Die subjektiven Situationsdefinitionen der Befragten

6.1  Einstellungen zur weiblichen Rolle

Für die Analyse der Einstellungen zur Rolle der Frau wurden 80 stereotype Behauptungen formuliert; von diesen wurden dann nach dem Pretest 63 in der endgültigen Befragung verwandt. Die befragten Mädchen sollten jeweils Zustimmung oder Ablehnung äußern (zur Konstruktion der Sätze s. 3.2). Die Behauptungen beziehen sich auf die Beurteilung der Rolle der Frau als Ehefrau, Hausfrau und Mutter sowie auf die Beurteilung der Berufsrolle der Frau und eines möglichen Rollenkonfliktes; schließlich sollten Stabilität und Bedeutung einer Partnerbeziehung sowie das Ansehen des Partners beurteilt werden.

79% der befragten Mädchen betonen den Vorrang von Ehe und Familie für eine Frau, und 60% sehen als schönste Aufgabe für eine Frau die Beschäftigung mit Kindern an. Hingegen stimmen nur 30% der Behauptung zu, daß die Frau ins Haus gehöre. Auf der einen Seite ist für 75% der befragten Mädchen der Beruf für eine Frau genauso wichtig wie für den Mann, und 71% fordern für jedes Mädchen eine Berufsausbildung, auf der anderen Seite stimmen 84% der Mädchen der Ansicht zu, daß die Frau ihre persönlichen Wünsche zurückstellen müsse, wenn es um das Wohl der Familie gehe.

Einerseits bejahen 83% gleiche Leistungsfähigkeit von Frau und Mann im Beruf, 85% die Eignung von Frauen für eine Chefstelle; andererseits bescheinigen 50% den Männern mehr Durchsetzungsvermögen und 71% behaupten, daß Frauen gefühlsbetonter als Männer seien. Daß die Meinung des Mannes mehr Gewicht haben sollte, wenn es um wichtige Familienentscheidungen geht, bejahen nur 25% (bei den von Pfeil untersuchten 23jährigen sind das 1964 noch 54%; Pfeil 1968, S. 79), jedoch wünschen 60% der befragten Mädchen, daß der Mann älter sein solle als die Frau (bei Pfeil noch 90%; S. 64), und schließlich betonen 78%, daß eine Frau zu ihrem Mann immer aufsehen können muß.

Unterschiedliche Antworthäufigkeit bei in der Tendenz ähnlichen Fragen deuten darauf hin, daß zur Erfassung der inhaltlichen Aussagen mehrere Dimensionen herangezogen werden müssen. Ein Verfahren zur Feststellung dieser Dimensionen, die direkt aus den gemessenen Variablen nicht abgelesen werden können, ist die Faktorenanalyse. Die faktorenanalytische-Auswertung der 63 Einstellungsfragen ergab acht Faktoren,[1] die sich folgendermaßen interpretieren lassen:

  1. Vorrangigkeit der Rolle der Frau als Mutter, Ehe- und Hausfrau;
  2. Wunsch nach hohem Sozialprestige des eigenen Partners;
  3. Ablehnung der ehelichen Treue für Mann und Frau;
  4. Möglichkeit der Vereinung von Berufsrolle auf der einen und Hausfrauen- bzw. Mutterrolle auf der anderen Seite (Doppelrolle);
  5. Ablehnung vorehelicher Erfahrungen für Frau und Mann;
  6. Gleichrangigkeit und Gleichberechtigung von Frau und Mann;
  7. Ablehnung einer Berufsausbildung und Berufstätigkeit für die Frau;
  8. Recht der Frau auf eigene berufliche Interessen.

Die Vielfalt der mit den 63 Einstellungsvariablen angesprochenen Aspekte läßt sich also auf — im wesentlichen — acht Faktoren oder Dimensionen reduzieren, die in prägnanterer Form den angesprochenen Bereich erfassen können.

