Die neue Frauenbewegung in der Bundesrepublik

Geschichte - Tendenzen - Perspektiven

Vorbemerkung

Im folgenden konzentriere ich mich auf die Entwicklungsgeschichte der neuen Frauenbewegung in der Bundesrepublik und ihre gesellschaftspolitischen Bedingungen. Auf die (miserable) Lage der Frauen werde ich nicht näher eingehen, sie ist an anderer Stelle ausführlich behandelt worden.[1] Die schon weit länger bestehenden gewerkschaftlichen Frauenaktivitäten sowie die Initiativen von Frauen in Stadtteilgruppen, sozialen Brennpunkten, (Tages)Mütter- und Elterninitiativen werden hier nicht berücksichtigt. Ideologische Positionen werde ich nur soweit reflektieren, wie es zum Verständnis der unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Frauenbewegung unerläßlich ist. Den Beiträgen soll im übrigen nicht vorgegriffen werden, weshalb ich auf eine Einbeziehung, Einschätzung oder gar Bewertung der in ihnen dargestellten Theorie und Praxis ausdrücklich verzichte.

A. Zu einigen Aspekten des internationalen Charakters der Frauenbewegung

»Neue« Frauenbewegungen gibt es seit gut einem Jahrzehnt in mittlerweile fast allen entwickelten kapitalistischen Ländern. Gemeinsam ist ihnen das Ziel: die Abschaffung der Unterdrückung der Frau. Gemeinsam ist ihnen auch, daß sie im Zusammenhang mit Bürgerrechts-, Emanzipations- und politischen Widerstandsbewegungen entstanden. In ihrer Organisationsstruktur, ihrem Feminismusverständnis, ihren Aktionsbündnissen und nicht zuletzt in ihrem politischen Gewicht unterscheiden sie sich aber erheblich voneinander. Dies hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen: mit den jeweiligen ökonomischen Verhältnissen und der kulturellen Tradition, welche die Lage der Frauen - d.h. den Grad ihrer Benachteiligung und Diskriminierung entscheidend beeinflussen; mit nationalen Besonderheiten wie der Stärke der Arbeiterbewegung und gewerkschaftlicher Kämpfe, mit der aktuellen politischen Situation, schließlich mit dem konkreten Anstoß, der die Bewegung ingangbrachte - all diese Faktoren wirken sich prägend auf das spezifische Profil der Frauenbewegung aus. Dazu einige wenige nur grob skizzierte Beispiele:

1. In Italien ist die doppelte Unterdrückung der Frau (im Haus und außer Haus) besonders krass. Die Erwerbstätigkeit von Frauen ist in den letzten 100 Jahren ständig zurückgegangen (der Anteil der weiblichen Beschäftigten liegt gegenwärtig nur noch bei ca. 16 Prozent[2]). Die traditionell sehr ausgeprägte Konditionierung der Frau, ihren Platz ausschließlich in der Familie zu sehen, findet ihre Entsprechung in dem sprichwörtlichen Machismo (»Männlichkeitswahn«) des italienischen Mannes. Verbreitet ist nach wie vor eine geradezu frühkapitalistisch anmutende Ausbeutung der Frauen durch Heimarbeit - bei der hohen Arbeitslosigkeit oft der für sie einzige materielle Ausweg. Hinzu kommt der übermächtige Einfluß der katholischen Kirche auf das Verhältnis zwischen den Geschlechtern, auf die Sexualität, die Frage der Abtreibung, auf Erziehung und Moral. Angesichts dieser Situation entstand - im Zusammenhang mit der studentischen Protestbewegung 1968 - eine starke feministische Bewegung. Unter dem Slogan »Das Persönliche ist öffentlich« griffen die Feministinnen Probleme wie Abtreibung, Vergewaltigung, die Unterdrückung der Frau in der Familie auf, also Themen, die üblicherweise dem Privatbereich zugeschoben wurden. Allerdings darf der italienische Feminismus keineswegs mit demjenigen z. B. in der Bundesrepublik verwechselt werden. Er definiert sich selbst »vorrangig als die Auseinandersetzung mit den individual-psychologischen Problemen der Frauen«.[3]Gleichzeitig gab und gibt es in Italien eine starke demokratische Frauenbewegung, die Union Italienischer Frauen (UDI), die im Widerstandskampf gegen den Faschismus entstand. Ihren ersten großen Kampf führte die UDI nach dem Krieg für das Frauenwahlrecht, das erst 1946 durchgesetzt wurde. Sie befaßt sich seitdem vor allem mit den Problemen der erwerbsttätigen Frauen - in Kampagnen für die Rechte der arbeitenden Frauen, für Lohngleichheit, gegen Frauenschwarzarbeit. Seit einiger Zeit setzt sie sich z. B. dafür ein, daß 50 Prozent der Ausbildungs- und Arbeitsplätze an Frauen vergeben werden.
Anfang der siebziger Jahre begann die große Mobilisierung der italienischen Frauen für eine neue Regelung der Schwangerschaftsunterbrechung, eine der ersten Kampagnen, in denen UDI und feministische Gruppen gemeinsam auftraten. Heute gibt es nicht nur in den großen Städten, sondern auch in der Provinz außer den Sitzen der UDI fast überall sog. »feministische Kollektive«. Meist losgelöst von Parteien, verstehen sie sich aber der italienischen Linken zugehörig, »selbst wenn sie die >männliche< Führung von Gewerkschaften und Parteien kritisieren. Auch innerhalb der linken Parteien und der Gewerkschaft nimmt das Gewicht der Frauen zu«. Und in »vielen Bereichen wächst die Zusammenarbeit zwischen der UDI und den feministischen Gruppen«, so daß »immer mehr Aktionseinheiten möglich sind«,[4] zumal auch die Feministinnen inzwischen die Berufstätigkeit und einen Arbeitsplatz als wichtige Voraussetzung der Emanzipation anerkennen. Der intensive Dialog zwischen Feministinnen und Kommunisten zeigt darüber hinaus, daß der italienische Feminismus »auf keinen Fall gegen die Arbeiterbewegung gerichtet« ist. »Beispielsweise lautet ein Transparent der Feministinnen vom 8. März >Feminismus ist kein Separatismus, sondern Massenkampf für den Kommunismus<«.[5]
So ist es zu verstehen, daß die italienische Frauenbewegung zu einem großen politischen Faktor geworden ist, ohne den z. B. die Legalisierung der Abtreibung im Juni 1978 kaum durchzusetzen gewesen wäre.

2. Auch in England gibt es Kontakte und Bündnisse zwischen der feministischen Frauenbewegung und der Arbeiterklasse. Interessant ist, daß die neue Freuenbewegung in England, die ebenso wie die italienische ihren Aufschwung im Zusammenhang mit den Bürgerrechts- und Jugendbewegungen Ende der sechziger Jahre nahm, den entscheidenden Impuls durch einen Arbeiterinnenstreik im Mai 1968 erhielt. Es ging um Lohngleichheit. Innerhalb kurzer Zeit begannen Frauen, sich in Gruppen innerhalb und außerhalb der politischen Parteien zu organisieren. »Im Mai 1968 versammelten sich bei strömendem Regen mehr als 1000 Frauen auf dem Trafalgar Square zu einer ersten großen nationalen Kundgebung für Lohngleichheit. Bald gab es in jeder größeren Stadt eine oder mehrere Frauengruppen, die nach Herkunft und Interesse unterschiedlich - ein breites politisches Spektrum abdeckten und auch inhaltlich mit unterschiedlichen Schwerpunkten arbeiteten«.[6]
1970 wurde ein »nationales Koordinierungskomitee« gegründet, um trotz der inhaltlichen Vielfalt der Gruppen nach außen einheitlich auftreten zu können. »Auf diese Weise ist es den Frauen gelungen, die Alternative Feminismus oder Sozialismus< und die damit verbundene Zersplitterung der Bewegung zu vermeiden.« So kamen in den letzten Jahren wichtige gemeinsame Kampagnen zustande, deren Forderungen nicht nur »die lange Tradition der Arbeiterbewegung und der gewerkschaftlichen Kämpfe als ein prägendes Element«[7] widerspiegeln, sondern auch zeigen, daß die Verbindung zu den erwerbstätigen Frauen von Anfang an nicht aus den Augen verloren wurde.

Die Hauptforderungen der Bewegung lauteten:

  1. gleiche Entlohnung,
  2. gleiche Ausbildung und Chancengleichheit,
  3. 24-StundenKrippen (ganztägige Kinderbetreuung),
  4. kostenloser Zugang zu Empfängnisverhütungsmitteln und Abtreibung auf Wunsch.[8]

Auf der Basis einer breiten Zusammenarbeit zwischen den autonomen feministisch, liberal oder sozialistisch orientierten Frauengruppen und neuentstandenen Frauengruppen in Gewerkschaften und Parteien wurde es möglich, die »Working Women's Charter« zustandezubringen, die ein unabdingbares Recht der Frauen auf Arbeit postuliert, oder Gesetze wie z. B. den »Equal Pay Act« (Gesetz zur Lohngleichheit) oder den »Sex Discrimination Act«.[9]
Vielleicht noch entscheidender ist, daß die Frauenbewegung zur Politisierung gerade vieler Frauen aus dem Mittelstand beigetragen und auch eine tiefgreifende Wirkung innerhalb der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung hat. Sie wurde »ein potentieller mächtiger Verbündeter im Kampf für den Sozialismus«, schreibt die marxistisch orientierte Feministin Judith Hunt, und sie vertritt die Auffassung, daß »die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der Aktionseinheit in allen Fragen, die die Frauen berühren, ... darüber entscheiden (wird), ob die Bewegung weiterbesteht«[10]

3. Auch in Dänemark gibt es eine punktuelle Zusammenarbeit zwischen Arbeiterinnen und Feministinnen, und es sei hervorgehoben, daß »aufgrund der politischen und ökonomischen Entwicklung der letzten Jahre immer mehr Feministinnen die Notwendigkeit (sehen), die Frauenfrage mit einer sozialistischen Perspektive zu verbinden«.[11] Die Verbindung zwischen Feminismus und Klassenkampf beschäftigt besonders auch die holländische Frauenbewegung, die sich als Teil einer linken Bewegung versteht, in der Feministinnen als spezifische Aufgabe die Agitation der Frau übernehmen. Im holländischen Feminismus-Verständnis gibt es keinen unversöhnlichen Gegensatz zwischen Feminismus und Sozialismus, und die autonomen Frauengruppen lehnen die Zusammenarbeit mit fortschrittlichen politischen Institutionen und Parteien auch nicht ab (beides ist für die Mehrheit feministischer Gruppen in der BRD gerade kennzeichnend). Anja Meulenbelt, eine der bekanntesten holländischen Feministinnen, formulierte: »Die Frauenbewegung strebt nicht nach einem anderen Ziel als der Sozialismus, im Gegenteil, sie breitet den Kampf aus auf Gebiete, die zu sehr am Rande geblieben sind: die Familie, die Reproduktionssphäre und die menschlichen Verhältnisse«.[12]

Auf das lebendige Spektrum der französischen Frauenbewegung kann hier aus Platzgründen nur kurz eingegangen werden. Neben der feministischen Frauenbefreiungsbewegung Mouvement de la Libertation de la Femme (MLF), der von Simone de Beauvoir mitgegründeten Organisation Choisir und der liberal-feministisch getönten Emanzipationsgruppe Evolution für eine gute Politik des Lebens existiert eine sehr breite demokratische Frauenbewegung, die Union des Femmes Francaises (UFF), 1945 aus dem antifaschistischen Widerstand (wie auch in Italien) hervorgegangen. Sie zählt heute 125 000 Mitglieder und ist mit 3500 Komitees in allen Departements, in Gemeinden, kleinen und großen Städten vertreten. Die Zeitschrift der UFF, Heures Claires (»Klare Stunden«), hat eine hohe Auflage und nimmt sich neben (frauen)politischen Themen auch der alltäglichen Probleme aus dem individual-psychologischen Bereich an. Hinzu kommen in Frankreich eine starke sozialistische und kommunistische Partei, die intensive Agitation der sozialistisch bzw. kommunistisch orientierten Gewerkschaften, nicht zuletzt die Politisierung der Arbeitskämpfe seit dem Mai '68, die sämtlich großen Einfluß auch auf das Selbstbewußtsein der Arbeiterinnen und ihre Organisierung für die Sache der Frauen gehabt haben.[14] Die MLF-Frauen wiederum ließen es sich nicht nehmen, Kontakte mit Arbeiterinnen zu knüpfen und ihre Streikaktionen zu unterstützen.[15]

4. Die Frauenbewegung in den USA unterscheidet sich gerade in dieser Hinsicht beachtlich von ihren (wie wir sehen werden, nicht allen) europäischen Schwestern. »Ein Dialog zwischen den Feministinnen, den kleinen Arbeiterparteien und der sehr zersplitterten neuen Linken in den USA ist so gut wie nicht vorhanden. Statt das Verbindende der feministischen und sozialistischen Positionen zu suchen, versucht man sich fleißig voneinander abzusetzen. Die amerikanische KP hat sich bis heute in keinerlei frauenspezifischen Kampagnen engagiert und sich der Zielgruppe Frau auch nicht besonders angenommen«.[16]
Die neue amerikanische Frauenbewegung, im Anschluß an die Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre entstanden, fand ihren ersten organisatorischen Ausdruck in der von Betty Friedan (»Der Weiblichkeitswahn«) gegründeten National Organisation of Woman (NOW), die zunächst nur die etablierten, nicht mehr ganz jungen Frauen der »upper mittle class« erfaßte und auch viele männliche Mitglieder hatte. Der Jeanett-Rankin-Brigade-Marsch gegen den Vietnamkrieg im November 1967 war das erste Zeichen einer sich bildenden radikalen Women´s Liberation Movement. Im Zusammenhang mit der studentischen Protestbewegung entwickelten sich »seit 1968 viele autonome Frauengruppen, die auf oft spektakuläre Weise Diskriminierungen der Frauen anprangerten und darauf hinwiesen, daß es das männliche Herrschaftssystem sei, die Unterdrückungsmechanismen des Patriarchats, die an der miserablen Lage der Frauen in den USA schuld seien«.[17] Diese neue Bewegung rekrutierte sich besonders aus den »proletarisierten« Mittelschichtfrauen, Studentinnen und nach und nach auch einzelnen schwarzen Frauen. Die »miserable Lage« der Frauen, veranschaulicht in einigen Daten und Zahlen:
Seit Mitte der sechziger Jahre begann die lange Phase der Hochkonjunktur zu bröckeln. 1974/75 hatten die USA die tiefste Depression seit der Krise in den 30er Jahren. Die Arbeitslosigkeit stieg auf ungefähr 10 Prozent.[18] »Einige Rechte, die sich die Frauen in den 60er Jahren erkämpft hatten, wie bezahlter Schwangerschaftsurlaub, Beförderungsmöglichkeiten, gleitende Arbeitszeit, wurden rückgängig gemacht«,[19] und von Arbeitslosigkeit waren Frauen überproportional betroffen. Obwohl Frauen 1970 35 Prozent aller Arbeitenden ausmachten (zwischen 1940 und 1965 stieg die Anzahl der Arbeiterinnen mit Kindern unter 18 Jahren um 600%), wurden Kindergärten und Kinderkrippen kaum ausgebaut. 1966 waren nur 2 Prozent der Kinder berufstätiger Mütter in öffentlichen Institutionen untergebracht. Im März 1972 gab es 4,4 Millionen arbeitende Frauen mit Kindern unter 6 Jahren. Platz war nur für etwa 905 000 Kinder.[20]
In dieser Situation nun gingen die radikalen Feministinnen der USA, »die gegenüber sozialistischen Feministinnen - auch aufgrund der fehlenden linkspolitischen Tradition - in der Überzahl sind«,[21] daran, die Gesamtgesellschaft in zwei sich bekämpfende Geschlechtsgruppen, Männer und Frauen, einzuteilen. Dabei bedienten sie sich insbesondere der Ideen und Aktionsformen des radikaleren und militanteren Teils der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung:

»Als äußeres Symbol ihres Kampfes übernahmen die Frauen von den sich auflehnenden Minderheiten die geballte Faust. Sie setzten sie in das Weiblichkeitszeichen, um damit das Spezifikum ihrer Bewegung deutlich zu machen. Von der Black-PowerBewegung übernahmen die radikalfeministischen Frauen Elemente des kulturellen Nationalismus, die sie geschlechtsspezifisch umformulierten. Diese sind u.a. 
- Man muß sich auf die eigene Gruppe/Rasse/Geschlecht konzentrieren.
- Man muß sich aus der Abhängigkeit von Weißen/Männern lösen.
- Man muß ein eigenes Bewußtsein, eine eigene Identität entwickeln.
- Eine kulturelle Revolution muß der politischen Revolution vorausgehen, d. h. man muß erst jenes schwarze/weibliche Bewußtsein hergestellt haben, um dann an die Bewältigung der im engeren Sinne politischen Aufgaben gehen zu können.
- Zur Verwirklichung einer schwarzen/weiblichen Kulturrevolution werden u.a. ... Maßnahmen ergriffen wie ... Black Studies/Women-Studies« usf.

»Der von den radikalen Feministinnen geforderten weiblichen Kultur< liegt nichts anderes zugrunde als die zur Women-Power umformulierte Black-Power-Ideologie«.[22]

Die radikale Frauen-Macht-Ideologie provozierte prompt ihre reaktionäre Umkehrung: die »Pussy-Power«, die sich in Frauengruppen mit Namen wie z.B. »Glück der Fraulichkeit« artikuliert. Die konservative Hausfrau Phyllis Schlafly, 52jährige Mutter von 6 Kindern in Alton/Illinois, gründete die »Stop-ERA«-Organisation, mit der sie die Aufnahme des Gleichheitsgrundsatzes in die US-Verfassung verhindern will.[23] Unterstützt wird sie u.a. von der Liga der Hausfrauen und den katholischen Frauenverbänden.
Wir werden sehen, welchen außerordentlichen Einfluß gerade die radikalfeministisch geprägte Frauenbewegung in den USA auf die sich entwickelnde Frauenbewegung in der BRD hatte.

5. Als letztes Beispiel sei Portugal kurz angeführt, das bisher keine nennenswerte feministische Frauenbewegung kennt, wohl aber eine starke demokratische Frauenbewegung, die Movimento Democratico das Mulheres (MDM), die 1968 entstand. Die MDM fühlt sich insbesondere dem politischen Kampf um die Zukunft ihres Landes und damit auch der Frauen stark verbunden und nahm seit der portugiesischen Revolution vom 25. April (1974) großen Aufschwung. Noch ein anderes Moment kommt hinzu: das besonders krasse materielle Elend:
»So ist in Portugal, im Gegensatz zu hochindustrialisierten europäischen Ländern wie der BRD, der Ausgangspunkt für engagierte Frauen die ökonomische Unterdrückung. Erst allmählich, aufgrund der neuen Situation, in die der Kampf gegen ökonomische Unterdrückung, der Kampf für bessere Wohnungen, Kindergärten u.a. die Frauen stellt, entwickelt sich das Bewußtsein für die ideologische und sexuelle Unterdrückung und dafür, daß sie bekämpft werden kann«.[24]
Deutlich wird an diesen Beispielen, daß die Tatsache der Frauenunterdrückung allein nicht ausreicht, das Entstehen einer Frauenbewegung, gar noch einer spezifisch orientierten, zu erklären, sondern nur im gesamtgesellschaftlichen Kontext (eingeschlossen internationale Einflüsse) verstehbar wird. Dies zu betonen ist notwendig, weil gerade bei der Frauenbewegung in der Bundesrepublik solche Zusammenhänge häufig beiseitegeschoben, nicht gesehen oder gar geleugnet werden — was nicht zuletzt dazu beiträgt, auch die gesellschaftlichen Ursachen der Frauenseminare aus dem Blick zu bringen.

