Vorbemerkungen
Da die feministische Theologie sehr jung ist und nicht vergleichbar mit den etablierten Geisteswissenschaften, ist es relativ schwierig, sie einigermaßen »objektiv« darzustellen, zumal Objektivität im Feminismus eine besonders anrüchige Angelegenheit ist. In der feministischen Theologie ist vieles in Bewegung, was ihrem Anliegen, eine Prozeßtheologie zu sein, entspricht. Beschreibungen müssen sich daher mit dem Charakter des Vorläufigen begnügen. Auch erhebe ich nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr geht es mir um die Darlegung meines ganz persönlichen Verständnisses von feministischer Theologie, wobei ich mich auf die vier im Titel benannten Schwerpunkte beschränken werde.
Vorweg möchte ich aber einen mir sehr wichtigen Unterschied aufzeigen zwischen meinem Ansatz und jenem traditioneller Theologinnen und Theologen, so daß das Anliegen beider Richtungen nicht mehr vergleichbar ist. Wird dieser Unterschied nicht berücksichtigt, so sind Mißverständnisse unweigerlich vorprogrammiert.
In der traditionellen Theologie und Verkündigung, deren Grenze durchaus fließend ist, geht es überwiegend um die Beantwortung der Fragen: Was sagt Gott wann, zu wem und weshalb? In einem zweiten Schritt geht es dann um die Aktualisierung: Was kann das für den Menschen heute bedeuten? Dabei wird in ungebrochener Naivität vom »Handeln Gottes« am Menschen oder an »seinem Volk« gesprochen, als sei dies wirklich an biblischen Texten abzulesen. In meinem Ansatz geht es dagegen primär um das Aufdecken bestimmter Absichten und Denkstrukturen, die sich in den »Gott« zugesprochenen Aussagen widerspiegeln. Wichtig ist mir dabei die Frage: Wer vertritt welches Gottesbild mit welcher Absicht und in welchem Kontext? Daraus ergibt sich dann ganz zwangsläufig die Frage nach den Auswirkungen des jeweiligen Gottesbildes auf Frauen und Männer, Mädchen und Knaben. Wird es ihren körperlich-seelisch-geistigen Bedürfnissen gerecht? Inwieweit entspricht es noch den ethischen Anforderungen unserer Zeit?
Wie geht es zum Beispiel mit den Bedürfnissen andersdenkender Menschen um? Wie mit der Natur? Und schließlich: Ist es wandlungsfähig im Hinblick auf diese Bedürfnisse? Dabei ist es ganz selbstverständlich, daß die Erkenntnisse anderer Wissenschaften so weit wie möglich berücksichtigt werden, denn sie wissen weit mehr über diese Bedürfnisse auszusagen als die Theologie. Nach den Forschungsergebnissen der historischkritischen Exegese ist dies der für mich sinnvollste Umgang mit biblischen Texten im Sinne eines aufgeklärten Bibelverständnisses.
Damit ist nicht gemeint, daß alle biblischen Aussagen von einer generellen Unverbindlichkeit sind. Doch richtet sich ihre Akzeptanz, ihr Wert danach, inwieweit sie geeignet sind, dem Menschen zu helfen, sich weiterzuentwickeln, zu lieben und zu vertrauen. Die Tatsache, daß ein Text in der Bibel steht, macht ihn noch lange nicht »heilig«, also geeignet, dem Menschen das Heil zu bringen, ihm bei seiner Vervollkommnung zu helfen. Dazu eignen sich nach meiner Auffassung jene Texte am besten, die uns die jesuanische Ethik und Gotteslehre vermitteln, die bis heute noch nichts von ihrer Aktualität und Lebensfreundlichkeit eingebüßt haben.
Damit ist aber wohl auch der kleinste gemeinsame Nenner gefunden, der jene feministischen Theologinnen verbindet, um deren Anliegen es nachfolgend gehen soll. Trotz unterschiedlicher Wege zeigt sich hier neben dem Frausein eine gemeinsame Basis, auf der auch Meinungsverschiedenheiten ausgetragen werden können.
Die Frage nach dem Ursprung
Wenn gemeinhin behauptet wird, die feministische Theologie sei aus der Frauenbewegung hervorgegangen, so stimmt das nur sehr bedingt. Vielmehr beweist es unsere eigene Ungeschichtlichkeit, denn immer wieder neigen wir dazu, die Geschichte unseres Geschlechts aus den Augen zu verlieren, sie nicht so minutiös festzuhalten, wie dies Männer bis heute tun. Vielleicht ist es uns auch einfach zu dumm, die Großtaten
unseres weiblichen Geschlechts dazu zu benutzen, um die vermeintliche männliche Großartigkeit zu relativieren. Ein solcher Hang zur Ungeschichtlichkeit wirkt sich aber recht nachteilig auf unser weibliches Realitäts- und Selbstverständnis aus. Es erscheint mir wichtig, uns immer wieder zu vergegenwärtigen, daß auch unser Denken und Fühlen, unsere Forderungen und Bedürfnisse, unser Welt- und Seinsverständnis eine Tradition haben, eben eine weibliche Geschichte, zu deren Verdrängung wir nicht auch noch selbst beitragen sollten.
Ich bin immer wieder darüber erstaunt, wenn ich Frauentexte vergangener Jahrhunderte anschaue, wie wenig sich dort die Klarheit der Erkenntnis patriarchaler Übel von denen heutiger Frauen unterscheidet; wie sehr Frauen auch früher schon den Herren Theologen zu Leibe gerückt sind mit ihren berechtigten Vorwürfen. Ich denke dabei zum Beispiel an Frauen des vorigen Jahrhunderts, wie Hedwig Dohm, die recht scharfsinnig beobachtet hat, »Was die Pastoren von den Frauen denken«,[1] oder aber an Elisabeth Malo, die »Eine Anfrage an die
Herren Theologen Deutschlands aus den Kreisen christlich gebildeter Frauen« richtete.[2] Noch wesentlich weiter gingen allerdings einige Frauen in Amerika, die auch heute noch nichts an Bedeutung verloren haben. Es handelt sich um Matilda Joslyn Gage und Elizabeth Cady Stanton. Beide Frauen waren tief religiös, und daher bedrückte sie die Ungerechtigkeit, die sie im Namen Gottes an Frauen und als Frauen erlebten. Jahrzehntelang kämpften sie gegen die Doppelmoral, die in Theologie und Kirche zu allen Zeiten im Christentum Blüten trieb.
In einer recht scharfsinnigen Analyse stellte Matilda Joslyn Gage [3] bereits in der Mitte des vorigen Jahrhunderts fest: »Das Fundament der Frauenunterdrückung ist die Kirche, und die Grundlage der Kirche ist die Frauenunterdrückung.« Ihr hauptsächlicher Zorn galt Paulus, dessen Glaube und Politik die frühe Kirche geprägt hat, dessen Schriften den christlichen Glauben korrumpierten und aus der Kirche eine männliche Theokratie gemacht haben. Gage greift bereits das Bild des männlichen Schöpfergottes an, durch das das Göttliche der
schöpferischen Kraft seines weiblichen Prinzips beraubt worden sei. Auf dem Internationalen Konzil der Frauen 1888 tat Gage daher einen gewagten Schritt. Sie eröffnete die Sitzung mit einem Gebet an eine weibliche Gottheit, das Isabella Beecher Hocker verfaßt hatte. Damit aber löste sie einen Schock aus unter den anwesenden Frauen. Später verlieh Gage ihrer Enttäuschung und ihrem Entsetzen darüber Ausdruck, daß sie bei den Frauen auf Schwierigkeiten gestoßen war, da es diesen an Fortschrittlichkeit in ihren theologischen Erkenntnissen mangelte, so daß sie noch nicht in der Lage waren, die heilige Mütterlichkeit in einem Eröffnungsgebet anzuerkennen.
Erst im Alter von 67 Jahren entschloß sie sich 1893 zur Veröffentlichung ihres Werkes »Woman, Church & State« (Frau, Kirche und Staat), in dem sie das männliche Recht der Herrschaft über die Frau negiert und dem Mann das Verständnis ihrer feineren Seelenqualität sowie ihres hohen Maßes an intuitiver Denkfähigkeit abspricht. An mehreren Stellen verweist sie auf die weibliche Überlegenheit. Den Historikern warf sie vor, Frauengeschichte nie als ganze dargestellt und damit ebenso versäumt zu haben, auf die Rolle der Kirche in ihr hinzuweisen, von der Gage schreibt: »Das ungeheuerlichste System organisierten Raubes, das es je gab, ist in der Kirche zu sehen und in ihrem Verhalten gegenüber der Frau; ein räuberisches System, das der Frau nicht nur den Selbstrespekt geraubt hat, sondern auch ihre Menschenrechte, die Früchte ihres eigenen Fleißes, ihre Bildungschancen, die Ausübung ihrer eigenen Urteilskraft, ihres eigenen Willens und Gewissens.« Solche mutigen Worte verbinden Gage mit Feministinnen heute und lassen vergessen, daß sie ein ganzes Jahrhundert von unserer Zeit trennt.
