Ein schwer erkämpfter Sieg, 1918-1920

Die Frauen, die am 10. Januar 1918 die Gallerien des Repräsentantenhauses mit der Hymne »Old Hundfed« auf den Lippen verließen, glaubten, das Ende ihres Kampfes stehe unmittelbar bevor. Sie irrten sich. Es brauchte noch eineinhalb Jahre, bis Mitte 1919, und einen neugewählten Kongreß, um den Wahlrechtszusatz im Senat der Vereinigten Staaten durchzubringen. Die Ratifizierung dauerte weitere vierzehn Monate. Erst im August 1920 war alles erreicht. Die Geschichte der eineinhalbjährigen Verzögerung im Senat ist unerfreulich und enthüllt, welche Kräfte am widerspenstigsten waren und wie sie durch beide Parteien hindurch wirkten.[1]
Unmittelbar nach der positiven Abstimmung im Repräsentantenhaus war die Lage hoffnungsvoll: Mrs. Catt ließ sich für die »Ratifizierungstour«, die sie plante, um die Aktionen in den einzelnen Staaten voranzutreiben, ein neues Kleid machen. Aber die kluge Helen Gardener warnte: »Man kann den Senat nicht drängen«, und die Suffragetten machten die bittere Erfahrung, daß sie recht hatte. Ein Grund dafür war, daß der »Siegesplan«, obwohl er eindrucksvolle Ergebnisse zeitigte, bis jetzt noch nicht in ausreichendem Maß vorwärts gekommen war, was jedem klar wurde, der die »Wahlrechts-Landkarte« unvoreingenommen studierte. Anfang 1918 verzeichnete sie elf Staaten mit vollem Frauenwahlrecht, aber der einzige östlich des Mississippi war immer noch New York. Die einzige Bresche im »ehernen Süden« war geschlagen worden, als in Arkansas die Abstimmung über die Vorwahlen gewonnen wurde. Vier weitere Staaten hatten wie Illinois das Frauenwahlrecht bei der Präsidentenwahl eingeführt, aber mit Ausnahme von Rhode Island lagen sie alle im Mittelwesten: Nord-Dakota, Nebraska und Michigan. Bezeichnenderweise wurden in drei weiteren Staaten Parlamentsbeschlüsse, die dieses Wahlrecht zugestanden hatten, wieder aufgehoben: in Indiana durch einen Gerichtsbeschluß, der das Gesetz für verfassungswidrig erklärte; in Ohio durch ein Referendum - am Tag des Sieges von New York! - und in Vermont durch das Veto des Gouverneurs. Daß sich das einzelstaatliche Frauenstimmrecht bei den Präsidentschaftswahlen als so zerbrechlich erwies, gab dem Impuls zur Durchsetzung des Zusatzes zur Bundesverfassung neuen Auftrieb. Aber um dabei Erfolg zu haben, mußten zuerst in den einzelnen Staaten weitere Gewinne erzielt werden.
Währenddessen kam der »unheiligen Allianz« im Senat der Tod von zehn Senatoren zu Hilfe, von denen sieben für das Frauenwahlrecht gewesen waren; von den Nachrückern konnte nicht erwartet werden, daß sie deren Ansicht teilen. Zwar versuchte Präsident Wilson wiederholt, zusätzliche Unterstützung im Senat zu gewinnen, hatte damit aber keinen Erfolg, und seine Bemühungen ließen die Frauenpartei auch weiterhin höchst unbefriedigt.[2] Die Frauen waren der Ansicht, daß er wieder einmal zu wenig zu spät tat, und nahmen die militanten Demonstrationen wieder auf- sie verbrannten seine Reden (darunter seine Erklärungen zum Frauenwahlrecht, die sie für unzulänglich hielten) und errichteten »Signalbrände« vor dem Weißen Haus. Wieder wurden Verhaftungen vorgenommen, gefolgt von Gefängnisstrafen und einer neuen Welle von Publizität.
Demgegenüber glaubten die NAWSA-Führerinnen, daß Wilson so energisch vorging, wie die Umstände es erlaubten. Der Krieg war jetzt in das letzte entscheidende Stadium an der Westfront eingetreten; nachdem im Juli 1918 der letzte große deutsche Vorstoß aufgehalten worden war und die Armeen der Alliierten zum Angriff übergingen, wurden die Probleme des bevorstehenden Friedens von immer größerer Bedeutung. In den Vereinigten Staaten selbst war die Lage kritisch, und zwar in zentralen Bereichen: Treibstoff war knapp, das Transportwesen stand kurz vor dem Zusammenbruch und eine Grippeepidemie breitete sich aus.
Wilson zog es vor, seinen Parteivorsitz nicht durch das Frauenwahlrecht zu gefährden, wenigstens nicht bis September. Dann änderte die Opposition plötzlich die Taktik; offensichtlich überzeugt, das Gesetz niederstimmen zu können, ließen sie zu, daß es eingebracht wurde; eine fünftägige Debatte sollte der Abstimmung vorausgehen. Daraufhin wurde Wilson unter Druck gesetzt, persönlich einzugreifen. Am 27. September bat er telegraphisch sechs Senatoren, die als unschlüssig bekannt waren, für die Gesetzesvorlage zu stimmen.[3] Am 29. September drängte Finanzminister McAdoo den Präsidenten zu einer Rede vor dem Senat, nicht etwa weil er hoffte, daß mit einem solchen Schritt die notwendigen Stimmen gewonnen werden könnten, sondern wegen des Eindrucks, den es auf die Öffentlichkeit machen würde und durch den im November die Wahl von Senatoren, die für das Frauenwahlrecht eintraten, erleichtert würde.[4] An diesem Punkt beschloß der Präsident zu intervenieren, indem er die sensationelle Entscheidung traf, im Senat zu einem Gesetzesvorschlag zu sprechen, der noch debattiert wurde. Zu diesem Entschluß trugen zweifellos mehrere Überlegungen bei, die sich in seiner Rede widerspiegelten. Es bestand die Aussicht, daß die Vorlage mit dem zusätzlichen Gewicht seiner Unterstützung durchkommen würde und daß die Durchsetzung der Vorlage unter Führung der Demokraten die Chancen der Partei bei den Kongreßwahlen nur wenige Wochen später erhöhen würde. So konnte er auch die Unterstützung für sein Friedensprogramm verstärken, das ihm am Herzen lag und von dem er geglaubt haben muß, daß auch viele Wählerinnen dahinter stehen würden. Er konnte auch nicht außer acht lassen, daß ein Widerspruch bestand zwischen der Führungsrolle, die die Vereinigten Staaten bei der weltweiten Demokratisierung für sich beanspruchten, und der Tatsache, daß die Demokratie im eigenen Lande zurückblieb, während andere Länder Schritte unternahmen, ihren Frauen die parlamentarische Vertretung zu gewähren. Auf dem Höhepunkt einer durch den Krieg bedingten liberalen Entwicklung und Anerkennung hatten die Frauen in den meisten Provinzen Kanadas das Wahlrecht erhalten.[5] In Großbritannien, wo die Wahlrechtsbewegung seit so langer Zeit parallel zu der in den Vereinigten Staaten gelaufen war, brach der engstirnige Widerstand, gegen den die Militanz nichts hatte ausrichten können, angesichts der Leistungen zusammen, die Frauen in einem Krieg vollbracht hatten, der eine Zeitlang von der Niederlage bedroht schien. Das britische Unterhaus hatte eine Gesetzesvorlage zum Frauenwahlrecht bereits am 20. November 1917 verabschiedet, und am 10. Januar 1918 (dem Tag, an dem im amerikanischen Repräsentantenhaus der Wahlrechtszusatz zum erstenmal durchkam) war der Widerstand im britischen Oberhaus, der Hochburg des Konservatismus, gewichen.[6]
