotz einiger fruchtbarer Ideen kaum Fortschritte gemacht. Sie war noch immer den wenigen Gutsituierten vorbehalten, die sie sich leisten konnten, und bestand hauptsächlich aus Beschäftigungen wie Sticken, Malen, Französisch, Gesang und Cembalospielen. Daß sie in der Sphäre, die den Frauen geziemte, verwurzelt zu sein hatte, war von dem französischen Philosophen Rousseau unzweideutig festgestellt worden:
»Die ganze Erziehung der Frauen muß daher auf die Männer Bezug nehmen. Ihnen gefallen und nützlich sein, ihnen liebens- und achtenswert sein, sie in der Jugend erziehen und im Alter umsorgen, sie beraten, trösten und ihnen das Leben angenehm machen und versüßen: das sind zu allen Zeiten die Pflichten der Frau, das müssen sie von ihrer Kindheit an lernen.«[1]
Aber tiefgreifende Veränderungen waren im Gang, die eine derartige Philosophie nachhaltig erschüttern sollten. 1814 wurde in Waltham (Massachusetts) der erste dampfgetriebene Webstuhl eingesetzt und bedient von einer gewissen Deborah Skinner; 1817 waren in Fall River bereits drei solche Webstühle in Betrieb und wurden von Sally Winters, Hannah Borden und Mary Healy bedient. Sie bewiesen, daß Behendigkeit und Fertigkeit, bisher vorwiegend zu Hause für das Spinnen und Weben verwandt, in jenen Fabriken, die die erste Industrie mit Massenfabrikation der Vereinigten Staaten darstellten, profitabel zu nutzen waren.
Nach dem Kauf von Louisiana und der Öffnung nahezu des gesamten nordwestlichen Kontinents für Erschließung und Besiedlung erlebte die Ära von Präsident Jackson riesige Fortschritte bei der Expansion nach Westen und der industriellen Entwicklung. Frauen fanden nicht nur Eingang in die großen Textilfabriken, sondern waren auch zunehmend gesucht als Lehrerinnen für eine rasch anwachsende Bevölkerung. Die Notwendigkeit, sie für die ihnen auferlegten neuen Pflichten zu rüsten, ließ sich immer schwerer leugnen.
Eine der ersten, die ihre Stimme gegen die überlebten Vorstellungen erhob, war Hannah Mather Crocker, deren kleines, 1818 veröffentlichtes Traktat Observations on the Real Rights of Women den Konflikt zwischen Alt und Neu demonstriert. Sie war zutiefst beeinflußt von den Schriften Mary Wollstonecrafts, zögerte aber hinsichtlich einer »totalen Unabhängigkeit des weiblichen Geschlechts. Es muß uns erlaubt sein zu sagen, daß ihre Theorie für die Praxis ungeeignet ist, wenn auch einige ihrer Empfindungen und Analysen der Feder selbst eines Mannes Ehre machen würden.«[2] Des weiteren hatte sie Vorbehalte dagegen, daß Frauen solche angesichts ihrer körperlichen Beschaffenheit abwegigen Dinge wie Metaphysik studierten oder daß sie sich in öffentliche Angelegenheiten einmischten:
»Die Frauen mögen sich damit trösten und glücklich sein, daß sie aufgrund der moralischen Unterscheidung der Geschlechter berufen wurden, sich in einer Sphäre des Lebens zu bewegen, die weit entfernt ist von allem Männergezänk, obwohl sie mit ihnen das gleiche Recht teilen, jeden Zweig der Wissenschaft, sogar Jurisprudenz studieren zu dürfen. Es wäre aber moralisch und körperlich unvorsichtig für irgendeine Frau, sich vor den Schranken des Gerichts im Plädoyer zu versuchen, denn kein Gesetz kann ihr das Recht geben, von den strengen Regeln von Sitte und Anstand abzuweichen.«[3]
Gleichwohl wies Hannah Crocker eindeutig die Anschauung zurück, daß Frauen sich wegen der ihnen innewohnenden, für alle Zeiten durch Evas Sündenfall demonstrierten Schwächen für immer mit der niedrigeren Stellung zufrieden geben müßten:
»Wir werden die Frau als durch die christliche Vergebung der Sünden wieder in ihre ursprünglichen Rechte und Würden eingesetzt erachten; wenn auch in Übereinstimmung mit der natürlichen Ordnung eine gewisse moralische und körperliche Unterscheidung der Geschlechter erlaubt sein muß, so muß doch auch die Empfindung vorherrschen, daß die Kräfte des Geistes in beiden Geschlechtern gleichermaßen vorhanden sind ... Es kann keinen Zweifel darüber geben, daß bezüglich dieser Kräfte bei den Individuen des männlichen Geschlechts ebenso viele Unterschiede bestehen wie bei denen des weiblichen; und wenn sie dieselbe Art von Bildung erhielten, so würde ihr Fortkommen vollends gleich sein.«[4] 1819, ein Jahr nach Erscheinen von Mrs. Crockers Broschüre, erhielt der Gouverneur von New York, DeWitt Clinton (bekannt wegen seiner Förderung des Erie-Kanal-Baus) »Eine Adresse an die Öffentlichkeit, insbesondere an die Mitglieder der gesetzgebenden Versammlung von New York, welche einen Vorschlag für die Verbesserung der weiblichen Bildung enthält«; sie war das Werk von Mrs. Emma Willard, geb. Hart; diese hatte im stillen einige ungewöhnliche Ideen zur Pädagogik ausgearbeitet, die einen Wendepunkt in der Frage der Frauenbildung markieren sollten.
Sie war in Berlin (Connecticut) geboren und hatte das besondere Glück, einen Vater zu besitzen, der für seine Tochter die bestmögliche Bildung wünschte. Deren lebhafter Geist schlug sich besonders gern mit mathematischen Problemen herum, aus purer Freude an der Lösung. Diese Freude wurde allerdings getrübt, als sie entdecken mußte, daß den meisten Frauen das Studium der höheren Mathematik versagt wurde, da ihr Hirn der Anstrengung angeblich nicht gewachsen sei. Langsam gelangte sie zu der Überzeugung, daß ohne das Wissen und die Disziplin, die ein systematischer Studiengang mit sich brachten, Frauen solche Vorurteile niemals überwinden könnten.
