Wer waren die Gegner des Frauenwahlrechts?

Warum brauchten die Frauen dieses Landes so lange, um das Stimmrecht zu erobern? Dreiundfünfzig Jahre vergingen zwischen dem ersten einzelstaatlichen Referendum zum Frauenwahlrecht in Kansas 1867 (von da an datieren die ersten ernsthaften Versuche, das Frauenwahlrecht zu erlangen) bis zur endgültigen Ratifizierung des 19. Zusatzes zur Bundesverfassung im Jahre 1920. Vor allem die letzten zehn Jahre hatten einen raschen gesellschaftlichen Wandel erlebt; der Krieg hatte ihn noch beschleunigt und schließlich alle möglichen Tabus und Einschränkungen Frauen gegenüber nichtig werden lassen. Wie läßt sich nun die Tatsache erklären, daß der offene Widerstand gegen das Frauen Wahlrecht statt schwächer immer hartnäckiger, aktiver und deutlicher geworden war?
Im Vergleich dazu glich der Widerstand gegen Frauen im Bildungswesen und in qualifizierten Berufen eher einer Untergrundtätigkeit, blieb sporadisch und weitgehend verborgen, in Form von Hindernissen und Beschränkungen, die zähe Frauen überwinden konnten. Ein Teil der Opposition gegen das Frauenwahlrecht beruhte ganz offensichtlich auf Vorurteilen einzelner. Aber je genauer man hinsieht, umso deutlicher erkennt man, daß die Suffragetten nicht lediglich einer konservativen öffentlichen Meinung gegenüberstanden. Keine Abneigung gegen die neuen sozialen Rollen für Frauen, kein Gefühl für die heilige Pflicht der Mutterschaft oder die Heiligkeit des Heims können die Feindseligkeit erklären, die sich sehr gezielt und scharf gegen die Frauen als Wählerinnen richtete und zunehmend aggressiver wurde, als das Frauenwahlrecht nach und nach von einem Staat auf den anderen übergriff. Woher kamen diese vielen Antiwahlrechtsorganisationen von Männern und Frauen, die überall im Land auftauchten? Wer stellte die häufig männlichen Organisatoren und Zeugen bei Parlaments- und Kongreßanhörungen? Wer bezahlte die Rechnungen für die Flut von Zeitungsberichten und Anzeigen, die Plakatanschläge und Handzettel? Wer kaufte die Stimmen, die den Suffragetten bei den Referenden 1912 in Michigan, 1916 in Iowa und 1911 beinahe auch in Kalifornien gestohlen wurden? Wer bezahlte für die Stimmen der Immigranten und Barbesitzer, Stadt für Stadt, Staat für Staat, bei Wahlrechts-Abstimmungen von beiden Dakota bis New Jersey? Welche Interessen kämpften mit einer solchen Intensität gegen das Frauenwahlrecht und warum? Keine der Wahlrechtsführerinnen hat diese Frage je erschöpfend beantwortet. Sogar Mrs. Catt, die in ihrem Buch Woman Suffrage and Politics (Frauenwahlrecht und Politik) ausführlich darauf einging, neigte dazu, nur einen Aspekt der Opposition hervorzuheben und alle anderen weitgehend auszuschließen.[1] Die Hauptursachen des Widerstandes variierten zwangsläufig von einem Teil des Landes zum anderen. Im Süden lag die Ursache für diese Gesinnung in der Furcht vor dem Wahlrecht der Schwarzen - in der Furcht davor, irgendeinen Versuch zu unterstützen, der das System der gesetzlich verankerten Diskriminierung der Schwarzen (Jim-Crow-System) einschließlich der Wahlsteuer bedrohte; dieses System beraubte, in Mißachtung des 14. und 15. Verfassungszusatzes, die farbige Bevölkerung des Wahlrechts. Im Mittelwesten ging ein großer Teil der Opposition von den Brauereien aus; im Osten von Industriellen und Geschäftsleuten.
Die ursprünglichen Führer der Anti-Wahlrechtsbewegung waren Frauen in untadeliger gesellschaftlicher Stellung, wie die Gattinnen von General Sher-man und Admiral Dahlgren, die bereits 1872 an der Spitze einer Liste von 1000 Unterschriften für eine Petition an den Senat der Vereinigten Staaten gegen die Einführung des Frauen Wahlrechts standen. 1882 traten zwei »Pro-testlerinnen« gegen die Kampagne für das Frauenwahlrecht bei Stadtratswahlen in Massachusetts bei der Anhörung der Gesetzesvorlage vor dem Parlament auf, wahrten aber ihre Sittsamkeit und gaben anstelle einer mündlichen Aussage eine schriftliche Erklärung gegen den Gesetzesvorschlag ab.[2] In Boston wurde ein Protestausschuß organisiert, der mit der Kampagne für ein Wahlrechtsreferendum 1884 in Oregon seine Aktivitäten auszudehnen begann und im folgenden den Anstrengungen der Suffragetten in Nord- und Süd-Dakota, Rhode Island, Vermont und Kansas entgegenarbeitete. Sie verschickten Telegramme, verteilten Schriften und beschäftigten ab 1887 »männliche Berater«, die sie bei Parlamentsanhörungen vertraten. Ab 1889 erhielten die Damen den erklärten Beistand einer Gruppe von »Herren«, von denen einer Sekretär des Bostoner Protestausschusses und Herausgeber der ersten Zeitung der Wahlrechtsgegner, The Remonstrance (Protest) wurde, deren erste Nummer 1890 erschien. (Bis 1908 war sie die einzige derartige Publikation und leistete nützliche Dienste.)