Prägnanter insofern, als die in dieser Befragtenstichprobe festgestellten Einstellungstendenzen sich durch diese acht Faktoren einfacher beschreiben lassen als mit den 63 Variablen und diese Dimensionen dem verwendeten orthogonalen Modell der Faktorenanalyse gemäß voneinander unabhängig sind. Die Meßwerte der einzelnen Befragten in diesen Dimensionen geben Aufschluß darüber, in wie starkem Maß die einzelnen Faktoren die Aussagen des Befragten zu dem entsprechenden Bereich beeinflußten. Man kann daher nicht, wie unzulässigerweise gelegentlich gehandhabt (z.B. Haag   1971, S. 122 ff.; Friedrichs in: Pfeil 1968, S. 132), von den ermittelten Faktoren als von Befragtengruppen sprechen; nur anhand ihres Ausprägungsgrades auf den einzelnen Faktoren, anhand ihrer Faktorwerte, können die Befragten gruppiert werden, was gesonderter Verfahren bedarf.

Anhand des von McCammon (1968) entwickelten Verfahrens, dem Dendrograph (s. 3.4), lassen sich die befragten Mädchen aufgrund der Ähnlichkeit bzw. Unterschiede ihrer Faktorwerte in drei Gruppen gliedern, die sich folgendermaßen beschreiben lassen:

Gruppe I (131 Mädchen, 55% der Befragten): Die erste Gruppe ist gekennzeichnet durch die Ablehnung der Möglichkeit einer Vereinung von Berufs- und Mutterrolle sowie durch die Ablehnung von Berufsausbildung und Berufstätigkeit der Frau. In der Ehe wird von Mann und Frau Treue gefordert, während voreheliche Erfahrungen beiden gestattet sind. Bejaht wird die Gleichrangigkeit und 102 Gleichberechtigung von Mann und Frau. Diese Gruppe kann als eine Gruppe mit traditioneller Einstellung definiert werden: die Aufgabe, der »wahre Beruf« der Frau liegt in der Familie, die jedoch partnerschaftlich geprägt ist.

Gruppe II (73 Mädchen, 31%): Die zweite Gruppe betont die Möglichkeit der Vereinung von Berufs- und Hausfrauenrolle, gibt jedoch der Hausfrauenrolle den Vorrang vor der Berufsrolle. Sie lehnt demzufolge Berufsausbildung und Berufstätigkeit für die Frau nicht ab. Jedoch lehnt sie Gleichrangigkeit und Gleichberechtigung von Mann und Frau ab. Es besteht kein Wunsch nach hohem Sozialprestige des Partners. Diese Gruppe kann als ebenfalls traditionell eingestellt bezeichnet werden: Eine Berufstätigkeit der Frau ist — vermutlich unter dem Aspekt des Mitverdienens — nicht ausgeschlossen, die Hauptaufgabe liegt jedoch für die Frau in der Familie, in der die Autorität des Mannes unangefochten ist.

Gruppe III (33 Mädchen, 14%): Die dritte Gruppe lehnt die Vorrangigkeit der Hausfrauen- und Mutterrolle für die Frau ab, sie sieht die Möglichkeit der Vereinung von Berufs- und Hausfrauenrolle und hält Berufsausbildung wie Berufstätigkeit von Frauen für wichtig. Sie sieht Frau und Mann als gleichrangig und gleichberechtigt an und lehnt die Forderung nach ehelicher Treue ab. Der Wunsch nach hohem Sozialprestige für den Partner hat eine gewisse Bedeutung. Trotz einiger traditioneller Tendenzen lassen sich hier emanzipatorische Tendenzen vermuten.