Inzwischen verheiratet mit einem Arzt in Middlebury (Vermont), wo sie an einer Frauenakademie unterrichtete, bat Mrs. Willard um das Privileg, bei den Prüfungen der Männer an der Universität Middlebury dabeisein zu dürfen, damit sie sich nicht nur mit dem Fach, sondern auch mit Lehrmethoden und Anforderungen in Bereichen vertraut machen konnte, die ihr und ihren Schülerinnen versperrt waren. Als ihre Bitte abgewiesen wurde, machte sich Mrs. Willard daran, eigene Lehrmethoden zu entwickeln und selbst Lehrerinnen auszubilden. Das setzte voraus, daß sie jeden neuen Gegenstand zunächst selbst studieren mußte. »Ich verbrachte täglich zehn bis zwölf Stunden mit Unterrichten, bei besonderen Anlässen wie zum Beispiel Examensvorbereitungen fünfzehn; außerdem erforschte ich immer gerade irgendeinen neuen Gegenstand und lehrte ihn, während ich ihn studierte, gleichzeitig in einer Klasse der begabtesten Schülerinnen.«[5] Sie machte keineswegs bei Algebra und Geometrie Halt, sondern ging über zur Stereometrie (die sie in Ermangelung von Büchern mittels aus Rüben und Kartoffeln geschnitzter Pyramiden und Kegel lehrte), zur Trigonometrie und zu den Kegelschnitten. Ihr Geographieunterricht bestand nicht darin, daß sie ihre Schülerinnen die Entfernung zwischen London und Peking auswendig lernen ließ, sondern sie ließ sie Landkarten zeichnen; Geschichte stellte sie als lebendigen Prozeß und nicht als Liste von Namen und Daten dar.
Die Tatsache, daß ihre Schülerinnen diese strenge Kost nicht nur überlebten, sondern sogar Geschmack daran fanden, ermutigte sie, dem Gouverneur ihre Adresse zu überreichen. Ihr Ziel war ein Seminar, dessen Lehrplan auch Naturphilosophie, d. h. Naturwissenschaften, und Haushaltswissenschaft umfassen sollte; es ging ihr nicht nur darum, daß es offiziell zugelassen wurde, sondern auch um die finanzielle Ausstattung. Mrs. Willard verbrachte lange Zeit in Albany, wo sie immer wieder Parlamentsmitgliedern ihre Ideen unterbreitete. Der Anstand verbot ihr, öffentlich aufzutreten, aber sie las ihre Adresse vor einigen Einzelpersonen und vor zumindest einer größeren Gruppe. Ihre Biographin Alma Lutz hält sie für die vermutlich erste weibliche Lobbyistin.
Gouverneur Clinton ließ ihr zwar seine Unterstützung zuteil werden, und das Parlament erteilte ihr die Zulassung für ein Seminar in Waterford, eine Finanzierung wurde jedoch abgelehnt. Mrs. Willard zog daraufhin in das vermögende, gegenüber Albany, auf der anderen Seite des Hudson gelegene Troy und konnte dort das Interesse einiger einflußreicher Bürger wecken. Der Stadtrat beschloß, viertausend Dollar für den Bau durch eine Sondersteuer und zusätzliche Fonds für Unterhaltung und Lehrkörper durch Privatspenden zu erbringen. 1821 öffnete das Troy Female Seminary, die erste staatlich geförderte höhere Bildungsanstalt für Mädchen, seine Pforten. Emma Willard blieb dabei, ihren Studiengang ständig auf den neuesten Stand zu bringen; am gewagtesten war dies im Fach Physiologie zu einer Zeit, in der jede Erwähnung des menschlichen Körpers durch Damen als Akt höchster Unschicklichkeit erachtet wurde.
»Mütter, die in den frühen dreißiger Jahren eine Klasse des Seminars besichtigten, waren beim Anblick einer Schülerin, die Herz, Arterien und Venen an die Wandtafel zeichnete, um den Kreislauf des Blutes zu erläutern, so schockiert, daß sie voller Scham und Bestürzung den Raum verließen. Um die Sittsamkeit der Mädchen zu schützen und ihnen zu heftige Erregung zu ersparen, wurde über die Seiten des Lehrbuchs, die den menschlichen Körper abbildeten, dickes Papier geklebt.«[6]
In den Jahren 1828 und 1829 erfuhr die Frauenbildung durch die Lehren von Frances Wright lebhafte Impulse. Miss Wright, 1795 in Schottland geboren, war eine hochgebildete und weitgereiste Freundin von Lafayette und vielen anderen Freidenkern; zusammen mit Robert Owen gab sie in dessen utopischer Kolonie New Harmony im Grenzland von Indiana eine Zeitung heraus, und beide waren später in New York gemeinsam Herausgeber und Verleger des Free Enquirer. Sie erlangte weitere Bekanntheit wegen ihrer Pionierleistungen als weibliche Vortragsreisende und wegen ihrer radikalen Philosophie, deren integraler Bestandteil ihr Eintreten für gleiche Bildung für Frauen war. Wie Mary Wollstonecraft argumentierte sie, daß die Männer selbst durch die den Frauen aufgezwungene Minderwertigkeit degradiert würden; jede Beziehung, deren einer Teil eine Frau war - Freundschaft, Ehe, Elternschaft - litte so lange, wie die Frau als geringeres menschliches Wesen betrachtet und behandelt würde.[7]
»Solange Frauen nicht den Platz in der Gesellschaft einnehmen, den klarer Verstand und offenes Gemüt ihnen zumessen, kann die Entwicklung der Menschheit nur schwächliche Fortschritte machen. Es ist vergeblich, daß wir die Macht der einen Hälfte unserer Rasse beschränken, und zwar der bei weitem wichtigsten und einflußreichsten Hälfte. Wenn sie sie nicht für das Gute einsetzen dürfen, werden sie sie für das Böse einsetzen; wenn sie kein Wissen entfalten dürfen, werden sie die Ignoranz verewigen. Die Frau mag auf der Leiter des Fortschritts stehen, wo sie will, ihre Stellung entscheidet über die Stellung der gesamten Gattung.«[8] Indem Miss Wright bei ihren Vorträgen ein breites Spektrum von Themen anschnitt, verband sich in den Köpfer vieler Zuhörer ihr Bildungskonzept mit ihren übrigen aufwieglerischen Atisichten, z. B. daß sie die politische Aktion der Arbeiter befürwortete, alle Formen von religiösem Obskurantismus in Frage stellte und darauf beharrte, daß die Vernunft die Grundlage allen Wissens und daß die freie Forschung unverzichtbar sei: »Ich habe nicht vor, Ihre Meinung in Frage zu stellen. Ich habe nicht vor, mich in Ihre Anschauungen einzumischen. Ich habe nicht vor, Ihnen meine zu diktieren. Alles, was ich sage, ist, prüfen Sie, forschen Sie. Schauen Sie in die Natur der Dinge, forschen Sie den Grund Ihrer Meinungen aus, das Für und Wider. Lernen Sie, warum Sie glauben, verstehen Sie, was Sie glauben, und finden Sie eine vernünftige Begründung für den Glauben, der in Ihnen ist.«[9]