1895 organisierten sich Wahlrechtsgegner, Männer wie Frauen, gegen den Versuch, das Frauenwahlrecht in der revidierten Verfassung des Staats New York zu verankern; der Versuch scheiterte. In Massachusetts wurde im selben Jahr eine Art Scheinreferendum abgehalten, das, obwohl nicht bindend, männlichen Wählern ermöglichte, ihre Meinung darüber auszudrücken, ob sie das Wahlrecht für Frauen bei Stadtwahlen für wünschenswert hielten; für jene Frauen, die bereits an der Wahl der Schulbehörden teilnehmen durften, standen besondere Wahlzettel zur Verfügung. Gleichwohl führte dieser sinnlose Wettstreit die Organisation der Wahlrechtsgegner in Massachusetts, Männer und Frauen, in dem Verein »Gegen die weitere Ausdehnung des Frauenwahlrechts« von Massachusetts zusammen; er blieb der aktivste und lautstärkste, obwohl ähnliche Organisationen nach und nach in etwa zwanzig Staaten auftraten. Im Jahr 1911 wurde in New York ein Nationalverein gegen das Frauenwahlrecht unter der Führung von Mrs. Arthur M. Dodge gegründet.[3]
Die Frauen in diesen Organisationen waren nahezu ausnahmslos begütert und in hoher gesellschaftlicher Stellung. Ihr Hauptargument besagte, daß das Frauenwahlrecht den Frauen, deren Platz das Heim sei, eine zusätzliche und unerträgliche Last auflud; die Tatsache, daß dieses Argument zum großen Teil von Frauen kam, deren Hausarbeit durch eine angemessene Zahl von Dienstboten erledigt wurde, und daß sie vorgaben, für Frauen in weniger günstigen Umständen zu sprechen, scheint die Wahlrechtsgegnerinnen nie gestört zu haben, die obendrein behaupteten, das politische Wahlrecht nicht zu brauchen, da ihre Männer sie vertreten und sich um ihre Interessen kümmern würden.
Niemand im Wahlrechtslager maß den Gegnerinnen große Wirkung bei. Ihre Argumente schienen zu kindisch und veranlaßten so manche Frau, die später in der Bewegung führend wurde, zum Denken und Handeln.[4] Zwar lieferte das Auftreten von Wahlrechtsgegnerinnen bei Anhörungen und in gedruckter Form - durch eine Flut von Pamphleten und Briefen an Zeitungen - den Parlamentariern den Vorwand, eine Gruppe angesehener Frauen wolle das Wahlrecht nicht; aber nach Meinung der Frauen, die mit Mrs. Catt zusammenarbeiteten, spielten sie ihre wirkliche Rolle als Vortrupp für mächtigere Kräfte gegen das Frauenwahlrecht, in erster Linie die Alkoholindustrie. Mrs. Catt erklärte kategorisch:
»Von den Organisationen dieser Frauen führte ein direkter Weg in das Schnapslager, und er wurde beschritten von den Männern, die von den Gegnerinnen angestellt waren... Diese Männer wurden allzu oft bei der Beratung mit den politischen Managern der Alkohollobby gesehen, als daß man daran zweifeln könnte, daß sie ihre jeweiligen Pläne im Sinne einer vorteilhaften Zusammenarbeit aufeinander abstimmten.«[5] Die Anonymität, in der die Brauereibesitzer vorzugsweise gegen das Frauenwahlrecht Widerstand leisteten, wurde 1918 durch einen Rechtsausschuß des Senats durchbrochen, der Vorwürfen nachging, denen zufolge die Brauer während des Kriegs Propaganda zugunsten bolschewistischer und deutscher Interessen betrieben hätten. Die Klagen, die seit Jahren nach jedem Referendum das Hauptquartier der Wahlrechtskampagne überschwemmt hatten, erhielten unerwartet offizielle Bestätigung, als die Untersuchung der Akten von Percy Andreae, der für einen Großteil der Brauereireklame verantwortlich zeichnete, Briefe zutage förderte wie z. B. den an einen Brauereikonzern in Milwaukee aus dem Jahre 1914, der als streng vertraulich gekennzeichnet war:
»Was die Sache des Frauenwahlrechts betrifft, so versuchen wir, jede Art von Verbindung damit zu umgehen. Wir sind jedoch in der Lage, mit den Führern der Antiwahl-rechtsbewegung Kommunikationskanäle für unsere Freunde in jedem Staat zu öffnen, in dem die Wahlrechtsfrage ansteht. Ich habe den Eindruck, in Illinois ist ein neuer Antiwahlrechtsverein gegründet worden, bei dem ein Alkoholwarenhändler seine Finger im Spiel hat. Ich halte es für äußerst gefährlich, wenn die Einzelhändler in irgendeiner Form in diesem Kampf sichtbar oder aktiv werden, da es überall gegen uns verwendet werden wird.«[6]
Eine Strategiekonferenz der Brauereiindustrie am 13. Oktober 1913, deren Protokolle unerklärlicherweise erhalten blieben (gewöhnlich bewahrten die Brauerei-Organisationen weder Protokolle noch Finanzberichte auf), enthüllte ihre Rolle bei der Niederlage in mehr als einem Wahlrechts-Referendum. Ein Brauereivertreter erklärte, die Niederlage des Frauenwahlrechts in Nebraska 1911 habe enorme Kosten verursacht. In seinem Bericht über Wisconsin hieß es:
»Es gab die üblichen Gesetzesvorlagen, wie in jedem anderen Staat - Selbstbestimmung der Bezirke in Sachen Alkoholverkauf, Frauenwahlrecht in ungefähr sechs verschiedenen Fassungen und alles mögliche, aber wir haben alles niedergeschlagen; und ich behaupte, das kann nur durch Organisierung und aktive Arbeit der Brauer bewirkt werden, die sich unablässig darum kümmern und es nicht anderen überlassen.«[7]