Wilson verbrachte einen Sonntagnachmittag, um auf seiner eigenen Schreibmaschine seine Rede zu schreiben. Die NAWSA-Führerinnen hatten so engen Kontakt mit dem Weißen Haus, daß sie seine Entscheidung bereits im voraus kannten.[7] Montagmorgen, am 30. September, erschien der Präsident, nur eine halbe Stunde vorher angekündigt, vor dem Senat mit dem Appell, die Gesetzesvorlage zum Frauenwahlrecht als eine Kriegsmaßnahme zu verabschieden:
»Ich war der Annahme, daß der Senat mit dem Verfassungszusatz übereinstimmen würde, denn es geht nicht um umstrittene Grundsätze, sondern nur um die Frage der Methode, mit welcher das Wahlrecht auf die Frauen ausgedehnt werden soll. Parteiinteressen sind dabei nicht im Spiel und können es auch nicht sein. Unsere beiden nationalen Parteien haben sich verpflichtet, ausdrücklich verpflichtet, die Gleichheit des Wahlrechts für Frauen dieses Landes anzuerkennen. Keine Partei, so scheint mir, kann daher ihr Zögern hinsichtlich der Methode ihrer Durchsetzung rechtfertigen; keine Partei hat das Recht, die Ablösung der einzelstaatlichen Initiative durch eine Bundesinitiative hinauszuzögern, wenn die frühe Annahme dieses Gesetzes für die erfolgreiche Weiterführung des Kriegs notwendig ist und wenn die in den Parteiprogrammen von 1916 vorgeschlagene Methode einzelstaatlicher Aktionen nicht in einem angemessenen Zeitraum oder überhaupt nicht durchführbar ist. Dies ist ein Krieg der Völker, und was das Volk denkt, ist Grundlage von Stimmung und Moral dieses Krieges... Durch viele, viele Kanäle bin ich darauf aufmerksam gemacht worden, was die kämpfenden und tagtäglich arbeitenden einfachen Leute denken, auf denen der größte Teil der Schrecken und Leiden dieses Krieges lastet... Mit ihrer schlichten Logik denken sie, Demokratie bedeute, daß Frauen in allen Angelegenheiten ihre Rolle an der Seite der Männer und auf gleicher Stufe mit ihnen spielen sollten... In diesem Krieg haben wir die Frauen zu Partnern gemacht; sollen wir ihnen nur eine Partnerschaft hinsichtlich der Leiden, der Opfer und der Mühsal gewähren und nicht auch eine Partnerschaft der Privilegien und der Rechte? Dieser Krieg hätte weder von den anderen betroffenen Nationen noch von Amerika ohne die Dienste der Frauen geführt werden können - Dienstleistungen auf jedem Gebiet - und nicht nur in solchen Arbeitsbereichen, in denen wir sie gewöhnlich arbeiten sahen, sondern überall, wo Männer gearbeitet haben, sowie an allen Ecken und Enden der Schlacht selbs... Ich sage Ihnen offen, dieses Gesetz, auf dem ich bestehe, ist von entscheidender Bedeutung für den Sieg wie auch für alle Energien der Vorbereitung und der Schlacht. Und nicht nur für den Sieg allein. Es ist von entscheidender Bedeutung für die richtige Lösung der großen Probleme, die wir zu lösen haben und zwar sofort, wenn der Krieg vorbei ist.«[8]
Seine Rede war ein wortgewaltiges Plädoyer, aber sie machte nicht den geringsten Eindruck auf die Gegner des Frauenwahlrechts. McAdoo notierte sogar, daß das Auftreten des Präsidenten »von allen Gegnern des Verfassungszusatzes sehr übelgenommen wurde, und daß sogar diejenigen, die dafür waren, von Senatstraditionen und dem Gefühl beherrscht wurden, das Staatsoberhaupt solle nicht für ein bestimmtes Gesetz eintreten, das im Senat zur Diskussion stand«.[9] Die Debatte trug nur wenig Neues zur ideologischen Erörterung des Wahlrechts bei. Es spiegelte allerdings die Veränderungen wider, die während eines halben Jahrhunderts stattgefunden hatten; die Opposition sorgte sich nur mehr wenig um den Schutz der Weiblichkeit und des Heims, dafür umso mehr um politische Themen wie die Rechte der einzelnen Staaten. Noch immer konnte ein Senator McCumber aus Nord-Dakota verkünden: »Ob das Herz eines Kindes unter dem Herzen der Mutter oder gegen ihre Brust schlägt, Mutterschaft verlangt vor allem Ruhe und Freisein von Wettstreit, Aufregung und vom Herzeleid des Kampfs. Das geistige und physische Wohlergehen der Menschheit hängt mehr oder weniger von dieser Ruhe ab.«[10]
Aber das Thema, auf das alle Senatoren immer wieder zurückkamen, war das Recht jedes Staates, selbst zu entscheiden, welche seiner Bürger wählen konnten; an diesem Thema hielt nicht nur die Mehrheit der Südstaatler und jener Senatoren fest, die sich wie Borah in erster Linie mit den Problemen des Südens befassen wollten, sondern auch Pomerene aus Ohio, Reed aus Missouri und Wadsworth aus New York. »Einzelstaatliche Rechte« war zum magischen Schlagwort geworden, das alle Gegner des Frauenwahlrechts einte, trotz der Tatsache, auf die die Anhänger des Frauenwahlrechts den Senat immer und immer wieder hinwiesen, daß die Verfassung bereits achtzehn Zusätze erhalten hatte, die von drei Viertel der Staaten ratifiziert worden waren und daß diese Staaten deshalb kaum behaupten konnten, ihnen sei eine Stimme in diesen Angelegenheiten verwehrt worden. Einen Tag nach Wilsons Rede wurde das Frauenwahlrecht abgelehnt, wobei zweiundsechzig dafür und vierundreißig dagegen stimmten, also nur zwei Stimmen an der für die Verabschiedung eines Verfassungszusatzes erforderlichen Zweidrittelmehrheit fehlten. Dreißig Demokraten und zweiunddreißig Republikaner stimmten dafür, zweiundzwanzig Demokraten und zwölf Republikaner dagegen. Woman Citizen schrieb:
»Der gebotene Respekt vor der Meinung der Menschheit verlangt, daß genau geortet wird, wo die Verantwortung liegt. Dies ist nicht schwierig... Neuengland und die Demokraten des Südens hielten zusammen, und die Staaten der Atlantikküste von Maine bis Louisiana gaben achtundzwanzig der vierunddreißig Gegenstimmen ab. Dieser Teil unseres Landes ist als konservativ bekannt. Die Republikaner Neuenglands sowie Pennsylvania schlossen sich mit ihren neun Stimmen der Führung von Senator Lodge an.
Aus dem Süden kamen neunzehn Nein-Stimmen, obwohl mit Ausnahme von zweien in allen Südstaaten die Zahl der erwachsenen weißen Frauen die Gesamtzahl der Schwarzen beiderlei Geschlechts übersteigt. Die Senatoren des Südens hatten aber gerade angegeben, daß sie das Wahlrecht der schwarzen Frauen fürchteten ... In Wirklichkeit lieferte die Baumwollindustrie im Norden wie im Süden mit ihren Tausenden von Arbeiterinnen und im Süden sogar Kindern eine korrektere Erklärung für die Motive.«[11]
Zumindest diente die Abstimmung dazu, klare Verhältnisse zu schaffen; die Frauen wußten nun, woran sie waren. Für die NAWSA bedeutete das, jetzt schnell in die Tat umzusetzen, was auf der Jahresversammlung von 1917 entschieden und seitdem von Mrs. Catt noch ausführlicher vorbereitet worden war: bei den bereits in vier Wochen stattfindenden Wahlen mit dafür zu sorgen, daß gewisse Senatoren nicht wiedergewählt wurden. Die für eine mögliche Niederlage vorgemerkten Senatoren waren Weeks aus Massachusetts und Moses aus New Hampshire, beide Republikaner, sowie Saulsbury von Delaware und Baird aus New Jersey, beide Demokraten. Auch die Frauenpartei zog gegen Moses und Baird ins Feld.
