Ich beginne mein Vorwort mit einem Spiel. Es ist ein Spiel mit dem Titel dieses Buches in der Form eines möglichen Dialogs.
Ich bin die Frau, die ich bin - ja wer denn sonst? Die Banalität dieses Satzes ist ärgerlich. Ich nehme Anstoß daran. Aber jetzt beginnt die Sprache plötzlich andere Dimensionen freizusetzen: Ich muß innehalten, kann nicht über den Satz hinweggehen und ihn »erledigen«. Mein Ärger setzt etwas in Bewegung, der Satz gibt mir einen An-Stoß. Warum finde ich ihn banal? Weil er zweimal dasselbe sagt? Oder gibt es da noch eine andere Ebene? Ich höre einen weiteren Satz in mir anklingen: Ich bin die Frau, die ich bin - basta! Also eine Formulierung, die Abgrenzung bedeutet. Das ist eine Anmaßung, eine Zumutung. Und wieder bekommen die Worte noch eine andere Bedeutung: Was ist eine Zumutung? Mute ich mich anderen zu? Oder gar mir selbst? Bin ich bereit, diesen Satz abzuschwächen? Und hieße das vielleicht - wörtlich genommen - AbSchwächung meiner selbst? Mache ich mich selber schwach, um mich nicht zumuten zu müssen? Jetzt wird es plötzlich schwierig. Muß ich mich denn mit meiner Tendenz, mich selber abzuschwächen, auseinandersetzen? Schrumpfe ich, indem ich diesen Satz sage, und nehme ihn sogleich zurück: So ist es nicht gemeint!? Ist das nicht ein bekanntes Frauenmuster, das ich anhand dieses Satzes inszeniere? Es kommen mir dabei andere Sätze in den Sinn: »Ich bin halt nur eine Frau«, oder: »Ich bin eben eine Frau.« Wenn ich diese verschiedenen Schattierungen in mir auftauchen lasse, spüre ich, daß das Schrumpfen nicht nur eine Geschichte ist, die ich mit bestimmten Gefühlen verbinde, sondern ebenso ein Körpermuster: Ich schrumpfe leibhaft. Ich versuche herauszufinden, wie ich schrumpfe. Und ich nehme wahr, daß ich meine Brust zwischen den Schultern einfallen lasse und mich gleichzeitig nach oben ziehe, den Kontakt meiner Füße mit dem Boden verringere. Sorgfältig richte ich meinen Oberkörper auf und lasse ihn gleichzeitig etwas sinken. Jetzt stehe ich wieder fest. Der Satz Ich bin die Frau, die ich bin klingt jetzt anders: Ich spüre meine Kraft, bin in mir selbst. Ich fühle mich in diesem Augenblick nicht mehr als Zumutung, sondern ich mute mich zu. Noch immer ist ein Impuls da, in die alte Haltung zurückzukehren oder mich dagegen in Stolz zu versteifen, mich trotzig zu verschließen, etwa: »Ich bin nun mal eine Frau -und?« Ich bleibe aber bei meinem Satz, halte die ungewohnte Kraft und Wärme aus, bleibe mit ihr verbunden.
Nun beginne ich, mit dem Satz zu spielen. Ich kann ihn verschieden betonen. Eine erste Möglichkeit ist:
Ich bin die Frau, die ich bin. Wenn ich die Art und Weise, wie ich jetzt dastehe, auf mich wirken lasse, heißt das:
Ich bin. Ich bin - ohne Zu-Satz. Daß ich ihn als Frau sage, ist dabei bedeutsam. Da fallen alle stützenden und schützenden Möglichkeiten weg. Es ist schwierig, diesen Satz einfach auszuhalten. Und zugleich ist es auch aufregend. Mein Herz klopft schneller. Wärme steigt in mir auf. Der Satz bekommt eine Qualität, die mich zunächst überrascht: Lebendigkeit. Ich könnte etwa den Satz sagen: »Ich bin lebendig.« Aber das ist gar nicht nötig. Ich bin schließt für mich im Augenblick dieses »lebendig« mit ein. Zweimal ist diese Aussage im ursprünglichen Satz enthalten:
Ich bin die Frau, die ich bin. Der Satz erfüllt mich - nein, das stimmt nicht. Ich bin erfüllt, und zwar von der lebendigen Bewegung in mir. Sie ist ganz konkret spürbar. Ich kann sie sein lassen oder verringern, indem ich wieder schrumpfe oder mich zusammenziehe. In dem Augenblick, in dem ich diesem Impuls nachgebe, schwindet noch eine andere Qualität, die ich bisher gar nicht bewußt wahrgenommen habe. Ich zögere, ihr einen Namen zu geben. Sie hat etwas mit diesem Erfülltsein zu tun. Voll von lebendiger Bewegung heißt auch so etwas wie liebevoll. Soll ich jetzt diesen neuen Satz wagen, der etwas seltsam klingt?
