Giovanna, Rosetta und Mathilde

GIOVANNA - 34 Jahre alt - lebt in Rom

MATILDE: Wir kennen uns etwas mehr als ein Jahr, heute möchte ich dich fragen, was du über das Wort >Lesbe< denkst, und wie du damit umgehst? Wenn ich an unsere ersten Treffen zurückdenke, hattest du damals ein großes Vorhaben. Du wolltest ein neues Wörterbuch der italienischen Sprache anfertigen und dich dabei allein auf alles Weibliche beziehen, also neue Wörter, neue Begriffe, um mit all dem neue Ausdrucksmöglichkeiten für Frauen zu finden. Damals sagtest du, >Lesbe paßt mir nicht, ich mag es nicht, es drückt nichts von dem aus, was mir wichtig ist, es hat nichts mit mir zu tun. Ich suche ein Wort, das >dieses da< ersetzen kann. Daraufhin meinten alle, vor allem ich, >Aber wie kommt's, daß dir Lesbe nicht paßt? Es hängt doch von dir ab, was du mit diesem Wort machst. Wenn wir ein neues Wörterbuch machen müssen, was ja auch erst überall bekannt werden müßte ... Das einzig wirklich schöne klare Wort ist >Lesbe<, denn in Deutsch, Spanisch, Französisch, Englisch und im Italienischen wird es sehr ähnlich geschrieben und ausgesprochen< Inzwischen bin ich sicher, daß du das Wort >Lesbe< nicht verändern würdest. Du hast nicht mehr den leisesten Zweifel, und bei einer möglichen Verwirklichung deines Vorhabens würdest du es sicherlich nicht verändern. Ich fühle, ja, ich bin mir sicher, du kommst sehr gut mit diesem Wort zurecht, du bist doch beinahe stolz darauf.
GIOVANNA: Ja, aber ich muß das, was du bis jetzt gesagt hast, ein bißchen korrigieren. Ich wollte nicht unbedingt ein Wörterbuch machen. Ich wollte schreiben, was diese Worte bei mir auslösten. Ich ging dabei methodisch nach dem Alphabet vor, um es mir zu vereinfachen. Ich wollte die Bedeutung herausfinden, die am weitesten von der üblichen entfernt ist. Deshalb war es kein Wörterbuch ... es war ein Bemühen, mir selbst mittels der Sprache näher zu kommen ... ein Versuch, mir darüber Klarheit zu verschaffen, was ich über die eigentliche Bedeutung dieser Worte hinaus mit ihnen angefangen habe. Ich weiß nicht, z.B. das Wort >Frau<, das Wort >Mann'... was bedeuten sie heute für mich nach zehn Jahren Frauenbewegung, Selbsterfahrung, Nachdenken, Erfahrungen. Ich habe mich enorm verändert. Das alles umfaßt Persönliches, Kulturelles und Gesellschaftliches. Ich hatte deshalb so ein Bedürfnis .. Beim Reden wird mir erst bewußt, daß es mir vor allem auf das Unausgesprochene eines Wortes ankommt. Also, meine Wahrnehmung als Frau stimmt bei einigen von mir auch benutzten Wörtern überhaupt nicht mit deren Bedeutung überein. Sehr oft reichten die Begriffe, mit denen ich mich ausdrücken wollte, einfach nicht aus... In der Tat gehören die Wörter, die Sprache, die Grammatik zur Männerkultur, die mich ausschließt, solange ich mich in ihr nicht ausdrücken kann. Oft blieb mir gar nichts anderes übrig, als darauf hinzuweisen, daß das von mir benutzte Wort nur eine Annäherung war und daß ich einen ganzen Wortschwall loslassen mußte, um zu versuchen, den wirklichen Sinn, den dann das Wort für mich hatte, zu erhellen, denn wir Frauen werden von dieser Sprache nicht repräsentiert. Sie ist ein Produkt des Mannes, ein Vehikel seiner Kultur, von der wir uns einerseits immer unbewußt und innerlich distanziert haben, wir hatten nicht die Macht, das offen zu machen... Und andererseits hat der Mann dafür gesorgt, daß wir allmählich immer weiter draußen standen, ein Kampf um Leben und Tod, in dem es um die Macht ging, seine Macht... Vielleicht versteht ihr nicht, was ich meine, wenn ich euch meinen Ausgangspunkt nicht näher erkläre: Ich denke, die sogenannte Frühgeschichte ist weit davon entfernt, das primitivste Zeitalter der Menschheit gewesen zu sein. Im Laufe einer unheimlich langen Zeitspanne haben die sogenannt Primitiven, von denen ungefähr ab 7000 v.Chr. etwas bekannt wurde, was im Laufe der nächsten 4000 Jahre immer weiter zunahm... eine sehr fortschrittliche und einzigartige Zivilisation entwickelt. Vielleicht ist das das Goldene Zeitalter, von dem in den Mythen die Rede ist. Nach dem weiblichen Prinzip ... Ich meine damit nicht das Matriarchat, das schon zur Übergangszeit gehört, sondern die Gynäkokratie, die Frauenherrschaft, etwas, was weit von dem entfernt und ganz anders ist, als das, was wir uns gewöhnlich unter Zivilisation vorstellen. Meine Meinung müßte noch belegt werden, aber es wäre zu lang und zu kompliziert, es jetzt zu machen: Jedenfalls gehe ich dem nach, ich habe schon viele Beweise gefunden, in Kürze müßte ich damit fertig sein. Dann möchte ich das mit allen interessierten Frauen diskutieren, aber jetzt ist es unmöglich, darüber zu sprechen. Um das, was ich meine, klarzustellen, vereinfache ich ein bißchen, wovon ich ausgehe. Grob gesagt, geht es um Folgendes: Ich gehe von der für uns heute unbegreiflichen Tatsache aus, daß die Welt der Frauen und die der Männer ganz und gar voneinander getrennt waren. Also ... die Gynäkokratie, d.h. eine Gesellschaft, die nach dem weiblichen Prinzip organisiert war, dann die Rebellion des Mannes, gefolgt von der allmählichen Unterwerfung der Frau, mit allen Mitteln und unter Gewaltanwendung, die Frau wehrt sich mit allen Kräften, dann Kompromisse, das Ende des Separatismus und der Triumph des Patriarchats. Die Geschichte, die uns die Männer lehren, ist nur das letzte Stückchen, das, was ich als den Triumph des Patriarchats bezeichne. Darüber hinaus haben sie dieses Stückchen Geschichte von den letzten Brennpunkten des Frauenwiderstandes gereinigt ... Sie haben nämlich Angst davor, daß wir entdecken könnten, daß wir nicht immer Sklavinnen und minderwertig und ihnen wegen dem Gesetz Gottes oder aus biologischen Gründen unterlegen waren. Wenn du dir Mühe gibst, kannst du die gereinigten Epochen finden, denn in ihren Nachforschungen mußten die Männer einfach darauf stoßen, und etwas davon mußten sie überliefern. Sehr oft ist das so verdeckt und nicht zu entziffern, daß du wirklich Mut brauchst, um es so zu sehen. Je weiter du zurückgehst, desto verschwommener wird es... Verschwommen in dem Sinne, daß die Anzeichen schwierig zu finden und praktisch unentschlüsselbar sind, oder daß es nichts gibt, was als Anzeichen gelten könnte. Logisch, sie haben überhaupt kein Interesse, diese Arbeit zu machen. Jedenfalls ist die am meisten belegte Geschichte die ihre, und zwar ihre Glanzzeit, als sie die Phallokratie, oder das Patriarchat, wenn du so willst, geschaffen haben. Für mich liegt der Schlüssel, um die sogenannte Geschichte zu verstehen, um die wirkliche Geschichte der Frau zu entschlüsseln, um wirklich herauszufinden, wer eigentlich die Frau und wer eigentlich der Mann ist, in der Art, wie die beiden Geschlechter kämpfen, um ihre ganz und gar unterschiedlichen Lebensprinzipien durchzusetzen. Wenn wir als gegeben hinnehmen, daß das heutige Mann-Frau-Verhältnis schon immer so war, können wir nicht verstehen, was irgendwann einmal passiert ist und noch weniger, was zur Zeit geschieht.
Genausowenig können wir verstehen, was eine Lesbe ausmacht. Meiner Meinung nach lassen sich so nicht einmal gewisse >Widersprüche< bei den Frauen selbst verstehen... Aber das führt zu weit. Ich will damit nur sagen, wenn der harte Kampf zwischen Mann und Frau, der eher subtil als offensichtlich läuft, nicht gesehen wird, kann nichts begriffen werden... Wenn die Frauen sich trauen würden, auf ihre Visionen und ihre unglaubwürdig scheinenden Eingebungen zu hören, würde das mit der Zeit ihre reale Stärke zeigen. Und wir könnten das alles im besser beschreiben und festhalten. Tja, jetzt sind wir ein bißchen abgekommen.
ROSETTA: Nein, nein, das ist interessant.... Sicher, es bleiben viele Fragen offen.
MATILDE: Das macht gar nichts, wir können ja schon mal anfangen, uns Fragen zu stellen, dann sehen wir weiter.
GIOVANNA: Tja, das ist alles nicht so leicht. Schön wäre es, Matildchen, wenn alle so denken würden! Jedenfalls, was ich vorhin meinte, war, daß die Männer Angst vor den Frauen haben. Meiner Meinung nach versuchen sie, sie klein zu machen, sie auf ihr Niveau herunterzuziehen, sie auszupowern. Die Sprache ist Teil dieser kolossalen Unternehmung, die seit einigen tausend Jahren auf immer mehr Ebenen im Gange ist ... Um auf das Wort Lesbe zurückzukommen, vor ungefähr 2400 Jahren bedeutete bei Aristophanes das Verb >lesbizein< oder lesbiazein >Schweinereien machen<, also sexuell gesehen... Diese >Moralvorstellung< gibt es in unserem Land noch heute... Durch die Pornografie, die über 90% der Vorstellungen über Lesben geprägt hat, die anderen 10% trägt die Medizin, werden Lesben ausgenutzt. Diese Kultur operiert in zwei verschiedene Richtungen, d.h., die eine dient zur Bestätigung des Mannes, sie negiert nämlich die wirkliche Bedeutung des Lesbischseins. Der Mann hat Angst, daß er für Lesben nicht mehr zu gebrauchen sei... und im Grunde genommen nicht mehr für Frauen überhaupt... Deswegen wähnt sich der Arme in der Illusion, an etwas beteiligt zu sein, woran er in Wirklichkeit völlig ausgeschlossen ist. Und dann ... die andere Richtung... Sie macht die Lesben klein. Also, das ist nicht nur in der. Pornografie so, ich meine, die Pornografie ist aktiv daran beteiligt, alles zu tilgen, was das Frau- und Lesbischsein ausmacht. Die männliche Kultur erdrückt die Lesben. Nichts verletzt sie mehr, vielleicht nur noch, wenn sie sich mit den Männern wie von Mann zu Mann auseinandersetzen müssen. Sie übernehmen dann deren Art, reproduzieren ihre Verhaltensweisen, die Penetration, und wie sie Frauen sehen.
ROSETTA: Glaubst du nicht, daß diese Art Lesben sich von diesen Verhaltensweisen, ja, dieser Angst, was wir immer wieder beobachten, befreien können, wenn sie ihr Frausein annehmen, wenn sie ihre Kraft sehen, die im Frausein steckt?
GIOVANNA: Vielleicht ist das nicht so einfach, ich habe einige von denen kennengelernt, ja, sogar eine, die einen Schwanzersatz beim Liebemachen benutzte. Sie hatte die Mentalität eines Mannes angenommen, der Macht über viele Frauen, Geld, einflußreiche Freundschaften hat, und ich denke, ... sie wird da wahrscheinlich nie rauskommen... Sie haben kein Bedürfnis, Selbsterfahrung zu machen, ja, sie schauen dich sogar mitleidig an, wenn du von Feminismus sprichst ... In ihrem Selbstverständnis sind sie so fest verwurzelt, daß eine radikale Änderung wahrscheinlich nicht mehr möglich ist, ohne daß sie dabei draufgehen. Auch bei vielen heterosexuellen Frauen ist es so, für sie ist es unvorstellbar, sich richtig Raum zu geben, also, sich auch den Raum zu geben, der ihnen zukommt. Nicht wahr, darauf hast du ein Recht, einfach so, ohne daß du dich dabei hinter Sachen von Männern verstecken mußt. Jedenfalls werden die Traditionslesben immer weniger, finde ich, wenn die Frauen immer mehr übers Lesbischsein reden und immer mehr es auch leben, wenn wir unsere eigene Kultur entwickeln, also, wenn es uns gelingt, über unsere Inhalte, an unseren Geschichten, an unseren Interessen und Utopien zu arbeiten. Das Wort Lesbe hat etwas Statisches, es ruft eine von der männlichen Kultur geprägte Vorstellung hervor, die seit Jahrtausenden gleich ist. Sie arbeitet mit sogenannt wissenschaftlichen Beweisen, ja, sie geben sich viel Mühe. Wieder einmal geht es um die Wissenschaft des Mannes und nicht der Frau. In der kann ich mich wirklich nicht wiederfinden, das geht mir und vielen anderen, die ich kenne, so. Die Leute haben ein ganz bestimmtes Bild von uns, dem wir aber nicht entsprechen. Hinter dem Bild, das sie uns aufzwängen wollen, wir sind ganz anders und gelten andere Werte für uns. Uns ist das total klar, ihnen aber nicht.
Aus dem Grund hatte ich hauptsächlich Schwierigkeiten mit diesem Wort. In diesem Jahr liefen in mir aber viele Veränderungen ab, inzwischen spreche ich dieses Wort leicht aus, ich akzeptiere es, damit wir uns untereinander verständigen können, und als Bezeichnung meiner Identität. Alles in allem bin ich mir aber bewußt, daß das auch unsere Sprache ist, also die Sprache, mit der wir uns Informationen weitergeben. Davon muß ich jedenfalls ausgehen, denn im Moment haben wir nichts anderes. Das was ich machen wollte und heute noch tun will, ist, die wirklichen Bedeutungen des Lesbischseins, der lesbischen Identität herauszufinden. Es ist sehr schwierig, genau zu erklären, was ich sagen will, es gibt eben keine Worte, unsere Sprache ist absolut arm an Begriffen, sie ist wirklich reduziert, hat Millionen Ausdrucksmöglichkeiten verloren. Diesen Sommer las ich das Buch The First Sex von Elizabeth Gould Davies, Am Anfang war die Frau. In der Einleitung spricht sie von der Sprache der Frauen und meint, daß die Sprache im Laufe der Jahrhunderte, sprich dem fortschreitenden Überhandnehmen der männlichen Kultur über die bis dahin existierende Kultur der Frauen, immer ärmer und einfacher wurde, und daß in allen Teilen der Welt die Anzahl der Begriffe und verschiedenen Bedeutungen zurückgegangen ist. Indem sie sich auf die wenigen Spuren, die noch übrig geblieben sind, bezieht, kann sie auf überzeugende Weise klarmachen, daß die frühen Sprachen sehr viel reicher waren, nicht nur an Worten, sondern auch an Begriffen, die es heute nicht mehr gibt ... Im Laufe der Jahrhunderte wurde eine Gesellschaft, die eine hohe Kultur und eine überaus reiche Wissenschaft besaß, durch eine weniger entwickelte Gesellschaft ersetzt. Es macht Spaß zu sehen, wie sie die Vorurteile über die Höhlenmenschen, die sich angeblich mit Grunzlauten ausdrückten, ins Lächerliche zieht. Also ... das reicht, um klarzumachen, wie grundlegend wichtig die Sprache in einer Gesellschaft und einer Kultur ist. Wir Lesben sind besonders von dieser Sprachlosigkeit, daß sich die Sprache nicht auf eine weibliche Realität bezieht, betroffen. Das ist mir in den letzten beiden, vielleicht drei Jahren klargeworden, das wollte ich gleich herauskriegen, als wir anfingen, uns zu treffen. Ich wollte mich dieser reduzierten Sprache nicht unterwerfen, das hatte nichts mit einer Ablehnung meiner lesbischen Identität zu tun. Früher war das so, da war es eine Mischung aus Angst und Verachtung. Ich wagte nicht einmal, dieses Wort auch nur zu denken, ich benutzte Umschreibungen, manchmal schoß mir das abstrakte Substantiv >Homosexualität< wie ein eiskalter Schauer durch den Kopf. Es terrorisierte mich... Das wollte ich letztes Jahr sagen, daß wir deshalb alle zusammen viele Begriffe, wirklich neue Begriffe finden sollten, die die gemeinsame Grundlage unseres Lesbischseins ausdrücken und vermitteln. Natürlich wollte ich ein anderes Wort! Ich meinte, neue Ideen bräuchten ein neues Wort. Mir ist inzwischen aber auch bewußt, daß mir die Reichweite einer solchen kulturellen Unternehmung nicht klar war... Das nimmt solche Ausmaße an, daß wir in der Zwischenzeit dieses Wort gut als Code benutzen können, in ihm steckt schon das Grenzenlose des Frauseins ... Inzwischen akzeptiere ich es. Wenn ich einer Frau zuhöre, die mir sagt, >Dieses Wort akzeptiere ich nicht, für mich ist es ein Etikett, es schränkt mich ein<, und sie sich hinter Worten versteckt wie >Ich bin eine Frau und damit basta!, kann ich darin auch meine eigene Sehnsucht nach einer Identitätsfindung sehen, dazu muß ich mich überwinden, denn eigentlich spüre ich dabei ihre Abwehr gegenüber ihrem eigenen und meinem Lesbischsein.