Weeks und Saulsbury saßen als Parteiführer fest im Sattel, beide wurden dennoch geschlagen. (Daß Senator Weeks gegen die Bestätigung von Louis Brandeis, des ersten Juden, der in den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten berufen wurde, stimmte, war in der ganzen jüdischen Gemeinde von Massachusetts schnell bekannt geworden.) Senator Moses hatte seinen Sitz nur knapp zurückgewonnen, und Bairds Mehrheit war stark geschrumpft. Gleichzeitig mit dieser Wahl wurden in vier Staaten Wahlrechtsreferenden durchgeführt, von denen drei, in Süd-Dakota, Michigan und Oklahoma, siegreich waren, während das vierte in Louisiana mit nur wenigen tausend Stimmen verloren ging: für einen Südstaat war das gleichwohl ein Vorgang von großer Tragweite. Die drei siegreichen Kampagnen verdienen mehr als nur eine flüchtige Erwähnung, denn sie zeigen ganz klar, welche Widerstände weniger als zwei Jahre vor dem endgültigen Sieg dem Frauenwahlrecht noch entgegengebracht wurden. Alle drei Kampagnen wurden durchgeführt trotz nahezu unüberwindlicher Transportprobleme, trotz Grippeepidemie und wachsender Ermüdung bei den Suffragetten selbst, von denen die meisten unbezahlt für die NAWSA arbeiteten und gleichzeitig aktiv für den Krieg tätig waren. Diesen Widrigkeiten standen wachsende Erfahrung, ein höchstgeschultes Team von ganztägig arbeitenden Organisatorinnen und großes taktisches Geschick gegenüber.[12] Das Leslie-Erbe versorgte ab 1917 die NAWSA mit nahezu einer Million Dollar, und beide, die NAWSA wie die Frauenpartei, brachten eine angesichts der Nachfrage nach Kriegsanleihen und anderen Kriegsfinanzierungskampagnen erstaunlich hohe Summe zusammen.
Dennoch stand bei keinem Referendum das Ergebnis fest. In Michigan, so berichtete Mrs. Catt später ihrem Vorstand,
»bestand die Gefahr, daß überhaupt keine Kampagne stattfinden würde . . . Wir mußten die Frauen in dem Staat buchstäblich unter Druck setzen, eine Kampagne zu machen ... Es war eine sehr schwierige Aufgabe, sie davon zu überzeugen, daß das Wahlrecht zu diesem Zeitpunkt ein notwendiges Stück Kriegsarbeit war. Es kann wohl behauptet werden, daß in den Staaten mit Kampagnen eine große Zahl von trauen das nie begriffen hat und sich weigerte, der Kampagne Zeit oder Aufmerksamkeit zu widmen.«[13]
Die Kampagne in Süd-Dakota - es war die fünfte - entlockte ihr lediglich den säuerlichen Kommentar, daß »in diesem Staat die Frauen vermutlich von Kampagne zu Kampagne ein bißchen mehr zu diesem Thema gelernt hatten. In unserem Wahlrechtsbüro ist die allgemeine Stimmung: >Gott sei gedankt, daß Süd-Dakota geschafft ist<.[14]
Die Schwierigkeiten, denen die Suffragetten beim Referendum in Oklahoma begegneten, waren wahrscheinlich das schlimmste Beispiel für eine charakterlose Opposition in den Wahlrechtskampagnen überhaupt. Es gab unzählige örtlich bedingte Probleme, von denen der völlige Zusammenbruch des staatlichen Wahlrechtsvereins nach Beginn der Kampagne nicht das geringste war. Das war besonders schwerwiegend, da laut der Verfassung von Oklahoma die Zahl der zugunsten eines Verfassungszusatzes abgegebenen Stimmen die Gesamtzahl nicht nur der Nein-Stimmen, sondern auch der Enthaltungen übersteigen mußte. Der Gouverneur, der stellvertretende Gouverneur, der Generalstaatsanwalt und der Leiter des staatlichen Wahlvorstands ließen nichts unversucht, den Wahlrechtszusatz zum Scheitern zu bringen. Sie gingen sogar so weit, nur halb so viele Wahlzettel für den Zusatz als bei regulären Wahlen zu drucken und sie den Soldaten gänzlich vorzuenthalten, die in den Armeelagern des Staates die Stimme abgeben mußten. Die NAWSA schickte zwei ihrer besten Organisatorinnen, das Team von Mutter und Tochter Shuler, auf Monate nach Oklahoma und gab für diese Kampagne mehr Geld aus als für die in irgendeinem anderen Staat - fast 20 000 Dollar.[15] Nach der Wahl wurden große Anstrengungen unternommen bei der Auszählung, die schließlich einen klaren Sieg des Wahlrechts ergab, und die letzte Organisatorin der NAWSA verließ Oklahoma erst einen Monat später, am 3. Dezember, nachdem der Gouverneur sich endlich mit den Realitäten abgefunden und die Verabschiedung der Vorlage verkündet hatte.[16]
Die drei Siege von 1918 erhöhten die Zahl der Staaten, in denen Frauen bei den nächsten Präsidentschaftswahlen teilnehmen würden, auf zwanzig, mit insgesamt 237 Wahlmännern. Die Niederlage der Senatoren Weeks und Saulsbury bedeutete, daß der Wahlrechtszusatz im 66. Kongreß durchkommen würde, vorausgesetzt, daß es keine Todesfälle unter den das Wahlrecht befürwortenden Senatoren gab. Das war keine geringe Sorge: denn während der Sitzungsperiode des 65. Kongresses waren nicht weniger als zehn Senatoren gestorben, von denen sieben den Wahlrechtszusatz unterstützt hatten. Das Problem, die leergewordenen Sitze mit Männern zu besetzen, auf deren Stimme für den Zusatz sie rechnen konnten, beschäftigte sowohl die Frauen, die in Washington »auf dem Hügel« Lobbyarbeit machten, wie auch die Frauen, die in den einzelnen Staaten die Aufgabe hatten, auf Parlamente und Gouverneure unablässigen Druck auszuüben.[17]
Es gab verschiedene Gründe dafür, daß eine solche Situation noch immer nicht die Erlösung brachte. Eine Annahme des Verfassungszusatzes 1919 bedeutete, daß nur verhältnismäßig wenige Parlamente ihre reguläre Sitzungsperiode hätten und daß dreißig Gouverneure davon überzeugt werden mußten, Sondersitzungen einzuberufen, wenn Frauen bei den Präsidentschaftswahlen von 1920 wählen sollten. Hinzu kam, daß der Krieg endlich vorbei war. Die weiterblickenden Frauen fürchteten, ein Wahlrechtssieg in augenscheinlich greifbarer Nähe würde ihnen entgleiten, wenn er zu lange aufgeschoben und in die unvermeidliche konservative Reaktion nach dem Krieg verwickelt werden würde.[18]
Es gab daher Grund genug, im 65., dem sogenannten »Lahme-Ente«-Kongreß auf Verabschiedung zu drängen, und die Ernennung eines wahlrechtsfreundlichen Senators ausgerechnet aus Süd-Carolina als Nachfolger für den verstorbenen und feindseligen Senator Ben Tillmann war eine zusätzliche Quelle der Hoffnung. Offenbar dachte die Opposition genauso und unternahm jeden Versuch, den Gesetzesvorschlag solange nicht zur Abstimmung kommen zu lassen, bis sie seines Ausgangs sicher sein konnten; da laut Geschäftsordnung des Senats Einstimmigkeit erforderlich war, um an diesem Punkt die Gesetzesvorlage zur Abstimmung zu bringen, lösten die beiden republikanischen Senatoren Weeks und Wadsworth während der Senatssitzungen einander ab, um abwechselnd jeglichen Fortgang zu blockieren. Als sie endlich nachgaben und die Abstimmung am 10. Februar 1919 zuließen, taten sie es nur, weil sie wußten, daß die Vorlage mit Sicherheit scheitern mußte:
»Es ging das Gerücht, daß, falls das Wunder geschehen sollte, nämlich falls die neu hinzugekommene Stimme sich auf die Seite des Wahlrechts schlagen sollte, ein Filibuster versucht würde. Deshalb war alle Aufmerksamkeit darauf gerichtet, wie sich die Oppositionsführer, die Senatoren Lodge und Martin, verhielten. Der Vorsitzende des Wahlrechtsausschusses des Senats, Senator Jones aus New Mexico, stellte einen Antrag auf einstimmige Befürwortung einer erneuten Erörterung des Wahlrechtszusatzes. Sofort war Senator Lodge auf den Beinen. >Keine Einwände dagegenc, erklärte er verbindlich. Mit diesen Worten schwanden alle Wahlrechtshoffnungen dahin.«[19]
Der Frauenwahlrechtszusatz scheiterte an einer Stimme. Während des Januar und der ersten Februartage des Jahres 1919 hatten 24 Parlamente beim Kongreß Denkschriften eingereicht, in denen sie ihn aufforderten, ihnen den Verfassungszusatz zu unterbreiten - ein deutlicher Beweis dafür, daß sie ihm zugestimmt hätten, wäre er ihnen in der regulären Sitzungsperiode vorgelegt worden. Andere Senatoren erhielten von der Mehrheit ihrer jeweiligen Parlamente vorgelegte Petitionen gleichen Inhalts. Die Zahl der Wahlmänner aus den Staaten, in denen Frauen das Wahlrecht bei den Präsidentschaftswahlen oder allgemein erhalten hatten, erhöhte sich zur Zeit der endgültigen Abstimmung im Senat auf 339 von insgesamt 435.[20] Dennoch kamen neun der Nein-Stimmen aus Staaten, die sich dafür ausgesprochen hatten: Wadsworth aus New York, Borah aus Idaho (beide aus Staaten mit dem vollen Frauenwahlrecht), Pomerene aus Ohio, Hitchcock aus Nebraska, Reed aus Missouri, Fletcher und Trammel aus Florida, Moses aus New Hampshire und Haie aus Maine.