Das war starker Tobak, und der einfachste Weg, sich dessen und gleichzeitig ihrer Ideen über Frauenbildung zu entledigen, war, sie des Atheismus und der freien Liebe zu beschuldigen; sie zog sich einen solchen Ruf zu, daß späteren Verfechterinnen des Frauenrechts als Ausdruck schlimmster Schmähung das Etikett »Fanny Wrightists« angehängt wurde. Trotzdem hielt ihr Einfluß an. In der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts konnte keine Frau, welche die Traditionen in Frage stellte, sich dem durchdringenden Denken Frances Wrights entziehen, und dessen Wirkung beschränkte sich nicht ausschließlich auf Frauen. Ihre Vorträge in New York, Philadelphia, Baltimore, Boston, Cincinnati, Louisville, St. Louis und andernorts hielt sie hauptsächlich vor Arbeitern, die auch die Berichte über ihre Reden in der engagierten Arbeiterpresse jener Tage lasen; sie trugen dazu bei, das wachsende Bedürfnis nach freier Bildung im Volk zu erfüllen. Als in einem Staat nach dem anderen die wahlberechtigte Bevölkerung allmählich so weit anwuchs, daß alle weißen Männer über einundzwanzig Jahren ohne Ansehen der Vermögensverhältnisse eingeschlossen waren, wurde die Forderung nach einer für jedermann, ungeachtet seiner Einkommensverhältnisse, zugänglichen Bildung zu einer der bedeutenden politischen Fragen der Ära Jackson; jeder Wähler sollte verantwortungsbewußt und denkfähig sein und hatte deshalb ein Grundrecht auf Bildung. Aber es bedurfte noch des größten Teils des neunzehnten Jahrhunderts, bis ein System freier Bildung von der Volksschule bis zum College für Männer im ganzen Land durchgesetzt war. In der Zeit vor dem Bürgerkrieg waren die einzelnen Staaten weitgehend mit der Einrichtung öffentlich geförderter Volksschulen befaßt. 1860 gab es im ganzen Land immer noch erst etwa vierzig höhere Schulen, die den Namen tatsächlich verdienten. Viele von denen, die sich so nannten, waren in Wirklichkeit nur wenig besser als Volksschulen.[10]
Da es an Argumenten, die erst mit dem allgemeinen Wahlrecht kamen, und am Zugang zu qualifizierten Berufer für Frauen mangelte, kam die freie Bildung für Mädchen nur im Schneckentempo voran. Die Grundschulen standen ihnen tatsächlich nur offen, damit sie Lesen, Schreiben und Rechnen lernten, ihre Zulassung zu weiterführenden Schulen brauchte noch viel länger. Zwar wurde in Worcester (Massachusetts) 1824 die erste staatliche Mädchenschule und in New York zwei Jahre später eine zweite eröffnet, aber in Zentren wie Boston und Philadelphia konnten junge Frauen erst nach dem Bürgerkrieg eine derartige Bildung erwerben.[11]
Da es eine langwierige und mühselige Arbeit war, Steuerzahler und städtische Autoritäten davon zu überzeugen, daß Frauen dasselbe Recht auf Bildungschancen hätten wie Männer, blieben für lange Zeit die privaten Anstalten hauptsächliche Zuflucht für junge Frauen, die nach breiter Schulbildung verlangten. Aber auch hier gab es ein Problem. Die Schulbeiträge waren notgedrungen hoch, und so blieb die Studentinnenschaft auf die wenigen beschränkt, deren Eltern sie zahlen konnten. Wollten die Direktoren solcher Seminare ihre Schülerschaft erweitern, waren sie auf zusätzliche Finanzierung von außen angewiesen. Vom Anfang ihrer Lehrzeit an hatte Emma Willard versucht, Bildung aus dem Bereich des Privilegs der Wohlhabenden herauszuholen. Ihre Methode dabei waren Stipendien in Form von Darlehen, die ihre Schülerinnen zurückzahlten, wenn sie eine Anstellung als Lehrerinnen gefunden hatten. Sie vergab für diesen Zweck während all der Jahre schätzungsweise 75 000 Dollar an Darlehen. Aber sie wußte auch, daß das keine wirkliche Lösung des Problems bedeutete, und daß sie überhaupt die Frage privater Finanzierung von Frauenbildungsanstalten anschnitt, ist unter ihren Beiträgen zur Frauenbildung gewiß nicht der geringste. Mrs. Willard spielte auch eine Pionierrolle, was die Forderung nach und die Vorkehrungen für die Ausbildung von Lehrerinnen betraf. Unterrichten war der erste »qualifizierte Beruf«, der Frauen offenstand, aber da sie keine Ausbildung und nur eine höchst rudimentäre Schulbildung besaßen, war ihr Prestige niedrig und sie verfügten nicht über solche Gehälter wie die Männer, die oft Abitur und Hochschulabschlüsse hatten. Der »Verein für die gemeinsame Verbesserung der Lage der Lehrerinnen« (Willard Association for the Mutual Improvement of Female Teachers), den sie 1837 als Zusammenschluß ehemaliger Schülerinnen gründete, war die erste Organisation, die diese Angelegenheit ins Blickfeld der Öffentlichkeit rückte. Es war für Mrs. Willards »moderne« Methoden ebenso wie für ihre nationale Bekanntheit typisch, daß sie als Ehrenpräsidentinnen ihres Vereins so erlesene Frauen wie Sarah Josepha Haie, die Verlegerin der berühmten Zeitschrift Godey 's Lady 's Book, und die Dichterin und Romanschriftstellerin Lydia Sigourney verpflichten konnte.