B. Beginn der neuen Frauenbewegung in der Bundesrepublik

Auch die neue Frauenbewegung in der Bundesrepublik entstand Ende der 60er Jahre im Zusammenhang mit der Studentenbewegung, hinkte aber auffällig hinter der Entwicklung und Ausbreitung von Frauenbewegungen in anderen Ländern wie z.B. Italien, England, Frankreich und den USA her.

1. Der Aktionsrat zur Befreiung der Frau

Den Anfang machte der Aktionsrat zur Befreiung der Frau, gegründet von 7 Frauen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) im Januar 1968 in Westberlin - sicherlich nicht zufällig hier, wo die Studentenbewegung von Beginn an eine Vorreiterrolle gespielt hatte und in der Diskussion über ihr Ziel, nämlich eine »antiautoritäre« Gesellschaft »gegen das weltweite Netz der organisierten Repression« (Dutschke) zu erkämpfen, am weitesten fortgeschritten war. »Aus der Erkenntnis heraus, daß sich autoritäre Verhaltensstrukturen selbst innerhalb der Reihen derjenigen abzeichneten, die sie doch weltweit bekämpfen wollten«[25] oder, anders ausgedrückt: aus der Erfahrung, daß die Genossen ihre männlichen Privilegien zu Hause wie bei der politischen Arbeit hartnäckig behaupteten, entschlossen sich die Frauen, einen Arbeitskreis zu gründen, in dem Männer nicht mitarbeiten durften. Es ging vor allem um die »Kinderfrage«. Frustriert darüber, daß sie es waren, die zu Hause die Kinder hüteten, während die Männer demonstrieren gingen, standen im Vordergrund ihrer Diskussion die »Erarbeitung revolutionärer Erziehungsmethoden« und die »Schaffung eines emanzipatorischen Gegenmodells«, das nicht nur zum Kampf gegen die Institutionen benutzt werden, sondern vor allem auch die Isolation der Frauen mit Kindern beenden, ihre Teilnahme an der politischen Arbeit ermöglichen und darüber ihren politischen Bewußtwerdungsprozeß einleiten sollte.[26]
Einen Monat später, im Februar 1968, beim Vietnam-Kongreß in der Technischen Universität, blieben die Frauen nicht mehr zu Hause - sie brachten ihre Kinder einfach mit. In der Vorhalle des Hörsaals spielten 40 Kinder, abwechselnd betreut von ihren Eltern und den Mitgliedern des Aktionsrates. Das war die Geburtsstunde der Berliner Kinderläden, die sich nach dem Kongreß in allen Stadtteilen rasch ausbreiteten. Doch der Versuch des Aktionsrates, über die Gründung von Kinderläden ihre benachteiligte Situation aufzuheben, scheiterte. Glaubten die Frauen zunächst noch, »daß durch die gemeinsame Erziehung die Arbeit weniger würde und die Frauen dadurch entlastet werden könnten, um selbst, wie ihre  Männer, politisch arbeiten zu können, so zeigte sich schon bald, daß der notwendige Arbeitsaufwand, in der Aufbauphase der Kinderläden, die meisten absorbierte und die politische Arbeit wieder in den Hintergrund rückte«.[27]
Als sich im August 1968 der Zentralrat der Sozialistischen Kinderläden West-Berlin konstituierte, kam es zu schweren theoretischen Auseinandersetzungen zwischen Aktionsrat und Zentralrat.[28] Die Spannungen entluden sich im September 1968 in Frankfurt auf der 23. Delegiertenkonferenz des SDS, bei der eine Vertreterin des Aktionsrates engagiert um das Verständnis der Genossen für die besondere Unterdrükkung der Frauen warb:
»... Wir sprechen hier, weil wir wissen, daß wir unsere Arbeit nur in Verbindung mit anderen progressiven Organisationen leisten können und dazu zählt unserer Meinung nach nur der SDS.
Die Zusammenarbeit hat jedoch zur Voraussetzung, daß der Verband die spezifische Problematik der Frauen begreift ... Wir stellen fest, daß der SDS innerhalb seiner Organisation ein Spiegelbild gesamtgesellschaftlicher Verhältnisse ist. Dabei macht man Anstrengungen, alles zu vermeiden, was zur Artikulierung dieses Konflikts zwischen Anspruch und Wirklichkeit beitragen könnte, da dies eine Neuorientierung der SDS-Politik zur Folge haben müßte. Diese Artikulierung wird auf einfache Weise vermieden. Nämlich dadurch, daß man einen bestimmten Bereich des Lebens vom gesellschaftlichen abtrennt und ihm den Namen Privatleben gibt ... Diese Tabuisierung hat zur Folge, daß das spezifische Ausbeutungsvcrhältnis, unter dem die Frauen stehen, verdrängt wird, wodurch gewährleistet wird, daß die Männer ihre alte, durch das Patriarchat gewonnene Identität noch nicht aufgeben müssen ... Heute nehmen sie uns übel, daß wir uns zurückgezogen haben, sie versuchen uns zu beweisen, daß wir überhaupt ganz falsche Theorien haben, sie versuchen, uns unterzujubeln, daß wir behaupten, Frauen brauchen zu ihrer Emanzipation keine Männer und all den Schwachsinn, den wir nie behauptet haben. Sie pochen darauf, daß auch sie unterdrückt sind, was wir ja wissen. Wir sehen nur nicht mehr ein, daß wir ihre Unterdrückung, mit der sie uns unterdrücken, wehrlos hinnehmen sollen. Eben weil wir der Meinung sind, daß Emanzipation nur gesamtgesellschaftlich möglich ist, sind wir ja hier«.[29]
Wohl in dem Gefühl, daß Reden allein nicht mehr half, bewarf eine Leidensgefährtin aus dem Aktionsrat die »Autoritäten« mit den berühmt gewordenen Tomaten. Sie sind in die Geschichte eingegangen als »erste Ankündigung einer neuen deutschen Frauenbewegung« - und in der Tat entstanden nach dieser spektakulären Aktion auch außerhalb von West-Berlin in einigen Städten der Bundesrepublik Frauengruppen.
Wenn auch die »Theorielosigkeit« des Aktionsrates in seiner ganzen Hilflosigkeit unverkennbar ist, so ist es doch wichtig, »sich in Erinnerung zu rufen, welche Position damals angelegt war und was davon heute noch in den bestehenden Frauengruppen zu finden ist«.[30] Für die Frauen des Aktionsrates war die persönliche Situation der Ausgangspunkt - wie in der antiautoritären Bewegung überhaupt -, von der die politische Praxis und Theorie abgeleitet werden sollte. Sie wurde aber keineswegs zum Programm verabsolutiert, sondern in einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang gesehen, wobei die »persönliche Situation« durchaus noch differenziert wurde: »(Das) heißt nicht, daß wir nicht trotz der gemeinsamen Merkmale aller Frauen in der Unterdrückung die klassenspezifischen Unterdrückungsmechanismen übersehen«.[31] Den Vorwurf der Genossen, »Frauen brauchen zu ihrer Emanzipation keine Männer«, wiesen sie dagegen als »Schwachsinn« zurück. Von nun an konzentrierten sich die Frauen des Aktionsrates darauf, eine Theorie ihrer Unterdrückung auch ohne die Männer, die sich uninteressiert zeigten, zustandezubringen. Unter dem Titel: „Bekanntmachung des Aktionsrates zur Befreiung der Frauen - Gruppe: Gegen das Alte und für das Neue: Ffrauen gemeinsam sind stark!« veröffentlichten sie im Oktober 1969 in der Rote Presse Korrespondenz ein »Aktionsprogramm«, dessen theoretischer Kern darin bestand, daß »Familie und Sozialismus unvereinbar« seien, »wenn die Emanzipation der Frauen keine Farce bleiben soll!«[32] Wie aber eine konkrete Befreiungsstrategie für die in der kapitalistischen Gesellschaft der Bundesrepublik lebenden Frauen aussehen sollte und könnte, stand nicht in dem Programm. Programmiert war statt dessen, mangels spürbarer Resonanz, der politische Bankrott des Aktionsrates.

2. Der Weiberrat

Der Frankfurter Weiberrat, der ebenfalls aus dem SDS hervorging, bildete sich im November 1968 und trat mit diesem Namen zum erstenmal bei der 24. Delegiertenkonferenz des SDS auf, bei der die Genossinnen ihrer Wut in einem Flugblatt Ausdruck verliehen, das mit dem fettgedruckten Satz endet: »Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen!«[33] Da dieser ohnmächtige Zornausbruch das einzige ist, was dieser erste Weiberrat zustandebrachte, soll hier nicht näher auf ihn eingegangen werden. Schon bald tauchten in der immer größer werdenden Frauengruppe große Probleme auf, die sich insbesondere in Konkurrenz- und Autoritätskonflikten äußerten, so daß sich der Weiberrat noch im Wintersemester 1968/69 wieder auflöste.

3. Einschätzung

Es ist wichtig, sich klarzumachen, daß sich diese ersten Organisationsversuche autonomer Frauengruppen an den Universitäten sozusagen in vollständiger gesellschaftlicher Isolation abspielten:
Erstens wurden sie wenig beachtet und ernstgenommen von den Organisationen der Studentenbewegung.
Zweitens waren sie in ihrem (antiautoritär-sozialistischen) Selbstverständnis und der Artikulation von Interessen intellektueller Frauen - Zerschlagung der Familie, »Revolutionierung« der Erziehung - weit entfernt von der Lebenssituation der Mehrheit der Frauen in der BRD (Hausfrauen/doppelt belastete erwerbstätige Frauen).
Drittens hatten sie mit ihrer für die antiautoritäre Ideologie und ihre kleinbürgerliche Herkunft typischen Organisationsfeindlichkeit, mit der »studentenbewegten« Verachtung der Gewerkschaft, sämtlicher Parteien oder institutioneller Zusammenschlüsse keine Chance, irgendwo Verbündete zu finden.
Das von der Springerpresse geschürte Klima des Studentenhasses und die von ihr millionenfach betriebene Verteufelung der Kinderläden traf die politisch arbeitenden Studentinnen doppelt, widersetzten sie sich doch zusätzlich dem zu der Zeit noch ausgeprägteren weiblichen Rollenklischee. Hinzu kam die allgemeine politische Apathie durch die Große Koalition (seit 1966 unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, CDU) und das Stillhalten der Gewerkschaften gegenüber der sozialdemokratischen Regierungsbeteiligung; ein gründlich verinnerlichter, aber unbewußt gebliebener Antikommunismus (zur Zeit des KPD-Verbots waren die antiautoritären Studenten noch Kinder); und nicht zuletzt das Nicht-Vorhandensein einer aus antifaschistischem Widerstand geborenen demokratischen Frauenbewegung (wie etwa in Italien und Frankreich). Solche Vorläufer hatte es in den fünfziger Jahren durchaus gegeben - sie waren aber im Bewußtsein der jungen Frauen erfolgreich ausradiert worden:
Zum Beispiel der Demokratische Frauenbund Deutschlands (DFD), gegründet 1950; die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung (WFFB), hervorgegangen aus einem Frauenfriedenskongreß im Oktober 1951; oder die maßgebliche Beteiligung von Frauen in den fortschrittlichen Bewegungen der 40er, 50er und 60er Jahre - gegen die Wiederaufrüstung, für den Stockholmer Friedensappell, gegen den Atomtod, die Ostermärsche, die Anti-Notstandsgesetz-Bewegung.
So mußte der DFD noch für ein Gesetz kämpfen, das den Frauen ihre rechtliche Gleichberechtigung entsprechend dem Grundgesetz überhaupt erst sicherte. 1954, nach einer Frauenkonferenz in Köln, legte der Frauenbund den Fraktionen des Bundestages und der Öffentlichkeit einen entsprechenden Gesetzentwurf vor - aber erst im Juni 1957 trat dann ein »Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts« in Kraft, mit der-christdemokratisch gesehen-so »gleichberechtigten« Präambel: »Es gehört zu den Funktionen des Mannes, daß er grundsätzlich der Erhalter und Ernährer der Familie ist, während die Frau es als ihre vornehmste Aufgabe ansehen muß, das Herz der Familie zu sein« (Hervorhebung d. V.).

Kein Wunder, daß die Aktivitäten der Frauen im DFD der damaligen Regierung schon zuviel waren - er wurde am 10. März 1957 verboten!
Doch solche traurigen Daten, die den Kampf der Frauen um ihre Rechte zutiefst behinderten, tauchen bis heute in keinem feministischen Frauenkalender auf —weil sie absichtsvoll verschüttet wurden. Und in dieser Hinsicht ging es den frauenbewegten Studentinnen nicht anders als der APO-Bewegung insgesamt, die nichts wußte von einer existierenden, aber unterdrückten Arbeiterbewegung, ganz zu schweigen von den 10 000 eingesperrten kommunistischen Arbeitern und Angestellten, Männern und Frauen in den Gefängnissen der Adenauer-Ära. Wissen wir es heute?

C. Erste Umbruchphase und der Beginn der 218-Kampagne

Ende 1969/70 folgte den ersten studentischen, antiautoritär-sozialistisch orientierten Versuchen autonomer Frauenorganisation, die eine von der gesellschaftlichen Wirklichkeit und den politischen Verhältnissen abgeleitete Theorie und Praxis nicht zu entwickel n vermochte n und daher weitgehend handlungsunfähig blieben, eine Umbruchphase:
- beim Westberliner Aktionsrat mit der Erklärung »Für eine Politisierung des Aktionsrates zur Befreiung der Frau - >Zur Frauenemanzipation<«
- in Frankfurt mit der Neukonstituierung des Weiberrates 1970.
Zeitlich fiel dies ziemlich exakt zusammen mit dem Ende der antiautoritären Studentenbewegung überhaupt; mit einer spontanen Streikbewegung, wie es sie seit vielen Jahren in der BRD nicht mehr gegeben hatte (die sog. »Septemberstreiks« 1969); mit dem Regierungsantritt der sozial-liberalen Koalition und mit der Verabschiedung des DGB-Programms für Arbeitnehmerinnen. Von Anfang an waren zwei Tendenzen sichtbar: Während den einen durch die politischen Ereignisse ihre Entfernung von der Realität und im besonderen von der Arbeiterklasse bewußt wurde und die daraus gezogene Konsequenz für sie hieß: »Hinwendung zum wissenschaftlichen Sozialismus« und »Studium des Marxismus-Leninismus«,[34] hielten die anderen an der persönlichen Erfahrungsebene fest, allerdings nach wie vor mit dem Anspruch, diese mit einer allgemein-politischen Analyse zu verbinden. Das Wort »Feminismus« war noch nicht gefallen.

1. Vom Aktionsrat zur Befreiung der Frau zum Sozialistischen Frauenbund Westberlin[35]

Am 17. Oktober 1969 erschien in der Rote Presse Korrespondenz die bereits erwähnte Erklärung einiger »Genossinnen aus dem Aktionsrat«, mit der eine neue Positionsbestimmung versucht wurde. Darin heißt es u.a.
»Die bürgerliche Reduktion des politischen Kampfes der linken Frauen auf den Sektor Kind und Familie kann eine Änderung allenfalls für wenige Individuen zur Folge haben ... Zum Beispiel wird eine Analyse der ökonomischen Benachteiligung der geschlechtsspezifischen Rollenerwartung und der daraus resultierenden und sie perpetuierenden Arbeitsteilung notwendig.«
Im folgenden wird begründet, warum die bisherige Forderung des Aktionsrates nach »Aufhebung der Familie« falsch - weil »unmaterialistisch« war, weil nämlich erst der »Grundwiderspruch von Lohnarbeit und Kapital« sie zu dem gemacht habe, was sie in dieser Gesellschaft ist. »Das heißt nicht«, betonen die AKTIONSRAT-Frauen aber, »daß mit der Aufhebung dieses Widerspruchs automatisch die Unterdrückung der Frau aufgehoben ist, sondern daß die Aufhebung dieses Grundwiderspruchs erst die Bedingung der Möglichkeit der Emanzipation des Menschen schafft«. Daraus ziehen sie die Konsequenz, daß zusätzlich »zu der Funktion der Arbeitsentlastung durch Selbsthilfe (Kinderläden) und vor allem der bürgerlichen Emanzipation, d.h. der Möglichkeit zu diskutieren, Probleme zu artikulieren, Selbstbewußtsein und Solidarität herzustellen und uns zu theoretischer und praktischer Arbeit motivieren ... im Aktionsrat unser vages Bewußtsein von Unterdrückung in ein politisches Bewußtsein« umgewandelt werden muß, »um politische Arbeit leisten zu können«. Jutta Menschik schreibt:
»Nach Erscheinen dieser Erklärung wurde beschlossen, daß alle Frauen des >Aktionsrates< in Schulungsgruppen zusammenarbeiten sollten, um sich durch die Aneignung der wesentlichen Elemente des wissenschaftlichen Sozialismus die Voraussetzung zu schaffen, frauenspezifische Probleme fundiert zu analysieren. Solidarität sollte sich nicht mehr in erster Linie über den Erfahrungsaustausch persönlicher Probleme, sondern während der eigentlichen Arbeit entwickeln. Im Mai 1970 erschien Nummer 1 der Zeitschrift Pehigea (so genannt nach Brechts >Die Mutter<: Pelagea Wlassowa), in der erste Ergebnisse dieser Arbeit vorgelegt und die nächsten Aufgaben bestimmt wurden«.[36]
Dieser Entwicklungsprozeß des Aktionsrates fand im Dezember 1970 seinen Abschluß in der Umbenennung in Sozialistischer Frauenbund Westberlin (SFB). Jutta Menschik betont zwei Momente, die dem SFB gelungen seien:

  1. »die Schaffung einer autonomen Organisation für Frauen, in der diese ungehindert von Leistungsdruck und Konkurrenzangst gegenüber den Männern ihre politische Ausbildung und Artikulierung erarbeiten können;
  2. die bewußtseinsmäßige Aufhebung des scheinbaren Gegensatzes zwischen Männern und Frauen, zugunsten der Erkenntnis des Existierens herrschender und beherrschter Klassen«.[37]

Und so fügte der SFB der Parole des Aktionsrates »Frauen gemeinsam sind stark!« die Parole hinzu: »Frauen und Männer sind stärker!« Die Geschichte des SFB zeigt, daß der vom Frauenbund zunächst gewählte Ansatz, an die Probleme heranzugehen, und die daraus allmählich entwickelte Strategie, Frauenunterdrückung konkret durch gemeinsames Handeln zu bekämpfen, offensichtlich erfolgreich war: die Frauengruppe SFB gibt es noch immer, sie hat bis heute unbeirrt weitergearbeitet und ihre Positionen insbesondere in der Frage der autonomen Organisierung von Frauen, wie sie noch Menschik definierte - weiterentwickelt;[38] die Schulungsgruppen (sie heißen jetzt »Arbeitsgruppen«, z.Zt. zu Themen wie Bildung und Ausbildung, Berufstätigkeit, Gewerkschaft, psychische Folgen von Frauenarbeitslosigkeit, Familie) bestehen nach wie vor als ein Teil der Arbeit, und es existiert eine verbindliche Organisationsstruktur; auch Pelagea, das Publikationsorgan der Gruppe, erscheint noch immer, 4-mal im Jahr, inzwischen mit verändertem »Gesicht«; und die Gruppe hat von Anfang an mit anderen autonomen (»feministisch« orientierten) Frauengruppen zusammengearbeitet, mit Frauen in der SPD und FDP, in der Gewerkschaft, der Humanistischen Union und in der Kirche. Bei der 218-Kampagne hat sie daher nicht zufällig eine wesentliche mobilisierende Rolle gespielt. Über ihre Kampagne gegen Frauenarbeitslosigkeit 1978 und ihr Selbstverständnis als Frauengruppe schreiben SFB-Frauen in Kapitel I.

