Frauenarbeit und Frauenbewegung in den USA
»Es gibt mehr als eine Weise zu kämpfen, und ich
bin sicher, daß der Scharfsinn der Frauen im Fall
eines Konflikts angemessene Mittel finden
wird... Wenn all die heroischen Taten von
Frauen, von denen in Geschichte und Gegenwart
berichtet wird, unsere Gegner noch nicht davon
überzeugt haben, daß Frauen außerordentlich
kämpferisch sind, so wird unser Geschlecht
in nächster Zukunft diese Eigenschaft unter Beweis
stellen müssen,... um einige weitere mutige Beispiele
zu setzen. Einer Sache mögen die Männer versichert sein:
daß nämlich die nächste Generation die Frage
der Frauenrechte nicht mehr mit der unendlichen
Geduld vorbringen wird, die wir ein halbes Jahrhundert
lang an den Tag gelegt haben.«
(Elizabeth Cady Stanton, 1887)[1]
»Man mag bezweifeln, ob Mrs. Stanton oder Miss Anthony, kehrten sie heute auf den Schauplatz ihrer Bemühungen zurück, zufriedener wären mit der Situation ihres Geschlechts.« So beschloß Eleanor Flexner, deren Mutter noch an den großen Frauendemonstrationen vor 1920 teilgenommen hatte, 1959 ihr Buch;[2] es war, bei all ihrer Distanz als Historikerin, ein unausgesprochener Aufruf, das Werk jener zwei bedeutendsten öffentlichen Gestalten der alten Frauenbewegung wiederaufzugreifen. Als sie das Buch Mitte der siebziger Jahre überarbeitete, konnte sie an derselben Stelle auf eine inzwischen fast eineinhalb Jahrzehnte alte »Hausfrauenrevolte« verweisen, die die politische Landschaft verändert hatte und die unter anderem eine ausgedehnte, fast nicht mehr zu überblickende Literatur zum Thema Frauenstudien hervorgebracht hatte.[3] Aber obwohl diese erste umfassende und bis heute im wesentlichen nicht überholte historische Darstellung der Frauenrechts- und insbesondere der Frauenwahlrechtsbewegung bei ihrem Erscheinen nur geringe Beachtung fand - heute gehört sie zur Standardlektüre sowohl der Geschichtswissenschaft wie der Frauenbewegung -, stand sie mit ihrem Appell nicht allein. Trotz der Entlassung von Millionen von Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Zahl der weiblichen Erwerbstätigen bald wieder kontinuierlich an; aber die Verheißung ökonomischer Unabhängigkeit hatte sich als trügerisch erwiesen: Hausarbeit, Abhängigkeit und Lohndifferenzen hatten nicht abgenommen - im Gegenteil. Betty Friedans polemischer Bestseller von 1963, der in der Unzufriedenheit der Hausfrauen das »Problem ohne Namen« zu benennen suchte, drückte nur eine weitverbreitete unterschwellige Unruhe aus, die sich sowohl gegen die familiäre Rolle der Frau als auch gegen die Zwänge ihrer zusätzlichen Erwerbsarbeit außer Haus richtete.
Selbst in der Geschichtswissenschaft, für die seit dem Niedergang der alten Frauenbewegung in den zwanziger Jahren Frauen praktisch nicht mehr existierten, gab es Vorzeichen einer Wende, Ansätze, die erst von Frauen entfaltet werden sollten. 1959 schrieb Robert W. Smuts in seinem klassischen Women and Work in America:
»Das unterscheidende Merkmal der Arbeit von Frauen, die zu den Arbeitskräften gezählt werden, ist Geld: sie werden gezählt, wenn sie für Bezahlung oder Profit arbeiten... Wie natürlich auch immer dies erscheinen mag, diese Unterscheidung ist doch vergleichsweise neu... Der größere Teil des enormen Beitrags von Frauen zu Reichtum und Wohlfahrt der Nation ist immer noch die Arbeit, die sie im Haus und ohne Bezahlung verrichten.«
Während Smuts sich jedoch im weiteren an die von Umgangssprache, Staat und Business institutionalisierte Sprachregelung[4] hielt und nur die Erwerbsarbeit von Frauen behandelte, ging David M. Potter, in dessen Sozialgeschichte People of Plenty (1954) Frauen keinen Platz gefunden hatten, zur Selbstkritik über. Zehn Jahre später, beeinflußt von der sichtbar werdenden Gärung unter den Frauen, stellte er fest, daß die weibliche Bevölkerung nicht nur in allen »großen« historischen Entwürfen - von Turners Frontier-These bis zu Riesmans »Einsamer Masse« - ausgespart blieben, sondern daß sie auch tatsächlich nicht Teil des »Volks im Wohlstand« waren, über das er geschrieben hatte:
»Die Gesellschaft entwertet die modernen Tätigkeiten der Frauen im Vergleich zu denjenigen der Männer und mag auf diese Weise sogar dazu beigetragen haben, eine neue Art von Unterwerfung zu schaffen. (Grund hierfür) war das Aufkommen der Geldwirtschaft, in der Einkommen der Maßstab für Erfolg ist, und die Hausfrau ist die einzige arbeitende Person, die nicht bezahlt wird... Die Revolution in unserem Wirtschaftssystem hat die Trennung zwischen Arbeit im Haus und Arbeit außer Haus vertieft, indem sie der einen die Anerkennung durch Geld zusprach und sie der andern absprach.«[5]
Als Flexner Mitte der fünfziger Jahre ihr Buch schrieb, waren es jedoch vor allem die Kämpfe schwarzer Frauen, die, eine Zeitlang führend im Rahmen der Schwarzenbewegung, die Rassensegregation und die Organisation der schwarzen community in Frage stellten. Die Geschichte der Kämpfe schwarzer Frauen als Frauen seit damals ist weniger bekannt als die der neueren weißen Frauenbewegung; sie blieb häufig verborgen hinter der konkurrenzhaft-abstrakt geführten Debatte darum, ob die Schwarzen oder die Frauen diskriminierter seien, oder darum, ob für die schwarzen Frauen der Rassenoder der Geschlechterantagonismus, die Einheit der Rasse oder die des Geschlechts Priorität habe. Die Stellungnahmen in dieser Debatte und in diesen Termini sind kontrovers unter weißen und schwarzen Männern wie unter weißen und schwarzen Frauen,[6] aber die Realität einer Bewegung von Kämpfen schwarzer Frauen um Autonomie, von schwarzen Müttern gegen die ihnen zugemutete Aufgabe, disziplinierte Arbeitskraft großzuziehen, ist unverkennbar. Die Weigerung der Schwarzen Mrs. Rosa Parks, im hinteren Teil des segregierten Busses Platz zu nehmen, setzte 1955 den Bus-Boykott in Montgomery in Gang; er wurde zu einem Ausgangspunkt gewaltsamer Auseinandersetzungen in Schulen, Stadtvierteln und im Dienstleistungssektor, bei denen, ähnlich wie bei der 1960 einsetzenden Bürgerrechtsbewegung, die schwarzen Frauen und ihre Kinder häufig im Zentrum der Kämpfe standen.[7] Daß die Geschichte der USA nicht mehr ohne die der Schwarzen und der Frauen, daß die Geschichte der Kämpfe von Schwarzen nicht mehr ohne die der schwarzen Frauen und die Geschichte der weißen women's lib nicht mehr ohne die vorausgegangene und begleitende Bewegung schwarzer Frauen geschrieben werden kann, wird heutzutage, nach fast zwei Jahrzehnten neuerer black studies und women's studies, immer deutlicher. Für die Männergesellschaft wie für die Frauenbewegung hatte es schwerwiegende Folgen, daß der schwarzen Frau die unterste Stufe der nordamerikanischen Gesellschaftshierarchie zugewiesen wurde; hierauf wird im folgenden mehrfach - und zwar an entscheidenden historischen Angelpunkten - zurückzukommen sein. Es ist eines der Verdienste Flexners, unter den Wurzeln der alten Frauenbewegung die Rolle der Sklavinnen hervorgehoben und in ihrem weiteren Verlauf immer mitbehandelt zu haben. Flexner unterteilt die »hundert Jahre Kampf« von 1820 bis 1920 in drei Perioden, die sie durch die Zäsuren des Bürgerkriegs (1860-1865) und der Wende zum 20. Jahrhundert getrennt sieht. Dies überrascht auf den ersten Blick: gilt doch heute der Bürgerkrieg, der zwischen Nord- und Südstaaten um die Einheit des nationalen Markts und die Befreiung der Sklaven ausgetragen wurde, längst nicht mehr als »Wasserscheide« in der nordamerikanischen Geschichte, und erst recht nicht die Jahrhundertwende. Die Bedeutung dieser Zäsuren bezieht sich indessen zunächst nicht so sehr auf die Sozialgeschichte der Frauen und ihrer Kämpfe als auf die organisatorische Entwicklung der Frauenrechtsbewegung und insbesondere ihres am meisten publik gewordenen, weil auf der Ebene der »Politik« agierenden Teils: des Kampfs um das Wahlrecht. Bis zum Bürgerkrieg war die Forderung nach dem suffrage lediglich eine unter vielen, hatte sich noch nicht argumentativ und organisatorisch verselbständigt; während des Bürgerkriegs stellten die Frauen - zumindest an der Oberfläche - ihre spezifischen Forderungen vorübergehend zurück; erst das Jahr 1869 sah - nach einem halben Jahrhundert von Frauenkämpfen - die Gründung einer festen Organisation zum Zweck der Durchsetzung des Frauenwahlrechts (National Women's Suffrage Association) und kurz darauf die Abspaltung einer konservativeren, und zahlenmäßig schwächeren Organisation mit dem gleichen Ziel, die sich American Women's Suffrage Association nannte. 1890 vereinigten sich die NWSA und die AWSA zur National American Women's Suffrage Association (NAWSA), und wenig später setzten die eineinhalb Jahrzehnte der »Flaute« ein, die kaum Fortschritte in der Eroberung des Wahlrechts sahen, statt dessen einen wachsenden, vielfältig bedingten und selten erklärten Konservatismus in der Wahlrechtsbewegung: hier liegt die zweite Zäsur in der Darstellung. Die eineinhalb Jahrzehnte vor der endgültigen und bundesweiten Durchsetzung des Wahlrechts im Jahr 1920, eine Zeit, in der trotz fortdauernder Widerstände die Forderung selbst schon als absolut »respektabel« galt, machen den Inhalt des letzten Teils aus.
Und doch ist das Buch nicht eine bloße Organisationsgeschichte in dem Sinn, der mit Recht von den verschiedenen Richtungen moderner Sozialgeschichtsschreibung verworfen wird. Wenn ein solcher Vorwurf noch am ehesten den dritten Teil trifft, so liegt dies nicht zuletzt an der damaligen Entwicklung der Bewegung selbst. Der zweite Teil indessen und vor allem der erste bieten einen auch heute noch nützlichen Überblick über die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der USA aus der Perspektive der weiblichen Majorität der Bevölkerung, einer Majorität, die wenig homogen war und deren Differenzierung in Frauen wohlhabender Männer, Mittelschicht und Fabrikarbeiterinnen, in unterschiedliche Lebens- und Arbeitssituationen im Osten, Westen und Süden und vor allem in schwarze und weiße, einheimische und eingewanderte Frauen ständig präsent ist. Bedenkt man im übrigen, daß der Angriff auf den traditionellen Historismus und seine Betonung »großer« Individuen und Haupt- und Staatsaktionen heute häufig zu einer ebenso lebensfremden Quantifizierung der »anonymen«, »artikulationsunfähigen« Massen führte, die mit Computer-Methoden oft genug gleichsam ein zweites Mal zur Anonymität und Unhörbarkeit verurteilt werden, so scheint ein weiterer Zug dieses Buchs hervorhebenswert: Die Sozialgeschichte wird weitgehend anhand der Lebensgeschichten und Erfahrungen individueller Frauen, durch das Prisma ihrer Kämpfe hindurch dargestellt - ein Verfahren, das die Rolle des Individuums völlig anders als der traditionelle Historismus behandelt und das einen Teil der seit den 1960er Jahren entstandenen Frauenstudien charakterisiert. Die Darstellung eines Jahrhunderts von Kämpfen kann nicht absehen von den Emotionen, der Radikalität, Zähigkeit, Erfindungskraft, von der Solidarität, aber auch der Einsamkeit von Frauen, denen zur Durchsetzung ihrer Bedürfnisse und Forderungen keinerlei organisatorische, institutionelle und vor allem keinerlei finanzielle Mittel zur Verfügung standen.[8] Der Kampf um ihre Rechte war immer auch ein Kampf darum, ihn überhaupt führen zu können; er bedeutete - ungeachtet heterogener Positionen im einzelnen - die faktische Verweigerung der women's sphere, die ihnen die Gesellschaft zuwies.