Die zweite Frau ist die mit Gage befreundete Elizabeth Cady Stanton, die mit Gage ihre hohe Intelligenz und ihre tiefe Religiosität teilte. Cady Stanton legte Wert auf eine klare Unterscheidung zwischen Religion und Theologie. Für sie war Religion die Annahme einer heiligen Ordnung, die auf Vernunft und Gerechtigkeit basiert. Sie sah Religion als das Verhältnis von Menschen zu einer Gottheit, die Güte und Gerechtigkeit
symbolisiert. Theologie hingegen definierte sie als eine institutionalisierte Tätigkeit, auf die Männer ein Monopol beanspruchen, als männliches Predigen und Schreiben, das letztendlich bewirkte, daß Männer sich fast auf einer Ebene mit Gott darstellten. Diese unkontrollierte Tätigkeit der Männer sah Cady Stanton nicht nur als unvernünftig, sondern auch als blasphemisch an. Genau wie Gage protestierte auch sie bereits in frühen Jahren gegen die ungerechte Behandlung, die Frauen widerfuhr aufgrund des doppelten Maßes, mit dem sie gemessen wurden. Nach ihrer Auffassung hatte die Gottheit gleichwertige Menschen geschaffen. Daher forderte sie den Widerstand gegen Gesetze, die nicht diese göttlich gefügte Gleichwertigkeit widerspiegeln. Sie trat folglich auch gegen die Sklaverei auf und erkannte ihre Beziehung zur Frauenunterdrückung,
genau wie auch heute immer wieder die Beziehung von Rassismus und Sexismus auf feministischer Seite betont wird.
Als im Jahre 1870 die Kirche von England ein Revisionskomitee einsetzte zur Bearbeitung der Bibelausgabe von 1611 und keiner Frau gestattet wurde, in diesem Komitee mitzuarbeiten, machte sie sich daran, eine Frauenbibel zu schreiben, eine Auswahl biblischer Texte mit eigenen äußerst kritischen und scharfsinnigen Kommentaren.[4] Dazu organisierte sie ein Frauen-Revisionskomitee, das aus insgesamt 23 Frauen bestand. Die Theologen ihrer Zeit verspotteten sie und nannten ihr Unterfangen absurd. Darauf konterte sie, es sei nicht absurder als der Alleingang der Männer bei der Bibelrevision. Die Reaktion auf ihre Arbeit war wohl recht typisch: Während die Männer des Revisionskomitees zu ihrer Arbeit beglückwünscht wurden, verdammte man die Frauen und diffamierte Cady Stanton als »Arbeiterin des Teufels«.
Bereits vor über hundert Jahren lehnte sie sich auf gegen den Bibelfundamentalismus, der bis heute noch nicht überwunden ist, sondern sich ganz im Gegenteil wieder wachsender Beliebtheit erfreut. Cady Stanton negierte die Verbalinspiration, die zu ihrer Zeit unter den Theologen noch an der Tagesordnung war. Sie durchschaute die Unmenge von Widersprüchen und Ungereimtheiten in der Bibel und wehrte sich dagegen, ein die Frauen dermaßen erniedrigendes Buch auch noch als »Wort Gottes« zu bezeichnen. Nach ihrer Meinung hatte eine Schrift, die die Würde der Frauen derart mit Füßen trat, nicht diesen Namen verdient und sollte daher auch nicht »heilig« genannt werden. Cady Stanton erkannte in den heiligen Büchern aller Religionen einige allgemeine Prinzipien wie Liebe, Nächstenliebe, Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichwertigkeit eines jeden Mitglieds der menschlichen Familie. Solange sich die Bibel an diese goldenen Regeln hält und diese Prinzipien beinhaltet, ist sie wert, gelehrt zu werden. Und so resümiert sie: Als Ganzes kann die Bibel weder akzeptiert noch abgelehnt werden, da ihre Lehren zu große Unterschiede aufweisen.
In ihrem Kommentar zum ersten Schöpfungsbericht, in dem es heißt, Mann und Frau seien als Ebenbild Gottes erschaffen schreibt sie: »Der erste Schritt beim Aufstieg der Frau in ihre wahre Position als gleichberechtigter Faktor im menschlichen Fortschritt ist die Kultivierung des religiösen Empfindens ihrer Würde und Gleichwertigkeit sowie die Anerkennung eines Ideals der Himmlischen Mutter, an die Gebete genauso gerichtet werden sollten wie an den Vater. Wenn Sprache überhaupt etwas bedeutet, dann haben wir in diesen Texten die schlichte Erklärung eines weiblichen Elements in der Gottheit, von gleicher Macht und Herrlichkeit wie das männliche. Himmlische Mutter und Vater.«
An dieser Stelle wird deutlich, wie nahe sich trotz aller Unterschiede Gage und Cady Stanton in ihren Ansichten und Zielen kamen. Eine Ähnlichkeit des Denkens, die eine lebenslange Freundschaft begründete. Ihr gemeinsames Anliegen, die Wiedereinführung eines göttlichen weiblichen Prinzips, verbindet sie mit einer Reihe feministischer Theologinnen heute, aber auch mit einem Traditionsstrang innerhalb der christlichen Tradition, der im Heiligen Geist bzw. in der weiblichen Ruah das weibliche göttliche Prinzip anerkannte.
Das früheste »feministische« Manifest mit diesem Anliegen finden wir bereits in der Bibel, und zwar in der Antwort, die die Jerusalemer Frauen dem Propheten Jeremia auf dessen Vorhaltungen geben (vgl. S. 21). Zu Beginn des 6. Jahrhunderts v. Chr. war ein großer Teil der Jerusalemer Bevölkerung vor dem Ansturm der babylonischen Heere nach Ägypten geflohen und feierte dort ganz begeistert den Kult der Himmelskönigin. Auch durch die Drohung Jeremias, daß Jahwe sie ausrotten werde, lassen sich die Frauen nicht beirren. Ihre Antwort, wie sie in Jeremia 44,15-19 wiedergegeben wird, enthält bereits ganz wesentliche Elemente, die auch in der feministisch-theologischen Forschung heute eine tragende Rolle spielen:
- Die Ablehnung religiöser Fremdbestimmung durch den Mann (Vers 16).
- Das Durchsetzen der eigenen religiösen Bedürfnisse (Vers 17).
- Die Rückbesinnung auf ältere religiöse Traditionen und ihren tragfähigeren Grund.
- Das Erkennen der Beziehung zwischen einem männlich-patriarchalen Gottesbild und dem in seinem Gefolge wachsenden Männlichkeitswahn, der Krieg und Hunger zur Folge hat (Vers 18).
- Die Integrierung von Männern (und Kindern) in den religiösen Kult (Vers 19 und 7,18).
Der Text macht deutlich, daß der Ursprung feministischer Theologie mit dem Ursprung des Patriarchats in Verbindung steht und keinesfalls in der feministischen Bewegung der sechziger und siebziger Jahre unseres Jahrhunderts zu verankern ist, auch wenn für die meisten Frauen dieser Zeitpunkt die ausschlaggebende Rolle spielt und unseren Erfahrungshintergrund darstellt. Dennoch sollten wir nicht vergessen, daß unsere Tradition älter ist als das Christentum und auch den jüdischen Propheten recht vertraut war, wenn sie auch immer wieder das Bedürfnis hatten, sich gegen sie abzugrenzen und sie zu verteufeln - eine ebenso traditionsreiche männliche Haltung.
Seit mehr als 2500 Jahren führen religiöse Bedürfnisse von Frauen, zumindest in der westlichen Welt, ein Schattendasein, gehören sie doch zu den verdrängten Anteilen des patriarchalen Monotheismus, der eine Form religiöser Weltsicht mit fanatischer Vehemenz und dem dazugehörigen Absolutheitsanspruch durchsetzt und nicht in der Lage ist, ein ganzheitliches Glaubensgebäude zu errichten, das den Bedürfnissen beider Geschlechter gerecht wird. In den Anliegen feministischer Theologie kommt der verdrängte Schatten der traditionellen
Männertheologie auch in unserer Zeit wieder an die Oberfläche.
