SARA - 32 Jahre alt lebt in Rom
GIULIA 28 Jahre alt lebt in Rom
ALICE: Wir dachten, daß wir das Gespräch mit der Frage an dich anfangen könnten, ob du dich als Lesbe begreifst.
SARA: Mich als Lesbe zu begreifen, bedeutet vielerlei für mich. Es heißt, mich für Frauen als meinen Bezugspunkt entschieden zu haben und meinen Alltag mit ihnen zu verbringen und meine sozialen Beziehungen mit ihnen zu teilen. Es heißt, sie zu lieben, sie zu hassen und gemeinsam mit ihnen weiterzukommen. Und es heißt, zu versuchen, sich selbst ganz zu verwirklichen. Das ist wie ein Kreis oder ein Spiegel. Vielleicht ist es schwierig, die Grenzen zwischen der einen und der anderen festzustellen. Geliebte - Freundin - Mutter Tochter - Schwester - Gefährtin ... wunderschöne Situationen und grauenvolle, herzzerreißende Momente. Es beinhaltet das Ablehnen der männlichen Gesellschaft, der ich keine Energien mehr zukommen lassen will. Es ist der Versuch, einen Lebensraum mit anderen Frauen aufzubauen, in dem ich mich wiederfinden kann. Es ist schwer, ich weiß es. Denn es ist schwierig und aufreibend, ständig in mich zu gehen und zu versuchen, all das zu verstehen und anzugehen, was mich in dreißig Jahren konditioniert hat.
ALICE: Ist dir danach, uns zu erzählen, wie du zum Lesbischsein kamst?
SARA: Nun, das ist sehr einfach. Wie ich zum Lesbischsein kam? Für mich war es entscheidend, ein Bild vor Augen zu haben, in dem ich mich äußerlich wiederfinden konnte, also lesbische Frauen zu sehen. Bis dahin hatte ich noch nie welche gesehen, ich hatte nur das Bild von einer lesbischen Frau mit kurzen Haaren, Filzhut und Männerkleidung. Ich weiß noch, daß ich, als ich im Governo Vecchio zum ersten Mal C., M. usw. sah ... ich sehr aufgewühlt war. Danach begegnete ich Giulia. Der Auslöser für mich war also, daß ich lesbische Frauen gesehen hatte, in denen ich mich wiedererkennen konnte. Davor hatte ich mich nie gefragt, was Lesbischsein ist und was eine Lesbe ausmacht.
ALICE: Hattest du vor Giulia ein besonderes Verhältnis ... also enge Frauenfreundschaften?
SARA: Ja, sehr intensive.
ALICE: Gab es zwischen euch auch körperlich ... etwas Intensives ... was weiß ich, fandest du deine Freundinnen schön?
SARA: Ja, da war etwas, was ich schon seit meiner Kindheit empfand, nur konnte ich es nie als Liebe werten. Ich dachte mir, es sei etwas ganz Anderes... eine große Zuneigung, daß ich meine Freundinnen schätzte und solches Zeug, aber nichts Sexuelles. Schon eine große umfassende Liebe, die aber unbestimmt und unsichtbar blieb. Heute weiß ich, ich war in bestimmte Frauen verliebt, nur konnte ich es nicht wahrnehmen. Alles, was ich fühlte, ordnete ich immer irgendwie ein.
ALICE: Ja, deswegen krachte bei dir nicht alles zusammen, als du Giulia kennenlerntest.
SARA: Nein, kein Trauma, überhaupt nichts ... aber logischerweise war ich von der Entdeckung meines neuen Ichs überrascht. Ich fragte mich, >Was ist das? Was bedeutet das? Wie ist das möglich?< Ganz langsam, Stückchen für Stückchen habe ich, ... ohne es abzuwehren, entdeckt, daß es etwas ganz Natürliches und sehr Schönes ist. Ich kann dir das nicht genau sagen ... vielleicht hätte ich mit einer anderen Frau Probleme gehabt, also Ängste und eine Verunsicherung, was ich alles mit Giulia nicht hatte.
Rosetta: Hattest du viele Schwierigkeiten, dich in der Sexualität mit einer Frau einzubringen?
SARA: Mit Giulia schlug es ganz klassisch wie der Blitz ein, eine wahnsinnige erotische Energie. Wir verliebten uns sofort ineinander. Daraus entstand eine tiefe Liebesbeziehung, die seit mehr als zwei Jahren andauert. Mich sexuell auf eine Frau einzulassen, fiel mir nicht schwer. Im Gegenteil, es hat bei mir tiefe und schöne Gefühle entstehen lassen - das ist jetzt noch so - bei denen ich mich endlich frei und glücklich fühle und meine Sexualität leben kann. Wenn manchmal bei ihr oder mir Probleme auftauchen, reden wir zusammen darüber, und es ist uns immer gelungen, uns zu verstehen und dafür zu sorgen, daß wir uns in unserer Verschiedenheit einander ergänzen ... Mir fällt das Bild von dem Kreis wieder ein, Geben und Nehmen, sich selbst und die andere wahrnehmen zu können.
GIULIA: (lachend) Ja, frau muß es wie die Vampire machen.
Quatsch, ich mache Spaß. Vielleicht ist es nicht der richtige Ausdruck, aber ich meine damit, daß du eine Art Urwissen von dir vermittelst und der anderen weitergibst? Zu dieser neuen Dimension durch eine andere Frau, die keine Angst mehr vor ihrem Lesbischsein hat. Das Gefühl ist nicht rational, es kommt aus dem Innersten und hilft dir, eine Seite von dir zu entdecken, die du von klein auf wegen deiner Konditionierung oder aus Angst unterdrückt hast. Irgendwann im Leben lassen sich die Gefühle, die wir alle für unsere Busenfreundin hatten, wiederentdecken. So kann ich mich wiederfinden und mich von meinen Konditionierungen bzw. der Zwangsheterosexualität lösen. Wenn zwei sich begegnen, werden alte Erinnerungen an das Spiel der Liebe wieder wach. Oft werden dadurch ähnliche vergessene Gefühle bei anderen Frauen angeregt.
ALICE: Sara, angenommen, du und Giulia würdet euch heute trennen, würdest du dir eine andere Frau suchen oder zu Männern zurückkehren?
SARA: Mit einem Mann wird nie mehr etwas laufen, auch weil meine Beziehungen zu Männern nicht erst mit Giulia aufhörten, sondern bereits vorher ganz und gar für mich abgeschlossen waren. Es brauchte ein Weilchen, bis ich verstand, was abgeschlossen war. Ich quälte mich mit einer Heterobeziehung ab, obwohl ich wußte, daß sie zu ende war, aber ich verstand nicht Nein, mit einem Mann, das ist unvorstellbar... Sagt mal, habt ihr Hunger?