Ich bin liebe-voll. Sofort taucht die Frage auf: Wem gegenüber? Den anderen gegenüber oder mir selbst? Aber ich merke, daß dieser Satz zunächst gar kein Objekt hat. Die lebendige Bewegung selbst ist »Liebe«. Es ist im wörtlichen Sinn gleich-gültig, wem sie gilt. Wieder kommt es also darauf an, diesen Satz einfach so, wie er ist, stehenzulassen, ihn auszuhalten. Freilich kommen sogleich auch Einwände: Ich bin das doch gar nicht. - Ich will nicht immer lieb sein - das war ich oft genug ... Aber gleichzeitig wird mir klar, daß diese Qualität von »liebevoll« viel grundlegender ist, daß sie weder Eigenständigkeit noch Aggression ausschließt, wie mich diese Einwände fürchten lassen.
Doch eine weitere Dimension kommt hinzu: Ich möchte auch sagen:
Ich bin da. Ich fühle mich präsent und wach. Ich kann mich nicht einfach davonschleichen, mich innerlich wegbegeben. Der Satz hat eine andere Bedeutung als wenn ich sage: Es gibt mich. Da ließe sich etwas überspitzt formulieren: Es gibt mich - aber damit habe ich eigentlich nichts zu tun. Wenn ich »da« bin, habe ich es mit mir zu tun. Meine Präsenz ist ver-bindlich. Ich bin mit ihr verbunden.
Jetzt möchte ich diesen Satz wieder erweitern: Ich bin, die ich bin - als Frau. Dieser Satz verstärkt zunächst mein Da-Sein, meine Präsenz. Die Betonung liegt dabei auf: Ich bin, die ich bin. Es liegt eine Ruhe und Abgeschlossenheit darin. Ich stehe fest auf meinen Füßen. Der Satz gibt mir Festigkeit. Ich fühle mich ganz. Die Fraglosigkeit und Selbstverständlichkeit irritiert mich zugleich. Es ist mir gar nicht möglich, den Satz zu erklären. Er hat etwas Unsinniges, und ich kann seiner mit meiner Logik nicht habhaft werden, doch seine starke Wirkung kann ich nicht abwehren. Wenn ich mich ihm überlasse, spüre ich Ruhe in mir. Ich fühle mich fest gegründet. Mein »ich bin« wird unbegründbar, keine Argumente reichen hin, um mir Grund zu geben. Er ist da, und ich fühle mich mit ihm verbunden ... Nach einer Weile probiere ich die andere Betonung aus:
Ich bin die Frau, die ich bin. Eine andere Möglichkeit gewinnt allmählich Gestalt, während ich den Satz laut vor mich hin spreche. Sie hat etwas mit meiner Unverwechselbarkeit zu tun, mit meiner Einmaligkeit. Wenn ich das nicht als leere Formel abtun will, ist der Satz beunruhigend. Gerne möchte ich sagen: Ich bin so - oder so und Definitionen anfügen, meine Identität festschreiben, in Kategorien einbringen, die faßbar, anerkannt oder auch nicht anerkannt sind.
Der Satz »Ich bin die Frau, die ich bin« stellt keine Definition dar, läßt sich nicht auf den Nenner einer bestimmten Rolle zwingen. Mit dem Satz meine ich mich als Frau, doch bin ich dem eigenen Zugriff enthoben und kann mir dennoch nicht entrinnen. Ich spüre meine Begrenztheit und gleichzeitig das nicht Auslotbare in mir. Es wird mir klar, daß der Satz gerade nicht eine statische Bedeutung hat: Ich bin nun einmal so - Punkt. Vielmehr spüre ich, daß er Bewegung, Veränderung mit einschließt. Ich spüre es leibhaft.