Dabei lassen sich signifikante Zusammenhänge zwischen sozialer Herkunft sowie der beruflichen Situation und der Art der Einstellungen zur Rolle der Frau feststellen. Der Gruppe III (Mädchen mit emanzipatorischen Tendenzen) gehören fast nur Mädchen aus der Mittelschicht an, während der Gruppe II (Mädchen mit ausgeprägten patriarchalischen Ehevorstellungen) vorwiegend Mädchen aus der Unterschicht zuzuordnen sind. Darüber hinaus spielen Schulabschluß von Vater wie Mutter eine Rolle: Wenn Vater oder Mutter Volksschulabschluß haben, sind die Töchter vor allem der Gruppe II zuzurechnen (verstärkte Tendenz bezüglich Vater), bei Mittlerer Reife oder Abitur von Vater oder Mutter zeigen Mädchen Einstellungen, demgemäß sie der Gruppe III zuzuordnen sind (verstärkte Tendenz bezüglich Mutter). Wenn die Mutter eine Berufsausbildung hat, ist die Zugehörigkeit ihrer Tochter zu Gruppe III ebenfalls wahrscheinlicher; Mädchen der Gruppe III haben auch selbst eher einen höheren Schulabschluß. Mädchen aus unvollständigen Elternfamilien sind eher an der Gruppe III beteiligt.

Es besteht weiter ein Zusammenhang zwischen der Art der Einstellungen und der Häufigkeit der Streitigkeiten der Eltern untereinander: Wenn die Eltern sich sehr oft streiten, sind ihre Töchter hinsichtlich ihrer Einstellungen verstärkt der Gruppe II zuzuordnen; diese Einstellungen werden vorwiegend auch dann vermittelt, wenn es der Vater war, der zuhause die meisten Vorschriften gemacht hat. Jedoch besteht kein Zusammenhang zwischen Einstellungen und Sozialisationsdefiziten.

Signifikante Zusammenhänge bestehen ferner zwischen der Art der Einstellungen und der Berufstätigkeit zum Zeitpunkt der Befragung sowie der Berufstätigkeit des Partners. Daraus ergibt sich, daß die Art der Einstellungen stark durch die augenblickliche reale Situation geprägt ist.
So gehören der Einstellungsgruppe III (emanzipatorische Tendenzen) vorwiegend die Schülerinnen bzw. Studentinnen und die Mädchen in sozialen Berufen an. Der Gruppe I (familienorientierte Einstellung mit partnerschaftlichem Leitbild) sind vor allem Mädchen in handwerklichen und kaufmännischen Berufen und Hausfrauen zuzurechnen. Zur Gruppe II (Berufstätigkeit nicht ausgeschlossen, patriarchalisches Leitbild) zählen vor allem Mädchen in hauswirtschaftlichen Berufen, Arbeiterinnen und Verkäuferinnen, die wahrscheinlich die Erwerbstätigkeit als notwendiges Übel sehen.

Wenn der Partner Facharbeiter oder Angestellter ist, sind die Mädchen vorwiegend Gruppe I zuzurechnen (wie wir vorne gesehen haben, sind dies vor allem auch diejenigen, die eine spätere Berufstätigkeit ablehnen); zur Gruppe II zählen die Mädchen, die einen Arbeiter oder Handwerker zum Freund haben (aus finanziellen Gründen werden sie weiterhin mitarbeiten müssen); zur Gruppe III zählen Mädchen, die einen Partner aus höheren Schichten haben, nämlich Beamte oder Studenten. Mädchen ohne Partner, die jedoch gerne einen festen Freund hätten, gehören vorwiegend der Gruppe II an, in keinem Fall der Gruppe III; wenn sie nicht unbedingt einen Partner wünschen, sind sie in der Tendenz der Gruppe III zuzuordnen. Beruflich Interessierte sind eher der Gruppe III zuzurechnen, nämlich Mädchen, die noch in der Ausbildung sind, und Mädchen, die nach abgeschlossener Ausbildung einen Berufswechsel vollzogen; Mädchen mit abgeschlossener oder abgebrochener Ausbildung gehören vor allem zur Gruppe I; Mädchen ohne Ausbildung zur Gruppe II. Entsprechend bejahen Mädchen der Gruppe III eine spätere Berufstätigkeit für sich, Mädchen der Gruppe I lehnen sie ab; Mädchen der Gruppe II plädieren für eine zeitweise Berufstätigkeit. Mädchen, die eine Berufstätigkeit mit der Begründung der Erhöhung des gemeinsamen Lebensstandards zunächst bejahen, gehören vor allem der Gruppe I an.