ALICE: und Rosetta: Nein, danke.
ALICE: Wie nimmst du dich beispielsweise selbst wahr? Hast du das Gefühl, gegen etwas zu verstoßen, da du mit einer Frau zusammen bist, fühlst du dich anders als die anderen Frauen... wie kommst du damit klar?
SARA: Ich kann dir dazu sagen, daß ich anfangs danach suchte, wie ich auftreten wollte. Das war so, als ob ich mich in dem Moment, als ich zu meinem Lesbischsein stand, fragte, was für ein Erscheinungsbild ich für mich finden, wie ich sein sollte. Solche Gedanken hatte ich, ich weiß es noch, als ich mich im Spiegel betrachtete. Ich hatte Schwierigkeiten, wie ich mich anziehen sollte, was für einen Eindruck ich vermitteln sollte, was für eine Rolle ich übernehmen sollte. Ich weiß noch, ich stellte mich vor den Spiegel und dachte, >Vielleicht müßte ich als Lesbe anders sein, vielleicht tut eine Lesbe so etwas nicht ...< Seitdem ich diese zeitweilige Verwirrung überwunden habe, lebe ich so, wie ich bin, und das, was ich fühle. Ich mach das, was mir paßt, ganz selbstverständlich und frei ... Wenn du so willst, konnte ich erst durch mein Lesbischsein wahrnehmen, daß ich Spaß daran habe, mich so und so zu verhalten, daß ich Spaß daran habe, schön zu sein, daß ich alles herausfinden will, was mir gut tut, während ich früher eher sehr schwierige ... und schwere Zeiten durchmachte.
Rosetta: Sara, du hast eine Tochter, die ein paar Jahre lang von dir und deinem Ex-Mann aufgezogen wurde. Inwiefern spielt heute die Anwesenheit deines Kindes eine Rolle in deinem Verhältnis zu Giulia und auch in deinen Beziehungen zur Umwelt?
SARA: Rosetta, das ist eine schwer zu beantwortende Frage, weil es bei mir so viele Gefühle auslöst, die schwer zu verstehen und nachzuvollziehen sind, vielleicht auch, weil< die Mutter-Tochter-Beziehung so vom Innersten geprägt ist, daß sie wirklich schwer zu verstehen und zu leben ist. Als Mutter habe ich unendlich viele Sorgen, echte Ängste, Schuldgefühle und Freuden, es ist eine unerschöpfliche Liebesbeziehung. Und ich fühle, bei meiner Entscheidung für mein Lesbischsein spielt die Liebe zu meiner Tochter im Grunde eine bedeutende Rolle. In der Vergangenheit hat Valentina, dessen bin ich sicher, immer gespürt, daß sie der Mittelpunkt meiner Liebe und Zuneigung war. Sie brauchte mich mit niemandem zu teilen. Sicher, da war meine Arbeit, meine Interessen, meine Freundschaften, die unserer Beziehung Zeit und Raum wegnahmen, aber es gab keine andere Person, mit der sie mich teilen mußte, deswegen hatte die Beziehung zu ihr eine absolute Priorität, was auch heute in seiner Einzigartigkeit und Unauflöslichkeit noch so ist. Aber heute gibt es Giulia, und Valentina fühlt und spürt, daß ich Giulia sehr liebe, und das führt bei ihr manchmal zu Momenten der Eifersucht, der Verunsicherung und stärkeren Bedürfnissen nach Liebesbeweisen. So wie es für Giulia nicht leicht ist, sich auf sie zu beziehen, sei es, weil sie ein Kind ist, sei es, weil sie meine Tochter und deswegen mit mir so verbunden ist, daß es ihr manchmal schwerfällt, ihr Ausgeschlossensein zu akzeptieren. Ich fühle mich in der Mitte zwischen zwei Menschen, die ich gleich und verschieden total liebe, und oft fühle ich mich dadurch zerrissen. Dazu frage ich mich, was für ein Frauenbild ich meiner Tochter vermittele, was für Schwierigkeiten sie mit sich und ihrer Umwelt zu bewältigen haben wird. In mir sind viele Fragen, Unsicherheiten und wenig Antworten. Als ich mit anderen lesbischen Frauen, die Kinder haben bzw. mit den Frauen, die eine Beziehung zu ihnen haben, sprach, kam heraus, daß viele der Schwierigkeiten, die ich persönlich als meine erfahre, allgemein sind und daß es nicht leicht ist, Antworten und Lösungen zu finden. Im Moment will ich nur einen Weg finden, daß wir, so gut wir können, diese äußerst schwierige Beziehung leben können.
Rosetta: Sicher, das ist nicht einfach.
ALICE: Meinst du, es gibt einen Unterschied zwischen lesbischen und heterosexuellen Frauen?
SARA: Ich kann dir dazu sagen, als ich mein Lesbischsein wahrnahm, merkte ich, daß mein Interesse für Heterofrauen schwand. Ich merkte, daß ich in eine andere Richtung ging ... Ich merkte, daß ich nicht einmal mehr mit den Frauen sprechen konnte, die meine besten Freundinnen gewesen waren und die ich sehr gern gehabt hatte. Unsere beiden Wege verlaufen äußerst unterschiedlich, deswegen kam es zum Ende unserer Beziehungen. Gefühlsmäßig ... Ich habe versucht, weiter Beziehungen zu ihnen zu haben, eine Auseinandersetzung ... Aber ich fühlte mich wahrgenommen wie ...>Ach, warten wir mal ab, das geht vorbei. Das kommt nur deswegen, das weißt du genau...< Darüber hinaus argumentierten sie praktisch mit der These vom Dritten Geschlecht. Als ich mich mit einer Freundin traf, erzählte ich ihr, daß wir eine Lesbengruppe gegründet hätten ...< Warum nur lesbische Frauen?< >Eben, weil es zwei völlig verschiedene Realitäten gibt. Wir haben das Bedürfnis, über uns als lesbische Frauen zu reden. Wenn du kommst, um über deine Probleme mit deinem Freund zu reden, kann ich dich nicht mehr verstehen, ich kann dir nichts mehr sagen und dir nichts geben. Die Probleme einer lesbischen Frau sind völlig anders als die einer Heterofrau<.
Rosetta: Was macht dir eigentlich mehr aus, daß dir z.B. auf der Straße >Lesbe< nachgerufen wird oder daß dein heutiges Leben von deinen ehemaligen Freundinnen abgelehnt wird?