Die Abstimmung vom 10. Februar ließ keine andere Wahl, als den 66. Kongreß abzuwarten und in der Zwischenzeit jede Möglichkeit auszuschöpfen, die schnelle Annahme des Zusatzes und darüber hinaus seine Ratifizierung sicherzustellen. Mehr als 500 Resolutionen überfluteten den Kongreß, aus Bürger-, Kirchen-, Arbeiter-, Bildungs- und Farmerverbänden; sie wurden dem Kongreß so lästig, daß er eine alte Regelung wieder in Kraft setzte, derzufolge der Abdruck solchen Materials in den Kongreßprotokollen untersagt war.[21] Sechs weitere Parlamente erteilten den Frauen das Wahlrecht bei den Präsidentschaftswahlen: Iowa, Minnesota, Missouri, Ohio, Wisconsin und Maine, wobei das Parlament von Maine Senator Haie, der am 10. Februar gegen das Frauenwahlrecht gestimmt hatte, dazu bewegte, sich für dessen Unterstützung einzusetzen. Es wird allgemein Präsident Wilson selbst zugeschrieben, während seiner Teilnahme an der Pariser Friedenskonferenz die letzte notwendige Stimme, diejenige von Senator Harris aus Georgia, gesichert zu haben.
Von Präsident Wilson aufgefordert, trat der 66. Kongreß am 20. Mai 1919 zu einer Sondersitzung zusammen. In einer telegraphischen Botschaft aus Paris empfahl Wilson beiden Häusern erneut, den Bundesverfassungszusatz zum Frauenwahlrecht anzunehmen.[22] Am selben Tag wurde der Zusatz im Repräsentantenhaus wieder angenommen, diesmal mit der überwältigenden Mehrheit von 304 zu 89 Stimmen, 42 Stimmen mehr, als für die nötige Zweidrittelmehrheit erforderlich waren. Dieser enorme Zuwachs hatte sich weitgehend aus der Wahl von 117 neuen Mitgliedern des Repräsentantenhauses ergeben; von denen, die sich für das Frauenwahlrecht ausgesprochen hatten, machte nur einer seine Entscheidung wieder rückgängig. Der Endrunde im Senat fehlte die Dramatik früherer Szenen. Die Debatte zog sich schleppend über zwei Tage hin, den 3. und 4. Juni, obwohl die meisten Wahlrechtsanhänger sich großer Reden enthielten, um die Abstimmung zu beschleunigen. Der größte Teil der Reden kam von der Opposition und drehte sich hauptsächlich um das Thema der einzelstaatlichen Rechte, in erster Linie um deren Bedeutung für den Süden und das Wahlrecht für schwarze Frauen. Drei weitere Verfassungszusätze wurden ganz offensichtlich nur zu dem Zweck vorgeschlagen, die Abstimmung noch weiter hinauszuzögern, aber sie wurden alle abgelehnt. Es gab lange Reden von Brandegee aus Connecticut, Underwood aus Alabama, Smith aus Süd-Carolina, Wadsworth, Borah und Reed aus Missouri, der fünf Stunden lang redete und dessen Wortschwall, wie die Zeitschrift Woman Citizen ausrechnete, die Steuerzahler rund 6000 Dollar kostete.
Es mußte niemand auf Bahren hineingetragen werden, um die Abstimmung zu retten, und niemand fiel in letzter Minute um, der die Listen durcheinandergebracht hätte, die zum letzten Mal oben auf der Galerie geführt wurden. So viele Wahlrechtsgegner waren abwesend, daß Senatoren, die zwar im Protokoll ihre Ja-Stimme festgehalten sehen wollten, denen es aber noch mehr um die endgültige Annahme der Vorlage ging, sich der Forderung nach einer paarweisen Abstimmung fügten.[23] Sie ging schnell und glatt über die Bühne:
»Ashursts >Ja< folgten nacheinander 4 Nein-Stimmen, von Bankhead, Beckham, Borah und Brandegee. Bei C gab es fünf Ja-Stimmen: Capper, Chamberlain, Culberson, Cummins und Curtis. Dieses Mal brauchte ich die Liste nicht zu überprüfen, denn ich kannte die zu erwartende Stimmabgabe auswendig, und mein Ohr hätte sofort jede Abweichung von unserer Kalkulation wahrgenommen. Bei F und K, welche mit Ausnahme von Knox alle uns gehörten, blieb alles unverändert; bei M und N, P und S, wo die größte Stimmenanzahl für uns kommen sollte, bis hin zur letzten Ja-Stimme von Watson, ging alles glatt. Dann wurden die gepaarten Stimmen verlesen, darunter zehn Anhänger und fünf Gegner. Jeder Senator wurde protokolliert. Nicht einer der 66 Männer, mit denen wir gerechnet hatten, hatte uns im Stich gelassen.«24 Obwohl der Senat der Vereinigten Staaten endlich die politische Gleichheit der Frauen akzeptiert hatte, verließen diese diesmal die Galerien nicht mit einer Hymne auf den Lippen. Der Sieg hatte zu lange auf sich warten lassen, um noch einen solchen Freudenausbruch hervorrufen zu können; und noch stand die Ratifizierungskampagne bevor, deren Ausgang dank der »unheiligen Allianz« so schwierig und ungewiß wie nur irgend möglich war. Wieder einmal wurde die Vorstellung, daß das Schlimmste vorbei und die Ratifizierung eine Kleinigkeit sei, schnell zunichte gemacht. Die erste Reaktion auf die Telegramme, die Mrs. Catt und Miss Paul an die Gouverneure der 48 Staaten sandten, war ermutigend. Die ersten, die sofortige Aktion versprachen, waren Gouverneur Alfred E. Smith aus New York und Gouverneur Henry Allen aus Kansas; letzterer hatte sich während der erfolglosen Kampagne von 1915 in New York als Redner zur Verfügung gestellt. Während der ersten Wochen, nachdem der Zusatz an die Parlamente weitergereicht worden war, ratifizierten ihn drei Staaten des Mittelwestens. Illinois und Wisconsin, deren Parlamente gerade tagten, lieferten sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen, um Erster zu sein. Illinois überrundete Wisconsin um einige Stunden, aber dann wurde entdeckt, daß die Ratifizierungsvorlage in Illinois von einem Schreiber falsch aufgesetzt worden war, und so kam Wisconsin die Ehre zu, als erster Staat die formelle Ratifizierungserklärung dem Außenminister in Washington einzureichen. Michigan konnte sich rühmen, als erster Staat eine Sondersitzung seines Parlaments einberufen zu haben, und wurde dritter. Alle drei verabschiedeten die Vorlage am 10. Juni. Das sah täuschend einfach aus, aber eine solch schnelle Aktion setzte lange und sorgfältige Vorbereitungen voraus. Jahrelang hatte Mrs. Catt auf der Notwendigkeit bestanden, in den Staaten mit bereits erobertem gleichen Wahlrecht die Wahlrechtsorganisationen in Gang zu halten, und zwar mit dem Ziel, die einzelnen Parlamente sofort nach der Weiterreichung des Zusatzes zur Ratifizierung zu veranlassen, und wieder einmal sollte sie recht behalten. Oft waren die Staaten, in denen sich die Ratifizierung hinschleppte, auch diejenigen, wo die Frauen zu schnell auseinandergegangen waren. In Wisconsin dagegen hatten die Suffragetten lange durchgehalten, sie organisierten, rechneten die Stimmverhältnisse beider Häuser durch, machten Lobbyarbeit, zogen die Frauen in den einzelnen Distrikten zu solcher Arbeit heran und brachten Geld auf. Das Ergebnis belohnte ihre Mühen reichlich. Bevor noch anderswo ein Ende abzusehen war, konnte die Frau, die sechs harte Jahre lang im Frauenwahlrechtsverein von Wisconsin als Vorsitzende gedient hatte, einer Freundin schreiben, sie seien jetzt schon so daran gewöhnt, die Bürde der Kampagne zu tragen, daß sie es beinahe nicht glauben könnten, daß diese Bürde von ihnen genommen sei.