Das Anliegen feministischer Theologie
Wenn ich mich nunmehr den unterschiedlichen Arbeitsgebieten feministischer Theologinnen zuwende, so beschränke ich mich auf den christlich orientierten Flügel, da ich mich nicht kompetent fühle, andere Bereiche feministisch-theologischer Forschung darzustellen, wie zum Beispiel die Arbeiten jüdischer Feministinnen oder jene aus der Bewegung des Göttinnenkultes. Auch geht es mir nicht darum, die unterschiedlichen Richtungen innerhalb der feministischen Theologie darzulegen und mit bestimmten Namen zu assoziieren, denn damit sind immer auch Festschreibungen verbunden, die meines Erachtens dem dynamischen Charakter feministisch-theologischer Erkenntnisse entgegenstehen. Ich denke auch nicht daran, einzelnen Theologinnen Etiketten zu verpassen oder aber bereits vorhandene Einteilungen hier zu wiederholen.[5]
Das primäre Anliegen feministischer Theologie sehe ich darin, daß sie dem weiblichen Geschlecht die geraubte Würde zurückgeben will. Dies geschieht zum einen durch die Bewußtmachung des Ausmaßes ihrer Erniedrigung und Unterdrückung im Rahmen einer umfassenden Patriarchatsanalyse und zum anderen durch die Bewußtmachung unserer matriarchalen Vergangenheit, verbunden mit der Wiederbelebung eines matriarchalen Weltbildes. Frauen erfahren auf diese Weise die Relativität eines Gesellschafts- und Denksystems, das sich selbst absolut
gesetzt hat und sich für das beste aller Systeme hält. Sie erfahren damit gleichzeitig, daß auch sie ein eigenes Recht auf Weltdeutung haben und für sie keine Notwendigkeit besteht, Glaubensaussagen anzuerkennen, die mit ihren eigenen Erfahrungen nichts zu tun haben oder diesen gar widersprechen. Dazu gehört auch die Relativierung des männlichen Absolutheitsanspruchs durch die Wiederbelebung von Göttinnenbildern, mit deren Hilfe auch die göttliche Dimension des Weiblichen stärker ins Bewußtsein gerückt wird. Für eine solche Wiederbelebung gibt es gute Gründe:
Biblische Begründung
1. Da in Genesis 1,26 f. -eine Stelle, auf die auch Jesus Bezug nimmt - Mann und Frau als Ebenbild des Göttlichen dargestellt werden, muß endlich auch das Weibliche als legitime Ausdrucksform des Göttlichen Anerkennung finden.
2. Jesus selbst, der ja als Sichtbarwerdung des Göttlichen verehrt wird, hat sich in vielfältiger Weise mit der Weisheit identifiziert, die im jüdischen wie auch im christlichen Glauben die weiblichen Kräfte des Göttlichen veranschaulicht und in frühchristlichen Kreisen teilweise als Göttin verehrt wurde.
Theologische Begründung
3. Da Jesus selbst das Kind mit dem Göttlichen identifiziert und der christliche Glaube sich auf die trinitarische Einheit des Göttlichen beruft (wobei allerdings die Ruah als Heiliger Geist vermännlicht wurde), ergibt sich ganz zwangsläufig eine trinitarische Formel, in der das Weibliche, das Kindliche und das Männliche als Bilder des Göttlichen zur Geltung kommen.
4. Da es Jesus in seiner Botschaft absolut nicht um die Männlichkeit seiner Gottesbilder ging, wie viele Gleichnisse erkennen lassen und wie auch Theologen zunehmend einsehen müssen, sondern es ihm vielmehr um die Veranschaulichung eines als typisch weiblich zu bewertenden Verhaltens ging, bedarf es einer größeren Eindeutigkeit bei der Symbolisierung des von Jesus beschriebenen göttlichen Handelns, die nur durch eine weibliche Gestalt gewährleistet werden kann.
Sozial-psychologische Begründung
5. Nach christlichen Vorstellungen ist der Vater Jesu ein Gott, der auf jeden Fall die Freiheit des Menschen will und ihn aus allen Bindungen herausführt, wenn dies zur Befreiung von autoritären Strukturen notwendig erscheint. Da nun aber die ausschließliche Männlichkeit des christlichen Gottesbildes die Menschen auf seelischer wie auch auf gesellschaftlicher Ebene gerade nicht in die Freiheit, sondern in die Entmündigung geführt hat, bedarf es der Erweiterung um die Kategorien des Weiblichen und Kindlichen, die mit weniger autoritären Strukturen in Verbindung stehen und daher der menschlichen Seele einen größeren Freiraum bieten.
6. Da in den Seelen vieler Menschen weltweit seit geraumer Zeit das Göttliche verstärkt in weiblicher Gestalt aufsteigt, sollte sich eine Theologie nicht das Recht anmaßen, solche Göttinnenerfahrungen als »lediglich psychisches Phänomen« abzutun, während nach wie vor Erfahrungen mit dem männlichen Göttlichen als »Selbstoffenbarungen Gottes« anerkannt werden, um so mehr, als sie in der Vergangenheit stattgefunden haben.
Wenn es innerhalb der christlich orientierten feministischen Theologie recht unterschiedliche Auffassungen über den Stellenwert einer Wiederbelebung von Göttinnenbildern gibt, so haben diese meines Erachtens weniger rationale als vielmehr emotionale Gründe, die mit der eigenen christlichen - und hier insbesondere protestantischen - Vergangenheit zusammenhängen. Ein solcher Rückgriff auf matriarchale Welt- und Göttinnenbilder darf aber wohl nicht als ein Rückschritt gedeutet werden, wie dies häufig geschieht. Statt dessen geht es um die Hereinnahme vergangenen Traditionsgutes, das geeignet ist, Frauen Kraft zu spenden und ein stabiles Selbstwertgefühl aufzubauen. Diese Form der Bewußtseinserweiterung stellt einen ganz wesentlichen geistigen Fortschritt dar, der einer spiralförmigen Entwicklung entspricht, der nicht ein lineares Fortschrittsmodell zugrunde liegt, bei dem Regression immer etwas Negatives bedeutet, sondern in der Vergangenes immer wieder aufgearbeitet wird - allerdings auf einer höheren Bewußtseinsebene. Die Psychotherapie lehrt, wie wichtig ein solches Vorgehen für echte Weiterentwicklung und Reife ist.
Das zweite Anliegen feministischer Theologie ist die Revision christlicher Glaubensaussagen und Symbole sowie das Überdenken ihrer Verbindlichkeit für Frauen. Dabei geht es im wesentlichen um folgende Bereiche:
Neben der Infragestellung des patriarchalen Gottesbildes geht es auch um die Beweisführung, daß es sich hier nicht ausschließlich um »Frauenprobleme« handelt, für die es eine feministische Spielwiese einzurichten oder aber die es zu bekämpfen gilt, sondern um ganz grundsätzliche theologische Fragen, durch die allerdings die Vorgehensweise konventioneller Theologie in Frage gestellt wird. Da theologische Aussagen immer auch mit anthropologischen Aussagen gekoppelt sind, geht es gleichzeitig um eine Revision der geschlechtsspezifischen Unterschiede und deren Bewertung, da nach wie vor falsche Aussagen über die Geschlechterdifferenz Theologie und Kirche bestimmen.
Einen recht breiten Raum nimmt die Bewußtmachung der Androzentrik (Mannzentriertheit) im Neuen Testament, bei den Kirchenvätern und in der Theologie und Verkündigung ein. Auf alle drei Bereiche will ich nachfolgend eingehen.
- Im Neuen Testament konzentriert sich die feministische Kritik auf Paulus, obgleich ich der Meinung bin, daß sich auch bei Jesus frauenfeindliche Ansätze nachweisen lassen, die wahrscheinlich dem frühen Stadium seines öffentlichen Auftretens angehören, da er sich später als ausgesprochener Frauenfreund erwiesen hat.[6] Daß auch seine Jünger frauenfeindliche Tendenzen hatten, läßt sich aus diversen Textstellen, ganz besonders aber aus gnostischem Schriftgut ersehen.[7]
Die Frauenfeindlichkeit des Apostels Paulus gilt nicht nur unter feministischen Theologinnen als ausgemacht, sie wurde auch in der konventionellen Theologie bereits thematisiert. Als ein klassisches Beispiel seiner Androzentrik wird auch hier vielfach sein Auferstehungsbericht (l.Korinther 15) angesehen, der nicht eine Frau als Auferstehungszeugin nennt, obgleich sich alle Evangelisten darin einig sind, daß diese Botschaft auf die Frauen zurückgeht, auf das, was sie zuerst gesehen, gehört und erlebt haben.
Aber auch das Herausarbeiten der Zweitrangigkeit der Frauen auf der Grundlage des zweiten Schöpfungsberichtes, mit dem das Herrschaftsmonopol des Mannes legitimiert wird, zeugt von der Mannorientiertheit des Paulus, die sich in der Lehre Jesu nirgends festmachen läßt. Da paulinische Vorstellungen zur wesentlichen Grundlage der christlichen - insbesondere aber der protestantischen - Theologie wurden, kann ihre Bedeutung in der Geschichte der Frauenunterdrückung gar nicht stark genug betont werden, denn schließlich reicht ihre Wirkungsgeschichte bis in die Gegenwart.