Zeitgenossen mochten die Fächer, in denen Mrs. Willard ihre Schülerinnen unterrichtete, als höhere Bildung erscheinen, sie waren indes nicht zu vergleichen mit dem, was in Harvard und anderen Colleges für junge Männer geboten wurde. Die erste Einrichtung, die im Rahmen des College-Niveaus ein zumindest entfernt vergleichbares Angebot für Frauen hatte, war Ober-lin, das als »Seminar« begann und sich zum Grundstock für ein College entwickelte. Als solches hatte es einen besonderen und verdienten Platz im Herzen der frühen Frauenrechtsführerinnen. Lucy Stone sagte über die Eröffnung von Oberlin, sie sei »die graue Dämmerung unseres Morgens«. 1833 im eben dreißig Jahre alten Staat Ohio gegründet, war Oberlin die erste derartige Anstalt, die ihre Tore ohne Ansehen der Rasse, der Hautfarbe oder des Geschlechts allen öffnete, die kamen. Die Gründer führten als ihr herausragendes Ziel an: »Die Veredelung des weiblichen Charakters, indem dem unterschätzten und vernachlässigten Geschlecht all jene Privilegien von Kenntnis und Wissen erreichbar gemacht werden, die bisher unvernünftigerweise das herrschende Geschlecht von dem ihren unterschieden haben.«[12] Die ersten Studentinnen belegten noch kurze Grundkurse in »Literatur«, gemäß der vorherrschenden Ansicht, daß ihr Geist die reichhaltige Kost der Männer nicht verdauen könnte. 1841 machte die erste Frau ihre Abschlußprüfung in einem »Vollkurs«. Dicht auf ihren Fersen folgten Lucy Stone und Antoinette Brown; die erstere sollte eine der hervorragendsten Rednerinnen ihrer Zeit werden, die letztere sollte als erste Frau in ein geistliches Amt berufen werden. Bemerkenswert ist, daß beide stürmische Karrieren in Oberlin machten, denn ihre feministischen Ansichten brachten sie in ständigen Konflikt mit den Autoritäten:
»Die Haltung in Oberlin gegenüber Frauen besagte, daß die hohe Berufung der Frauen darin bestand, die Mütter der Rasse zu werden, und daß sie in dieser besonderen Sphäre zu bleiben hatten, damit künftige Generationen keinen Mangel an hingebungsvoller und aufmerksamer mütterlicher Sorge zu leiden hätten. Wenn Frauen Rechtsanwältinnen, Geistliche, Ärztinnen, Dozentinnen, Politikerinnen oder sonst eine Art öffentlicher Person< wurden, so würde das Heim unter der Vernachlässigung zu leiden haben... Die Kleider der Männer waschend, ihre Zimmer putzend, sie bei Tisch bedienend, ihren Reden lauschend, selber aber bei öffentlichen Versammlungen in Schweigen verharrend, wurden die Studentinnen von Oberlin auf intelligente Mutterschaft und ein geziemend unterwürfiges Frauendasein vorbereitet.«[13] Zu den Erzieherinnen, die den Status quo für Frauen akzeptierten, gehörte auch - mit einem Unterschied - Catharine Beecher, die von 1823 bis 1827 erfolgreich ein Seminar für Mädchen in Hartford (Connecticut) leitete.[14] Nachdem sie aufgeben mußte, da die übliche Doppelbeschäftigung des Unterrichtens und der Geldbeschaffung ihre Gesundheit zu sehr angegriffen hatte, widmete sie ihre Aufmerksamkeit anderen Aspekten des Problems der Verbesserung der Lage der Frauen. Sie beschäftigte sich damit, daß die »überzähligen« Frauen im Osten, durch die massenhafte Abwanderung heiratsfähiger Männer in den Westen gezwungen, selber für ihren Unterhalt zu sorgen, in die Fabriken gingen und dort lange Stunden unter gesundheitsschädlichen Bedingungen bei niedrigen Löhnen arbeiteten. Ihr Lösungsvorschlag war ein doppelter: Frauen sollten entweder unterrichten - und die enorme Nachfrage nach anständig ausgebildetem Lehrpersonal könnte jenen »Überschuß« weitgehend absorbieren - oder sie sollten sich irgendeiner Form von Hausarbeit zuwenden:
»Wenn alle Mütter, Lehrerinnen, Krankenschwestern und Dienstbotinnen aus unserem Geschlecht rekrutiert werden, und die höchsten Interessen unserer Gesellschaft erfordern das, und wenn all diese Arbeitsplätze als respektabel anerkannt und mit gut ausgebildeten Frauen besetzt werden, dann finden sich keine Überzähligen mehr, die in Werkstätten und Fabriken gesteckt oder in die Arena des öffentlichen und politischen Lebens gezerrt werden können.«[15]
Miss Beechers Konzept der höchsten weiblichen Berufung war mit etwas Neuem verquickt: Sie beharrte darauf, daß eine Frau, um ihre hausfraulichen Pflichten angemessen erfüllen zu können, nicht nur eine abgerundete Erziehung brauche, sondern eine ähnlich systematische und professionelle Ausbildung wie ein Arzt oder Anwalt. Sie entwickelte ihre Ideen in einer Reihe von Büchern über Haushaltswissenschaft, Körperkultur und sogar über das, was man »Eheprobleme« nennen könnte. Die Krönung ihres Werks auf diesem Gebiet, The American Woman's Home, enthält eine Unmenge Informationen, von Rezepten und Nähanweisungen bis hin zu Vorschlägen über eine richtige Belüftung, die Planung von Wohnungen, die eine einfache Haushaltsführung ermöglichen, und darüber, wie die Annehmlichkeiten eines harmonischen Familienlebens zu bewahren sind! Aber daß sie sich der Lehrerinnenausbildung, einem Anliegen, das sie mit Emma Willard teilte, widmete, war Miss Beechers größtes Verdienst. Sie glaubte, Unterrichten müsse ebenso wie Haushaltsführung durch eine adäquate Ausbildung gewürdigt werden. Sie entwickelte ein Schema für Volksschulen in einer Reihe von Städten des Mittelwestens, von denen nur zwei oder drei Gestalt annahmen und nur eine bis zum heutigen Tag existiert, das Milwaukee Downer College. Um für die Frage öffentliches Interesse zu mobilisieren, gründete sie Organisationen wie den National Board of Populär Education, 1847, und die American Women's Educational Association, 1852. Obwohl sie meistens im geziemenden Hintergrund blieb, war Catharine Beecher eine der Begründerinnen der modernen Lehrerbildung. Aus heutiger Sicht können wir sagen, daß der bedeutsamste Einzelschritt heraus aus dem Konzept, nach dem Frauen eine verbesserte Ausbildung lediglich für die bessere Erfüllung ihrer Hausfrauen- und Lehrerinnenpflichten brauchten, mit der Gründung von Mount Holyoke im Jahre 1837 erfolgte. Heute wird es allgemein als das älteste Frauencollege in den Vereinigten Staaten erachtet, damals hatte es noch keinen solchen Anspruch. Es begann als Seminar, und damals existierten mehrere solcher Einrichtungen.[16] Erst 1893 erlangte Mount Holyoke den Status eines College, nach Vassar, Wellesley, Smith und Bryn Mawr; trotzdem hat es ihnen allen den Weg freigemacht.
Seine Gründerin Mary Lyon folgte dem Weg, den Emma Willard eröffnet hatte, ging aber sehr viel weiter. In den fünfzehn Jahren zwischen den ersten Schritten zur Gründung ihrer Schule und ihrem viel zu frühen Tod im Alter von zweiundfünfzig Jahren stellte Miss Lyon bestimmte elementare Prinzipien auf, die von später entstehenden Anstalten als unumstößlich angesehen wurden: Die Schulen müssen eine angemessene finanzielle Ausstattung haben, sie müssen bis zu einem gewissen Ausmaß versuchen, Mädchen aus allen wirtschaftlichen Schichten Bildung zugänglich zu machen, sie müssen einen Lehrplan bieten, der gegenüber dem von Mrs. Willard konzipierten weiterentwickelt ist, und sie müssen ihre Schülerinnen auf mehr vorbereiten als lediglich Haushaltsführung und Lehrberuf.