ROSETTA: Das Wort Frau ist aus Gründen, die du vorhin ansprachst, genauso einschränkend wie Lesbe.
GIOVANNA: Ja genau, denn wenn eine Frau zu mir sagt, >Ich bin eine Frau und damit basta<, muß ich auf dieser Ebene bleiben und ihr antworten, >Weißt du, woher das Wort Frau kommt? Und was es bedeutet, Frau zu sein?< Im gegenwärtigen Sprachgebrauch heißt es, in Beziehung zum Mann zu stehen, daß es dich nur gibt, solange es vor dir einen Mann gibt, daß du per Definition ein Wesen bist, das ihn ergänzt, denn das Wort >Frau< bedeutet nicht Liebe zu einer anderen Frau, auch nicht ein menschliches Wesen, das in Beziehung zu einer Frau steht. Du bist eine Frau, solange du bestimmten Begriffen entsprichst, die sich auf den Mann beziehen, du bist mehr oder weniger eine Frau, je nachdem, ob du mehr oder weniger in gewisse Definitionen reinpaßt, die der Mann für dich festgesetzt hat... Wenn du so wie diese Frau argumentierst, fliehst du vor deinem Lesbischsein und dem Lesbischsein der anderen Frau. Die Frauenbewegung hat viel dazu beigetragen, das Frauenbild zu verändern, aber das genügt nicht... Wir sind erst am Anfang ...
MATILDE: An dieser Stelle würde ich gerne ...
GIOVANNA: Ich benutze die arme Sprache, die ich mir zur Verfügung steht. Ich benutze das Wort LESBE. Erst als ich anfing, mich als lesbisch zu bezeichnen, habe ich mich in einem positiven Licht gesehen, also nicht mehr wie eine Kranke, eine Erniedrigte, eine irgendwie Verunstaltete, eine Krankhafte... Dieses Wort machte Schluß mit diesen wortreichen Umschreibungen, diesem im Raumstehen, diesen unausgesprochenen Gedanken, und gab mir intuitiv eine Kraft, etwas Positives, weil es präzise und unmißverständlich ist. Ich kam aus dem Schattendasein raus ... in dem sich nämlich alle möglichen Alpträume und Schuldgefühle prima ausbreiten konnten. Darüber hinaus war ich für die Gesellschaft, sexuell und emotional eine gute Zielscheibe... ein schreckliches Hin und Her. Mein Bezugspunkt waren die Frauen, das war mein Ausgangspunkt. Das gar mir die Kraft, klar zu reden ... das heißt nicht, daß ich ein anderes Etikett benutze, damit das klar ist, ich habe die Frauen satt, für die das ein Etikett ist. Ich mache nur eines, ich kläre es. Um ehrlich zu sein, hat das Alix Dobkin gesagt, einmal als wir zusammen geredet haben, und mir hat das sehr gefallen. Wir sprachen über italienische und amerikanische Lesben, über lesbische Feministinnen und über lesbische Frauen, und über die Tatsache, daß viele diese Bezeichnungen ablehnen und dabei eigentlich nur das Wort lesbisch im Zusammenhang mit Frau oder Feministin meinen. Mit welcher Begründung lehnen sie diese Bezeichnung ab? Sie wollen kein Etikett. Alix meinte, >Das ist keine Frage des Etiketts, sondern davon, klar zu reden<. Sie hat vollkommen recht. Und auch wie es sonst heißt, >Es geht doch nur um die Sexualität<, wie es einmal auf der Lesbenseite in QUOTIDIANO DONNA stand, oder Vorstellungen wie >Ich möchte meine Sexualität frei ausleben, ich will keinen Stempel für meine Sexualität'... Dieser Ruf nach Freiheit zeigt, finde ich, ihre Angst vor Lesben ... als ob das Lesbischsein eine Frage der Sexualität sei. Das ist wieder eine andere Art, das Lesbischsein abzuwehren, eine Art, sich zum Instrument der ganzen Operation zu machen, die der Mann in Gang gesetzt hat, um Frauen aus allen Bereichen wegzudrängen.
Das Lesbischsein ist eben sehr viel gefährlicher für den Mann und für die Frauen viel bedeutender - als nur mit einer Frau ins Bett zu gehen. Und dann mit einer Frau ins Bett zu gehen, heißt so viel, das wirft schon so viele Fragen auf, daß ... ich weiß nicht, was diese Frauen darunter verstehen, wenn sie sagen, es gehe nur um Sexualität.... ist Sexualität für sie? Darüber müßte ewig geredet werden.
ROSETTA: Wenn z.B. über Bisexualität geredet wird, ist das für sie kein Stempel.
GIOVANNA: Ja, stimmt, nicht einmal die Heterosexualität wird als Stempel empfunden, oder zumindest sehr viel weniger, fast gar nicht, würde ich sagen. Heute ist die Bisexualität Mode, sie basiert auf einer höchst oberflächlichen Vorstellung von sogenannter sexueller Freiheit, also, ich geh mit dem ins Bett, der mir gefällt, ob Mann, ob Frau, wer auch immer mich anmacht. Sie gucken nicht nach den Gründen, warum sie von einem Geschlecht, zum anderen hüpfen.
ROSETTA: Ist deiner Meinung nach diese Vorstellung von der Bisexualität etwas Neues oder gab es das schon früher? Meiner Meinung nach ist das ein Revival.
GIOVANNA: Klar ... mir scheint, jedes Mal, wenn die Homosexualität, ich meine die männliche, mehr rauskommt, folgt ihr sofort das Phänomen der Bisexualität. Die heute Bisexualität geht einher mit einer anderen Renaissance, nämlich der der Androgynität. Die männliche Kultur ist darauf überhaupt nicht eingegangen ... oder besser gesagt, die Männer gehen damit um, wie sie das mit allen Fragen machen, die die Mann-Frau-Beziehung, die männliche und die weibliche Identität betreffen. Auch die Frauen lassen sich davon blenden, z.b. dieses Buch Der göttliche Androgyne, ja, sie spricht nicht von dem Androgyn, sondern von der Androgynen, sie läßt dabei die griechische Endung >gyne<, die Frau bedeutet, unverändert... So wie sie in Worten wie Gynäkologie, Gynäzeum,[13] unverändert bleibt... Also, Androgyne, sie wollte die Endung so wie im Griechischen belassen, ohne sie der italienischen Sprache anzugleichen.
MATILDE: Sie, wer?
GIOVANNA: Diese Frau, deren Name mir entfallen ist, die Autorin dieses Lyrikbandes.
MATILDE: Die wir im Governo Vecchio gesehen haben?
GIOVANNA: Ja, die von dem Plakat an der Wand vom Governo Vecchio, auf dem ein Gedicht aus ihrem Buch steht, aber im Moment erinnere ich mich nicht daran, wie sie heißt. Diese Sprache mit der Bisexualität empfand ich seitdem ich davon reden hörte, als eine x-fach aufgelegte Mystifikation: In solchen Begriffen zu denken, ist typisch männlich, das hat rein gar nichts mit weiblicher Kultur zu tun, aber wie willst du das anderen begreiflich machen? Das ist schwierig. Wie kannst du das vertreten, wie beweisen?... Für mich ist die Bisexualität ein vom Mann erfundenes System, um nicht die Wahrheit anzutasten, und um immer mitten drin zu bleiben. Die fixe Idee, der Alptraum des Mannes ist es, von den Frauen abgeschnitten zu werden. Die Heterosexualität ist sein gelungenstes System. Mit der Bisexualität versucht der Mann, auch den Lesbianismus in sein System unterzubringen. Gleichzeitig schützt er sich damit vor der Gefahr, daß seine eigene Homosexualität die Frauen vertreibt. Der Mann braucht die Frau nämlich sehr ... und zwar hauptsächlich deswegen, weil sie ihm die Produktion anderer Männer garantiert, er braucht sich dann nicht impotent vorzukommen, auch ist er dann nicht davon bedroht, psychisch und physisch auszusterben, er kommt sich dadurch weniger unnütz vor, weniger kümmerlich und weniger dumm. Dazu kommt noch die Sache mit der Aggressivität... Vor kurzem sprach ich mit einer nichtlesbischen Freundin, die im Jugendgefängnis von Casal del Marmo arbeitet, eine Bemerkung von ihr hat mich sehr betroffen gemacht. Sie steht immer in Kontakt mit all diesen jugendlichen Vergewaltigern, die von Frauen angezeigt wurden, d.h. die von Frauen verlassen wurden. Sie meinte, die Frau sei sehr wichtig für den Mann, denn sie diene als Ventil für seine Aggressionen und seine Todesängste. Die Frau, die den Mann >verläßt<, zwingt ihn, seine Destruktivität auf einen anderen Mann zu lenken. Diese Dynamik läßt sich, scheint's, nicht aufhalten. Wenn die Frauen nicht als Zwischenpolster fungieren würden, würden sich die Männer gegenseitige zerstören, so stark ist bei ihnen der Konkurrenz-und Überwältigungszwang. Das können sie sich aber nicht erlauben, das hieße nämlich, wieder Gefahr zu laufen, daß sie aussterben... Deswegen retten sie sich im Grunde immer wieder untereinander... Darum haben sie diese Art drauf, die Frau zu brauchen und zu hassen... und wenn wir sie nicht im Stich lassen und ihnen mehr oder weniger zur Seite stehen, übernehmen wir u.a. ihre ganze Todes- und Zerstörungsdynamik... Jetzt fällt mir etwas zur Emanzipation ein... Ich meine, die Frau auf der Arbeit, im politischen Kampf, als politisch Handelnde usw. Wenn zwei solcher Frauen sich aufeinander beziehen, passen sie sich automatisch männlichen Verhaltensmustern an, d.h. sie gleiten von einer emotionalen Ebene der Sympathie und Antipathie, die finde ich, der Schlüssel ist, um dir deiner selbst und der anderen bewußt zu werden, auf eine allgemeine antiseptische Ebene ab. Die erweist sich dann als frustrierend, sobald du in die Tiefe gehst, und da, finde ich, entstehen viele der Spannungen und Aggressionen zwischen Frauen, besonders in der Frauenbewegung und überall dort und dann, wo für Emanzipation gearbeitet wird... Die Frau, die die andere Frau kaputtmachen will.. auf der Beziehungsebene. Die Emanzipation ist ein ideologisches Vehikel, das den Konkurrenzdruck fördert, also die Destruktivität... Der Mann hat uns dieses schöne Gechenk gemacht, und wir Blöden denken, das sei unser Weg, um unsere Rechte zu bekommen ... Für mich ist dieser Weg total doppeldeutig, all das, was mit Konkurrenz zu tun hat, Konkurrenz mit Männern und mit Frauen, muß auf die Dauer ausgeschaltet werden. Wir können uns nur vorübergehend darauf einlassen und dürfen dabei nicht vergessen, womit wir es zu tun haben. Statt dessen verarbeiten wir sozusagen ihre Todesängste und ihre Destruktivität, das ist seit jeher unsere Aufgabe und Hausarbeit, und verwandeln diese durch unsere Liebe zum Leben. Das ist keine dahingeworfene Phrase, sondern Tatsache, und zwar meine ich damit unser Mitgefühl, unsere Geduld, die Fähigkeit zu lieben, unsere Sensibilität... All das, was dadurch seiner eigentlichen Bedeutung entstellt wird, wenden wir bei den Männern an, die uns schwächer und unfähiger vorkommen, was die Natur, die Jahreszeiten, die Tiere, die Pflanzen angeht, auf die wir uns ja manchmal auf quasi magische Weise so einstimmen können, daß sie wieder anfangen zu wachsen, bzw. üppig wuchern... Ja, unsere mysteriösen Beziehungen zum Leben... Die Frauen sind wirklich unersetzlich für den Mann, in so vielerlei Hinsicht... Wenn wir uns ihnen entziehen, ihnen unsere Energien nehmen, bedeutet das, einen sehr weitgehenden Prozeß in Gang zu setzen, der ihnen äußerste Angst macht ... Er stellt sie bloß angesichts ihrer eigenen Homosexualität ... in ihrem zwanghaften Todeswunsch, da sie kein Leben geben und es somit nicht verstehen können... Das gilt nicht nur für den Vergewaltiger... Deswegen muß der Mann jedenfalls inmitten von Frauen sein... Hilfe, wo bin ich hingekommen! Wir haben über die Bisexualität geredet, eins geht ins andere über. Tja, ich sagte, meiner Meinung nach muß sich der Mann um jeden Preis mitten unter Frauen begeben, und daher erfindet er neben tausend anderen Sachen auch den Mist von der Bisexualität und singt den Lobgesang von der Androgynität. Das sind zwei sehr komplexe Dinge, vollkommen verschiedene, sie sind in einem komplexen Phänomen begründet, das ... ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, du mußt von dem Neid des Mannes auf die Frau ausgehen, von seiner unmöglich zu befriedigenden Sehnsucht, selbst eine Frau zu sein... Das ist ein absolut unbekanntes Gebiet, würde ich sagen. Die wenigsten Männer haben sich darangewagt ... das einzige augenscheinliche Beispiele sind die Transvestiten: sie kleiden und schminken sich nach einem uralten Frauenbild, nennen sich gegenseitig >Liebste<, bzw. sie benutzen weibliche Adjektive. Sie sind davon überzeugt, Frauen zu sein, und passen sich, soweit sie können, an das äußerliche männerverführende Frauenbild an. Der Mann läßt sich gerade von so etwas Elendigem verführen, sei es, daß es von einem anderen Mann kommt, sei es von einer Frau... immer hat er selbst dieses Bild erfunden. In Frankreich gibt es sogar eine Gruppe dieser Typen, die sich >die verrückten Lesben< nennen. Da sie sich als sogenannte Frauen verkleiden und sich untereinander lieben, fühlen sie sich im Recht, sich als Lesben zu betrachten, obwohl es alles Männer sind... Das ist absurd und beweist, wie weit die Männer mit ihrem Ausbeuten von Frauen gehen und wie mächtig ihr Bedürfnis ist, eine Frau zu sein... Aber all das wird nicht gesehen, statt dessen wird es medizinisch diagnostiziert, dieses Phänomen wird dann als eine Geisteskrankheit oder als Abweichung einer Minderheit bezeichnet. Ihre Sehnsucht ist ein Tabu innerhalb der männlichen Gesellschaft ... Sie verbergen es, es ist total zugedeckt, sie tun so, als ob es nicht existiere, aber als Frau siehst du es. Diesen Gedankengang in die aktuelle männliche Kultur einzubringen, würde das ganze Bild, das der Mann sich von sich geschaffen hat, aus den Angeln heben. Das würden den tonnenweise von ihnen geschriebenen Büchern den Garaus machen und würde, was gefährlich wäre, den Frauen und ihren wirklichen Fähigkeiten gerecht werden... Das würde der wirklichen Rolle gerecht werden, die die Frau von jeher eigentlich im Patriarchat gespielt hat, ihre Unterjochung steht auf einem anderen Blatt. Aber das bleibt alles uns überlassen, wir müssen so viele Hindernisse in uns und um uns beiseiteräumen, daß wir, meine ich, nur sehr langsam diesen Weg einschlagen können... Ich sage wir, weil die Männer, das ist sicher, diesen Weg nie einschlagen werden. Es würde sich herausstellen, daß sie uns nur nachahmen, daß sie nichts drauf haben, daß sie ziemlich unbedeutend sind, also, das wahre zweite Geschlecht.