Schließlich besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen Unzufriedenheit im Beruf und der Art der Einstellungen: Mädchen mit starker Unzufriedenheit im Beruf gehören vor allem der Gruppe I an, die eine Berufstätigkeit für die Frau ablehnt; Mädchen mit mittlerer Berufsunzufriedenheit sind eher der Gruppe II zuzurechnen, die notwendigerweise eine Berufstätigkeit für Frauen nicht ausschließen kann; Mädchen mit geringer oder keiner Berufsunzufriedenheit schließlich überwiegen bei Gruppe III, die den Beruf als selbstverständlich für eine Frau ansieht.
Damit ergeben sich erste Hinweise auf Zusammenhänge zwischen Einstellungen und Problemlösungsmustern (Verfügung über legitime Mittel), soweit letztere sich aufgrund der erhobenen Sozial- und Verhaltensdaten (objektive Situationsbedingungen), die ich in den jeweiligen Indices des 5. Kapitels zusammengefaßt habe, darstellen lassen. Hierzu gehört auch die Tendenz (p = 0.10), daß Mädchen mit stark unbefriedigender Partnerbeziehung der Einstellungsgruppe II zuzurechnen sind, in der die Autorität des Mannes als unangefochten gilt.
Bei einem Vergleich der Art der Einstellungen und der Art der Verhaltenstendenzen lassen sich ebenfalls hochsignifikante Zusammenhänge feststellen: Mädchen mit überwiegend traditionellen Verhaltenstendenzen sind eher der Gruppe II mit den streng hierarchischen Vorstellungen von Partnerbeziehungen und der Sicht vom Beruf als notwendigem Übel zuzuordnen; Mädchen mit überwiegend emanzipa torischen Verhaltenstendenzen gehören eher der Gruppe III mit den eher emanzipatorischen Einstellungen an; Mädchen, bei denen sich emanzipatorische wie traditionelle Verhaltenstendenzen die Waage halten, gehören vor allem der Gruppe I an: sie zeigen traditionelle Einstellungen hinsichtlich des beruflichen Bereichs für die Frau, jedoch eher emanzipatorische weil partnerschaftliche Vorstellungen von der Beziehung zum anderen Geschlecht.

Diese Hinweise sollen hier genügen, da eine auf die Hypothesen bezogene Interpretation im Abschnitt 6.3 (Rollenleitbilder) erfolgen wird.

6.2  Zielvorstellungen

Den befragten Mädchen wurden 12 verschiedene — aus dem Pretest ermittelte - Zielvorstellungen vorgelegt, die sie in eine Rangfolge zu bringen hatten. Gefragt wurde, was sie am ehesten bis zum 30. Lebensjahr erreicht haben möchten.

»Ich möchte glücklich verheiratet sein« nannten 70% aller Mädchen an erster oder zweiter Stelle, »ich möchte eine abgeschlossene Berufsausbildung haben« hingegen nur 29% an erster oder zweiter Stelle. Insgesamt rangiert der Wunsch nach abgeschlossener Berufsausbildung nur bei der Hälfte der Mädchen an erster bis sechster Stelle, während der Wunsch nach einer glücklichen Ehe bei 94% aller Mädchen auf den ersten sechs Rangplätzen liegt. In der oberen Hälfte der Rangreihe liegt auch bei 82% der Mädchen der Wunsch nach einer eigenen Wohnung oder einem eigenen Haus, bei 68% der Wunsch, daß der Ehepartner eine angesehene Stellung hat, bei 64% der Wunsch nach Kindern, bei 53% der Wunsch nach vielen Freunden und Bekannten. An letzter Stelle stehen bei fast allen die Zielvorstellungen »ich möchte verheiratet sein, auch wenn die Ehe nicht so gut ist« (aber dennoch bejahen 49% der Mädchen die Einstellungsfrage »es ist besser, einen Mann mit Fehlern zu heiraten, als gar nicht") und »ich möchte, daß mich dann meine Nachbarn beneiden«.