Miss Lyon hatte Erfolg mit ihrem ehrgeizigen Unternehmen, denn zu ihrem unerschütterlichen Willen und ihrem Geist, der alle, die sie traf, nachhaltig anfeuerte, kam noch hinzu, daß ihr Vorhaben mit Zeit und Ort zusammenpaßte. Sie lebte in einem Neuengland, wo die Erweiterung des Horizonts der Frauen in aller Munde war und wo Frauen längst mehr waren als Haushälterinnen und Pädagoginnen. Sie arbeiteten zu Tausenden in den roten Backsteingebäuden der Fabriken, die entlang eines jeden Baches und Flusses aus dem Boden schossen.[17] Im Jahr der Gründung von Mount Holyoke hielten die Frauen aus der Antisklaverei-Bewegung in New York ihren ersten nationalen Kongreß ab, und die Schwestern Grimke reisten durch Massachusetts, um gegen die Sklaverei öffentliche Reden zu halten. Der Sturm, den sie mit diesem undamenhaften Benehmen entfachten, wühlte die Kirchen auf. Alles war so sehr am Gären, daß selbst Frauen in finsteren Kleinstädten zu Ideen und Taten provoziert wurden, von denen wenige Jahre zuvor noch niemand geträumt hatte. Hier waren der Boden und das Klima, die eine Frau mit den Talenten und der Entschlossenheit einer Mary Lyon brauchte. Sie war 1797 auf einer Farm auf den Hügeln des westlichen Grenzgebiets von Massachusetts geboren und zeigte schon als Kind erstaunliche geistige Fähigkeiten. Wie Emma Willard stieß auch sie sehr schnell an die Grenzen des Wissens, zu dem Frauen seinerzeit Zugang hatten. Wie Mrs. Willard begann auch sie zu unterrichten und im Zuge des Unterrichtens die eigene Bildung zu erweitern, die bestehenden Lehrpläne weiterzuentwickeln und die Lehrmethoden neu zu gestalten. Zusammen mit Zilpah Grant leitete sie erfolgreich eine Akademie, zunächst in Derry (New Hampshire) und später in Ipswich (Massachusetts), war aber damit nicht zufrieden. Sie sah, wie Miss Grant und ihre Freundin Catharine Beecher ihre aufreibenden Anstrengungen mit einer Schwächung ihrer Gesundheit teuer bezahlten. Sie sah, wie gute Schulen aufmachten und wieder eingingen, wenn ein reicher Förderer starb oder das Interesse verlor. Wie Miss Beecher war sie besessen von dem Bedürfnis nach guten Lehrerinnen. Am meisten aber dachte sie über die jungen Frauen nach, die wie sie selbst nach einer Bildung verlangten, die sie sich nicht leisten konnten:
»Während des vergangenen Jahres hat mein Herz derart an der erwachsenen weiblichen Jugend in den gewöhnlichen Lebensumständen gehangen, daß es manchmal den Anschein hatte, als wäre ein Feuer in meinen Knochen eingeschlossen. Ich würde es höher schätzen, auf diesem Gebiet zu arbeiten als auf irgendeinem der anderen, auf die ich mein Augenmerk gerichtet habe.«[18]
An ihre Mutter schrieb sie im selben Sinn:
»Ich habe lange Zeit nachgedacht über diese jungen Damen, die es nötig haben, für ihre Bildung dieselben Mühen auf sich zu nehmen, wie ich es mußte, um die meine zu erringen... Ich habe von meinem ruhigen Arbeitsplatz aus in die Welt geblickt, und mein Herz hat sich danach gesehnt, viele von ihnen sich der Privilegien erfreuen zu sehen, die sie sich nicht leisten können, weil ihnen die Mittel fehlen... Manchmal hat mein Herz in mir gebrannt, und immer wieder habe ich es zur Ruhe ermahnt.«[19]
1834 legte sie ihren Plan für eine neuartige Einrichtung zur Frauenbildung einigen Geschäftsleuten und Geistlichen vor, die schließlich die Verantwortung für die Beschaffung der 27 000 Dollar übernahmen, die schätzungsweise zur Errichtung und Eröffnung der Schule notwendig waren. Hier lag eine der größten Hürden für den Erfolg. Miss Lyon selbst war zwar das Herz des Unternehmens, aber der Anstand erforderte, daß sie im Hintergrund blieb. Es wurde nicht einmal für schicklich gehalten, daß sie bei der Sitzung, in der die Treuhänder über den Standort der Schule in South Hadley (Massachusetts) abstimmen sollten, anwesend war. Sie schrieb an Zilpah Grant:
»Es wird gewünscht, daß nicht in Erscheinung tritt, daß wir die Pläne für die Sache gemacht haben, sondern es soll so scheinen, als ob sie von wohlmeinenden Gentlemen kämen. Sollte das Objekt Aufsehen erregen, bestünde die Gefahr, daß viele nette Herren die Auswirkungen von soviel weiblichem Einfluß auf die Gesellschaft und von dem, was sie weibliche Größe nennen, fürchten könnten.«[20]
Als sich aber nicht mehr übersehen ließ, daß die Männer, die als »Agenten« angeheuert worden waren, nicht nur angesichts der Apathie der Öffentlichkeit, sondern wegen der sich allmählich verschlechternden wirtschaftlichen Lage, die ihren Höhepunkt in der Panik und Depression von 1837 fand, unfähig waren, die benötigten Fonds einzurichten, trat Mary Lyon mit ihrer grünen Samttasche, die in ganz Neuengland berühmt wurde, selbst in den Ring. Als sogar ihre zuverlässigsten Freunde ihr von ihren pausenlosen Reisen und Auftritten bei öffentlichen Versammlungen, in denen sie um Geld bat, abrieten, da sich so etwas für eine Dame nicht gehöre, weigerte sie sich dennoch, ihren Traum um der bloßen Schicklichkeit willen aufzugeben:
»Was tue ich denn Falsches?«, fragte sie in einem Brief. »Ich fahre ohne Begleitung in Kutschen und Wagen. Andere Damen tun das auch. Ich besuche eine Familie, von der ich vorher eingeladen wurde, eine Pastorengattin oder eine einflußreiche Frau ruft ein paar Damen zusammen, die mich sehen wollen, und ich unterbreite ihnen unser Anliegen. Ist das falsch? Ich suche zusammen mit Mr. Hawks einen Herrn, der für seine Liberalität bekannt ist, zu Hause auf und unterhalte mich mit ihm über unser Unternehmen. Was soll daran unrecht sein? Wenn es kein Unrecht ist, solche Dinge einmal zu tun, was für ein Unrecht soll es dann sein, sie zwei-, drei- oder ein Dutzend mal zu tun? Mein Herz ist krank, meine Seele ist wund von dieser hohlen Vornehmheit, dieser vornehmtuenden Nichtigkeit. Ich tue ein großes Werk, und ich kann nicht hinabkommen.«[21]
Miss Lyon brachte die ersten tausend Dollar zusammen, mit denen die Kampagne finanziert wurde; sie kamen vor allem von ihren früheren Schülern und Lehrern aus Ipswich. Danach gewann sie die Unterstützung einiger betuchter Männer, die sie in Begleitung eines oder zweier ihrer Treuhänder aufsuchte: Es gab zwei Spenden über je tausend Dollar, eine über 640 und eine über 500 Dollar. Aber letztlich kam der weitaus größte Teil des Geldes dadurch zusammen, daß Mary Lyon manchmal in Begleitung, meistens aber allein versuchte, möglichst breite Kreise der Bevölkerung Neuenglands anzusprechen.