SARA: Daß man mir Lesbe auf der Straße nachrufen könnte, ist mir wurscht, das stört mich überhaupt nicht. Ich weiß, daß sie keine Mittel haben, um zu begreifen, was es ist, ich will ihnen auch nicht auf die Sprünge helfen, deswegen ... Na ja, das ist eine Phrase wie jede andere auch ... Mir ging es aber schlecht, als ich spürte, daß mein neues Leben von meinen früheren Freundinnen nicht mehr verstanden wurde. Ich glaube, eigentlich würde ich mich gerne mit ihnen auseinandersetzen, mit ihnen darüber sprechen und mich ganz frei entfalten können ... ich fühle aber, daß ich das überhaupt nicht machen kann. Ich merke, daß ich mit ihren Augen betrachtet werde, also mit einem Heteroblickwinkel, so wie mein Blickwinkel der einer lesbischen Frau ist.
Rosetta: Inwieweit ist es wichtig für dich, daß dein Lesbischsein von außen wahrgenommen wird? Meinst du, daß du die Anerkennung von anderen Frauen brauchst, um dir so deine neue Identität zu schaffen?
SARA: Ach, weißt du, was ich mich frage, wenn ich nicht anerkannt werde? >Wie würde ich das an ihrer Stelle sehen?< Sehr wahrscheinlich würde ich das so sehen, wie sie mich heute sehen, d.h. mit weit aufgerissenen Augen und mit ein bißchen Abstand. Und ich würde mich fragen, >Was ist das für ein Ungeheuer?< Das fühle ich dann wirklich so ... wie Rosetta, die beim Aufwachen einen Skorpion sieht und sich fragt:>Wie verhalte ich mich gegenüber einem Skorpion?< Verstehst du? Im Grunde frage ich mich das, und deswegen kann ich ihre Verwirrung schon irgendwie verstehen. Natürlich geht es mir deswegen schlecht, aber mir ist klar, wenn du etwas nicht mit der eigenen Haut durchmachst, kannst du es nicht ganz und gar verstehen. Das kannst du nur, wenn du es lebst. So eine Verwirrung ist verständlich.
Rosetta: Nützt deiner Meinung nach, die, sagen wir, verbale Auseinandersetzung mit anderen Frauen überhaupt etwas?
SARA: Ganz und gar nichts. Umgekehrt bin ich verwirrt, wenn ich die Frauen mit einem Mann zusammen sehe, allerdings mit dem Unterschied, daß wir alle die Heterosexualität kennen, ihre Mechanismen, wie es läuft, die Probleme. Deswegen können wir sie vielleicht eher verstehen... Mehr kann ich nicht. Genausowenig kann ich ihnen erklären, was es für mich bedeutet, lesbisch zu sein ... warum soll ich mich auch rechtfertigen? Wenn ich genau weiß, daß ich es ihnen verbal nie erklären könnte. Das kannst du nur verstehen, wenn du es lebst ... Mit dir kann ich darüber reden, was es heißt, lesbisch zu sein und welche Schwierigkeiten Lesben haben, aber das geht nicht mit einer heterosexuellen Frau.
ALICE: Ich habe sogar noch schlechtere Erfahrungen: Als ich versuchte, darüber zu sprechen, wir waren schon lange befreundet, öffnete ich mich wirklich. Ich verschanzte mich nicht, indem ich sagte, >Ja, ich bin lesbisch<. Punkt aus. Nein ... ich hatte auch heterosexuelle Erfahrungen. Wir hätten auch darüber reden können ... Ich war bereit, die Tatsache meines Lesbischseins in Frage zu stellen, aber ich habe nie eine heterosexuelle Frau gefunden, die ihre Heterosexualität in Frage stellte. Ich sah mich einer Frau gegenüber, die von mir verlangte, ihr zu erklären, warum ich lesbisch bin, während sie nie erklärte, warum sie hetero ist... Das ist der Unterschied.
SARA: Sie sagen, daß sie von Männern angezogen werden, weil sie ihr absolutes Gegenstück sind.
ALICE: Ich finde, eine Frau kann auch ganz dein Gegenstück sein ... Wie ist das für dich? Das ist wirklich wichtig. Kannst du dir vorstellen, daß eine Frau ganz anders ist als du?
SARA: Manchmal denke ich, daß ich und Giulia, daß wir sehr viel gemeinsam haben ... Gleichzeitig spüre ich, daß wir unglaublich unterschiedlich sind, also wirklich sehr ... Was ich merke, sind dreißig unterschiedlich verbrachte Lebensjahre, durch die ich so geworden bin und sie eben anders ... Ich meine, unsere unterschiedlichen Entscheidungen und Erfahrungen in der Vergangenheit ... und zwar in sehr vielen Sachen. In anderen Dingen fühle ich, daß wir sehr ähnlich, uns sehr verwandt sind, im emotionalen Bereich und in der täglichen und politischen Auseinandersetzung.
ALICE: Wie hast du das alles mit einem Mann gelebt?
SARA: Was soll ich sagen? Im Grunde erinnere ich mich herzlich wenig an das, was ich mit Männern gelebt habe ... Es mag sein, daß ich in den letzten Jahren mit einem Mann ... ich meine zumindest die letzten sieben, acht Jahre, in denen ich so allein war ... Ich weiß echt nicht, was ich dir antworten soll ... Er war ein anderes Wesen, total anders.
ALICE: Wart ihr euch irgendwo ähnlich, konntet ihr etwas zusammen machen?
SARA: Nein ... zumindest in den letzten sieben, acht Jahren war ich so gefangen von der Suche nach mir selbst, also nach meiner Kreativität, nach Arbeit, der Beziehung zu Valentina und der zu meinen Freundinnen, daß dieser Mann für mich von zweitrangiger Bedeutung war ... Ich sah in ihm den Feind, ein total anderes Wesen, mit dem ich mich jeden Tag auseinandersetzen mußte. Zwei Fronten, ein ganz schöner Graben. Das lief überhaupt nicht so wie heute bei mir und Giulia, wenn wir uns verkrachen und wieder versöhnen.
Rosetta: Als mir mein Lesbischsein bewußt wurde, bin ich sehr viel selbstbewußter geworden. Und wie war das bei dir?
SARA: Das passierte schon davor ... Noch während ich mit einem Mann zusammen war, wurde mir klar, daß ich, wenn ich etwas wollte, es nur alleine machen konnte. Ich fühlte mich stark, hatte meine eigenen Vorstellungen von Kreativität. Damals kam sie so raus, heute ganz anders. Im Zusammensein mit Giulia habe ich wieder gelernt, wie lustvoll es ist, etwas Gemeinsames mit der Person, die ich liebe, zu tun. Sofern es möglich ist, versuchen wir, kreativ zusammen zu arbeiten, trotz allem Trennenden, was sicher auch sein muß, während früher alles völlig getrennt war. Giulia und ich probieren, Sachen zusammen zu machen.