Die angebliche Christozentrik, die Neutestamentier bei Paulus immer wieder lobend hervorheben, sieht aus weiblicher Perspektive viel eher nach männlicher Egozentrik aus, die sich bei ihm an mehreren Stellen nachweisen läßt. So zum Beispiel, wenn er die verflucht, die ein anderes Evangelium verkünden als er (Galater 1,9f.), oder aber wenn er dazu auffordert, seine Nachahmer zu sein (l.Korinther 4,16). Es fanden sich viele, die diesem Aufruf Folge leisteten, und in jeder weiteren Generation seiner Schüler verschärfte sich die Androzentrik bis hin zur offenen Frauenfeindlichkeit. So wärmt der Schreiber des 2. Timotheusbriefes die leidige Eva-Geschichte wieder auf, garniert sie mit einer Lüge, mit der Behauptung nämlich, Adam sei nicht verführt worden, und tischt sie schließlich auch noch als Beweis für die generelle Minderwertigkeit und daher zur Unterwürfigkeit verpflichteten Frau auf, nicht ohne ihr neben einem Redeverbot auch noch ein Lehr- und Denkverbot zu
erteilen (vgl. 1. Timotheus 2,9-15).
Selbstverständlich hängt die einseitige Androzentrik des Neuen Testaments auch damit zusammen, daß es nur von Männern aufgeschrieben wurde. Texte von Frauen liegen uns nicht vor, sei es, daß sie vernichtet, nicht überliefert oder aber möglicherweise auch unter männlicher Autorenschaft herausgegeben wurden. So wird hier und da die Frage gestellt, ob nicht vielleicht der Hebräerbrief von einer Frau, möglicherweise von Priscilla, verfaßt worden sein könnte. Ähnliches gilt für das Hohelied der Liebe in 1. Korinther 13.
2. Damit komme ich zum nächsten Punkt theologischer Androzentrik, jener der Kirchenväter, die für die Auswahl und Kanonisierung der neutestamentlichen Schriften verantwortlich sind. Dabei wurde nicht nur weibliches Traditionsgut ausgeschlossen, sondern ebenfalls für Frauen wichtige Texte, aus denen zum Teil recht frauengerechte Glaubensmodelle sprechen. Ich denke dabei in erster Linie an das gnostische Schrifttum, das in seiner reichhaltigen Fülle immer deutlicher zutage tritt. Aus diesen Texten geht eindeutig hervor, welch eine hervorragende Rolle Maria Magdalena in der frühchristlichen Bewegung, die sie teilweise als »erste Apostelin« anerkannte, innehatte.[8] Mit diesen christlichen Texten des 2. bis 5. Jahrhunderts wird nicht nur die kirchliche Haltung gegenüber der Frau in Frage gestellt, sondern auch ganz wesentliche Glaubensaussagen, die einem dogmatischen Denken verhaftet sind und die für viele Frauen, selbstverständlich aber auch Männer, inzwischen suspekt geworden sind. Ich denke beispielsweise an die Leiblichkeit der Auferstehung, an ein biologisches Verständnis der Jungfrauengeburt oder aber auch an die Frage nach der Erlösung, die mit der Kreuzestheologie sicher nicht auf die sinnvollste Weise gelöst wurde.[9]
Auch das patriarchale Gottesbild wurde in vielen frühchristlichen Kreisen gnostischer Prägung nicht übernommen. Hier wird von der Heiligen Geistin (hebräisch: die Ruah) als von der himmlischen Mutter Jesu gesprochen. In vielen Kreisen wurde auch ganz selbstverständlich die Weisheitsgöttin Sophia neben dem göttlichen Vater verehrt. Bei Texten, die Maria Magdalena als eine Frau beschreiben, die das All kennt, und in ihr die Inkarnation der göttlichen Weisheit sehen, tritt die Frage nach dem Geschlecht des Verfassers oder der Verfasserin natürlich in den Hintergrund. Sie machen aber auch deutlich, daß nicht nur Frauen ausgegrenzt wurden, sondern mit ihnen auch ein ganz bestimmtes Weltbild und Glaubensverständnis, das wesentlich offener und lebensfördernder war als jenes der siegreichen Kirche.
3. Wie an keiner anderen Stelle wird gerade im Bereich der Theologie und Verkündigung deutlich, wie gering der Abstand ist zwischen Androzentrik und Frauenfeindlichkeit bis hin zum Frauenhaß, der in jahrhundertelange Frauenvernichtung umschlagen konnte. Hier hat die christliche Androzentrik einen Höhepunkt erreicht, der wohl einmalig sein dürfte innerhalb der Religionsgeschichte der Menschheit.
Über das Thema Frauenhaß im Christentum könnte mehrere Tage referiert werden ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Ob die Frau nun zum »Tor der Hölle« erklärt wurde, wie dies Anfang des 3. Jahrhunderts durch Tertullian geschah, oder ob sie noch von einem Papst, der bis in unser Jahrhundert als Stellvertreter Christi auf Erden seinen Dienst tat, als ein Wesen beschrieben wurde, das der Mann lieben solle im Sinne des Gebotes Christi: Liebet eure Feinde - zwischen beiden Aussprüchen liegt immerhin eine fast zweitausendjährige Traditionsgeschichte der Frauenfeindlichkeit, die weder an den Toren des Protestantismus noch vor der Theologie der Gegenwart haltgemacht hat. Der wohl prominenteste evangelische Theologe unseres Jahrhunderts, Karl Barth, konnte es immerhin noch verantworten, in Anlehnung an Paulus den Mann als Alpha darzustellen, dem die Frau als Beta folgt, so daß ihr wiederum nur Sekundärcharakter zukommt. Solche Vorstellungen prägen bis heute die männliche Theologie und Verkündigung, so daß jedwedes Gerede von Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann im Bereich der Kirche und Theologie einem bedeutungslosen Lippenbekenntnis gleichkommt.
Bei soviel theologischer wie auch anthropologischer Inkompetenz erweist sich feministisches Mißtrauen gegenüber theologischen und kirchlichen Aussagen geradezu als notwendig. Dazu gehört auch, daß zentrale Glaubensaussagen auf ihre Berechtigung hin überprüft und eigenständige Entscheidungen über Wesen und Kern der Lehre Jesu getroffen werden. Dabei ist es sicher auch nötig, die im 5.Jahrhundert getroffenen kanonischen Entscheidungen, die zu der allgemeinverbindlichen Auswahl der Texte des Neuen Testaments führten, auf ihre Gültigkeit hin zu befragen und zu überprüfen, ob sie nicht dem Glauben an die Freiheit in Christus abträglich waren und einer Unfreiheit im Glauben den Weg bereitet haben. Da sich die herkömmliche Theologie diesem Problemfeld verschließt und bei ihrer Rede von Gott christlich gnostisches Schriftgut nach wie vor unberücksichtigt läßt, ja die Bezeichnung »gnostisch« sogar vielfach noch als Schimpfwort benutzt, wird sich
die feministische Theologie verstärkt diesem Bereich zuwenden müssen. Das gleiche gilt für innerchristliche Traditionen späterer Jahrhunderte, in denen das Weibliche weder aus dem Gottesbild noch die konkrete Frau aus dem Amt der Verkündigung ausgegrenzt wurden.
Aber nicht nur in der Auswahl des anerkannten Glaubensgutes macht sich die theologische Androzentrik bemerkbar, auch in den Übersetzungen und Exegesen neutestamentlicher Texte begegnen wir ihr auf Schritt und Tritt. Theologen gehen ganz selbstverständlich davon aus, daß Männern von Anfang an Machtpositionen innerhalb der Gemeinden zustanden, Frauen aber nicht. Mit anderen Worten, sie projizieren ihr eigenes patriarchales Gemeindeverständnis in frühere Jahrhunderte zurück und benutzen es für die Legitimierung gegenwärtiger Machtansprüche. So hat zum Beispiel die feministische Theologin Elisabeth Schüssler-Fiorenza[10] dargelegt, inwieweit
männlichen Exegeten eine geschlechtsspezifische Übersetzung der Paulusbriefe nachzuweisen ist, ohne daß diese aus dem Text selbst abgeleitet werden kann. Die griechische Bezeichnung »diakonos« wird von Paulus unterschiedslos für Frauen und Männer gebraucht wie auch als Selbstbezeichnung. Exegeten gehen jedoch bei männlichen Diakonen davon aus, daß sie eine leitende Lehrtätigkeit innehatten, während im Fall von Frauen auf untergeordnete Diakonissentätigkeiten geschlossen wird, wie zum Beispiel Fürsorgedienste an Armen und Kranken oder aber Hilfestellung bei der Taufe von Frauen. Insgesamt kommt Schüssler-Fiorenza zu dem Schluß, daß noch in den Paulusbriefen Frauen unter den bedeutendsten Missionaren und Leitern der frühen christlichen Gemeinden waren und Paulus als Mitarbeiterinnen zur Seite standen, ohne
seiner Autorität unterstellt zu sein. Sie waren Lehrerinnen, Predigerinnen und Prophetinnen. Als Leiterinnen von Hausgemeinden hatten sie großen Einfluß und leiteten möglicherweise sogar die Gottesdienste. Auch waren ihre Dienste nicht auf Frauen beschränkt und erschöpften sich nicht in den später bekannten spezifisch weiblichen Funktionen. Trotzdem ist durchgängig festzustellen, daß moderne Exegeten spätere Kirchenstrukturen in das Material des Neuen Testaments projiziert haben, wie überhaupt die hermeneutische Diskussion gezeigt hat, daß eine wertfreie, objektive Geschichtsschreibung eine Fiktion ist und daß sämtliche Deutungen geschichtlicher Texte von den Denkvoraussetzungen, Auffassungen oder Vorurteilen des Exegeten oder Historikers abhängen.