Die Versammlung von Seneca Falls von 1848, auf der nach dem Vorbild der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 eine Dedaration of Principles aufgestellt wurde, war ein erster Höhepunkt der Bewegung: Es ist ein weiteres Verdienst Flexners, dieses Ereignis nicht, wie so häufig getan wird, an den Beginn der Frauenrechtsbewegung zu setzen. Ihm war schon eine lange Reihe von sichtbaren und verborgenen Frauenaktivitäten vorausgegangen, angefangen bei den bread riots (Hungerrevolten) von Hausfrauen zur Zeit des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs bis zu den Streiks von Fabrikarbeiterinnen um mehr Geld und weniger Arbeit; eine Bewegung der weiblichen, meist schwarzen oder eingewanderten Dienstboten gegen ihre Ausbeutung in der Lohnarbeit des Haushalts hatte um sich gegriffen, und die schwarzen Frauen, die in der Sklavenhaltergesellschaft des Südens das Rückgrat des alltäglichen Kleinkriegs mit den Herrschenden bildeten, kämpften mit List, Verstellung, vorgetäuschter Krankheit, Sabotage an Werkzeugen und Produkten, Diebstahl, Brandstiftung, Gift und nicht zuletzt mit einem Übermaß an Arbeit für die schwarze Community, in der selbst »das Überleben eine Form von Widerstand war«.[9] Ein Teil dieser Widerstandsformen traf seit den 1830er Jahren in der Antisklavereibewegung zusammen, in der Frauen wegen ihres öffentlichen Auftretens scharf angegriffen wurden und sich in erster Linie das Recht zu kämpfen erkämpfen mußten; all jene Widerstandsformell zusammen machten es erst möglich, daß sich um die Mitte des Jahrhunderts eine autonome Bewegung von Frauen zur Durchsetzung ihrer Rechte konstituieren konnte. Was waren diese Rechte? Bis zum letzten Viertel des 19. Jahrhunderts war das Wahlrecht nur eines von vielen; genauer, und in den Worten Flexners: es war eine »Waffe«, mit der die unmittelbaren, das alltägliche Leben betreffenden Rechte erobert werden sollten. Diese betrafen insbesondere - ein roter Faden im ersten Teil des Buchs - das Recht auf materielle Unabhängigkeit: auf Besitz, Erbschaft, auf Anteil am gemeinsam erworbenen Besitz und am Sorgerecht für die Kinder im Fall einer Scheidung und vor allem das Recht auf den Arbeitslohn - »Oh, wenn wir nur immer für unsere Arbeit bezahlt werden könnten, würden wir über die Runden kommen«, riefen Arbeiterinnen um 1864.[10] In all diesen Bereichen war der Mann Rechtsvertreter der juristisch nicht existenten Ehefrau, und diese ihre rechtliche Nichtexistenz als femme couverte, schon in der alten Gesellschaft Ausdruck ihrer politischen Minderwertigkeit, wurde für sie erst recht verheerend in einer entfalteten Geldwirtschaft. Zum Teil auf den Druck der frühen Frauenbewegung wurden jene juristischen Restriktionen in den meisten Bundesstaaten bis zum Bürgerkrieg abgeschafft, und mit ihrem Wegfall vertiefte sich eine Spaltung unter den Frauen, die deutlich machte, daß mit dem »Recht« auf materielle Eigenständigkeit noch längst nicht deren Verwirklichung durchgesetzt war. Die Frauen der Oberschicht, deren Haushalt von Dienstboten versorgt wurde, forderten den Zugang zu höherer Ausbildung als Mittel, der zwangsweise auferlegten Muße zu entgehen und in gutbezahlte Berufe einzudringen. Auf der anderen Seite stießen Fabrikarbeiterinnen auf den »ungleichen Wert von Zeit und Arbeit bei Männern und bei Frauen« (Sarah Grimke), der weder durch die Kämpfe seit den 1820er Jahren noch durch den Beweis hoher Qualifikation ausgeglichen wurde und dessen Wirkungen sie, wo immer möglich, durch Heirat - und damit Hausarbeit - zu entgehen suchten; Dienstboten erfuhren die Ächtung weiblicher Hausarbeit am schärfsten und zogen ihr, wo möglich und lohnend, Fabrik, Prostitution oder Ehe vor; die Hausfrauenklubs der unteren Mittelschichten engagierten sich in den Kampagnen gegen den Alkoholismus und die Institutionalisierung der Prostitution: Beides verringerte das Familieneinkommen und vermehrte die Last ihrer psychischen und sexuellen Dienstleistungen an der Familie.
Gegen Ende des Jahrhunderts, nachdem sich die Frauenbewegung in einer ausschließlich aufs Wahlrecht abzielenden Organisation kristallisiert hatte, distanzierte diese sich programmatisch von jeder Stellungnahme und Aktivität in anderen Fragen: »Als ein Wahlrechtsverband können wir nicht von unserem unmittelbaren Zweck abgehen, um irgendein soziales Unrecht zu erwägen oder uns für irgendeine Sache oder Klasse einzusetzen, es sei denn, um die Notwendigkeit des Frauenwahlrechts zu demonstrieren oder bei seiner Absicherung zu helfen.«[11] Die konservative Wendung, die die Suf-/rage-Bewegung in diesem Zeitraum nahm und seit der das Frauenwahlrecht nicht mehr so sehr mit dem naturrechtlich begründeten Gleichheitspostulat und der latenten Sprengkraft seines Egalitarismus, sondern unter Berufung auf seine Nützlichkeit für die gesellschaftliche Stabilität gefordert wurde, bedarf einer über Flexners Darstellung zuweilen hinausgehenden Erläuterung: nicht nur, weil diese Wende seither ausführlich kommentiert worden ist, sondern vor allem, weil an dieser Bruchstelle ein entscheidender Einblick in die soziale Situation der Frauen im Rahmen der gesellschaftlichen Entwicklung der Vereinigten Staaten möglich und nötig ist. Die Suche nach einer über bloße Ideologiegeschichte hinausführenden Erklärung dieser einschneidenden Wende führt auf zwei Problemkreise, die außerdem Flexners Zäsuren - Bürgerkrieg und Jahrhundertwende - plausibler begründen als bloße Organisations- und Individualgeschichte: die Situation der schwarzen Frau und dieFigur der Hausfrau im 19. Jahrhundert.
»Ich will, daß Frauen ihre Rechte bekommen...
»Ich bin vierzig Jahre Sklavin gewesen und vierzig
Jahre frei... Ich habe eine Menge gearbeitet,
so viel wie ein Mann, aber bezahlt hat man mir
nicht so viel... Wir tun ebenso viel,
wir essen ebenso viel, wir wollen ebenso viel.
Was wir wollen, ist ein bißchen Geld...
Wenn wir unsere Rechte bekommen,
brauchen wir nicht mehr zu euch Männern kommen,
um Geld zu erbitten, denn wir werden genug Geld
in der eigenen Tasche haben.«
(Sojourner Truth, 1867)[12]
Jene Wende manifestierte sich erstens in einer zwar nicht von allen Frauen geteilten, aber tendenziell unverkennbaren und zuweilen sogar extremen Feindseligkeit und Herablassung der NAWSA-Organisatorinnen gegenüber der schwarzen und eingewanderten - weniger gegenüber der einheimischen - Arbeiterklasse; zweitens in einer zunehmenden, teils aggressiven, teils positiven Fixierung auf die bestehenden großen (natürlich Männer-) Parteien als Vehikel für eine neue Wahlrechtsgesetzgebung, die sich hinter der offiziell nicht an Parteien gebundenen NAWSA-Politik versteckte und sich immer ausschließlicher auf Männer als Gesprächspartner konzentrierte; drittens in einer wachsenden Anpassung an die »Suche nach Ordnung« und Effizienz, die die reformfreudige Mittelklasse der »Fortschrittsära« (ca. 1890-1920) dominierte. Mit der von Flexner beschriebenen Dezentralisierung auf der Ebene der Bundesstaaten nahm die NAWSA Abstand von dem Kampf um einen Zusatz zur Bundesverfassung und erlaubte jeder Teilorganisation, sich das Wahlrecht mit welcher Argumentation und welcher Politik auch immer in den Einzelstaaten zu erobern. In der Folge setzte sich vor allem im Süden und Osten, wo im übrigen der Widerstand gegen das Frauenwahlrecht weit stärker war als in den Pionierstaaten des Westens - Hinweis darauf, daß es keineswegs ein notwendiges Nebenprodukt der »industriellen Entwicklung« war -, eine Generation lang das Argument durch, daß gebildete weiße Frauen kein geringeres Recht auf das suffrage hätten als die »ignoranten, armen, unmoralischen« Schwarzen und Einwanderer. Und die NAWSA ging noch darüber hinaus: das Wahlrecht der Frauen, so suchte man es den Männern zu empfehlen, würde die Vorherrschaft der weißen Einheimischen garantieren, da die zusätzlichen Frauenstimmen die schwarzen und Immigrantenstimmen numerisch überwiegen würden. Der letzte Schritt war der von Flexner erwähnte Ausschluß schwarzer Frauen aus der Organisation.[13]
Bedauern über diese Entwicklung oder ihre Verurteilung reichen nicht aus. Die häufig angeführten Erklärungen - Reduktion der organisierten Frauenbewegung auf die formale Wahlrechtsforderung; ihre allmählich-unvermeidliche Anpassung an die Argumente der Gegner, die mit umstürzlerischen Wirkungen der Neger- und Immigrantenstimmen drohten; das allgemeine Klima von Rassismus in den Mittelschichten der Fortschrittsära - bieten eher Symptombeschreibungen als Gründe. Einer präziseren Analyse kommen wir näher, wenn wir von drei Widersprüchen ausgehen, die in dieser Entwicklung offenbar werden. Der erste betrifft die Tatsache, daß das folgenschwere Argument, »inferiore« Stimmen durch »gebildete« kompensieren zu müssen, ausgerechnet zu einer Zeit um sich griff, als den Schwarzen das 1868 verliehene Wahlrecht durch Ku-Klux-Klan-Terror und einzelstaatliche Gesetzgebung (Lese- und Intelligenztests) schon wieder weggenommen worden war, während die Immigranten sehr häufig wegen strenger Bestimmungen über einen festen Wohnsitz kein Stimmrecht hatten oder ausüben durften und es wegen seiner Instrumentalisierung durch die Parteibürokratien oft genug für wertlos hielten.[14] Zweitens: Die Frauenbewegung war, zumindest in ihrer öffentlichen Gestalt, aus der heftigen Agitation gegen die Sklaverei hervorgegangen, hatte sich selbst deren Mittel bedient und war sich des umstürzlerischen Charakters einer egalitären Verbindung von Frauen-und Schwarzenkampf wohl bewußt gewesen - »Wir Abolitionistinnen stellen die Welt vom Kopf auf die Füße«, hatte Angelina Grimke 1838 geschrieben.[15] Wie erklärt es sich, daß nun selbst integerste Vertreterinnen des frühen Radikalismus in gefährliche Nähe zu dem rassistischen Argument und der daraus folgenden Politik gerieten? Und der dritte Widerspruch: Das Engagement der Frauen in der Abolitionsbewegung resultierte keineswegs nur, wie nicht selten zu hören, aus einem natürlichen oder anerzogenen weiblichen Altruismus, der eher für andere als für sich kämpft, auch nicht nur aus mangelnder Klarheit über die Analogien und Differenzen zwischen der Versklavung der Schwarzen und derjenigen der Frauen. Der wesentliche Grund für jenes Engagement lag vielmehr darin, daß die Befreiung gerade auch der schwarzen Frauen als wesentlicher Bestandteil der Befreiung der Frau als Geschlecht erkannt und der Bewegung von den anfangs zahlreichen schwarzen Frauen selbst immer wieder aufgezwungen wurde, und daß für diese letzteren die »Abolition« ununterscheidbar die Abschaffung rassischer wie geschlechtsbedingter Rechtlosigkeit betraf. Woher rührt, vor diesem geschichtlichen Hintergrund, der spätere Bruch der Solidarität mit den schwarzen - und analog mit den eingewanderten - Frauen? Es liegt auf der Hand, daß der Versuch einer Antwort auf diese Fragen und einer »Lösung« dieser Widersprüche komplex ausfallen muß. Der erste Widerspruch, dessen historischer Kontext hier nur gestreift werden kann, betrifft das Verhältnis zwischen nördlichem Abolitionismus und dem schwarzen Befreiungskampf, nämlich die Tatsache, daß der Abolitionismus der weißen Männer - offenbar traf dies weniger auf die weißen Frauen zu - sehr viel mehr Rassismus in sich trug als der Mythos von der Befreiung der Sklaven durch die Nordstaaten zu sehen erlaubte: Rassismus im Sinn von paternali-stischer Herablassung, der Intention, die »Inferioren« einer »höheren« Kultur zuzuführen, die arbeitsscheuen »Kinder« zu arbeitsfreudigen »Erwachsenen« zu erziehen, und von einer Tendenz zu gesellschaftlicher Segregation - schon innerhalb der Abolitionistenorganisationen! -, die in dieser Form im sklavenhaltenden Süden unbekannt war. In der Tat entstand der moderne Rassismus mit seiner durch Gesetz, Terror und Lynchjustiz institutionalisierten Segregation erst in der Folge der Sklavenbefreiung und als weiße, vom Norden gebilligte Antwort auf sie, als Mittel einer sozialen Kontrolle, die sich formell des Systems der unbezahlten Zwangsarbeit nicht mehr bedienen durfte. Analog zur Befreiung europäischer Bauern aus der Leibeigenschaft war diejenige, die der Norden für die Schwarzen vorsah, eine »Befreiung« nicht zur materiellen Unabhängigkeit, sondern zur kapitalistischen Arbeitsweise und Arbeitsethik. Sie hatte wenig zu tun mit dem, was die Sklaven selbst zu erkämpfen suchten; ein/e unbekannte/r Schwarze/r formulierte dies so:
»Wir wußten, die Freiheit würde kommen, aber wir wußten nicht, was mit ihr kommen sollte. Wir dachten, wir würden reich werden wie die weißen Leute. Wir dachten, wir würden reicher werden als die weißen Leute, weil wir stärker waren und zu arbeiten verstanden, die Weißen aber nicht, und sie konnten uns nicht mehr für sich arbeiten lassen. Aber so kam es nicht. Wir fanden bald heraus, daß Freiheit uns zwar stolz machen konnte, aber sie machte uns nicht reich.«[16]
Im Süden, wo die Schwarzen nach ihrer rechtlichen Emanzipation ihren eigenen Kampf um Macht und Überleben fortsetzten, war zur Stabilisierung der Verhältnisse ihre erneute ökonomische Entmachtung nötig geworden und wurde vom Norden gefördert. Die Stratifizierung der Arbeitskraft nach ethnischen, rassischen und geschlechtlichen Kategorien wurde zu einem Grundpfeiler der Expansion des amerikanischen Kapitals und zur Basis der effizienzorientierten Rationalisierungsoffensive dieser Zeit. Im gleichen Maß wie Frauen die Adressaten ihrer Politik in den Männern sahen, die die »Suche nach Ordnung« zur herrschenden Politik machten, akzeptierten sie gleichzeitig deren soziale Basis, den Rassismus als innenpolitische Seite des beginnenden amerikanischen Imperialismus.