Rosetta: Aber was sind jetzt konkret die Schwierigkeiten, die du im Zusammensein und auch Zusammenarbeiten mit einer Frau siehst? Was könnt ihr zusammen machen? Wie sieht das konkret aus?
SARA: Bei all dem geht es wieder darum, wie ich gestrickt bin und wie sie, also weiche Träume und Bedürfnisse sie hat und welche ich, was ihre Kreativität ausmacht und was meine, und wie sich das zusammenbringen läßt, also ihre Rhythmen und was meine ... Bei all dem merke ich natürlich, daß es Schwierigkeiten gibt, manchmal sind sie groß und dann wieder weniger. Manchmal sehe ich ein, daß ich nachgeben muß, dann wieder merke ich, daß Giulia nachgeben muß... Alles zwischen fürchterlichen Auseinandersetzungen und unglaublichem Chaos... Ich hoffe, daß ich es packe, ich spüre das ... Damit haben wir uns noch nicht gerade viel beschäftigt... Inzwischen haben wir das Bedürfnis nach einer tiefergehenden kreativen Auseinandersetzung. Manchmal habe ich zwar Angst davor... Ich sage dann, >vielleicht müßte ich es alleine angehen ..<, aber dabei würde ich mir das Vergnügen nehmen, es mit ihr zu tun. ... Wie dann unsere Schwierigkeiten aussehen werden, kann ich nur ahnen. Das Aufeinanderprallen zweier Temperamente und Rhyhthmen. Ich muß alles sofort machen, wenn nicht, dann ist die Luft raus, es macht mir keinen Spaß mehr. Wenn ich mich mit einem weißen Blatt Papier und einem Stift hinsetze, mache ich wirklich alleine etwas, das bin ich dann, das weiße Blatt Papier und der Stift. Genauso ist es mit Giulia, die auch allein mit ihrem weißen Papier und ihrem Stift da sitzt. Ich möchte unsere Projekte, unsere Kreativität, unsere Ideen zusammenbringen, vorantreiben ... ein gemeinsames Projekt mit unseren Rhythmen... Zeiten zusammen und ich weiß, das ist nicht einfach, die zu finden, es wird schwer sein. Aber das will ich machen, weil ich es für beide wichtig finde... Was meinst du dazu, Hexe?
GIULIA: Meiner Meinung nach sind das zwei Sachen: Entweder du lebst die absolute Beziehung zu dir selbst oder du lebst die Beziehung mit der anderen... Vielleicht kannst du dich selbst sogar in der Beziehung mit der anderen einbringen?
SARA: Das sage ich doch, jede von uns hat zeitweilig eine extreme Beziehung mit sich selbst. Ich möchte, daß wir uns das gegenseitig und auch den anderen Frauen vermitteln ... Ich könnte mit meiner Kreativität alleine rauskommen, wenn ich mich entscheiden würde, diese Zeichnungen zu nehmen und zu versuchen, damit das und das Buch zu machen. Ich möchte aber etwas anderes machen, wo die Fähigkeiten von uns beiden, meine und ihre, zusammenfließen: Zeichnungen, Dias davon, Dias aus unserem Alltag, aus unserer politischen Arbeit, wer wir sind ... Geschriebenes von uns, unsere Streitereien, die Treffen mit den anderen Frauen ... der Markt, die Einkäufe, die zu bezahlenden Rechnungen ... ein bißchen von allem, unser Leben.
Rosetta: Lebt ihr in eurer Liebesbeziehung auch nach, ich weiß nicht, bestimmten Regeln, à la Treue, offene oder geschlossene Zweierbeziehung, Eifersucht ja oder nein?
SARA: Ich glaube nicht, daß es einen festen Regelkodex gibt, der sich auf alle Beziehungen anwenden läßt. Ich fühle, daß ich mit ihr eine Geschichte lebe, die in mir Dinge auslöst, die ich vorher noch nie erlebt hatte. Die Treue ... für mich ist es selbstverständlich, ihr treu zu sein, denn ich liebe sie. Deswegen lösen andere Frauen in der Hinsicht nichts bei mir aus, und es würde mir sehr viel ausmachen, wenn Giulia auf andere Frauen abfahren würde.
ALICE: Und was ist mit der Zärtlichkeit? Es gibt doch dieses Stereotyp: >Ach, Frauenbeziehungen sind einzigartig, zärtlich und sanft...<
SARA: Tja ... unsere Beziehung schwankt zwischen Momenten der größten Zärtlichkeit und Sanftheit und Momenten großer Aggressivität. Das kannte ich nicht von mir, so eine Aggressivität und solche Wut. Ich sage dir, ich kenne sehr viele unterschiedliche Frauen, von unterschiedlicher sozialer Herkunft und Abitur, mit den verschiedensten Erfahrungen. All das zeigt eben die Heftigkeit und Intensität unserer Gefühle ... Solange du eine Beziehung hast, die dich nicht weiter berührt, empfindest du weder wirkliche Zärtlichkeit noch Aggressionen ... Die Beziehung mit ihr löst in mir eine ganze Menge aus, das geht von Liebe bis hin zu Leidenschaft, Zärtlichkeit und Aggressivität. Wir haben alle unterschiedliche Erfahrungen hinter uns. In uns allen schlummern diese verschiedenen Möglichkeiten, sie gehören ganz natürlich zu uns. Ich finde sie sehr positiv, denn sie sind lebendig.
ALICE: Was meinst du zum Rollenverhalten?
SARA: Dieses Rollenverhalten ... Das hängt sehr von dem ab, wie wir gelebt haben. Manchmal merke ich, daß ich eine Rolle ausfülle ... aber das geht mir nicht nur mit ihr so, im Grunde merke ich, daß es eine Verhaltensweise von mir im Umgang mit der Gesellschaft ist, was sich dann aber verändert, je nachdem, auf wen ich mich beziehe. Wenn ich mit der und der Frau zusammen bin, ist mir vielleicht danach, eine mütterliche Rolle zu übernehmen. Wenn ich mit einer anderen zusammen bin ... bei der es mich mehr dazu drängt, etwas zu tun, was soll ich dazu sagen? Es gibt so viele und breitgefächerte Rollen, daß ich letztenendes nicht glaube, daß sie überhaupt existieren. Es hängt ganz davon ab, was wir fühlen und was wir gerade leben ... Ich frage mich, inwiefern und inwieweit ich mich heute als Produkt meiner Erfahrungen sehen kann, und wie sich das auf meine Vorstellungen ausgewirkt hat, und mit welchen Vorstellungen, die mir eingeflößt wurden, ich fertigwerden mußte und das noch muß. Ich frage mich, was für Vorstellungen brauche ich, und versuche dann, sie zu verwirklichen.