ROSETTA: Meiner Meinung nach geht es um etwas anderes, bzw. um mehr Sachen, um mehr Dinge auf einmal. Ich habe mal eine äußerst seltsame Erfahrung gemacht, die mir sehr zu denken gegeben hat, und die mich, um ehrlich zu sein, sehr durcheinander gebracht hat. Vor kurzem habe ich in Deutschland einen Menschen kennengelernt, der bis vor kurzem ein Mann war ... Er war kein Homosexueller oder Transvestit, sondern ein Mann, der nur Geschichten mit Frauen hatte, also ein Heterosexueller, der aber immer schon, wie er mir versicherte, den Wunsch hatte, eine Frau zu sein, also als Frau Frauen zu lieben ... bis er sich nach einigen Jahren Vorbereitung und psychologischer Unterstützung hat operieren lassen, und jetzt mit einer anderen Frau zusammen lebt. Also, sie ist lesbisch und lebt mit einer anderen Lesbe zusammen. Darüber hinaus hat sie ein sehr starkes Interesse daran, die ganze Geschichte von Frauen zu erfahren. Als Frau schafft sie sich quasi eine eigene Kultur und eine eigene Vergangenheit, worin sie, wie ich feststellen, konnte, in manchen Dingen besser Bescheid weiß als ihre Freundin, die seit jeher eine Frau ist und nur mit anderen Frauen zusammenarbeitet. Ich muß gestehen, daß ich gegenüber dieser Frau, die von der Frauenbewegung übrigens nicht als Frau angesehen wird, unterschiedliche Reaktionen hatte: So hautnah empfand ich erst mal Ablehnung, denn sie ist als Mann geboren und hat als Mann gelebt ... ihre Kindheit, ihre Erziehung, ihre Erfahrungen. Denn, als ich an ihr ganzes Drama dachte, an die Feindlichkeit, mit der sie Tag für Tag lebt... die Bewegungsfrauen, die sie nicht akzeptieren, die Lesben auch nicht, sie ist in der Öffentlichkeit x-mal deswegen beschuldigt worden. Das erweckt in mir schon eine Art von Solidarität...
MATILDE: Und warum ist sie so oft beschuldigt worden?
ROSETTA: Sieh mal, das ist ein Fall, der großes Aufsehen erregt hat. Es ging nicht um einen Transsexuellen oder Homosexuellen, der eine Frau wird, um so mit Männern zusammen zu sein. Dazu ist er oder sie besonders an der Frauenbewegung interessiert ... Ich hatte den Eindruck, niemand konnte ihm diese Entscheidung verzeihen, weder Männer noch Frauen...
MATILDE: Tja, das ist sicherlich nicht leicht, ich wüßte nicht, wie
ROSETTA: Ich habe versucht, es zu verstehen, sie kennenzulernen... Sogar heute habe ich da meine Schwierigkeiten.
GIOVANNA: Irgendwie betrifft mich das. Auf der einen Seite denke ich, daß das eine große Ausnutzung ist, auf der anderen Seite tut sie mir ... leid. Ich weiß nicht, ich möchte da eigentlich nicht so hart sein. Oh Gott, was für eine Situation, wir haben wenig Mittel zur Verfügung, um das zu analysieren.
ROSETTA: Verstehst du? Wir müßten auch sehen, in welcher Situation sie früher gelebt hat... in der Familie, den sexuellen Beziehungen, mit der Gesellschaft... ihre Phantasien, Wünsche ... Mehr konnte ich darüber nicht in Erfahrung bringen... es sind Dinge, die, das konnte ich verstehen, sehr schmerzhaft für sie waren... Sicher ist, daß sie keine Frau wie ich, wie du, wie wir ist.
GIOVANNA: Um Himmels willen, ich höre zum ersten Mal etwas über einen solchen Fall ... Jedenfalls scheint diese Geschichte zu bestätigen, daß der Mann sich sehr wünscht, eine Frau zu sein ... und in diesem Fall nicht, um Ware im Austausch zwischen Männern zu werden, sondern der Welt der Frauen anzugehören. Ohgott, das wird mir jetzt klar, obwohl ich das auch schon früher vage vermutete. Wenn alle Männer, wie ich meine, sich wünschen, eine Frau zu sein, und gesetzt den Fall, sie werden es wie dieser, gäbe es keine Männer mehr ... Das läuft aber nicht so, daß man Frau wird oder sogar Lesbe, nur durch eine Operation... Das ist alles viel komplexer, nicht imitierbar, um Himmels willen. Abgesehen davon glaube ich wirklich, daß die Männer das Faszinierende von Frauen spüren, und in ihrem Unbewußten eine Frau sein wollen ... Das wurde mir allmählicher klarer, nachdem ich das Manifest von Valerie Solanas, SCUM, gelesen hatte... Für mich war das sehr wichtig, 172 habe ich es das erste Mal auf Englisch gelesen, ich fühlte eine Mischung aus Stärke, Faszination und Ablehnung... Es erschien mir zu extremistisch, zu hart, sei es gegenüber Männern, sei es gegenüber Frauen, und gleichzeitig war es glasklar, total demystifizierend. Es verschreckte mich ein bißchen, ich war durcheinander, aber ihrer Meinung. Dann las ich es ein paar Jahre später in der italienischen Übersetzung, von der sie sich distanzierte, weil sie ihr unrecht tat. Ich konnte nie einen Vergleich ziehen, aber etwas habe ich verstanden: Die Sache, daß scum mit >der letzte Dreck< oder >Sperma< übersetzt wurde, nein. Der genaue Begriff war Smegma, also diese Substanz, die erwiesenermaßen eine der Hauptursachen für die Entstehung von Krebs am Uterushals ist. Jedenfalls egal, ob Smegma, Dreck oder Sperma, wenn damit eine Gruppe von Frauen bezeichnet wird, wird mir schlecht ... Ich finde, die Selbstironie ist zu dick aufgetragen, das kommt mir eher wie Selbstverachtung vor, ein Zeichen für einen großen Konflikt zwischen dir, deinem Frauenbild und den anderen Frauen. Als ich dann aufmerksamer und mit einem neuen durch die Frauen- und Lesbenbewegung verursachten Bewußtsein ihr Buch wieder las, kamen mir Zweifel und bittere Gefühle hoch, aber nur wegen ihrer konfliktträchtigen, schwierigen Liebe zu Frauen und zu sich selbst... Sie hat für ihre Ideen teuer bezahlt, mir tat das sehr leid. Ihr Manifest ist auf einer viel tiefergehenden Ebene wichtig. Valerie Solanas mußte sich mit den subtilsten Formen und Auswirkungen der Massenkultur auseinandersetzen, gegen die es nur eine Waffe gibt, die Selbsterfahrung, also, die ständige Bewußtmachung von dem, was du tust und willst, und sich dabei auf andere Lesben zu beziehen, die sich ihrerseits suchen und in Frage stellen ... Die Maschinerie dieser Massenkultur ist gewaltig, sie betäubt dich, löscht dein Gedächtnis, deformiert und nimmt dir dein Verhältnis zu dir selbst, sie fügt dir viele Schmerzen zu, und manchmal macht sie es dir unmöglich, dich selbst zu finden. Die Botschaften dieser Kultur sind frauenverachtend, aber männerfreundlich, du wirst ständig berieselt, wirklich, unermüdliche, große und kleine Bombardierungen... sie machen dich neurotisch, wenn du dich ihnen nicht richtig entziehen kannst. Inzwischen schaffe ich es, mich von all dem nicht so beeinflussen zu lassen, ich kann diese Botschaften entschlüsseln und zwischen den Zeilen lesen und dabei Informationen herausziehen, die sie wahrscheinlich gar nicht geben wollen. Es gibt viele Beispiele, ich wüßte wirklich nicht ... Bücher, Zeitschriften, Fernsehen, Kino, Wochenzeitungen ... Z.B. das Foto, das vor einigen Monaten auf dem L'Europeo erschien, in der Ausgabe über die Bisexualität, die Straße der Zukunft, oder so. Also, da war eine nackte Frau drauf, natürlich blond, dazu ein nackter Mann, beide bis zur Gürtellinie zu sehen, vor ihnen ein anderer, ein Mann von hinten aufgenommen, er berührte eine Brustwarze von der Frau und eine von dem Mann. Für mich hatte dieses Foto überhaupt nichts mit Bisexualität zu tun, statt dessen war es ein Beweis für die Homosexualität des Mannes und dafür, wie er sie versteckt. Nicht zufällig waren es zwei Männer und eine Frau. >Warum steht vor ihnen keine Frau, die beide berührt?<, fragte ich mich. Auch das hätte eine Form der Bisexualität sein können, nein, das gab's nicht, dafür aber einen Mann. Wahrscheinlich hätte es den Mann zu wenig bestätigt, obwohl es oft passiert, daß ein Foto von zwei Frauen mit einem Mann als Aufmacher für eine neue Ära der sexuellen Befreiung abgedruckt wird! Mir kam es sofort in den Sinn, daß es ein Foto über die Homosexualität des Mannes war, also über die Beziehung zwischen diesen beiden Männern, in der die Frau deren Unbewußtes darstellt. Sie haben den Wunsch, eine Frau zu sein, und daß sie es nicht sind, ist ihr Problem, und daß sie nicht wissen, wie sie sich Zutritt zu Frauen verschaffen können... Wie viele Schwule wollen Kinder und heiraten deswegen. Aber um das machen zu können, dürfen sie ihre Homosexualität nicht zeigen und nirgendwo sichtbar machen, sonst bleiben die Frauen nämlich nicht länger auf dem Heiratsmarkt, und die Männer wären in der Position der Unterlegenen. Meiner Meinung nach ist das der wahre Grund, warum ihre Homosexualität nicht als solche anerkannt wird... Dann ist da noch die andere Sache, daß sich der Mann von etwas Märchenhaftem ausgeschlossen fühlt. Irgendwie kriegt er mit, daß die Frauen etwas Tolles sind, daß sie reich an Fähigkeiten sind, die er nicht hat und nie haben wird. Und das erträgt er nicht. Er konstruiert sich dann ein ihn beruhigendes Gerüst voller Frauenfeindlichkeiten, aber ganz tief drinnen träumt er davon, eine Frau zu sein. Auf der Bewußtseins- und Alltagsebene kommt das dann so raus, daß er viele Frauen hat oder einen weiblichen Touch kriegt oder sich verkleidet oder die Mutter anhimmelt... Sie wollen, daß ihre Frau wie eine Mutter ist. Darüber hinaus verbreiten sie, daß wir alle etwas von Männern und etwas von Frauen haben, und sie bringen alle durcheinander mit der Geschichte von der latenten angeborenen Homosexualität. Sie gehen, finde ich, dabei von etwas grundsätzlich Falschem aus: Die Homosexualität und das Lesbischsein sind nichts Zweitrangiges, das sich bei individuellen Entscheidungen in Sachen Sexualität als etwas Ergänzendes oder Zusätzliches abtun läßt, sondern das Hauptsächliche, das aber zugunsten der Heterosexualität aufgegeben wird. Da die Heterosexualität die von der Gemeinschaft anerkannte Verhaltensweise ist, gilt sie im allgemeinen als befriedigender. Alle passen sich ihr deswegen an, bezahlen aber damit, daß sie ganz stark unterdrücken und verdrängen, und auf die Leidenschaft zu Angehörigen des eigenen Geschlechts verzichten. Es wird immer über infantile Geschichten oder über die Geschichten Heranwachsender getuschelt. Diese dumme und terorristische Scheinheiligkeit kotzt mich an. Ich meine, ein-für allemal Schluß damit. Ich wollte noch etwas sagen, es gibt viele Gründe für dieses Verdrängen, und zwar unterschiedliche für Frauen und für Männer. Dabei und bei allen Schritten der Analyse kann man nicht einfach verallgemeinern, also vom Menschen sich reden, nein, überhaupt nicht. Die Gründe, weshalb der Mann seine Homosexualität begräbt, sind andere als, warum die Frau ihr Lesbischsein begräbt.
MATILDE: Zum Beispiel?
GIOVANNA: Es ist nicht leicht, das zusammenzufassen. Jede Behauptung müßte gründlichst diskutiert werden, aber ich will es versuchen. Die Frau hält ihr Lesbischsein unter Kontrolle, weil sie sich nicht traut, sich vorzustellen, daß sie ihr eigenes Leben in die Hand nehmen kann. Ich weiß nicht, sie packt es nicht, wirklich an sich selbst und die anderen Frauen zu glauben. Es ist nicht einfach, diese Unternehmung hinzukriegen, denn nichts in dieser Kultur, in der wir leben, vermittelt uns etwas davon. Ich meine, eine Vorstellung von wirklicher Stärke, Sicherheit und Liebe zu sich und anderen Frauen. Statt dessen gibt es Gesetze, den Geldmangel, die Kinder, keine Arbeitsplätze... Wir Frauen stecken in dieser von Männern geschaffenen Welt ohne Erinnerung an unsere Geschichte, unsere Erinnerung wurde uns in jahrhundertelanger Gewalt und jahrhundertelangem Massenmord genommen. Drei Jahrhunderte Scheiterhaufen vom 14. bis zum 17. Jahrhundert, um das Naheliegendste zu nennen, Millionen vernichteter Frauen, eine englische Frauengruppe hat allein für Europa neun Millionen geschätzt, so etwas bezeichne ich als Massenmord, und zwar bewußt mit der ganzen vollen Bedeutung dieses Wortes. Danach dauerte es fast noch drei Jahrhunderte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, bis sich Frauen wieder ein bißchen überall bemerkbar machten mit den Suffragetten und den Emanzipationsbewegungen, sie rebellierten und beanspruchten Raum, aber innerhalb einer Logik, die gegen sie ist ... Solch ein Aufbegehren hilft dir aber, etwas wahrzunehmen, du hörst andere schreien, andere Worte, kriegst andere Leben mit ... die Welt von uns frauen, unsere Beziehungen, unsere Gesetze und Kriterien, die von den Wertmaßstäben der Realität abweichen. Für mich gehört das alles zum Lesbischsein, und in einer Welt wie dieser kannst du schnell Schiß davor kriegen, wenn du dich nicht abgesichert fühlst... eine andere Frau ist anscheinend keine sichere Anlage ... Demnach unterdrückst du es, oder noch schlimmer, verdrängst es, so als ob es nie etwas gegeben hätte. Dabei ignorierst du dich und die andere. Es ist offensichtlich, daß all das nichts mit den Gründen zu tun hat, die die Männer dazu bringen können, ihre Homosexualität zu verbergen. Wir haben unsere spezifischen Gründe wegen unserer Geschichte als Frauen, die total anders verlief als die Geschichte der Männer, ob homosexuell oder nicht
MATILDE: Du willst als Lesbe politisch kämpfen, würdest du keine Gemeinsamkeiten mit der Schwulenbewegung finden, wär dir nicht danach, das mit ihnen zusammen zu machen?