Ich nehme also wahr, wie ich auftauchende Geschichten verkörpere, indem ich mich einschränke und wieder dahin zurückkehre, mich dem Satz in seinen verschiedenen Färbungen zu stellen, ohne diese Zusätze. Dann erfahre ich neue Perspektiven.
Der Satz »Ich bin die Frau, die ich bin« ist nicht einfach ein Satz, sondern eine Vielzahl von Sätzen, die ich verkörpere, und damit die Herausforderung, seine Möglichkeiten auszuloten, mit ihnen zu experimentieren, zu spielen. Um es paradox zu sagen: Kann ich den Spiel-Raum ernst nehmen, der sich mir eröffnet? Kann ich ihn ausspielen? Kann ich ihn als Fest-Stellung und als Widerspruch gegen alles Festgestellte zugleich verkörpern?
Dieses Buch hat viele Quellen, die zu seinem Entstehen beigetragen haben: meine eigenen inneren Dialoge als Frau, Gespräche mit Freundinnen und befreundeten Männern, mit Studenten und Studentinnen, wichtige Auseinandersetzungen mit meinem Buch > Wendezeiten im Leben der Frau<, die sich in Vorträgen und Seminaren ergaben, meine therapeutische Arbeit mit Menschen beiderlei Geschlechts. Ihnen allen verdanke ich wichtige Impulse und Erkenntnisse. Danken möchte ich vor allem all jenen, die mir erlaubten, Äußerungen und Therapieausschnitte hier wiederzugeben.
Zu diesen Quellen gehört aber auch das individualpsychologische Modell Alfred Adlers. Die Begegnung mit dem Werk und der Arbeit des amerikanischen Psychotherapeuten Stanley Keleman war für mich entscheidend und fruchtbar. Seinem organismischen und formativen Verständnis menschlicher Prozesse verdanke ich die Möglichkeit, nach der Verkörperung »weiblicher« und »männlicher« Geschichten zu fragen und mit deren sorgsamer Auflösung neue Perspektiven in den Blick zu bekommen. Dies gilt sowohl für meinen persönlichen Prozeß wie auch für meine therapeutische Arbeit.
Das Buch besteht jedoch nicht nur aus fruchtbaren Ideen, sondern auch aus deren konkreter Umsetzung. Freundschaftliche Ermutigung und Kritik haben mich begleitet. Ohne diese Unterstützung hätte das Buch nicht Form annehmen können. Danken möchte ich namentlich Adi Rieser, meiner Arbeitskollegin, von der ich wertvolle Anregungen bekommen habe, und Ruth Obrist, die nicht nur mein Manuskript getippt, sondern es auch in allen Stadien liebevoll und sorgsam begleitet hat. Mein Dank gilt auch Dagmar Olzog, meiner Lektorin vom Kösel-Verlag, die zur Formgebung des Manuskripts beigetragen hat. Sie hat meine Aus-Flüge begleitet und mich dennoch wieder verständnisvoll und konsequent zur Landung gebracht. Wir haben zusammen den fruchtbaren und abenteuerlichen Dialog von Grenzüberschreitung und Begrenzung ausgetragen.
Meinen beiden Kindern, die es in der Endphase der Entstehung nicht leicht gehabt haben, kann ich nicht einfach danken. Davon haben sie nicht viel. Sie warten - wie ich - auf den neuen Spiel-Raum, den der Abschluß dieses Buches bringen wird. Gleichzeitig haben auch sie einen wesentlichen Anteil an meinem Schreiben. Dieses Paradox besteht - und manchmal wurde es auch zu einem Widerspruch. Durch diese Reibung entstanden Fragwürdigkeiten, oft aber auch der zündende Funke, der mich weiterschreiben ließ. Auch dies ist eine Frauen-Geschichte, der ich mich zu stellen hatte.
Ich danke Euch allen, die Ihr mich in Eurer Weise begleitet habt.