ALICE: Und hat es dich nicht verwirrt, plötzlich außerhalb von solchen Vorstellungen zu sein? Mir ist es z.B. passiert, daß ich, als ich anfing, Frauenbeziehungen zu haben, mich in nichts mehr wiedererkannte. So wie du sagst, hast du dann überhaupt keine Rolle mehr, du hast keine Identität mehr, du weißt nicht mehr, wer du bist. Ich habe z.B. sehr darunter gelitten, daß das Lesbischsein nicht als etwas Politisches verstanden wurde, also, du wußtest gar nicht, worauf du dich beziehen solltest.
GIULIA: Auf der anderen Seite ist das auch sehr gefährlich. Wie sie schon sagte, wir sind das Produkt von ganz vielen Dingen, nämlich von unseren ganzen Erfahrungen als Frauen und Lesben. Im Hinblick auf die Gesellschaft haben wir keinen eigenen Bezugsrahmen, du findest dich in nichts wieder. Wenn du keine Identität hast, wenn du aus der Bahn geworfen bist, kannst du wieder entdecken, was wir jenseits von Konditionierungen und gegen die tausendjährige Geschichte, die wir alle mit uns rumtragen, für Wertvorstellungen haben. Daß wir keine Identität haben, was daher kommt, daß wir jegliche konstruierte Identität ablehnen, wirft uns oft aus der Bahn. Wir wissen dann nicht mehr, wie wir uns mit uns selbst und der Umwelt umgehen sollen. Und vor allem in der Auseinandersetzung und Beziehung zu einer anderen Frau, was ja der reflektierende Spiegel von uns selbst ist, spüren wir das Bedürfnis nach einer klaren Identität als lesbischer Frau, keine Nachahmung des Mann-Frauschemas mit den entsprechenden Rollen und Wertvorstellungen. Das gilt nicht nur für die Sexualität, sondern für's ganze Leben. Oft ist das schwierig, du versuchst, Stückchen für Stückchen die Utopie in deinem Privatleben zu verwirklichen, und zwar gegen die Wertvorstellungen der ganzen Gesellschaft. Meiner Meinung nach ist das eine Arbeit, die jede von uns selbst machen müßte. Das würde vielleicht die Beziehungen unter uns Frauen verbessern helfen.
ALICE: Es ist klar, daß sich eine Frau im Umbruch von der Heterosexualität zum Lesbischsein umgehend anstrengen muß. Die Heterosexualität deckt dich mit Rollen und mit Verhaltensmustern ein, die du nachahmen und denen du dich anpassen sollst. Du hast dann gar nicht mehr das drängende Bedürfnis herauszufinden, wer du im Grunde eigentlich bist. Wie viele Frauen kaufen Zeitschriften wie amica oder Grazia hauptsächlich wegen der Frauenbilder, die sie vermitteln. Daß die Frauen unter Sklavenbedingungen leben und diese Stereotypen, denen sie nacheifern, brauchen, heißt eine ganze Menge, weil es keine weibliche Identität in einer männlichen Welt gibt... Als ich mir meiner Homosexualität bewußt wurde, habe ich mich in nichts mehr wiedergefunden. Ich hatte keine Verhaltensmuster, keine Rollen mehr, in denen ich mich wiedererkennen konnte... Ich hatte keine Masken mehr, ich mußte ich selbst sein, mich suchen, mich kennenlernen... Ich hatte keine Probleme mehr mit diesen Rollen, weil ich es gelernt habe, daß eine Rolle nichts nützt, sie ist bloß eine Maske.
GIULIA: Ich finde, auch wenn es Annäherungsbestrebungen zwischen lesbischen Frauen gibt ... ich weiß nicht, ich sehe das Ganze als etwas total Zersplittertes an, also ... verstreute Wesen auf diesem Erdplaneten.
ALICE: Ja, ja, aber ich möchte herausfinden, was für Verbrechen sie mir angetan haben, was ich bezahlt habe, in welchem historischen Zusammenhang ich stehe...
GIULIA: Vielleicht ist das heute anders, wahrscheinlich gibt es ein größeres politisches Bewußtsein über das, was es heißt, lesbisch zu sein, eine größere Annäherung als früher. Ich bestreite es nicht, daß die Hexen verfolgt wurden, aber gab es jemals Gruppen, die ihr Lesbischsein öffentlich machten? Es ist klar, das gab's. Meiner Meinung nach betrafen die Repressalien eher nur einzeln Lebende. Ich glaube, wir müssen noch wirklich herausarbeiten, was es für das System bedeutet, daß sich lesbische Frauen in Gruppen oder als Bewegung öffentlich als Lesben bezeichnen. Und daß sie das nicht nur öffentlich aussprechen, sondern es auch in der Öffentlichkeit leben.
ALICE: Nein, warte mal ... lies mal über die Massenmorde an den Beginen, z.B. lies mal über bestimmte historische Ereignisse, das waren keine Einzelschicksale. Ich bin mir dessen nicht ganz sicher, ich würde das gern noch weiter herausfinden. Bestimmte Sachen sehe ich gleich als Repressionen an lesbischen Frauen, so wie die Hexenverfolgungen. Natürlich baden wir das dann individuell aus, wir bezahlen das alle individuell, aber *es gibt Dinge, die tausend, zweitausend lesbische Frauen gleichzeitig betreffen...
Rosetta: Das Patriarchat hat die Geschichte dieser Frauen ausgelöscht, indem es das Prinzip der Vereinzelung etablierte. Daher kommt meiner Meinung nach die Vorstellung von der >Handvoll verstreuter Wesen< auf dieser Welt... Trotzdem gibt es seit jeher viele Reiselesben, sie alle wollen Neues entdecken und lösen sich von den Rollen und den Orten ihrer Kindheit und von ihren Erfahrungen, sie kommen in die verschiedenen Länder, treffen Frauen aus anderen Gegenden... Vielleicht drängt es sie auch, den uralten Erinnerungen an Strafen, Verfolgungen, Ermordungen zu entgehen.