Der größere Teil der Gesamtsumme stammte von Farmern und kleinen Stadtleuten - Männern, die ihren Lebensunterhalt sauer verdienten, und Frauen, die außer dem Ertrag ihrer Handarbeit oder dem, was Väter und Ehemänner ihnen gaben, gar kein Einkommen hatten. Im alten Bestandsbuch finden sich vielsagende Eintragungen über fünf Dollar, einen oder drei Dollar, fünfzig Cent und eine Spende über sechs Cent. Viel von diesem Geld wurde bei kirchlichen Versammlungen, Kaffeekränzchen oder Nähkreisen zusammengebracht. In einem jener Nähkreise in West Brookfield gab es eine junge Frau, die einem jungen Mann damit durch das theologische Seminar half, daß sie ihm Hemden nähte, und von der überliefert ist, was sie dachte, während sie Miss Lyon zuhörte: »Eine von denen, die genäht und Zeit und Kraft und Geld aufgebracht hatten, um jungen Männern zu einer Ausbildung zu verhelfen, ließ die Nadel und die ganze Plackerei fallen und sagte: >Sollen doch diese Männer mit ihren breiteren Schultern und ihren stärkeren Armen selbst ihre Ausbildung verdienen und wir unsere kargen Möglichkeiten nutzen, uns selbst zu bilden!< Sie nahm das Hemd nie wieder zur Hand.« Ihr Name war Lucy Stone.[22]
Es dauerte vier lange Jahre, um das Geld zu beschaffen, das Haus zu errichten und Mount Holyoke zu eröffnen. Oft schien der Ausgang sogar den Treuhändern zweifelhaft. Mit dem Bau war begonnen worden, lange bevor man die Fonds in den Händen hatte, und er war noch immer nicht fertig, als im November 1837 die Studentinnen eintrafen. Viele von ihnen brachten ihre erste Nacht bei den besseren Familien von South Hadley zu, deren Frauen Versammlungen organisierten, bei denen sie Möbel für die immer noch der nötigsten Einrichtung entbehrenden Zimmer zusammenliehen.
Der ersten Gruppe von Mädchen und den Eltern, die sie gebracht hatten, vermittelte Miss Lyon ihr eigenes Bewußtsein von Dringlichkeit und Triumph. Keine Studentin, die an der Schwelle ihres College-Lebens steht, wird je diese Heiterkeit und dieses Bewußtsein der eigenen Bedeutung erfassen können, die diese Gruppe unter Miss Lyons Einfluß zusammenschweißte:
»Mädchen, die noch ganz steif waren von der beinah seit dem Morgengrauen andauernden Reise, wurden von den eigenen Vätern oder den Vätern ihrer Freundinnen aus den Kutschen geschoben und taumelten durch eine Seitentür in ein fünfstöckiges Ziegelgebäude, das sich nackt und ohne Vorhänge aus einer Sandwüste erhob. Dekan Porter half bei der Verlegung der Eingangsschwelle, das Mobiliar der Empfangsräume bestand aus Farbtöpfen und Werkbänken, und Miss Lyon empfing sie im Eßzimmer. Dort gab es für die Hungrigen gedeckte Tische, und gleich daneben nähte eine fröhliche Mädchenschar Säume und legte letzte Hand an Polster und Steppdecken. Hammerschläge dröhnten durch das Haus. Ohne Mantel lag Dekan Stafford im >Seminarraum< auf den Knien, nagelte Läufer fest und schaute ab und zu mit einem freundlichen Wort zu den Neuankömmlingen hoch: >Wir stecken noch in heillosem Durcheinander, aber wir hoffen, es wird bald ordentlicher sein!<... Die Ehefrauen der Treuhänder wuschen in der Küche Geschirr ab... Im Tagebuch eines Mädchens steht: >Bei der Vorbereitung des ersten Frühstücks in Holyoke geholfen. Miss Lyon und ich erschienen als erste in der Küche.<... Prüfungen fanden unter dem Krach nicht zur Sache gehöriger Tätigkeiten statt. Die Mädchen machten sie einzeln, zu zweit oder in Gruppen, Lehrer und Schülerinnen saßen zusammen auf der Treppe oder nebeneinander auf einem Matratzenhaufen in einem Hallendurchgang, kleine Oasen gelehriger Abgeschiedenheit.. . Und dann, als um vier Uhr nachmittags der letzte Nagel in die >Seminarhalle< geschlagen worden war, brach über die emsige Geschäftigkeit eine Pause herein. Die Prüfungen waren ganz und gar noch nicht beendet, und auf der Straße standen noch immer Möbelwagen, als eine Glocke schlug und Mount Holyoke eröffnet wurde.«[23]
Hinter dieser abenteuerlichen Gruppe von Schülerinnen stand ein Zulassungsverfahren, das ebenso aufsehenerregend war wie alles andere an Miss Lyons Modell: die Altersgrenze (kein Mädchen unter sechzehn Jahren wurde aufgenommen), ein im Keim entwickeltes System von Prüfungen und die bewußte Auswahl der Mädchen auf der Grundlage ihrer Reife und dessen, was sie an intellektuellem Wachstum versprachen. Die Zulassungsanforderungen des ersten Jahres entsprachen in etwa denen der besten Seminare jener Tage, aber daß der übliche zweijährige Kurs durch einen systematischen dreijährigen ersetzt wurde und ebenso dessen Inhalt, wie er in der nüchternen Prosa des Jahrbuchs von 1837/38 vermerkt ist, markiert eine neue Ära. Zukünftige Studentinnen wurden geprüft in den Grundlagen der englischen Grammatik, moderner Geographie, Geschichte der Vereinigten Staaten, Watts On the Mind, Colburns First Lessons und in der »gesamten Neuen Arithmetik von Adams oder was an niedergeschriebener Arithemetik dieser gleichkam«. Wer diesen Anforderungen genügt hatte, fand sich vor folgendem Kursangebot des neuen Seminars:
»Junior (erstes Jahr): Englische Grammatik, Alte Geographie, Alte und Moderne Geschichte, Sullivans Political Class Book, Botanik, Newmans Rhetorik, Euklid, Physiologie des menschlichen Körpers.