Aus Süd-Dakota verlautete: »Bisher ... haben wir das Frauenwahlrecht dreimal zu Fall gebracht, und ich möchte sagen, daß dieser Verband, der Brauerverband der Vereinigten Staaten, dank der Anstrengungen von Herrn Edward Dietrich imstande war, damit fertig zu werden, und er hat dabei immer Glück gehabt.« Und auf einem anderen Strategietreffen im Juni 1915 stellte der Generalrat des Brauerverbands von Iowa fest: »Wir sind der Ansicht, daß das Frauenwahlrecht zu Fall gebracht werden kann, obwohl wir es nicht für gut halten, daß die Interessen der Alkoholindustrie als treibende Kraft gegen diese Kampagne bekannt werden sollten.«[8] Die von der Alkoholbranche zur Durchsetzung dieses Ziels angewandten Mittel gingen weit darüber hinaus, Leitartikler für ihre »Aufklärungskampagne« oder für offene Gegenpropaganda zu kaufen oder Kneipenbesitzern und Barkeepern Geldbeträge entsprechend der Anzahl ihrer Kunden zuzuteilen, für deren Erscheinen und für deren Nein-Stimmen an der Wahlurne sie bürgen mußten. Ihr Einfluß reichte offenkundig bis in die Parlamentssäle. Der stellvertretende Gouverneur von Wisconsin, um nur ein Beispiel zu nennen, berichtete Mrs. Ben Hooper, einer von Mrs. Catts aktivsten Mitarbeiterinnen, er habe einen Rechtsanwalt aus Milwaukee, Lobbyist der Brauereibesitzer, »auf der Galerie des Senats sitzen und seinen Männern durch Handzeichen mitteilen sehen, wie sie zu wählen hatten«.[9] Noch 1918, angesichts des drohenden Prohibitionszusatzes, wühlten Lobbyisten der Brauereien noch immer in Washington gegen den Frauenwahlrechtszusatz.[10]
Es ist schwieriger, andere Faktoren der Opposition gegen das Frauenwahlrecht genau festzumachen. Nach den Alkoholgruppen waren die Parteiapparate am deutlichsten zu erkennen, die sich unablässig gegen das Frauenwahlrecht stemmten, bis Tammany Hall 1917 aufgab. Die Männer in diesen Apparaten waren schlichtweg unsicher, ob sie eine zusätzliche Wählerschaft kontrollieren konnten, die relativ unbestechlich, militanter und entschlossener schien, beunruhigende Reformen durchzusetzen: von besseren Abwässersystemen über die Abschaffung der Kinderarbeit bis zum schlimmsten, der »Säuberung« in der Politik. Die Argumente vieler Suffragetten in eigener Sache, so etwa ihr ureigenstes Interesse an besseren Schulen und einer Gesetzgebung zum Schutz der Arbeiterinnen, hallten in den Ohren der Parteifunktionäre wider wie die Posaunen des Jüngsten Gerichts. Während beide Seiten sich der Unterstützung von Geistlichen aller Konfessionen versicherten, bedienten sich die Wahlrechtsgegner vor allem des Widerstands der katholischen Kirche. Wenn der Vatikan sich auch bezüglich der Frauen- und Wahlrechtsfrage mit expliziten Erklärungen zurückhielt, sandte Kardinal Gibbons 1916 doch eine Grußbotschaft an die Nationale Anti-Wahlrechtskonferenz in Washington; von direkt an die katholischen Wähler in Massachusetts gerichteten Flugblättern war bereits die Rede, und diese Taktik war auch anderswo gang und gäbe.[11]
Am schwierigsten ist es, die Verbindung von Wirtschaftsinteressen zur Opposition gegen das Frauenwahlrecht aufzuzeigen. Die Bulletins der Jahresversammlungen des Nationalen Arbeitgeberverbandes (National Association of Manufacturers) und der Handelskammer der Vereinigten Staaten oder die Seiten des Wall Street Journal enthalten nicht ein Wort des Protestes gegen die Erteilung des Wahlrechts an Frauen. Es gab keine das ganze Land umfassende Mobilmachung des Big Business gegen das Frauenwahlrecht. Einige Branchen jedoch gingen zäh und erbittert, wenn auch mit größter Umsicht dagegen vor. Eine Wahlrechtsorganisatorin nach der anderen berichtete von der Anwesenheit und den Umtrieben der Lobbyisten von Eisenbahn, Ölindustrie und ganz allgemein der Industrie, wann immer das Wahlrecht für Gesetzgebung und Referendum auf der Tagesordnung stand. Im März 1916 befand sich Mrs. Catt in Iowa, wo für den Juni ein Referendum anberaumt war, dem gute Erfolgschancen eingeräumt wurden. Aber diese wurden schon von einer Wolke, noch nicht größer als eine Männerhand, überschattet:
»Dieser Maling ist in Iowa und macht schmutzige Arbeit. Ich selbst habe mich mit ihm unterhalten, und ich habe jetzt an jeden Kongreßabgeordneten, an jede Zeitung und an alle Frauen, die ich kenne, geschrieben; und ich glaube, ich habe es geschafft, in ein Wespennest zu stechen. Ich habe einen jeden aufgefordert, eine Untersuchung einzuleiten darüber, wer oder was hinter diesem Mann steckt. Er behauptet, es seien die Interessen von Geschäftsleuten aus Colorado. Zur Hälfte glaube ich das. Ich habe etwas Angst, daß die Bankiers, Grubenbesitzer und andere Männer des Big Business tatsächlich dabei sind, offizielle Warnungen an die Männer in den anderen Staaten zu schicken, vor der furchtbaren Bedrohung durch das Frauen Wahlrecht auf der Hut zu sein; wenn das wirklich stimmt, ist es besser, unsere Feinde auszuräuchern und zu wissen, wo sie stecken.«[12]