Der zweite Widerspruch betrifft das Verhältnis zwischen Frauenbewegung und Schwarzenbefreiung, auf das sich die gängigste - wenngleich unzutreffende - der Erklärungen für die konservative Involution der Frauenbewegung bezieht. Den zugrundeliegenden Sachverhalt trägt Flexner im 10. Kapitel vor. Mit dem 1868 verabschiedeten 14. Zusatz zur Bundesverfassung (Amendment), der den Schwarzen das Wahlrecht zuerkannte, wurde das Wort »männlich« in die Verfassung eingeführt: »männliche Bürger« durften fortan wählen. Die Ungleichheit der Geschlechter wurde damit zum ersten Male konstitutionell verankert. Das Argument der (männlichen) Abolitionisten, jetzt sei »die Stunde des Negers« gekommen und die Frauen müßten eben noch warten, verschleierte die Tatsache, daß ein Keil in die Verbindung von weißen und schwarzen Unterdrückten getrieben worden war. Der Zorn der Frauen - die dreißig Jahre lang ihre eigene Befreiung mit derjenigen der Sklaven identifiziert hatten - auf die einst verbündeten Abolitionisten blieb nicht aus, wie Flexner zeigt. Wenn nun aber häufig, auch von ihr, argumentiert wird, daß diese Niederlage der Frauen zu wachsenden rassistischen Ressentiments innerhalb ihrer Bewegung führte, so ist das zu kurz gegriffen und nur zu einem geringen Teil zutreffend: Denn gerade diejenige der beiden sich 1869 konstituierenden Wahlrechtsorganisationen, die the negro's hour akzeptierte und damit einen »gemäßigten« Kurs in punkto Feminismus und einen scheinbar »fortschrittlichen« in punkto Rassismus verfolgte, nämlich die AWSA, war es, die in der Folgezeit zur Hauptträgerin rassistischer Wahlrechtspolitik werden sollte und alle Klassen- und Rassenprobleme aus ihren Tagesordnungen verbannte; die NWSA mit Elizabeth Cady Stanton und Susan B. Anthony, offensiver in ihrem Feminismus, war weniger anfällig gegen rassistische Tendenzen, bekämpfte die rassismusfördernde Dezentralisierung der Kampagne, und ihre Anhängerinnen beurteilten auch die Arbeiterrebellionen seit den 1860er Jahren positiv.[17] Die Jahre der »Flaute« in der Frauenbewegung waren auch die Jahre, in denen die erneute Entrechtung der befreiten Schwarzen ihren Höhepunkt erreichte, und es drängt sich der Verdacht auf, daß beide einen anderen Verlauf genommen hätten, wenn ihre Bewegungen nicht voneinander getrennt worden wären. Festgehalten werden muß, daß die Politik der herrschenden Männer nach dem Bürgerkrieg, Abolitionisten eingeschlossen, die Frauenbewegung gespalten und ihren Egalitarismus gebrochen hat; darüber hinaus hat sie einen Zustand nicht so sehr zementiert als geschaffen, in dem der rechtliche Ausschluß der Frauen aus der politischen Arena überhaupt erst formalisiert und homogenisiert wurde. Es handelte sich bei dem 14. Amendment also nicht nur um eine »Noch-nicht-Befreiung« der Frauen, sondern um ihre offene Entrechtung, nicht um die Beibehaltung ihrer angeblich traditionellen sozialpolitischen Stellung, sondern um den vorläufigen Abschluß eines Machtentzugs für die weibliche Bevölkerung, der sich gegen ihre Kämpfe im voraufgegangenen Jahrhundert richtete und auf den in den folgenden Abschnitten zurückzukommen sein wird. Es war juristisch der Endpunkt einer Entwicklung, die mit dem späten 18. Jahrhundert begonnen hatte, als den Frauen verschiedene gesetzliche Privilegien, unter anderem in einigen Bundesstaaten sogar das Wahlrecht, weggenommen worden waren, und die zusammenfiel mit der Entstehung der modernen Hausfrauenrolle. Damit konnte schließlich der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten 1873 festschreiben: »Gott (schuf) die Geschlechter für die Betätigung in unterschiedlichen Sphären des Handelns, und... Männern stand es zu, die Gesetze zu machen, anzuwenden und auszuführen...«[18] Die Bedeutung dieser Entwicklung erschöpft sich hierin jedoch nicht und führt uns zu dem dritten der obengenannten Widersprüche: Warum wurde, nach verheißungsvollen Anfängen, die weiße von der schwarzen Frauenbewegung gespalten? Diese für die damalige Verschiebung der gesamtgesellschaftlichen Machtverhältnisse zentrale Frage betrifft nur noch sekundär die Schwarzenbefreiung, den Abolitionismus und die weiße Frauenbewegung; an den extremen Polen dieses Verhältnisses stehen vielmehr der weiße Mann und die schwarze Frau. Wir müssen hier zurückgreifen und noch einmal unterstreichen, daß die Sklavenbefreiung nicht ausschließlich das Werk von Männern (und schon gar nicht der weißen »Befreier« aus dem Norden) war, daß nicht nur die Frauenbewegung sich aus der Abolitionsbewegung entwickelte, sondern daß die schwarzen Frauen - über zwei Millionen lebten damals in den USA - in beiden Bewegungen eine entscheidende Kraft waren, sowohl durch ihre Widerstandsaktivitäten als auch durch ihre strategische Position. Kein Zufall ist es, daß die erste bei Flexner genannte Abolitionistin, die öffentlich auftrat und dafür Spott und Aggression erntete, die Schwarze Maria W. Stewart war, und »General« Harriet Tubman und Sojourner Truth, die wir in Flexners Buch kennenlernen, stehen für viele andere, zum Beispiel die Sklavin Fanny. Sie war, in den Worten ihrer Tochter, »die gescheiteste schwarze Frau in Eden. Sie war schnell wie ein Blitz, und was immer sie tat, konnte keiner besser tun. Sie konnte alles. Sie kochte, wusch, bügelte, spann, pflegte Kranke und Kinder und schaffte auf den Feldern. Sie war ebenso eine gute Feldarbeiterin wie eine gute Köchin... Bei all ihrer Arbeitsfähigkeit war sie doch keine gute Sklavin. Sie war zu willensstark, ungestüm und unabhängig. Ich sag euch, sie war ein Kapitän. Die eine Lehre, die mir meine Mutter beibrachte und in all meine Sinne prägte, war, daß ich mich niemals und von niemandem mißbrauchen lassen dürfte. >Ich bring dich um, Mädchen, wenn du nicht für dich selbst geradestehst< pflegte sie zu sagen. >Kämpf, und wenn du nicht kämpfen kannst, tritt; wenn du nicht treten kannst, dann beiß.< Im allgemeinen war Mutter bereit zu arbeiten, aber wenn sie keine Lust hatte, etwas zu tun, konnte niemand sie dazu bringen.«[19] Aber schon seit dem frühesten Stadium der Bewegung und seit der Gründung der Amerikanischen Antisklaverei-Gesellschaft 1833 bis zum Jahr 1868 läßt sich die ambivalente Vorgeschichte der negro's hour verfolgen: Die weißen männlichen Abolitionisten, gerade diejenigen, deren Aversion gegen die Sklaverei nicht frei von den Tendenzen des neuen Rassismus war, protestierten immer wieder gegen die Vermengung von Negerfrage und Frauenfrage und demonstrierten damit (im besten Fall) ihre Unsensibilität und (im schlimmsten Fall) ihre Verachtung gegenüber der schwarzen Frau als der Schlüsselfigur dieser Vermengung. Als um 1868 im Norden die Politik der negro's hour formuliert wurde und scheinbar dem Wahlrecht der Schwarzen zuungunsten des Frauenwahlrechts Priorität zusprach, verschleierte dies - über die Spaltung zwischen Schwarzen- und Frauenbewegung hinaus - die Tatsache, daß der Sieg der Schwarzen die Negerinnen ausschloß, sie zum eigentlichen Opfer dieser Politik machte und damit innerhalb der relativ egalitär strukturierten schwarzen Community eine gänzlich neue Spaltung und Hierarchie schuf. Die Befreiung der Schwarzen sollte mit der Unterwerfung der Frauen unter die Männer erkauft, ihr Verhältnis demjenigen zwischen weißen Frauen und Männern, wie es sich im Verlauf der industriellen Entwicklung des 19. Jahrhunderts herausgebildet hatte, angeglichen werden: eine entscheidende Station auf dem Weg, der seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Hausfrauenrolle auf alle Frauen - Dienstmädchen, Immigrantinnen usw. - ausdehnte und sie endgültig zur Natur der Frau als Geschlechtswesen zu machen suchte. Sojourner Truth sah dies 1867 sehr präzis:
»Ich komme von woanders her - aus dem Land des Sklaven. Er hat seine Freiheit bekommen - so weit so gut: die Sklaverei ist teilweise zerstört; nicht gänzlich. Ich will sie von Grund auf zerstört sehen. Dann werden wir tatsächlich alle frei sein. Wenn ich mich gegen all das, was mir wie einem Mann angetan wurde, auflehnen will, so verlange ich das Recht, genausoviel zu haben wie ein Mann. Viel wird davon geredet, daß schwarze Männer ihre Rechte bekommen sollen, aber nicht ein Wort über die schwarzen Frauen. Wenn schwarze Männer ihre Rechte kriegen und die schwarzen Frauen nicht die ihren, dann werdet ihr sehen, daß die schwarzen Männer Herren über die Frauen sein werden, und es wird genauso schlimm sein wie zuvor .. . Ich will, daß Frauen ihre Rechte bekommen . . . Ich habe eine Menge gearbeitet, so viel wie ein Mann, aber bezahlt hat man mir nicht soviel. . . Wir tun ebensoviel, wir essen ebensoviel, wir wollen ebensoviel. Was wir wollen, ist ein bißchen Geld.«[20]
Die Politik der negro 's hour hatte ihre bis heute wirksame Nachgeschichte: Denn hiermit legte die weiße männliche Oberschicht eine Situation fest, in der die schwarzen Frauen auf die unterste Ebene der gesellschaftlichen Hierarchie fixiert wurden, und dies ist ein zentrales Faktum innerhalb der nordamerikanischen Kapitalakkumulation, die gerade in diesem Zeitraum auf der systematischen Stratifizierung der Arbeiterklasse - Hausfrauen eingeschlossen - und der Ausspielung der diversen Schichten gegeneinander basierte. Die Unterwerfung der schwarzen Frauen als Hausfrauen unter ihre Männer gelang damals nicht, da die Frau in ihrer Community eine zu starke Position hatte und da der Zustrom schwarzer (männlicher) Arbeitskraft in die expandierenden Industrien hinausgeschoben wurde: denn man fürchtete ihre Aufsässigkeit, und im übrigen füllten in der Generation nach 1880 Millionen von Immigranten aus dem Ausland die Fabriken des Nordens (und wurden von der neuen Machtverteilung innerhalb der Familie erfaßt). Aber die moderne Figur der schwarzen Frauen wurde damals gleichwohl festgelegt: Während ihre Männer in ungelernten Jobs oder als Arbeitslose kaum Geld verdienen, verrichten die Frauen in allen Bereichen die härteste Arbeit; sie sind die mammies der schwarzen Community, Dienstmädchen der weißen Oberklasse und ihrer Kinder und die Prostituiertenpar excellence. In ihnen wird die Hausarbeit aller Frauen augenfällig sichtbar, aber sie vermag ihnen nicht einmal den Lohn eines Mannes zugänglich zu machen und bleibt absolut un- oder unterbezahlt, eben weil sie die unterste Schicht der Gesellschaft repräsentieren. Mit ihrer Machtlosigkeit sich zu identifizieren, fiel auch den offensten weißen Frauen schwer, selbst wenn sie gleichzeitig die imponierende Gestalt und die Kämpfe der schwarzen Frau ums Überleben bewundern mochten. Diese Spaltung zwischen schwarzen und weißen Frauen machte es umgekehrt möglich, die Arbeit aller Frauen - als Ehefrau, Mutter, Sexualobjekt: als Hausarbeiterin - unsichtbar zu halten und, nachdem der viktorianische Frauenkult durch die »hundert Jahre Kampf« unterminiert worden war, ihn durch den modernen, soziologisch und psychologisch begründeten »Weiblichkeitswahn« zu ersetzen, die unbezahlte Hausarbeit mit dem neuen »wissenschaftlichen« Schein eines höheren Werts auszustatten. Es war kein Wunder, daß in der letzten Phase des Kampfs ums Frauenwahlrecht dessen Gegner (und Befürworter!) nicht nur die höhere Würde der Frau in Gefahr sahen, sondern daß sie vor allem »die Stimme der farbigen Frau« fürchteten und daß, »wenn die große Masse von Stimmen ignoranter Einwanderinnen der großen Masse von Stimmen ignoranter Einwanderer hinzugefügt wird, ständige Forderungen nach Arbeit, Geld, Brot und Muße aufkommen werden«.[21] Es ist ebenfalls kein Wunder und muß vielmehr wiederum als die strategische Basis der neueren Frauenbewegung begriffen werden, daß die Bewegung der Schwaben Frauen in der Entstehungszeit von Flexners Buch zentral für die Kämpfe der schwarzen Community und eine Vorläuferin der weißen Frauenbewegung war. Dies hervorzuheben ist wichtig, denn seit Mitte der 1960er Jahre sind erneut Kräfte am Werk, die die partiellen Erfolge der Schwarzenrevolte mit einer Unterwerfung der schwarzen Frau unter den schwarzen Mann in Schach zu halten suchen: Die moderne Kernfamilie, das Angriffsziel der neueren weißen Frauenbewegung und - wie im folgenden Abschnitt gezeigt werden soll - die historische Organisationsform der unbezahlten weiblichen Hausarbeit, soll nun auch einer angeblich degenerierten Familienstruktur der Schwarzen aufoktroyiert und gegen ein angebliches »Matriarchat« schwarzer Frauen eingesetzt werden. Der schwarze Mann, »befreit« von seiner Arbeitslosigkeit, soll das Geld verdienen, die schwarze Frau, »befreit« von ihren spärlichen Einkommensquellen wie Wohlfahrt und entlohnte Hausarbeit, soll mit ihrer unbezahlten Arbeit dafür sorgen, daß es sparsam, nutzbringend und im Dienst der Zähmung einer schwarzen Jugendrevolte ausgegeben wird.[22] Die heutigen Kämpfe der schwarzen - und weißen - Frauen um ihr »Recht auf Wohlfahrt«, nicht als Almosen, sondern als Bezahlung ihrer Arbeit, um Autonomie ohne den Preis von Mehrarbeit, sind die Antwort darauf.