Aufgrund der Ähnlichkeit ihrer Rangskalen lassen sich die befragten Mädchen nach dem gleichen Verfahren in Gruppen einordnen, wie es schon für die vorangegangenen Fragen verwandt wurde, dem Dendrograph. Danach lassen sich vier Gruppen von Mädchen unterscheiden, die sich anhand ihrer mittleren Rangskalen (s. 3.4) wie folgt beschreiben lassen:

Gruppe I: Eine Gruppe von 71 Mädchen (30%) ist dadurch gekennzeichnet, daß neben der glücklichen Ehe als erstem Ziel auch eine abgeschlossene Berufsausbildung angestrebt wird. Der Wunsch nach einer eigenen Wohnung, nach Kindern und danach, daß es die Kinder einmal besser haben mögen als man selbst, rangiert vor dem Wunsch nach angesehener Stellung und gutem Einkommen des Ehepartners. Es sind demnach die Mädchen, die ihre Hauptaufgabe in der Rolle der Ehefrau.und Mutter sehen, jedoch eine Berufsausbildung für wichtig halten, sei es, daß sie eine etwa gleichwertige Bildung wie ihr Partner beanspruchen, sei es, daß sie bessere Möglichkeiten des zusätzlichen Verdienstes sehen; also eine Gruppe eher traditioneller Zielvorstellungen mit leicht emanzipatorischen Tendenzen.

Gruppe II: 52 Mädchen (22%) haben eher emanzipatorische Tendenzen insofern, als sie für sich als vorrangig an erster Stelle eine abgeschlossene Berufsausbildung wünschen, an zweiter Stelle zwar auch die glückliche Ehe, aber dann vor allem viele Freunde und Bekannte, eine eigene angesehene Stellung und eine eigene Wohnung.

Gruppe III: 48 Mädchen (20%) sehen ihre Ziele vorrangig als glückliche Ehefrau eines angesehenen und gut verdienenden Mannes mit Eigenheim. Der Wunsch nach Kindern und Bekannten ist zweitrangig, Berufsausbildung und eigene Berufstätigkeit uninteressant.

Gruppe IV: 66 Mädchen (28%) haben vor allem die Rolle als Mutter zum Ziel: So ist neben dem Wunsch, glücklich verheiratet zu sein, der Wunsch nach Kindern und daß es diesen besser gehen möge, als es einem selbst ging, der Wunsch nach einer eigenen Wohnung vorrangig; es folgt der Wunsch nach Ansehen und gutem Verdienst des Mannes. Erst dann folgt der Wunsch nach eigener Berufsausbildung und Berufstätigkeit.

Auch hier lassen sich wieder signifikante Zusammenhänge zwischen Herkunftsvariablen, beruflicher Situation und der Art der Zielvorstellungen feststellen. So sind Mädchen aus der Mittelschicht am ehesten zu den ersten beiden Gruppen zu rechnen, also zu jenen Gruppen, bei denen emanzipatorische Tendenzen zu vermuten sind, wobei Mädchen aus der oberen Mittelschicht am ehesten zu Gruppe II, Mädchen der unteren Mittelschicht eher zu Gruppe I gehören. Demgegenüber fallen die Mädchen aus der Unterschicht vor allem in die Gruppen III und IV, wobei Mädchen aus der oberen Unterschicht vor allem die Rolle als Mutter zum Ziel haben, die Mädchen aus der unteren Unterschicht eher die Rolle als Ehefrau.[2]