GIOVANNA: Nein. Ich beziehe mich auf Frauen und die Frauenbewegung, ich bin eine lesbische Feministin. Nur müßten sich die Frauenbewegungsfrauen mit den Lesben und dem Lesbischsein auseinandersetzen. Die Frauenbewegung ist für mich die einzige politische Möglichkeit für Frauen. Ich identifiziere mich mit einem Kampf, der weiter geht als die Emanzipation. Allerdings ist es viel schwieriger, denn er bringt auch eine große Leere mit sich, Leere im Sinne von einer uns abgesprochenen Identität, einer Mystifizierung und Lächerlichmachung unserer Geschichte ... Ich denke da an die Magie, die nichts anderes ist als unser Einklang mit den Naturkräften, die von den Männern nicht gerade zufällig als übernatürlich bezeichnet werden. In einer Weit der Industrialisierung, der Errichtung von Kernkraftwerken, der ungeheuren Ausbeutung der Erde, ohne deren Rhythmen und Gleichgewicht zu beachten, mit der Frau geschieht das gleiche... in einer solchen Welt klingen solche Worte unbedeutend und irgendwie fern von allem und, was weiß ich, noch alles. Wir sind Hexen, aber wirklich, das ist kein Scherz. Als solche müssen wir uns nur ganz und gar wiederfinden, müssen forschen und danach suchen. Die Medizin war unser Bereich, sie wurde uns mit allen Mitteln entrissen, so daß die Medizin heute Männersache ist... Es geht um Tausende von Millionen, die Unwissenheit darüber wird ausgebeutet, ja geradezu anerzogen. Der Feminismus hat uns sehr geholfen, unser Verhältnis zur Reproduktion zu klären, also zu unseren Geschlechtsorganen, zur Schwangerschaft und zur Geburt. Wir müssen da noch weitergehen, ich denke, daß nur wir gebärfähig sind, das ist unsere größte Macht... Die Männer haben uns glauben gemacht, daß das unsere größte Schwäche sei, der Grund für unsere sogenannte Minderwertigkeit, für unsere Berufung zum Hausfrauendasein und zum Kinderaufziehen, was im Verborgenen als Aufopferung und Unterwerfung unter die sogenannten natürlichen biologischen Gesetzmäßigkeiten geschieht. Mit solchen Begriffen sollen wir in die Irre geführt werden, damit wir ihnen nicht in die Quere kommen... Viele Frauen müssen das noch einsehen, ich finde, wir müssen da noch dran arbeiten ... Mit einem entsprechenden Bewußtsein von allen Frauen an jedem Ort der Erde könnten wir unseren Kämpfen zu einem äußerst wirksamen Durchbruch verhelfen... Das gilt auch für die Empfängnisfähigkeit, auch das ist ganz allein unsere Sache. Irgendwo wissen das die diversen männlichen Mediziner, Wissenschaftler usw. Sie wissen, daß der Mann auch bei der Befruchtung überflüssig werden könnte, das halten sie aber sorgfältig geheim. Jetzt will ich aber nicht weiter in diese Problematik einsteigen, andernfalls höre ich nicht mehr auf. Ich wollte nur sagen, daß alle diese Sachen, mit denen ich mich noch weiter beschäftigen werde, mir als Lesbe, die sich in der Frauenbewegung politisch engagiert, klargeworden sind... Nirgendwo anders. Das ist die Richtung der Auseinandersetzung, die mir zusagt und die ich als meine ansehe, der Separatismus... Darin finde ich mich wieder und kann mich entwickeln... Meine Welt als Frau ist ganz anders als die der Männer. Welche Kämpfe könnte ich gemeinsam mit einem Schwulen führen, der die gesellschaftliche Anerkennung vom Bürgermeister, der Partei oder der Gewerkschaft, alles Männer, haben will und meine Unterdrückung als Lesbe mit einer allgemein sexuellen Unterdrückung vermengt? Er kann sich in dieser Kultur wiederfinden, abgesehen von einer emanzipationistisch-sexuellen Variante, ich nicht. Meine Kultur als Lesbe existiert in dieser Gesellschaft nicht. Und darüber hinaus ist der Schwule ein Anhänger des Schwanzkultes. Wenn du ihm die erste kameradschaftliche Schale abschuppst, siehst du sofort den Phallokraten und Frauenfeind. Z.B. kam im letzten Jahr am Ende des Festes, das wir am 8. März im Governo Vecchio veranstalteten, einer mit einer Frau rein. Als wir den Mann sahen, sind wir zu ihm hingegangen und haben ihm gesagt, daß er gehen soll. Die Frau meinte, >Er ist doch ein Freund von mir, er ist schwul<, als ob die Schwulen keine Männer wären. Und eine Minute später, während wir ihn zum Ausgang drängten, brüllte er, weiß vor Zorn, doch tatsächlich, daß er einen Schwanz hätte, als wollte er sagen, daß er eine Waffe, eine Macht hätte und sich rächen könnte. Es fehlte nicht viel, und er hätte uns verprügelt, aber wir konnten ihn rausschmeißen. Aber als er reinkam, versuchte er, den Freundlichen zu spielen. Was hatte ein Schwuler auf einem Frauenfest zu suchen? Und warum mußte diese Frau einen Schwulen mit sich führen? Ich weiß, warum ich nur mit Frauen zusammen sein will. Nur so entsteht und entwickelt sich all das, was verlorengegangen, eingeschlafen und vergessen ist. Das ist mein Leben. Das übrige ist notwendig, mühevoll und hinderlich. Das ist alles nicht gerade lustvoll.
MATILDE: Sag mal, du hast davon gesprochen, wie die Homosexualität und das Lesbischsein zu unterscheiden sind, würdest du demnach die sogenannte weibliche Homosexualität auf jeden Fall mit dem Wort Lesbischsein bezeichnen?
GIOVANNA: Ja, unbedingt. Es ist sehr wichtig, daß wir diese Unterscheidung machen. Irgendwann war ich in der Schwulenausstellung in Testaccio, [14] und als ich ein Buch von Frank Caprio durchblätterte, fand ich eine sehr interessante Geschichte. In dem Buch stand eine Auseinandersetzung über die Tatsache, daß, glaube ich, Anfang des 20. Jahrhunderts von den diversen Psychiatern, Psychologen usw. eine Diskussion geführt wurde, ob das Lesbischsein von der Problematik der Homosexualität auszugrenzen sei oder nicht. Einige sahen es nicht ein, daß zur Homosexualität eine spezifisch weibliche dazugerechnet werden sollte. Diese Auseinandersetzung endete damit, daß der Begriff homosexuell für die Frau wie für den Mann gelten sollte. Demnach war es Anfang des 20. Jahrhunderts noch nicht so klar, daß Männer und Frauen in ihrer Homosexualität gleich seien. Wenn wir heute gegen eine derartige Verfälschung angehen müssen, verdanken wir das dem erfolgreichen Manövrieren jener Herren. Durch unsere Weigerung, uns als Homosexuelle zu bezeichnen, schaffen wir uns wieder eine eigene Geschichte und greifen damit aktiv in die Realität ein.
MATILDE: Warum bist du dann zu dieser Ausstellung gegangen?
GIOVANNA: Ich war ein bißchen neugierig, ich wollte es aus der Nähe sehen, wie sich die Schwulen verhalten, um mir so etwas wie einen Gesamteindruck machen zu können, ohne da~ei mit ihnen zu tun haben zu müssen. Ich hatte mir aber nie Zeit dazu genommen, extra deswegen hinzugehen, reizte mich nicht. Eines Sonntags bin ich jedoch zu einem Noi Donne-Fest gegangen. Apropos, wartet mal, ich habe hier etwas. Ich möchte euch das vorlesen, es ist ein Gedicht von Rosanna Fiocchetto, das ich auf diesem Fest auf einer Stellwand gelesen habe. Ich finde es sehr schön und habe es abgeschrieben, also:

Mädchen haben Himmelsaugen
umschattet von den Wolken der "Neins"
gerichtet auf eine unbekannte Welt
die so weit entfernt von Freiheit.
Mädchen haben kleine Hände
und mit der Faust halten sie ihre Wünsche fest:
sie lernen, sie jeden Tag zu verbergen
um sie sich von niemandem stehlen zu lassen.
Mädchen haben farbige Träume
und eine uralte Weisheit wie Hexen
sie willigt ein, mit Geduld opfert sie
Magie und Vorstellungsvermögen.
Sie werden wachsen: und jedermann tötet
langsam etwas von ihnen ...

Was für ein schönes Gedicht, wirklich sagenhaft. Mädchen sind aber nicht nur so, zwar auch so. Irgendwie ist dieses Gedicht etwas wie die Geschichte der Frau. Es gibt aber auch eine andere Geschichte der Frau, nämlich daß sie nicht einwilligt und keine Geduld hat ... die Geschichte, daß sie sich ihrer Weisheit als Hexe bewußt ist, d.h. die Geschichte von der, die ganz sein will, die kämpft, die klar ist. Ich möchte, daß diese Tatsache ans Licht kommt, daß sie von uns Frauen vertrauensvoll weitergegeben wird... Das ist unsere Geschichte, sie hat lange Wurzeln, ist sehr sehr alt... Tja, wir ufern wieder aus. Ich wollte sagen, ich sah, daß in der Nähe des Noi Donne-Festes die Schwulenausstellung war... Daher bin ich irgendwann hingegangen, um sie mir anzusehen. Das hat mir gutgetan, ich habe eine ganze Menge interessanter Dinge kapiert... abgesehen davon, daß mich gleich beim Reinkommen beinahe der Schlag traf, weil dort eine eisige, tödliche Atmosphäre herrschte. Die kam von all den Plakaten zum Tode Pasolinis, und anderen Mord- und Schauergeschichten und Gesichtern von Schwulen, eine eisige Kälte, dann diese Musikkassetten, die von entsetzlichen Begegnungen, Klappen und dergleichen tönten, solch eine Realität haben wir Lesben wirklich nie gehabt. Was für eine Negation von Sinnlichkeit und Wärme, von ganz feinen, aber überwältigenden Gefühlen, von Zartheit, also alles Sachen von uns, nicht wahr? Abgesehen davon habe ich dort angefangen, über einiges nachzudenken, und zwar darüber, daß
das, was als heterosexuell gilt, also die typischen Vorstellungen von der Mann-Frauen-Beziehung, in Wirklichkeit zur homosexuellen Vorstellungswelt gehört, also typisch ist für die Mann-Mann-Beziehung. Z.B. gab es da eine Fotoserie von muskulösen kraftstrotzenden Männern, die aus einer alten Schwulenzeitschrift stammte. Ich mußte gleich an die 50er und 60er Jahre denken, als das Bild vom Muskelprotz geprägt wurde, dem Scharen von Mädchen in Ekstase nachliefen, ihn anhimmelten und ihm auflauerten. Dem entspricht der heute am meisten für Schwule fotografierte Männertyp, den du groß aufgemacht in den Illustrierten, den Haute Couture-Modezeitschriften und in der auf Frauen gezielten Werbung siehst, also einen Typ mit modernerem Körperbau, selbstverständlich ohne diese lächerlichen Muskeln, der sportlich-elegante also. Da arbeitete es in mir ... Einmal war ich ziemlich erstaunt, als ich beim Blättern in einer Schwulenzeitung las, daß ein Mann einen anderen als >Loch< bezeichnete. Mir fällt gerade ein, daß für Schwuler in der Toskana >bucaiolo'[15] gesagt wird. In heterosexuellen Beziehungen wird die Frau vom Mann oft als >Loch< angesehen. Dazu kommt das mit dem Jungsein, ihre Besessenheit, jung und frisch bleiben zu wollen. Schwule müssen immer jung sein, sie färben sich die Haare, glätten sich die Falten, machen Massagen, gehen in die Sauna... Alt zu werden, ist ein Alptraum für sie, für sie ist das gleichbedeutend mit nicht mehr gefragt zu sein, und die Möglichkeit zum Geschlechtsverkehr mit einem anderen Mann zu verlieren. Diese Vorstellung läßt sich genauso, auf die Frau angewandt, in der Heterosexualität wiederfinden. Da wird nämlich auf die Frau dieser Alptraum übertragen, mit 40 glaubt sie sich am Ende, immer muß sie jünger und frischer erscheinen, als sie ist ... Unter Lesben gibt es diese Geschichte mit dem Alter nicht. Das hat mich sehr berührt. Es ist toll, zu sehen, daß sich Frauen ohne solche Fixierung lieben. Ich selbst bin mal auf eine fast Sechzigjährige abgefahren. In meinen Augen hatte sie kein Alter, sie war unheimlich faszinierend wie eine uralte Hexe. Ihre Anwesenheit verwirrte mich, sie strahlte etwas aus, ihr Körper war für mich nicht alt, das war mir ganz egal, ich wollte sie nur berühren, ihren Körper fühlbar auskosten, auch das, was eigentlich unantastbar war...
ROSETTA: Mich hat dieser Aspekt in Frauenbeziehungen auch immer fasziniert. Ich erinnere mich, wie ich einmal eine schöne Szene mitgekriegt habe, wie zwei Frauen sich umarmten, eine war jung und die andere nicht mehr ganz... Beide waren richtig gerührt, diese Umarmung hat mir viel Kraft gegeben. Die jüngere war lesbisch, und da in dem Moment habe ich überhaupt erst die Möglichkeiten lesbischer Beziehungen erkannt. Auch durch all die Fotos von älteren Frauen, die ich in ausländischen Lesbenzeitschriften gesehen habe, ist mir klar geworden, wie wichtig Bilder von Frauen jeden Alters für uns Lesben sind.
GIOVANNA: Ja. Aufgrund seiner Homosexualität möchte der Mann dagegen die Frauen darauf festnageln, immer jung zu bleiben. Dieses Schema haben wir ganz schön verinnerlicht. Ich z.B. habe ein bißchen Angst davor, weiße Haare zu kriegen, deine ganz schwarzen bewundere ich sehr. Vor dem alternden Körper habe ich keine Angst, aber vor den grauen Haaren schon...Wer weiß, warum? Schwarze Haare mochte ich schon immer.
MATILDE: Es wird an der Sache mit deiner Mutter liegen, wie du einmal in der Selbsterfahrungsgruppe gesagt
hast ...
GIOVANNA: Vielleicht. Meine -Mutter hat wunderschöne schwarze glänzende, fließende, aber auch wirre, in der Sonne schimmernde Haare. Manchmal sah ich andere Frauen mit solchen Haaren, und dann stand mir einen Moment lang der Atem still. Erst seit kurzem sehe ich darin den Zusammenhang mit meiner Mutter. Ja, es kann sein, daß ich ein bißchen Schiß vor grauen Haaren habe, weil es bedeuten kann, die Identifizierung mit ihr zu verlieren, genauso meine Vorstellung... Ich weiß nicht.
MATILDE: Sag mal, du wolltest über die Schwulenausstellung und deine Gedanken dazu reden?
GIOVANNA: Ach, ja... Es fällt mir etwas schwer, den Faden wieder aufzunehmen, denn mit meinen Gefühlen bin ich jetzt ganz woanders.
MATILDE: Wenn du nicht willst, mach ruhig weiter.
GIOVANNA: Nein, nein. Ich kann da sehr gut weitermachen, ich brauchte nur einen Moment. Ja, die Schwulenausstellung... Alles drehte sich um den Tod und den Schwanz. ... Ja, diese andere Sache mit dem Riesenschwanz, diese Manie mit dem Gigantischen... Das ist ein Männertraum, genaugenommen sein Horror, in der Heterowelt drehen sie es dann so, daß Frauen den großen mögen... Auch die andere Geschichte mit der Virilität ... In den Kontaktanzeigen stufen sich die Schwulen selbst in einer Männlichkeitsskala ein, die vom behaarten Kraftprotz bis zum effeminierten Typ geht, der erste hat dann die aktive Rolle und der letztere die passive. Also, das mit dem Aktiven und dem Passiven, was in der Heterosexualität der Rolle des Mannes und der der Frau entspricht, ist ein typisches Beispiel für homosexuelle Phantasien, die auf heterosexuelle übertragen werden. Klar, in eine so geschickt angezettelte und getarnte Falle gehen viele Frauen ... Unsere Identität wurde uns durch jahrhundertelange Gewalt abgesprochen, zum Glück aber nicht alles. Jetzt müssen wir sie wiederfinden, das ist nicht leicht... in der Zwischenzeit leihen wir uns quasi andere Identitäten aus... So identifizieren sich viele mit den homosexuellen Wünschen des Mannes und meinen, spontane, wirkliche Frauen zu sein. Ich habe viele sagen hören, daß wenn er keinen großen und festen hätte, fänden sie es nicht gut... Was suchen sie? Eine immerwährende Bestrafung? Auch weil dann, als wir näher darüber sprachen, die ganze Verzweiflung über eine so gelaufene Sexualität herauskam, die totale oder beinahe totale Abwesenheit von Vergnügen, von Entspannung, sich lebendig zu fühlen... Dann gibt es noch das andere, nämlich das Suchen nach einem Mann, der weniger mackerhaft ist, das ist wieder so eine Sache. Den freundlichen, netten, lieben, sensiblen Mann zu suchen, das ist wieder so was. Ich finde, das hat schon mehr mit dem Lesbischsein zu tun, das ist schon näher dran ... im Sinne einer größeren Liebe zu sich selbst, daß diese Frauen versuchen, nicht total von einem Mann abgespeist und zurückgewiesen zu werden, sondern die Beziehung ein bißchen mehr nach ihren Bedürfnissen zu leben... Ich finde, Lesben sind sich sehr bewußt, was es heißt, Frau zu sein, sich auf eine andere Frau zu beziehen... Für Lesben ist das so total, daß sie kein Bedürfnis nach einem Mann haben, unbewußt, bzw. bewußt, viele von uns verhalten sich nämlich ziemlich klar, ordnen sie ihn der untersten Stufe des gesellschaftlichen Spektrums zu, bzw. stellen sich das mehr oder weniger vor. Und damit Schluß!
ROSETTA: Nein, mach ruhig weiter. Z.B. wird lesbischen Frauen ganz allgemein vorgeworfen, daß sie Männer sein wollen, das Rollenverhalten ist gemeint, das sogenannte harte Verhalten von lesbischen Frauen. Besonders in der Vergangenheit kam es oft vor, daß lesbische Frauen sich sehr an der männlichen Homosexualität orientierten.
GIOVANNA: Das gibt es heute noch.
