Einleitung

Im Anfang war die Weisheit... jene weibliche Kraft, die alles Leben hervorbrachte und die bis heute unsere Welt im Innersten zusammenhält. In allen Religionen und Kulturen wurde sie als die Mutter allen Lebens verehrt, die durch ihr Walten auf allen Ebenen kosmischen und irdischen Seins für Ausgleich und Harmonie sorgte. Im Symbol des Kreises veranschaulicht sie das Allumfassende sowie die alles hervorbringende Energie, die als Tao und Ruah, als Maat und Metis, als Chochma und Sophia erfahren wurde - um nur einige ihrer vielen Namen zu nennen. Als Mandala erscheint sie den Menschen bis heute in Träumen und Visionen als Bild innerseelischer Ordnung. Sie ist Alpha und Omega (Symbole einer Gebärenden!), Anfang und Ende.
Doch will sie als solche auch erkannt und im Handeln des Menschen verwirklicht werden. Das aber geschieht seit Jahrtausenden immer weniger.
Wie die Griechen berichten, wurde die Weisheit (Metis) einst von Zeus verschlungen. Mit anderen Worten: Die Zeuspriester machten sich zu ihren Stellvertretern auf Erden und setzten ihren Gott an den Anfang. Ähnliches geschah weltweit.
Nachdem die Priorität des Weiblichen erfolgreich geleugnet werden konnte, da sie ins Unbewußte zurückgedrängt worden war, machten männliche Götter die ihnen vorausgehenden weiblichen Gottheiten zu ihren Töchtern - wenn sie sie nicht ganz vernichteten, wie es von der babylonischen Tiamat berichtet wird, die durch ihren Enkelsohn Marduk ums Leben kommt. Im Zuge männlicher Machtergreifung wird die ägyptische Maat zur Tochter Amun-Res; aus der von Zeus verschlungenen Metis entsteht Athene, die stolze Tochter des Zeus, die von keiner Mutter mehr weiß, und in der jüdischen Überlieferung wird die alte Weisheitsgöttin zur Tochter und Gespielin Jahwes, im Christentum wird schließlich Sophia zum Logos.
Auf diese Weise wird dem freien Walten göttlicher Weisheit ein Ende bereitet. Statt dessen wird sie vor den zweifelhaften Karren patriarchaler Notwendigkeit gespannt; denn fortan rühmen sich Götter ihrer. Die weibliche Weisheitstradition wurde zerstückelt, entfremdet und verdrängt. Nur im Untergrund konnte sie gehütet und weiterentwickelt werden. Die Toren dieser Welt haben sich der Stimme von »Frau Weisheit« verschlossen. Wie erfolgreich ihre Vernichtungsaktionen gegen sie waren, zeigt der Zustand dieser Welt, deren Ungleichgewicht nunmehr durch das Gleichgewicht des Schreckens ersetzt wird.
Dennoch ist es Theologen auch heute noch möglich, von einer Heilsgeschichte zu reden, in der sie meinen, das Walten jenes sekundären männlichen Prinzips zu erkennen, dem ihre Vorfahren einst zur Herrschaft verhalfen. Andererseits wird aber auch die Zahl der Frauen (und Männer!) immer größer, deren dumpfes Unbehagen sich in immer klarere Erkenntnis verwandelt und die das Unrecht männlicher Machtergreifung nicht länger mitzutragen gewillt sind. Sie machen sich auf den Weg; sie lassen das Denkgebäude der Väter hinter sich und folgen der Stimme der Weisheit, die ihnen eine neue Welt eröffnet und ihre jahrelang gehegten Zweifel an männlicher Überlegenheit als berechtigt bestätigt.
Mit dem vorliegenden Buch, das aus verschiedenen Vorträgen hervorgegangen ist, versuche ich, den Weg dieses Aufbruchs nachzuzeichnen, zu begleiten oder aber auch vorzubereiten - je nachdem, wo sich die Leserin oder der Leser gerade befinden. In jedem für sich abgeschlossenen Vortrag wird dieser Aufbruch erneut vollzogen und begründet. Auf diese Weise möchte ich durchschaubar machen, woher unser (nicht nur) religiöses Unbehagen kommt und wie wir es überwinden können, ohne uns unserer Tradition vollends entledigen zu müssen. Gleichzeitig möchte ich all jenen theologische Argumentationshilfen bieten, die mich auf Tagungen und in Briefen immer wieder darum gebeten haben - geht es ihnen doch darum, ihre Erkenntnis auch formulieren und mit anderen teilen zu können.
So ist dieses Buch auch als eine Einführung in die feministische Theologie zu verstehen, als eine Beschreibung ihres Ursprungs und ihrer Wirkung, ihrer Fragestellungen und Arbeitsweisen, ihrer Erkenntnisse und ihrer Antworten, die im letzten Vortrag noch einmal zusammengefaßt werden. Zugleich geht es aber auch darum, sich den Vorwürfen zu stellen, die immer wieder gegen sie erhoben werden.