Zweites (oder mittleres) Jahr: Fortsetzung Englische Grammatik, Algebra, Fortsetzung Botanik, Naturphilosophie, Smellies Philosophie der Naturgeschichte, Philosophie des Geistes.
Fächer der Senior Class: Chemie, Astronomie, Geologie, Kirchengeschichte, Zeugnisse des Christentums, Whatelys Logik, »Whatelys Rhetorik, Moralphilosophie, Naturtheologie, Butlers Analogie.«[24]
Die Studentinnen wurden auch ersucht, an Leibesübungen, Musik und Französisch Unterricht teilzunehmen, ebenso an Haushaltspflichten, worüber sich eine Kontroverse erhob. (Miss Lyon behauptete, das senke die Kosten und helfe somit der Schule, sich am Leben zu halten; vermutlich hat es auch einige Eltern und Förderer beruhigt, die befürchten mochten, die Studentinnen könnten sich allzuweit von ihrer natürlichen Sphäre entfernen!)
Dieser Lehrplan hatte für die Bildungswelt der 1830er Jahre eine ebensolche Bedeutung wie der »Harvard Annex« (heute Radcliffe College) und die Aufnahmeprüfungen in Bryn Mawr fünfzig Jahre später. Wie trocken die Leseliste, wie streng und inzwischen überholt der Studiengang auch gewesen sein mögen, ihre Bedeutung kann kaum überschätzt werden. Der lange, von Judith Sargent Murray vorausgesehene und von Emma Willard in Angriff genommene Kampf, die Frauen über Pudding und Kinderstube hinauszubringen, hatte eine entscheidende Etappe hinter sich gebracht. Mary Lyon hatte den Frauen Mittel an die Hand gegeben, mit denen sie den Kampf in die verschiedensten Richtungen weitertreiben konnten. Was einige wenige erträumt und gewagt hatten, wurde jetzt in Leben und Praxis bewiesen: daß das Gehirn von Frauen in Umfang, Zellstruktur und Kapazität dem ihres männlichen Widerparts gleich war, daß sie sich, wenn ihnen Gelegenheit, Disziplin und Anleitung gegeben werden, mit demselben Unterrichtsstoff befassen können wie Männer, und daß eine solche Bildung beträchtliche finanzielle Investitionen seitens der Eltern, Philanthropen und Gemeinden wert war. Der Weg war frei für die Eröffnung von Vassar im Jahre 1865, Smith und Wellesley im Jahre 1875, des »Harvard Annex« im Jahre 1879 und Bryn Mawr im Jahre 1885. Zum Entsetzen und Bedauern einiger wurde immer deutlicher, daß sich nicht mehr absehen ließ, wo das alles enden sollte.
Solange die Institution Sklaverei existierte, war ein gebildeter Neger nicht nur anachronistisch, sondern bedrohlich. Ihn auszubilden bedeutete, die Annahme der rassischen Minderwertigkeit, auf der die Sklaverei fußte, zu widerlegen und ihm außerdem Waffen für seinen Freiheitskampf zu geben. In den Südstaaten war es illegal, einem Sklaven Lesen beizubringen. Zwar gibt es Berichte über von schwarzen Frauen geführte Schulen in Louisiana, Süd-Carolina und Georgia, aber sie waren selten und den Kindern freier Schwarzer vorbehalten. Als Sarah Grimke ihrem schwarzen Dienstmädchen Lesen beibringen wollte, tat sie es hinter der verschlossenen Schlafzimmertür beim Licht von glimmenden Kienspanen. Sie wurden bald entdeckt, und der Unterricht mußte abgebrochen werden. Im Norden, wo seit 1790 die Sklaverei im Verlauf von fünfzig Jahren in einem Staat nach dem anderen abgeschafft worden war, wurden gleichwohl in den meisten Ortschaften bis zum Bürgerkrieg farbige Kinder von den allgemeinen Schulen ferngehalten.[25] Laura Haviland, eine ergebene Vorkämpferin für die Freiheit, bezeugte, daß es auch im Nordwest-Territorium, wo die Sklaverei 1787 abgeschafft worden war, keine Schule gab, die farbige Kinder oder Erwachsene besuchen durften (im Staat Michigan bis 1837).[26] 1840 wurden in Ohio mit den Steuergeldern von Schwarzen »öffentliche Schulen« gefördert, deren Kinder aber durften sie nicht betreten.[27] Es liegt auf der Hand, daß eine schwarze Frau mehr Entbehrungen litt als ihre Brüder. Wenn eine weiße Frau schon als geistig unfähig erachtet wurde, dieselbe Bildung wie ein Mann zu erhalten, und wenn Schwarze gegenüber Weißen als minderwertig galten, folgte daraus, daß ein schwarzes Mädchen die allergeringste Möglichkeit zu einer geistigen Entwicklung hatte. Und doch war bereits bewiesen worden, daß eine farbige Frau nicht nur gebildet sein konnte, sondern daß sie sogar zu schöpferischer Arbeit imstande war. Die Ehre und Tragik dieses Beweises war Phillis Wheatley zugefallen, die als eines von sechs Kindern im westafrikanischen Senegal von Sklavenhändlern gefangen worden war, die Atlantiküberquerung überlebt hatte und 1759 auf dem Sklavenmarkt von Boston verkauft worden war.[28] Sie hatte außerordentliches Glück. Ihre Besitzer, beide gebildet und freundlich, behandelten sie wie ein Mitglied der Familie, gaben ihr die bestmögliche Schulbildung und nur die leichtesten Arbeiten zu tun. Sie wurde ermutigt, ihre Talente als Lateinschülerin und Dichterin zu nutzen, und schrieb Verse im neoklassizistischen Stil jener Tage, die auf breites Interesse und Anerkennung stießen. Auf einer Reise nach England, die sie mit dem Sohn der Wheatleys unternahm, wurde sie von der literarischen Gesellschaft gefeiert, und als eine Ode von ihr, die sie George Washington gewidmet hatte, im April 1776 im Pennsylvania Magazine veröffentlicht wurde, lud Washington sie ein, sein Hauptquartier in Cambridge zu besuchen, was sie auch tat.