ROSETTA: Ja, das gibt es heute noch, es gibt auch viele Frauen, auch Lesben, die sich an der männlichen Kultur orientieren. Haben lesbische Frauen deiner Meinung nach trotz alledem das Bedürfnis, ein Mann sein zu wollen;
GIOVANNA: Nein, überhaupt nicht. In einer Gesellschaft, in der rein gar nichts die Frau bestätigt, kann es passieren, daß viele Lesben und viele Frauen von der männlichen Kultur angezogen werden oder männliche Verhaltensweisen annehmen. Das hängt von den Zeiten ab, ist manchmal auch leider tragisch. Ich bin trotzdem felsenfest davon überzeugt, daß es realiter anders aussieht. Es hat wieder ein bißchen mit dem zu tun, was ich vorhin meinte. Uns fehlt eine Frauenkultur, ein Frauenbild, auf das sich Lesben wirklich beziehen können. Wenn du als Lesbe die von den Phallokraten vorgeschriebenen Rollen und Verhaltensweisen nicht akzeptierst und keine wirkliche Identität als Frau hast, und du dir aus Gründen keine aufbauen kannst, bleibt dir nichts anderes übrig, als dich auf die männliche Identität zu beziehen. Es gibt zwei von Männern geschaffene Identitäten, eine männliche und eine pseudoweibliche, nichts anderes. Es gibt Lesben, die sich für die pseudoweibliche Identität entscheiden und dies mit Schminke, Schlitzen, Ausschnitt, hochhackigen Schuhen unterstreichen... Andere wiederum entscheiden sich für die männliche Identität, aber beide Gruppen fühlen sich, denke ich, in keiner der beiden Identitäten wohl. Alle suchen und warten auf etwas anderes, das sie noch nicht ... ganz absehen können. Das ist auch mein Problem, muß ich sagen. Zwar kann ich mir auch nicht mit absoluter Sicherheit die Identität der Frau vorstellen, aber ich suche sie, mühsamst. Und ich hatte auch Phasen, in denen ich mich irgendwie männlich identifizierte. Ich kann nicht sagen, daß ich mich zeitenweise pseudoweiblich identifiziert hätte, weil ich immer, zumindest was das Äußere betrifft, Schminke, Schlitze, Dekoletés, enge und durchsichtige Kleider usw. stark ablehnte, vor allem, dieses Zeug, das in den Fünfzigern und Sechzigern quasi obligatorisch für Frauen war ... Damals wußte ich noch nicht, daß ich lesbisch bin. Obwohl ich bestimmte Sachen an Frauen sehr liebe... ihre Emotionalität, ihre Feinfühligkeit, ihre Gestalt, ihr Lächeln, ihre Körperlinien, ihre Leichtigkeit und Zartheit, habe ich aber auch immer ihre Ernsthaftigkeit und ihre Entschlossenheit, ihren Stolz, ihre Schonungslosigkeit und Klarheit geliebt, d.h. ich habe Zartheit, Weichheit und Lächeln nie als Unterwerfung unter den Mann, als etwas Minderwertiges angesehen. Ich habe diese Eigenschaften nie mit einem heterosexuellen Blickwinkel gesehen, sondern als etwas Spezifisches von uns, das wir dem Heterochaos entreißen müssen, es hat nämlich nichts damit zu tun. Diese Eigenschaften müßten wieder eine andere Bedeutung bekommen, d.h. im Sinne der Frau, für sie selbst. Also, siehst du ... ein sehr wichtiger Gedanke, der in dieser Männergesellschaft fehlt, ist, daß die Frau für sich lebt, Sachen für sich macht. Wenn das zu unserer Kultur gehören würde, wäre das einmalig schön... Diesen Gedanken in die gegenwärtige Kultur reinzutragen, wäre ein Schlag für den Mann... Für die Männer ist das undenkbar, denn wenn die Frau sie ignoriert und aus sich heraus lebt, ist das das Ende für sie. Wo sollen sie dann noch Stärke und ihre Alibis hernehmen? Und wenn es trotz allem, trotz ihres Einspruchs, passiert? ... Dann ist sie die Schuldige, die Frau hat irre Schuldgefühle, es geht ihr dreckig ... Oft kann sie dann nicht weiter, kehrt zurück und gibt dem Mann wieder alles zurück ... oder den Kindern, der ganzen Familie. Damit ist die Fortführung der Tradition gewährleistet, die Frau wird zur Stütze des Systems, zur treibenden Kraft der phallokratischen Gesellschaft ... Und genau diese Frauen werfen das oft den anderen Frauen vor ... ihre Verständnislosigkeit ist so absurd, sie kommt von ihrer absurden Forderung, ein bißchen emanzipierter als die andere sein zu wollen, von diesem Bedürfnis, blindlings triumphieren zu wollen. Ich jedenfalls glaube nicht und werde es nie glauben, ich bin da durch, daß sich eine Frau wirklich in einem Mann verlieben kann. Die Frau braucht den Mann, die Sozialstrukturen sind so beschaffen, daß sie ohne den Mann, der die ökonomische und soziale Macht, Identität und Absicherung repräsentiert ... ich weiß nicht ... So, wie die Gesellschaft beschaffen ist, in Wirklichkeit stimmt es nicht, daß der Mann irgendwelche Sicherheiten garantiert, er ist derjenige, der dich vergewaltigt, der erste, der dich umbringt, der dir alle Sicherheiten wegnimmt, der dich von morgens bis abends unter Druck setzt, dich deiner Identität beraubt, dich total ausnutzt. Offensichtlich spielen aber diese sogenannten Sicherheiten eine Rolle, und weil es bei Frauen nichts Entsprechendes gibt, ist die Frau gezwungen, sich zum Oberleben irgendwie an Männer zu halten. Und da setzt die große Mystifizierung ein, die sich Liebe, Leidenschaft oder sexuelle Anziehung nennt. Eigentlich dreht es sich, finde ich, um die totale Unterwerfung der Frau, ich sag das nicht einfach so, denn jahrelang, also nicht nur monatelang, habe ich entsprechende Erfahrungen gemacht. Es hieß dann, >Na gut, aber du bist lesbisch, daher kannst du nicht allgemeingültige Sachen sagen, für eine, die nicht lesbisch ist, trifft das eben nicht zu, sie ist wirklich in ihren Mann verliebt, sie findet viel an ihm.< Ich glaube nicht daran, nie und nimmer.
ROSETTA: Auch weil wir als Lesben bzw. Nicht-Lesben viele Gespräche und Diskussionen mit tausenden von nicht-lesbischen Frauen hatten, sie haben erzählt, wie ihre Liebesgeschichten mit ihren Männern liefen ...
GIOVANNA: Das ist das Problem. Wenn wir dem ein bißchen auf den Grund gingen ...
MATILDE: Ich würde sagen, es sind wirklich sehr wenige, ich würde sagen, fast keine ...
GIOVANNA: Gar keine. Das gibt's alles nicht, denn in der Sexualität läuft alles katastrophal, ohne Phantasie...
ROSETTA: Ja, total ohne ...
GIOVANNA: Das siehst du aber vielleicht erst viel später, und in der Zwischenzeit ...
MATILDE: Ja, aber es gibt noch diesen Reiz, den Reiz am Anfang. Das gehört dazu, aber das dauert nur sehr kurz. Vorgestern war es toll im Bus, als ich zwei jungen Frauen zuhörte, die sich miteinander unterhielten. Eine wird seit zwei bis drei Jahren verheiratet gewesen sein, sie erzählten sich die neusten Sensationen, à la >Was löst dein Mann bei dir aus, wenn er nach Hause kommt und du ihn siehst?< >Als ich ihn ganz zu Anfang sah, fiel ich fast in Ohnmacht, es ging mir drunter und drüber, all dieses leidenschaftliche Zeugs. Wenn ich ihn heute sehe, ja, dann bin Ich's zufrieden, aber er sagt mir nichts mehr, er löst keine Gefühle mehr bei mir aus, ob er da ist oder nicht, ist egal. Wenn er nach Hause kommt, bin ich einfach zufrieden, ihn zu sehen<, als ob sie meinen, >Na ja, er ist zwar nicht tot, nicht etwa, daß ich seinen Tod wünsche, aber im Grunde existiert er nicht mehr für mich.< Bedenkt, das waren junge Frauen... Deshalb können sie erst seit kurzem verheiratet sein.
GIOVANNA: Ja, aber die Mystifizierung der Linken läuft noch subtiler ab, da spielt der Klassenkampf mit rein, da vermischt sich die sexuelle Unterdrückung mit der gesellschaftlichen, es ist sehr schwierig, das beides auseinanderzuhalten, wenn sich die Genossin nämlich irgendwie vom Genossen geschätzt fühlt. Ich möchte dazu aber etwas sagen ... diese ganze Bedeutung, die der Mann von den heterosexuellen Frauen in ihren Beziehungen usw. erhält ... ist für mich nicht stimmig, denn wenn ich ... ich spreche viel mit diesen Mädchen, Frauen, meiner Mutter ... immer kommt dabei raus, daß es im Grunde nicht um den Mann, sondern um die Frau geht. Es gibt Frauen, die Beziehungen zu Männern haben, die auf einem, wie ich finde, wahnsinnigen Sadomasochismus basieren, aber für sie sind das echt starke Beziehungen, alles sei da drin. Wenn du ihnen dann andere, ein bißchen unübliche Fragen stellst, kommt raus, daß dahinter ein ungelöstes Verhältnis zu sich selbst, zur Mutter, zur Schwester oder einer Freundin steckt, aber all das wollen die betreffenden Frauen nicht sehen. Sie können es nicht ... Wenn ich es ihnen sage, werfen sie mir vor, daß ich übertreibe und einseitig denke... Das verletzt mich, ich kann es zwar verstehen, aber ich spreche nicht mehr davon... Ich warte ab.
ROSETTA: Mich bestürzt da auch etwas sehr, wenn die heterosexuellen Frauen wie besessen über Sexualität reden. Untereinander reden sie ständig darüber, also, heterosexuelle Frauen, die verheiratet sind, Kinder haben, die sich morgens in der Bar unter meiner Wohnung treffen, meine Freundinnen von früher, von vor vielen Jahren, ich erinnere mich an diese Nachmittage, diese Abende, an denen über nichts anderes als unsere Sexualität mit den Genossen geredet wurde. Zehn Minuten brauchte es, um diese Pseudosexualität durchzuziehen, unter uns Frauen sprachen wir danach aber stundenlang darüber, wie um uns zu beruhigen, daß das war und wichtig war. Für mich waren diese Gespräche, diese Nachmittage, diese unter Frauen verbrachten Stunden ... etwas Erotisches lief auch ab, dieses Lächeln, diese Anspielungen ...
GIOVANNA: Da bin ich ganz deiner Meinung. Diese Art von Gespräch, es gibt auch andere, ist im Grunde ein Weg, der anderen Frau verschlüsselt Botschaften zukommen zu lassen ...
MATILDE: Genau, es geht ihnen gut miteinander
GIOVANNA: Das wird aber überhaupt nicht gesehen, das ist wirklich ein totales Tabu, sie glauben, solidarisch über den Mann, den Genossen, zu reden, aber im Grunde teilen sie das alles miteinander, geben es einander weiter, was weiß ich. Das sind alles Wege, um Beziehungen mit einer anderen Frau anzuknüpfen. Neulich ... habe ich eine bezeichnende Geschichte zwischen zwei Frauen mitgekriegt, in der sich etwas Klares abspielt. Sie sind 22, 23, wegen eines Mannes haben sie sich beinahe abgeschlachtet, denn er war erst mit einer zusammen, hat sie dann wegen der anderen verlassen. In ihrem gegenseitigen ... Abschlachten, sie lauerten einander auf, eine ging auf die andere zu, >Was hast du mir nur angetan!<, die andere dann >Verzeih mir<, bis irgendwann, es war völlig klar, daß die eine nicht ohne die andere sein konnte. Diesen Mann schoben sie sich gegenseitig zu, sie benutzten ihn so als ... Code, wirklich als ein Mittel, als Legitimation, sich zu treffen, zusammen zu sein, gegenseitig für die andere zu leiden, sich aber eigentlich wohlzufühlen. Sie kommentierten das mit Worten wie >Donnerwetter, diese Frau gefällt mir total, ich verstehe nicht, warum er sich von ihr trennen konnte. So etwas ... Natürlich hat das große Tabu des Lesbischseins die Oberhand gekriegt, ich weiß, inzwischen machen sie eine Phase des gegenseitigen Hasses durch, >Um Himmels willen, komm< mir bloß nicht mit der!< Klar, die Geschichte war schon zu weit gegangen, sie mußten dichtmachen.
MATILDE: So haben beide ihre Freundschaft, ihre Zuneigung verloren.
GIOVANNA: Ja, und diese Geschichte, möchte ich meinen, haben viele viele Frauen, alles ist festgefahren wegen des Tabus des Lesbischseins, das nämlich bedeuten würde, sich dem Mann zu entziehen und für sich zu leben.
ROSETTA: Ja, weil wenn sich z.B. lesbische Frauen treffen, reden sie über tausend Dinge, aber nie über ... Sexualität.
GIOVANNA: Das stimmt.
ROSETTA: Wir reden zwar in der Selbsterfahrungsgruppe darüber, da sind wir alle bereit, viel von uns in Frage zu stellen, auch das Intimste und Privateste, wir arbeiten sehr daran, also eine gemeinsame Arbeit der Suche nach uns selbst.
MATILDE: Ja, das geht hautnah, betrifft uns sehr, anders als die heterosexuellen Frauen, die wenn sie sich treffen, mit Leichtigkeit über ihre Sexualität reden, während wir z.B. beim Kaffeeklatsch gar nicht darüber reden. Wenn wir es in der Selbsterfahrungsgruppe ansprechen, ist es dann etwas, was dich ganz schön mitnimmt.
GIOVANNA: Für mich ist das schon neurotisch, echt, ich glaube, da steckt die totale Angst, in ihrem Reden über Sexualität, das kommt mir wie ein Abreagieren vor, dazu noch die Pillen, Spiralen, Abtreibung, Menstruation... Sie erfahren ihren eigenen Körper so angstbesetzt. Was für ein Alptraum, so einer Sexualität, die nicht ihre ist, permanent ausgeliefert zu sein!
ROSETTA: Deswegen ist das so häufige und so kontinuierliche Darübersprechen so, als ob ... sie sich gegenseitig Fragen stellen und eine andere Frau um Hilfe bitten würden, zwar gebrauchen sie dabei eine Sprache wie >Meine Blutungen, du bist schwanger, die Spirale, Abtreibung usw.<, aber meiner Meinung nach steckt dahinter eine andere Sprache, die z.B. lauten könnte: >Warum kommst du mir nicht anders näher, warum sind wir nicht zusammen, warum können wir nicht aussprechen, daß wir uns lieben, warum können wir nicht klar sagen, daß wir diese Männer, mit denen wir zusammen sind, hassen.< Denn darüber bin ich mir z.B. völlig sicher, dieser Haß existiert. Wenn eine Frau das nicht sehen will, ist das eine andere Sache, es gibt Gründe, warum sie keine anderen Lösungen für das eigene Leben sehen, sie sind noch nicht in der Lage, das mit den Männern endgültig zu beenden und keinen mehr durch einen anderen zu ersetzen. Was für konkrete Möglichkeiten sehen sie auch schon, das Leben ohne Mann, auch ökonomisch, also existentiell, bewältigen zu können? So gut wie keine. Auch den Frauen, an die ich mich erinnern kann, die weniger darin geübt sind, über die eigene Lage nachzudenken, aber sie genauso wenig wie die anderen ertragen, ist es in jedem Fall irgendwie bewußt, daß es ihnen schlecht geht. Meine Mutter und meine Tante z.B.... manchmal habe ich meine Mutter über ihre Schwester sagen hören, >Zum Glück sind meine Schwester und ich Witwen geblieben<. Ich weiß noch, irgendwann habe ich sie einmal unterbrochen und gefragt, Entschuldige, warum hast du gesagt, zum Glück?< Ihre Antwort, >Wann soll ich das gesagt haben?'
GIOVANNA: Es war ihr schon klar, aber es ist ihr rausgerutscht...
ROSETTA: Von meiner Mutter weiß ich, daß sie ihre intensivsten Beziehungen zu den Frauen aus ihrer Familie hatte, ihre Schwestern, ihrer Mutter und zu ihren Freundinnen. Das einzige, was meine Mutter mit fast achtzig Jahren noch glücklich machte, waren die Erinnerungen an bestimmte Sachen, die sie als Mädchen und junge Frau mit ihren Freundinnen gemacht hatte, also mit ihnen auszureißen, mit den Schwestern zu spielen. Das war ganz wichtig, diese Spiele lieferten ihnen Frauenbilder wie ... Frauen als Gefangene, Sklavinnen. Meine Mutter benützte allerdings andere Ausdrücke und überdeckte ihre Erzählungen auch beschwichtigend mit anderen Geschichten. Z.B. neulich habe ich an diese berühmte Geschichte einer meiner Tanten gedacht, die Lehrerin. An ihrem Hochzeitstag, abgesehen davon, daß sie im Grunde gar nicht heiraten wollte, ich weiß nicht, warum. Am Tag ihrer Eheschließung ging sie also in die Kirche, aber unter ihrem Schleier, unter ihrem Brautkranz, hatte sie eine Kartoffelpackung, sie hatte sich eine Art Hut aus Kartoffeln gemacht, sie hatte eine ganz starke Migräne, ja, die berühmten Migränen von Frauen. Sie mußte aber zu dieser Hochzeit gehen, es war ja ihre. Sie ging also mit dieser Migräne hin, und dann habe ich gehört, daß sie in der Hochzeitsnacht dank dieser Migräne den Ehemann rausgejagt hat, der hat ungefähr drei Tage vor der Tür gewartet. In der Zeit hat sie nichts anderes als Kartoffelpackungen gesehen.
MATILDE: Außergewöhnlich dieser Anfang, diese Verweigerung, echt.