[25] Man hätte annehmen können, daß jene Staaten, in denen das Wahlrecht bereits erobert war, umgehend und ohne großen Einsatz von seiten der NAWSA-Führerinnen ratifizieren würden. Das war nicht der Fall, mit Ausnahme von Michigan, New York und Kansas, von denen die letzten beiden am 16. Juni ratifizierten. Die aufgebrachten Suffragetten hatten schließlich den Eindruck, daß die Staaten, in denen Frauen am längsten das Wahlrecht hatten, sich mit der Ratifizierung am meisten Zeit ließen. Montana war der erste Staat des Westens, der den Verfassungszusatz annahm, und zwar am 2. August. Danach geschah dies in einem »Wahlrechtsstaat« erst wieder, als Utah als dreizehnter Staat am 30. September ratifizierte. Kalifornien und Colorado verabschiedeten den Zusatz erst am 1. November bzw. am 12. Dezember; Wyoming rückte mit seiner Ratifizierung am 26. Januar 1920 unverzeihlicherweise an die 27. Stelle, und Washington, wo die Einführung des Frauen Wahlrechts bereits 1910 einen Durchbruch für die Wahlrechtsbewegung bedeutet hatte, ratifizierte am 22. März als 35. Staat. Zu diesem Zeitpunkt konnten Suffragetten die übrigbleibenden Staaten, in denen die Ratifizierung eine Chance hatte, an den Fingern einer Hand abzählen.[26]
Aber bei genauem Hinsehen waren es nicht die Wahlrechtsstaaten, die das wirkliche Problem für die Ratifizierung darstellten; sie waren nur zusätzliche Störfaktoren. Bei einer Abschätzung der tatsächlichen Möglichkeiten schien es vielmehr überaus wahrscheinlich, daß die Opposition in dreizehn Staaten die Annahme des Zusatzes verhindern könnte. Sechs Monate vor dem Sieg im Senat warnte Mrs. Catt ihren Vorstand:
»Es liegen noch einige schlimme Risiken vor uns, die sichere Voraussagen unmöglich machen. Ich rechne damit, daß Maryland, Virginia, Nord-Carolina, Süd-Carolina, Florida, Georgia, Alabama, Mississippi, Louisiana und Delaware zumindest während des ersten Jahres nicht ratifizieren werden. Wenn die Opposition zusätzlich zu diesen zehn noch Pennsylvania, New Jersey und einen weiteren Staat halten könnte, wären wir bei der Ratifizierung geschlagen... Die Lage läßt es als möglich erscheinen..., daß der Wahlrechtskampf in diesem Land noch auf Jahre hinaus andauern wird.«[27] Im selben Bericht schätzte sie die Situation in folgenden Staaten als schwierig, aber möglicherweise positiv ein: Maine, New Hampshire, Vermont, Massachusetts, Wisconsin, West Virginia, Ohio und Iowa. Acht Monate später, nachdem der Zusatz durch den Kongreß gekommen war, ergab sich ein klareres Bild, und sie schrieb an die junge Marjorie Shuler:
»Der Plan der Gegner besteht darin, dreizehn Staaten zu finden, die sie gegen die Ratifizierung stellen können. Sie waren so freundlich, uns die Liste dieser Staaten zu geben. Es sind die ehernen Südstaaten: Maryland, Virginia, Nord-Carolina, Süd-Carolina, Georgia, Alabama, Mississippi, Louisiana, Florida, Kentucky, Tennessee und Delaware. Ich glaube nicht, daß sie allzu viele Mühen haben werden, all diese zu halten. Ihr dreizehnter Staat wird jetzt entweder New Jersey, Connecticut, Vermont oder New Hampshire. Das sagen sie, und sie haben alle anderen aufgegeben.« Marjorie Shuler wurde zur Agitation nach New Hampshire entsandt, und mit jener herausfordernden Art, mit der sie sich ergebene Suffragetten zu tiefer Loyalität verpflichtete, fügte Mrs. Catt hinzu: »Du glaubtest, du hättest in Vermont wirkliche Arbeit geleistet - doch das war nur eine Vergnügungsreise. Hier ist nun eine richtige Arbeit; tu sie, und biete alle deine Kräfte dafür auf.«[28]
Mrs. Catt war keine Wahrsagerin; Pennsylvania und New Jersey ratifizierten beide, Pennsylvania in weniger als drei Wochen. Was zählte, war nicht die Genauigkeit all ihrer Vorhersagen, sondern die Tatsache, daß ihre Arbeitsmethode eine rechtzeitige Korrektur ihrer Einschätzungen möglich machte. Kein Südstaat wurde abgeschrieben. Texas konnte offensichtlich nicht zum ehernen Süden gerechnet werden, denn es hatte seinen Frauen bereits im März 1918 das Wahlrecht bei den Vorwahlen und im Mai 1919 bei den Präsidentschaftswahlen erteilt; es war der neunte Staat, der ratifizierte, und der erste des Südens.[29] Die Grenzstaaten Kentucky und Tennessee gaben den Ausschlag. Kentucky, wo die beliebte Madeline Breckinridge die Kampagne leitete, ratifizierte am 6. Januar 1920, dem allerersten Tag seiner regulären parlamentarischen Sitzungsperiode. In Tennessee sollte die schicksalhafteste aller Schlachten geschlagen werden. Die Taktiken, um die Zauderer auf Trab zu bringen, wechselten je nach den Gründen der Verzögerung. Staaten, die sich zurückhielten, weil die Gouverneure wegen der entstehenden Kosten keine Sondersitzungen einberufen wollten, wurden dazu gebracht, als die Parlamentarier, angestachelt von den Frauen, anboten, ohne die ihnen für solche Sitzungen zustehenden Sonderspesen zu tagen, und die Frauen erledigten die in der Sitzung anfallenden schriftlichen und Botenarbeiten ebenfalls ohne Bezahlung. Trotz der Tatsache, daß Frauen in Oregon seit 1912 das Wahlrecht hatten, bestand der dortige Gouverneur darauf, daß in einer zur Ratifizierung des Zusatzes einberufenen Sondersitzung kein anderes Gesetz behandelt werde. Als die Abgeordneten sich angesichts dieser Beschränkung verständlicherweise widersetzten, kündigte er an, er würde sie nur dann zu einer Sondersitzung einberufen, wenn Oregon als 36. Staat für die Ratifizierung gebraucht würde. Nationale Führerinnen, darunter Mrs. Catt selbst, mußten Besuche machen, um alle nötigen Hebel in Bewegung zu setzen, damit der Gouverneur gezwungen würde, das Parlament einzuberufen; damit wurde Oregon zum 25. Staat, der den Zusatz verabschiedete.