»Und glaubt mir, meine lieben Freundinnen, dies
ist keine Arbeit.«
(Treatise on the Management of Children, 1811)
Die Frage nach den Gründen für die konservative Wendung der Frauenwahlrechtsbewegung führt zu einem zweiten Problemkreis: der Situation der einheimischen weißen Frauen. Wie auch in anderen Ländern engagierte sich in den USA nur eine Minderheit der Frauen aktiv in der Bewegung und Organisation, die Flexners Buch darstellt. Wie lebten die vielen anderen? Fanden sie sich ab mit dem Alltag ihrer women's sphere, der Inferiorität und Machtlosigkeit, die von den Suffragetten in Frage gestellt wurde, oder fanden sie andere Formen als diese, ihren Bedürfnissen nach Entfaltung und Macht nachzugehen und gar zu kämpfen? Mit anderen Worten: waren sie Opfer oder waren sie Akteurinnen, oder gar beides? Die Frage hängt zusammen mit derjenigen nach dem Verhältnis zwischen der organisierten Bewegung und der Mehrzahl der Frauen, zwischen ihren jeweiligen Zielen und Interessen: War der Kampf um die Frauenrechte das Werk einer kleinen, aber wachsenden Zahl starker und bewußter Frauen, die bei den anderen mit der Botschaft der Befreiung warben, oder muß die sichtbar-organisierte Frauenbewegung eher als die Spitze eines Eisbergs gesehen werden, dessen Basis die weniger sichtbaren Frauen »bewegten«? Der Versuch einer Antwort muß an einigen Punkten wiederum über Flexners Beschreibung hinaus-und auf die Ergebnisse der neueren Sozial- und Frauengeschichtsschreibung zurückgreifen; er muß ausgehen von der Frage, was denn eigentlich die historische Bedeutung der women's sphere, als Norm und als Realität, war. Festzuhalten ist in erster Linie, daß sie kaum etwas zu tun hatte mit der »traditionellen« Rolle der Frau vor dem 19. Jahrhundert. Die women's sphere war Produkt einer Entwicklung, die mit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts - der Zeit der amerikanischen Revolution - einsetzte und in den 1820er und 1830er Jahren - der Zeit der demokratischen Transformation der Ära Jackson - im wesentlichen ausgebildet war, zumindest in dem industriell entwickelten und sozial führenden Nordosten, von dem zu eben dieser Zeit die Frauenbewegung ihren Ausgang nahm. Oft beschrieben, und deshalb in Flexners erstem Kapitel nur als Hintergrund umrissen, ist die Situation der Frauen vor dieser Zeit. Sie waren integraler Bestandteil einer agrarischen Subsistenzwirtschaft, in der Frauen, Kinder und Männer gleichermaßen an der Erwirtschaftung der notwendigen Lebensmittel teilhatten, und zwar in einer Form von Arbeitsteilung, die, keineswegs identisch mit der modernen Trennung zwischen »inner«- und »außerhäuslich«, die Produktion eines Teils der Güter den Frauen, eines anderen den Männern zuwies; sie war organisiert in der patriarchalischen Familie: Außer den Blutsverwandten umfaßte diese auch Dienstpersonal und Kinder anderer Familien, war eng mit der Gemeinde verflochten und übernahm Dienste an Armen, Kranken und Alten. Trotz ihrer anerkannten Unterordnung unter die Männer in politischen und kirchlichen Entscheidungsprozessen war es den Frauen der Kolonialzeit möglich, ihre eigene gesellschaftliche Macht und Bedeutung zu demonstrieren: Sie wurden als unentbehrliche Arbeitskräfte respektiert, waren aggressiv, wurden oft genug handgreiflich, ihr Klatsch und ihre ungezügelte Sprache waren ein wichtiges Element der Kommunikation in der Gemeinde. Der Puritanismus erlaubte nicht nur, sondern förderte die Sexualität, wenn auch nur in den (nicht selten überschrittenen) Grenzen der Ehe. Die Frauen wurden, wie die Männer, auf ihre Arbeit hin erzogen, aber nicht auf eine Norm von »Weiblichkeit« hin sozialisiert; es gab keine »Natur der Frau« als unterschieden oder gar gegensätzlich zu einer »Natur des Mannes«.[23]
Mit dem zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts brach die Kommerzialisierung und Monetarisierung des Lebens durch: Immer mehr wurde nicht nur fürs Überleben, sondern für den Verkauf produziert, und die zuvor - anders als im europäischen Feudalismus - relativ egalitäre Sozialstruktur machte einer Stratifizierung in die better, middling und lower sort Platz. In den zwei bis drei Generationen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts schienen auch die Frauen an dieser Entwicklung teilzuhaben. Ihre Situation verlor die relative Homogenität, und wir finden sie in unterschiedlichsten Situationen zwischen Reichtum und Armut, in- und außerhalb familiärer Bindungen. Noch Ende des Jahrhunderts konnte man lesen, daß »eine tugendhafte Frau eine gute Ökonomin ist. Sie arbeitet nicht nur mit ihren Händen, um die nötigen und angenehmen Dinge des Lebens zu erhalten; sondern sie sorgt weise für ihr Einkommen und dessen Ersparnis«. Und noch 1793 konnte ein Geistlicher den Frauen empfehlen, aus den tausenderlei wertvollen Produkten ihres Haushalts kommerzielle Unternehmen zu machen, »um alle Gelegenheiten zur Vermehrung ihres Reichtums zu nützen«. Denn, so fuhr er fort, »weit entfernt davon, männlich und für das zarte Geschlecht unpassend zu sein, trägt er zu ihrem Wohlergehen bei«.[24] Andererseits wuchs die Zahl verarmter und alleinstehender Frauen, die eine Zeitlang von städtischer Wohlfahrt lebten, bis sie - über die Kasernierung in Arbeitshäusern und Gefängnissen - gezwungen wurden, »für einen Lebensunterhalt zu arbeiten«. Arbeit fanden sie in dem neu entstehenden Dienstbotenberuf, wo sie die Leibeigenen (indentured servants) und die Kinder ablösten, und vor allem in den neuen Fabriken. Den Weg in die Fabrik, allerdings nur für wenige Jahre, suchten ebenfalls Töchter von Landwirten, die sich mit Hypotheken auf ihre Farm verschuldet hatten, um diese abzuzahlen. Sie arbeiteten »für den Zweck, zu dem wir zusammengeführt worden sind: nämlich Geld zu bekommen, so viel und so schnell wir können«. Die Fabrikindustrie der USA - um 1840 zählte man allein in der Baumwollindustrie 1200 Betriebe, davon zwei Drittel in Neuengland - entstand in jeder Hinsicht auf dem Rücken von Frauen: sei es durch ihre Arbeitskraft in den Fabriken, die von den Männern aus guten Gründen gemieden wurden und die in dem führenden Textilsektor bis 1860 zu über drei Viertel Frauen beschäftigten, sei es durch Veränderungen ihrer häuslichen Arbeit, deren einstige Produkte nun immer mehr gewerblich hergestellt wurden und deren Produktivität immer ausschließlicher der Versorgung von Mann und Kindern diente.[25] 1851 blickte ein Autor zurück auf die alte Gesellschaft: Damals »war das Haus eine Fabrik auf der Farm, und die Farm lebte und produzierte für das Haus«; heute, nach einem »Übergang von der Macht der Mütter und Töchter zur Macht von Wasser und Dampf« findet er eine »vollständige Revolutionierung des häuslichen Lebens und der gesellschaftlichen Sitten«.[26]
Worin bestand diese Revolution und was war aus der »Macht der Mütter und Töchter« geworden? Sie war, um es vorwegzunehmen, ein umfassender Prozeß der Enteignung der Frau von ihrem »Recht auf die Früchte ihrer Arbeit« (Lucy Stone). Sie wurde bewirkt durch einen »Wandel in der Auffassung der weiblichen Arbeit«[27], nämlich durch deren inhaltliche Neubestimmung und gleichzeitige Entwertung: durch den Ausschluß dieser Arbeit aus der Welt der bezahlten, d. h. der Arbeit, durch den Ausschluß der Frauen aus der als »männlich« definierten Welt des Gelds als Basis von Überlebensmöglichkeit, Unabhängigkeit und Macht in einer um sich greifenden Geldwirtschaft, und damit durch ihre gesellschaftliche Entmachtung.[28] Denn sie wurden in übergroßer Mehrheit nicht etwa von Arbeit befreit, sondern ihnen wurde eine Arbeit zugewiesen, die nicht als Arbeit zählte, sondern als »weibliche Natur«, als Ausdruck von »Liebe«: eine Umwertung der Frauenarbeit, die sich in dem viktorianischen »Kult des wahren Frauentums« (cult oftrue womanhood), der Glorifizierung der weiblichen Attribute von Gehorsam, Frömmigkeit, Reinheit und Häuslichkeit, niederschlug.[29] Hinter diesem die amerikanische Gesellschaft und Kultur des 19. Jahrhunderts beherrschenden Mythos verbirgt sich, segregiert von »Produktion« und Erwerb, die Entstehung der unbezahlten Hausarbeit als die technische, sexuelle und emotionale Produktion der gesellschaftlichen Arbeitskraft und damit die Entstehung der modernen Hausarbeiterin bzw. »Hausfrau«: das Wort hou-sewife setzt sich über das 19. Jahrhundert hinweg gegenüber dem der lady allmählich durch, bis es im 20. Jahrhundert die Existenz grundsätzlich aller Frauen benennt.[30]
Nur scheinbar steht dies im Widerspruch zu der Tatsache, daß Frauen die Mehrheit der neuen Lohnarbeiter in der Fabrik stellten; sie ist vielmehr nur die andere Seite der Medaille. Denn von Anfang an, und vor allem seit sie in den 1820er Jahren für höhere Löhne und kürzere Arbeitszeit zu kämpfen begannen, konnten ihre Löhne niedrig gehalten oder konnten sie (seit den 1850er Jahren) durch billigere Einwanderer ersetzt werden, weil nun der »Platz der Frau« - den Arbeitsplatz zu nennen, man geflissentlich vermied - als der »häusliche« definiert wurde. Der Weg der Frau, sich die Mittel zum Lebensunterhalt zu beschaffen, verlief von nun an - es sei denn um den Preis bitterer Armut - über das Einkommen eines Mannes, für den sie arbeitete. Die relative ökonomische Gleichberechtigung bei politisch-religiöser Ungleichheit zwischen Männern und Frauen in der alten Gesellschaft hatte einer neuen Ordnung Platz gemacht, die zu ihrer Entfaltung gleichzeitig billige Arbeitskräfte in der Fabrik und Gratisarbeit im Haus benötigte. In der Fabrik wie in der außerbetrieblichen Gesellschaft war aus der einstigen politischen Hierarchie in Familie und Gemeinde eine ökonomische geworden. Genauer gesagt: die einstige politische Hierarchie war in den Dienst der ökonomischen Neuordnung gestellt worden - als Hierarchie der Löhne, die von den höheren der Männer über die niedrigen der Frauen in »der« Produktion bis zur Unbezahltheit der Produktion von Arbeitskraft durch die Frauen reichte. Dieser Formwandel der Unterwerfung von Frauen war ein Grundpfeiler für die Durchsetzung des modernen Kapitalismus in den USA, und diese neue Form der Unterwerfung war integraler Bestandteil der Demokratisierung in der Männerwelt - Wahlrecht für »alle«, unabhängig vom Besitz - während der Ära Jackson. Sie war eine entscheidende Phase in einem Prozeß, der die »hundert Jahre Kampf« begleitete und seinen Abschluß im 20. Jahrhundert fand:
»Die Umwandlung der Frauen in eine auf unsichtbare Weise dienende Klasse war eine ökonomische Leistung ersten Ranges. Dienstboten für gesellschaftlich unterbewertete Arbeiten standen einst nur einer Minderheit der vorindustriellen Bevölkerung zur Verfügung; die dienstbare Hausfrau steht jedoch heute auf ganz demokratische Weise fast der gesamten männlichen Bevölkerung zur Verfügung.«[31]
Diese Periode der »Demokratisierung« setzte der vorausgegangenen Phase, in der sich den Frauen neue, unterschiedliche und oft spärliche Erwerbsmöglichkeiten zu öffnen schienen, ein Ende. Warum und wie im einzelnen, ist nicht leicht zu umreißen, denn der Prozeß verlief nicht geradlinig, kapitalistische Entwicklung und Unterentwicklung beeinflußten ihn wechselhaft, und er wurde keineswegs nur durch die Männer und nur gegen die Frauen durchgesetzt - allerdings sehr wohl in seiner frühen Phase. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte sich die Norm (und die Realität) zuerst für die reicheren Bürger- und Unternehmerfamilien gewandelt. Eine Doktrin von den Aufgaben und der Natur der müßigen lady wurde propagiert; ihre Muße sollte nach außen die Repräsentationspflichten des tagsüber abwesenden Mannes erfüllen, nach innen ein neuartiges, intim-privates Glück versprechen. In zahllosen Schriften wird das Bild einer Frau proklamiert, für die »Unterwürfigkeit und Gehorsam das Leben bestimmen, und Friede und Glück seien ihr Lohn«. Ihren »Lohn« finde die Frau außerdem in der schmeichelhaften Versicherung, daß die Unterschiede zwischen Mann und Frau, ihre Bestimmung zum Dienst an seinem Glück, die Quelle ihrer moralischen Überlegenheit seien. »Die angemessenen Bereiche der Geschlechter unterscheiden sich grundlegend«, heißt es 1798, und die Aufgabe der Frau ist die »Sorge für die Familie«: »Mitgenommen von den geschäftigen Sorgen und Schauplätzen der Welt eilt der Ehemann zu seinem Heim, wo das besänftigende Lächeln der Freundin seines Herzens die Düsterkeit seiner Sinne vertreibt und das Wohlbefinden seines Herzens erneuert.« Vor allem aber sei ihre Existenz, anders als die männliche, bestimmt von Liebe. Die gänzlich neue Ideologie der romantischen Liebe erklärte diese zur Sache der Frauen und bestimmte sie gleichzeitig als opferfreudiges Aufgeben eigener Identität und eigener Bedürfnisse: »Gewährt eine Frau von edlem Gemüt ihre Neigung, so gibt sie zu Recht ihr ganzes Selbst auf.«[32]
Bis Anfang des 19. Jahrhunderts waren diese Lehren männlicher Publizisten noch im Fluß und beschränkt auf die Bibliotheken der Oberklasse. Zu einer kohärenten Doktrin wurden sie erst, als ihre massenhafte und weit über die »Frauen von edlem Gemüt« hinausgreifende Propagierung zwischen 1820 und 1840 von einer Schicht übernommen wurde, deren Macht durch die beginnende Kapitalisierung ebenso bedroht schien wie die der Frauen: die Geistlichkeit, der hiermit eine neue gesellschaftliche Funktion zuwuchs, nachdem sie von den Zentren der politischen Macht ausgeschlossen worden war. Die strenge kalvinistische Theologie von Schuld und Sühne wurde »liberalisiert«, »entmännlicht« und »sentimentalisiert«. Die neue Religion predigte ein Bild von Heim, Familie und Frau, das, scheinbar aller Arbeit entkleidet, einen »moralischen« und »zivilisierenden« Einfluß auf die harte Welt von Geld und konkurrierender Arbeit ausübte; stiller »Einfluß« sei die Weise, in der die Frauen, trotz (oder wegen) ihrer Machtlosigkeit, die Gesellschaft zu lenken vermögen. Man erklärte sie zu Repräsentantinnen einer Moral und Religion, die sowohl Gegenmittel gegen Arbeit wie Antrieb zur Arbeit war. Der religiös-moralischen Aufgabe der Frau, ein »Heim von Glück und Ruhe« für den Mann zu schaffen, und der Identifikation von Weiblichkeit mit Erholung und Regeneration für ihn treten nun, in den Ermahnungen des Klerus und anders als im älteren Bild der lady, noch zwei weitere zentrale Motive an die Seite. Das erste ist die viktorianische Lehre von der sexuellen Passivität der Frau, gekoppelt mit der Lehre von der zwar verwerflichen, aber doch »natürlichen« sexuellen Aggressivität der Männer; ihr galt die Frau - wie der »jungfräuliche« Kontinent, der gleichzeitig in den Kriegen gegen die Indianer erobert wird - als Objekt der Unterwerfung, und zwar in beiden Fällen mit möglichst »ökonomischem« Aufwand an (sexueller) Energie. Das zweite neu hinzugefügte Motiv ist die Definition und Mystifizierung der Mutterschaft als Wesen von Weiblichkeit und die Bestimmung der gesellschaftlichen Macht der Frau als einer Macht über Kinder - eine vollkommene Neuerung gegenüber der alten Gesellschaft, wo es eine Kindheit und Erziehung im modernen Sinn nicht gab und wo die Macht über die Kinder bei dem grundsätzlich anwesenden Familienpatriarchen lag.[33]