ROSETTA: Wir müssen gar nicht so weit gehen, bzw. Angst davor haben, das zu erzählen, denn ... Jedenfalls gibt es viele viele solcher Geschichten, abgesehen von der Frauenbewegung und dem, was in zehn Jahren Frauenbewegung erarbeitet wurde über die Situation der Frau und die Sexualität. Es reicht, sich an die eigenen Geschichten zu erinnern.
MATILDE: Das stimmt.
ROSETTA: Es gibt aber etwas, was ich mir selbst nicht erklären kann, das Problem, ach, immer diese Probleme, daß Lesben immer damit rechnen müssen, nicht ... beachtet zu werden.
GIOVANNA: Ja, unsichtbar zu sein ...
ROSETTA: Und zwar in der ganzen Welt. Ich habe mich immer gefragt, warum sich in Italien nach zehn Jahren Frauenbewegung keine damit auseinandersetzen wollte, daß es das Lesbischsein gibt, während das in den anderen Ländern doch mehr oder weniger geschah. Gleichzeitig mit der Frauenbewegung hat es immer ein Coming out von sich politisierenden Lesben gegeben, die die Frauenbewegung klar unterstützen, aber als Lesben. Es scheint mir, daß in Italien von ein paar Ausnahmen abgesehen, bevor wir und ein paar andere Frauen anfingen, ganz offen darüber zusprechen, keine Anzeichen davon zu finden waren. Ich weiß nicht, ob ich zu spät reingekommen bin, oder etwas übersehen habe, bei heterosexuellen Frauen habe ich, glaube ich, nie ein Interesse dafür wahrgenommen. Das kann ich auch gut verstehen, jeder geht von seiner eigenen Betroffenheit aus, wir dürfen unsere Kämpfe auch nicht auf die heterosexuellen Frauen abwälzen. Noch mehr beeindruckt hat mich, daß viele, viele lesbische Frauen, die ich in der Frauenbewegung kennengelernt habe, nie...
MATILDE: Damit nach draußen gegangen sind.
GIOVANNA: Nie mit ihren spezifischen Bedingungen nach draußen gegangen sind.
MATILDE: Sie haben es nicht angesprochen, ihnen war nicht danach, sie haben sich da nicht durchgesetzt.
GIOVANNA: Ich bin mir da nicht so sicher, vielleicht müßten wir ganz weit zurückgehen, um die Gründe dafür herauszufinden, wir müßten das historisch erforschen. Aber die Lesben, ich glaube, ich habe auch ein bißchen mitgekriegt, wie es in den anderen Ländern lief, sind mit Ausnahme der Vereinigten Staaten nicht gleichzeitig mit der Frauenbewegung rausgekommen, auch wenn dann doch viele der aktiveren Frauen, also die, die ... Aktionen angeleiert, organisiert etc. haben, Lesben waren.
ROSETTA: Das war sogar in der ersten Frauenbewegung der Fall.
GIOVANNA: Ja, sogar in der ersten Frauenbewegung des 20. Jahrhunderts. Was uns angeht, könnten wir, meine ich, in der nächsten Zeit mehr herausfinden, wenn wir das besprechen würden, mit den vielen Lesben, die wir kennen, und zwar unter dem Gesichtspunkt, d.h. daß wir schon als Lesbengruppe existieren. So könnten wir ein bißchen besser in Erfahrung bringen, was es für Hindernisse gab und geben kann. In dem Zusammenhang habe ich eine Erfahrung gemacht, ich habe nämlich versucht, eine offene Auseinandersetzung darüber innerhalb einer Frauengruppe zu führen, die schon Treffen und Selbsterfahrung dazu gemacht hatte, sich aber nach kurzer Zeit aufgelöst hatte. Ich rede von mir persönlich, denn ich habe es mir wirklich selbst aufgehalst. Am Anfang war ich die einzige, die dieses Tabu offen in der Frauengruppe ansprach. In der Gruppe fluktuierten die Frauen ständig, fast immer waren unterschiedlich viele da und fast nie die selben, Lesben und Heterosexuelle waren da drin. Ich war voller Enthusiasmus und gleichzeitig ziemlich angespannt, für mich war es wichtig, es mit allen zu diskutieren. Ich wollte die Grenze zwischen den heterosexuellen und lesbischen Frauen herausfinden, was es bedeutet, lesbisch zu sein und heterosexuell zu sein, ich wollte dem ganz gründlich nachgehen, eben durch Selbsterfahrung. Es war eine sehr bittere Erfahrung, es war sehr hart, das zu ertragen, ich habe mich stark angegriffen und sehr allein gefühlt, Wenn ich von der Gruppe nach Hause kam, konnte ich wegen der Anspannung oft nicht einschlafen, ich heulte viel, hatte Angst. Ich wurde viel mißverstanden, ständig beleidigt und abgelehnt, manchmal kam es ganz schön dicke, dann wieder unterschwellig... Ich konnte mich nicht verständlich machen ... Bestimmt war ich auch gereizt, das verkomplizierte meine Reaktionen und die der anderen, aber in dem Klima war es unmöglich, Luft zu schöpfen und wieder von neuem anzufangen. Trotzdem ließ ich nicht locker, ich wollte es herauskriegen. Die anderen Lesben rührten sich auch, sie mußte aber immer eine Art Mißtrauen mir gegenüber überwinden, ich war für sie irgendwie eine Fremde, die in ihre Gruppe kam und Verwirrung stiftete. Dann die Auflösung ... Sie haben mir praktisch untergeschoben, daß ich die Gruppe mit Absicht kaputtmachen wollte... Es war die Zeit, in der wir uns entschieden gegen das sogenannte Ende der Frauenbewegung wehrten, und mein Bedürfnis schien die bestehende Geschlossenheit der Gruppe durcheinanderzubringen. Ich fand aber, die einzige Chance, damit die Frauenbewegung nicht an der alten Leier und der Frage der Emanzipation zugrundeging, war, das Lesbischsein anzugehen ... also die Situation von Lesben, die es leben, und das Lesbischsein, das in jeder Frau steckt. Meiner Meinung nach war das der tote Punkt, an dem die Gruppen waren, also der Wendepunkt. Aber ich habe es nicht gepackt. Irgendwann nach einigen Monaten hatte ich eine Krise. Die schon bestehenden Probleme zwischen mir und der Frau, mit der ich zusammen war, hatten sich verschärft, meine Arbeit wurde wegen der Moroentführung sehr viel härter, ich hatte Identitätsprobleme ... Das war ein Chaos! Vor allem habe ich mich von den Frauen im Stich gelassen gefühlt, ein schreckliches Gefühl! Ich habe es seingelassen, in die Gruppe zu gehen. Es vergingen Monate, ganz langsam habe ich mich wieder gefangen. Ich bin dann wieder in die Gruppe gegangen und habe versucht, über all das, was vorgefallen war, zu reden, Selbsterfahrung über diese schrecklichen Wochen zu machen. Zwei Mal habe ich es versucht, es hat aber nicht geklappt. Da war nichts zu machen. Zur gleichen Zeit entstand eine Lesbenselbsterfahrungsgruppe, und ich bin dahin gegangen. Das war etwas ganz anderes, genau die Gruppe, die ich wollte. Natürlich gab es viele Schwierigkeiten und Hindernisse, dafür waren die Frauen aber aufmerksam zueinander und für die andere da, es prasselten nicht gleich Beurteilungen und Vorurteile auf dich nieder. Nur dort, nur mit ihnen konnte ich das in Erfahrung bringen, was ich wollte. In der Gruppe bin ich noch heute, sie gibt mir viel. Ich habe mich verändert, es geht mir besser, ich bin stärker ... Ich bin jetzt an dem Punkt, daß ich mir die Verwirklichung eines eigenen Projektes leisten kann, ich fühle mich viel sicherer, in dem, was ich denke, und auch in anderen Sachen.
MATILDE: Ich möchte trotzdem gerne wissen, wie in den Ländern, die schon weiter in der Frauenbewegung sind, also Amerika, England, Deutschland, wie die Lesben sich dort in die Frauenbewegung eingeschaltet haben, also ihren Beitrag als Lesbenbewegung geben, wie sie sich in gemeinsamen Kämpfen verhalten, ihren Anteil an Veränderungen auf der Basis ganz bestimmter Prinzipien haben? Was holen sie sich, was können sie für sich rausziehen, um weitergehen zu können?
ROSETTA: Zumindest bist du der Utopie ein Stückchen näher.
MATILDE: Aber, das, worüber wir ja immer reden, also der Ausschluß der Männer aus dem Leben der Frauen, haben sie, glaube ich, nicht erreicht ... klar, kämpfen die Feministinnen aus den Ländern dank der Unterstützung der Lesbenbewegung gegen ihre Männer.
GIOVANNA: Ja, es besteht überhaupt kein Zweifel daran, daß die Frauenbewegung den Frauen dazu verholfen hat, mehr Macht und mehr Einfluß Männern gegenüber zu beanspruchen, egal ob in Beziehungen oder in der Gesellschaft.
ROSETTA: Die Frauenbewegung ist zu dem geworden, was einst die Schwiegermutter in der Wohnung war.
MATILDE: Ja, die Schwiegermutter in der Wohnung, am Arbeitsplatz ...
ROSETTA: Mit der Schwiegermutter in der Wohnung meine ich die Mutter der Braut, die mit in der Wohnung lebt und dem Mann immer Schwierigkeiten gemacht hat. Im Fall der, ich nenn es mal, kollektiven Schwiegermutter, steht die Frauenbewegung der Tochter wie eine Mutterfigur nahe und vermittelt in der Beziehung zum Mann. So sehe ich das. In der Tat haben die Männer ungeheure Fluchtmechanismen vor den Bewegungsfrauen drauf, sie haben die gleiche Angst, wie wenn die Schwiegermutter im Hause wäre, ja, sie verlassen die häusliche Gemeinschaft, weil sie nicht mit der Mutter ihrer Frau zusammenleben wollen
MATILDE: Sie gehen entweder weg, oder sie haben sich anständig und ruhig zu verhalten, und sicher sind das dann auch nicht gerade die autoritären Männer.
ROSETTA: Tja, früher wißt ihr, vor ein paar Jahren, war schon einmal eine Schwiegermutter in der Wohnung, aber diesmal war es die Mutter des Mannes. Die große Über-Schwiegermutter, das waren da die Linksparteien, die Ideologie der Linken herrschte in den. Wohnungen und Familien. Das ist eine ziemlich komplexe Angelegenheit, eine Sache zwischen Vater und Sohn, ja eigentlich noch viel komplizierter. Und heute gibt es eben dieses große Gegengewicht, weil, um bei dem Bild zu bleiben, die Mutter in der Wohnung ist, und zwar eine überaus mächtige.
GIOVANNA: Genau... Während ihr miteinander geredet habt, bin ich kurz einem Gedanken von eben nachgegangen, dem über die weibliche Identität. Z.B. gehören zu der ganzen unsichtbaren Geschichte der Frau Sachen, die Frauen täglich erleben, und zwar auf einer Ebene, die sich einem normalerweise entzieht. Ich meine die Telepathie, Intuitionen, prophetische Träume, all so etwas, was aus der Frau ... immer schon ein besonderes Wesen gemacht hat ... Sie selbst kann daraus schließen, das wird aber nicht anerkannt... Es gibt eine Geschichte der Frau, wir haben sie, meine ich, in uns ... nicht aus irgendwelchen genetischen Gründen, das wär zwar auch möglich ... wir haben unsere Wurzeln, unsere Geschichte als Frauen, auch von früher und vergangenen Epochen, die von der männlichen Geschichtsschreibung total negiert wurden. Das macht sich auf viele Weisen bemerkbar, aber wir sind nicht fähig, das zu schätzen, ich weiß nicht, wie ich mich besser ausdrücken soll.
ROSETTA: Ich verstehe es, Frauen haben bestimmte grundlegende Eigenschaften, wo du an einem bestimmten Punkt nicht mehr weißt, ob sie angeboren oder genetisch bedingt sind, oder ob Frauen sie sich in jahrhundertelanger Unsichtbarkeit und Unterdrückung angeeignet haben, um so, mit Hilfe einer eigenen Kultur überleben zu können. Sie haben eine eigene Kultur entwickelt, die immer verborgen blieb, aber deswegen nicht weniger wert ist als eine andere. Ich wollte dir etwas sagen, meiner Meinung nach sind diese Eigenschaften, die schon zum Charakter und zur Sensibilität der Frau gehören, etwas ganz Starkes. Als du darüber geredet hast, was Weiblichkeit für dich ausmacht, hast du dich dabei auf einige Dinge bezogen, die viel mit Weichheit, zu tun haben, nicht wahr? Damit habe ich aber Schwierigkeiten, ich sehe zwar die starken Seiten von Frauen, aber auch die Gewalt, den großen Haß. Jede Frau muß ja auch wahnsinnige Aggressionen haben, denn wenn die Analysen stimmen, was mit den Frauen in den letzten Jahrhunderten alles gemacht wurde, was ihnen weggenommen wurde von ihrer Macht, ja, ihrem Leben, kann es nicht hinhauen, daß du heute nur sanfte Frauen vor dir hast, die alles nur in einem positiven Licht sehen. Ich finde, jede Frau hat unwahrscheinliche Aggressionen, die sich manchmal auch gegen viel Schwächere richten, z.B. gegen sich selbst ... Aggressionen, von denen du annehmen solltest, daß sie sie auslebt... Als Frau stehst du permanent kurz vorm Explodieren... Wie kommt's, daß du an der Oberfläche immer nur das Sanfte siehst, was für die Frau selbst auch ziemlich unangenehm ist? Frau muß sich die Sachen schon gern zu nehmen wissen, auch Kleinigkeiten.
GIOVANNA: Meinst du damit, sich auflehnen zu können, nicht etwas gegen sich selbst zu richten, was eigentlich gegen andere gerichtet ist? Es stimmt nicht, daß ich die Frau nur als sanftes Wesen sehe ... Ich sehe sie auch böse, rachsüchtig, aggressiv, ganz nach ihrem inneren Gutdünken, das entzieht sich dem Rationalen, Kontrollierbaren. Ich glaube, bei ihr wirkt das alles ... Das hat mit ihrer tiefen und unergründlichen Weisheit zu tun, diese gibt ihr Harmonie, Sinnlichkeit und eine sensible Art, das Leben anzugehen, statt Angespanntsein, Rigidität und Kurzsichtigkeit... Sie ist sensibler, kennt das Leben und weiß von dem Auf und Ab von Gegensätzen, weil sie eben ihre aus Aggressivität und Sichgehenlassen bestehende Stärke gut im Griff hat. Für mich schließt das Hartsein keinesfalls aus, in vielen Situationen ist es sogar äußerst wichtig... Das Wahrnehmen eigener Gedanken ... treibt einen zum Aufbruch... Also, ich ... ich hasse die Männer und wie! Ich bin mir dessen voll bewußt, sie stören mich in einem fort, sie durchkreuzen alles, was ich will und mache, auf zig verschiedene Weisen, als Individuen und ideologisch. Sie behindern meine Entwicklung, meine Beziehungen zu Frauen und ihre Beziehungen zu mir, sie zwingen mich, Energien zu vergeuden, um mich mit ihnen auseinanderzusetzen oder mich ihren unnützen Plänen zu entziehen ... Sie sind echt eine Landplage, es ist unmöglich, nicht hart zu ihnen und der von ihnen geschaffenen Realität zu sein... besonders wenn du siehst, wie sehr wir Frauen unter diesem Leben leiden... Das schließt aber nicht aus, daß mir diese Härte, also diese Klarheit wirklich Kraft gibt, um anderen Frauen gegenüber sensibel zu sein und Verständnis zu haben. Das kann ich zwar nicht immer, aber ich schätze das sehr an den Frauen, die das schaffen. Ja und dann die Wärme. Ich brauche Wärme, Sensibilität und Aufmerksamkeit, die Liebe einer Frau. Uns allen geht es oft schlecht, so etwas ist wie Balsam, das macht dich lebendig, gibt dir Kraft, Zuversicht, es zu schaffen... Ich meine damit nicht so ein albernes Nettsein, für mich ist das eine Dimension, mit der du die angeschlagenen Versatzstücke deines Lebens wieder zusammensetzen kannst, deine Welt finden kannst. Das Lächeln meiner Tante fällt mir ein, es ist zart, sinnlich und stark, all das. Sie gibt dir viel, ohne sich zu verkaufen. Ihr Lächeln ist echt, so etwas nenne ich Weichsein. Ein Lächeln, das mich auch an den Mund meiner Mutter erinnert... als ich klein war... zumindest ab und zu.