ALICE: Ich spreche nicht von der Gegenwart oder dem letzten Jahrhundert, aber etwas hat mich bestürzt, als ich anfing, mit Frauen zusammen zu sein, nämlich zu sehen, wie viele lesbische Frauen genau das verinnerlicht haben, was die Gesellschaft will, während die heterosexuellen Frauen sich meiner Meinung nach zumindest bemühen, bestimmte Sachen auszutragen, wenigstens zu versuchen, sich darüber auseinanderzusetzen... Z.B. das Stereotyp, daß die Lesbe etwas sonderbar ist ... ich habe sehr viele Frauen getroffen, die, wie ich fand, überhaupt nicht sonderbar sind, sich aber mit diesem Sonderbarsein identifizieren. Sie machen alles, um originell zu sein, sie strengen sich dabei unglaublich an. Du bist so extravagant und so anders als alle, da mußt du einfach lesbisch sein ... ein exotisches Wesen, anders als alle anderen Frauen. Dann noch etwas: die Lesben, die Schuldgefühle verinnerlicht haben, bestrafen sich unaufhörlich, sie empfinden sich als degeneriert, deswegen, ich weiß nicht, die Alkoholikerinnen, schreckliche Sachen.
SARA: Wenn du dann in Simone de Beauvoirs Das andere Geschlecht liest, was sie über Lesben schreibt ... sie identifiziert sie mit >Wer waren sie? Ach diese seltsamen Frauen, ... natürlich so wie Georges Sand<, stehen mir die Haare zu Berge.
ALICE: Ja, es gehört eine unglaubliche Kraft dazu, wirklich du selbst zu sein.
GIULIA: Oft ist es schwierig, du selbst zu sein, wenn du dafür mit dem An-den-Rand-gedrückt-werden bezahlen mußt. Du fühlst dich dabei nicht akzeptiert, das fängt schon mit der eigenen Familie an. Dir eine Reihe von Dingen bewußt zu machen und zu sehen, daß es nicht dein Problem ist, dich nicht akzeptiert zu fühlen, sondern daß du selber bestimmte Gesetze der Gesellschaft nicht akzeptierst, das heißt schon, viel Kraft zu haben. wenn du nicht mit anderen dir ähnlichen lesbischen Frauen zusammen bist, fühlst du dich schwach, isoliert und allein. Deswegen emigrieren die meisten von uns in die großen Städte. Aber auch in den großen Städten gibt es nur wenige Plätze für uns, an denen wir uns wirklich frei fühlen können, wir selbst sein können, uns kennenlernen und weiterkommen können. Deswegen, finde ich, müssen wir uns immer mehr unsere eigenen Plätze schaffen.
Rosetta: In einem Buch von Charlotte Wolff las ich, daß es das Besondere an Lesben sei, daß sie sich sofort gegenseitig erkennen, trotz etwaiger Verkleidungen auf traditionell weiblich. Was meinst du dazu?
GIULIA: Ja, ich kann es einer Frau aus hundert Kilometer Entfernung ansehen, wenn sie ihr Lesbischsein tatsächlich lebt, da reicht mir schon eine Geste.
Rosetta: Kannst du es auch sofort bei einer Frau sehen, die ihr Lesbischsein mit einem Doppelleben verdeckt?
GIULIA: Wenn sie es wirklich lebt, dann ja. Wenn dir dein Lesbischsein bewußt ist, betrifft das nicht nur die Sexualität. Du nimmst das Leben anders wahr, vielleicht genau entgegengesetzt von jemand, der nach der Norm lebt. Deine Beziehung zu deinem eigenen Körper, zu den anderen und zum Leben überhaupt ist einfach anders. Gerade wenn du eine eigene Identität suchst, bekommst du ein Gefühl von einer unvorhersehbaren Dynamik. Daher kannst du durch eine Geste, eine bestimmte Art, dich zu bewegen und dich zu verhalten, zu einer anderen die Verbindungslinie wahrnehmen. Ich neige sehr dazu. Vor allem wenn ich in einer fremden Stadt oder in einem anderen Land bin, frage ich mich immer, wenn ich eine Frau ansehe, ob sie wohl lesbisch ist, wenn ja, bin ich zufrieden. Mir ist dabei schon klar, auch wenn es Lesben sind, verwirklichen sie sich nicht alle und sehen die Gesellschaft auch nicht von der gleichen Warte aus. Ich denke an die vielen Lesben, die diesem System weiterhin auf unterschiedliche Art und Weise Energien gaben. Ich meine, daß die Unterdrückung von seiten des Staates, was Lesben angeht, zwar manchmal offensichtlich ist, meist aber eher subtil und versteckt läuft. Aus Bequemlichkeit oder aus Angst rühren wir bestimmte Sachen bei uns lieber nicht an. Wir vermeiden es zu sagen, >Ich bin gezwungen, mich auf der Arbeit, in der Familie usw. zu verstecken, ich glaube nicht, daß ich mich als Lesbe ganz verwirklichen kann', als ob wir dadurch diesen Zustand vertreiben könnten.
SARA: Es ist aber schon komisch: Heute war ich allein in der Bar an der Santa Maria, und irgendwann sah ich weit entfernt... erst kam C. vorbei, dann kamen I. und I. ... Ich stand dort, vor mir ein Bier, und ich überlegte mir, >Sind das lesbische Frauen? Ja, denn ich kenne sie persönlich, ich kenne ihre Geschichte.< Wenn sie einfach so vorbeigekommen wären, ohne daß ich sie gekannt hätte, wie hätte ich sie als lesbische Frauen und nicht als Heterofrauen erkennen können? Ich glaube, es wäre mir nicht möglich gewesen, sie als Lesben zu erkennen.
Rosetta: Jetzt finde ich, müssen wir klarstellen, wer wie du, wie ich nach heterosexuellen Erfahrungen zum Lesbischsein gekommen ist und wer es dagegen sehr früh, oft im totalen Alleinsein gemerkt hat und sich dabei nur auf die eigene Sensibilität verlassen konnte, um andere lesbische Frauen zu finden. Hierin unterscheidest du dich von der Frau, die du liebst, und die sich fast schon als Kind darüber im klaren war, lesbisch zu sein... Giulia, wie hat sich das auf deine Entwicklung ausgewirkt? Wie hast du das erfahren?
GIULIA: Ganz klar hat mich das stark geprägt, daß ich es sozusagen immer schon wußte, und daß ich mich anders fühlte, eben komisch, ein Mädchen, das in seinem Verhalten, seinen Spielen, seinem Anziehen nicht wie die anderen Mädchen ist. Vor allem war ich nicht so, wie es sich meine Mutter von mir gewünscht hätte. Natürlich habe ich ein feines Gefühl dafür entwickelt, um mich orientieren zu können, wo ich die anderen wie mich finden konnte, vor allem aber um mir mein eigenes Lesbischsein bewußt zu machen. Dadurch konnte ich sehr früh schon eine größere Verbundenheit zu mir selbst wahrnehmen < und somit wissen, wer ich war und was ich wollte. Es ist klar, daß mich all das in sehr viele Konflikte gestürzt hat und es auch noch tut. Die Norm ist es, sich selbst im Grunde nicht frei entfalten zu können und sich das nicht einmal zu wünschen. Man soll sich das wünschen, was sich alle wünschen, als ob alle das gleiche wollten, als ob es nicht von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist. Deshalb mußt du alles immer mit der Außenwelt abstimmen. Ich bemühe mich, das auf ein Minimum zu reduzieren. Dafür bezahlst du aber einen hohen Preis.