Es gab noch andere Beispiele. Im Verlauf einer Untersuchung des Kongresses über die Geschäfte der Firma Swift & Company stellte sich heraus, daß die Fleischkonservenindustrie insgeheim Zahlungen an die Wahlrechtsgegner geleistet hatte - insgeheim deshalb, weil die Firma sehr wohl erkannte, daß in nächster Zukunft das Frauenwahlrecht den Sieg davontragen würde.[13] Ein Aufruf an die Wähler Nebraskas, gegen das Frauenwahlrechtsreferendum von 1914 in diesem Staat abzustimmen, trug die Unterschriften von neun Managern der Eisenbahn- und der städtischen Verkehrsbetriebe, sieben Bankiers und verschiedener anderer Geschäftsleute und, als Krönung, zweier Geistlicher der Episkopalkirche.[14]
Aus Oklahoma, wo die Opposition in einem bisher nie gekannten Ausmaß gegen ein Wahlrechtsreferendum antrat, das einen der knappsten Siege davon trug, schrieb eine Organisatorin der NAWSA an Mrs. Catt, sie habe glaubwürdige Information, daß die Gegner dank Mr. Pat Malloy über eine unbegrenzte Geldmenge verfügten; dieser Malloy war vorübergehend Vorsitzender des Demokratischen Parteitags in diesem Staat und öffnete ihnen die Geldquellen der Ölfirma in Tulsa, für die er arbeitete.[15] Höchst zwielichtige Machenschaften kamen bei einem Verband der Geschäftsleute von Texas zutage. Er war außerordentlich rege und versandte bereits gesetzte Artikel kostenlos an Zeitungsherausgeber, die ein breites Spektrum von Themen behandelten, vom Adamson-Gesetz (mit dem der Acht-Stunden-Tag bei der Eisenbahn eingeführt wurde) bis zur Prohibition und dem Frauenwahlrecht. Bereits 1915, während der Kampagnen für Wahlrechtsreferenden im Osten, war die Öffentlichkeit auf einige hinter diesen Organisationen stehende Kräfte aufmerksam gemacht worden; zu ihnen gehörten nicht nur einige Brauereikonzerne, sondern auch der Ölkon-zern Gulf, die Fleischkonservenfirma Swift & Company, die Santa-Fe-Eisenbahngesellschaft, American Express und die Southeastern States Portland Zement-Gesellschaft.[16]
In der Folge brachte im Jahre 1918 die Senatsuntersuchung der Propagandaaktivitäten der Brauereien die Verbindung zwischen diesem Verband und einem »Nationalen Farmerverband« an den Tag; er erhielt Geld von den Brauereien, andere Zuschüsse von weiteren Eisenbahngesellschaften (Union Pacific, Illinois Central, Missouri-Kansas-Texas-Eisenbahn und Southern Pacific) und riesige Summen von einer Einzelperson, einem Eric P. Swenson, der seine Interessen zwischen Bankgeschäften in New York und der Verwaltung großer Ranchen in Texas aufteilte.[17] Der »Nationale Farmerverband« gab ebenfalls Material heraus, unter anderem Artikel gegen das Frauenwahlrecht.
Daß die weiblichen Gegner häufig aus finanzstarken Kreisen kamen, wurde bereits erwähnt. Sie hatten oft enge Beziehungen zu führenden Persönlichkeiten der Geschäftswelt. Zwei Leiterinnen der nationalen Organisation der Wahlrechtsgegner waren mit Eisenbahndirektoren verheiratet. Die Eisenbahnen und Konzerne waren ihrerseits eng verflochten mit dem Vorstand des Männerwahlrechtsvereins (Man Suffrage Association), in dem der Schwiegersohn von J. P. Morgan, Direktoren der Eisenbahngesellschaften Southern Pacific, Northern Pacific und Missouri-Kansas-Texas sowie städtische Transportunternehmer vertreten waren. Triebfeder des Männerwahlrechtsvereins war Everett P. Wheeler, von den Suffragetten als der böse Geist der Opposition erachtet, der sein Geld als Konzernberater verdiente.[18] In Massachusetts, wo sich die Wahlrechtsgegner so verschanzt hatten, daß die Niederlage des Referendums von 1915 den Wahlrechtsaktivisten jede Hoffnung auf einen Erfolg durch die einzelstaatliche Taktik raubte, nahm das Woman's Journal die Aufstellungen der Wahlausgaben unter die Lupe, die laut Gesetz der Staatskanzlei vorgelegt werden mußten. Berichte dreier Antiwahlrechtsorganisationen zeigten, daß der größte Teil ihrer finanziellen Mittel von Einzelpersonen stammte, vier Fünftel davon Männer. Der Bericht erwähnte 31 695 Dollar von 135 Männern, also durchschnittlich 235 Dollar pro Mann. Entrüstet fragte das Journal: »Welche Art Mann kann es sich leisten, einen Scheck über 235 Dollar zu unterzeichnen, mit dem das Frauenwahlrecht bekämpft werden soll?« und beantwortete diese Frage selbst: »Die mächtigen Direktoren der finanzstarken Kreise Bostons.« Nach einer fünfwöchigen, alle Kräfte verzehrenden Kampagne in Tennessee gab Mrs. Catt zu Protokoll, daß die Lobbies der Eisenbahn- und Stahlindustrie sowie der übrigen Industrien, sogar »die Überreste des alten Whiskey-Rings«, sich in der Opposition gegen die Ratifizierung vereinigt hatten und daß sie vor nichts zurückschreckten, um die Wahlrechtskämpferinnen anzugreifen. Ihre Worte klingen erstaunlich modern:
»Man hat mehr Verleumdungen und Lügen über mich verbreitet als in den dreißig vergangenen Jahren, die ich für das Wahlrecht tätig war. Man hat mich überschwemmt mit vulgären, dummen und schwachsinnigen anonymen Briefen. Merkwürdige Männer und Männergruppen tauchten auf, die uns nie zuvor im Kampf begegnet waren... Sogar Schieber von der amerikanischen Steuerbehörde arbeiteten gegen uns, bis der Präsident der Vereinigten Staaten sie zur Ordnung rief... Sie nahmen unsere Telegramme an sich, zapften unsere Telefone an, horchten an unseren Fenstern und Türen. Sie griffen unser öffentliches und privates Leben an...«[19]