2. Vom Weiberrat zum Frauenzentrum[39]

Im Frühjahr 1970, gut ein Jahr nach seiner Auflösung, konstituierte sich der Frankfurter Weiberrat neu. Die Initiative ging von ca. 14 Frauen aus, »diesmal nicht im Rahmen einer größeren Organisation (der SDS hatte sich aufgelöst) und diesmal auch nicht ausschließlich von Studentinnen. Von Anfang an bestand die Gruppe zu etwa einer Hälfte aus Berufstätigen und Hausfrauen, zur anderen Hälfte aus Studentinnen. Allerdings standen alle Frauen aufgrund ihrer eigenen Geschichte oder über ihren Mann bzw. Bekanntenkreis mit der Studentenbewegung in Verbindung«.[40]
Auch im Weiberrat lasen die Frauen zunächst in kleinen Gruppen »die wenigen Frauentexte ..., die es damals schon auf dem Buchmarkt gab: Simone de Beauvoir, Betty Friedan, Friedrich Engels, Clara Zetkin (alles »Klassiker«) und ein paar Aufsätze« (S. 19).

Schon im Sommer 1970 entstanden Konflikte aus »der Erkenntnis, daß es nicht das Ziel eines sozialistischen Weiberrates sein kann, daß jede zu jeder etwas freundlicher und verständnisvoller sein wird, sondern, daß die gemeinsame theoretische Arbeit uns in die Lage versetzen soll, unsere Probleme nicht nur als Ausdruck klassenspezifischer, in unserem Fall mittelständischer, Sozialisationserfahrungen und -Schädigungen zu sehen, sondern in erster Linie in ihrer Vermittlung zur politischen Ökonomie« andererseits aber »keine Frau so ohne weiteres (polit-ökonomische) Texte >mit ihrer Situation« vermitteln« konnte (S. 20).
Im November 1970 traten die Frauen der einzigen Gruppe, die die >Schulung< erfolgreich beendet hatte, geschlossen aus dem Weiberrat aus, weil sie keine Möglichkeit mehr sahen, »im Rahmen des Weiberrates theoretisch oder praktisch weiterzuarbeiten« - und fast alle in die DKP ein. Bis Sommer 1971 folgte eine Zeit der Verunsicherung und Frustrationen, der »Strategiediskussionen« und »Fraktionskämpfe« zwischen der »theoriefeindlichen« Minderheitsfraktion auf der einen und den »Schulungsfanatikerinnen« auf der anderen Seite. Einige Frauen, die neu im Weiberrat waren, schlugen - bereits orientiert an der amerikanischen Frauenbewegung-vor, Selbsterfahrungsgruppen zu machen. Die Mehrheit lehnte ab und entwickelte im April 1971 ein Konzept von »Grundschulung«/»Projcktarbeit«/»Untersuchungsarbeit« und kam, unter dem Einfluß der neuentstandenen linken Kadergruppen, zu dem Schluß, »daß wir eine Revolution am ehesten erreichen können, wenn wir Arbeiterinnen bzw. kleine Angestellte agitierten«. Diese Ideen kontrastierten auffällig zu den realen Umsetzungsmöglichkeiten der Gruppe, so daß »wir immer wieder monatelang das Gefühl hatten, daß bei der Arbeit >nichts rauskommt<« (S. 32).
»Damals fühlten wir uns viel zu vereinzelt und schwach, als daß wir es gewagt hätten, der geballten Linken eine eigene Theorie und eine eigene Praxis entgegenzusetzen. Schließlich gab es damals nur in wenigen Städten Frauengruppen« - neben dem SFB z.B. die Rote Frauenfront in München - »zu denen wir außerdem kaum Kontakt hatten. Mit der Frankfurter Gruppe >Frauenaktion 70<, die damals bereits den Kampf gegen den § 218 aufgenommen hatte, hatten wir auch nichts zu tun, weil die uns nicht links genug waren und weil wir an Aktionen gegen den § 218 noch nicht interessiert waren« (S. 25).

In der Öffentlichkeit, z.B. bei Flugblattaktionen, nannte sich die Gruppe meistens Sozialistische Frauen Frankfurt, weil »die Ironie im Namen >Weiberrat< ... uns ... fehl am Platze (erschien)« (S. 30). In diesen Monaten immer neuer Versuche, die Lähmung zu überwinden, wurde im Sommer 1971 noch ein »Delegiertenrat« gegründet, der aber nicht funktionierte und schnell wieder »einging«. Schuld an der Misere des Weiberrats war nach Meinung der Selbstdarstellungs-Autorin der Druck durch das »linke Über-Ich«, das die Frauen handlungsunfähig gemacht und ihnen das Selbstbewußtsein genommen hätte.

Beginn der 218-Kampagne

Die Rettung kam von außen. Plötzlich gab es einen Gegenstand, für den die Frauengruppe sich einsetzen konnte: der Paragraph 218. »(Anhang zum Protokoll des Plenums vom 3. 6. 71): !! Außerplanmäßiges Plenum am 10. 6.!! Kommt in Massen! Wegen der Dringlichkeit der laufenden Abtreibungskampagne müssen unsere Argumente gegen die der Liberalen abgegrenzt werden.«

Die »Frau aus Frankfurt« beschreibt, was geschehen war:

»Einige Autoritäten hatten zwischenzeitlich mit Frauen aus anderen Städten und Gruppen gesprochen und gemerkt, daß der Kampf gegen § 218 für uns als Frauen und Frauengruppe doch große Bedeutung haben könnte. Plötzlich war das Thema, für das wir Wochen vorher nur ein müdes Gähnen übrig gehabt hatten (es war jeweils der letzte Tagesordnungspunkt gewesen!), so wichtig, daß dafür ein Sonderplenum einberufen wurde« (S. 34).

Noch im Mai hatte sich der Weiberrat entschieden, an der Selbstbezichtigungskampagne und Unterschriftensammlung unter dem Titel »Ich habe abgetrieben« nicht teilzunehmen, im Gegensatz zum Sozialistischen Frauenbund[41] und z. B. zur Münchner Roten Frauenfront - an jener Aktion, die heute der bürgerlichen Presse und damit der breiten Öffentlichkeit als Beginn der Frauenbewegung schlechthin gilt. Die ersten 375 Bezichtigungen vorwiegend prominenter Frauen wurden bekanntlich im Stern Nr. 74/1971 abgedruckt.[42]
Wie ging es weiter?
Juni 1971, Düsseldorf: erste Delegiertenkonferenz aller am Kampf gegen den § 218 interessierten Gruppen, insgesamt aus 7 Städten. Juli 1971, Frankfurt: ein zweites Treffen, zu dem bereits 16 Gruppen Delegierte schicken. Die Kampagne bekommt den Namen Aktion 218. Nun war auch der Weiberrat dabei:
»Wir waren alle heilfroh, daß wir uns nun nicht mehr dazu verdonnert fühlen mußten, bis zum St. Nimmerleinstag ausschließlich trockene Texte lesen zu müssen. Dennoch beteiligten wir uns lange Zeit nur sehr halbherzig an dem Kampf gegen den § 218« (S. 37).
Gleichzeitig wird aber recht arrogant eine Politik der Abgrenzung betont:

»Es bestand Einigkeit darüber, daß wir unser Recht auf Selbstbestimmung kompromißlos vertreten wollten, und nicht zugunsten >breiter Aktionsbündnisse< oder aus faktischen Gründern falsche Forderungen stellen wollten« (S. 39).

Daneben hatte die 218-Kampagne fiir den Weiberrat offensichtlich eine vorwiegend gruppendynamische Bedeutung:

»Wir mußten als Gruppe nicht mehr ein bedeutungsloses Schattendasein führen, sondern waren jetzt Teil einer eigenen Bewegung: der Frauenbewegung! Endlich konnten wir den Genossen, die uns immer nur abfällig belächelt hatten, etwas handfestes entgegenhalten« (S. 39/40).

Aus diesem Politikverständnis heraus erklärt sich, weshalb dann nach kurzer Euphorie wieder der alte »desolate Zustand« (Plenumsprotokoll v. 18. 8.71) in der Gruppe einkehrte. Angeklagt wurde die »abstrakte Schulung«, die »Ausrichtung an Theorie und Praxis der linken Gruppen«, die in Konflikt geriet mit einem keimenden neuen Selbstverständnis, welches erstmals seinen Ausdruck fand in einem neuen Begriff: »Feminismus«. »Wozu dann Frauenorganisation, wenn die Diskussion über Frauenprobleme - ausgenommen § 218-Aktion - zurückgedrängt und als Feminismus diffamiert wird?« (Protokoll v. 18. 9. 71).
Jetzt war es also endlich gefallen, jenes Zauberwort, das neue Identifikationsmöglichkeiten bot und die Chance, sich als Frauengruppe neu zu definieren, dem »linken Über-Ich« zu entkommen. Herbst 1971. Im September schlossen sich die Frauen des Revolutionären Kampfes (RK), an dem sich der Weiberrat stark orientiert hatte, zusammen und veröffentlichten ein halbes Jahr später die Broschüre »Frauen gemeinsam sind stark«.
»Immer mehr Frauen entwickelten ein Interesse an feministischer Literatur aus dem Ausland. Damais waren >Sexus und Herrschaft von K. Millett und >Der weibliche Eunuch< von G. Greer und schon vorher >Frauenemanzipation< von Mitchell u.a. neu erschienen. Dies war der Beginn der dann folgenden massenhaften Produktion von Frauenbüchern« (S. 40).

Es ging rasch voran: Die Erfindung der Frauenfeste, das erste im Januar 1972, die Stimmung euphorisch. Am 11.-12. März 1972 in Frankfurt der erste Bundesfrauenkongreß, an dem ca. 400 Frauen aus allen Teilen der BRD von rund 35 Gruppen in mehr als 20 Städten teilnahmen. Am 14. Mai 1972 in Köln das Tribunal zum § 218. Und der Weiberrat blühte auf. Allmählich

»... fingen wir an, uns dafür zu interessieren, in Selbsterfahrungsgesprächcn mehr über unsere Unterdrückung als Frau zu erfahren ... mit Frauen tanzen gehen, mit Frauen zärtliche und sexuelle Beziehungen haben, mit Frauen wohnen, mit Frauen das Leben organisieren (... jedenfalls wurde es unser Ziel, das zu lernen!)« (S. 43).

Ein halbes Jahr später, im Herbst 1972, schlossen sich in Frankfurt die Lesben zu einer eigenen Gruppe zusammen. Die Entwicklung zu einem immer ausgeprägteren feministischen Bewußtsein führte noch einmal zu heftigen Fraktionskämpfen und Weiberrats-Krisen, so »daß wir nach einem Jahr intensiver Arbeit im Rahmen der >Aktion 218< nicht mehr so recht weiter wußten« (S. 47). Aus vielen Diskussionen und Überlegungen heraus entstand schließlich im Winter 1972/73 die Idee, ein Frauenzentrum einzurichten, »wie wir es auch aus anderen Ländern kannten«:

»Zu diesem Zweck schlossen wir uns mit der Bornheimer Stadtteil-Frauengruppe zusammen (einer kleinen Gruppe mit überwiegend studentischen Mitgliedern). Als wir im Sommer 1973 endlich Ladenräume gefunden hatten, die in etwa unseren Vorstellungen entsprachen, wurden wir plötzlich wieder ganz unsicher, ob wir es überhaupt schaffen würden, die Räume sinnvoll zu nutzen. Wir hatten ja überhaupt keine genauen Vorstellungen darüber, was wir mit einem solchen Zentrum machen könnten. Nur eines wußten wir ganz sicher: daß wir in einer Sackgasse steckten, daß wir unsere Arbeit irgendwie grundlegend ändern müßten, wenn wir nicht die Gruppe über kurz oder lang auflösen wollten ... Kaum war das Zentrum eröffnet, kamen von überall her Frauen, die mitarbeiten wollten. Es entstanden zahlreiche neue Projekt- und Selbsterfahrungsgruppen, denen sich die Weiberratsmitglieder anschlössen. Die Grenzen zwischen dem Weiberrat, der Bornheimer Frauengruppe und den neuen Zentrumsgruppen verwischten sich immer mehr, bis es schließlich einen Weiberrat nicht mehr gab« (S. 48).

3. Einschätzung

Der Umbruch- und Differenzierungsprozeß, der bei den ersten, noch aus dem studentischen Umfeld hervorgegangenen Frauengruppen 1969/70 einsetzte, in gleichem Maße wie die Zersplitterung der Studentenbewegung voranschritt, führte bis Ende 1972 zu einer deutlichen Polarisierung:
auf der einen Seite zur Wiederentdeckung der Arbeiterbewegung und ihrer Organisationen sowie der »Klassiker« des Marxismus, und damit zusammenhängend zur Wiederentdeckung der proletarischen Frauenbewegung und ihrer Wortführer (Bebel/Zetkin). Aus dem Studium der Geschichte der Frauenunterdrückung anhand der marxistischen Gesellschaftsanalyse ergaben sich die Perspektiven für den Emanzipationskampf der Frau, aus denen die Strategien für den Frauenkampf heute abgeleitet wurden (vgl. Exkurs i); auf der anderen Seite zur Wiederentdeckung des Feminismus Anfang der 70er Jahre durch die Rezeption feministischer Literatur aus dem Ausland, insbesondere den USA, die anknüpfte an der Tradition der bürgerlichen Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts, sich in ihrem Feminismus-Verständnis jedoch rasch radikalisierte (vgl. Exkurs 1). Ausgangspunkt war hier die feministische Gesellschaftstheorie vom »Patriarchat«, d.h. des unversöhnlichen Gegensatzes zwischen Männern und Frauen, der den Klassengegensätzen übergeordnet und aus dem die Unterdrückung der Frauen »in allen Gesellschaften« abgeleitet wurde. Daraus ergaben sich die entsprechenden »neuen« Strategien zur Frauenbefreiung.
Ein übergreifendes drittes Moment stellte in dieser Phase der Frauenbewegung der  Kampf gegen  den  §  218 dar.  Schon  vor der berühmten Selbstbezichtigungskampagne vom Juni 1971 existierten in einigen Städten 218-Gruppen, z.B. die Frauenaktion 70 in Frankfurt. Gleichzeitig entstanden in dieser Zeit zahlreiche Frauenarbeitskreise sozial-liberaler Tendenz (vgl. S. 49f.), teilweise auch im Anschluß an die Selbstbezichtigungskampagne.
Wichtig ist sich klarzumachen, daß es Anfang der 70er Jahre überhaupt ein enormes Reservoir an Bereitschaft zum Engagement, gerade auch unter Frauen, gab. Eine wesentliche Rolle spielte dabei das veränderte politische Klima durch den Regierungsantritt der sozial-liberalen Koalition im Herbst 1969, die das durch die Studentenbewegung provozierte Veränderungspotential in Reformversprechen zu integrieren und zu kanalisieren versuchte: im Slogan von »Mehr Demokratie wagen« und der Propagierung des »mündigen Bürgers«; im Versprechen einer umfassenden Schulreform und der »dringend« anstehenden Reform des Eherechts; in den »notwendigen Konsequenzen«, die gezogen werden müßten, »um den Frauen mehr als bisher zu helfen, ihre gleichberechtigte Rolle in Familie, Beruf, Politik und Gesellschaft zu erfüllen«.[43] Von einer Reform des Abtreibungsparagraphen war allerdings nicht die Rede.
So enstanden seit 1970 in vielen gesellschaftlichen Bereichen Bürgerinitiativen, u.a. eine breite Elternbewegung zur Veränderung der Schule,[44] an der Frauen nicht nur stark beteiligt waren, sondern häufig als Initiatoren hervortraten. Die Kinderladenbewegung breitete sich zusehends aus und wurde »gesellschaftsfähig«, d.h. allmählich integraler Bestandteil der öffentlichen Kindererziehung durch finanzielle Unterstützung staatlicher Organe. Gerade in den Kinderläden gab es auch eine intensive Emanzipationsdiskussion zwischen Frauen und Männern. Ein neues Selbstverständnis im Geschlechterverhältnis, die Enttabuisierung der Ehe fand Eingang in den Medien (Stichwort: »Mein progressiver Alltag«). Bei der 218-Kampagne ist zweierlei auffällig:
1. Der entscheidende Impuls zum Wachsen dieser Bewegung kam aus dem Ausland. Es war die »Ich habe abgetrieben«-Aktion der französischen Frauenbefreiungsbewegung MLF, die den Anstoß gab. Ihre bundesdeutsche »Kopie« fand durch die Stern-Veröffentlichung breite Publizität und wurde fortan von der bürgerlichen Presse als Beginn der Frauenbewegung schlechthin bezeichnet. Alle jene autonomen Organisationsversuche, die in der Zeit von 1968 bis 1971 stattgefunden und die eine explizit sozialistische Ausrichtung hatten, fielen dabei schlicht - und wohl nicht ganz absichtslos unter den Tisch, eine Tatsache, die für das Selbstverständnis der Frauenbewegung bis heute von Bedeutung ist. Gerade der autonom-feministische Flügel nahm nun enormen Aufschwung, verstärkt durch den einsetzenden Import feministischer Literatur aus dem Ausland, insbesondere den USA, die denn auch großen Einfluß auf die Entwicklung der feministischen Bewegung der BRD nahm. Auch die Erfahrungen, die deutsche Frauen aus den Vereinigten Staaten mit den »Consciousness-Raising« (CR-)Gruppen (»Bewußtseinserweiterung« durch Selbsterfahrung) mitbrachten, spielten dabei keine geringe Rolle - sie setzten sich denn auch in den Frauengruppen der BRD rasch durch.
2. Daß die 2t8-Kampagne zu einer breiten Frauenmobilisierung führen konnte, lag aber nicht nur daran, daß die liberale Presse mit ihr sympathisierte oder das Fernsehen über jede spektakuläre Aktion ausführlich berichtete. Erstmals hatten engagierte Frauen ein Problem aufgegriffen, das über das Interesse einer kleinen Schar intellektueller Frauen hinausging und die Mehrheit der Frauen tief betraf. Und vielleicht der wesentlichste Faktor war der, daß bei dieser Kampagne von Anfang an feministisch, sozialistisch und reformistisch orientierte Gruppen zusammenarbeiteten, sich nicht auseinanderdividieren ließen, Frauen aus nahezu allen Parteien (CDU und NPD mal ausgenommen) und aus den Gewerkschaften, und daß dadurch breite Bevölkerungsschichten (Männer eingeschlossen) zu gewinnen waren und eine liberale Öffentlichkeit aufhorchte.