Autorinnen betonen daher zu Recht, daß das biblische Material allzulange ausschließlich von männlichen Historikern und Exegeten studiert wurde, die es bewußt oder unbewußt von einem androzentrisch-patriarchalischen Horizont her verstanden. Wie Schüssler-Fiorenza weiter feststellt, gaben die Bibelwissenschaftler die Bibeltexte in einer sexistischen Sprache wieder und entschieden textkritische Fragen aus männlicher Sicht. Nicht nur unterließen sie es, die weibliche Bilder- und Symbolwelt der Bibel ans Licht zu heben, sondern sie nahmen auch an, sämtliche Bibelautoren seien männlich gewesen. Noch verhängnisvoller aber war für das Selbstverständnis der christlichen Frau die fraglose
Annahme, allein dem Manne komme Autorität zu.
So weit die feministische Theologin, die an vielen Einzelbeispielen die Androzentrik innerhalb der Männertheologie nachweisen konnte und damit gezeigt hat, wie wichtig die Überprüfung männlicher Forschungsergebnisse durch Frauen ist, um ein einigermaßen gültiges Bild von den Gegebenheiten der frühchristlichen Gemeinden zu erhalten und endlich Schluß zu machen mit der Trivialisierung von Frauen, die sie zu Randerscheinungen innerhalb der Gemeinde werden ließ. So wäre es zum Beispiel endlich an der Zeit, der paulinischen Androzentrik, nach der der Mann der Abglanz Gottes, die Frau aber Abglanz des Mannes ist, in Lehre und Verkündigung eine deutliche Absage zu erteilen und sich von solchem Gedankengut zu distanzieren, da es in krassem Widerspruch steht zu anderen Aussagen der Bibel. Dies wäre ein erster Schritt, die Frau aus ihrer theologischen Randstellung zu befreien, zumal sie faktisch in der Gemeinde eine überwältigende Mehrheit darstellt.
Trotz ihrer so stark ins Auge fallenden Unterrepräsentanz im sonntäglichen Gottesdienst sind es fast ausschließlich Herren, die dem weiblichen Geschlecht das Wort des Herrn verkündigen, und das hat zur Folge, daß neben die biblisch-theologische Androzentrik auch jene ihrer Verkündigung tritt.
Agenden und Kirchenlieder sind ausschließlich männliche Produkte, ebenso wie die Festlegung von Predigtplänen und mit ihr die Auswahl und Interpretation biblischer Texte. Daß dabei weibliche Vorstellungen und Lebensbereiche in auffallender Weise zu kurz kommen, haben inzwischen nicht nur Feministinnen erkannt. Doch bleiben trotz solcher Androzentrik die Männer dem Gottesdienst fern. Deutlicher können sie ihr Desinteresse an der christlichen Religion wohl kaum dokumentieren. Was - so frage ich mich - wäre eigentlich geworden, wenn die hochbedeutsamen Karfreitagspredigten nicht immer nur die Darstellung des Verbrechens an Jesus als göttliche Heilstat beinhaltet hätten, sondern ebenfalls die frauenrelevanten Worte Jesu, die dieser in seiner letzten öffentlichen Rede an die um ihn trauernden Frauen richtete? »Ihr Töchter Jerusalems«, ruft er ihnen zu, »weinet nicht über mich, weinet vielmehr über euch und eure Kinder. Denn siehe es kommen Tage, wo man sagen wird: Selig sind die Unfruchtbaren und die Leiber, die nicht geboren haben, und die Brüste, die nicht gestillt haben«(Lukas 23,28 ff.).
Es hätte der Frau sicherlich gutgetan, wenn ihr in Anlehnung an diese Worte Jesu ein Tag zur Trauer um ihre vielfältigen Leiden innerhalb der patriarchalen Männergesellschaft zugestanden worden wäre, wenn sie des weiteren nicht auf ihre Fruchtbarkeit festgelegt, sondern auch ihr Nein zu Nachkommen legitimiert worden wäre. Schließlich wurden ihre Söhne doch nur als Kanonenfutter und ihre Töchter zur Ausbeutung durch Männer mißbraucht - zeitlose Gründe, das eigene Leid und das der Kinder zu beklagen.
Statt der Worte Jesu wurden der Frau jedoch die Worte des Paulusschülers aus dem 1. Timotheusbrief vorgesetzt, nach denen sie Kinder gebären muß, um ihre Seele zu retten. Solche Vorstellungen machten Schule, und auch Luther war der Auffassung, die Frau sei dazu da, um sich totzugebären. Die Wirkungsgeschichte solchen Männerdenkens reicht bis in unser Jahrhundert, das erst vor kurzem - zumindest teilweise - damit Schluß gemacht hat, die Frau dem männlichen Zeugungswahn auszusetzen.
Immer wieder wurde die sonntägliche Predigt dazu benutzt, weibliche Interessen und Bedürfnisse einzugrenzen und zu manipulieren. Genau das aber bedeutet Androzentrik in der Verkündigung, auch wenn sie heute sublimere Formen angenommen hat. Nicht immer zeigt sie sich so platt und offensichtlich wie in der Vergangenheit, was jedoch nicht darüber hinwegtäuschen darf, daß sie nach wie vor einer tiefsitzenden Haltung entspricht, die leider nicht auf Männer beschränkt ist, da viele Frauen sich noch nicht bewußtgemacht haben, daß auch sie sich auf diese Mannzentriertheit ein Leben lang haben fixieren lassen müssen.
Nachdem ich den Arbeitsbereich einer feministischen Revision christlicher Vorstellungsmuster grob skizziert habe, komme ich nunmehr zum dritten Anliegen, der Entfaltung einer weiblichen Spiritualität. Seit einigen Jahren sind Frauen dabei, ihre eigene Sprache für ihre religiösen Erfahrungen zu finden, denen sie in neuen Liedern, liturgischen Texten und Ritualen Ausdruck verleihen. Kirchentage sind hierfür ein besonders beliebtes Experimentierfeld, aber auch Frauengottesdienste, die hier und da in den Gemeinden stattfinden. Kirchenmusikerinnen sind dabei, das christliche Liedgut nach frauenfreundlichen Texten durchzukämmen und neue Werke zu schreiben.
Erstmals erschien auf dem Kirchentag in Frankfurt 1987 eine Dokumentation und Anleitung zu einer frauengerechten Sprache, die allerdings für viele Frauen bei weitem nicht weit genug ging. Anderen Frauen wurde durch das Referat der Kirchenmusikerin Ursula Jung überhaupt erst bewußt, wie wichtig eine frauengerechte Sprache in den Liedern ist, da nach ihren Ausführungen Singen »eine ganzheitliche Aktivität des Menschen (ist), ein Zusammenspiel von Körper, Seele und Geist, gut geeignet, Vorstellungen ins Unbewußte zu transportieren«.[11]
Frauen werden daher aufgerufen, jene Lieder im Gottesdienst zu boykottieren, die eine rein männliche Sprache und Erfahrungswelt beinhalten.
Im einzelnen läßt sich natürlich nicht referieren, was sich im Bereich weiblicher Spiritualität vollzieht.[12] Hier tut sich für Frauen eine neue Erfahrungswelt auf, deren nähere Darstellung sich meines Erachtens verbietet, da sie in einen erfahrungsbezogenen Kontext gehört.
In einem letzten Teil möchte ich noch auf die wesentlichsten Reaktionen eingehen, die feministische Theologie erfährt.