Man kann unschwer erkennen, warum die Interessen solcher Konzerne wie Eisenbahn, Ölgesellschaften und weiterer Industrien gegen die Einführung des Wahlrechts für Frauen standen. Die durch den sechzehnten Verfassungszusatz 1913 eingeführte bundesstaatliche Einkommenssteuer war erbittert als »kommunistisch« bekämpft worden; ebenso erging es der direkten Wahl der Senatoren durch die Bevölkerung, die im selben Jahr mit dem siebzehnten Zusatz eingeführt worden war. Auch andere Errungenschaften der »Neuen Freiheit«, wie die Einrichtung des bundesstaatlichen Zentralbankensystems, der Zollkommission und der Bundeskommission für Wirtschaftsregulierung (Federal Trade Commission), die neuen Antitrust-Gesetze sowie eine breite Bewegung zugunsten von Initiativrecht und Referendum, all das bedeutete eine geballte Bedrohung für die mächtigen Interessengruppen. Unter solchen Umständen würde eine zusätzliche große Wählerschaft, deren Kontrolle nicht gesichert schien und deren Führer sich häufig für die Sache weiterer Reformen einsetzten, eine neue Bedrohung darstellen. Welchen Schaden konnte ein solcher Zuwachs der Wählerschaft den enormen Privilegien zufügen, die sich hinter Subventionen für die Eisenbahnen, Vorrechten aller Art und Steuervergünstigungen verbargen?[20] Mrs. Maud Wood Park, die während der vier Jahre ihres Vorsitzes im Kongreßkomitee der NAWSA die Mitglieder des Senats nur zu gut kennengelernt hatte, schrieb über einige der Senatoren, sie seien »nicht wirklich für unser Regierungssystem. Sie glaubten an eine Oligarchie der Wohlhabenden und hatten Angst, daß Zollsätze gesenkt oder die staatliche Eisenbahnkontrolle ausgeweitet werden könnten, wenn Frauen die Möglichkeit zu wählen hätten.«[21] Es bestand auch, besonders in einigen der am unmittelbarsten betroffenen Industrien, die Furcht, daß die Frauen ihr Stimmrecht zur Verbesserung der Lage der Arbeiterinnen benutzen würden. Der Nationale Wählerinnenrat (National Council of Women Voters), der 1911 gegründet worden war als der verfrühte Versuch, die Kräfte der wahlberechtigten Frauen im Westen zusammenzufassen, erklärte als sein dreifaches Ziel: die Ausweitung des gleichen Wahlrechts auf andere Staaten, die Änderung der Verhältnisse in den Wahlrechtsstaaten in Richtung auf eine Verbesserung der Lage der Frauen, der Kinder und des Heims und »die Forderung nach Gerechtigkeit für die Frauen in Politik und Wirtschaft«.[22] Die Parlamentsprotokolle einiger Staaten, die sich über einige Jahre hinweg des Frauenwahlrechts erfreut hatten, konnten zur Verstärkung dieser Furcht beitragen; ebenso zahllose Reden und Artikel von Frauen wie Florence Kelley, Margaret Dreier Ro-bins, Leonora O'Reilly und anderen und die Veröffentlichung der NAWSA selbst.[23] Nicht nur hatten bekannte Reformerinnen wie Florence Kelley und Jane Addams im NAWSA-Vorstand gesessen; es gab noch spektakulärere und offensichtlichere Verbindungen zwischen dem Frauenwahlrecht und solch gefürchteten Reformbewegungen wie der, Kinderarbeit gesetzlich zu verbieten. Professor Morgan hat daraufhingewiesen, daß Mrs. Catt, als sie sich der Dienste Dr. Alexander McKelways als Berater des NAWSA-Kongreßko-mitees versicherte, den Ruf der Wahlrechtlerinnen bei den Männern nicht verbessert hätte, die unerschütterlich die Interessen der südstaatlichen Baumwollfabrikanten an billiger und gefügiger Arbeitskraft unterstützten; McKelway war bekannt als der Südstaatler im Bundesausschuß für Kinderarbeit, der sich der Abschaffung dieser besonderen Form der Ausbeutung widmete.[24]
Die Männer aus dem Norden, die im Senat den Kampf gegen den Wahlrechtszusatz anführten, waren auch Sprecher für die Interessen von Geschäftsleuten, und diese Tatsache hatte sich durch Nachrichten über ihre Stimmabgabe zu einer Unmenge von Gesetzesvorschlägen verbreitet. Senator Wadsworth aus New York, der auch dann, als sein Staat 1917 den Frauen das Wahlrecht erteilt hatte, nicht einen Millimeter von seinem Widerstand gegen das Frauenwahlrecht abwich, stimmte außerdem gegen die Einkommensteuer, gegen die direkten Vorwahlen, gegen die Besteuerung von Kriegsgewinnen und gegen eine Untersuchung der Wall-Street-Geschäfte. Senator Weeks, republikanischer Parteiführer aus Massachusetts, stimmte gegen die Direktwahl der Senatoren, gegen die Einkommensteuer, gegen die Kriegsgewinnsteuern und gegen die Einrichtung der Federal Trade Commission. Der Schwiegervater des Senators Saulsbury aus Delaware, Victor Du Pont, war »während seiner gesamten Karriere Rechtsbeistand und Berater im Familienunternehmen des Schießpulverkonzerns des E.I. Du Pont de Nemours«.[25] Senator Brandegee aus Connecticut hatte einen solchen Ruf, daß selbst das gewöhnlich neutrale Dictionary of American Biography bemerkte: »sein Einfluß war weitgehend negativ, wenn nicht gar reaktionär«. Er stimmte gegen die Direktwahl der Senatoren, die Ausweitung des Paketzustelldienstes, das Bundesbankensystem und die Einkommensteuer.