Es wäre kurzschlüssig, wollte man diesen »Kult des wahren Frauentums« lediglich als repressiv beschreiben. Als regelrechte »Kampagne zur Umstrukturierung der weiblichen Persönlichkeit«[34] hat er vielmehr, gerade in der Weise, wie sich in ihm Superiorität und Inferiorität, Macht und Ohnmacht der Frauen verschlingen, eine subtile gesellschaftliche Funktion, die sich in drei Momenten benennen läßt. Zum einen wird hier die moderne Hausarbeit der Frau im Rahmen eines neuen, um das Ehepaar und seine Kinder zentrierten Familientyps umfassend definiert: als Häuslichkeit, emotionale Dienste am Mann, Einsatz ihrer psychischen Energie im Dienst einer Kindererziehung, die auf wohldosierte, die künftige Arbeitskraft präparierende Weise Rationalität (als Arbeitsethos), Emotionalität (Liebe und Liebesentzug) und Repression (z. B. als Onanieverbot) kombiniert. Das zweite Thema, das die viktorianische Norm in all ihren sexuellen, emotionalen und haushälterischen Aspekten durchzieht, wird in einer der vielen damals erscheinenden Anleitungen zur Kindererziehung kurz und bündig zusammengefaßt: »Und glaubt mir, meine lieben Freundinnen, dies ist keine Arbeit«, heißt es lapidar in einem Treatise on the Management of Children von 1811.[35] Eine Sphäre der Frauenarbeit wird geschaffen, deren Arbeitscharakter zugleich negiert und unsichtbar gemacht wird, indem man ihr hohen moralischen Wert zuerkennt und sie zur Natur der Frau erklärt. Das dritte Moment der gesellschaftlichen Bedeutung des Frauenkults läßt sich wiederum an einem Beispiel verdeutlichen, nämlich am Schicksal des Buchs der Abolitionistin und Reformerin Lydia Maria Child, das 1830 unter dem Titel The Frugal Housewife (Die sparsame Hausfrau) erschien. Es war eine unter vielen Schriften, die die Hausfrau in ihrer Arbeit für die Familie anzuleiten suchten und den neugeschaffenen Platz der Frau als »Beruf« innerhalb einer »göttlichen Ökonomie« (Catherine Beecher) deklarierten. Nicht unähnlich dem Arbeitsethos, das in dem allmählich in männliche Hände übergehenden Bereich der Lohnarbeit in diesem Jahrhundert durchgesetzt wurde, suchte diese Literatur auch die Hausarbeit mit einem professionellen Ethos auszustatten, und zwar - wiederum analog zur Lohnarbeit mit Technologie, Effizienz, Ordnung und Systematik. Nicht zu Unrecht wurde gesagt, daß »diese Sorge um Effizienz im häuslichen Bereich und auf das Drängen von Frauen entstand, nahezu ein Jahrhundert bevor sie in die Fabriksituation eingeführt wurde.«[36] Als nun The Frugal Housewife der verbreitetsten Frauenzeitschrift, die sich sowohl für die Zulassung von Frauen zum höheren Bildungswesen wie für den viktorianischen Frauenkult einsetzte, zur Besprechung vorgelegt wurde, erhielt es Lob, allerdings nur ein eingeschränktes. Die Einschränkung beleuchtet schlagartig, was die »Sentimentalisierung« der Frauenexistenz und -arbeit gesellschaftlich bedeutete: Wenig erfreut war man über die ökonomische Umsicht und den praktischen Nutzen des Buchs, über die Erinnerungen an Arbeit und Kenntnisse der Mütter und Großmütter; besonders beunruhigt war man jedoch darüber, daß es den Wert des
Gelds auf eine Weise betonte, die der Frau nicht anstehe: »Unsere Männer sind schon genügend aufs Geld ausgerichtet. . . laßt uns Frauen und Kinder von der Ansteckung so lange wie möglich fernhalten.« Männliche Dollars durften nicht in das weibliche Bewußtsein dringen, es sei denn als männliche Dollars; die schmutzigen Gesetze des Erwerbs hatten die Frauen (wenigstens scheinbar) zu ignorieren, und die weibliche Rolle als höheres moralisches Vorbild des arbeits- und wettbewerbsorientierten Ehemanns verschleierte selbst ihre Arbeit des Einkaufens.[37]
Wie ihre Arbeit so wurde die Frau, als Wesen mit eigener Stärke und eigenen Bedürfnissen, unsichtbar. Nachdem 1820-1840 die Geistlichen diesen Kult gepredigt hatten - »Seht ihr nicht den gründlichen Plan des Klerus gegen uns Frauen?« schrieb Angelina Grimke 1837 und denunzierte zwei Jahre später den »Krieg« des männlichen Klerus gegen »Geist, Herz und Seele der Frau«[38] -, folgten ihnen die Ärzte, die dem gesprochenen und geschriebenen Wort über die Passivität und Häuslichkeit der Frau mit Kuren und Eingriffen nachhalfen: von erzwungener Bewegungslosigkeit bis zu Klitoris-, Eierstock- und Uterusoperationen.[39] Zwischen 1840 und 1860 hatten sich jedoch die Frauen selbst, gefördert von der Mechanisierung der Druckverfahren und einer enormen Expansion der Bücher- und Zeitschriftenindustrie, der literarischen Massenkultur bemächtigt. In zahllosen Varianten zelebrierten ihre sentimentalen Hausromane (domestic novels) den stillen, moralischen Einfluß der Frauen über die Männerwelt. Diese Literatur, deren Massenwirksamkeit unstreitig ist, besticht heute durch ihre Widersprüche. Sie erteilte gleichsam »Kurse in Einkaufsmentalität« und versprach zugleich einen Reichtum ohne Arbeit, ohne Geld, ohne Kampf - Gefühle und vegetative Bilder waren ihr Inhalt. Sie pries die romantische Liebe, die mit Sexualität nichts zu tun hatte und nach der Heirat von arbeitsamer Zurückhaltung abgelöst wurde. Frauen heiraten nicht wegen Geld und Status, und doch: »Hausfrau sein ist die schwierigste Art der Welt, sich einen Lebensunterhalt zu schaffen«, heißt es 1853 in einem dieser Romane, für die die Alternative lautete: Prostitution oder Mutterschaft. Der Hausroman, in dem vor dem Bürgerkrieg Frauen die viktorianische Norm weiblicher Reinheit und Überlegenheit zum Beleg ihrer eigenen Existenz und Existenzberechtigung auszubeuten suchten, drückte ihre ständige »Angst vor der Unsichtbarkeit« aus.[40]
Waren die Frauen also, gemessen an heutigen Standards, Opfer? Oder, wenn wir - historisch korrekter und der damaligen Realität angemessener - akzeptieren, daß man ihnen als unentbehrlichen, wenn auch unsichtbaren Arbeitskräften tatsächlich eine wirksame moralisch-kulturelle Autorität zugestehen mußte und daß außerdem die Idyllisierung und Privatisierung des weiblichen Lebensbereichs tatsächlich als eine Gegenwelt zur Wirtschaftsrealität erscheinen mochte, nicht unähnlich gewissen Tendenzen von »Gegenkultur« in unserem Jahrhundert: war diese Überlegenheit und »Alternative« gegenüber der harten Realität des Kapitalismus nicht ein Pyrrhussieg, der ihnen nur einen Ersatz von Macht, nicht aber wirkliche Macht brachte, und vielmehr die Abhängigkeit und die Milliarden unbezahlter Arbeitsstunden perpetuierte? Gewiß - aber nicht nur. Die Norm entsprach nur partiell der Realität. Einige wenige Hinweise müssen hier genügen. Ihren Autorinnen brachten die Hausromane und die sentimentale Kulturindustrie das, was ihnen die Männerwelt versagte: Geld, Anerkennung, greifbare Macht; der Beruf der Schriftstellerin war um 1800 noch unbekannt, um 1860 respektabel; die Hälfte der bekannteren Autorinnen war im übrigen unverheiratet und hatte keine Kinder, sie waren eher aggressiv und wettbewerbstüchtig. Brachte diese Ausnutzung der viktorianischen Norm, die indessen oft an unaufrichtige Anpassung[41] grenzte, einigen wenigen Frauen ein Stück Unabhängigkeit, so unterschieden sich Norm und Realität für die Masse der Frauen noch auf andere Weise. Die vielbeschworene Muße der lady, die bei den Frauen der Oberschicht nicht selten zu Neurosen - Leid und Widerstandsversuch in einem - führte, hatte im Leben von Frauen der mittleren und Unterschichten einschließlich der Farmersfrauen keinen Platz: Die harte Realität der Hausarbeit, die auch durch Haushaltstechnologie und die Herstellung vieler Bedarfsartikel im industriellen Bereich kaum gemildert wurde, blieb der Gesellschaft, aber nicht ihnen selbst verborgen, und über die Leiden an Geburten, Fehlgeburten, Uterussenkung und -Vorfall, Abtreibung konnte auch der Mutterschaftsmythos nicht hinwegtäuschen.[42] Die viktorianische Norm untersagte, aus anderen Motiven als reiner Liebe sich einem Mann zu nähern: und doch nahm während des gesamten 19. Jahrhunderts die Zahl der Frauen zu, die sich zur Heterosexualität nicht nur passiv verhielten und sie, wie ihre Großmütter, als eine prosaische und wirtschaftliche Angelegenheit betrachteten. Prostituierte und Nicht-Prostituierte kämpften gegen die polizeiliche Reglementierung und Verfolgung des Gewerbes, und eine der betroffenen Personen antwortete in einem Verhör mit Worten, die neueren Feministinnen nicht fremd sind: »Kennen Sie den Mann, der William Simmons genannt wird?« »Ja.« »Haben Sie mit ihm eine Zeitlang gelebt?« »Ja, sechs oder sieben Jahre.« »Als seine Frau?« »Ja.« »Sie sind keine Prostituierte?« »Nein, nur für diesen einen Mann,.. . denn er hat immer seinen wöchentlichen Lohn nach Hause gebracht.«[43] Den eingewanderten Frauen, deren Zahl seit der Jahrhundertmitte stark zunahm, war die viktorianische Norm ohnehin fremd, ebenso wie den schwarzen Frauen. Vor allem aber erschlossen sich Frauen häuslichen und außerhäuslichen Zugang zu Geld für ihre Hausarbeit, sei es als Näherinnen und Wäscherinnen, sei es durch Untervermietung an Kostgänger und Schlafburschen.[44]
»Wieviel Unabhängigkeit haben wir gewonnen,
wenn wir Enge und Mangel an Freiheit im Haus
mit Enge und Mangel an Freiheit in der Fabrik,
in der Heimarbeit, im Kaufhaus oder im Büro tauschen?
Welch glorreiche Unabhängigkeit!«
(Emma Goldmann, The Tragedy of Women's
Emancipation, 1914)
Noch in einem andern Sinn entsprach die Norm nicht der Realität: Frauen akzeptierten sie nicht passiv, sondern sie kämpften gegen sie und fanden hier den Ausgangspunkt für ihren alltäglichen Widerstand. Weit bedeutsamer als die Ausnutzung des Frauenkults durch die Verfasserinnen der Hausromane ist die Tatsache, daß Frauen an dem ihnen zugewiesenen Arbeitsplatz Haushalt jene Norm in subversivem Sinn zu ihren Gunsten wandten. Sie waren hier nicht nur Opfer, sondern fanden realitätsgerechte und selbstbewußte Formen von Lebensbewältigung, Arbeitserleichterung und Kämpfen, die historisch verschleiert und verschwiegen werden konnten, weil auch ihre Arbeit unsichtbar geworden war. Es ist genau dieser Bereich, wo wir die Verbindung - und die Distanz - zwischen dem Alltagsleben der Frauen und der Wahlrechtsbewegung suchen müssen; auch hier müssen einige Hauptlinien genügen, die an Flexners Darstellung anknüpfen. Männliche Sexualität galt als - und war - aggressiv und frauenfeindlich, nur in Passivität zu erdulden. Frauen antworteten darauf während des gesamten 19. Jahrhunderts mit intensiven und oft lange und über große Entfernungen dauernden Freundschaften untereinander, denen nicht-aggressive Sexualität durchaus geläufig war und in denen sie, jenseits ihrer Funktion als Spiegel des Mannes, ihre eigene Identität suchten und entfalteten: »Nicht weil du gut bist, liebe ich dich«, schrieb eine, »sondern wegen deines eigenen Wesens.« Ein Netz von Beziehungen, ausgehend von dem Mutter-Tochter-Verhältnis und der weiblichen Verwandtschaft, verband die Frauen und ermöglichte ihnen, sich haushälterisch und emotional zu unterstützen und Sexualprobleme zu besprechen, die ihren Männern fremd waren. »Mir scheint unsere Verbindung«, heißt es in einem Brief, »eine engere zu sein als die meisten Ehen. Wir wissen, daß es ähnliche zwischen Männern und auch zwischen Frauen gegeben hat. Und warum auch nicht?« Und in einem anderen: »Ich wünsche, ich könnte bei dir sein, mit Leib und Geist und Seele - ich würde deinen Mann aus dem Bett werfen - und mich an dich kuscheln und wir würden lange reden wie in alten Zeiten . . . Ich möchte dir so viel erzählen, das in Worten aufzuschreiben unmöglich ist.«[45] Die Frauenfreundschaften der viktorianischen Ära bedeuteten gleichzeitig Verringerung der Hausarbeit und Reproduktion der Arbeitskraft der Frauen selbst, und die Freundschaften innerhalb der Frauenbewegung, die Flexners Buch dokumentiert, müssen in diesem weiteren Zusammenhang von Frauensolidarität gesehen werden.
Die Norm verbot den Frauen den Eintritt in die Männerwelt, segregierte sie, zwar nicht so sehr in dem »isolierten Haushalt«, der erst eine Errungenschaft der Kleinfamilienwohnungen, Wohnsilos und Stadtstrukturen des 20. Jahrhunderts werden sollte, aber in dem gesellschaftlichen Ghetto der women's sphere: und seit Anfang des 19. Jahrhunderts organisierten sie sich zur Erleichterung ihrer Arbeit in einer Vielzahl von Gruppen und Verbänden. Müttervereine suchten seit etwa 1815 Fragen der Kindererziehung und Abtreibung zu lösen, Wohltätigkeitsvereine nahmen früher familiengebundene Aufgaben wahr, »Vereine zur Moralreform« und »Mäßigkeitsvereine« wehrten sich gegen die Dienstleistungen an Männern, und die Parole »Macht durch Reinheit« darf keineswegs lediglich als moralisierender Konservatismus rückständiger Frauen verstanden werden, die das effizienzsteigernde Alkoholverbot für Arbeiter im Sinn kapitalistischer Arbeitsmoral akzeptierten, sondern sie war eine »Rebellion der Frau gegen die wollüstige Ausbeutung durch den Mann« und gegen die finanziellen, emotionalen und sexuellen Auswirkungen von Prostitution und Alkohol auf ihren Arbeitsplatz.[46] Vielfach wurden diese Organisationen auch zu einer Basis für die Aktivitäten der Wahlrechtsbewegung.