Die Frauengruppen, die nun in vielen Städten entstanden, boten neben Aktionen und Demonstrationen - vor allem auch praktische Hilfe und Erfahrungsaustausch. Über jene alle Frauen verbindende, unterdrückerische und demütigende 218-Praxis konnten sich zum erstenmal auch viele Frauen in Gruppen einbringen, »die bislang nicht politisiert waren, nicht aus der Linken kamen, wenn auch die Hauptinitiative wieder von intellektuellen Frauen, meist Studentinnen ausging«.[45] Und nicht zuletzt wurden Frauen in diesen Gruppen häufig zum erstenmal mit grundsätzlichen Fragen und Problemen der Frauenbenachteiligung in dieser Gesellschaft konfrontiert, die über den § 218 weit hinausgingen. Diese Aktionsbreite und Massenwirkung ist seitdem von der Frauenbewegung nie wieder erreicht worden, eine Tatsache, die ein trauriges Licht wirft auf ihre weitere Entwicklung.

Exkurs I: Feminismus contra Marxismus?

Wenn zuvor von der Wiederentdeckung des »Feminismus« die Rede war, so war damit sein »modernes« Selbstvcrständnis in der Frauenbewegung, im besonderen derjenigen der Bundesrepublik, noch nicht präzise benannt. Da sich andere umfassend mit Geschichte, Theorie und Praxis des Feminismus auseinandergesetzt haben,[46] sollen hier nur einige wesentliche Merkmale und Charakteristika der unterschiedlichen Strömungen innerhalb der feministischen Bewegung zusammengestellt werden, die für das Verständnis der weiteren Entwicklung der autonomen feministischen Bewegung in der Bundesrepublik von Bedeutung sind.

1. Definition und Selbstverständnis des Feminismus

»Feminismus ist ein schillernder Begriff. Er meint einerseits, daß Frauen ihre Interessen und Rechte entdecken, um sie in Forderungen umzusetzen, aber auch, daß sie das gegen die Interessen und Rechte der Männer tun«.[47] Historisch gesehen ist der Begriff Feminismus[48] mit der bürgerlichen Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts verbunden, als Frauen begannen - im Zusammenhang mit den bürgerlichen Revolutionen seit 1789, in denen auch sie »die Chance erblicken konnten, sich künftig als Subjekt der Geschichte zu betrachten«[49] -, für gleiche Bürgerrechte wie das auf Bildung, Arbeit und politische Beteiligung (Wahlrecht) in eigenen Verbänden und Gruppen zu streiten, weil sie für ihre Ziele mit der Unterstützung der Männer nicht rechnen konnten.
Die Vertreterinnen der proletarischen Frauenbewegung,[50] insbesondere den Interessen der Arbeiterinnen verbunden und in engem Kontakt zu den  37 Organisationen der Arbeiterklasse, »wurden nie mit diesem Begriff belegt, auch wenn sie sich speziell für die Belange der Frauen einsetzten«.[51] Seither ist eine deutliche Wandlung feministischer Positionen und Organisationen vor sich gegangen. Nach der Definition von Linnhoff meint heute der Begriff Feminismus »neben der separaten Organisierung den psychologischen Befreiungsprozeß der Frau aus der Identifikation mit dem Mann und schließlich die daraus resultierende neue (oft kulturrevolutionäre) Beurteilungsweise von Problemen des Menschen und der Gesellschaft durch Frauen«.[52] Wie weit diese sehr allgemeine Definition gerade auf den Neofeminismus der BRD zutrifft, wird noch zu überprüfen sein. Mit »radikalem« Feminismus (auch als »feministischer« Feminismus bezeichnet, der sich insbesondere in »feministischem Separatismus« ausdrückt) ist gemeint, »daß die Frauen sich radikal auf ihr Geschlecht, ihre Forderungen, ihren Beitrag zur Gesellschaft, der, wie sie annehmen, ein besserer sein wird als der der Männer, zurückziehen«.[53] Radikale Feministinnen stellen die Frage, »ob wir denn das, was wir nicht >dürfen<, überhaupt wollen«[54]: »Die feministische Forderung, die den Gleichberechtigungsansatz transzendiert, ist die Forderung nach Selbstbestimmung. Der Kampf gegen die männliche Fremdbestimmung, der Kampf um die Autonomie gegenüber männlichen Ansprüchen ... Wir können uns dabei die Macht nicht mit den Männern teilen, sondern müssen die Macht den Männern aus der Hand nehmen«.[55] Der gemeinsame Klassenkampf wird dementsprechend als »Männerstrategie«, die den Frauenkampf spalte und Frauenunterdrückung in allen Gesellschaften nur verschleiere, abgelehnt: »Der Schlüsselpunkt der Gesellschaftsanalyse ist nicht Kapitalismus, sondern Patriarchat. Die kapitalistische Klassengesellschaft wird als eine gesellschaftliche Spielart des Patriarchats gesehen, das selber sehr viel älter ist als der Kapitalismus. >Die Frauenfrage< ist dann nicht mehr ein Unterpunkt im Klassenkampf, sondern Klassenfragen stellen einen Unterpunkt im umfassenden feministischen Kampf gegen die patriarchalische Weltordnung dar«.[56]
Statt dessen wollen die Radikalfeministinnen die Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse vom Bewußtsein her angehen. Sie sind der Auffassung, »daß man den Kampf auf einer sehr viel früheren Ebene der Unterdrückung führen müsse, nämlich der der Sexualität und der patriarchalischen Verhaltensweisen, durch die alle Frauen durch alle Männer unterdrückt werden«.[57] Gleichzeitig postuliert der radikale Feminismus die Notwendigkeit einer weiblichen Gegenkultur zur Kultur der »Männergesellschaft«. Nicht zufällig verstehen sich die »radikalen Lesbierinnen« als Avantgarde des Radikalfeminismus, indem sie dessen Kernsentenz, weibliche Autonomie und Separation von den Männern, konsequent weiterdenken mit der »Propagierung lesbischer Beziehungen als endgültige Stufe weiblicher Selbsterfiillung« (Menschik): weil sie nämlich

»1. Geschlechterrollen schon durchbrochen haben, ehe es überhaupt eine Feministinnenbewegung gab,
2. überhaupt keinen Bedarf an Männern haben. (Irgendwie sind sie schon die Revolution)«.[58]

Schwerpunkte radikalfeministischer Praxis[59] sind entsprechend  Consc/ousness-Ra/sing-(CR)Gruppen (»Bewußtseinserweiterung« durch Selbsterfahrung anstelle von »Bewußtseinsbildung«[60]);  Selbsthilfe (Kennenlernen des eigenen Körpers, neues Körperbewußtsein, Klitoris- contra Peniskult[61]); Selbstverteidigung; Hausgeburtsgruppen, feministische Gesundheitszentren usw.);  weibliche Gegenkultur durch alternative Projekte (Frauenverlage, -vertriebe, -buchläden, -kneipen, Kulturzirkel für schreibende, filmende, malende Frauen usw.). »Lohn für Hausarbeit« ist die einzige politische Forderung der Radikalfeministinnen. Sie stützt sich auf zwei Hauptthesen:

  1. Alle Frauen sind Hausfrauen.[62]
  2. Alle Frauen sind Sexualobjekte oder überspitzt: Prostituierte. Über die Forderung heißt es: »Lohn für Hausarbeit eröffnet also eine langfristige zusammenhängende politische Perspektive, die nationale und auch internationale Zusammenarbeit ermöglicht«.[63]

2. Einschätzung des Radikalfeminismus

Auffällig am feministischen >Revolutions<-Konzept ist zweierlei:
(1) Es gleicht, wenn man einige Vokabeln austauscht, verblüffend demjenigen der antiautoritären Studentenbewegung: an die Stelle des zu bekämpfenden Gegners »weltweite Repression« ist jetzt das »weltweite Patriarchat« getreten. Ähnlich vage wie bei den protestierenden Studenten bleiben auch bei den Radikalfeministinnen die Ziele für die neue Gesellschaft. Nicht um eine konkrete bestimmbare neue Gesellschaft geht es - »der Sozialismus hat uns nichts zu bieten«[64] -, sondern, wie schon in der antiautoritären Bewegung, um eine »ganz andere« Gesellschaft, von der die Frauen noch nicht so genau wissen, wie sie aussehen wird, denn »feministischer Feminismus ist nicht, sondern wird«.[65] Auch »die Tendenz, sich selbst als einzigartig zu begreifen und daher die Erfahrungen anderer politischer Kämpfe nicht aufzunehmen«,[66] mehr noch: sich selbst (in diesem Falle qua Geschlecht) als Nabel der Welt zu betrachten, als das revolutionäre Subjekt - anstelle der Studenten nun die Frauen -, gleicht der antiautoritären Ideologie aufs Haar (wenn auch nicht in ihrer biologischen Variante). In diesem Zusammenhang ist die Neuauflage der sogenannten »Randgruppentheorie« durch Herbert Marcuse, die bereits entscheidenden Einfluß auf die Studentenbewegung hatte, äußerst aufschlußreich. Nach den »Outcasts« der Gesellschaft, den Arbeitslosen, Arbeitsunfähigen usf. Randgruppen also, und später dann den »noch nicht in die Gesellschaft integrierten« Schülern und Studenten, also ebenfalls Randgruppen, hat Marcuse nämlich nun eine neue »Randgruppe« entdeckt: die Frauen, eine »Mehrheit, die sich wie eine Minderheit verhält« (Jochimsen), und die damit die Verhaltensmerkmale von Randgruppen aufweisen. Es geht um Marcuses Aufsatz »Marxismus und Feminismus«,[67] in dem nun den Frauen als Randgruppe die Aufgabe zugewiesen wird, als revolutionäres Subjekt die »ganz andere«, nämlich »weibliche« gleich »sozialistische« Gesellschaft zu erkämpfen, wobei Marcuse inzwischen »kapitalistisch« mit »männlich« gleichsetzt. (Zur Erinnerung: früher lauteten die Gleichungen »kapitalistisch« = »autoritär« bzw. »repressiv«, »antiautoritär« = »sozialistisch«.)
Unter dem Motto »Wenn die Theorie regrediert auf die Ebene jener Unmittelbarkeit, die gerade der Explikation durch sie bedürfte, ist die Chance vertan«,[68] bringt Tömmel eine grundsätzliche Kritik am Ansatz Marcuses an: »Der Kapitalismus gerät (ihm) zur Form patriarehalischer Zivilisation; nicht mehr begriffen wird so die Indienstnahme patriarchalischer Elemente in die kapitalistische Produktionsweise, die die besondere Unterdrückung der Frauen erst konstituiert«.[69] Uns interessiert hier, im Zusammenhang mit der radikalfeministischen Theorie, die Parallelität der Befreiungssfrafeg/en. So setzt Marcuse, wie schon bei der antiautoritären Bewegung und gleich den Radikalfeministinnen, auf die radikale Veränderung des Bewußtseins, nicht auf den »Umsturz der Produktionsverhältnisse, die dieses erst konstituieren«.[70] Noch eine weitere Parallele mit der Ideologie der Radikalfeministinnen drängt sich auf, die im übrigen »in der bürgerlichen Theorie und Praxis gängig ist: die Charakterisierung von Minderheiten, Unterdrückten und Geknechteten und die Erklärung dieser Unterdrückung durch ein natürliches Merkmal (wie Hautfarbe, Augenfarbe etc.). Diese Erklärungssätze sind nicht nur theoretisch falsch, sondern tragen auch den Keim zu chauvinistischer Praxis-Entwicklung in sich«.[71] Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß es Marcuse ebensowenig wie denjenigen Theoretikerinnen des Radikalfeminismus, die unter dem Anspruch angetreten sind, den Marxismus zu »erweitern« bzw. den eigenen feministischen Weg zum Sozialismus zu gehen,[72] gelungen ist, zur Klärung des Verhältnisses zwischen »Marxismus und Feminismus« beizutragen. Bestimmend bleibt für sie, sozusagen durch die Hintertür, doch die Sexualdichotomie als grundlegender Klassengegensatz, wobei der wissenschaftliche Sozialismus angeblich zur Methode gerät, die besondere Unterdrückung der Frau zu analysieren.[73]
Eine befriedigende Antwort auf die Frage der Strategie, wie denn der Kampf überhaupt zu führen ist, genauer: wie Radikalfeministinnen die bestehende »Männergesellschaft« aus den Angeln heben wollen, wenn sie sich gleichzeitig aus ihr zurückziehen und sich »nur« noch auf Frauen beziehen, die aber die Schalthebel der Macht nun gerade nicht in den Händen halten, sind sie m.E. bisher schuldig geblieben.

(2) Linnhoff betont zu Recht, daß nur »die radikal-feministische Position... etwas grundsätzlich Neues innerhalb der Emanzipationsbestrebungen der Frauen seit dem vorigen Jahrhundert dar(stellt)«.[74] So ist der Aufruf zur »Frauenrevolution« das wesentliche Merkmal, das den radikalen Neo-Feminismus vom traditionellen Feminismus unterscheidet. Und dies nicht von ungefähr: Worum die erste bürgerliche (feministische) Frauenbewegung noch kämpfen mußte, ist heute formal längst zugestanden - z.B. im Gleichberechtigungsgrundsatz des Grundgesetzes der Bundesrepublik. Aber die in den westlichen Industrienationen durchaus vergleichbare wesentlich schlechtere soziale Lage der Frauen als die der Männer[75] zeigt, daß die kapitalistischen Gesellschafter nicht einmal in der Lage sind, ihre eigenen Gleichberechtigungs-Postulate in die Wirklichkeit umzusetzen, weil sie auf der Ungleichheit der Menschen (als Besitzende und Nichtbesitzende der Produktionsmittel, als teurere - Männer - und billigere - Frauen - Ware Arbeitskraft usf.) aufbauen. An den täglich spürbaren massiven Erscheinungsformen von Frauendiskriminierung ansetzend, mußte sich die neuentstandene bürgerliche Frauenbewegung - gerade wegen der bestehenden formalen Gleichberechtigung radikalisieren. Von »Gleichberechtigung«, schloß frau, hatte sie also nichts mehr zu erwarten. Die gleichen Chancen, die man den jungen Frauen gerade denjenigen mit höherer Schulbildung-zugesichert hatte, widersprachen entschieden ihren Erfahrungen in der Realität.

»Sehr geehrtes Fräulein T., unter Bezugnahme auf das persönliche Gespräch in unserem Hause müssen wir Ihnen leider mitteilen, daß wir Sie als Auszubildende doch nicht einstellen können. Unsere Geschäftsleitung hat beschlossen, in allen Niederlassungen mit angeschlossenen Lagern derzeit nur männliche Auszubildende zu akzeptieren eine Maßnahme, für die wir um Verständnis bitten.« (Brief der Kölner Firma Rohling & Co. an die 17jährige Brigitte T.)

Enttäuscht und frustriert über die fortbestehende sexistische Benachteiligung, Rollenzuweisung und Diskriminierung (bis hin zu subtilen bzw. offenen Formen der Gewalt) konnten diese jedoch weniger denn je aufgrund des eingebläuten Gleichberechtigungs-Versprechens als für die kapitalistische Gesellschaft typisch und konstituierend erkannt werden. Die direkten Erfahrungen zu Hause, in der Uni und in der Berufswelt sprachen eine andere Sprache: es waren immer die Männer, die vorgezogen wurden, die den Pascha spielten, die in die hohen Positionen aufstiegen, und so lag es auf der Hand, die bitteren Erscheinungsformen von Frauenunterdrückung mit ihrem Wesen zu verwechseln und einer »Männergesellschaft« zuzuschreiben, mit der frau nichts mehr zu tun haben wollte - im Gegensatz zur Frauenbewegung des vorigen Jahrhunderts, die gerade um die Gleichheit der Bürgerrechte mit und in dieser »Männergesellschaft« stritt. Gemeinsam ist konservativen wie radikalen Feministinnen, daß sie - im Gegensatz zu Marxistinnen - Gleichberechtigung innerhalb dieser Gesellschaft für prinzipiell möglich halten. Während jedoch die ersten um sie kämpften, wollen die zweiten sie gar nicht mehr haben, sondern »transzendieren« - wie übrigens auch ihr neuester, vielleicht gar nicht so erwünschter »Schwestern-Bruder« Marcuse.