Der Gruppe mit den stärksten emanzipatorischen Tendenzen gehören vor allem die Töchter von Selbständigen, Freiberuflichen und Angestellten an; der Gruppe I Töchter von Beamten. Die Mutterrolle als Ziel haben vor allem Töchter von Facharbeitern und Handwerkern, die Rolle der Ehefrau Töchter von Arbeitern und höheren Beamten. Wenn Vater oder Mutter über den Schulabschluß Mittlere Reife oder Abitur verfügen, sind die Töchter am ehesten der Gruppe mit den stärksten emanzipatorischen Zielsetzungen (II) zuzurechnen.
Es besteht ein Zusammenhang zwischen Sozialisationsdefiziten und der Art der Zielvorstellungen in der Weise, daß Mädchen mit starken Sozialisationsdefiziten am ehesten das Ziel der Mutterrolle entwickeln; Mädchen mit Sozialisationsdefiziten mittlerer Ausprägung haben am ehesten die Rolle der Ehefrau zum Ziel; schließlich sind Mädchen mit geringen Sozialisationsdefiziten am ehesten den Gruppen mit den eher emanzipatorischen Tendenzen zuzurechnen.

Mädchen, die sich mit den Problemen ihrer Mütter identifiziert haben, insofern als sie durch die Sorgen der Mutter sich belastet fühlten, entwickeln am ehesten die Zielvorstellungen der Gruppe I (Heirat und Beruf), während auf der anderen Seite die Mädchen, die sich nicht durch die Sorgen der Mutter belastet fühlten, am ehesten die Mutterrolle zum Ziel haben.

Zusammenhänge zwischen den Zielvorstellungen und eigenem Schulabschluß wie eigener beruflicher Situation bestehen ebenfalls. Mädchen mit Volksschulabschluß zeigen am ehesten die Zielvorstellungen der Ehefrauen- und Mutterrolle im Gegensatz zu den Mädchen mit Mittlerer Reife und Abitur. Entsprechend finden sich in der Gruppe mit den stärksten emanzipatorischen Tendenzen vor allem Schülerinnen und Mädchen in sozialen Berufen; in der Gruppe I mit dem Ziel Heirat und Beruf vor allem Mädchen in kaufmännischen Lehrberufen und Verkäuferinnen; in der Gruppe mit dem Ziel der Rolle als Ehefrau (III) vor allem Arbeiterinnen; in der Gruppe mit dem Ziel der Mutterrolle sind vor allem Mädchen in hauswirtschaftlichen Berufen und die ohne Arbeitsverhältnis. Dabei sind der letzten Gruppe vor allem die Mädchen zuzurechnen, die nach abgeschlossener Ausbildung ihren Beruf wechselten, ihre Ausbildung abbrachen oder über keine Ausbildung verfügen.
Mädchen mit den Zielvorstellungen der ersten beiden Gruppen, die also den Beruf als Ziel mit enthalten, gefällt an ihrer jetzigen Arbeit am besten die Art der Arbeit, sie sind auch diejenigen, die am ehesten eine spätere Berufstätigkeit für sich bejahen und insgesamt am wenigsten Unzufriedenheit im Beruf zeigen. Mädchen mit den Zielvorstellungen der Ehefrau und Mutter gefällt am besten an ihrer Arbeit das Betriebsklima. Für sie kommt höchstens eine zeitweise Berufstätigkeit in Frage. Wenn sie das Ziel der Mutterrolle haben, sind sie am stärksten unzufrieden im Beruf.