MATILDE: Ja, aber die Frage, die dir Rosetta stellte, lautete, wie sehr wir einander wehtun, diese Weichheit ist grundsätzlich vorhanden, aber wir wissen auch sehr gut, wie sehr wir einander verletzen können, daher sind wir in ganz bestimmten Situationen nett, schleppen aber auch einige Gemeinheiten mit uns rum, die wir uns dann an den Kopf knallen. Wir wissen es, es gibt sie, die Gewalt. Ich weiß nicht, ob wir das alles angestaut haben, ob das von unseren Erfahrungen mit der Umwelt abhängt, also, was wir verinnerlicht haben von der männlich geprägten Welt und Kultur... so daß wir unsere weichen Seiten nicht mehr zulassen, auch nicht mit anderen Frauen, und dann entstehen die Aggressionen, Gemeinheiten, Verletzungen, diese Gewalt ist da, vor kurzem haben wir noch darüber geredet ...
GIOVANNA: Mit Gewalt meine ich aufgestaute Aggressionen ...
MATILDE: Klar, läuft das dann ohne Sensibilität ab, du siehst die andere Frau dann einfach nicht bzw. nur, um deine Wut gegen sie zu richten und sie bei ihr abzulassen.
ROSETTA: Ich wollte auf vielleicht etwas verquere Art ein paar andere Dinge ansprechen. Einerseits wollte ich sagen, daß jede Frau meiner Meinung nach unwahrscheinlich viele Aggressionen angehäuft hat im Laufe der Jahrtausende, in denen uns alles mögliche genommen wurde und wir ständig frustriert wurden. Das führt dann zu dieser Gewalt, nicht wahr? Entweder wir akzeptieren die Auffassung von einer in ihrem Sklavinnendasein glücklichen und zufriedenen Frau, oder wir denken, daß es ihr unserer Meinung nach schlecht geht in ihrem Sklavinnendasein, dann muß sie unwahrscheinlich viel Haß und Aggressivität gegenüber ihrem Unterdrücker haben. Und daran müssen wir uns dann auch unter Frauen abarbeiten, uns damit auseinandersetzen, das uralte Problem ... Also, als ich mich auf die weichen Seiten der Frauen bezog, das ist etwas, das ... Genau das habe ich mich gefragt, ich hatte immer schon eine sehr ambivalente Einstellung zu dieser ganzen Frage. Z.B. verbinde ich Weichheit, auch physische, mit ganz bestimmten Bildern starker Frauen. Einmal stand ich vor einem Bild aus dem 16. Jahrhundert, auf dem eine sehr große Frau abgebildet war, mit der einen Hand berührte sie die eine Tochter, mit der anderen die andere. Dabei blickte sie auf eine ganz bestimmte Art geradeaus, du hast diese Kraft einfach gespürt, dieses Insichruhen, das, was für mich Weichheit ausmacht, was ich mag. Bei dieser Gestalt denke ich an Stärke ... wenn du psychisch ausgeglichen bist, das ist nämlich eine Frage von Stärke und Gleichmäßigkeit, das verbinde ich übrigens mit Mütterlichkeit. Das hat gar nichts zu tun mit der stereotypen Nettigkeit des kleinen Frauchens, das immer zufrieden lächelt.
GIOVANNA: Ich meinte auch diese Art Weichheit, die du gerade angesprochen hast, und genau aus dieser Stärke können dann der Haß und eine grenzenlose Wut entstehen gegen alle, die die Welt auf gemeine und vulgäre Art mißbrauchen, wie es die Männer eben tun.
ROSETTA: Tja, ich war da ambivalent, auf der einen Seite gefällt mir diese Weichheit, aber andererseits kannte ich sie nicht, denn meine Mutter hatte nicht diese Art, darum zieht mich das an solchen Frauen sehr an, auch bei Freundinnen. Ich habe mich immer mehr mit den Frauen identifiziert, die einen sogenannten schlechten Ruf haben, den Launenhaften, den alten Jungfern, den Ungezogenen, die Sachen so sagen, wie es ihnen in den Kopf kommt, auch wenn sie ein bißchen grob sind, mit ihnen identifiziere ich mich mehr, und wahrscheinlich bin ich ihnen viel näher als den anderen. Aber dies andere, diese gleichmäßige kraftvolle Weichheit fehlt mir sehr, wie anders ließe es sich nämlich erklären, daß es vorkommt, daß ich mich sogar auf der Straße umdrehe, wenn ich so eine vorbeigehen sehe. Meistens sind das viel ältere Frauen, keine jungen, so 50-, 60-, 70-jährige, du weißt, daß sie ihr Leben trotz allem, trotz aller Metzeleien in die Hand genommen haben. Das fasziniert mich sehr, ich bleib dann schon auf der Straße stehen und dreh mich begeistert um ... Das begeistert mich, und es zieht mich an, es verführt mich sogar, ich habe aber auch Schiß davor, denn ich weiß, solche Frauen können Macht über mich haben und mich sehr verunsichern in dem, was ich bin, also gleichzeitig machen sie mir auch Angst.
MATILDE: Sie verunsichern dich? Wie? Warum?
ROSETTA: Manchmal entsprechen sie bestimmten Frauentypen, also dem Muttertyp, wie sich eine ihre Mutter erträumt, aber wenn sie dich nicht mögen, können sie dich unheimlich verletzen, weil du so abhängig von ihnen bist, sie so sehr brauchst. Wenn du ihnen nicht paßt, kann es sein, daß sie dich in Stücke reißen. So eine Frau war die Mutter des Mannes, den ich vor zwanzig Jahren geheiratet hatte. Genauso war sie, wenige Frauen ... haben mich so abgelehnt wie sie ... Es geht mir nicht um die Sache an sich, na ja, viele Frauen können mich ablehnen, damit habe ich keine Schwierigkeiten, aber daß gerade sie mich ablehnte, war sehr hart, darunter litt ich sehr. Auch andere Mechanismen spielen wahrscheinlich eine Rolle, daß solche Frauen andere Frauen ablehnen. Was mich betrifft ... wegen nichts kann es mir so schlecht oder so gut gehen wie wegen einer Frau, alles übrige ist etwas total anderes. Wenn du also von der Aggressivität unter Frauen redest, und daß sie existiert, ist das nichts, was zwischen uns steht, was-gegen die andere gerichtet ist. Oft wird die andere Frau ja mit dem ganzen monströsen Mist, der aus mir rauskommt, konfrontiert, aber der kommt nicht wegen ihr raus, sondern steckt seit Ewigkeiten in mir drin und kommt dann raus. Ehrlich gesagt, habe ich die Frauen, die ich gehaßt habe, auch immer geliebt. Ich kann das nicht erklären, das beides ... auch in Freundschaften, Jugendfreundschaften, während ich Männern gegenüber richtige Haßphasen habe, dahinter steckt nicht etwa Liebe, ich weiß nicht, sondern der Wunsch, daß ihnen etwas Schreckliches passiert, daß ich sie nie wiedersehen muß, ohne jede Regung von Zärtlichkeit.
GIOVANNA: Keine Faszination, sondern du wünscht dir nur ihre Vernichtung.
MATILDE: In Wirklichkeit läuft es aber anders, denn wenn ein Mann dir wehtut, ist dir das entweder wurscht oder du wehrst dich mit Leibeskräften dagegen. Und wenn du dich verteidigst, fühlst du dich gleich gut, weil du dich erleichtert hast. Aber wenn es dir wegen einer Frau schlecht geht, ja, dann reagierst du, aber wenn du nur ganz kurz eine Schwäche zeigst, macht sie dich kaputt. Ich bin dann kaputt, daß ich zu keiner Reaktion mehr fähig bin, so am Ende bin ich dann.
GIOVANNA: Ja, das löst eine ganz andere Resonanz in dir aus...
MATILDE: Ich kann mich nicht mehr verhalten, da ist nur noch ein tiefer Schmerz.
GIOVANNA: Aber manchmal geht das doch noch, aber es ist etwas ganz anderes. Für mich ist das keine Gewalt, was in unseren Beziehungen, Freundschaften, Liebesbeziehungen, Zweierbeziehungen, meine ich, abläuft. Ich nehme das nicht als Gewalt und Aggressivität wahr, denn in der Frau, die mir das antut, bzw. der ich das antue, sehe ich sofort meine eigenen Schwächen, meine ungelösten offenen Fragen und Ängste, es fällt mir schwer, das als ... Gewalt und Haß einzustufen, versteht ihr das. Andererseits sehe ich in dem, was mir Männer möglicherweise antun, wirklich totalen Haß, Verachtung und ... Ablehnung, ihnen gegenüber kann ich mich entsprechend verhalten, also deutlich und kühl ... wirklich eiskalt, das ist was total anderes.
MATILDE: Genau, das ist nicht vergleichbar.
GIOVANNA: Überhaupt nicht.
ROSETTA: Sag mal, laß uns doch mal wieder auf dich persönlich zu sprechen kommen. Wie hast du herausgefunden, daß du lesbisch bist?
GIOVANNA: Das war im Zusammentreffen mit anderen Frauen, die ihr Lesbischsein lebten, ohne es aber auszusprechen. Es war, als ich Anfang 1972 in die Frauenbewegung kam. Ich guckte in verschiedene Frauengruppen rein, und irgendwann ... landete ich in der einen. Im Laufe weniger Stunden wurde mir klar, daß unter den Frauen dort die heißesten Geschichten abliefen. Ich fühlte mich von einer von ihnen angezogen, aber benannte es nicht. Bis dahin hatte ich das immer so gemacht. Irgendwann, als ich mit ihr weitergekommen war, ohne mich aber deutlicher auszudrücken, ich hatte nur gesagt, daß ich sie sehen, ihr nahe sein, mehr mit ihr reden wollte, da meinte sie zu mir ... heute verstehe ich das, sie hatte verstanden, was dahinter war, sie meinte also, ich kann nicht, ich werde ganz von einer anderen Frau in Anspruch genommen. Da bin ich in ein Spiel hineingeraten... Ich habe nicht darauf verzichtet, diese Frau zu treffen, und ich habe mich statt dessen als mögliche Unterstützung für sie angeboten und irre Dinge angezettelt. So etwas hatte ich noch nie getan. Es ging mir schlecht, weil ich sie sehen wollte. Sie wohnte nicht in Rom, und von daher fuhr ich dauernd mit der Eisenbahn... Stundenlang lauschte ich ihrem Reden. Ganze Nächte, ich aß unregelmäßig, hatte keinen geordneten Tagesablauf, schlief unregelmäßig. Die Hauptsache für mich war, daß sie sich mir gegenüber öffnete. Sie redete weniger über die Frau als über sich selbst. Irgendwann hatte sie keine Hemmungen mehr und sprach alle ihre Probleme an, es quälte sie, daß sie zu der Frau keine Beziehung haben konnte. Es ging nicht darum, daß die andere Frau etwa nicht lesbisch war, meiner Meinung nach war sie es, obwohl sie es nicht sagte, sie gab es aber nicht zu, sondern stritt es bei sich und der anderen ab, sie verhinderte jede sexuelle Empfindung. Sie lebte in der ständigen Angst, ihre Freundin zu verlieren, gleichzeitig wollte sie sie haben, also, unausgesprochene Abwehr, unausgesprochene Kompromisse... ein Chaos! Und als ich in diesen Dreierbeziehungssog hineingeriet, denn das war's zwischen mir, ihr und der anderen... Wir alle drei waren Verdrängungskünstlerinnen. Da habe ich zumindest gemerkt, wo ich stand, denn obwohl sie das Wort lesbisch oder das Wort Lesbe nie aussprach, habe ich, indem ich mich mit ihrer emotionalen Einstellung zum Leben, ihrer Leidenschaft gegenüber der anderen Frau identifizierte, verstanden, was das war. Innerlich wußte ich jetzt, wer ich war. Ich identifizierte mich völlig mit dieser Frau und wurde mir endlich bewußt, daß ich lesbisch bin. Das paralysierte mich ... es schüttelte mich richtig, als ich es für mich aussprach ... Einen Nachmittag war das so, ich wollte allein sein. Ich bin weg nach Haus gegangen, in mein Zimmer, und dort geblieben. Im Bett kauerte ich mich hin und versuchte, das zu begreifen. Ja, damit klärte sich alles, bis dahin hatte ich immer Umschreibungen benutzt, die nicht unbedingt auf mein Lesbischsein verwiesen, also solche wie >Die Frau zieht mich an, oh mein Gott, das ist morbid, ich bin krank<. Einmal, als ich ungefähr 21, 22 war, wollte ich auf die Anzeige einer Frau, die eine andere Frau suchte, antworten. Ich hatte einen Horror bei dem Gedanken, ihr wegen einer Verabredung zu schreiben, trotzdem hätte ich es gerne gemacht. Ich habe ihr nicht geschrieben, aber es irgendwie bedauert... Allein beim Gedanken, daß ich ihre Einladung hätte annehmen können, dachte ich, daß ich krank und entartet sei. Obwohl ich überhaupt nichts gemacht hatte, kam ich mir befleckt vor, als hätte ich es gemacht. Danach bin ich auf viele Frauen abgefahren, eine war schrecklich. Ich war total in sie verliebt, echte Leidenschaft... aber wieder benannte ich es nicht, ich war nicht fähig, das als Liebe zu bezeichnen... Trotzdem ließ ich mich gefühlsmäßig sehr stark darauf ein, ich konnte gar nichts machen, als hätte ich Fieber gehabt. Dauernd hatte ich sie vor Augen... mit einem Mann war mir das nie passiert ... Einmal dachte ich sogar, ich müßte sterben, so schlecht ging es mir, ich dachte, ich hätte einen Herzanfall. So war das bei mir. Meinen Körper lernte ich erst durch eine Frau kennen, obwohl ich bei vielen Männern die Gelegenheit gehabt hätte...
ROSETTA: Sag mal, was bestimmte Frauen, auch bestimmte lesbische Lebensweisen angeht, wie ist es möglich, daß du Männer überhaupt nicht mehr brauchst? Abgesehen davon glaube ich, daß du es keinem Mann erlaubt hast, stellvertretend für dich zu agieren.
GIOVANNA: Ja, ich hatte typisch offene Beziehungen zu Männern, ich behandelte sie wie olle Fußabstreifer, ich tat das, was ich wollte. Es gab Zeiten, in denen ich jede Woche einen neuen hatte, so war's. In Wirklichkeit war das aber ein Symptom, daß es mir echt schlecht ging... Ich meine, eigentlich war ich gar nicht frei, ich hatte keine Macht im Verhältnis zu ihnen. Das war einfach nichts für mich, damit konnte ich mich nicht identifizieren, ich zappelte in einem Käfig ohne Wände.
ROSETTA: Genau das wollte ich dich fragen. Also, was für Schwierigkeiten hast du in bezug auf die Gesellschaft und deine Arbeit, was weiß ich, durch dein Lesbischsein? Und was für Ängste hast du, ich meine auch solche, daß du denkst, daß du Initiativen ergreifen, immer die wichtigste, die beste sein mußt, um dein Lesbischsein wieder wettzumachen, oder wie?
GIOVANNA: Nein. Im Gegenteil, das ist mir egal, darauf greif ich nicht zurück, ich fühle mich weder ausgeschlossen, noch als Außenseiterin, im Gegenteil!
ROSETTA: Demnach ist es keine Niederlage für dich, wenn du keine große Karriere machst?
GIOVANNA: Nein, überhaupt nicht, in meiner Arbeit will ich auf keinen Fall mehr Verpflichtungen, als ich sie jetzt schon habe. Ich tue das nötige, ich habe keine Karriereprobleme, der Gedanke, Karriere zu machen, erniedrigt mich, muß ich sagen. Im Arbeitsleben weiterzukommen, eine prestigebesetztere besser bezahlte Stelle zu kriegen, wichtiger zu sein ... nein, nein, davor fliehe ich, ich will für dieses System nicht geradestehen, auf keinen Fall. Das System ist so mörderisch, so etwas kann ich in keinster Weise akzeptieren, von daher mache ich in meiner Arbeit nichts, um weiterzukommen ... Ich empfinde es als mühsamen Zeitverlust, da mitzumachen ... bei ihrer Dynamik und ihren Maßstäben, für mich ist das wie eine Gewaltanwendung, wie ein Verrat an mir selbst.
ROSETTA: Ja, auch weil du, was deine Kreativität, deine Energien angeht, viele andere Sachen ...
GIOVANNA: Ja, ich habe nämlich nicht nur die Arbeit, sondern viele andere ...
ROSETTA: Aus deiner Arbeit, die du zum Lebensunterhalt machst, mußt du also keine Bestätigungen ziehen, die findest du woanders.
GIOVANNA: Das stimmt. Ich möchte ganz anders leben, ich habe meine Pläne, meine Sachen, an denen mir viel liegt, sie haben zwar kein Prestige, aber das macht mir nichts. Ich finde jetzt keine geeigneten Worte, mein Interesse liegt jedenfalls in einer ganz anderen Lebensweise und ganz anderen Ausdrucksmöglichkeiten. Ich verwirkliche mich durch etwas ganz anderes als durch meine Arbeit, das ist gar keine Frage.