Vorwürfe gegen die feministische Theologie
Hier geht es im wesentlichen um vier Themenbereiche: das feministische Bibelverständnis, das Gottes-/Göttinbild, das Menschenbild und der Antijudaismusvorwurf.[13]
1. Der aufgeklärte Umgang mit der Bibel, die selbstverständlich nicht als Ganzes akzeptiert wird, was wohl auch kein Theologe oder Kirchenmann tun würde, wenn er sie wirklich gelesen hätte, führt zu dem Vorwurf des »gewaltsam verstiegenen Umgangs mit der Bibel«, die angeblich verkürzt gelesen wird. Ein solcher Vorwurf kann selbstverständlich gegen jeden Menschen erhoben werden, egal ob Laie oder Theologe, der sich mit der Bibel befaßt. Er muß aber auf jeden Fall gegen die Kirche als Trägerin christlicher Tradition erhoben werden, da gerade in bezug auf die Frau ihr Umgang mit der Bibel ebenso gewaltsam wie verstiegen war, wenn Kirchenmänner ihr beispielsweise entnahmen, daß Frauen sündiger seien als Männer, daß sie vom Priesteramt auszuschließen seien, daß Sexualität Sünde sei oder aber daß der Mensch nur durch den Glauben an die sühnende Kraft des Blutes Jesu die Vergebung der Sünden erlangen könne. Daß für feministische Theologinnen die gnostischen Schriften genauso viel oder so wenig Offenbarungscharakter haben wie die neutestamentlichen Schriften, und sie daher auch auf gnostische Texte zurückgreifen, wird ihnen ebenso vorgehalten, wird doch damit letztendlich die Autorität der Kirche in Frage gestellt. Auch die Gefahr der Umdeutung biblischer Texte wird gesehen, die natürlich nur dann auf Unmut stößt, wenn sie nicht mehr im Sinne des kirchlichen - wenn auch oftmals falschen - Verständnisses geschieht.
Daß die Wortmagie protestantischer Bibelvergötzung unter feministischen Theologinnen keine Vertreterinnen findet, ist wohl nur allzu verständlich; denn hier wird der Weisheit mehr Raum gegeben als dem Logos - ein Anliegen, das auch bei Jesus deutlich wird.
2. Wie nicht anders zu erwarten, wird den Frauen auch die Preisgabe des androzentrischen Gottesverständnisses zum Vorwurf gemacht. Die »Demontage des biblischen Gottesverständnisses«, das »Ersetzen des biblischen Gottes durch die Göttin« wird als »klarer Austritt aus dem Christentum« gewertet. Hier wird der Eindruck erweckt, als sei dieses Christentum eine klar zu umreißende Größe, was wiederum nur auf dem
Wege der Ausgrenzung ganz bestimmter christlicher Traditionen geschehen kann. Die Frage nach dem Gottesbild und seinem Zustandekommen wird dabei gar nicht erst gestellt. Statt dessen werden die Sympathien zu Göttinnen beklagt, »die doch im Namen des einen Gottes verworfen und bekämpft werden«. Der gängige Fehler der Gleichsetzung des Göttlichen mit dem Gottesbild wird hier gar nicht erst erkannt.
Solange die Kritik an der Göttin aus dem Bereich evangelikaler und institutioneller Kirchenkreise kommt, ist sie nur allzu verständlich; denn schließlich bringt sie das in diesen Kreisen beliebte patriarchale Weltbild ins Wanken. Neuerdings aber kommen recht ähnliche Vorwürfe auch noch aus einer anderen Richtung: Kritische Theologinnen melden ihre Bedenken hinsichtlich der Göttin an und grenzen sich von ihren Schwestern ab. Das ist auf dem Hintergrund ihrer eigenen religiösen Patriarchatserziehung nicht so befremdlich, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Bedauerlich finde ich nur, daß nicht alle so ehrlich sind wie Elisabeth Moltmann-Wendel, die öffentlich zugibt, daß sie persönlich nichts mit einer Göttin anfangen kann, da sie ihr Leben in der Ausrichtung auf den Vatergott verbracht und darunter auch gar nicht gelitten habe. Ähnlich geht es vielen Frauen. Aber das braucht noch lange kein Grund zu sein, sich von jenen abzugrenzen, denen ein männliches Gottesbild nichts mehr zu sagen hat, da ihm keinerlei positive Besetzung mehr zukommt. Problematisch wird es jedoch, wenn die Frage nach dem Gottes- / Göttinnenbild aus dem wirkungsgeschichtlichen Zusammenhang herausgelöst und mit einer theologischen Scheinargumentation angegangen wird, wie dies Susanne Heine und Dorothee Solle gegenwärtig tun. Beide machen scheinbar apodiktische Aussagen, die der
faktischen Grundlage entbehren. Es stimmt einfach nicht, wenn Susanne Heine behauptet: »Die Wiederbelebung der Göttinnen und mit ihnen der Naturreligionen bedeutet die Negation des Ich, des Bewußtseins, der Freiheit im Denken und Handeln und damit des Personseins des Menschen.«[14] Hinter dieser Vorstellung werden die alten Dualismen sichtbar, die auch der Jung-Schule nicht fremd sind. Nach diesem Vorstellungsmuster gehört die »freiheitliche« Entfaltung zum Individuum, zum Einzelwesen, das sich als von seiner Umwelt getrennt erlebt, zu den Errungenschaften des Patriarchats, dem wir die Entwicklung unseres Bewußtseins in Abgrenzung zum Unbewußten zu verdanken haben. Daß es neben dem Patriarchatsbewußtsein auch noch andere Formen des Bewußtseins gibt, wird dabei regelmäßig übersehen, obwohl der brillanteste Schüler C. G. Jungs, Erich Neumann, auf sie aufmerksam gemacht hat.[15] Genau wie er beschreibt Gerda Weiler in ihren Büchern das matriarchale Bewußtsein,[16] das im Patriarchat immer weniger gepflegt und schließlich negiert wird. Die Betonung der Freiheit des (männlichen) Individuums gehört zur patriarchalen Bewußtseinsentwicklung, nicht aber zur Entwicklung des Bewußtseins generell. Hier wären sozial-psychologische Reflexionen angebracht, die bei Susanne Heine fehlen.
Das gilt auch für Dorothee Solle, die jenen Feministinnen, die sich mit Matriarchatsforschung, Göttinnenkult sowie mit der ursprünglichen Harmonie von Mensch, Natur und Göttlichem oder aber mit der Ganzheitlichkeit der Yin- und Yang-Symbolik befassen, den Vorwurf macht, sie würden mit ihrer »touchy-feely Kultur« den »unerträglichen Kapitalismus >soft< frauenverträglich... machen und seine schlimmsten Beschädigungen für andere und uns selber aus den Augen... wischen«[17]
Solle scheint es den Frauen zu verübeln, daß sie sich nicht an die marxistische Kette legen lassen wollen, da sie längst erkannt haben, daß nicht etwa der Kapitalismus als einer der vielen Söhne des Patriarchats das Grundübel ist, sondern dieses selber, da es sich auch in anderen Herrschaftsformen, wie im Sozialismus zum Beispiel, als frauenfeindlich und naturzerstörerisch, da ausbeuterisch, präsentiert. Jene, die den Sozialismus in Theorie und Praxis kennen, sind längst zu dieser Erkenntnis vorgedrungen. Ihre prominentesten Vertreter/in sind Christa Wolf und Rudolf Bahro. Die klassenkämpferische Behandlung der Geschlechterfrage bezeichnet er als »Erkenntnisbremse«[18], mit deren Hilfe nun auch Solle die feministische Theologie bremsen will. Ähnlich wie die nordelbischen Bischöfe operiert sie mit der Grenzziehung zwischen »Heidentum« und Christentum und stellt Frauen, die sich mit den zuvor genannten Themengebieten befassen, in die »heidnische« Ecke. Für sie steht fest: »Die Religion der Göttin fordert den Bruch .«[19] Den Bruch mit dem christlichen Glauben, versteht sich, der sich nach Sölles Meinung anscheinend nicht in Einklang bringen läßt mit Ganzheitlichkeit. Ihre Begründung dazu lautet: »Das Interesse dieser nach-christlichen Spiritualität entzündet sich an Archäologie, Vorgeschichte, Göttinnen und dem kollektiven Unbewußten, nicht an der Geschichte, dem leidenden Jesus und der ethisch-religiösen Bewußtheit.«[20] Für den Bereich feministischer Theologie und Spiritualität in Deutschland trifft diese Aufteilung auf keinen Fall zu. Vielmehr muß die ethisch-religiöse Bewußtheit als die Ursache für das Studium der von Solle genannten Fachbereiche angesehen werden. Frauen diese Bewußtheit abzusprechen ist schlicht und einfach frauenfeindlich; denn schließlich sprechen auch patriarchale Psychologen wie Sigmund Freud und Lawrence Kohlberg dem weiblichen Geschlecht das ethische Bewußtsein ab.[21]
An solchen Beispielen zeigt sich, wie schwer der Abschied von patriarchalen Denk- und Wertemustern fällt, den feministische Theologie radikal fordert, auch wenn sie ihnen selbst hier und da zum Opfer fällt. Aus diesem Grund ist die innerfeministische Diskussion äußerst wichtig und verdient unsere besondere Aufmerksamkeit. Doch zurück zu den Vorwürfen aus Nordelbien, die sich auch anderweitig lokalisieren lassen.