Aber bald darauf ging ihr kurzes Glück zu Ende. Ihre Herrschaft starb. Phillis heiratete John Peters, einen freien Neger, der ihrer nicht würdig war und sie und die drei Kinder verließ, die alle umkamen. Sie selbst starb 1784 in bitterer Armut und wurde in einem Armengrab beerdigt. Noch gab es für eine Phillis Wheatley keinen Platz in der Welt. Von dem raschen Aufschwung der Bewegung für die Abschaffung der Sklaverei (Abolitionismus) konnte man erwarten, daß mit ihm die Bildung für schwarze Mädchen zum Gegenstand größeren Interesses würde. Daß das geschah, wenn auch nur kurz, ist dem Heroismus einer Frau zu verdanken, und es ist aufschlußreich, daß zwanzig Jahre lang niemand ihrem Beispiel folgte. Die Gefahren, auf die Prudence Crandall stieß, als sie in den Jahren 1833-1834 in einem kleinen Dorf in Connecticut schwarze Schülerinnen unterrichtete, sind ein Indikator dafür, welche Hindernisse schwarzen Mädchen im Wege standen, die im »freien Norden« zu jener Zeit nach Bildung strebten.
Miss Crandall war Quäkerin und leitete erfolgreich eine Schule für junge Damen in Canterbury, etwa vierzig Meilen südöstlich von Hartford. Ihr Dienstmädchen war eine freie Negerin, die verlobt war mit dem »Ortsvertreter« des Liberator, jener von William Lloyd Garrison herausgegebenen Zeitung, die sich heftig für die Abschaffung der Sklaverei einsetzte. Sie brachte Miss Crandall dazu, eine Schwarze, Sarah Harris, in ihrer aus ausgewählten und behüteten jungen Fräuleins bestehenden Schule aufzunehmen. Ein Proteststurm erhob sich; aber statt wie gefordert ihre neue Schülerin hinauszusetzen, schloß Miss Crandall ihre Schule. Canterbury war verblüfft, mußte aber feststellen, daß die Episode lediglich ein Vorspiel war. Miss Crandall brach auf zu einer Reihe von Reisen nach Boston, Providence und New York, wo sie sich mit Führern der Abolitionisten-Bewegung beriet. Im Liberator erschienen Anzeigen, in denen schwarze Eltern aufgefordert wurden, ihre Töchter zu ihr zum Unterricht zu schicken. Im April, gerade zwei Monate, nachdem sie eine Schule geschlossen hatte, eröffnete sie eine neue mit siebzehn schwarzen Schülerinnen. Canterbury hatte sich nie als Ort sklavereifreundlicher Gesinnung verstanden. Aber diejenigen Bürger, die sich überhaupt mit der Frage befaßten, befürworteten eine kolonialistische Lösung: die Rückkehr der schwarzen Bevölkerung des Landes nach Afrika. Ganz sicher waren sie nicht auf eine Schule für schwarze Mädchen gefaßt, hinter der auch noch die abolitionistischen Unruhestifter steckten.
Als es den Säulen der Gemeinde nicht gelang, die Schule mit Hilfe von Drohungen zu schließen, griffen sie zu anderen Überzeugungsmitteln: Miss Crandall wurde unter der Anklage der Landstreicherei verhaftet - vermutlich war das eher auf ihre Schülerinnen als auf sie selbst gemünzt -, und als die Anklage bei Gericht nicht durchkam, wurde vom Parlament von Connecticut in aller Eile ein Gesetz durchgepeitscht, das Staatsbürgern Connecticuts untersagte, Schüler aus anderen Staaten zu unterrichten.[29] Während dieses Gesetz durch die gerichtlichen Instanzen lief (wo es schließlich auch abgewiesen wurde), bediente man sich anderer ehrwürdiger Methoden: Die Fenster der Schule wurden eingeschlagen, Schülerinnen und Lehrerinnen (Miss Crandall zur Seite stand ihre Schwester Almira) mit Steinen beworfen, in den Brunnen wurde Stallmist gekippt, die örtlichen Händler weigerten sich, Nahrungsmittel zu verkaufen, und die Ärzte verweigerten ihre Dienstpflicht.
Miss Crandall und ihre Schülerinnen hielten anderthalb Jahre durch. Sie und ihre Schule wurden zu einem Symbol. Aus Nachbargemeinden kamen Förderer und brachten Nahrungsmittel, Miss Crandalls Vater schleppte aus seinem eigenen, zwei Meilen entfernten Brunnen Wasser herbei. Abolitionisten sandten Geldbeträge, und als sie der Schule einen Besuch abstatteten, gaben die Schülerinnen in ihren besten Kleidern Vorstellungen. Die Mädchen selber traten als Zeuginnen zur Entlastung von Miss Crandall vor Gericht auf und schrieben Briefe an die abolitionistischen Zeitungen. Aber schließlich bewog die Sorge um das Leben ihrer Schülerinnen Miss Crandall doch, aufzugeben. Eines Nachts, kurz nachdem eine versuchte Brandstiftung den ganzen Keller verwüstet hatte, stellten maskierte Männer Rammböcke auf und schlugen sie gegen die Mauern des Hauses und die Vordertür. Schülerinnen und Lehrerinnen verbrachten eine schlaflose Nacht im Obergeschoß, während die unteren Räume buchstäblich demoliert wurden. Am Tag darauf kündigte Miss Crandall die Schließung ihrer Schule an. Canterbury hatte gewonnen.[30] Aber Miss Crandalls Niederlage bezeichnet den Beginn eines langen Kampfes, der sie als Pionierin ehrt. Heute trägt ein Studentinnenwohnheim der Howard-Universität in Washington, der ersten nach dem Bürgerkrieg gegründeten höheren Bildungsanstalt für Schwarze beiderlei Geschlechts, den Namen Crandall Hall.
Prudence Crandalls Kampf ist noch viel denkwürdiger, wenn man ihn im Zusammenhang ihrer Zeit betrachtet. 1833 war Mount Holyoke noch ein Traum in Mary Lyons Kopf. Noch hatten sich die ersten Stimmen von Frauen, die öffentliche Reden gegen die Sklaverei hielten, nicht erhoben. Und doch reiste Prudence Crandall schon weit herum (Miss Lyons Reisen, bei denen sie Geld beschaffte, wurden von ihren Freunden noch als »undamenhaft« bezeichnet!), sah nicht nur über Drohungen, sondern auch über Steinwürfe hinweg und führte ihre Schule achtzehn Monate lang inmitten eines wahren Belagerungszustandes. Dies war ein Kampf, der nicht nur dem Geist, sondern erst recht dem Herzen so mancher Frau Auftrieb gab. Prudence Crandall gehört nicht nur zur Antisklavereibewegung, sondern auch zur Bewegung für die Rechte der Frau.