Diese Männer wären allein nie imstande gewesen, den Wahlrechtszusatz so lange hinauszuschieben, hätten sie nicht die Unterstützung der überwiegenden Mehrheit der Demokraten aus den Südstaaten gehabt. Jahrzehntelang hatte die Frage des Frauenwahlrechts für Politiker wie für die herrschenden Kräfte im Süden dieselbe Sprengkraft gehabt wie die Aufhebung der Rassentrennung heute, als Bedrohung der althergebrachten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen. Nach Mrs. Park war die Grundlage dieser unnachgiebigen Opposition Angst:
»Wie einige Gruppen von Geschäftsleuten im Norden, die es geschafft hatten, zur politischen Bürokratie zufriedenstellende Verbindungen herzustellen, hatten sie entsetzliche Angst vor der Möglichkeit jeder bedeutsamen Änderung in der Wählerschaft...«[26]
»Der zweite Abschnitt des vierzehnten Verfassungszusatzes sieht die Minderung der Abgeordnetenzahl solcher Staaten vor, die männlichen Bürgern aus irgendeinem Grund, mit Ausnahme von Rebellion oder Verbrechen, das Wahlrecht verwehren. Die Südstaatler scheinen die Angst nie losgeworden zu sein, daß dieser Abschnitt durchgesetzt werden würde, sollten die Frauen das Stimmrecht erhalten. Aus diesem Grund fürchteten sie alles, was die Aufmerksamkeit auf das Wahlrecht lenkte.«[27]
Dieser Tenor war in der Endphase des Kampfes Senatsreden gegen den Wahlrechtszusatz eigen, so zum Beispiel den Worten von Senator Smith aus Süd-Carolina, mit denen er die wenigen Südstaatler bestürmte, die die Einführung des Frauenwahlrechts durch einen Verfassungszusatz unterstützten:
»Ich warne jeden hier und heute Anwesenden, daß die Probe aufs Exempel gemacht werden wird, und sie wird gemacht werden, wenn das Geschrei um die Rechte des Negers losgehen wird; daß Sie Senatoren aus dem Süden, die mit Ja stimmen, dies hier und heute in Gang setzen... Wenn es ein Verbrechen war, der männlichen Hälfte dieser Rasse das Wahlrecht zu geben, warum ist es dann kein Verbrechen, es der anderen Hälfte zu geben? Sie haben sich selbst denen zugeordnet, die für beide Zusätze (den fünfzehnten und den neunzehnten) sind, und wenn die Zeit kommt, und sie wird kommen, da Sie den Folgen dieses Gesetzes gegenüberstehen, können Sie nicht mehr den Vorwurf erheben, die Ratifizierung des fünfzehnten Verfassungszusatzes sei ein Verbrechen gewesen... Wenn Sie also das Wort >Geschlecht< in den fünfzehnten Zusatz einfügen, so haben Sie damit die Verfassung so geändert, daß alle diese Leute befreit werden, während es doch vollständig in die gesetzgeberischen Kompetenzen der einzelnen Staaten fällt, ihre Gesetze so zu gestalten, daß sie unsere Zivilisation schützen, ohne die Gesetzgebung durch die Einmischung der Frauen der schwarzen Rasse zu verwirren.«[28]
Es waren auch nicht nur Südstaatler, die diesen Standpunkt vertraten. Die Senatoren Wadsworth aus New York und Reed aus Missouri beriefen sich ebenfalls auf die Rechte des einzelnen Staates, wobei sie tatsächlich erklärten, sie würden auch gegen einen Zusatz zur Bundesverfassung stimmen, der das Frauenwahlrecht verbiete! Und Senator Borah aus Idaho, der seinen Widerstand immer auf die einzelstaatlichen Rechte gründete, erklärte, er wolle der schweren Last, die die Südstaaten zu tragen haben, nichts hinzufügen. Einige seiner Worte klingen merkwürdig aktuell:
»Ich möchte meine Freunde auf der anderen Seite des Hauses fragen, ob Sie, wenn dieser Zusatz verabschiedet wird, vorschlagen, man solle heim zu seinem Wählervolk gehen und ihm erzählen: >Wir haben jetzt den fünfzehnten Zusatz, der die Diskriminierung aufgrund von Rasse oder Hautfarbe verhindert, dann den achtzehnten, der die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verhindert, und wir haben die Macht des Kongresses, die Verfügungen eines jeglichen Verfassungszusatzes durchzusetzen, und schlagen deshalb vor, daß diese Garantien der Verfassung der Vereinigten Staaten getreulich ausgeführt werden<? Geht irgend jemand davon aus, daß dieser Verfassungszusatz etwas anderes ist als ein weißer Verfassungszusatz?... Schlagen Sie vor, den Süden bezüglich der Wahlen unter Bundeskontrolle zu stellen? Wenn Sie das tun, haben Sie eine große Aufgabe vor sich, die Sie auf die leichte Schulter zu nehmen scheinen... Niemand hat die Absicht, die zweieinhalb Millionen Negerinnen des Südens wählen zu lassen, es sei denn... Parteiinteressen mit dem einfachen Ziel, Vorteile für die Partei zu erringen, erzwingen das.«[29]
Borah war nicht das hervorstechendste Beispiel dieser merkwürdigen Koalition, die sich, obwohl sie sich tagtäglich neu absprechen mußten, bis zur endgültigen Abstimmung dem Wahlrechtszusatz widersetzte. Hinsichtlich der stillschweigenden Obstruktion, die die Abstimmung über den Zusatz vor seiner Verabschiedung ein ganzes Jahr lang verhinderte, schrieb Alice Stone Blackwell im Woman Citizen einen herben Kommentar: »Der republikanische Senator Lodge aus Massachusetts war ganz offensichtlich Führer und Einpeitscher der Opposition, aber die liebevolle Kameraderie zwischen den >paar hartnäckigem Republikanern und den >paar hartnäckigem Demokraten, die normalerweise keine Zeit miteinander verschwenden, bot einen erstaunlichen Anblick für die Galerien. Lodge aus Massachusetts und Elliot Smith aus Süd-Carolina, Brandegee aus Connecticut, Martin aus Virginia, Wadsworth aus New York, Underwood aus Alabama - meistens zerstritten wie der deutsche Kaiser und der König von England - verteidigten, einig wie Zwillingsbrüder, die Nation gegen >das fürchterliche Unglück für die Nation, sollten Frauen durch einen Bundeszusatz das Wahlrecht erhaltene Die Kongreßprotokolle halten die meisten Reden der Senatoren fest, nicht aber das Bild, wie sich Republikaner und Demokraten im Arm halten, wie Demokraten Republikanern auf die Schulter klopften als Zeichen für die allgemeine Freudenstimmung, daß sie mit der Verhinderung der Abstimmung im Senat einen mächtigen Sieg verbucht hatten!«[30]