3. Aufgrund des Slogans: »Ich bin gut, ich bin ganz, ich bin schön«, den Elisabeth Moltmann-Wendel aus der Theologie Luthers ableitete, ergeht der Vorwurf des Narzißmus sowie eines zu flachen aufklärerisch-optimistischen Menschenbildes, das die Sünde ausblendet, wo protestantische Bischöfe sie doch zum Zentrum des Menschen machen wollen. So geschehen in der Stellungnahme der nordelbischen Bischöfe zur feministischen Theologie. Wie »flach« und »undifferenziert« die Kennzeichnung eines solchen Menschenbildes als »biblisch« ist, wird allerdings nicht angesprochen, auch nicht, daß es weit entfernt ist von dem, was Jesus lehrte, der nämlich die Liebes- und Vergebensfähigkeit des Menschen zum Mittelpunkt seiner Anthropologie machte. Anders wären seine zahlreichen Appelle gerade an diese Fähigkeiten wohl kaum zu verstehen. Auch die Tatsache, daß Frauen ihre eigene Tiefe als Ort natürlicher Gottesoffenbarung erfahren, ist Anlaß zu Kritik, obwohl Männer
doch seit Jahrtausenden nichts anderes machen. In diesem Bereich ist die Gleichberechtigung von Frau und Mann, die selbst Bischöfe auf den Lippen führen, noch nicht voll durchgeschlagen. Wer die Sünde des Menschen zum Zentrum seines Menschenbildes erhebt und folglich das Kreuz zum Zentrum christlichen Glaubens, für den wird natürlich das weibliche Bemühen um Ganzheit zu einer »Spielart der Selbsterlösung«. Ob hinter solcher Kritik nicht die Angst vor weiblicher Autonomie sichtbar wird?
4. Die Tatsache, daß Frauen solche Texte aus dem Alten Testament kritisieren und hinterfragen, die frauenfeindliche und unterdrückerische Strukturen aufweisen, wird immer wieder dazu benutzt, ihnen Antijudaismus vorzuwerfen. Solche und ähnliche Vorwürfe erwachsen aus einer verständlichen Sensibilität gegenüber Kritik an jüdischem Traditionsgut. Dennoch steht dieser Vorwurf in keinem Verhältnis zu dem, was feministische Theologinnen tun und wollen, zumal er häufig auch noch mit dem gerade für deutsche Verhältnisse fatalen Vorwurf des Antisemitismus einhergeht, der dann nicht selten mit dem Vorwurf neofaschistischen Denkens verbunden wird - eine Ungeheuerlichkeit, die einen Dialog unmöglich macht. Ich bin jedenfalls nicht bereit, mich länger auf dieser Geistesebene zu bewegen. Nach meinem Verständnis richtet sich feministische Theologie gegen jede Form faschistoiden Denkens. Schließlich gehörten Frauen in der Patriarchatsgeschichte zu den Hauptopfern faschistischer Gesellschaftssysteme.
Fatal ist bei dieser ganzen Diskussion, daß die Kritik an patriarchalen Denk- und Verhaltensmustern - im jüdischen wie auch im christlichen Schrifttum -, und diese Kritik gehört in meinen Arbeiten unbedingt zusammen, als eine Diskriminierung des Judentums schlechthin aufgefaßt wird. Dabei geht es um Texte, die mehr als 2000 Jahre alt sind, aber dennoch den Glauben heutiger Menschen - jüdischen und christlichen Bekenntnisses - bestimmen. Auch wird vielfach so getan, als ginge es bei der Auseinandersetzung mit dem Alten Testament bzw. mit der Hebräischen Bibel um Texte, die nur etwas mit Jüdinnen und Juden zu tun haben, obwohl sie doch nachweislich auch das Christentum ganz wesentlich mitbestimmt haben.
Ich denke nur an die Wirkungsgeschichte des Mythos von der Urmutter Eva, die zu dem Wesensmerkmal der Frau ganz allgemein wurde: als zweite geboren und als erste gesündigt. Natürlich kann es nicht darum gehen, diese Wirkungsgeschichte in den jüdischen Verantwortungsbereich abzuschieben. Andererseits kann aber auch nicht darüber hinweggesehen werden, daß dieser Mythos - wie viele andere Patriarchatsmythen auch - der Darstellung der Frau in keiner Weise gerecht wird und sich an männlich patriarchalen Bedürfnissen orientiert - was im übrigen für einen großen Anteil des jüdischen und christlichen Schrifttums zutrifft, das daher eben nicht den Status einer »Heiligen Schrift« oder gar eines »göttlichen Wortes« verdient hat. Gerade wo Frauen sich zunehmend mit ihrer Geschichte auseinandersetzen, wozu auch die Bewußtmachung der Jahrhunderte währenden Vernichtung ihres Geschlechts gehört, müssen sie sich empören, wenn sie erfahren, daß die Verbrennung von Frauen nicht nur das Ergebnis männlicher Gottlosigkeit und Selbstherrlichkeit ist, sondern daß Gott der Herr selbst zu Mose sagt: »Wenn eines Priesters Tochter anfängt zu huren, die soll man mit Feuer verbrennen; denn sie hat ihren Vater geschändet« (3. Mose 21,9). Es muß Frauen auch weiterhin möglich bleiben, solche »Rechtsauffassungen« wie auch zahlreiche Aufforderungen zu religiöser Intoleranz in der Hebräischen Bibel bzw. im Alten Testament als Unrecht anzuprangern, ohne deswegen befürchten zu müssen, mit Neonazis
in eine Ecke gestellt zu werden, was im übrigen eine sträfliche Verharmlosung des Neofaschismus wäre.
Wie unterschiedlich allerdings die Wahrnehmung ist, wenn es um die Kritik an feministischer Theologie geht, zeigt sich an folgendem Beispiel: Von jüdischer Seite wird gern der Vorwurf erhoben, in der feministischen Theologie würde das Judentum bzw. das jüdische Schriftgut verantwortlich gemacht für die Frauenfeindlichkeit in der christlichen Tradition, um so diese »reinzuhalten«; das Judentum als Sündenbock für christliche Sünden. Ganz anders urteilt Susanne Heine. Sie stellt bei ihrer »Sichtung feministischer theologischer Literatur« fest, daß hier »das Christentum, angefangen besonders bei Paulus, für jegliche Frauenfeindlichkeit verantwortlich gemacht wird«,[22] was jüdischen Kritikerinnen und Kritikern anscheinend entgeht.
In diesem Rahmen ist ein umfassendes Eingehen auf den Antisemitismusvorwurf - wie auch auf die anderen Vorwürfe die gegen die feministische Theologie erhoben werden - nicht möglich. Dennoch gehört es bei der Darstellung der feministischen Theologie auch dazu, negative Reaktionen, die sie hervorruft, wenigstens kurz zu streifen, da sie ein Teil des Preises sind, den jegliche Form der Bewußtseinserweiterung kostet.
Doch zum Glück erfährt sie nicht nur Widerstände und Vorwürfe. Für viele Frauen ist sie inzwischen zu einer lebenswichtigen Erfahrung geworden, durch die ihre Seele Heilung und ihr Geist neues Leben erfährt.
Feministische Theologie als Erfahrung von Heil
Wie sich immer wieder zeigt, ist feministische Theologie von ihren Auswirkungen her nicht nur eine Theologie von Frauen für Frauen. Auch Männer nehmen an ihr Anteil oder befassen sich mit ihr, was durchaus nicht dasselbe ist. Letztere sehen in ihr eine geistige Bereicherung für die ansonsten recht fade herkömmliche Theologie. Es macht ihnen nun wieder Spaß, theologische Fragestellungen zu erörtern. Durch Frauen bekommen sie wichtige Impulse, Anregungen für eigene Predigten und Bibelarbeiten, aber auch für Gespräche mit Frauen. Interessiert verfolgen sie die unterschiedlichen Strömungen und achten hier und da auf die Verwendung einer inklusiven, das heißt Frauen mit einbeziehenden Sprache. Auf den Gedanken, daß feministische Theologie auch etwas mit ihnen persönlich zu tun haben könnte, kommen sie allerdings nicht. Es gibt aber auch noch jene Männer - zugegeben, es sind nur wenige -, für die die theologischen Arbeiten von Frauen zu einer grundlegenden Wandlung geführt haben. Sie haben sich selbst, ihr Mannsein sowie ihr Bild von Männlichkeit und Weiblichkeit in Frage stellen lassen und dabei eine ganz andere Ebene des Menschseins entdeckt. Sie haben Zugang gefunden zu den sogenannten weiblichen Anteilen in ihrer Seele und dadurch ein höheres Maß an Selbstkritik und Sensibilität für sich und andere entwickelt. Ganzheitlichkeit ist für sie keine Leerformel mehr. Mit ihnen selbst hat sich auch ihr Gottesbild gewandelt. Die göttliche Mutter ist für sie weder fremd noch »heidnisch«, sondern ein wichtiger religiöser Faktor, der ihnen ganz neue spirituelle Dimensionen eröffnet. Der Welt ihres eigenen Geschlechts stehen sie allerdings zunehmend fremder gegenüber, da sie in Frauengruppen so etwas wie eine seelisch-geistige Heimat gefunden haben, was natürlich nicht unproblematisch ist, da die Frauen auch vielfach unter sich sein möchten und von den Männern erwarten, daß sie ihre eigenen Gruppen
gründen und sich um die Wandlungsprozesse anderer Männer kümmern. Es gibt allerdings auch Frauen, die homogene Gruppen ablehnen und die Gegenwart von Männern als bereichernd empfinden.