ALICE: Wie war es mit dir und deiner, Mutter?
GIULIA: Unsere Beziehung war immer spannungsgeladen, aber sehr liebevoll. Einer der größten Konfliktpunkte mit meiner Mutter war die Kleidung. Daß ich kurze Haare haben wollte, daß ich immer Jeans tragen wollte, daß ich die wildesten Spiele spielen wollte, war immer Zündstoff für Streitereien. Es ist klar, daß ich mich dadurch anders fühlte, anders als das, was sie sich für mich wünschte, und anders als alle anderen Mädchen. Und es ist auch klar, daß sie nur das widerspiegelte, was die Gesellschaft in mir sah. Meine Mutter weiß heute noch nicht, daß ich lesbisch bin. Das Wort würde bei ihr einen Herzinfarkt verursachen, das habe ich ihr immer erspart, ich habe mich immer versteckt. Für sie bin ich ein seltsames Wesen, das nicht zu ihrer Wirklichkeit gehört. Sie hat alle Frauen akzeptiert, mit denen ich zusammen war, ohne jedoch sehen zu wollen, daß sie nicht einfach Freundinnen von mir waren. Ich glaube, daß sie mich einsam wähnt, einsam wegen meiner Art, weil ich keine Familie mit Kindern gründen will. Ich spüre, daß sie sich längst irgendwie damit abgefunden hat, und zwar, daß sie das akzeptiert, was sie nicht versteht, und daß sie weiß, daß sie nicht danach fragen kann. Wir haben ein sehr verzwicktes Verhältnis wie jede von uns mit der eigenen Mutter oder der eigenen Tochter. Sie ist die einzige Person in meinem Leben, die es nicht weiß und sich dagegen sträubt, es zu erfahren. Ich brauche es inzwischen auch nicht mehr, daß sie es weiß. Damals vielleicht ... Eine klare Zustimmung von ihr oder auch nicht hätte in jedem Fall einiges für mich verändert, bestimmt wäre ich in meinen Liebesbeziehungen zu anderen Frauen sicherer oder weniger sicher geworden. Jedenfalls ist ein Gefühl vom Anderssein in mir entstanden, und ich brauchte eine Weile, bis ich das loswurde. Mich anders zu fühlen, bedeutete auch, mich von der Realität, vor allem von anderen Frauen, getrennt zu fühlen. Am Wichtigsten ist heute, daß ich mich nicht mehr anders und einzigartig fühle. Das war von dem Moment an, als ich viele andere Andersartige wie mich kennenlernte.
SARA: Als ich sie das erste Mal sah, fragte ich, >Wer ist die denn da?< Als ich sie das erste Mal im Governo Vecchio ganz in weiß gekleidet mit der dunklen Brille und eine Zeitung verkaufend sah, hielt ich sie für ein ziemlich undefinierbares Wesen.
GIULIA: Warum?
SARA: Äußerlich, in der Art, dich zu bewegen, dich zu kleiden, ja, dich auch zu verkleiden, dich hinter deiner Brille und hinter deinem Verhalten zu verstecken, hast du alles getan, um alles Weibliche in dir zu verstecken, um nicht als weiblich, als Heterofrau, auf die sich der Mann beziehen kann, gesehen und eingestuft zu werden.
ALICE: Findest du Giulia z.B. weiblich? Ich bin mir völlig im klaren darüber, daß ich eine Frau suche ...
SARA: Was mich an Giulia anzog, war diese Ambivalenz bei ihr, und daß ich Stückchen für Stückchen ihre Weiblichkeit entdecken konnte, die ganz anders als die Weiblichkeit der Blümchenrockfrauen ist. Die von der Heterogesellschaft festgeschriebene Weiblichkeit zieht mich überhaupt nicht an, während mich das anzieht, was sich mir als noch zu entdeckende ... verborgene Weiblichkeit darstellt ... Die ist nicht so eklatant wie die von und für die Männer.
Rosetta: Dich zieht also das an, was sonst als zweideutig gilt, also das Gegenteil vom Rollenverhalten ...
SARA: Ich weiß, ich werde von Frauen angezogen, bei denen es total sichtbar ist, daß sie nur lesbisch sein können, und deren Lesbischsein kaum zu verstecken ist. Bei einer Frau, bei der ich das Gefühl habe, mich anstrengen zu müssen, um ihr ihr Lesbischsein aus der Nase herauszuziehen, merke ich, daß ich da große Schwierigkeiten hätte, das hat auch mit dem Äußeren zu tun. Ich finde, daß wir, die wir zu unserem Lesbischsein stehen, alle auch eine äußerliche Veränderung durchgemacht haben. Heute weiß ich, daß ich eine bestimmte Art Rock, Stöckelschuhe usw. nicht mehr tragen könnte, sie passen nicht zu mir, wie sie auch schon früher nicht zu mir gepaßt haben. Nur hatte ich dieses Bild im Kopf, ich zwang mich, mich dem anzupassen, obwohl ich spürte, wie schrecklich unbequem und nicht zu mir gehörend das war. Aber machte ich mit, um mich nicht anders als die anderen Frauen zu fühlen und auch weil ich kein anderes Frauenbild hatten. Wo war es? Wo sollte ich es herhaben? ... Ich denke, mit dem Coming Out kommt gleichzeitig das Coming Out einer neuen Weiblichkeit. Die kann ganz unterschiedlich sein kann und auf vielen Ebenen rauskommen. Das kann das Vergnügen sein, ein bestimmtes Material auf der Haut zu fühlen, das Vergnügen an einer Farbe, an einem Haarschnitt, an einer bestimmten Art von Schuhen ... All das liegt außerhalb der Normen, das ist der kleine Freiraum, den wir uns leisten können ... das Gefühl ... des Vergnügens an uns selbst, die andere anders als dich selbst und gleichzeitig genauso wie dich selbst zu sehen. Früher hattest du statt dessen ein Männerbild im Kopf, das dir sicherlich nicht entsprach ... Entweder du machst dir ein eigenes Bild, das sich auf die Normen bezieht ... oder du schneidest dir alles ab, was weiblich ist. Wenn die Gesellschaft mich so will, dann schneide ich mir eben alles, was als weiblich gilt, ab. Aus dem Grund ziehe ich mich noch wieder ganz anders an. Heute merke ich, daß ich schon mehr meine eigentliche Weiblichkeit gefunden habe.