Der Kult von Frau und Mutterschaft konnte im 19. Jahrhundert zunehmend alle Forderungen und Aktivitäten legitimieren, die - von der Zulassung zur männlichen Arbeitswelt bis zur »freien Liebe« - in seinem Namen vorgetragen wurden, selbst wenn sie ihn tendenziell sprengten. Während die einheimischen Textilarbeiterinnen, die der ausgelagerten Frauenarbeit in die Industrie nachgefolgt waren, um die Jahrhundertmitte durch irische Einwanderer ersetzt wurden, fanden Frauen, die sich auf die Mutterrolle beriefen, ein Feld gesellschaftlicher Initiative außer Haus im Beruf der Lehrerin: der erste Massenberuf von Frauen aller Schichten, von dem sowohl Impulse zu kinderfreundlicheren Erziehungsmethoden wie zur Zulassung von Frauen zum höheren Bildungssystem ausgingen. Hier wie in den Textilfabriken erfuhren sie bald genug, daß ihre Arbeit weniger wert war als die der Männer, weil sie als Frauen zwar moralisch viel, materiell aber wenig galten, und die Schizophrenie dieser Situation durchzieht viele Dokumente, die die Suche dieser Frauen nach Unabhängigkeit wiedergeben: »Immer trug ich das Gefühl von Edelmut mit mir, das es mir schwer machte, mir den Wert meiner Arbeit bezahlen zu lassen«, klagte die frei geborene Schwarze Maria W. Stewart 1832 bei ihren Bemühungen, schwarze Kinder zu unterrichten.[47] Krankenpflege wurde ein Frauenberuf, die wachsenden Zahlen von Frauenerwerbstätigkeit seit Ende des 19. Jahrhunderts bezogen sich auf »frauenspezifische« (und das heißt, angesichts der historischen Veränderlichkeit dieser Kategorie, in allererster Linie: unterbezahlte) Tätigkeiten, und vor allem entstand der Beruf der Sozialarbeiterin: Frauen, die in den Slums der Großstädte gleichsam vergesellschaftete Hausarbeit leisteten, den Armen und Immigranten halfen, sich selbst zu helfen, nicht zuletzt dadurch, daß sie die ausländischen Frauen rationelle Haushaltsführung lehrten - von »moderner« Kindererziehung über Sauberkeitsstandards bis zur Budgetplanung. Die bekannte Jane Addams ist nur eine von vielen, die sich dieser reformerischen »sozialen Haushaltsführung« zuwandten. Sie stand in einem gesamtgesellschaftlichen Trend, der nicht nur die Industrieproduktion, sondern, ausgehend von den Städten, das gesamte Leben nach rationalen und lei-stungssteigernden Kriterien umzugestalten trachtete. Diese neuen Frauenkarrieren, mit denen faktisch ein Teil der Hausarbeit vergesellschaftet wurde, brachten viele Frauen - nicht ohne Kämpfe - in unabhängige Stellungen im Dienst von Staat und Gemeinde. Aber sie verringerten nicht die Arbeit der übrigen Hausfrauen, im Gegenteil: die modernen Anforderungen an Haushaltung, Einkaufen, sparsame Budgetplanung bei Inflation, Erziehung und Erholung wuchsen. Ihre Aktivitäten legitimierten jene »Hausfrauen der Gesellschaft« oder »Putzfrauen der Nation«, wie sie genannt wurden, damit, daß »die neue Wahrheit, die das amerikanische Frauentum heute begeistert und erhöht, in der Entdeckung besteht, daß der Staat nichts als eine große Familie ist und daß es in diesem nationalen Zuhause einen Raum, eine Ecke und eine Pflicht für >Mutter< gibt«.[48] Darf diese Analogie zwischen Familie und Staat nicht einfach als Perpetuierung der Frauenrolle, sondern als Anspruch gerade der Hausfrauen auf Macht gelesen werden, so hatten jene Frauen damit auch noch auf andere Weise recht: In diesem Zeitraum, beginnend um die Jahrhundertwende, übernahm der Staat zunehmend die Verantwortung und Kontrolle über die Produktion der Arbeitskraft und die Regulation des Arbeitsmarkts. Dieser weibliche Ansturm auf die Männerwelt von Geld, politischer Verantwortung und staatlichen Funktionen war gewiß ambivalent: aber nicht so sehr deshalb (wie oft gesagt wird), weil die Frauen sich des viktorianischen Frauenbilds bedienten - vielmehr müssen wir hierin eine durchaus realistische Bezugnahme auf die tatsächliche weibliche Arbeitssituation sehen -, sondern weil sie damit, wenn auch anfangs noch nicht so deutlich sichtbar, zu institutionellen Kontrolleurinnen von Frauenarbeit wurden. Nicht so sehr für Rechte, sondern für mehr Pflichten setzte man sich hier ein, und Ordnung, Stabilität und Effizienz waren die Parolen dieses »sozialen Feminismus«, dessen »fortschrittlichste« Theoretisierung Charlotte Perkins Gilman lieferte und der zeitlich und funktional den industriellen tayloristischen Rationalisierungstendenzen mit ihrer neuen hierarchischen Fabrikordnung parallel lief.[49] Selbst der Kampf um das Wahlrecht, der »politische Feminismus«, wurde seit den 1890er Jahren immer häufiger mit der Überlegenheit oder Besonderheit der Frauen als Hausfrauen und Mütter und ihrer »Pflichten« innerhalb der neuen Staatsfunktionen gerechtfertigt. Aber auch hier, wie im Fall des »sozialen Feminismus«, der sich mit dem »politischen« häufig überschnitt, ist Vorsicht am Platz gegenüber einer pauschalen Verurteilung dieser Tendenz als konservativ, als angeblicher Verfestigung einer traditionellen Frauenrolle: stellt sich doch eine solche Beurteilung nur allzu sehr auf den Stand dieser »Tradition«, indem sie in ihr lediglich eine »Rolle«, einen Mythos, und hinter diesem nicht die reale, inzwischen festgeschriebene Hausarbeit und reale Ungleichheit von Millionen von Frauen sieht. Die Frauenbewegung vor dem Bürgerkrieg hatte ihre Rechte noch vorwiegend mit der naturrechtlichen Begründung der Gleichheit aller Menschen gefordert: »Was immer moralisch richtig für das Handeln eines Mannes ist, ist auch moralisch richtig für das Handeln einer Frau«, schrieb Sarah Grimke in den 1830er Jahren, und Elizabeth Cady Stanton: »Es gibt keine gesonderten Bereiche für die Geschlechter. Jeder Mann hat einen unterschiedlichen Bereich, in dem er sich entfalten kann oder auch nicht; dasselbe gilt für jede Frau, und jede Frau mag zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Bereiche als die ihren betrachten.«[50] Es handelte sich hier keineswegs um eine abstrakte Gleichheit, denn im frühen 19. Jahrhundert war die alte Gesellschaftsformation noch in Erinnerung und zum Teil noch lebendig. In dieser Übergangsphase, in der, wie wir sahen, das ältere politische Machtgefälle zwischen Männern und Frauen der neuen Ökonomie subsumiert wurde, in der der Zugang zu den Mitteln von Überleben und Macht auf neuartige Weise an dieses Gefälle gebunden wurde, konnten Frauen noch realistischerweise annehmen, daß das Beharren auf der Gleichheit politischer Rechte auch die ökonomische Ungleichwertigkeit von Männern und Frauen grundsätzlich in Frage stellen könnte. In Sarah Grimkes Worten: »Ich bitte nicht um Vorteile für mein Geschlecht. Ich gebe unseren Anspruch auf Gleichheit nicht auf. Alles, worum ich unsere Brüder bitte, ist, daß sie ihren Fuß von unserem Nacken nehmen und gestatten, daß wir aufrecht auf dem Boden stehen, den zu besetzen Gott uns vorgesehen hat.«[51] Mit gutem Grund wurde die Forderung nach Wahlrecht damals als Waffe und darüber hinaus als Symbol aller übrigen Ansprüche verstanden, als Mittel, die Frauen in ein direktes, nicht über ihre Männer vermitteltes Verhältnis zu Staat und Gesellschaft zu setzen: Stanton argumentierte, daß die Forderung und Gewährung des Wahlrechts das Machtgefälle innerhalb der Familie zerstören sollte.[52] Später aber, nach drei Generationen ideologischer, psychologischer und ökonomischer Festschreibung der Unsichtbarkeit und Wertlosigkeit von Frauenarbeit, eine Gleichheit von politischen Rechten zu fordern, wurde abstrakt und verselbständigte sich: Die Frauen hatten nun von ihrer historisch durchgesetzten spezifischen Lebens- und Arbeitssituation auszugehen, zu der die außerhäusliche Arbeit weniger eine Alternative als ein Pendant und eine Zusatzbelastung war. Der Begriff »Feminismus«, der in den USA Anfang des 20. Jahrhunderts aufkam, bezeichnete jetzt diejenige Tendenz unter den Frauenrechtskämpferinnen, die die Besonderheit der Frau und ihre Differenz zu den Männern hervorhob, im Unterschied zu der anderen, die ihre grundsätzliche Gleichheit betonte. (Allerdings konnten sich beide Tendenzen, abstrakt wie sie in ihrer ontologischen oder anthropologischen Verselbständigung waren, immer wieder überlagern.) Bezeichnenderweise hatte für die späte Elizabeth Cady Stanton das Wahlrecht nicht mehr die einstige Zentralität, und sie wandte sich immer mehr den Problemen der »spezifischen« Frauensituation zu, vor allem der Möglichkeit ihrer Unabhängigkeit vom Mann durch Erleichterung der Scheidung und Zahlung von Alimenten und einer Kritik derjenigen Religion, die ein Hauptvehikel der Unterwerfung der Frauen gewesen war: Stantons Woman's Bible, die 1896 von der Mehrheit der NAWSA verurteilt wurde, ist alles andere als ein exotischer Exkurs. Wenn die Wahlrechtskampagne seit der Jahrhundertwende sich immer konservativer verhielt, so lag dies also nicht daran, daß zunehmend mit dem Verweis auf die soziale Bedeutung der Mutterschaft argumentiert wurde, sondern daran, daß viele wortgewandte Repräsentantinnen des »politischen« wie des »sozialen Feminismus« den Mythos der Mutterschaft als Wesen der Frau im Sinn größerer Effizienz, der »Suche nach Ordnung«, nach Stabilisierung gerade auch von Hausarbeit verwandten. Inzwischen aber zeichnete sich immer deutlicher eine Massenbewegung von Frauen ab, deren Kämpfe Formen gerade der Verweigerung von Hausarbeit waren und die dadurch ihre Arbeit jenseits des Mythos sichtbar machten.
»Männer, die zurückschrecken vor der Arbeit und vor einem rechtschaffenen Krieg, und Frauen, die zurückschrecken vor der Mutterschaft«, verkündete Präsident Theodore Roosevelt 1899, um die Zeit der imperialistischen Annexion der Philippinen, »wandeln am Rande des Abgrunds und verdienen, von der Erde zu verschwinden«, und 1905 griff er kinderlose Frauen an als »Verbrecherinnen an der Rasse..., Gegenstand verachtungsvollen Ab-scheus seitens gesunder Leute«. In der Folgezeit, zwischen 1905 und 1910, führte das Schlagwort vom race suicide zu einer heftigen Kontroverse in der Öffentlichkeit.[53] Was Roosevelt, Politikern und Wissenschaftlern als Selbstmord der weißen Rasse galt, war für Millionen von Frauen ein Gebärstreik, der in diesen Jahren von den Zeitgenossen offen diskutiert wurde: zwischen 1800 und 1900 war die Durchschnittszahl der Kinder, die eine weiße, bis zur Menopause lebende Frau gebar, von 7,04 auf 3,56 gesunken; die drastischsten Sprünge zeigt die Statistik für die Generation vor und diejenige nach dem Bürgerkrieg, sie fiel in der Folgezeit ständig, vor allem in den dreißiger Jahren, um danach wieder zu steigen. Dieser Gebärstreik war sowohl eine alltägliche und gesellschaftlich erst langsam sichtbar werdende Praxis der Frauen, die in Abgrenzung vom »politischen« und »sozialen« neuerdings als »Hausfrauenfeminismus« ( domestic feminism) bezeichnet wurde, wie auch eine organisierte Bewegung: Seit den 1870er Jahren kondensierte sie sich, nach diversen früheren Ansätzen, in der Bewegung für »freiwillige Mutterschaft«, hauptsächlich von Frauen der Mittelschicht (Handwerker, Geschäftsleute, Farmer) getragen, und in den Jahren um den Ersten Weltkrieg wurde sie, als Kampagne für »Geburtenkontrolle«, zu einer militanten Massenbewegung vorwiegend unter Frauen der Fabrikarbeiterklasse, einschließlich der Einwanderinnen.[54] Auf beiden Ebenen war die Senkung der Geburtenrate Ausdruck eines Kampfs von Frauen um Macht - Feminismus also im weitesten Sinn -, der von ihrer spezifischen gesellschaftlichen Arbeitssituation ausging, um sie zu verändern. Wir haben gesehen, daß der viktorianische Mutter- und Frauenkult mehr war als ein Instrument der Repression, nämlich eines der gezielten und subtilen Umstrukturierung weiblicher Arbeit und Persönlichkeit. In der Hand der Frauen selbst gewann er aber, gerade durch seine Widersprüchlichkeit von Macht und Ohnmacht, von Segregation und Solidarität, noch eine weitere, subversive Seite: Im Namen der Macht, die den Frauen als Müttern ideologisch zugesprochen wurde - und die sie sich selbst zusprachen -, weigerten sie sich, bloße Gebärmaschinen zu sein. Die Glorifizierung der Mutterschaft hatte als Kehrseite den wachsenden Anspruch der Frauen auf die Erleichterung einer Arbeitsbelastung und eines physischen Verschleißes, die mit moralischer Würde wenig gemein hatten - durchaus vergleichbar der Glorifizierung industrieller Arbeit durch viele Arbeiterorganisationen, die die Arbeiter in genau dem gleichen Jahrhundert nicht davon abhielt, sich den 8-Stunden-Tag zu erkämpfen, wenngleich dieser Kampf in scheinbar rationaleren Termini geführt wurde, da die Arbeit entlohnt und damit sichtbar war.