Ich selbst konnte immer wieder feststellen, daß da, wo Frauen unter sich sind, bei ihnen selbst viel tiefgreifendere Erfahrungen möglich werden als in gemischten Gruppen. Für fast alle Frauen, die feministisch-theologische Tagungen besuchen, setzt damit ein Prozeß der inneren Befreiung ein. Sie machen vielfach zum ersten Mal die Erfahrung, daß ihr ureigenstes Erleben, ihre Gedanken und Empfindungen von theologischer Relevanz sind, da sie sie bei feministischen Theologinnen wiederfinden. Sie hatten immer geglaubt, mit diesen Gedanken ganz allein dazustehen, hatten sie verdrängt, da sie ihnen wie »Eingebungen des Teufels« vorgekommen waren und somit Schuldgefühle verursachten. In der Begegnung mit anderen Frauen, die von ganz ähnlichen Erfahrungen berichten, entsteht so etwas wie eine geistige weibliche Solidarität, die für sie neu und aufregend ist. Sie erleben neue Formen des Gottesdienstes, den sie alle gemeinsam gestalten und daher zum ersten Mal als ihren Gottesdienst erleben. Energien werden spürbar, Spiritualität erfahrbar, Begabungen sichtbar. Feministische Theologie wird zur Quelle weiblicher Kreativität. Seit Frauen sich ihr widmen, entdecken sie in sich Fähigkeiten, von denen sie vorher nichts wußten. Sie beginnen zu dichten, zu malen, zu schreiben. Innere Kräfte werden freigesetzt. Frauen lernen, mit ihnen umzugehen und sich mit ihnen eine eigene Realität zu schaffen. Sie lernen die tiefen Seinsmächte und Energien selbst zu benennen, sich ihrer eigenen Perspektive
bewußt zu werden und ihre eigene Teilhabe an ihnen zu erkennen. Dabei werden sie ihres eigenen Wertes gewahr, jenes Wertes, den sie für sich selbst und füreinander haben. Sie schaffen sich eine Sphäre geistig-spirituellerFreiheit, in der es kein Tabu gibt, sondern alles ausgesprochen werden darf. Dabei decken sie Entfremdungen auf und machen sich daran, ihre eigene Seele wieder in Besitz zu nehmen, auf ihre inneren Kräfte zu vertrauen und auf ihre Gefühle und Intuitionen zu hören.
Kein Wunder, daß Frauen diese umfassende Befreiung als heilsam empfinden, da sie sich als Frauen, als ganze Menschen ernst genommen fühlen. Doch sollen sie abschließend selbst zu Wort kommen. Ich zitiere aus Gesprächsnotizen und Zuschriften:
»In meinem Theologie-Studium mußte ich mich mit Problemen und Gedanken herumschlagen, die nicht die meinen waren; aber die Probleme, die ich hatte, kamen nie vor. Ich glaubte schon, ich sei nicht ganz normal oder irgendwie unterbelichtet, daß ich diesen Denkgebäuden so fremd gegenüberstand und Schwierigkeiten hatte, sie in mich aufzunehmen. Mit der feministischen Theologie war das ganz anders. Hier fand
ich mich mit meinem Denken selbst wieder und erfuhr, wie normal ich bin...«
»...mir half die Lektüre feministisch-theologischer Bücher ... nach dem Lesen dieses Buches wurde ich immer konsequenter in meinen eigenen Argumentationen.«
»... wurde die Lektüre für mich zu einem noch nie zuvor erlebten und ganzheitlichen Erlebnis, zu einer Reise in die Wirklichkeit meines Unbewußten. Die Gedanken sprechen mich so lebendig an, sie machen mich lebendig, lassen mich lachen, weinen und aufschreien, erahnen und fürchten... Auf meinen stundenlangen Wanderungen durch die einsame blühende Bergwelt, beim Wiedererkennen des Gelesenen und der Auseinandersetzung mit meinen verdrängten unbewußten Bildern erlebe ich bereits jetzt schon freiwerdende körperliche Energien ... Und wenn ich dann noch den seelischen Kräftezuwachs, der sich bereits erahnen läßt, bedenke... ich möchte Berge versetzen!«
»... Schon damals war ich von Ihren Aussagen sehr betroffen und begeistert. Sie gaben mir auch jetzt... wichtige Impulse und nahmen die Last, >auf Irrwegen zu sein<, wie es die Pietisten hierzulande bezeichnen würden ... Im Elternhaus bis zum Überdruß mit pietistischen Sprüchen berieselt, habe ich den Glauben an Gott, die Wahrheit der Bibel über zwei Jahrzehnte meines Lebens hingeschmissen... hin und wieder etwas Bedürfnis zum Beten, etwas Nostalgie und eine gute Gelegenheit, während des Gottesdienstes zu meditieren. Ich hatte nur immer ein ungutes Gefühl, ein Gefühl, daß da irgend etwas nicht stimmte mit dieser >Männerbeterei<, an den >Großen Mann<, den sie >Herr< nennen. Oft blieben mir die Worte im Hals stecken, und ich passe einfach, manchmal habe ich auch das Gefühl, ich habe einen Kropf im Hals, voll falscher Worte. Ist dieser >Herr< wirklich wegen jeder Kleinigkeit beleidigt und zornig auf mich, bin ich wirklich von > Grund auf böse<? Das kann mein Gott nicht sein, der ist doch kein Spießer! Ich stieß auf Bücher ... In Gesprächen fand ich Frauen, die genauso wie ich das Gefühl hatten, wir halten es in der Männerkirche nicht mehr aus! Wir treffen uns regelmäßig zu feministisch-theologischen Gesprächen, die mir sehr guttun. In dieser Bewegung sind wir quasi untergetaucht, denn bei der Struktur unserer geistlichen Landschaft würden wir sicher morgen als Hexen deklariert.
Den Segen Gottes und der Göttin, die eins sind, wünsche ich Ihnen und grüße Sie...«
»... Es fällt mir schwer, mich von dem Buch zu trennen... habe ich mich nach den Minuten gesehnt, wenn ich lesen kann. Ich weiß gar nicht, was ich sagen kann. Was Du schreibst, war in mir, ohne daß ich es erklären und >beweisen< konnte. Von Seite zu Seite fühle ich mich bestätigt - und erlöst zugleich. Du hast nicht nur ein Buch zur feministischen Theologie geschrieben, es ist Seelsorge dabei - und Therapie; ich blühe selbst auf und kann es sofort in Gesprächen mit Frauen weitergeben. Allmählich fühle ich mich... auf einem neuen Weg...«
»Ich habe viele neue Anregungen in dem Buch... gefunden, fühlte mich in manchen eigenen Gedanken bestätigt und werde über vieles noch mehr lesen und nachdenken müssen. Ich freue mich schon jetzt auf ein Gespräch mit meiner Tochter über das Buch, denn es wird ihr sicher bei ihren Problemen mit der religiösen Sozialisation< ihrer kleinen Tochter helfen. Und wieder einmal tut es mir leid, daß meine Mutter, die sich mit vielen Fragen so gequält hat, nicht die Gelegenheit hatte, diese neue und befreite Sicht auf Jesus zu erfahren.«
Dies sind nur einige von vielen Stimmen, die zeigen, wie tiefgreifend die Folgen weiblicher Anteilnahme an feministischer Theologie sind. Sie machen aber auch deutlich, daß sich hier eine Erneuerung des christlichen Glaubens, nicht aber die Abkehr zu einem neuen - oder gar »heidnischen« - Glauben vollzieht. Frauen, die längst aus der Kirche ausgetreten waren, bewerben sich erneut um eine Mitgliedschaft, da sie in feministisch-theologischen Arbeitsgruppen eine neue geistige Heimat gefunden haben. Andere wiederum kaufen sich zum ersten Mal
in ihrem Leben eine Bibel, weil ihr Interesse angeregt wurde durch die Lektüre feministisch-theologischer Bücher. Es ist in der Tat, als begänne die Heilige Geistin erneut zu wehen. Zum Glück aber richtet sie sich nicht nach den Direktiven kirchlicher Dogmatiker, sondern sie weht, wo sie will...