ALICE: Ich kam mir auch ständig wie verkleidet vor, ich habe mich nur wenig nach den geltenden Normen angezogen, maximal sechs oder sieben Monate in meinem ganzen Leben ... Ich meinte, ich müßte mich ausstaffieren, was weiß ich, ich wandte viel Zeit auf, mich zu schminken. Dadurch verlierst du jeden Funken Spontanität. Du kannst vor den anderen nicht mehr du selbst sein ... ich zeigte mich nie so, wie ich wirklich war, ich entsprach immer der Norm...
SARA: Ich glaube, keine Frau fühlt sich wirklich wohl dabei, wenn sie sich Nylonstrümpfe und Stöckelschuhe anzieht und dazu noch so einen Rock und ein Hütchen. Ich erinnere mich allerdings noch daran, daß ich mich manchmal bewußt als Dame verkleidete.
GIULIA: Es geht mir nicht darum, mich damenhaft oder nach der neuesten Herrenmode zu verkleiden. Natürlich sind mir Hosen lieber, vielleicht bin ich auch mehr an sie gewöhnt als an Röcke, und zwar nicht wegen der Bedeutung, die die Gesellschaft ihnen verleiht, sondern wegen dem, was sie für mich bedeuten: Bestätigung meiner selbst und Befreiung von der Frauenrolle, die man mir aufzwängen will. Inzwischen verspüre ich jedoch das Bedürfnis herauszufinden, wie meine persönliche Verkleidung aussehen könnte. Wir alle akzeptieren bestimmte Normen in der Art, wie wir uns anziehen, aber ich merke, diese Muster, die von außen kommen, sind nicht meine freie Entscheidung. Die Art und Weise, wie du dich anziehst oder wie deine Haare geschnitten sind, hat eine Bedeutung. Ich möchte mein erotisches Verhältnis zu meinem Körper klären und herausbekommen, wie ich mich wirklich anziehen will, ohne mich dabei an bestimmte Normen zu halten. Vielleicht nehme ich dann ein Seidentuch oder eins von meinen raffinierten Kappa-Kleidern oder was weiß ich für ein Kleidungsstück, aber ich möchte mir dabei näherkommen. Jedenfalls habe ich vor Jahren schon mit den Haaren angefangen. Ich habe sie rebellisch gelassen, sie wachsen, wie sie wollen, sie bleiben, wie sie wollen. Ich schneide sie nicht, ich färbe sie nicht, ich glätte sie nicht, ich lasse sie einfach so, wie sie wachsen, und sie gefallen mir so.
SARA: Manchmal habe ich ein Bild von dir vor Augen in einem venezianischen Kleid aus dem 18. Jahrhundert... Wahnsinnig, bei grünlichem Mondlicht und mit einem schwarzen Gewand... Ich weiß nicht, woher ich dieses Bild habe ... vielleicht, weil in deinem Gesicht etwas ist, was mich an so eine verrückte Aristokratin aus dem 18. Jahrhundert erinnert... Und dann nach Paris auf die Barrikaden ... die französische Revolution ... mit dem gleichen Kleid, das immer zerlumpter wird ... schwarz, 18. Jahrhundert und aus Spitzen ... Und dann du, im Grunde gibst du ein ganz klares Bild von dir in deinen Kappas-Zeichnungen ab.
Rosetta: Meiner Meinung nach beschreibst du da Bilder von lesbischen Frauen.
SARA: Das stimmt, ich bin sicher, das ist ein Bild einer lesbischen Frau, einer lesbischen Frau aus dem 18. Jahrhundert.
Rosetta: Ich erinnere mich, von klein auf verkleidete ich mich als Bajadere, als Sängerin. Ich benutzte das, was da war ... Uniformen von meinem Vater, der auch Galauniformen besaß, die riesige silberne Schulterklappen hatten, die ich heimlich abmachte und sie als Schalen für die Brust benutzte. Die blaue Schärpe nahm ich als Slip, das Heft des Floretts war das Mikrofon ... Ich machte das natürlich heimlich, weil es etwas Erotisches war ... machte ich das mit einem Schuldgefühl ... als ob ich masturbiert hätte... Danach brach meine Leidenschaft fürs Kartenspielen aus, ich spielte den Glücksspieler, aber allein: Ich richtete mich unter diesen hohen Militärfeldbetten ein. Ich baute ein Zelt, ein Militärzelt, unter dem Bett auf, und mit einer Kerze und einem Kartenspiel forderte ich mich heraus. Wenn ich mich nicht täusche, dauerte das ein Jahr. Danach sah ich einen Film mit Wüstenräubern ... Räubergeschichten habe ich dann sehr lange gespielt. Das habe ich mit anderen Kindern zusammen gespielt, da der Räuberhauptmann selbstverständlich eine Bande haben mußte, allein geht das nicht, und deswegen habe ich eine Bande organisiert, alles Jungens. Ich schrieb auch ein großes Manifest, das Räubermanifest, in dem ich allen versicherte, daß ich die Organisation der Kämpfe, der Verteidigung, der Angriffe usw. übernahm. Ich übernahm fast die ganze Verantwortung und sicherte ihnen die weitgehendste Freiheit zu, aber unter einer unwiderruflichen Voraussetzung: sie mußten mich lieben. Das war das einzige Räubergesetz ... Ich hatte auch einen Kriegsnamen, von dem dann meine ganze Familie erfuhr, da ich überall Zettelchen hinterließ, und eine Wahnsinnsaufregung entstand ...
ALICE: Ich dachte, ich wäre ein Ritter ... lange Zeit hatte ich den Trip, daß ich ein Ritter wäre. Ich möchte euch beide auf jeden Fall noch etwas fragen, weil ich den Unterschied eurer beiden Geschichten interessant finde. Was denkt ihr, was kann in diesem Augenblick lesbischen Frauen nützen?
SARA: Ich finde ... nach draußen zu gehen so viele wie möglich zeigen, wie eine lesbische Frau sein kann, um so das falsche Bild zu beseitigen, das sie uns lesbischen Frauen vorgesetzt haben ... und uns auseinanderzusetzen, uns zu finden.
GIULIA: Sicherlich geht es um's Nachdraußengehen. Das bedeutet, uns und anderen Frauen mehr Identifikationsmöglichkeiten von lesbischen Frauen zu geben, aber nicht nur äußerlich gesehen, sondern vor allem geht es um Lebensweisen, um Entscheidungen, und wie es trotz allem möglich ist, glücklich zu sein.