Vorwort

Es gibt den analytischen Diskurs: spitzfindig, gekünstelt kompliziert, um Sie, den Nicht-Analytiker, zu verblüffen und auf Distanz zu halten... Es gibt den ferministischen Diskurs: farbig, bildhaft, sexualisiert, dazu da, um Sie einzubeziehen und verstehen zu lassen, selbst wenn Sie kein(e) Feminist(in) sind - oder gerade weil Sie es nicht sind ... Und es gibt jene, die sich weder in dem einen noch dem anderen wiedererkennen, weil sie auf jeden Fall extreme Positionen ablehnen. Für mich ist die Mitte entscheidend. Ich will mich nicht isolieren, wenn ich mich in den ersten Diskurs begebe, und Sie nicht überschwemmen, wenn ich den zweiten verwende. Ich möchte versuchen, die Sprache der Mitte zu sprechen, die sowohl das Gefühl als auch den Intellekt berücksichtigt: Frau und Analytikerin zu sein heißt, beide Extreme in sich zu tragen, sich nicht teilen zu lassen. Allzu lange habe ich nach »ihrer« Facon gelebt, mit »ihren« Worten, die ich nicht akzeptierte und die ich nicht verstand. Warum durften sie über mich reden, wenn ich doch über sie nichts sagte? Ich habe mir vorgenommen, von ihnen »auch« zu reden und sie meinerseits zu definieren, in einer mit Frauenworten und den Phantasmen einer Frau geschriebenen Theorie...
»Im Namen des Vaters« zu sprechen, lasse ich ihnen, das ist ihre Angelegenheit; an mir ist es, vom »Schatten der Mutter« zu sprechen. Meine Aufgabe ist es, im Diskurs der Übertragung den Anteil des »Mütterlichen« zu entdecken. Wenn die Psychoanalyse im Anfang aus der Sicht des Mannes geschrieben wurde, ist es dann nicht an der Zeit, sie aus der Sicht der Frau zu lesen? Wenn Freud fand, der Frau ermangele es an »Männlichkeit«, dann finden die Feministinnen, daß der Mann bar jeder »Weiblichkeit« ist. In einer Zeit, in der die Unterschiede zwischen Mann und Frau sich verringern, ist es notwendig, bis zum allerersten Diskurs zurückzugehen, denn vor der Übertragung gab es das »Transmütterliche«, [1] das, was von der Mutter zu uns kommt.
Es ist dieses Transmütterliche, das sich für die beiden Geschlechter als so grundlegend unterschiedlich erweist. Mit anderen Worten: Auf der Couch spricht jeder von seiner Mama. Aber wie? Was sagen wir unbewußt? Das sind die Fragen dieses Buches; sie ergeben sich aus der Geschichte, die mir als Psychoanalytikerin erzählt wird. Es ist eine Geschichte, die nicht immer mit dem übereinstimmt, was Freud uns berichtet hat. Er war ein Mann, und ich bin eine Frau, er lebte vor hundert Jahren, und ich lebe jetzt.

Arbeitsauskunft

Die Psychoanalyse in Frankreich arbeitet sehr viel mehr mit der Sprache, als dies in anderen Ländern der Fall ist. Sprache ist dort für die Psychoanalytiker nicht nur ein Medium, in dem sich unser Unbewußtes ausdrückt, was ja auch von Freud gesehen wurde, sondern der Umgang mit ihr ist offenbar zu einer »Schule« geworden.
Eine Abrechnung mit dieser Denkrichtung, mit ihrem Protagonisten Lacan und seinen Schülern, ist gewiß nicht das Anliegen der Autorin, obwohl dies bei dem erschreckenden Bild, das sich die Lacanianer von der Hälfte der Menschheit machen, nicht verwunderlich wäre. Es geht ihr um die Sicherung der späten Erkenntnisse Freuds, um deren Rettung vor seinen erzkonservativen Adepten und natürlich um die Entwicklung einer neuen Theorie.
Aber auch Christiane Oliviers Material kommt aus der Sprache, in der sich das Denken und Fühlen des Individuums wie der Gesamtgesellschaft ausdrückt. Ein Gedankenaustausch mit der Autorin bestätigt diese Sicht. Das vorliegende Buch ist daher reich an Metaphern und Wortspielen, die möglichst wortgetreu ins Deutsche übertragen wurden. Wenn dies erforderlich schien, wurde versucht, den Sinn durch Anmerkungen zu verdeutlichen. Ob alle diese Stellen in ihren Feinheiten erkannt wurden, bleibt offen. Im Einvernehmen mit der Autorin wurde bei der Übertragung einiger Passagen vom französischen Original abgewichen, um den Text für den deutschen Leser verständlicher zu machen. Die im Buch verwendete Literatur wurde in einer Bibliographie zusammengefaßt.
An dieser Stelle möchte ich der Biologin Frauke Eickhoff für kritisches Lesen bei der Übersetzung und der Psychologin Helge Fester-Waltzing für Hilfe und Ermutigung bei der Arbeit an diesem Buch und vor allem für die Beratung in psychologischen Fachfragen herzlich danken.

Siegfried Reinke

Texttyp

Vorwort