3. Sozialistische Feministinnen, feministische Marxistinnen und die marxistische Begründung der Frauenunterdrückung

Ein explizit anderes Feminismus-Verständnis vertreten die sozialistischen Feministinnen bzw. feministischen Marxistinnen. Erstere, in der Bundesrepublik recht selten vertreten, nehmen an
»daß zwar die Veränderung der Produktionsverhaltnisse von kapitalistischen in sozialistische erste Voraussetzung für eine völlige Verwirklichung von Gleichberechtigung und Emanzipation der Frau darstellt. Sie meinen aber gleichzeitig, daß nicht automatisch durch eine solche Veränderung ein emanzipiertes Bewußtsein im Verhältnis zwischen den Geschlechtern und insbesondere des Mannes zur Frau zustande kommt. Sie sind überzeugt, daß nicht nur die materiellen Verhältnisse das Bewußtsein bestimmen, sondern daß dieses Bewußtsein als Resultat traditionellen Geschlechtsrollenverhaltens sich aus sich selbst reproduziert und wiederum auf die sozioökonomischen Strukturen zurückwirkt. Daß man dieses Bewußtsein deshalb auch gesondert und gezielt von den Interessen der Frau her, d.h. feministisch, angehen muß. Sie haben erkannt, daß eine Theorie der Emanzipation der Frau bis heute Anhängsel der marxistischen Theorie gewesen ist: Eben ein Nebenwiderspruch innerhalb des Hauptwiderspruchs zwischen Lohnarbeit und Kapital«.[76]
Eine ähnliche Position vertritt inzwischen Simone de Beauvoir:

»Heute verstehe ich unter Feminismus, daß man für die speziellen Forderungen der Frauen kämpft - parallel zum Klassenkampf - und bezeichne mich selbst als Feministin. Früher glaubte ich, der Klassenkampf müsse dem Kampf der Geschlechter vorangehen. Ich bin jetzt der Meinung, daß sie beide gleichzeitig geführt werden müssen«[77]

Sie ist - im Gegensatz zu den Radikalfeministinnen - »eine absolute Gegnerin der Idee, die Frau in ein Weiberghetto einzusperren« und lehnt jede Form von Männerhaß ab:
»Der Männerhaß geht bei manchen Frauen so weit, daß sie alle von den Männern anerkannten Werte verwerfen und alles ablehnen, was sie, die Frauen, als >männliche Modelle< bezeichnen. Ich kann dem nicht zustimmen, da ich nicht glaube, daß es spezifisch feminine Eigenschaften, Werte oder Lebensweisen gibt. Daran zu glauben, hieße, die Existenz einer weiblichen Natur anzuerkennen, mit anderen Worten: einem Mythos anzuhängen, der von den Männern eigens erfunden wurde, um die Unterdrückung der Frau aufrechtzuerhalten. Es geht für die Frauen nicht darum, sich als Frauen zu bestätigen, sondern als >ganze<, >vollständige< menschliche Wesen anerkannt zu werden«[78]
Feministische Marxistinnen akzeptieren die marxistische Gesellschaftsanalyse und deren Emanzipationsstrategie. Sie kritisieren aber, wie z.B. die englische feministische Marxistin Judith Hunt, daß die »besonderen Probleme und die vielfältigen Formen der Unterdrückung der Frau ... oft von der Arbeiterbewegung und von Marxisten übersehen« wurden.[79]
Wie begründen Marxisten die Frauenunterdrückung?
Nach marxistischer Analyse ist die unterschiedliche und gegensätzliche Stellung der Geschlechter integraler Bestandteil der kapitalistischen Gesellschaft und in ihrem Rahmen nicht aufzuheben.
»Die Grundlage der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ist das bürgerliche Privateigentum, die darin eingeschlossene Klassenspaltung der Gesellschaft und der daraus resultierende Gegensatz von Lohnarbeit und Kapital«.[80]
Sowohl männliche als auch weibliche Lohnabhängige werden aufgrund dieses Widerspruchs ausgebeutet, die weiblichen aber in besonderer Weise: durch die ihnen vom Kapitalismus qua Geschlecht zugewiesene Doppelrolle als kostenlose Reproduktionskraft im Haus (insbesondere als kostensparende Erzieherin) und als billige, variabel einsetzbare Arbeitskraft außer Haus. Insofern werden Frauen in der kapitalistischen Gesellschaft doppelt unterdrückt: als Lohnarbeiterin und als Geschlechtswesen. Das erkannte Bebel bereits vor 100 Jahren, als er schrieb:

»Ganz unabhängig von der Frage, ob die Frau als Proletarierin unterdrückt ist, sie ist es in der Welt des Privateigentums als Geschlechtswesen«[81]

Deshalb sehen Marxisten den Kampf für die Emanzipation der Frau in einem direkten Zusammenhang mit dem sozialen Kampf gegen die »Welt des  44 Privateigentums«, die Klassengesellschaft, durch deren Beseitigung erst die ökonomische Voraussetzung für die Befreiung der Frau geschaffen wird. Nun wird den Marxisten häufig unterstellt, für sie sei die Frauenemanzipation eine rein ökonomische Frage, die sich quasi mit dem Sozialismus von selbst löse. Dazu hat die französische Kommunistin Madeleine Vincent folgendermaßen Stellung genommen:
»Wir haben niemals gesagt, daß der Sozialismus die Befreiung der Frau automatisch regelt... Nach unserer Auffassung schafft er die Grundlagen für die Gleichheit, die er in der Gesetzgebung kodifiziert, und deren konkrete Verwirklichung nach Maßgabe der ökonomischen und sozialen Entwicklung sowie der kulturellen und ideologischen Fortschritte schrittweise festgelegt wird«.[82]

Wie bestimmen Marxisten das Verhältnis Kapitalismus - Patriarchat?
Die Geschlechterteilung oder anders ausgedrückt: das Patriarchat ist älter als der Kapitalismus, darin sind sich Marxisten und Feministinnen einig. Ob das Patriarchat so alt ist wie das Privateigentum und mit ihm erst entstanden (wie die »Klassiker« Engels, Bebel und Zetkin meinen), ist bereits wieder strittig und letzten Endes eine Frage, die zu entscheiden für die heutige Situation müßig ist. Sicher ist, daß sich die mit dem Patriarchat verbundene Arbeits- und entsprechende Rollenverteilung jahrhundertelang in Sitten und Gebräuchen, in Mythen und Ideologien verfestigte. Der Kapitalismus hat sich der aus dem Feudalismus stammenden patriarchalischen Strukturen bedient und sie seinen Bedürfnissen profitabel angepaßt. Er ist auf die Frau als kostenlose Erzieherin und zugleich beliebig abrufbare billige Arbeitskraft in der industriellen Produktion fundamental angewiesen, und zur Aufrechterhaltung dieser für das Kapital außerordentlich kostengünstigen Situation (inclusive ihrer lohndrückenden Funktion) bedient er sich der entsprechenden Ideologie (»Nur-Mutter-und-Hausfrau-plus-noch-Dazu-oder-Mit-Verdienerin« -abgestimmt auf die jeweilige Konjunkturlage, wie wir Frauen es gegenwärtig wieder nur zu kraß erleben).
Feministinnen wenden nun ein, auch in sozialistischen Gesellschaften gäbe es weiterhin geschlechtsspezifisches Rollenverhalten, das Frauen durch Doppelbelastung benachteiligt. Darauf antworten Marxisten, daß sich Sitten nicht automatisch revolutionieren lassen. Es wäre falsch anzunehmen, daß mit dem Ende der kapitalistischen Produktionsweise plötzlich alle Erscheinungsformen des jahrhundertealten Patriarchalismus einfach so verschwinden. Verhaltensweisen sind zählebig, sagen sie, sie passen sich erst allmählich, schrittweise den neuen gesellschaftlichen Realitäten an. Entscheidend sei die Tatsache, daß mit der Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln die ökonomische Ursache für die ständige Reproduktion entsprechender Rollenmuster - notwendig für die doppelte kapitalistische Ausbeutung der Frau - abgeschafft sei. 

Wie sieht die marxistische Emanzipationsstrategie aus?
Ein weiterer bekannter Vorwurf von Feministinnen lautet:

»Orthodoxe Marxisten, für die die Produktion Angel- und Ansatzpunkt revolutionären Kampfes ist, ordnen die (Frauen)Emanzipation in der Tat unter ferner liefen ein«.[83]

Darauf hat schon Clara Zetkin geantwortet, daß es Marxisten niemals darum gegangen sei, die Gleichstellung der Frauen »auf den Zukunftsstaat zu vertagen, sondern sie hätten sie, eingebunden in den Kampf um die Emanzipation aller Menschen, immer als »eine Aufgabe der Gegenwart« begriffen.[84] Von zentraler Bedeutung ist dabei die marxistische These, »daß die selbständige und gleichberechtigte Teilnahme der Frau an der gesellschaftlichen Produktion objektive Grundlage und Hauptweg zur Erringung ihrer realen Emanzipation ist«.[85]
Warum, sagte Clara Zetkin schon in ihrer berühmten Rede »Für die Befreiung der Frau« auf dem Internationalen Arbeiterkongreß in Paris im Juli 1889: weil nämlich die »soziale und politische Gleichstellung (der Frauen) mit den Männern einzig und allein von ihrer ökonomischen Selbständigkeit abhängt, welche ihnen ihre Arbeit außerhalb der Familie in der Gesellschaft ermöglicht«. Und weiter: »Wie der Arbeiter vom Kapitalisten unterjocht wird, so die Frau vom Manne; und sie wird unterjocht bleiben, solange sie nicht wirtschaftlich unabhängig dasteht. Die unerläßliche Bedingung für diese ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit ist die Arbeit«.[86] Erst die Industrialisierung der Produktion seit Mitte des 18. Jahrhunderts hat den Frauen nach jahrhundertelanger Unterjochung diesen Weg zu ihrer Befreiung eröffnet; sie erst ermöglichte den Austritt der Frauen aus der häuslichen Sphäre und ihren Eintritt ins Erwerbsleben und damit untrennbar verbunden ihr Recht auf Teilnahme an der Gesellschaft, auf politische und gewerkschaftliche Organisierung, auf das politische Wahlrecht. In der Forderung nach Erwerbstätigkeit der Frau als notwendige Voraussetzung ihrer Emanzipation verknüpft die marxistische Emanzipationsstrategie die individuelle Emanzipation der Frau zugleich mit einer Perspektive, die über die bestehenden Gesellschaftsverhältnisse hinausweist. Denn das allgemeine Recht auf Arbeit und im besonderen das der Frauen ist innerhalb des Kapitalismus nicht zu verwirklichen.[87]
Auch die feministischen Marxistinnen setzen an der schon von Bebel hervorgehobenen doppelten Unterdrückung der Frau in der Klassengesellschaft - als Lohnarbeiterin und als Geschlechtswesen - an, sind aber der Meinung, daß die Arbeiterbewegung insbesondere letzteres in ihrem Kampf bisher zu wenig berücksichtigt habe. Sie vertreten die Auffassung, daß die traditionelle marxistische Antwort auf die Unterdrückung der Frau: nämlich »Teilnahme an der gesellschaftlichen Arbeit und am sozialen Kampf« nicht ausreicht, die Emanzipation der Frau voranzutreiben. Vielmehr müßte der gesamte weibliche Lebenszusammenhang innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft in den Kampf einbezogen werden. Es geht ihnen sozusagen um eine Art Weiterentwicklung der marxistischen Frauenemanzipationsstrategie unter den Bedingungen des Spätkapitalismus.
So betonen gerade die feministischen Marxistinnen in Italien die große Bedeutung der Sitten und Gebräuche, der Kultur, die in der Agitation der Arbeiterbewegung viel stärker als bisher üblich berücksichtigt werden müßten. Sie kritisieren, sich auf die Erwerbstätigkeit der Frau isoliert von ihrer privaten Situation im familiären Bereich zu konzentrieren - und haben die Kommunisten bereits zu beachtlichen Eingeständnissen ihrer Versäumnisse in der praktischen Frauenpolitik gezwungen. »Es trifft allerdings zu«, sagte der KPI-Vorsitzende Enrico Berlinguer in einem Interview mit Carla Ravaioli, »daß ... die Frauenfrage im allgemeinen, in der Praxis und auch in der Theoriebildung von der Arbeiterbewegung und auch von der kommunistischen Partei nicht weiter vertieft worden ist«.[88] Und Gerardo Chiaromonte, Mitglied des Sekretariats und der Leitung der KPI, gestand anläßlich der VI. nationalen Konferenz der kommunistischen Frauen Ende Februar 1976 in Mailand »gewisse Versäumnisse der Arbeiterbewegung und unserer Partei bei der Bewältigung bestimmter Problemzusammenhänge wie dem der Sitten und Gebräuche, der Sexualität, der zwischenmenschlichen Beziehungen«[89] ein. Auf der anderen Seite hebt Carla Ravaioli, Feministin der »ersten Stunde« und eine der bekanntesten feministischen Agitatorinnen Italiens, in ihrem Aufsatz »Emanzipation und Befreiung« hervor: »Natürliche Verbündete im Befreiungskampf der Frau können nur die politischen Organisationen der Linken sein und als erste unter allen die Kommunistische Partei«.[90]
Von solchen Verhältnissen sind wir in der Bundesrepublik gewiß weit entfernt.

4. Einschätzung

Das zuvor skizzierte marxistisch orientierte Feminismus-Verständnis ist neben Spielarten des radikalen oder reformistischen (»gemäßigten«) Feminismus - durchaus ein wesentlicher Faktor in der Frauenbewegung Italiens, Englands, Frankreichs, Dänemarks, Hollands und hat für die Bewegung selbst große Konsequenzen: Es erlaubt und ermöglicht die Zusammenarbeit mit anderen Gruppen, mit den Organisationen der Linken, der Arbeiterbewegung.
In der Bundesrepublik dagegen ist diese feministische Variante so gut wie nicht vertreten, gewiß nicht von ungefähr, ebensowenig in den USA. Die Parallele in den politischen Verhältnissen drängt sich zwingend auf: eine schwache bzw. relativ stillhaltende Arbeiterbewegung, ein besonders ausgeprägter Antikommunismus (McCarthyismus/KPD-Verbot und später Berufsverbote), eine winzige kommunistische Partei, die angesichts dieser Verhältnisse zu Rigidität und Abkapselung neigt. Und gleichzeitig spielen beide Länder in der verschärften ökonomischen und gesellschaftlichen Krisensituation der kapitalistischen Welt eine bestimmende Rolle. Selbst der sich als sozialistisch bezeichnende Feminismus, orientiert etwa an der ideologischen Linie der Links-Sozialdemokratie bzw. der Jungsozialisten, ist in der Bundesrepublik sehr früh in die Defensive geraten. Die Frage nach dem Verhältnis von Feminismus und Sozialismus ist in der feministischen Frauenbewegung inzwischen praktisch ausgeblendet. Stattdessen versteht sich der »Frauenstandpunkt« als politische Meta-Position, unabhängig von »links« und »rechts«, denn in jedem Falle handele es sich um »Männerorganisationen«. In einem Aufsatz unter dem Titel »feministische Tendenzen« schreibt eine Frau z. B.:

»Häufig erschreckt es uns, daß in der BRD es oft die CDU/CSU ist, die ähnlich klingende Analysen und Forderungen stellt.« Dadurch sollte frau sich jedoch nicht irritieren lassen, denn »wir müssen in unserem Umdenkungsprozeß lernen, daß selbst die linken Kategorien von links und rechts, fortschrittlich und reaktionär vom Frauenstandpunkt aus sich verschieben... Links und rechts sind patriarchalische Einteilungen. Unsere Frauenpolitik setzt eben an ganz anderen Ebenen an«.[91]

Eine der Konsequenzen: »Der feministische Feminismus plädiert also für eine radikale Trennung von den Linken«.[92]
Auf der anderen Seite vertreten marxistische Frauen in der BRD häufig einen rigiden Anti-Feminismus, der sie davon abhält, Phänomenen, die insbesondere die Frau als Geschlechtswesen in dieser Gesellschaft betreffen (z.B. sexistische Verhaltensweisen und Diskriminierungen, Gewalt gegen Frauen), einen angemessenen Platz in ihrer politischen (Frauen)arbeit einzuräumen. Die Frage nach der Priorität von »Klasse« oder »Geschlecht«, von »Haupt«- und »Nebenwiderspruch« gerät zu einer starren Verteidigungsposition, bei der diese Kategorien nur noch gegeneinander ausgespielt werden, ohne daß deren gemeinsame Ursache, das Privateigentum an den Produktionsmitteln in der Klassengesellschaft, und daher die dialektische Bezogenheit beider Kategorien aufeinander in der doppelten Unterdrükkung der Frau noch wahrgenommen wird.
Resümee: In der Bundesrepublik haben wir es hauptsächlich mit einem Feminismus der radikalen bzw. gemäßigten (sozial-liberalen) Spielart zu tun, dessen Positionen weitgehend bestimmt werden von jenem Selbstverständnis, nach dem Frauen ihre Rechte und Interessen primär gegen diejenigen der Männer durchsetzen müssen, wenn sie um ihre Befreiung kämpfen entsprechend der zweiten Hälfte der am Anfang des Exkurses zitierten Feminismus-Definition von Menschik. Die Definition von Linnhoff, die die Dimension >gegen die Männer oder nicht< nicht faßt, kommt eher einem Feminismus-Verständnis jener sozialistischen Spielart zu, das sie selbst und die Gruppe sozialistisch-feministische Aktion (So.F.A., vgl. S. 52 und 66) vertritt.
Das hat, wie noch zu zeigen ist, erhebliche Konsequenzen für das Autonomie-Verständnis und, damit zusammenhängend, für die Möglichkeiten von Aktionsbündnissen im Frauenkampf.

D. Weiterentwicklung der Frauenbewegung seit der 218-Kampagne

1. Von den 218-Gruppen bis zum Bundesfrauenkongreß 1973

Nach der spektakulären STERN-Aktion entstanden überall in der Bundesrepublik zahllose Frauengruppen (vgl. Kap. C. 3., S. 35), die sich um den § 218 kümmerten, Selbsterfahrung machten oder auch ein umfassenderes Frauenprogramm entwickelten. Oft waren diese Gruppen erste Anlaufstellen für ein nur zu begründetes Gefühl der Unzufriedenheit und des Unbehagens von Frauen, die noch nicht so recht wußten, was sie eigentlich wollten und wo es langgehen sollte (übrigens betraf das häufig auch die Gruppen selbst).
Von nun an ist es nicht mehr möglich, die Geschichte der Frauenbewegung anhand einzelner autonomer Gruppen nachzuzeichnen. Drei ideologische Strömungen lassen sich in diesen Jahren unterscheiden:

  1. reformistisch,
  2. sozialistisch
    und
  3. feministisch orientierte Gruppen.