Neben Abtreibungen, die trotz der bundesstaatlichen Illegalisierung von 1873 um sich griffen, waren die mechanischen Mittel der Geburtenverhütung, wie etwa Dusche und Schwamm, wenig wirksam; weit entscheidender waren der Coitus interruptus und die Enthaltsamkeit gegenüber einer män-ner- und gebärbestimmten Sexualität, die sich von Vergewaltigung oft nur mühsam unterscheiden ließ. Eines der vielen diesbezüglichen Zeugnisse stammt aus den 1880er Jahren, als eine Frau schrieb: »Ich bin nahezu am Ende und zerstört durch den nächtlichen Geschlechtsverkehr, der oft morgens wiederholt wird. Dies und nichts anderes war der Grund meiner Fehlgeburt ... Er ging an die Arbeit wie ein Mäher, und statt des Vergnügens, das es hätte sein können, war es die härteste Folter.«[55] Die viktorianische Norm »entlohnte« die Frauen durch ihre Anerkennung als Hüterinnen moralischer Reinheit. In zahllosen organisierten und nicht-organisierten Initiativen zur Wahrung und Reform von »Reinheit« kehrten Frauen jene Doktrin um, gegen die Männer und zur Erleichterung ihrer Arbeitslast: Sie wünschten weniger Kinder, aber gleichzeitig die rechtliche Befähigung zur Vormundschaft über sie als Anerkennung ihrer Arbeit und ihrer eigenständigen Verantwortung; sie drängten Männern den Coitus interruptus auf, und ihre sexuelle Abstinenz wurde gleichsam zum Absentismus am mystifizierten Arbeitsplatz. Die Bewegung gegen zwangsweise und für freiwillige Mutterschaft verband sich mit der Entdeckung und Betonung weiblicher sexueller Bedürfnisse, und ihr zentrales Motiv war eines, das den viktorianischen Mythos nun tatsächlich sprengte: der Kampf der Frauen um »das Recht auf Verweigerung«[56]. Er war ebenso von Befürworterinnen der »freien Liebe« wie von Befürworterinnen stabiler und befriedigender Familienverhältnisse getragen, von moral reform-Gruppen und Wahlrechtskämpferinnen, von Müttern und Nicht-Müttern. Obgleich mechanische Verhütungsmittel während des 19. Jahrhunderts faktisch immer häufiger benutzt wurden, ist es charakteristisch, daß diese Bewegung, wo sie sich öffentlich organisierte, ihre Verwendung grundsätzlich ablehnte, da diese Frauen in ihnen eine verschärfte Bedrohung durch Heterosexualität sahen. Ein klassisches Argument der Feministinnen dieser Zeit war, daß Frauen sich als sexuelle wie als Haushaltsdienerinnen zum Zweck ökonomischer Sicherung verkaufen mußten und daß folglich die Zurückhaltung sexueller Gunst gegenüber Männern eines ihrer Machtmittel, eine Form von Streik war, das durch leichteren Zugang zu heterosexuellen Beziehungen gefährdet wurde. Dementsprechend zogen auch die zahlreichen utopischen Gemeinschaften von Männern und Frauen in ihren Debatten um die sexuelle Befreiung der Frauen eine an Zärtlichkeit, statt an männlicher Genitalität orientierte Sexualität - »Karezza« wurde eines dieser Systeme genannt - den Verhütungsmitteln vor.[57] Gerade in dieser Ablehnung, so prüde und uneinsichtig sie auf den ersten Blick für Vorstellungen des 20. Jahrhunderts erscheinen mag, schlägt sich die enge Verbindung zwischen dem Kampf der Frauen um eine selbstbestimmte Sexualität und ihrem Gebärstreik nieder; weder prüde noch uneinsichtig erscheint sie angesichts der Kritik der neueren Frauenbewegung an der »Pille« und einer »sexuellen Revolution«, welche Frauen und weibliche Sexualität keineswegs befreit hat, sondern sie erneut auf genitale und männlichkeitsorientierte Sexualität festzulegen droht. Die Ambivalenz des viktorianischen Mythos und ihren subversiven Gebrauch durch die Frauen finden wir auch in einem weiteren Bereich von Frauenarbeit, nämlich im Dienst am Ehemann. Die Lehre von der romantischen Liebe, die um den Preis eigener Identität und Sexualität diesen Dienst zum Wesen, zur Natur, zur Essenz von Weiblichkeit erklärte und der Frau als ihrer Verkörperung einen erhabenen Wert zusprach, konnte sich in der Hand von Frauen gegen eben diesen Mythos und die hinter ihm stehende Realität von Arbeit und Opfer wenden. Im Namen dieser überirdischen Liebe, die sich gegenüber ihrer irdischen Funktion verselbständigte, begannen Frauen, die lebenslängliche Bindung an einen ungeliebten Mann zu verweigern: Sie forderten das Recht auf Scheidung und deren gesetzliche und ökonomische Erleichterung, die Lösung der Liebe von der Ehe, sie nahmen sich das Recht, auch ohne Mann eine respektierte Existenz zu führen, und seit den 1890er bis in die 1920er Jahre fand eine regelrechte sexuelle Revolution statt. Die Zahl unverheirateter Frauen nahm in den letzten vier Jahrzehnten des Jahrhunderts drastisch zu und noch drastischer die Scheidungsrate, die bis zum Ende des Ersten Weltkriegs enorme Proportionen erreichte; um die Jahrhundertwende wurden zwei Drittel aller Scheidungen von Frauen beantragt, und während die organisierten und öffentlichen Vorkämpferinnen des Rechts auf Scheidung meist Frauen der Mittelschicht waren, fand die Mehrzahl der Scheidungen in ärmeren und Arbeiterschichten statt.[58] Die Frage drängt sich auf- auch wenn sie bisher nur unzureichend beantwortet werden kann -, ob nicht die Frauen in ihrem realen Leben weit stärker außerhalb des normativen Mythos standen, als es die Überlieferung bisher erkennen ließ.
Als in den Jahren um den Ersten Weltkrieg der Gebärstreik, dessen bewußter und streikähnlicher Charakter den Zeitgenossen unzweifelhaft war, den Frauen die Vorwürfe der Herrschenden zuzog, sie hätten lediglich ihr egoistisches Eigeninteresse, nicht aber das Wohl »der Rasse« im Sinn, wählte diese neue Massenbewegung, die spontan und dezentral im Osten, Westen und Mittelwesten der USA aufbrach, die Parole der »Geburtenkontrolle« bezeichnenderweise in genau den Jahren, in denen seitens der Fabrikarbeiterklasse die Forderung nach »Arbeiterkontrolle« und Arbeiterselbstverwaltung erstmals auftauchte. Frauen, die in der Fortpflanzung eine der hervorragendsten Arbeiten der menschlichen Gesellschaft erkannt hatten, forderten unter dieser Parole nun offen Selbstbestimmung ihrer Arbeitsbedingungen und Verringerung ihrer Arbeit.[59] Während indessen ein Teil der Frauen vorwiegend aus der Oberschicht die Mutterschaft in Frage stellte, um mittels einer beruflichen Karriere der Gesellschaft und dem Staat »dienen« zu können und - ganz der Spätphase der Wahlrechtsargumentation entsprechend - diese ihre staatliche Nützlichkeit mit der mütterlichen Eignung aller Frauen für vergesellschaftete Formen von Hausarbeit begründeten, hatte der Gebärstreik der Mehrzahl von Frauen einen anderen Sinn und ein anderes Angriffsziel, die in eine weit radikalere Richtung wiesen. Der vikto-rianische Mythos war angesichts der »hundert Jahre Kampf« nicht mehr stark genug, eine Tatsache zu verschleiern, deren Verdrängung seine Funktion gewesen war: Die unbezahlte Tätigkeit der Frauen, so wurden damals Stimmen laut, ist Arbeit, und diese Arbeit ist nicht weniger »produktiv« und zentral als die Lohnarbeit. »Geburtenkontrolle« bezeichnete damals in der Tat eine Bewegung, in der Frauen ihre Familienfürsorge als Arbeit proklamierten und sich selbst als Arbeiterinnen identifizierten, wenngleich - oder weil - sie ohne Lohn arbeiteten.[60]
Dies illustriert der Verlauf einer Debatte, die 1909 zwischen Arbeiterfrauen und der berühmten Theoretikerin und Frauenrechtlerin Charlotte Perkins Gilman stattfand, die mit ihren arbeits- und effizienzorientierten Visionen vergesellschafteter Hausarbeit im Dienst des wirtschaftlichen Fortschritts eher in der Tradition von Catherine Beechers frühen Ansätzen zu einer Hauswirtschaftslehre als in der der sentimentalisierten Aufwertung der Mutterwürde stand. Sie trug ihre These vor, derzufolge die Frauen Parasiten auf Kosten der Männer seien und von diesen unterhalten würden. Die Frauen hielten dagegen - und die heftige Kontroverse mündet in einer Abstimmung, die gegen Gilman ausging -, daß ihre Arbeit es sei, die die Männer unterhielte und deren Lohn überhaupt erst in Lebensmittel verwandle; wenn sie ökonomische Unabhängigkeit forderten, so nicht, um auf eine Ebene von Gleichheit mit der Männerarbeit gehoben zu werden, sondern weil sie ohnehin eine Arbeit verrichteten, die derjenigen der Männer gleich sei.[61] Für die Frauen, die solche Positionen formulierten, wie für die Masse derer in der Bewegung für die Geburtenkontrolle war ihr Streik - jenseits der wenig befreienden Aussicht auf eine Arbeit in Fabrik oder Büro und auch jenseits bloßer Kontrolle und Selbstverwaltung ihrer Hausarbeit - ein tatsächlicher Streik im Sinn einer Arbeitsniederlegung als Druckmittel, nicht um lediglich eine andere Art von Arbeit, sondern um weniger Arbeit und eine andere Art von Macht durchzusetzen. Bis hin zu den Gebärstreiks der dreißiger Jahre wurde die Verweigerung der Mutterschaft zu einem »Hebel«, zur »Waffe« in einem »Kampf nicht nur gegen einzelne Männer, sondern gegen den Staat«.[62] Neben die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen, Kinderversorgung und Wohnungen, trat nun eine andere, die - in der Geschichte wie in der Frauengeschichtsschreibung weitgehend verdrängt -, den ambivalenten Kult von Frauen- und Mutterschaft an seinen Wurzeln in Frage stellte: die Forderung nach Bezahlung der Hausarbeit als reale Anerkennung ihres Werts, als Bedingung der Unabhängigkeit der Frauen von den Männern und als Möglichkeit, ihre Arbeit nach ihren Wünschen zu organisieren. Diese Forderung stammte aus den Mittel- und Unterschichten, wo die Frauen außerhäusliche Erwerbstätigkeit nur zu gut kannten, in ihr keine Alternative zur Hausarbeit und keine Befreiung von ihr sahen; wo ihr geringer Zusatzverdienst weniger einbrachte, als sie mit vermehrter Hausarbeit einsparen konnten, und wo sie der Doppelbelastung in Fabrik und Heim wo immer möglich die Hausarbeit vorzogen.[63]
»Wir glauben nicht, daß Arbeit uns frei macht.
Wir haben sie so verdammt lange schon getan . . .
Wir in der schwarzen Frauenbefreiungsbewegung
wollen nicht den Männern gleich sein, ebenso wie
wir in der Schwarzenbewegung nicht darum
kämpfen, dem weißen Mann gleich zu sein.
Wir kämpfen um das Recht, anders zu sein
und nicht dafür bestraft zu werden.
Gleich sein heißt dasselbe sein . . .