»Die unheilige Allianz« taufte Mrs. Catt diese Verbindung, nachdem sie und Mrs. Park von der Galerie aus Lodge aus Massachusetts und Martin aus Virginia Arm in Arm hinten im Saal beobachtet hatten, wo diese ihre Notizen verglichen. Sie konnte letzten Endes die Frauen nicht an der Erringung des Wahlrechts hindern, aber sie bewirkten doch einen größeren Aufschub und verursachten weit mehr Schwierigkeiten, als die übliche Feststellung in den Geschichtsbüchern nahelegt, derzufolge die amerikanischen Frauen nach dem Ersten Weltkrieg das Wahlrecht erhielten. »Wenn sie einen Wahlrechtszusatz haben könnten, der nicht die schwarzen Frauen einschließt, würden sie ihn augenblicklich verabschieden«, schrieb ein junger schwarzer Schriftsteller und Forscher an eine schwarze Frauen-führerin im März 1919. »Sie haben alle eine Todesangst vor dem Süden.«[31] Er schrieb dies genau drei Wochen, nachdem das Wahlrecht im Senat der Vereinigten Staaten an einer einzigen Stimme gescheitert war, und zwar dank der »unheiligen Allianz« zwischen den >paar hartnäckigem Senatoren des Südens auf dereinen Seite, die zermürbt waren von der Angst, eine schwarze Wählerschaft, wie eingeschränkt auch immer, könne die Vorherrschaft der Weißen ins Wanken bringen, und ihren konservativen Verbündeten aus dem Westen und Nordosten auf der anderen Seite, die alle von ihren eigenen, speziellen Ängsten beherrscht waren.
Hinter den Südstaatlern standen die Aktivitäten einer kleinen, aber höchst regen Gruppe von Frauen, die leidenschaftlich überzeugt waren, daß das Wahlrecht auf einzelstaatlichem Wege ihnen und ihresgleichen doppelten Vorteil bringen würde: Sie dürften wählen, würden damit aber die Vorherrschaft der Weißen durch die Verdoppelung der weißen Wählerschaft absichern; den scharzen Frauen ihre Rechte vorzuenthalten, würde nicht schwerer sein, als es bereits bei den schwarzen Männern gewesen war, eher sogar leichter.
Diesen Wahlrechtsgegnern aus dem Süden kam ein Paradox zu Hilfe, das eine Falle für die Wahlrechtsführerinnen aus dem Norden zu werden drohte. Es war schwierig (obwohl durchaus nicht unmöglich) für die NAWSA-Führung, ihrer eigenen Vergangenheit, in der diese Organisation die Befreiung der Schwarzen unterstützt hatte, den Rücken zu kehren. Aber in ihrer erbitterten Feindseligkeit gegen die Erteilung des Wahlrechts an nicht im Land geborene Immigranten (oft ohne Schulausbildung und nicht imstande, Englisch zu schreiben oder zu lesen) hatten Mrs. Stanton und Miss Anthony Vorurteilen Tür und Tor geöffnet, mit denen ungebildete befreite schwarze Männer und Frauen zusammen mit den Immigranten als Gegner aller Frauen ohne Wahlrecht angesehen wurden. Es war nur ein kleiner Schritt von der Forderung nach Bildung als Grundlage für das Wahlrecht bis zur Unterstützung der Südstaatler in ihrem Beharren auf der »weißen Vorherrschaft«. Bei ihrer Jahresversammlung 1903 in New Orleans konnte die NAWSA vor ihren liberaleren Mitgliedern erklären, sie habe die Abfassung ihres Grundsatzprogramms der hervorragenden und hochgebildeten Mary Church Terrell übertragen.[32] Als aber ihre traditionelle Politik der Mitgliedschaft für alle Frauen von einem Lokalblatt angegriffen wurde, veröffentlichte der Vorstand folgende Erklärung:
»...jede einzelstaatliche Untergruppe regelt ihre Angelegenheiten selbst in Übereinstimmung mit ihren eigenen Ideen und im Einklang mit den Bräuchen ihrer eigenen Region... die aktivsten Südstaatlerinnen haben in ihren eigenen Staaten immer betont, daß die Erteilung des Wahlrechts an Frauen, die lesen und schreiben können und Steuern zahlen, die Vorherrschaft der Weißen sichern würde, ohne daß man zu Methoden von anzweifelbarer Verfassungsmäßigkeit greifen muß.«[33] (Die Anspielung auf die »anzweifelbare Verfassungsmäßigkeit« bezieht sich auf den gefürchteten, jedoch niemals angewandten zweiten Teil des vierzehnten Zusatzes.) Eine der aktivsten dieser Südstaatlerinnen war Kate Gordon aus Louisiana, NAWSA-Schriftleiterin von 1901 bis 1909. Sie war tüchtig und hingebungsvoll und arbeitete energisch daran, die Sache des Wahlrechts für weiße Frauen mit Hilfe einzelstaatlicher Referenden voranzutreiben. 1909 trat sie zurück, um ihre Bemühungen auf die Durchsetzung des Wahlrechts für Frauen in ihrem Heimatstaat Louisiana zu konzentrieren. 1913 gründete sie die Organisation für das Frauenwahlrecht in den Südstaaten (Southern States Woman Suffrage Conference), deren Vorsitzende sie bis 1917 blieb, als sich die Organisation auflöste, weil die meisten Wahlrechtlerinnen des Staates der NAWSA und ihrer von Mrs. Catt entworfenen Strategie treu blieben.[34] Die Konferenz erhielt jedoch großzügige (wenn auch geheime) finanzielle Unterstützung von Mrs. O.H.P. Belmont, deren Hauptinteresse Alice Pauls Frauenpartei galt, die aber auch mit Kate Gordons Standpunkt sympathisierte, da sie in Alabama geboren war.