Zu 1.) Wie schon im Abschnitt C.3. betont, wurde die Bildung sozialliberaler Fraueninitiativen, wie anderer Bürgerinitiativen auch, durch das Reformklima nach 1969 begünstigt. Ein Beispiel dafür ist der Arbeitskreis GLEiCHBERECHTiGUNG-EMANZiPATiON/Bonn-Bad Godesberg, gegründet im März 1970, der sich vorgenommen hatte, in vier Bereichen tätig zu werden:
»1) Eigene Bewußtseinsbildung, 2) Arbeit im vorparlamentarischen Raum,  3) >Ständige Wühlarbeit - Entwicklung eigener Initiative,
4) Dokumentation«.[93]
Mit »Arbeit im vorparlamentarischen Raum« war gemeint, »nicht nur Kontakte zu Parlamentariern, dem Presseamt, den beteiligten Ministerien..., der Bundesanstalt für Arbeit usw., sondern auch zu den Frauenreferaten der Parteien, der Gewerkschaften, evtl. der Kirchen« zu knüpfen. Zu Punkt 3) heißt es: »Der Entwicklung der eigenen Initiative sind keine Grenzen gesetzt. Sie reicht von der Abfassung von Leserbriefen, über Gespräche im privaten Kreis bis zu Wortmeldungen in öffentlichen Diskussionen und der aktiven Arbeit in gesellschaftspolitisch relevanten Institutionen (z.B. Schulen)«.[94]

Weitere Beispiele für solche Frauenzusammenschlüsse sind der Aktionskreis FRAu/Nürnberg und die Aktion Emanzipation e.V./Ulm. Die meisten dieser Gruppen gibt es heute nicht mehr bzw. haben sie ihre Arbeit innerhalb anderer Gruppen/Institutionen fortgesetzt. So ging der Arbeitskreis Gleichberechtigung-Emanzipation im Laufe der siebziger Jahre allmählich im Bonner Frauenforum auf, das wiederum - wie schon der Arbeitskreis - in enger Verbindung mit dem Montag-Club steht. Dieser 1967 von Annemarie Renger und Hannelore Fuchs gegründete Verein für gesellschaftliche und politische Kontakte besteht auch heute noch, hat ca. 400 Mitglieder vorwiegend sozialliberaler Richtung, davon 7 Prozent Männer (Hannelore Fuchs: »umgekehrt wie im Bundestag«), und fühlt sich inzwischen jener gemäßigt-feministischen Strömung verbunden, die in den letzten Jahren bei den Frauen der Parlamentsparteien zunehmend an Terrain gewann.
Zu 2. ) Ein Beispiel für diese Richtung (gegenwärtig übrigens vermutlich das einzige) ist der Sozialistische Frauenbund Westberlin, über den schon ausführlich berichtet wurde. Anfang der siebziger Jahre gab es auch in der Bundesrepublik noch ähnlich orientierte Gruppen. Eine der bekanntesten von ihnen war der Arbeitskreis Emanzipation (AKE)/Bonn, im Frühjahr 1969 von SDS-Frauen initiiert, der rasch über den studentischen Rahmen hinauswuchs und neben Studentinnen überwiegend berufstätige Frauen, aber auch einige Hausfrauen als Mitglieder gewann. In den »ersten thesen des ake« zum Selbstverständnis vom April 1969 heißt es:

  1. »Wir sehen die Unterdrückung der Frau im Zusammenhang mit der Ausbeutung im kapitalistischen System.
  2. Wir sind der Auffassung, daß der Kampf gegen die Unterdrückung nicht individuell, sondern nur in organisierter Zusammenarbeit erfolgreich geführt werden kann.
  3. Wir machen es uns zur Aufgabe, die Ursachen der Unterdrückung aufzuzeigen und konkrete Alternativen zu ihrer Überwindung zu entwickeln.
  4. Um diese Ziele zu verwirklichen, wollen wir uns der theoretischen Arbeit, der Diskussion und der Aktion bedienen«.[95]

Zu den Schwerpunkten der inhaltlichen Arbeit des AKE gehörten:
Seminarkritik im Universitätsbereich (u.a. die Untersuchung »Situation der Studentinnen in der BRD«; marxistische Theorie, Geschichte der Frauenbewegung und polit-ökonomische Schulung der Mitglieder; soziale Probleme (u.a. Teilnahme an der Aktion »Hausschwangere«); Schulbuch-Kritik (u.a. die AKE-Studie »Diskriminierung der Schülerinnen«); Kontakte zur Gewerkschaft (u.a. kritische Stellungnahme zum DGB-Programm für Arbeitnehmerinnen) und Beteiligung an allgemeinpolitischen Aktionen (Bundestagswahlkampf 1969, »Freiheit für Angela Davis«, Bürgerinitiative Roter Punkt, Demonstrationen und Info-Stände gegen den Vietnam-Krieg); Beteiligung an der Unterschriftenaktion gegen den Paragraphen 218.
Die Gruppe, die zeitweise aus ca. 50 aktiven Frauen bestand, erreichte (zumindest bis 1973) eine beachtliche politische Resonanz über Bonn hinaus. In der Praxis hat der AKE sein sozialistisches Selbstverständnis allerdings nie so explizit vertreten wie der SFB, sondern sich eher als Bündnisorganisation verstanden, »als Teil der Bewegung der Frauen, die aktiv für ihre politischen und gesellschaftlichen Interessen kämpfen. Dieser Kampf ist einzuordnen in die allgemeine demokratische Bewegung«[96] ähnlich wie die spätere Demokratische Fraueninitiative (vgl. S. 62 f.), der er sich 1976 auch anschloß.
Zu 3.) Der weitaus größte Teil der in diesen Jahren entstandenen autonomen Frauengruppen zählt zur feministischen Richtung, mit einem

  1. kleinen sozialistisch-feministischen
    und einem
  2. wachsenden radikal-feministischen Flügel.

Um deutlich zu machen, mit welchem Selbstverständnis sozialistisch-feministische Frauengruppen arbeiten, sollen hier zwei in jener Phase der Frauenbewegung bekanntere Gruppen zu Wort kommen, deren Theorieund Praxis-Vorstellungen jedoch erheblich voneinander abweichen.
Die Kölner Frauenbefreiungsaktion (FBA), 1971 als »Aktion 218«Gruppe entstanden, vertritt teilweise Positionen, die dem antiautoritären Ansatz des Aktionsrates zur Befreiung der Frau oder des Weiberrates noch sehr nahestehen. Zugleich ist ihre Praxis bereits von radikal-feministischen Elementen beeinflußt, was insbesondere in der Arbeit mit Selbsterfahrungsgruppen zum Ausdruck kommt. Hier einige Kernsätze aus ihrer Selbstdarstellung: »Wir haben eingesehen, daß es zwecklos ist zu warten, bis Parteien, Verbände oder sonstige von Männern beherrschte Institutionen uns helfen. Als wirksamstes Mittel zur Durchsetzung unserer Forderungen, d.h. zur Veränderung der miserablen Situation der Frauen in unserem Land sehen wir die Selbstorganisation der Frauen an ... In verschiedenen Arbeitsgruppen erarbeiten wir uns das Wissen über die wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen der Totalbenachteiligung von uns Frauen. In >Selbsterfahrungsgruppen< versuchen wir, die uns eingetrichterten Vorstellungen über unsere >Mindcrwertigkeit< loszuwerden und unsere tatsächlichen Bedürfnisse zu  erkennen und zu formulieren ... Unser politischer Standpunkt ist noch nicht ausdiskutiert. Wir tendieren in sozialistischer Richtung, wollen uns aber nicht an bestehenden sozialistischen Systemen orientieren, sondern wir wollen - ausgehend von unseren eigenen Problemen - erkennen, durch welche gesellschaftlichen Verhältnisse diese bedingt sind, und wollen versuchen, daraus Alternativen zu entwickeln ... In der Änderung unseres individuellen Verhaltens sehen wir die Voraussetzung für den Abbau hierarchischer Strukturen in der gesamten Gesellschaft ... Von ihren persönlichen Erfahrungen ausgehend\emen die Frauen, die Zusammenhänge zwischen ihrem eigenen Verhalten und den gesamtgesellschaftlichen Bedingungen kennen. Wir gehen also nicht von einer bestimmten Theorie oder von bestimmter Literatur aus, die dadurch wieder zu einer Autorität würden, sondern wir finden unsere eigenen Maßstäbe,..«[97]

Die Sozialistisch-feministische Aktion (So.F.A.), die seit ca. Mai 1972 besteht, hat ihre »praktischen Ansatzpunkte« dagegen von einer zuvor erarbeiteten marxistisch beeinflußten Gesellschaftstheorie abgeleitet. Da die So.F.A.-Frauen davon ausgehen, »daß eine gesellschaftliche Veränderung letztlich nur über den Produktionsbereich (d.h. durch Vergesellschaftung der Produktionsmittel) erfolgen kann«, fällt es ihnen schwer herauszufinden, »wie und wo wir nun« - als Frauengruppe - »arbeiten wollen«. Ihre Schlußfolgerungen ähneln auffällig den Praxisansätzen der Jungsozialisten (insbesondere zu jener Zeit): »Wir müssen also im Reproduktionsbereich (Familie, Wohnen, Freizeit) ansetzen,[98] um von da aus Abhängigkeiten und Unterdrückungsmechanismen - sowohl die im Produktions- als auch im Reproduktionsbereich erfahrbaren - bewußt zu machen«.[99]
Darüber hinaus streben sie die Zusammenarbeit mit anderen Gruppen an: »Um unsere Ziele als sozialistisch-feministische Frauen durchzusetzen, sind wir bereit, mit anderen Gruppen, die punktuell gleiche Interessen haben, Aktionseinheiten einzugehen«.[100]
Seit Frühjahr 1973 geben die So.F.A.-Frauen die Zeitschrift »e-f-a, Emanzipation - Frauen - Argumente« heraus.

Die radikalfeministische Position habe ich bereits ausführlich im Exkurs 1 charakterisiert. Ihre allmähliche Herausbildung in der Bundesrepublik über die aus den USA importierten CR-Gruppen, die einsetzende Rezeption feministischer Literatur aus dem Ausland, über das Gefühl der Stärke bei Frauendemonstrationen, Frauenkongressen, Frauentreffen - habe ich an der Entwicklung des Weiberrates zu schildern versucht. Typisch an der Geschichte dieser Frauengruppe für die Frauenbewegung jener Zeit ist das Unbehagen, »immer nur 218 zu machen«, und das Interesse, etwas mit Frauen gemeinsam zu tun, aber noch nicht genau zu wissen, was eigentlich. Aus dieser Stimmung heraus entwickelte sich die Tendenz, Frauenzentren einzurichten, wie sie inzwischen auch aus anderen Landern bekannt wurden, wo Frauen sich treffen, zusammen reden, in Arbeitsgruppen zu bestimmten Themen gemeinsam arbeiten und von wo aus Projekte gestartet und Aktionen initiiert werden können. Die organisatorisch lockeren Frauenzentren, die nun auch in anderen Städten entstanden, lösten mit der Zeit immer stärker das Frauengruppen-Konzept mit verbindlicher Organisationsstruktur, theoretisch erarbeitetem Programm und daraus abgeleiteten Aktionsansätzen ab.
Das Jahr 1972 war noch weitgehend von den 218-Aktivitäten bestimmt. In diesem Jahr schrieb die Westberliner Frauengruppe Brot und Rosen ihre Aufklärungsbroschüre über Abtreibung und Gesundheitspolitik, bekannt geworden unter dem Titel »Frauenhandbuch Nr. 1«. Der Deutsche Gewerkschaftsbund erklärte das Jahr 1972 zum »Jahr der Arbeitnehmerin«, und die Bundesregierung veröffentlichte den »Bericht... über die Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der Frau«.[101] Im Januar 1972 hatten die Ministerpräsidenten und der Bundeskanzler, der unter dem Slogan »Mehr Demokratie wagen« angetreten war, die »Grundsätze für die Einstellung Radikaler in den öffentlichen Dienst«, den sogenannten »Radikalenerlaß«, beschlossen. Im Februar 1973 fand die (vorletzte) Delegiertenkonferenz aller Frauengruppen in München statt, »die jedoch >nur< zu einem Frauentreffen wurde«[102]:
»Das Treffen begann mit der Vorstellung der Gruppen ... Die Zahl der Gruppen, die anwesend waren, ließ sich nur schätzen, zumal einige nur am ersten, einige wiederum nur am zweiten Tag anwesend waren. Bundesweit zeigte sich vor allem, daß die Einwirkungen der Erfahrungen der amerikanischen Frauengruppen auch hier durchgeschlagen hatten. Noch nie stellten sich soviele Gruppe als >Quatschgruppen< vor. Groß war dann auch die Arbeitsgruppe, die sich später mit der Bildung, Form und Auswirkungen von Gruppen der Bewußtseinsbildung befaßte. Eine zweite Gruppe diskutierte ebenso intensiv über die Überwindung von Anfangsschwierigkeiten im Aufbau und Ausbau von Gruppen.[103] Ganz spontan organisierten sich auch >Schwulgruppen<, die sich jetzt bundesweit bilden. Nicht wenige Gruppen, die sich aus der Dringlichkeit der eigenen geschlechtsspezifischen Lage allgemein spontan als 218-Gruppen gebildet hatten, stehen dort, wohin sie Bochum z. B. placierte: >Im Grunde wissen wir nicht, was wir machen sollen. Wir sind einfach ratlos<, oder >Wir sind von 80 auf 3 geschmolzene. Ein Kapitel für sich ist das Selbstverständnis der rund ein halbes Dutzend Münchner Frauengruppen. Die sozialistischen Frauen haben ein 17-Seiten-Papier ausgearbeitet, das allen Gruppen helfen soll, die in Theorie und Praxis in den Gruppen auftretenden Schwierigkeiten zu überwinden ... Praktisch in Betriebs- und Stadtteilarbeit steht die Frauengruppe Siemens. FFM Frauenforum München - Erste Vorsitzende: Hannelore Mabry-versuchte vergeblich eine Diskussion, um eine Demonstration am Sonnabend vor Muttertag 1973 auf die Tagesordnung zu bringen. Wie auf den bisherigen größeren Treffen der Frauen in Frankfurt, Berlin, Köln und jetzt in München ist noch nicht an eine Richtung zu denken, aber die Solidarisierung hat erneut einen großen Schritt gemacht«[104]

In der Selbstdarstellung der »Geschichte des Weiberrates« heißt es, daß »der Streit um die geplante Frauenzeitung den Anlaß für die Abspaltung einiger Gruppen (gemeint sind wohl die sozialistisch-feministischen d. V.) gegeben habe. »Diese wollten die Zeitung >efa< zum Organ der Bewegung machen, während die Mehrheit der anwesenden Gruppen lieber eine neue Zeitung machen wollten - die >Frauenzeitung<«[105] - sie ist es übrigens bis heute geblieben.
Dieser »Streit« ging um mehr, um Grundsätzliches: um die künftige Kampfrichtung, die die Frauenbewegung einschlagen sollte. »Die Verbindung oder Nicht-Verbindung zwischen Patriarchat und Kapitalismus ist im Grunde die derzeitige Debatte innerhalb der 2. Frauenbewegung«, schrieb Hannelore Mabry, 1. Vorsitzende des Münchner Frauenforums, im September 1973 an den Deutschen Staatsbürgerinnen-Verband.[106] Und er ging darum, ob sich Gruppen auch mit unterschiedlichem Selbstverständnis auf Gemeinsamkeiten, auf punktuelles einheitliches Vorgehen einigen könnten. Solche Bemühungen scheiterten: »Die fehlende Gelegenheit zusammenzukommen, um miteinander Gedanken auszutauschen, zu ähnlichen politischen Konzepten und damit auch zur Kooperation bei Aktionen zu kommen, war der Grund, weshalb sich im Juni 1973 sozialistische Frauengruppen erstmalig zu einer eigenen Arbeitstagung in Bonn zusammenfanden und dieses am 8./9. Dezember 1973 und 9./10. Februar 1974 in Köln wiederholten«.[107] Die Diskussion um das Verhältnis Patriarchat-Kapitalismus, zentrales Thema eines sich politisch nicht selbstkastrierenden Feminismus in den anderen westlichen Ländern (ausgenommen die USA), geriet in der feministischen Frauenbewegung in der BRD seit Ende 1973 immer mehr in den Hintergrund. Die von Mabry angesprochene Debatte wurde sehr schnell einseitig entschieden, d.h. zugunsten jener Position, die von einem dem Kapitalismus übergeordneten Patriarchat ausging: »Unser zentrales Ziel ist: die Abschaffung der Herrschaft von Männern über Frauen und Kinder - also des Patriarchats«[108] - wobei dessen Verhältnis zum Kapitalismus theoretisch nicht mehr reflektiert wurde. »Theorie« selbst wurde im übrigen künftig mit »männlich« gleichgesetzt, der die Frauen ihren »weiblichen« Erfahrungsansatz gegenüberstellten. Insofern markiert bereits das Bundestreffen im Februar 1973 einen Wendepunkt in der Geschichte der Frauenbewegung. Einen Wendepunkt gab es auch in der politischen Entwicklung der Bundesrepublik. Im Januar 1973 wurden die Reformversprechungen in der Regierungserklärung des zweiten Kabinetts Brandt/Scheel zurückgenommen, im Mai 1973 trat Willi Brandt als Bundeskanzler zurück und sein Nachfolger Helmut Schmidt personifizierte den Umschwung in der sozialliberalen Politik nach rechts. Im Sommer 1973 kam es zu einem aufsehenerregenden Streik der Pierburger Arbeiterinnen in Neuß. Der Funke sprang jedoch keineswegs zu feministischen Gruppen über, so daß es weder zu Kontakten zwischen den streikenden Arbeiterinnen und Feministinnen, noch zu einer Unterstützung des Streiks durch die feministische Frauenbewegung kam. Die Forderungen, um die die Arbeiterinnen kämpften - u.a. »Weg mit der Lohngruppe 2«, »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit«, »Alle Arbeiter, Frauen und Männer, sollen pro Stunde eine Mark mehr Lohn bekommen« -, spielten in der feministischen Frauenbewegung der Bundesrepublik kaum eine Rolle (im Gegensatz z.B. zur Frauenbewegung in England); sie wurden, wie schon einmal in der ersten Frauenbewegung, den Arbeiterinnen überlassen. 1973 war auch das Jahr, in dem die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) gegründet wurde.

2. Zur weiteren Entwicklung der feministischen Frauenbewegung seit 1974

Auch das Jahr 1974 war noch bestimmt von den Aktionen gegen den § 218. Die Frauenbewegung wuchs, Frauenzentren und Frauengruppen schössen wie Pilze aus dem Boden. Vom 20.-22. September 1974 fand ein nationaler Kongreß der Frauengruppen in Bochum statt:
»Die Frauen kamen zusammen, um den Inhalt der Frauenzeitung genauer zu bestimmen. (Die Frauenzeitung wird abwechselnd von je einer Fraucngruppe zu einem bestimmten Thema gemacht ...) Auch wurde darüber geredet, wie mehr Frauenzentren geschaffen werden können. Abends gabs, wie immer bei Kongressen, ein tolles Fest«.[109]
Zu einem Internationalen Frauenkongreß unter dem Motto »Frauen gemeinsam sind stark« trafen sich die Feministinnen im November 1974 in Frankfurt.
An der damals kursierenden »Adressenliste der deutschen Frauengruppen« wird das Gruppenspektrum jener Zeit ablesbar: Frauenzentren werden in 17 Städten angeführt; sozialistische Frauengruppen lediglich in fünf Städten (wobei nicht auszumachen ist, wie viele fehlen, da unter Berlin nicht einmal der SFB genannt wird); nur noch zwei 218-Gruppen; ca. 20 Frauengruppen, -initiativen, -foren oder -Arbeitskreise ohne nähere Bezeichnung; zahlreiche Kontaktadressen ohne Angaben; zwei Lesbenzentren (in Berlin und Frankfurt).
Welche Frauenprobleme - abgesehen von 218 - wurden von diesen Gruppen aufgegriffen? Das Frauenjahrbuch '75, das den Anspruch hat, ein »Tagebuch der aktuellen Bewegung«, eine »repräsentative Anthologie« zu sein, bringt folgende thematische Schwerpunkte: §218/Mütter/Hausfrauen/ Frau und Kunst/Uni-Frauen/Selbsterfahrungsgruppen/Lesben/Beziehungen - und dürfte damit das Aktivitätenspektrum der feministischen Bewegung im Jahre 1974 realitätsgetreu abgebildet haben. Auffällig ist, daß dieses Jahrbuch absolut »theorielos« ist, d.h. Richtungskämpfe innerhalb der Frauenbewegung, die sich an einer unterschiedlichen Analyse von Frauenunterdrückung und Frauenbefreiung festmachen, nicht widerspiegelt.[110] Auffällig ist weiter, daß das Thema Arbeit/Berufstätigkeit/Doppelbelastung und die Lebenssituation der meisten Frauen vollständig ausgespart bleiben. Das Thema »Mütter«, zentrales Problem der Emanzipation überhaupt (insbesondere unter dem Gesichtspunkt, wie das Kinderproblem gelöst werden soll), wird z. B. unter Titeln wie »Schwangerschaft ist tödlicher als der Tod« abgehandelt, das Thema »Hausfrauen« unter dem Aspekt, daß sie »auch in Frauengruppen« unterdrückt seien. Ein Blick auf die weitere Entwicklung der feministischen Bewegung anhand der im Frauenjahrbuch '76 [111] präsentierten Gruppen und Themen ergibt für das Jahr 1975 folgendes Bild: neu sind die Schwerpunkte

  1. Gegenkultur - darunter ein Frauenbuchladen, die Frauenrockband Flying Lesbians, der Frauenverlag Amazonen, eine Frauenkneipe.
  2. Körperbewußtsein - Erfahrungen einer Selbsthilfe-Gruppe, ein Brief über Geburt und Schwangerschaft.
  3. Gewalt gegen Frauen - darunter »verschiedene Ebenen von Gewalt«, Aktion Frauenhaus, eine Gerichtsverhandlung, Antwort auf eine Vergewaltigung.