Eine Frau gab ihr Leben für die Ratifizierung des Zusatzes. Oklahoma gehörte als 33. zu den Staaten, die nur zögernd ratifizierten. Die Demokraten hatten auf einer Reihe von Bezirkskongressen zur Wahl der Delegierten für den bundesstaatlichen Parteitag Resolutionen verabschiedet, mit denen der Gouverneur bedrängt werden sollte, das Parlament einzuberufen, was er bisher beharrlich abgelehnt hatte. Miss Aloysius Larch-Miller, Sekretärin des Frauenkomitees von Oklahoma für die Ratifizierung, war als Rednerin auf einem solchen Parteitag vorgesehen. Obwohl sie an Grippe erkrankt war, hielt sie entgegen den Anweisungen ihres Arztes eine Rede, mit der sie die Versammlung für ihre Sache gewann. Zwei Tage später starb sie. Es gab während dieser Monate noch einen weiteren Todesfall, der zwar nicht unmittelbares Ergebnis des Kampfs um die Ratifizierung, aber mit Sicherheit Folge einer lebenslangen Hingabe an den Fortschritt in der Sache der Frauen war. Am 2.Juli 1919 war Dr. Anna Howard Shaw an einer Lungenentzündung gestorben, die sie sich durch Überarbeitung bei einer Vortragsreise zugezogen hatte. Diese Reise hatte sie zusammen mit dem ehemaligen Präsidenten Taft und dem Rektor Lowell von Harvard unternommen, um die Annahme des vieldiskutierten Friedensvertrages und vor allem die Gründung eines Völkerbundes voranzutreiben. Die Veteranin, 72 Jahre alt und völlig erschöpft von ihrer Arbeit im Frauenausschuß des Nationalen Verteidigungsrates während des Krieges, kam dieser Aufforderung genauso nach, wie sie fünfzig Jahre lang alle anderen Pflichten wahrgenommen hatte. Diese letzte Anstrengung nach langen Jahren unaufhörlichen Reisens und Redens, wobei sie immer zuvörderst die Sache der Frauen im Sinn hatte, brachte ihr den Tod. Sie war bereits krank, als der Zusatz im Senat durchkam, und lebte gerade noch lange genug, um zu erfahren, daß die Ratifizierungskampagne einen guten Start gehabt hatte.
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Der 34. Staat wurde im März 1920 West Virginia. Hier wirkte die Opposition nicht über den Gouverneur, sondern innerhalb des Parlaments, und die Abstimmung im Senat ging unentschieden aus. Das Parlament tagte weiter, und unermüdliche Suffragetten aus beiden Organisationen bedrängten die Abgeordneten, während der Senator Jesse A. Bloch, dessen Stimme für den Sieg ausschlaggebend wurde, in der aufsehenerregenden Zeit von fünf Tagen von der Pazifik-Küste durch das ganze Land zurückreiste, um seine Stimme für die Ratifizierung abzugeben. Wenige Tage später folgte Washington an 35. Stelle.
Eine solche bloße Aufzählung muß außer acht lassen, daß die Opposition zunehmend bösartiger wurde, daß es in vielen Staaten für die Wahlrechtsanhänger überaus schwierig war, unwillige Gouverneure oder Abgeordnete auf ihre Seite zu bringen, und daß einige Argumente gegen die Einberufung von Sondersitzungen, etwa der Hinweis auf die entstehenden Kosten, erbärmliche Ausflüchte waren. Und doch kam es in den Staaten, die schließlich ratifizierten, nur selten zu wirklichen Schwierigkeiten, wenn die Parlamente erst einmal tagten. Die Bedeutung der Episode in West Virginia lag in dem Umstand begründet, daß die Opposition die Machtprobe auf sich zukommen sah.
Die Gouverneure von Connecticut und Vermont hatten abgesprochen, ihre jeweiligen Parlamente (die beide auf Ratifizierung drängten) nicht zu Sondersitzungen zusammenzurufen, und nichts konnte sie davon abbringen. Connecticut wurde kreuz und quer von einem »Notstandstrupp« angesehener Frauen, eine aus jedem Bundesstaat, bereist; der Name entstammte einer Erklärung des Gouverneurs, die man ihm im April abgerungen hatte, derzu-folge er das Parlament einberufen würde, wenn er den Beweis erhielte, daß ein »Notstand« herrsche. Aber offensichtlich konnte kein noch so großer Druck den erforderlichen »Beweis« erbringen.
In Vermont zog sich der Gouverneur auf das bestechende Argument zurück, die Angelegenheit solle nur von einer Versammlung verabschiedet werden, die eigens für eine Entscheidung in dieser Sache gewählt würde. Nicht einmal der Besuch einer in der Geschichte dieses Staates einmaligen Delegation konnte ihn umstimmen:
»Zwölf der vierzehn Bezirke wurden von vierhundert Frauen repräsentiert, die alle Hindernisse der langen Entfernungen, nahezu unpassierbarer Straßen und schlechter Eisenbahnverbindungen überwanden und zum Kapitol marschierten. Viele kamen aus Städten, die abseits der Eisenbahnstrecken lagen; eine Frau ging fünf Meilen zu Fuß zum Bahnhof. Andere kämpften sich im Morgengrauen durch tiefen Schnee und über schlammige und steinige Straßen. Als sie das Kapitol erreichten, marschierten sie wie eine schweigende Armee treuer Soldaten durch kalten durchdringenden Regen und bezogen Posten vor dem Amtssitz des Gouverneurs. Eine Frau nach der anderen trug in ein oder zwei Sätzen das Anliegen der Bürger von Vermont vor. Die Antwort des Gouverneurs war, ihm käme es nicht auf eine sofortige Entscheidung an.«[30]
Er bemühte sich auch später nicht darum, so lange bis der Verfassungszusatz ohne die Hilfe von Vermont ratifiziert worden war.