Eine weitere Südstaatlerin, die eine lange Karriere in Wahlrechtsarbeit und nationaler Führung damit beendete, daß sie auf den offenen Widerstand gegen den Bundesverfassungszusatz einschwenkte, war Laura Clay aus Kentucky.[35] Sie änderte ihre Haltung langsamer als Kate Gordon und nahm bis Ende 1918 an den Referendumskampagnen der NAWSA teil. Im März 1919 aber trat sie aus dem Gleichberechtigungsverein von Kentucky aus und gründete ihr eigenes Bürgerkomitee für einen einzelstaatlichen Wahlrechtszusatz; zwischen ihr und Miss Gordon gab es kaum noch Gegensätze, nachdem sich beide mit den bissigsten Gegnern des Frauenwahlrechts in den letzten Runden des Kampfes gegen die Ratifizierung des Verfassungszusatzes zusammengetan hatten.
Von Zeit zu Zeit veranschaulichten bestimmte Episoden, wie tiefsitzend und zerstörerisch die Rassenfrage hinter allen Aktivitäten zum Frauenwahlrecht wirkte. Als Ida Wells Barnett aus einem schwarzen Frauen-Club gemeinsam mit dem Block aus Chicago in jenem Wahlrechtsumzug marschieren wollte, der Woodrow Wilson bei seinem Besuch in Washington anläßlich seines Amtsantritts 1913 begrüßte, wurde ihr gesagt, die Südstaatlerinnen im Zug wären nicht einverstanden mit einer derartigen Rassenvermischung und sie müsse zusammen mit einer »farbigen Delegation« marschieren. Die militante Mrs. Barnett dachte nicht daran, eine solche Rassensegregation zuzulassen. Sie verschwand, bis sich der Zug in Bewegung gesetzt hatte, schlüpfte dann unauffällig vom Bürgersteig in den Block der Chicagoer Frauen, zu beiden Seiten flankiert von weißen Frauenrechtlerinnen, und blieb bis zum Ende des Umzugs dabei.[36]
Im Winter 1916 bereitete Mrs. Catt einen eindrucksvollen Auftritt von Suffragetten auf dem Parteitag der Republikaner in Chicago vor, mit dem die Aufnahme eines Wahlrechtsgrundsatzes in das Parteiprogramm erwirkt werden sollte. Sie duldete keine Republikaner aus dem Süden in den Reihen, denn, so schrieb sie an Miss Shaw, Republikaner aus dem Süden wären nur zu häufig Neger, »und das würde die ganze Wahlrechtsbewegung im Süden verderben«.[37]
Um 1919 hatte der sechzigjährige Kampf die Wahlrechtsanhängerinnen in die Lage versetzt, eine zusätzliche Stimme im Senat zu gewinnen und danach die Ratifizierung durch zwei Drittel der Staaten, also 36. Beides konnte nicht ohne ein Aufbrechen des »ehernen Südens« erreicht werden. Als der Verband der Frauenclubs im Nordosten (Northeastern Federation of Women's Clubs), eine Organisation von Schwarzen, die Aufnahme in die NAWSA beantragte, unternahm Mrs. Catt jeden Versuch, eine offene Konfrontation zu vermeiden; das konnte nur dadurch geschehen, daß der Verband seinen Antrag zurückzog. Sie wurde dabei unterstützt von Ida Husted Harper, die an Mary Church Terrell mit der Bitte schrieb, ihren Einfluß geltend zu machen, wie auch an Elizabeth Carter, die Vorsitzende jenes Verbandes. Mrs. Catt warnte den NAWSA-Vorstand, daß er, wolle er zu seiner eigenen Verfassung stehen, die farbigen Clubs zulassen müsse; aber der Preis dafür könne das Scheitern der Wahlrechtssache sein, und das in einem Augenblick, wo Sieg oder Niederlage von einem einzigen Staat abhänge.[38] Die meisten weißen Suffragetten teilten die nicht nur vorherrschenden, sondern selten in Frage gestellten rassistischen Ansichten, wie sie in der amerikanischen Gesellschaft der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts üblich waren. Nur wenige weitblickende Schwarze - Dr. DuBois, Mary Church Terrell und Ida Wells Barnett - unterstützten das Frauenwahlrecht, weil sie erkannten, daß die Schwarzen Amerikas früher oder später aus dem Umstand Nutzen ziehen würden, daß schwarzen wie weißen Frauen das Wahlrecht zustand.[39] Aber es sollte noch länger dauern, als selbst die pessimistischsten unter ihnen vorausgesehen haben.