Eine Art Erweiterung des bisherigen Themas Selbsterfahrung stellt derTitel »Feministischer Alltag« dar, unter dem auch Aktivitäten wie Frauengesprächskreise an der Volkshochschule und Tagesmütterinitiativen vorgestellt werden. Die wichtigsten überregionalen Treffen 1975:
in Marburg (Januar) und in Gießen (Oktober) nationale Treffen der Selbsthilfegruppen;[112] in Mannheim/Ludwigshafen (Februar) ein nationaler Frauenkongreß. »Wichtigster Punkt war der § 218 und die anstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Außerdem wurden Aktionen zum >Jahr der Frau< geplant, über Frauenzentren, Feministische Therapie und Selbsterfahrungsgruppen gesprochen«.[113] Außerdem fand im März ein Internationales Lesbentreffen in Amsterdam statt. Im Jahre 1975 erschien auch Alice Schwarzers Bestseller »Der>kleine Unterschied< und seine großen Folgen«, in dem das Sexmonopol der Männer zur Ursache der Frauenunterdrückung erklärt wird. Im Frauenjahrbuch '77 taucht ein weiteres neues Thema auf: Psychoanalyse und Feminismus bzw. feministische Therapie. Ansonsten zeigt es, daß die Frauenbewegung »lyrisch« geworden ist. Über weite Strecken Gedichte, Prosatexte; schreibende Frauen sind jetzt in der Bewegung sehr >in<. Ein Frauenjahrbuch '78 wird es nicht mehr geben, »denn es kamen fast nur Gedichte«, erfuhr ich vom Verlag Frauenoffensive, die aber aus der Frauenbewegung nicht so gern einen »Lyrikband« machen möchte. Tatsächlich hat es in den letzten Jahren eine die unterschiedlichen Frauengruppen, Strömungen und Praxisschwerpunkte zusammenfassende nationale Frauenkonferenz denn auch nicht mehr gegeben.[114] An die Stelle gemeinsamer frauenmobilisierender Aktionen ist ein wenig »action« zum 30. April (»Walpurgisnacht«-Demonstrationen, seit 1977) getreten. An überregionalen öffentlichen Aktivitäten fallen einzig die spektakulären Gewalt-Foren[115] ins Gewicht, deren Verdienst es war, das in den kapitalistischen Gesellschaften millionenfach verbreitete Elend geschundener und geschändeter Frauen ans Licht der Öffentlichkeit gebracht zu haben. Abgesehen von dem solidarisierenden und befreienden Effekt für die Frauen selbst, blieben sie aber politisch folgenlos, erst recht, soweit die gesellschaftlichen Ursachen zugunsten des Feindbildes Mann ausgeblendet wurden;[116] sie schufen allenfalls den nötigen moralischen Druck, öffentliche Gelder für jene nur zu notwendige Selbsthilfe der Frauenhausinitiativen lockerzumachen.[117]
Von gewisser öffentlicher Ausstrahlungskraft sind darüber hinaus noch die nach amerikanischem Muster seit 1976 alljährlich stattfindenden Westberliner (Frauen-)Sommeruniversitäten.

Eine wichtige öffentliche Funktion nehmen seit 1976 die feministischen Publikationsorgane ein. Die erste Nummer der Westberliner Frauenzeitung Courage kam im September 1976 heraus, im Februar 1977 folgte Emma mit einer Startauflage von 300000 Exemplaren, die sofort vergriffen waren. 1978 erschien zum drittenmal in hoher Auflage der feministische Frauenkalender, herausgegeben von Schwarzer u.a., mit dem Konzept, unter Tagesdaten hervorragende Geschlechtsgenossinnen, Frauenkämpfe, Anekdoten und Informationen zu bringen. Im selben Jahr gab es zum ersten Mal eine feministische »Konkurrenz«, den Taschenkalender Tag für Tag, so multipluralistisch und facettenreich wie inzwischen die feministische Frauenbewegung. So reicht das Spektrum der Themen von »Frauen gegen Vergewaltigung«, »Lohn für Hausarbeit«, Frauenselbsthilfe, feministische 
Kunstkurse für Taxifahrerinnen, Frauen in technischen Berufen, türkische Frauen, Sozialarbeiterinnen, behinderte Frauen, schreibende Frauen, Lesbierinnen bis zu Frauenprojekten wie Viva Frauendruck und Frauenkneipe Blocksberg - ein buntes Allerlei an Frauenaktivitäten, Frauenproblemen und Frauengedanken vornehmlich unter dem Himmel West-Berlins. Und so ähnlich steht es zur Zeit auch um die feministische Frauenbewegung der Bundesrepublik. In den meisten Frauenzentren sind einige Schwerpunkte dieses weitgesteckten Themen- und Gruppenspektrums über Arbeitsgruppen, Initiativen und Projekte in die Praxis umgesetzt, z. Z. (Herbst 1978) insbesondere Beratungs- und Selbsthilfegruppen, Frauenhausinitiativen, Lesbentreffs, Quatschgruppen, Kulturgruppen, Arbeitskreise zu bestimmten Themen (z.B. Gewalt gegen Frauen, Lohn für Hausarbeit). Darüber hinaus zeigt sich neuerdings eine Tendenz zur Gründung feministischer Vereine, insbesondere im Wissenschafts- und Therapiebereich, wie z.B. der im Frühjahr 1978 in Köln initiierte Verein Sozial wissenschaftliche Forschung und Praxis für Frauen e.V., der Ende November 1978 einen ersten zentralen Kongreß zum Thema »Feministische Theorie und Praxis in sozialen und pädagogischen Berufsfeldern« organisierte, an dem ca. 1000 Frauen teilnahmen - eine Entwicklung ähnlich wie in den USA.
Die sozialistisch-feministischen Frauengruppen kommen seit Jahren weder in der Öffentlichkeit noch in den Publikationsorganen und Adressenlisten der feministischen Bewegung vor. Einige der Gruppen, die an den Arbeitstagungen der sozialistischen Frauengruppen 1973 und 1974 teilnahmen, haben sich inzwischen aufgelöst. Ein weiteres Treffen hat es seither nicht mehr gegeben, allerdings ist zum Frühjahr 1979 ein Arbeitsgespräch sozialistisch orientierter autonomer Frauengruppen in Köln geplant.

3. Einschätzung

Die feministische Frauenbewegung in der Bundesrepublik hat, wie wir gesehen haben, ein beachtliches Spektrum an Aktivitäten, Initiativen und Kreativität hervorgebracht. Sie hat die sogenannten privaten Probleme der Frauen öffentlich artikuliert, um die sich niemand - wenn nicht sie selbst kümmerte oder gekümmert hätte. Sie muß es sich aber gefallen lassen, daß ihre Produkte, ihre Thesen, ihre Arbeit auch daran gemessen werden, was sie konkret für die Verbesserung der Situation der Frauen in diesem Land bewirken konnten, und wie die von ihr gewählten Schwerpunkte und Aktionen mit der gesellschaftspolitischen Entwicklung in der Bundesrepublik korrespondierten. Die Bilanz, meine ich, sieht dann nicht so rosig aus. Dazu einige Belege:
Im Herbst 1974/Frühjahr 1975 erlebte die Bundesrepublik die schwerste ökonomische Krise ihrer Geschichte. Die Arbeitslosenzahl überschritt die Millionengrenze. Frauen waren besonders betroffen. Seit Anfang 1975 wurde mit Hilfe einer unsozialen Rotstiftpolitik in bisher nicht gekanntem Ausmaß an Schulen, Kindergärten, Spielplätzen usf. »gespart«. Besonders betroffen waren, über ihre Kinder, wieder die Frauen. Auch Lehrerinnen brauchte man nun nicht mehr so viele, sie wurden gar nicht erst eingestellt. Welche Antworten hatten die Feministinnen auf diese Situation? Frau schlage nach auf Seite 55ff.
Die Abkehr der radikalfeministischen Gruppen von den politischen Realitäten und ihre nahezu ausschließliche Zuwendung zur privaten, individuellen, persönlichen Sphäre - ausgerechnet in einer Zeit der zugespitzten gesellschaftlichen Krise, die nicht zuletzt gerade auf dem Rücken eines Großteils ihrer Geschlechtsgenossinnen ausgetragen wurde - das habe ich diesen Gruppen vorzuwerfen. Sie haben niemals daran gedacht, ihre Forderungen und Vorstellungen in die Kämpfe z.B. der Arbeiterinnen und ihrer Organisationen einzubringen. Sie hatten nur ein müdes Lächeln für die Forderung der gewerkschaftlich organisierten Frauen nach dem »Recht auf Arbeit«, nach Ganztagsschulen oder Kinderkrippen (im Gegensatz zu ihren feministischen Schwestern in England zum Beispiel). Sie haben nicht daran gedacht, im bildungspolitischen und sozialen Bereich ihr Gewicht zur Geltung zu bringen, weil sie »ganz andere« Vorstellungen im Kopf hatten sie waren so sehr mit ihrem eigenen, individuellen und doch recht »bürgerlichen« Weg zu sich selbst beschäftigt.
Und niemand hat sich daran gestört, im Gegenteil: Die maßgeblichen Herren (zumeist) haben ihre Anregungen und Darbietungen mit Begeisterung (und gelegentlich süffisantem Hohn, auch mal zwischendurch mit Polizeihunden) aufgenommen, es paßte ja gerade so gut, von dem materiellen und psychischen Elend der Millionen Frauen, die sich existentielle Sorgen machten, abzulenken.
Und noch ein Zweites kam hinzu: Es war das Internationale Jahr der Frau. Das war für die maßgeblichen Herren an den Schalthebeln peinlich und unangenehm - auch wenn die Radikalfeministinnen das nicht so gern glauben mögen. Das warf zuviel Licht auf Frauenschatten. Erst recht, als dann noch die eine große einigende Frauenforderung nach Abschaffung des § 218 unter dem Schiedsspruch des höchsten Verfassungsgerichts Ende Februar 1975, ausgerechnet im Jahr der Frau, zerbrach. Ich sehe ein, daß das auch Konsequenzen für die feministische Frauenbewegung haben mußte, sie verlor einen wesentlichen Kampf - und die verschiedenen Flügel der Frauenbewegung verloren das einzige gemeinsame Ziel.
Die Entscheidung war gefallen, was nun? Ich verstehe, daß da die Gefahr der Resignation, der Abkehr und des Rückzugs auf sich selbst auftauchte - wie im übrigen bei anderen Gruppen nach dem Zusammenbruch der Reformhoffnungen auch. Die Frauen fühlten sich angeschissen, wie immer. Und auf der Suche nach den Schuldigen stolperten sie immer wieder über das Feindbild Mann. Und verwechselten den Stolperstein mit denjenigen, die ihn absichtlich auf ihren Weg gestellt hatten.

Und da die verschärfte Frauenmisere nun auch die Studentinnen mit zunehmender Heftigkeit traf, die Studienbedingungen sich verschlechterten, ein künftiger Arbeitsplatz schon gar nicht für Frauen mehr sicher war, wurden sie noch saurer auf den Stolperstein, und das Feinbild Mann nahm großen Aufschwung. Die eigentlich Schuldigen aber rieben sich währenddessen die Hände und vereinnahmten den »revolutionären Frauenkampf« für ihre Zwecke.

Nachsatz
Die  Radikalfeministin Juliet Mitchell wundert sich in ihrem Buch »Woman's Estate«:
»Die Massenmedien geben der Frauenbewegung nicht nur Publicity; hinsichtlich der Konzeption und Organisation ist die Frauenbewegung die öffentlichste revolutionäre Bewegung, die jemals existiert hat. Gleichzeitig auch in der Lage, die revolutionärsten Erklärungen in der Öffentlichkeit abzugeben, ohne daß auch nur irgend jemand davon berührt zu sein scheint«[118]

4. Die Demokratische Fraueninitiative

Angesichts dieser Situation hatten einige Frauen, darunter auch solche, die für sich durchaus »feministisches« Bewußtsein in Anspruch nehmen, aber mit dem hierzulande artikulierten »feministischen« Selbstverständnis nicht mehr einverstanden waren, die Nase voll: Wir müssen initiativ werden, beschlossen einige Frauen, die über ihre Situation und über die Lage der Frauen in der Bundesrepublik diskutiert hatten, damit die Forderungen, die notwendig sind, endlich auf den Tisch kommen. Wir sind nicht bereit, uns von den sozialen Auseinandersetzungen länger abspalten zu lassen. Denn wir sehen einen Zusammenhang zwischen der Frauenunterdrückung und der Gesellschaft, in der wir leben, einen Zusammenhang zwischen der ökonomischen Krise und der Verschärfung unserer Lage.
So gründeten Frauen mit durchaus unterschiedlichen politischen Einstellungen, Berufstätige, Hausfrauen, Gewerkschafterinnen und Studentinnen, die Initiative Internationales Jahr der Frau '75, ein Jahr später die Demokratische Fraueninitiative (DFI).[119]
Ihr Konsens bestand zum einen in der Unzufriedenheit mit der einseitigen Ausrichtung der Frauenbewegung, zum anderen in einem Minimalforderungskatalog, auf den sie sich einigen konnten:
»Über Frauen wird zur Zeit sehr viel diskutiert in der BRD. Die großen Parteien entdecken die Frauen, die bürgerlichen Massenmedien berichten gern und oft über spektakuläre Frauenthemen. Wir >Durchschnittsfrauen< und unsere ganz konkrete >alltägliche< Diskriminierung, am Arbeitsplatz, in der Ausbildung, in der Familie und die herrschende Weiblichkeitsideologie, kommen dabei selten zu Wort. Die Frauenfrage wird reduziert auf ein Problem individuellen Rollenverhaltens, das individuell gelöst werden muß. Damit sind wir nicht zufrieden: Die Diskussion um Rollenprobleme und das Bemühen um neue Partnerbeziehungen sehen wir als einen Bestandteil der Frauenbewegung, der uns aber nicht davon abhalten wird, um unsere elementaren Rechte zu kämpfen, oder uns wichtiger werden könnte als Aktionen gegen Frauenarbeitslosigkeit, für gleichen Lohn, für gleichwertige Arbeit, für gleiche Bildungschancen, für eine kinderfreundliche Umwelt« (Zeitungsflugblatt der DFI).

Bis zum Oberhausener Kongreß der Demokratischen Fraueninitiative im April 1977, an dem sich mehr als 1 000 Frauen beteiligten, gab es ca. 10 Gruppen dieser Initiative in der Bundesrepublik. Inzwischen (September 1978) ist sie auf 45 Gruppen gewachsen. Die Diskussion des eigenen Selbstverständnisses, der Arbeitsweise und Organisationsstruktur, des Forderungskataloges und seiner Begründung beschäftigte die Gruppen bis zur Delegiertenkonferenz im Herbst 1977, bei der eine »Arbeitsgrundlage« verabschiedet werden konnte. Die Theorie-Diskussion zur Frauenfrage ist noch in vollem Gange, ebenso die Diskussion um Aktionsschwerpunkte und Fragen der Gruppenarbeit, insbesondere auch die Frage der bestmöglichen Einbeziehung von Hausfrauen oder individuell-psychologischer Probleme. Die einzelnen Gruppen haben bisher zu folgenden Themen gearbeitet und zum Teil Aktionen durchgeführt:

Frauenarbeitslosigkeit/fehlende Lehrstellen für Mädchen/Situation der Frauen in der Familie (Aktionen zum Tag des Kindes und zum Muttertag)/Abrüstung (Aktionen gegen die Neutronenbombe)/Situation der ausländischen Frauen/§ 218/theoretische Konzepte zur Frauenemanzipation/persönliche Schwierigkeiten und Erfahrungsaustausch.
Die Demokratische Fraueninitiative setzt sich u.a. ein für:
- gleiches Recht auf Bildung und Ausbildung, gleichen Zugang für Mädchen und Jungen zu allen Berufen, Verbesserung und Erweiterung des Mutterschutzes und Einführung eines Sonderurlaubs von 18 Monaten nach der Geburt für Mütter oder Väter,
- Ausbau und Verbesserung der Kinderkrippen, Kindertagesstätten, Schülerhorte, Vor- und Ganztagsschulen,
- Ausbau der eigenständigen sozialen Sicherung der Frauen,  Streichung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch und Einführung der Fristenregelung, Verwirklichung des Rechtes auf Arbeit für Männer und Frauen, gleicher Lohn bzw. gleiches Gehalt für gleichwertige Arbeit, 
- Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich.

Da die DFI in diesem Buch an verschiedenen Stellen ihre Aktionen und ihre Gruppenarbeit selbst vorstellt, soll hier auf ihre Arbeit nicht näher eingegangen werden. Wichtig scheint mir aber, darauf hinzuweisen, daß die DFI nicht eine explizit sozialistische, marxistische oder gar sozialliberale Frauengruppe mit einem festgefügten theoretischen Begründungszusammenhang ist und insofern eine Fraueninitiative neuen Typs innerhalb der »neuen« Frauenbewegung seit 1968 darstellt. In Struktur und Arbeitsweise gleicht sie eher dem Selbstverständnis fortschrittlicher Bürgerinitiativen, in denen es darauf ankommt, sich jeweils auf den größten gemeinsamen Nenner zu einigen, auch wenn politische und sonstige Auffassungen auseinandergehen. Damit knüpft die DFI, unter veränderten gesellschaftspolitischen Bedingungen, durchaus an der Tradition der demokratischen Frauenbewegung der fünfziger Jahre, dem Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD) und der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung (WFFB), an.[120]

Auch die DFI ist ein »autonomer« Zusammenschluß von Frauen, d.h. unabhängig von bestehenden Organisationen und Parteien und unter Ausschluß von Männern, die aber als Gäste in der Gruppe zugelassen werden und an ihren Veranstaltungen teilnehmen können. »Wir brauchen eine eigenständige, unabhängige und starke Frauenbewegung«, heißt es in der Arbeitsgrundlage der DFI, »- weil es notwendig ist, eine breite Öffentlichkeit auf die fortwährende und sich gegenwärtig noch verstärkende Benachteiligung der Frauen aufmerksam zu machen und ins allgemeine Bewußtsein zu bringen, welche wirtschaftlichen und politischen Kräfte dafür verantwortlich sind; um unsere Forderungen durch vielfältige Aktionen so nachdrücklich wie möglich in die bestehenden Organisationen, Parteien und Parlamente hineinzutragen; und nicht zuletzt, weil unsere besondere Situation derdoppelten Unterdrückungnämlich unserer gesellschaftlichen Diskriminierung und unserer daraus herrührenden Abhängigkeit von der Männerwelt-auch eine besondere Behandlung unserer Probleme verlangt; weil wir uns - ungleich den Männern - auf dem Weg zur Emanzipation gleichzeitig an zwei Fronten behaupten müssen.« An der Zusammenarbeit mit anderen Gruppen und Organisationen, die ihren Zielen nahestehen, ist die DFI interessiert. Gleichzeitig strebt sie auch eine verbesserte Kooperation innerhalb der Frauenbewegung an: »Um unserer politischen Wirksamkeit willen kommt es darauf an, die Frauenbewegung in der Bundesrepublik zu stärken und zu verbreitern. Unser Interesse und unsere Bereitschaft, gemeinsam mit den verschiedensten Richtungen der Frauenbewegung handlungsfähig zu werden, gilt auch für die unterschiedlichen autonomen Frauengruppen, bei denen wir Berührungspunkte für eine Zusammenarbeit oder gemeinsame Aktion mit der Demokratischen Fraueninitiative sehen« (Arbeitsgrundlage). Einschätzung Die Demokratische Fraueninitiative ist (neben dem Sozialistischen Frauenbund in West-Berlin) die einzige Gruppe innerhalb der neuen Frauenbewegung, die - über den Kampf gegen den § 218 hinaus und abgesehen von der einzigen Forderung der Radikalfeministinnen nach Lohn für Hausarbeit - dezidierte politische Forderungen stellt. Andererseits hat die DFI bisher kaum Anstrengungen unternommen, mit den Feministinnen in Kontakt zu treten, die Erfahrungen der Frauen im individuell-psychologischen und sexuellen Bereich aufzunehmen und nach ihrem Verständnis zu interpretieren und darüber auch zu gemeinsamen Aktionen mit feministischen Gruppen zu kommen. Schwergewichtig bündnisorientiert in Richtung »demokratische Bewegung«, »leidet« sie an »Berührungsangst« gegenüber feministischen, aber auch sozialistischen Frauengruppen. Ihrem in der »Arbeitsgrundlage« formulierten Selbstverständnis wird sie (noch) nicht gerecht, insofern sie sich bisher eher als spezielle »Frauen-Zuarbeiter-Organisation« für die demokratische Bewegung betätigt denn als eigenständige und selbstbewußt agierende Fraueninitiative, die sich nicht scheut, eben diese Organisationen der demokratischen Bewegung (Gewerkschaften, fortschrittliche Parteien und Zusammenschlüsse) mit ihren Forderungen zu konfrontieren.