Und warum sollte ich sein wollen wie etwas,
was mir nicht gefällt?«
(Margaret Wright, 1970)[64]
Der Vorschlag eines Lohns für Hausarbeit war seit der Jahrhundertwende weit verbreitet. Vorläufer hatte er im 19. Jahrhundert zum Beispiel in den Fourierschen utopischen Gemeinden.[65] Seine öffentlichen und namentlich überlieferten Verfechterinnen forderten, wie die in den USA weitbekannte Schwedin Ellen Key, dieses Geld, um den Frauen Unabhängigkeit von einem Ehemann und seinem Einkommen und damit sexuelle Autonomie zu ermöglichen, ohne den Wunsch nach Kinder opfern zu müssen; ihr Konzept stand im Kontext der zum Teil anarchistisch gefärbten »Freie-Liebe-Bewegung«. Häufig wurde die Frage diskutiert, ob nicht die Ehemänner gesetzlich verpflichtet werden sollten, einen Teil ihres Einkommens an die Frau abzugeben; aber es war klar, daß damit gerade in den Unterschichten nur ein spärliches Gehalt halbiert, die geleistete Arbeit weiterhin unterbezahlt und die gegenseitige Abhängigkeit der Eheleute verstärkt würde. Crystal Eastman, eine der aktivsten unter den Feministinnen des frühen 20. Jahrhunderts, die die Bedürfnisse der ärmeren Klassen einer feministischen Politik zugrunde zu legen suchte, sah die Frau »keineswegs zufrieden mit Liebe, Ehe und einer rein häuslichen Karriere. Sie will eigenes Geld, eigene Arbeit, Mittel zur Selbstverwirklichung, vielleicht gar zur Befriedigung persönlichen Ehrgeizes. Aber sie will auch Mann, Kinder, ein Zuhause. Wie diese zwei Bedürfnisse zu vereinbaren sind - das ist die Frage.« Ihre Antwort war die Forderung, daß die Regierung durch Bundesgesetz Geld für Mütter ohne eigenes Einkommen stellen sollte, damit Frauen tatsächlich in Bezug auf Mutterschaft frei entscheiden können.[66]
In der sozialistischen Tageszeitung Chicago Evening World erschien im Juni 1912 folgendes Dokument zum Thema »Frauenarbeit und Frauenlohn«, das ausführlich zitiert zu werden verdient, da es diese neue Qualität des Frauenkampfs umreißt:[67]
»Frauen, die Hausfrauen sind, erhalten keine Löhne unmittelbar von einem kapitalistischen Unternehmer, und folglich sehen sie nicht immer ihre Verbindung mit dem ökonomischen System. Diese Verbindung ist ein wenig mittelbar, aber sie ist nichtsdestoweniger sehr eng. Wenn der Unternehmer die Arbeitskraft eines Arbeiters kauft, kauft er auch die Arbeitskraft seiner Frau. Je härter die Arbeit ist, die der Mann tun muß, desto mehr wird seiner Frau abverlangt. Ein Arbeiter, der in den frühen Morgenstunden aufsteht, um sein Frühstück bei Lampenlicht zu essen und tagsüber in die Fabrik oder ins Bergwerk zu gehen, könnte diese ihm zugewiesene Aufgabe nicht erfüllen, könnte er nicht auf die treuen persönlichen Dienste und die Sorgfalt der Frau rechnen, die seinen Haushalt führt. Sie steht früh auf, um sein Frühstück zu machen, sein Mittagessen einzupacken und alles für ihn bereit zu legen. Seine Zeit muß gespart, seine Energie erhalten werden. Sie gehören dem Unternehmer. Ihre Zeit und ihre Energie muß verausgabt werden, um die seinige einzusparen. Dies geschieht über all die vielen Jahre hinweg. Nach und nach wird die Lebenskraft des Mannes verausgabt, um Profite zu schaffen, während das Leben der Frau verausgabt wird, ihn für diese Aufgabe zu erhalten. Außerdem muß sie eine neue Generation von Arbeitern in die Welt setzen, sie umsorgen, ernähren und wieder in die Fabrik schicken, damit sie dort den Platz des Vaters einnehmen. Die Arbeiterfrau hat keinen Lohn, und doch kommandiert der Boß über ihre Arbeit. In der Familie des Durchschnittsarbeiters ist es die Frau, die auf den Markt geht. Sie ist es, die das kärgliche Einkommen kontrolliert und versucht, es ausreichend zu machen für die Lebensnotwendigkeiten der Familie. Das gibt dem Unternehmer noch eine zweite Kontrolle über sie. Jedesmal, wenn der Butterpreis um einen Cent steigt und das Mehl teurer wird, nimmt das Einkommen der Frau weiter ab. Sie weiß, daß ihre Kinder geopfert werden in dem Kampf um Brot. Sie fühlt bittere Enttäuschung, wenn sie Opfer auf Opfer bringt, wenn sie sieht, wie ihnen Bildungschancen und die besseren Dinge des Lebens vorenthalten werden. Ganz allmählich wird die Hoffnung aus dem Herzen jeder Arbeiterfrau verdrängt durch ein soziales System, das sie nicht einmal anerkennt, geschweige denn bezahlt oder irgendwie berücksichtigt. Die Lohnarbeiterinnen waren die ersten des weiblichen Geschlechts, die ihre wirtschaftlichen und politischen Bedürfnisse erkannten, da ihre Verbindung zur kapitalistischen Struktur der Gesellschaft unmittelbar und offensichtlich war. Hausfrauen wachen langsamer auf, aber sie sind dabei, aufzuwachen. Sie fangen an zu sehen, daß der kapitalistische Boß der Grube und Fabrik tatsächlich die Arbeitskraft der Frau im Haus kommandiert und sie ihrer Lebenskraft beraubt, Tag für Tag, ohne Bezahlung oder Anerkennung.«
Es muß als Folge von Frauenkämpfen an sichtbaren und unsichtbaren Arbeitsplätzen gesehen werden, daß in den USA - ähnlich wie damals in England - zum ersten Mal die staatliche Wohlfahrtspolitik Gelder nicht nur für die Reparatur verschlissener Arbeitskraft, sondern für ihre Herstellung aufwenden mußte: Ab 1909, dem Jahr des berühmten »Aufstands der 20 000 Frauen« in der New Yorker Bekleidungsindustrie, wurden in immer mehr Staaten - 1930 fehlten nur noch vier - mothers'pensions, Geld für alleinstehende Mütter, erobert. Aber die Forderung nach Bezahlung der Hausarbeit konnte sich in der offiziell organisierten Bewegung nicht durchsetzen, und zwar im gleichen Maß wie diese eine tatsächlich keineswegs konservative, sondern im Dienst des Staats durchaus »progressive« Wende vollzog, sich immer ausschließlicher an den Karrierebedürfnissen weniger Frauen und nicht mehr an denen der Haus- und Fabrikarbeiterinnen orientierte, sich mehr als an diese an die Männer der Parlamente und der Geschäftswelt richtete. Sie griff den Mutterschaftsmythos nicht an, indem sie ihn als frauenspezifische Arbeitsideologie enthüllte, sondern verschleierte ihn, indem sie ihn in den Dienst staatlicher Vergesellschaftung von Hausarbeit stellte, die deren private Dimension intakt ließ. Dies gilt gerade auch für die scheinbar radikaleren unter ihren Anhängerinnen: So ist das erste Kapitel von Gilmans Women and Economics (1898) eine Polemik gegen die Bezahlung der Hausarbeit und für deren effizientere Verrichtung durch Unternehmen, die Frauen beschäftigen und deren Lohnkosten die männlichen Arbeiter aufbringen sollen. Die Women's Party, die seit der Erringung des Wahlrechts lediglich die juristische Gleichstellung von Mann und Frau durch einen Verfassungszusatz anstrebte und dafür den Fortfall besonderer Frau-enschutzgesetze in Kauf nahm, lehnte 1921 sowohl die Vorschläge von Crystal Eastman wie diejenigen zugunsten schwarzer Frauen ab: Der Bruch der Solidarität mit schwarzen Frauen ging Hand in Hand mit der Loslösung vom Kampf der Hausarbeiterinnen, die sich in der Frage von Geburtenstreik und Bewertung weiblicher Hausarbeit abgezeichnet hatte.[68] Koinzidenz und innerer Zusammenhang dieser beiden Prozesse geben eine Antwort auf die umstrittene Frage nach den tieferen Gründen der konservativen Involution der Wahlrechtsbewegung.
Deren verbliebene Brisanz, die den III. Teil von Flexners Darstellung bestimmt, basierte nun zwar auf einer Massenbewegung sich verweigernder Frauen, insofern diesen ihre traditionelle Aufgabe nicht mehr problemlos zugemutet werden konnte und ihnen Reformen angeboten werden mußten; andererseits aber »gab es nur mehr wenig in der offiziellen suffrage-Bev/e-gung, was sich besonders an Frauen richtete«.[69] Zwei Entwicklungsstränge sollten in der folgenden Generation das Potential jener Massenbewegung erneut eindämmen: die entstehende staatliche Arbeitsmarkt- und Geburtenplanung, die die private weibliche Hausarbeit zu regulieren suchte, und eine neue Lohnpolitik, die die Kosten für eine sparsame Hauswirtschafterin in die Männerlöhne einkalkulierte und damit die Frauen noch fester und planvoller an das Einkommen des Mannes band; beide Tendenzen vermochten, die sexuelle Revolution der Jahre von 1890 bis 1920 in ihren Dienst zu nehmen. Systematischer als zuvor und nicht zuletzt mit Hilfe neuer Technologien wurde jetzt in allen Sektoren der Gesellschaft, vor allem auch bei den Neueinwanderern, ein Typus von »Kernfamilien« durchgesetzt, die >»Fabriken< zur Produktion menschlicher Persönlichkeiten«[70] werden sollten - nicht weniger ein Fließband als dasjenige, das die männliche Lohnarbeit seit dem ersten Weltkrieg charakterisierte.
Die »Hausfrauenrevolte« der 60er Jahre, auf die Flexner in ihrem Schlußkapitel hinweist, griff an diesem Punkt an. In den zwei Jahrzehnten wachsender Frauenerwerbstätigkeit seit dem Zweiten Weltkrieg hatte man wiederum erfahren, daß der zusätzliche Job außer Haus nicht befreite, sondern vielmehr einer Reservearmee von Frauen, die eigenes Geld und einen Ausweg aus ihrer Isolation suchten, doppelte Belastung brachte. Silvia Plath, von der Widersprüchlichkeit der Frauenexistenz und dem Mangel an Alternativen 1963 zum Selbstmord geführt, berichtete in ihrer Glasglocke von einem Traum. Sie sah ihr Leben als Feigenbaum, an dem als Früchte ihre vielfältigen Sehnsüchte und freudigen Zukunftshoffnungen hingen: Mann und Kinder, Poesie und Wissenschaft, Reisen und Geschichte und viele »Feigen«, die sie noch nicht erkennen konnte:
»Ich sah mich in der Gabelung des Feigenbaums sitzen, ich verhungerte, nur weil ich mich nicht entschließen konnte, welche Feige ich nehmen sollte. Ich wollte jede einzelne, aber eine auszuwählen hätte bedeutet, alle anderen zu verlieren, und während ich dort saß und nicht fähig war, mich zu entscheiden, begannen die Feigen schrumpelig zu werden und schwarz, und eine nach der anderen fiel auf den Boden, mir vor die Füße.«
Sie kann die Früchte nicht erlangen, es sei denn um den Preis des Verzichts; sie kann ihre Fähigkeiten nicht entfalten, es sei denn um den Preis einer spezialisierten und phantasielosen Erwerbstätigkeit; sie schreibt im Morgengrauen um vier Uhr, bevor das Baby zu schreien beginnt; sie weigert sich, ihre Bedürfnisse zu verwertbarer Arbeit degradieren zu lassen: »Das ist einer der Gründe, warum ich niemals heiraten wollte. Keinesfalls wollte ich unendliche Sicherheit und ein Ort sein, von dem aus ein Pfeil fortfliegt. Ich wollte Veränderung, Aufregung, selbst in alle Richtungen fliegen .. .«[71] Die Kampfform, in der die neuere weiße Frauenbewegung die alte Gebärstreikthematik wieder aufgriff, war die Kampagne zur Freigabe der Abtreibung; parallel dazu und fast ohne Verbindung mit ihr verlief der Kampf schwarzer Frauen und derer der Dritten Welt gegen zwangsweise Sterilisierung. Erst die Einheit dieser beiden Frauenkämpfe macht die heutige feministische Stoßrichtung deutlich: Es ging nicht darum, für die männliche Welt der Arbeit »befreit« zu werden, gar um den Preis des Verzichts auf Kinder, sondern um freie Wahl aller Frauen, ohne Abhängigkeit zu riskieren; es ging nicht nur darum, keine Kinder zu haben, sondern auch darum, sie auf selbstbestimmte Weise haben zu können. Die Verweigerung der Hausarbeit und der Reservefunktion ist der Kampf, materielle und sexuelle Autonomie das Ziel.
»Seit (der Frauenwahlrechtsbewegung) hat es unter Frauen, was ihre nächsten Ziele betrifft, nie wieder ein derart großes Einverständnis gegeben; es mag sein, daß wir heute wieder an der Schwelle einer solchen Entwicklung stehen, trotz der augenscheinlichen Uneinigkeit an der Oberfläche«, leitet Flexner ihr Buch ein. Ein solches Ziel zeichnet sich seit den 1970er Jahren deutlicher ab: Ausgehend von den USA fordern Frauen in den unterschiedlichsten Situationen, schwarze und weiße, verheiratete und ledige, lesbische und heterosexuelle, mit Kindern und ohne, wiederum die Bezahlung ihrer vielfaltigen Hausarbeit. Die Forderung stammt aus der Bewegung schwarzer Frauen und wurde von den weißen übernommen: »Wir glauben nicht, daß Arbeit uns frei macht. Wir haben sie so verdammt lange schon getan . . .«[72], war der Tenor der Kämpfe schwarzer Frauen, die, seit 1966 in der National Welfare Rights Organization organisiert, ihr »Recht auf Wohlfahrt« als Bezahlung ihrer Arbeit forderten. Sie denunzierten die vielerlei »Sozialhilfen«, die Unternehmer in Form von Steuererleichterungen und Subventionen erhielten, und protestierten gegen den Mythos, daß harte Arbeit ihre Probleme löse:
»Wer meint, daß >Wohlfahrtsmütter< arbeiten gehen können, vergißt, daß sie schon arbeiten. Die Arbeit, eine Familie großzuziehen, den Haushalt zu führen, wird nicht einmal eines ungerechten Lohns wert gehalten. Böden schrubben, Essen bereiten, Bettwäsche wechseln, nähen, Kranke versorgen, das Haushaltsgeld einteilen, Kinder erziehen und disziplinieren - all das ist sehr harte Arbeit, wie jede Frau weiß. Warum also werden Wohlfahrtsmütter für ihren Job schlechter bezahlt als alle andern?«[73]
Die Bedeutung der heutigen internationalen Kampagne für die Entlohnung der Hausarbeit, die sich vor allem in den USA, Kanada, England, Italien und Deutschland ausgebreitet hat, vermag ein Rückblick aufs 19. Jahrhundert zu illustrieren, auf diejenige Kampfforrn, die - wie Flexners Buch zeigt - den größten Teil der öffentlichen Frauenaktivitäten bestimmte: die Kampagne. Sie entstand aus dem besonderen Problem, wie Frauen, isoliert in ihrer Häuslichkeit, gerade diejenigen Rechte durchsetzen könnten, die ihnen eine gesellschaftlich mächtige Durchsetzungsfähigkeit überhaupt erst erlauben sollten. Eine wachsende Zahl von Frauen zog, zu einer Zeit, als allein zu reisen als unweiblich galt, gefährlich und höchst mühsam war, durch das Land, um Unterschriften für die Forderungen zu sammeln, die in Petitionen an unterschiedliche staatliche Instanzen gerichtet wurden. Stand diese letztere Funktion der Unterschriftenkampagne Anfang des 20. Jahrhunderts im Vordergrund, so war es im 19. weit mehr die bedrohliche und den Rahmen von Häuslichkeit sprengende Mobilität von Frauen, die von Ort zu Ort, von Haus zu Haus zogen, öffentlich reden lernten, Kommunikation unter Frauen organisierten, und die Mobilisierung von Frauen, die ihre häuslichen Pflichten im Stich ließen, zu Treffen kamen, über ihr Frauendasein sprachen und sich in Gruppen und Klubs zusammenfanden - eine Kampfform, die damals auch in andern Ländern praktiziert wurde. Dies war in der Tat ein aktiver Streik gegen die women's sphere. Oft kam es bis zu gewaltsamen Zusammenstößen mit Gegnern dieses unweiblichen Betragens, und die Frauen scheuten davor nicht zurück. Ein Minimum von Zusammenhalt sollte in den Jahren vor dem Bürgerkrieg ein »Zentrales Komittee« gewährleisten, das - im genauen Gegensatz zur späteren Funktion einer solchen Form - Rigidität, Zentralisierung und Schwerfälligkeit der Bewegung vermeiden helfen sollte. Die Vermutung liegt nahe, auch wenn sie statistisch kaum je zu verifizieren sein wird, daß diese Art von Kampagne (übernommen aus der Antisklavereibewegung und ähnlich der Aktivität der späteren Industrial Workers of the World), in welcher Mobilität und Kommunikation zu Formen des Kampfs und der Verweigerung wurden, sehr viel zu tun hatte mit der sinkenden Geburten- und steigenden Scheidungsrate. Die Einheit von Verweigerung, Kämpfen und Forderungen liegt auch der heutigen Kampagne um einen Lohn für Hausarbeit zugrunde. Die Krise in den USA und in anderen Ländern traf seit 1974 besonders scharf zum einen die Dienstleistungssektoren, deren vergesellschaftete Hausarbeit, zum großen Teil in der alten und neuen Frauenbewegung erobert, vorwiegend von Frauen geleistet wurde (Sozialfürsorge, Krankenhäuser, Schule, Kindergärten), zum anderen die verschiedenen Wohlfahrtsprogramme, vor allem diejenigen für alleinstehende Mütter; und wie jede Krise vermehrte sie die Arbeit aller Frauen im Haus. Den hiervon betroffenen schwarzen und weißen Frauen, die Geld für Frauen vom Staat fordern, haben sich in jüngster Zeit Teile der Bewegung lesbischer Frauen und der seit 1975 erstarkenden Prostituiertenbewegung angeschlossen. Diese autonome Bewegung, die alle unbezahlte Frauenarbeit in ihren physischen, psychischen und sexuellen Dimensionen sichtbar zu machen und aufzuheben sucht, eröffnet heute eine reale Alternative zu der Vereinnahmung der Eroberungen von Frauen seit dem Ende ihrer ersten »hundert Jahre Kampf«.