ROSETTA: Da möchte ich gerne näher darauf eingehen, denn so wie du redest, könnte es den Anschein haben, daß du nicht gerne arbeitest, also daß du dem Arbeiten keine Bedeutung beimißt. So wie ich dich seit einigen Jahren wahrnehme, denke ich, daß du sehr viel arbeitest, und zwar mit viel Liebe für die Projekte, an die du glaubst, nicht wahr? Ich möchte gerne, daß du das näher erklärst. Dein Verhältnis zur institutionalisierten Arbeit ist die eine Seite, wie sieht aber die andere aus?
GIOVANNA: Die andere Seite? Gemeinsam mit den Frauen weiterzukommen, für uns zu arbeiten. Das Governo Vecchio, unsere Gruppe, unsere Beziehungen, die Projekte, das ist meine wirkliche Arbeit, zusammen mit meinen Forschungen nach unserer wahren Geschichte. Diese Arbeit fordert mich sehr, ich mache sie aus Liebe, brauche aber Ausdauer, sie nimmt mich auch mit, macht mir Kummer, doch ich entwickele mich durch sie, lerne ... Ich bin dabei mit Frauen zusammen, das gibt mir immer etwas, das ist mein Weg. Die Arbeit zum Lebensunterhalt ist für mich ein notwendiges Übel, um zu leben ... wie ein Tribut, den ich halt dafür zahlen muß. Jeden Tag fordert sie mir viele Stunden ab, in denen ich mich eigentlich meinen Forschungen über Frauen, meinen Projekten, der Frauenbewegung, der Frau, die ich liebe, widmen könnte ... Ich meine das nicht nur materiell, was die Stundenanzahl betrifft, sondern auch wegen des Psychostresses. Meine Energien sind mir sehr kostbar, mehr, als ich es sowieso schon tue, will ich nicht an männliche Strukturen vergeuden. Auch bringt meine Arbeit, wie meiner Meinung nach alle männlich geprägten Arbeiten, nicht einmal das männliche System zum Wachsen, sondern produziert nur eine totale allgemeine Starrheit, alle Energien sollen unter Kontrolle und alle Leute darin verwickelt sein, so daß sie ihre Energien nicht für etwas anderes einsetzen können, was nämlich die Institutionen, das System, die herrschende Mentalität bedrohen würde. Ich möchte aber in eine andere Richtung hinarbeiten und meine Energien dazu nutzen. Mit der Perspektive möchte ich arbeiten. Als Frau kann ich zusammen mit anderen Frauen besser leben, deswegen müssen wir an der Weiterentwicklung unserer eigenen Kultur arbeiten. Das bedeutet für mich zu leben, Alltag und Transzendenz, das alles, also Energien, um mich und meine Beziehungen zu anderen Frauen besser zu verstehen. Dinge ... auf die Beine zu stellen, wo es auch noch unsicher ist, ob sie Initiativen bleiben oder zu konkreten Projekten werden. Ich denke, das ist das gleiche, sie sind nämlich wirkliche Anhaltspunkte für mich und andere Frauen, die sich auch nicht an dem Bestehenden orientieren wollen, also an den vom Mann geschaffenen Sachen, die sich nur gegen uns richten. Und deswegen erforsche ich erst einmal für mich Themen, die mich interessieren, das sind die merkwürdigsten Sachen, sie erscheinen wahrscheinlich auch als absurd, was weiß ich, z.B. die Verrücktheit, der Mystizismus. In einer meiner Recherchen, die ich gerade mache, beschäftige ich mich auch mit Religion, aber im wahren mythischen Sinne, nicht als Religion, die das Patriarchat, den Mann stützt, ob links oder nicht. Darüber möchte ich weiterarbeiten, weil ich weiß, daß meine Energien da gut angewandt sind. Dafür will ich mir meine Energien aufheben und nicht für diese Strukturen, die mir keine Sicherheit geben. Mich in der institutionalisierten Arbeitswelt zu behaupten, schützt mich vor gar nichts, das raubt mir sogar alles, es nimmt mir meine Zeit, in der ich eigentlich das machen will, was mich interessiert, also Zeit für mich selbst und andere Frauen. Mich in der Arbeitswelt zu behaupten, würde mir Verhaltens- und Interpretationsmuster ... abverlangen, die total negativ und einengend sind und die Frau für null und nichtig erklären. Ich will wirklich ganz anders leben, für mich sind die Karrieren, in die Frauen ihre Energien stecken, bedrohlich, sie entfernen die Frauen voneinander. Genauso verhindern sie deine Weiterentwicklung, daß du dich nach einer anderen Richtung orientierst, sie hindern dich daran, die anderen wahrzunehmen. Unsere Wege, wie wir Beziehungen miteinander eingehen, sind ganz andere als die, die der Mann etabliert hat. Für mich ist die Emanzipation eine Entfremdung. Sie ist in der augenblicklichen historischen Epoche notwendig, aber ihre wahre Natur und die Gefahren, die sie mit sich bringt, verändert das nicht. Wir fühlen uns ... irgendwie verunsichert, denn alles negiert uns dauernd. Meine Beziehung zu dir, zu ihr, meiner Geliebten, wird dauernd abgestritten, dauernd deformiert, mystifiziert, und wenn ich nicht dauernd aufpasse, kann sich das auf mich übertragen und mich, meine Freundin und die anderen Frauen nicht mehr wahrnehmen lassen. Davor hab ich einen schrecklichen Horror, daß das eintreten könnte. Als ich mit der Arbeit anfing, hatte ich eine schlimme Krise, ich wollte kündigen, obwohl diese Arbeit von den Frauen heißbegehrt ist, aber ich wollte das nicht länger machen. So überlegte ich mir, ob ich nicht auf's Land ziehen sollte, um Gemüse anzubauen und davon zu leben, das hätte ich lieber gemacht, denn damals hatte ich noch keine andere Alternative. Das Geld, was ich heute durch meine Arbeit verdiene, bei der ich doch geblieben bin, stecke ich in mein Projekt ... Aber damals hatte ich rein gar nichts, und ich haßte es wirklich ... Meine größte Angst war es, von den Mechanismen dort aufgesogen zu werden und eines Tages dahinzukommen, daß ich weder mich, noch die anderen Frauen wahrnehme. Davor hatte ich totale Angst... Irgendwann habe ich dieser Angst nachgegeben, um sie loszuwerden, das hat mich aber sehr viel gekostet. Also, ich habe jedenfalls versucht, mich von dieser Angst ... nicht auffressen zu lassen, am meisten fürchtete ich mich nämlich davor, mich selbst runterzumachen, also mich nicht mit der dortigen Realität auseinanderzusetzen, sondern mich viel kleiner zu fühlen. Irgendwie habe ich dort doch mein Gleichgewicht gefunden. Das ist stressig, jeden Tag habe ich den Stress, sie vermuten auch schon längst, daß ich lesbisch bin. Es wird nicht klar ausgesprochen, aber ab und zu habe ich abrupte Reaktionen, Sachen, Verhaltensweisen drauf, das läßt sie schon darauf schließen... Sie können es sich denken, trauen sich aber nicht, es mir ins Gesicht zu sagen. Manchmal provozieren sie mich, na ja ... aber das stört mich nicht... In solchen Situationen würde ich sie am liebsten zu Asche werden lassen, nicht, weil sie mich stören, sondern aus ... Stolz, also, um mich zu verteidigen. Was mich wirklich stört, ist, daß sie mir Zeit und Energien wegnehmen. Zudem habe ich das Problem, wie ich selbst mit diesen Strukturen fertigwerden soll, wie hasse ich es, dafür meine Energien zu gebrauchen! Ich muß sie mir abzweigen. Genauso der Beziehung mit meiner Freundin und meinen Beziehungen zu anderen Frauen wegnehmen... In der letzten Zeit habe ich etwas sehr Wichtiges kapiert: Diese Arbeit beinhaltet, die Patrilinearität der Gesellschaft zu akzeptieren. Ich habe sie mir nicht ausgesucht, sie läuft praktisch über meine Familie, eigentlich durch meinen Vater. Anfangs habe ich mich bemüht, sie interessant zu finden und etwas zu machen, was wirklich etwas nützen konnte und echte Information war. Sobald mir bewußt wurde, daß wahre Informationen in dieser Gesellschaft unmöglich sind, habe ich sie nur noch so durchgezogen. Etwas anderes, was mir in der letzten Zeit klar geworden ist, ist noch viel wichtiger, nämlich daß ich geschrieben habe. Ja, seit meiner Kindheit habe ich geschrieben, das war ein Mittel... Ich weiß nicht mal richtig ... warum, aber ich nehme an, daß ich es hauptsächlich deswegen gemacht habe, um mit mir selbst in Kontakt zu bleiben, abgesehen davon, daß ich mit Minou Drouet [16] konkurrierte und Gedichte schrieb. Was soll's, aber mit dem richtigen Tagebuchschreiben habe ich angefangen, als ich es an eine gewisse Miriam adressierte, das war der Name einer Frau, die ich mochte, da war ich 14. Von da an habe ich Geschichten, Erzählungen, Lyrik, Gedichte, Romane geschrieben, ja, im Internat habe ich sogar schon mit 12 einen Roman angefangen mit einer Elisabeth als Protagonistin. Das waren Namen, die mir gefielen. Mit ungefähr 16 Jahren hatte ich keine Lust mehr zum Schreiben, ich wollte andere Sachen machen, zuerst wollte ich filmen, Filme machen, aber mir wurde klar, daß das unmöglich war wegen des Geldes, denn du benötigst eine Kamera, Filmmaterial etc. Trotzdem schrieb ich Drehbücher für Filme, die ich nie realisierte. Ich malte gerne, aber das einzige, was mir gelang, war ein Tongefäß zu nehmen, mir Pinsel usw. zu kaufen und es zu bemalen. Danach interessierte mich die Musik, ich komponierte Lieder, stundenlang verbrachte ich meine Zeit am Klavier meiner Mutter, um Lieder zu komponieren und Platten zu hören. Was mir in der letzten Zeit klar geworden ist, ist, daß das Schreiben nicht nur ein Ersatz für mich ist, da ich weder Geld noch andere Mittel hatte, sondern daß das Schreiben, all das, was Kulturelles betrifft, zu meinem Vater gehört. Ich weiß nicht, Politik, Literatur ... das alles gehört zu meinem Vater und der Familie. Das übrige, nämlich das Körperliche, die Medizin, Musik und Emotionalität gehören zu meiner Mutter. Mir wurde auch klar, daß ich mich mit der Arbeit für die, ich will mal sagen, Patrilinearität entschieden habe. Ich stand zwischen zwei Alternativen, hatte keine Fluchtmöglichkeit. Schon auf dem Gymnasium hatte ich vor, Medizin zu studieren, und letztes Jahr habe ich mich auch für Medizin eingeschrieben, aber bei der Vorstellung, sechs Jahre zu studieren, also sechs Jahre finanzielle Abhängigkeit von meiner Familie, sprich von meinem Vater abhängig zu sein, sechs Jahre Beziehungsarbeit zu ihnen, dann noch die Famulaturen und Spezialisierung usw., hat mich das alles total abgeschreckt, und ich habe mir überlegt, daß ich etwas ganz anderes machen wollte.
Meine eigentlichen Gefühle habe ich beiseite geschoben, da es nicht anders ging und habe mich für das andere Leben entschieden, das mir mehr Möglichkeiten bot, also das Schreiben, das Kulturelle, die Politik. Auf dem Gymnasium, an der Uni habe ich mich schon politisch engagiert, ich hab das aber bald aufgegeben, danach habe ich, ich weiß nicht, tausende von Seiten geschrieben, tja, ich will nicht übertreiben, Hunderte ... Ich habe viel gemacht, was überhaupt nichts mit meinen wirklichen Bedürfnissen zu tun hatte, die Musik habe ich z.B. gehaßt und das jahrelang, denn sie stellte, das ist mir erst vor kurzem klar geworden, ganz klar den Schlüssel zur Matrilinearität dar, ich sag das jetzt mal so ... Meine Mutter hat sich nämlich in der Hauptsache mit Musik beschäftigt, meine Mutter war der Schlüssel zu einer weiblichen Welt, den Luxus, diese Welt zu entdecken und kennenzulernen, da zu leben, konnte ich mir da noch nicht erlauben. Vor wenigen Jahren, vor drei oder vieren, hab ich wieder angefangen, Musik zu mögen, als ich mir praktisch den Luxus erlaubte, auf mich selbst zu hören und mich zu verwirklichen. Das bedeutete, mir eine ganze Reihe eigener Sachen zurückzuholen, Sachen, die ich verdrängt hatte, weil ich geglaubt hatte, daß dafür kein Raum da war... In Wirklichkeit hatte ich einfach nicht die Kraft und die Klarheit, ihnen Raum zu verschaffen... Von daher ... ist mir klar, wie schwer es für Frauen ist, sich auf das Weibliche zu beziehen. Erst neulich habe ich eine Frau kennengelernt, die sich an ihrer Mutter orientierte, als sie sich für eine Arbeit entschied. In so einem Fall, wenn Frauen also den Weg ihrer Mutter einschlagen, ist es viel schwieriger, die Arbeit und eine ganz bestimmte Art, sich in der Gesellschaft zu bewegen, einfach aufzugeben, denn emotional sind sie sehr stark und tief mit der Mutter verbunden. Das führt jedoch auf eine ganz andere Ebene... Für mich war es jedenfalls entscheidend, daß mir klar wurde, daß ich nur die eine Alternative, die eine reale Möglichkeit hatte, mich in der Welt zu bewegen, die mein Vater eben verkörperte.
ROSETTA: Im Zusammenhang mit Frauen und dem, was dein Vater darstellt, nenn ich das erzwungene Emanzipation.
GIOVANNA: Genau, ich war gezwungenermaßen emanzipiert.
ROSETTA: Dazu kommt aber auch all das mit deiner Mutter, dein Verhältnis zu ihr, du selbst hast gesagt, daß du seit drei, vier Jahren, also seitdem du finanziell die Möglichkeit dazu hast ... wieder die Musik magst. Ich meine aber auch einige deiner Probleme mit deiner Mutter, früher hast du das so gesehen, daß sie dich im Stich gelassen hat, daß dich deine Mutter wegen ihrer Musik, wegen ihrer Leidenschaft für Musik sozusagen verlassen hat.
GIOVANNA: Nein, so war das nicht. Ich fand es immer gut, was meine Mutter machte, ihre Musikleidenschaft faszinierte mich sehr, verband mich mit ihr. In den Auseinandersetzungen mit meinem Vater, als ich mich ihm gegenüber verteidigte und mich durchsetzen wollte, fühlte ich mich von meiner Mutter im Stich gelassen. Da habe ich ihr Abwesendsein gespürt, da habe ich mich im Stich gelassen gefühlt und gemerkt, daß sie mir keine Stärke gab.
MATILDE: Ihr wart nicht miteinander verbündet.
GIOVANNA: Eigentlich geht es um etwas anderes. Damals habe ich gemerkt, daß meine Mutter nicht da war, aber auf ihrer Ebene, in ihrer und meiner Welt, auch wenn es eher unausgesprochen und versteckter ablief... habe ich meine Mutter immer gespürt, und ich glaube, sie hat mich auch stark wahrgenomrnen, aber im Terrain meines Vaters ist sie praktisch nicht vorhanden. Die Auseinandersetzung, die sie damals mit meinem Vater und der Gesellschaft im allgemeinen führte, nahm sie so in Anspruch, daß ihr keine Kraft mehr für mich blieb. Außerdem konnte sie sich in meinen Kämpfen nicht wiederfinden, es war ihr unmöglich, sich als Frau auf eine andere Frau zu beziehen, sie hatte keine ... was weiß ich! Meine Mutter hatte ihre Erfahrungen in der Linken gemacht, die Parteien der Linken halfen dir überhaupt nicht weiter, um andere Frauen zu verstehen und um dich mit ihnen zu identifizieren. Das geht mit keiner männlichen Struktur. Die linken Parteien sind ein Produkt der Auseinandersetzungen zwischen Männern... sie haben ihre eigene Logik, die nichts mit dem Leben von Frauen zu tun hat, es ist eine männliche Logik. Wir sind anders. Aber meine Mutter hatte wenig Chancen, um das zu sehen... Sie konnte mich damals nicht beschützen... Und heute bin ich dabei, mich von dem mir aufgedrängten Leben zu lösen, nämlich von dem, was du mit erzwungener Emanzipation bezeichnest ... um in eine andere Richtung zu gehen, die mich emotional wieder mit meiner Mutter verbindet... Ich fühle es, auch wenn ich noch nicht genau weiß, wie. Das mache ich heute mit 34 nach mehr als zwanzig Jahren Lehrzeit in der Welt der Männer. Es tut mir leid, all die Zeit verloren zu haben.