Exkurs II: Die Frage der Autonomie in der Frauenbewegung

Wie wir gesehen haben, treten sowohl der sozialistisch(-feministische) als auch der radikalfeministische Flügel, aber auch die »demokratischen« Frauen für die Notwendigkeit der autonomen Organisation von Frauen ein, begründen dies aber unterschiedlich. »Daß wir uns als Frauen zunächst autonom organisieren müssen«, erklärte der Sozialistische Frauenbund Westberlin 1970,
»hat seinen Grund in der Verinnerlichung der jahrhundertelangen Unterdrückung der Frauen, die unselbständige, abhängige mit Minderwertigkeitsgefühlen beladene Individuen hervorgebracht hat. Die gemeinsame Schulung und Organisierung wird unser Bewußtsein entwickeln und uns stärken für den solidarischen Kampf mit den Männern gegen das kapitalistische Herrschaftssystem ... Wir müssen gewährleisten, daß weder der Kampf von Männern allein geführt werden muß, noch das Ergebnis im wesentlichen eine Gesellschaft für Männer (>auch für uns<) wird. Das können wir nur, indem wir selbst kämpfen«.[121]

Zwei Jahre später erweitert der SFB diese Definition, im Ansatz der DFI-Begründung ähnlich, aber sehr viel expliziter auf die »sozialistische Bewegung« bezogen:
»Wir organisieren uns als Frauen separat, solange die spezifische Unterdrückung der Frauen die der Männer noch überschreitet und die sich daraus ergebenden Aufgaben von Gewerkschaften und politischen Parteien nicht in ausreichendem Maße übernommen werden können. Da aber Unterdrückung-auch die der Frauen-im Kapitalismus nicht aufhebbar ist, ergibt sich, daß wir eine Massenbewegung mit sozialistischer Zielsetzung sind. Der Grad der Autonomie dieser gesonderten Frauenbewegung hängt vom Stand der sozialistischen Bewegung ab«.[122]
Mit diesem Autonomie-Verständnis - begriffen als notwendig für eine bestimmte Phase der Politisierung, aber in Verbindung mit dem sozialen Kampf der organisierten Linken - knüpfte der Sozialistische Frauenbund an einer Position an, die bereits von Clara Zetkin vertreten wurde, als die Frage der separaten Organisierung schon einmal, in der Frauenbewegung des vorigen Jahrhunderts, Diskussions- und Streitpunkt war. Clara Zetkin plädierte damals (dabei übrigens unterstützt von Lenin) für Frauen-Sonderorganisationen, die jedoch eng mit der Organisation der Arbeiterbewegung verbunden sein sollten. Von ihrer Partei verlangte sie andererseits, daß diese in ihrer Theorie und Praxis beweise, daß sie die Frauenfrage ernst nimmt:
»Unsere Forderungen (nach gesonderten Agitations- und Organisationsformen,d. V.) sind nur praktische Schlußfolgerungen, die wir aus den besonderen Nöten, den schändlichen Demütigungen der Frauen als Schwache und Rechtlose der bürgerlichen Ordnung ziehen. Wir beweisen dadurch, daß wir diese Nöte kennen und die Demütigungen der Frau, das Vorrecht des Mannes fühlen. Daß wir alles hassen, jawohl hassen und beseitigen wollen, was die Arbeiterin, die Arbeiterfrau, die Bäuerin, die Frau des kleinen Mannes, ja in mancher Beziehung sogar die Frau der besitzenden Klassen drückt und quält. Die Rechte und sozialen Maßregeln, die wir für die Frauen von der bürgerlichen Gesellschaft verlangen, sind Beweise dafür, daß wir die Lage und die Interessen der Frauen verstehen und unter der proletarischen Diktatur berücksichtigen werden«[123]

Eine »feministische« Modifikation erfährt die Autonomie-Position des SFB im »Grundsatzpapier der sozialistischen Frauengruppen«, erarbeitet auf der 2. Arbeitstagung vom 879. 12. 1973 in Marburg/Lahn. Darin heißt es:
»Warum autonome Frauengruppen? - Die Lösung der Frauenfrage ist letztlich nicht ohne die Überwindung des kapitalistischen Systems möglich; sie wird aber auch nicht automatisch mit der Überwindung eines solchen Systems gelöst. Neben kapitalistischen Strukturen müssen auch patriarchalische Strukturen überwunden werden, was aber nicht heißt, daß man gegen den Mann kämpft, sondern gegen die Vorherrschaft des Mannes. Deshalb müssen Frauen sich solange in autonomen Frauengruppen organisieren, als patriarchalische Strukturen und damit die Fraucnproblematik bestehen ... Das heißt nicht, daß Frauen nicht auch in anderen politischen Organisationen arbeiten. Wir halten es sogar für erforderlich, daß die Frauenfrage in die politische Arbeit dieser Organisationen hineingetragen wird, weil die Frauenproblematik nur im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu lösen ist«.[124]

Für den radikalfeministischen Flügel der Frauenbewegung hatte der Begriff Autonomie von Anfang an eine grundsätzlich andere Bedeutung. Autonomie heißt hier nicht nur eigenständige Organisierung von Frauen in einem bestimmten Kontext mit fortschrittlichen Organisationen der demokratischen Bewegung bzw. dem Kampf für den Sozialismus, sondern heißt abgetrennt von allen politischen Organisationen und Parteien als »Männerorganisationen« und jeglicher Zusammenarbeit mit Männern überhaupt. Als Beispiel soll hier das Thesenpapier »Warum organisieren wir uns als Frauen separat?«, vorgelegt auf dem Bundesfrauenkongreß in Frankfurt/M. am 11./12. März 1972, zitiert werden, das noch relativ vorsichtig formuliert ist:

  1. »Frauen organisieren sich separat, weil ihnen eines Tages auffällt, daß die Gesellschaft aktiv von Männern bestimmt wird und wurde, so daß wir die Gesellschaft und ihre Institutionen von den verschiedenen Frauenstandpunkten her untersuchen müssen, um selbst aktiv an der Gestaltung unseres Lebens und unserer Zukunft teilzuhaben.
  2. Frauen organisieren sich separat, weil sie gemeinsame Probleme haben, die im sogenannten >Privatbereich< besonders massiv auftreten und von den bisherigen Organisationen als >unpolitisch< abgetan werden, oder wiederum von der Sichtweise der >aktiven< Männer angegangen werden ...
  3. Frauen organisieren sich separat, weil sie oft so konkret unter dem Druck z.T. auch der Gewaltandrohung von Männern stehen, daß sie einen >Freiraum< brauchen, um sich eigene Frauenvorbilder zu schaffen, um neue Lebensstile für sich zu erproben...
  4. Frauen organisieren sich separat, weil sie dazu erzogen worden sind, ihr ganzes Leben auf Männer hin auszurichten (Kleidung, Beruf, Berufung), und eines Tages feststellen, daß sie für sich gar nichts sind...
  5. Frauen organisieren sich separat, weil sie erkannt haben, daß sie als einzelne aufgeschmissen sind, und um ihre Lage zu verbessern, mit vielen Frauen, denen es genauso geht (Abtreibung!), zusammenarbeiten müssen. Die Misere ihrer Lage (Verantwortung für die Kinder, schlechtere Ausbildung, Einsamkeit in der Vorstadt etc.) wird von Frauen erlebt. Männer können sie nur theoretisch >nachempfinden<. Deshalb müssen Frauen aktiv werden, weil nur sie wissen, was ihnen stinkt und wie sie anders leben wollen.
  6. Frauen organisieren sich separat, um ihre eigensten Ansprüche, entwickelt aus der Tatsache ihrer besonderen Unterdrückung, ihre Vorstellungen von ihrer Zukunft im gemeinsamen Kampf mit anderen Gruppen wirkungsvoll durchsetzen zu können, so daß eine Zukunft nicht schon wieder ohne sie und über ihre Köpfe hinweg gemacht wird. Diese Ansprüche gehen weiter, als eine formale oder inhaltliche Gleichberechtigung mit Männern zu erstreben. Indem Frauen die jetzigen Zustände zwar als kapitalistisch, besonders aber auch als>patriarchalisch<, als>männlich< erfahren, wollen sie mehr und etwas anders als was Männer schon haben ...«[125]

Dieses Autonomie-Verständnis ist abgeleitet vom unversöhnlichen Gegensatz Männer-Frauen und bestimmt von der Vorstellung, daß Frauen für sich etwas ganz anderes wollen, »als was Männer schon haben«. In den folgenden Jahren radikalisierte es sich dahingehend, daß jegliche gemeinsame Arbeit mit Männern, Beziehungen zu oder gar ein Zusammenleben mit ihnen strikt verweigert werden sollten.[126]
Im Frauenkalender '76 schließlich proklamiert frau auch noch die individuelle Autonomie von der eigenen Gruppe: »Die Gruppen haben  übrigens kein Monopol auf Frauenbefreiung. Wenn sie euch nicht passen, macht eure eigenen Gruppen.«
Wohin ein solches Autonomie-Verständnis führt, ist klar — zur totalen Zersplitterung und Handlungsunfähigkeit. Aber noch von einer anderen Seite her hat sich die Feministin Ursula Krechel dazu kritisch geäußert:
»Wie jede gesellschaftliche Arbeit ist die Arbeit in Frauengruppen jedoch nur insoweit autonom, wie es die gesellschaftlichen Bedingungen zulassen. Jeder mit Absolutheit vorgetragene Autonomieanspruch ist eine Fiktion. Er geht an derTatsache vorbei, daß gesellschaftliches Handeln von der Gesellschaft bestimmt ist«.[127]

Dieses grundsätzlich zu unterscheidende Autonomie-Verständnis der sozialistischen, sozialistisch-feministischen, »demokratischen« Frauengruppen einerseits und der radikalfeministischen Frauengruppen andererseits ging auch maßgeblich in ihre jeweilige Praxis ein: auf der einen Seite als Bereitschaft zur Kooperation mit anderen Gruppen, gleichzeitig und neben der autonomen Arbeit in der Frauengruppe, auf der anderen Seite als Tendenz zur Abgrenzung sowohl gegenüber (»Männer«-) Organisationen als auch anderen Frauengruppen - eine Tendenz, die im übrigen, in Form von rigidem »Separatismus«, bis heute zu immer weiteren Abgrenzungen auch unter den Frauen selbst geführt hat und letztlich gemeinsames Handeln unterschiedlicher Gruppen und »Fraktionen« schon im Ansatz verhindert. Denjenigen aber, die autonome Bestrebungen von Frauen unterschiedslos ablehnen, sollten wir entgegenhalten, daß sich dahinter oft »nichts weiter (verbirgt) als eine Verkennung ihrer spezifischen Situation und genauso falsch (ist) wie die zum Programm erhobene Autonomie. Frauen müssen erst einmal Selbstbewußtsein entfalten, um ohne >Bevormundung<, wie Lenin es forderte, als Gleichberechtigte selbst mit an der Umwälzung der Wirtschaft und des ideologischen Überbaus zu arbeitend Genau diese Funktion können autonome Frauengruppen haben. Wo Autonomie allerdings jegliche Zusammenarbeit mit politischen Gruppen, in denen auch Männer organisiert sind, ausschließt, >reicht sie von der Hand in den Mund, nicht weiten (Krechel)«.[128]

Schlußbemerkung

»Der politische und soziale Separatismus von Frauen wird nur dann weiter blühen, wenn die Männer es versäumen, die Initiative im Bereich der politischen Probleme und auf jenen Gebieten der persönlichen Praxis zu ergreifen, die zur Unterdrückung der Frau beitragen« (Judith Hunt).

Die Frauenbewegung in der Bundesrepublik ist offenkundig an einem Punkt angelangt, wo sich entscheidet, ob sie längerfristig in der Lage sein wird, ein Potential zur Veränderung der Verhältnisse zu entwickeln, oder ob sie - innengeleitet und individualistisch - an jener Frauen-Nabel-der-Welt-Schau festhält, die sie zu politischer Irrelevanz verdammt. Die radikalfeministischen Gruppen sind im übrigen nicht so einzigartig, wie sie glauben - sie haben eine Menge gemeinsam mit der Sponti- und Alternativbewegung und teilen mit ihr auch die Symptome: »die neuartige Expedition ins Irrationale als die neue Form der Kreativität«,[129] Theorie- und Organisationsfeindlichkeit, die Selbstbeschränkung aufs Private, Verweigerung und Rebellion anstelle von Herausforderung und »Revolution«.
Es geht um die Frage der Politisierung. Und die Parole »Das Private ist politisch« entpuppt sich bei näherem Besehen als statisch und im Grunde entpolitisierend, während die Parole der Italienerinnen »Das Private ist öffentlich« die Dimension der Politisierung offensiv begreift. Zweifellos bringt die Antwort: »nein, es sind nicht die Männer, es ist das System«[130] oft nicht weiter, denn es ist »notwendig und richtig, Einwände gegen die Privilegien des Mannes< zu erheben«,[131] gleichzeitig aber deren Ursachen zu bekämpfen. Wir dürfen uns nicht länger in Dienst nehmen und instrumentalisieren lassen, aber wir dürfen uns auch nicht freiwillig selbst ins »Weiberghetto« katapultieren (waren wir hier nicht schon immer?).
Wir brauchen den Feminismus, weil er uns hilft, zu einer neuen Identität zu finden und der Begrenzung unserer anerzogenen Fertigkeiten zu entkommen. Weil er unsere Eigenaktivität herausfordert, ungeahnte Fähigkeiten zum Blühen bringt, unsere Phantasie beflügelt und uns ein Selbstbewußtsein gibt, das nicht anderen (dem Mann, den Kindern) entliehen ist. Und wir brauchen ihn, weil er die Entwürdigung und Demütigung der Frau durch sexistische Verhaltensweisen und Darstellungen nicht aufhört anzuprangern. Aber wir brauchen noch mehr: Frauen, die diese neugewonnenen Fähigkeiten nutzen und einbringen in die grundsätzlichen Auseinandersetzungen dieser Gesellschaft - und sie nicht gegen fortschrittliche Kräfte (die Gewerkschaft, die Linke, die sogenannten orthodoxen Marxisten) wenden und damit gegen sich selbst.
Gut, das ist ein politisches »Doppelkonzept« für Frauen, wie radikale Feministinnen kritisieren. Aber auf dem Weg zur Befreiung kommen wir nirgends um die Doppelwörter herum, nicht bei der Arbeit, nicht zu Hause, nicht in der Politik. Doppelbelastung müssen wir überall in Kauf nehmen, solange wir noch auf dem steinigen Weg zur Emanzipation und Befreiung sind. Denn wir sind doppelt unterdrückt, und so bleibt uns nichts anderes übrig, als den Kampf doppelt zu führen, einen anderen Weg gibt es nicht. Genau hier aber sind auch die Nahtstellen der Verständigung, wo sich radikale und sozialistische Feministinnen, Marxistinnen, Sozialistinnen, DFI-Frauen, Frauen aus der demokratischen Bewegung und der Gewerkschaft, aus Stadtteilgruppen, sozialen Brennpunkten, (Tages)Mütter- und Elterninitiativen treffen können: unsere gemeinsame unmittelbare Erfahrung der doppelten Unterdrückung. Da ist die Brücke von der Arbeiterin zur Studentin, von der berufstätigen Frau zur Hausfrau, denn wegen unseres biologischen Geschlechts werden wir allemal und in der unterschiedlichsten Weise diskriminiert, kleingehalten oder gewalttätig bedroht - auch wenn wir die Ursachen unserer Unterdrückung und die Prioritäten des Kampfes unterschiedlich beurteilen.
Wir sollten uns nicht länger von den Herrschenden (zumeist gleich Herren) gegeneinander ausspielen und auseinanderdividieren lassen. 1974, sechs Jahre nach dem Beginn der neuen Frauenbewegung in der Bundesrepublik, schrieb Ursula Linnhoff: »Der Aufbau einer Bewegung, die unter Absteckung nicht immer gleicher politischer Standorte zu solidarischem Handeln fähig wäre, steht aus«.[132] Dem ist - und das sage ich mit großer Trauer - leider bis heute nichts hinzuzufügen. Gewiß, das Spektrum ist breiter geworden, eine neue Richtung innerhalb der Frauenbewegung ist entstanden, aber gleichzeitig hat die Fraktionierung innerhalb der feministischen Gruppen zugenommen. Zu einer nennenswerten Kooperation zwischen den einen und den anderen ist es bisher nicht gekommen.[133] Verschweigen wir nicht, daß auch alles dafür getan wurde - zuallererst von den politisch Verantwortlichen, die sich vorzüglich der Massenmedien bedienen und nur jene Frauenaktivitäten mit Sympathie begleiten, die sich leicht integrieren, ins machttechnisch Harmlose umbiegen lassen. Wenn wir wollen, daß die Frauenbewegung nicht zur »>Mode<-Bewegung«[134] vorkommt, sondern zu einer sozialen Bewegung wird, die niemand mehr beiseiteschieben kann, dann dürfen wir nichts unversucht lassen, miteinander zu sprechen, unsere Standpunkte kennenzulernen und zu diskutieren und vor allem - gemeinsam zu handeln. Dafür will dieses Buch einen Beitrag leisten.

Texttyp

Dissertation