Delaware war zwar von Mrs. Catt, der Frauenpartei und den Wahlrechtsgegnern ursprünglich als nahezu uneinnehmbar erachtet worden, aufgrund bestimmter Umstände hatten sich die Aussichten hier aber verändert. Die bundesstaatlichen Ausschüsse der Republikaner und Demokraten und der republikanische Gouverneur waren für das Frauenwahlrecht. Die nationalen Ausschüsse beider Parteien setzten im Blick auf die kommenden Wahlen ihren ganzen Einfluß für die Ratifizierung in Delaware ein. Dover, die Hauptstadt des Staates, wurde von Lobbyisten der Brauereien, Eisenbahngesellschaften und anderen Wirtschaftsgruppen auf der einen Seite und von Suffragetten auf der anderen belagert. Das Oberhaus des Parlaments stimmte tatsächlich zugunsten der Ratifizierung ab. Am 2. Juni aber entschied sich das Unterhaus in einer Abstimmung, die Gesetzesvorlage nicht zu behandeln, und dies schloß Delaware als möglichen 36. Staat aus. In Nord-Carolina wurde eine Sondersitzung des Parlaments für den Sommer 1920 festgesetzt, und die Demokraten hatten bereits im April auf ihrem staatlichen Parteitag beschlossen, ihren Abgeordneten die Ratifizierung zu empfehlen. Doch Nord-Carolina war ein Staat, der seinen Frauen bis dahin das Wahlrecht in keiner Form gegeben hatte, und die Aussichten waren nicht allzu ermutigend. Deshalb richtete sich das Augenmerk, obwohl die Parlamente von Nord-Carolina und Tennessee beinahe gleichzeitig im August zusammentreten sollten, von Anfang an auf die Vorgänge in Nashville (Tennessee), und zwar bei Gegnern wie Anhängern des Frauenwahlrechts gleichermaßen. Dieses übereinstimmende Verhalten schien gerechtfertigt, als am 11. August, während beide Parlamente tagten, 63 Abgeordnete aus Nord-Carolina (eine ausreichende Mehrheit des Unterhauses) in einem Telegramm die Abgeordneten von Tennessee drängten, standhaft gegen das Frauenwahlrecht zu sein.[31]
Am Tag bevor Delaware den Wahlrechtshoffnungen einen neuen Schlag versetzte, kam es zu einem weiteren, bedeutungvollen Vorfall, und zwar zugunsten des Wahlrechts. Die Ratifizierung wurde auf Gerichtsebene hart angefochten, wobei die Opposition behauptete, Verfassungszusätze seien unbedingt von einer nochmaligen Bestätigung durch eine Volksabstimmung abhängig zu machen. Zum entscheidenden Testfall wurde Ohio, wo der Oberste Gerichtshof des Staates im September 1919 die Gültigkeit eines Referendums über den bereits ratifizierten Verfassungszusatz bezüglich der Prohibition bestätigt hatte. Infolgedessen waren bereits in den verschiedensten Staaten Bemühungen im Gange, Referenden zur Ratifizierung des Wahlrechtszusatzes abzuhalten, nämlich in Massachusetts, Maine, Missouri, Texas, Oklahoma und Ohio. Doch am 1. Juni 1920 beschloß das Oberste Bundesgericht der Vereinigten Staaten einstimmig, daß Referenden zu Verfassungszusätzen ungültig und unnötig seien und im Widerspruch zu der in der Verfassung vorgesehenen Kompetenz der einzelnen Staatsparlamente ständen, solche Zusätze zu ratifizieren. Diese Entscheidung beendete eine Entwicklung, die zu einem ernsthaften Gegenangriff auf den Wahlrechtszusatz hätte werden können. Und sie bewirkte noch mehr. Sie räumte aus dem Weg, was bislang als unüberwindliche Barriere für die Ratifizierung des Verfassungszusatzes in Tennessee gegolten hatte, dessen Verfassung folgende Bestimmung enthielt:
»Keine Vertretung oder Generalversammlung dieses Staates darf irgendeinen Zusatz zur Verfassung der Vereinigten Staaten, der den einzelnen Staaten durch den Kongreß vorgeschlagen wird, behandeln, es sei denn, eine solche Versammlung oder Generalversammlung ist gewählt worden, nachdem ein solcher Zusatz vorgelegt wurde.« (Artikel III, Abs. 32)
Allmählich setzte sich die Meinung durch, daß die Entscheidung des Obersten Bundesgerichtshofes diese Klausel der Verfassung von Tennessee außer Kraft gesetzt hatte. Das Problem, den Gouverneur des Staates von dieser Tatsache zu überzeugen, wurde erst durch eine Intervention des Kabinetts der Regierung Wilson gelöst. Das Justizministerium gab am 24. Juni seine Meinung bekannt, das Urteil des Bundesgerichts erlaube es Gouverneur Roberts, eine Sondersitzung zum Zweck der Ratifizierung einzuberufen, und Präsident Wilson kabelte ihm am selben Tag: »Sie würden der Partei und der Nation einen wirklichen Dienst erweisen, wenn Sie es unter den besonderen Bestimmungen Ihrer Staatsverfassung möglich machten, gemäß der jüngsten Entscheidung des Obersten Bundesgerichts im Fall Ohio eine Sondersitzung des Parlaments von Tennessee einzuberufen, die den Wahlrechtszusatz behandeln soll. Erlauben Sie mir, sehr ernsthaft darauf zu drängen.«[32] Kabinettsmitglieder, Mitglieder des Nationalen Parteiausschusses, führende Verfassungsanwälte legten alle gemeinsam Nachdruck auf dieses Argument, während die Frauen aus beiden Wahlrechtsorganisationen in jenem Staat in einen harten Kampf eintraten und ihre nationale Führung Hilfe sandte. Gouverneur Roberts gab der überwältigenden Forderung nach und berief für den 9. August eine Sondersitzung ein.
Die Geschichte dieser Sitzung liest sich heute wie ein Roman; während spätere Ereignisse zwar zeigen, daß die Frauen das Wahlrecht in jedem Fall durch die Entscheidung des Parlaments von Connecticut erhalten hätten, sah es im August doch noch gänzlich anders aus. Die politische Situation innerhalb des Staates war chaotisch, die herrschende Demokratische Partei gespalten. Die Situation im Parlament, die vor Einberufung der Sitzung vielversprechend ausgesehen hatte, verschlechterte sich rasch, und diese Entwicklung war kaum überraschend angesichts der Flut von Wahlrechtsgegnern, die in die Hauptstadt von Tennessee, Nashville, strömten. Die New York Times schrieb: »Wahrhaftig, jeder Südstaat und viele Staaten des Ostens sind unter den Ratifikationsgegnern vertreten.«[33]
Auf einen dringlichen Hilferuf von Marjorie Shuler hin erschien am 17. Juli Mrs. Catt, ausgerüstet für eine Nacht - und blieb fünf Wochen. Sue White stand an der Spitze der Kräfte der Frauenpartei, und beide Gruppen dehnten über das ganze Land ihre Versuche aus, jenen Abgeordneten den Rücken zu stärken, die, nachdem sie sich zuerst für das Frauenwahlrecht ausgesprochen hatten, allmählich unter dem Beschuß von Drohungen und lautstarken Aktionen ohnegleichen umzufallen begannen.34 Abgeordnete, die eine wohlwollende Meinung gegenüber dem Frauenwahlrecht geäußert hatten, wurden mit dem Ruin ihrer Geschäfte und politischen Karrieren bedroht, bei manchen fehlte nur noch, daß sie gekidnappt wurden, und alle wurden systematisch mit Schnaps versorgt. Mrs. Catt war Augenzeugin der Szenen, die sich in der Nacht vor der Eröffnung der Sitzung abspielten: »Während des Abends hatten Gruppen von Abgeordneten, eskortiert von merkwürdigen Männern, das Foyer verlassen und waren in einen Saal im achten Stock gegangen. Am späteren Abend schwankten diese Abgeordneten, sowohl Wahlrechtsgegner wie Wahlrechtsbefürworter, durch die Hallen in einem Zustand fortgeschrittener Alkoholisierung - keine Suffragette hatte so etwas in den sechzig Jahren des Wahlrechtskampfes je erlebt . . . Die Suffragetten gerieten in heillose Verzweiflung. Jede Stunde kamen Wahlrechtskämpfer und -kämpferinnen, die in die verschiedenen Hotels der Stadt gegangen waren, um mit den Abgeordneten zu sprechen, zurück zum Hauptquartier im Hotel Hermitage, um Bericht zu erstatten. Und alle berichteten dasselbe - das Parlament war betrunken! Völlig hoffnungslos gingen die Suffragetten am frühen Morgen zu Bett, doch schlafen konnten sie nicht.«35 Am nächsten Morgen hatten die Gesetzgeber etwas von ihrer Nüchternheit wiedererlangt, und der Senat verabschiedete den Wahlrechtszusatz verhältnismäßig schnell mit 25 zu 4 Stimmen. Die letzte Schlacht sollte im Unterhaus geschlagen werden, und während der gesamten zehn Sitzungstage konnte kein Mensch den Ausgang vorhersagen:
»Wir haben jetzt 35 '/2 Staaten. Wir stehen vor der letzten Hälfte des letzten Staates. . . Jede Sorte von Opposition ist hier und kämpft ohne jeden Skrupel und verzweifelt. Hier sind auch Frauen, zum Beispiel Kate Gordon und Laura Clay, die an die Angst vor dem Neger und alle möglichen anderen Vorurteile von Höhlenmenschen appellieren. Hier sind Männer, eine Unmenge von ihnen. Für was stehen sie? Das weiß nur Gott.*(* Später identifizierte sie diese als Lobby der Alkoholindustrie, der Eisenbahngesellschaften und anderer Industrien. Vgl. Catt und Shuler, S. 446) Wir glauben, daß sie Stimmen kaufen. Unsere Stimmenauszählung des Parlaments zeigt einen Sieg, aber sie versuchen zu verhindern, daß eine beschlußfähige Zahl von Abgeordneten anwesend ist, und Gott allein weiß, wie es ausgehen wird. Wir sind furchtbar in Sorge und genauso die andere Seite. Wir hoffen, unser Schicksal wird sich diese Woche entscheiden, aber auch das weiß nur Gott. Ich bin seit einem Monat hier. Es ist heiß, schwül und widerlich, und dieser letzte Kampf ist verzweifel... Wir sind sehr niedergeschlagen... Selbst wenn wir gewinnen, wir, die wir hier gewesen sind, werden daran immer nur mit Schaudern zurückdenken.«[36]
Als die Vorlage schließlich am 18. August nach endlosen Aufschubgesuchen der Opposition und trotz beispielloser Anstrengungen, die für das Wahlrecht abstimmenden Abgeordneten bei der Stange zu halten (es gab sogar Wachtposten auf Bahnhöfen, um sie daran zu hindern, die Stadt zu verlassen!), im Parlament zur Abstimmung kam, schienen der Sache des Wahlrechts immer noch zwei Stimmen zu fehlen, obwohl einer der Anhänger aus dem Krankenhaus kam, um seinen Zettel abzugeben. Das Schlimmste war, daß der Sprecher des Parlaments, Seth Walker, nachdem er jahrelang das Wahlrecht unterstützt hatte, plötzlich zur Opposition übergegangen war. Auf den Antrag der Opposition hin, die Vorlage noch einmal zu diskutieren, gab es jedoch eine plötzliche und unerwartete Stimmengleichheit. Der Abgeordnete Banks Turner, auf dessen Unterstützung sich die Frauen nicht verlassen hatten, der aber ein Freund des Gouverneurs war und offenbar von dem Argument der Demokratischen Partei beeinflußt wurde, daß das Land die Partei für eine Niederlage in Tennessee verantwortlich machen würde, stimmte gegen den Aufschub. Stimmengleichheit bedeutete, daß die Gesetzesvorlage zur Abstimmung gestellt werden mußte.
Zwei Fragen bewegten die Gemüter der verzweifelten Frauen auf der Galerie: Wie würde Turner über die Vorlage selbst abstimmen, und woher würde die andere Stimme kommen? Bevor Turners Name an der Reihe war, wurde der vierundzwanzigjährige Harry Burn aufgerufen, der jüngste Abgeordnete des Hauses, aus einem ländlichen Bezirk in Ost-Tennessee. Er hatte lediglich versprochen, daß er zugunsten des Wahlrechts abstimmen würde, wenn seine Stimme für die Ratifizierung notwendig wäre; die politischen Führer seines Bezirks waren gegen die Ratifizierung. Aber seine Mutter war eine gestandene Suffragette, die ihrem Sohn geschrieben hatte: »Hurra! Stimm' für das Wahlrecht und laß die Frauen nicht im Zweifel. Ich höre von einigen Reden dagegen. Sie waren sehr bitter. Ich habe die Sache verfolgt, um zu sehen, wo Du stehst, habe aber bis jetzt noch nichts von dir gehört. Vergiß nicht, ein guter Junge zu sein und hilf Mrs. Catt, ein >Ja< zur Ratifizierung registrieren zu können.«[37]
Es herrschte Totenstille, als Harry Burn mit Ja stimmte. Minuten später stimmte Bank Turner ebenfalls mit Ja. Der Zusatz kam mit 49 zu 47 Stimmen durch, und der Frauenwahlrechtsverfassungszusatz war damit ratifiziert worden.
Es gab ein Nachspiel, das man als reinste Komödie bezeichnen könnte, hätte es nicht einmal mehr gezeigt, wie weit die Opposition gegen das Wahlrecht zu gehen bereit war. Die Geschäftsordnung des Parlaments sah vor, daß eine Gesetzesvorlage innerhalb von drei Tagen zur erneuten Erörterung vorgelegt werden könne. Aber trotz Drohung und sogar versuchter Bestechung konnte der Sprecher Walker dafür nicht die erforderliche Mehrheit aufbringen. Die Wahlrechtskräfte ließen nicht locker, und schließlich überquerten in einem letzten verzweifelten Versuch, die Ratifizierung zu hintertreiben, 38 Mitglieder der verlierenden Minderheit die Staatsgrenze nach Alabama, um so lange die Beschlußfähigkeit zu verhindern, bis die Mehrheit auf irgendeine Art und Weise untergraben sein würde. Ihre Gastgeber in Decatur hatten den Urhebern der Aktion sogar telegrafisch mitgeteilt: »Schickt sie nur. Wir werden stolz sein, Seth Walker und seine Wahlrechtsgegner so lange zu unterhalten, wie sie zu bleiben wünschen, und es wird sie nicht einen Pfennig kosten.«[38]
Diese Aktion wurde sofort für illegal erklärt. Die Opposition versuchte daraufhin, Gouverneur Roberts von der Unterzeichnung der Ratifizierungsurkunde und den Minister von der Verkündigung der erfolgten Ratifizierung nach Eingang der Urkunde aus Tennessee abzuhalten. Beide Aktionen schlugen gleichermaßen fehl, und die Proklamation, die die endgültige Annahme des 19. Verfassungszusatzes beglaubigte, wurde von Bainbridge Colby am frühen Morgen des 26. August 1920 unterzeichnet: Damit hatten 26 Millionen Frauen im wahlfähigen Alter das Wahlrecht erhalten. Tatsächlich wurde die letzte Bedrohung des Frauenwahlrechts erst im Februar 1922 abgewehrt, als der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten die zweite der beiden Entscheidungen erließ, die den Zusatz gegen weitere Anfechtungen schützte. Die immer vorausschauende Mrs. Catt hatte sich der Dienste eines der hervorragendsten Anwälte des Landes, Charles Evans Hughes, versichert, der 1920 im Kampf um die Präsidentschaft beinahe Wilson geschlagen hätte. Sie kosteten mehr als 4000 Dollar von den übriggebliebenen Geldern des Leslie-Fonds, aber Mrs. Catt hielt den Wahlrechtszusatz erst für gesichert, nachdem ein solcher Schritt unternommen worden war.[39]
Die Parlamente von Connecticut und Vermont ratifizierten verspätet; aber in zehn Staaten, so schrieben Mrs. Catt und Mrs. Shuler, wurde den Frauen selbst diese Ehre verweigert: »Einer der zehn war Delaware, der einzige, der nördlich der Mason-Dixon-Linie liegt. Die anderen neun waren Virginia, Maryland, Nord-Carolina, Süd-Carolina, Georgia, Alabama, Louisiana, Mississippi und Florida.«[40]