Verheiratete haben am ehesten die Mutterrolle zum Ziel; ledige Mädchen mit Freund streben Heirat und Beruf an, während Mädchen ohne Partner am ehesten dem Beruf den Vorzug geben. Am ehesten keine Differenzen mit ihrem Partner haben vor allem die Mädchen, die die Mutterrolle zum Ziel haben, allenfalls streiten sie sich um finanzielle Angelegenheiten. Auseinandersetzungen mit ihrem Partner wegen Dingen der Familienplanung haben vor allem Mädchen der Gruppe I, die gewisse emanzipatorische Tendenzen zeigt, während sich Mädchen aus der Gruppe mit den stärkeren emanzipatorischen Tendenzen (II) vor allem wegen beruflicher Angelegenheiten mit ihrem Partner auseinandersetzen. Mädchen, die das Ziel Ehefrau haben, streiten sich am ehesten wegen unterschiedlicher Interessen mit ihrem Partner. Insgesamt besteht jedoch kein Zusammenhang zwischen einer befriedigenden bzw. unbefriedigenden Partnerbeziehung und der Art der Zielvorstellungen.

6.3 Rollenleitbilder und Verhaltensziele

Vergleicht man nun — gemäß unseren Überlegungen zur Operationalisierung der Hypothesen (3.2) — die Art der Zielvorstellungen mit den beschriebenen Einstellungen zur Rolle der Frau, die natürlich signifikant zusammenhängen,
so lassen sich daraus verschiedene Rollenleitbilder ableiten.

Tabelle 21: Einstellungen und Zielvorstellungen

Zielvorstellungen
 
traditionell
partnerschaftlich
Einstellungen
trad. /patriarch.
emanzipatorisch Summe
glückl. Ehe und Beruf a 43 (18%)  b. 22 (9%) c 6 (3%) 71 (30%)
Beuf hat Vorrang d 20 (8%) e 16 (7%) f 16 (76%) 52 (22%)
Rolle als Ehefrau g 27 (11%) h 14 (6%) i 7 (3%) 48 (20%)
Mutterrolle j 41 (18%) k 21 (9%) l  4 (1%) 66 (28%)
Summe 131 (55%) 73 (31%) 33 (14%) 237 (100%)

Anhand der Häufigkeitsverteilung in Tabelle 21 lassen sich fünf unterschiedliche Rollenleitbilder vermuten:

I: traditionell-patriarchalisches Leitbild (hierzu wurden die in der Tabelle mit b, h und k bezeichneten Gruppen
zusammengefaßt) — 57 Mädchen (24%);

II: traditionell-partnerschaftliches Leitbild (aus der Tabelle g und j zusammengefaßt) — 68 Fälle (29%);

III: traditionelles Leitbild mit emanzipatorischen Tendenzen (aus der Tabelle a und d zusammengefaßt) — 63 Mädchen (27%);

IV: emanzipatorisches Leitbild (aus der Tabelle c und f zusammengefaßt) — 22 Mädchen (9%);

V: Konflikt zwischen traditionellem und emanzipatorischem Leitbild (aus der Tabelle e, i und 1 zusammengefaßt)-27 Mädchen (11%).

Die internalisierten Rollenleitbilder sind abhängig von der Schichtzugehörigkeit, wie Tabelle 22 zeigt. Mädchen aus
der Mittelschicht weisen am häufigsten das traditionelle Leitbild mit emanzipatorischen Tendenzen auf, vor allem
Mädchen aus der unteren Mittelschicht; auch gehören sie eher zu den Gruppen mit emanzipatorischem Leitbild —
vor allem Mädchen der mittleren Mittelschicht — und mit Rollenkonflikten, vor allem Mädchen aus der mittleren
und oberen Mittelschicht.

Tabelle 22: Rollenleitbilder und Schichtzugehörigkeit

Rollenleitbilder   Schicht
  MS US
1. trad.-patr.       17% 30%
2. trad.-partn. 20% 37%
3. trad.-em. Tend. 36% 18%
4. emanz. 13% 6%
5.  Konflikte
 

14%

100%

9%

100%

 Demgegenüber weisen Mädchen aus der Unterschicht überwiegend das traditionell-partnerschaftliche (vor allem obere Unterschicht) und das traditionell-patriarchalische (vor allem untere Unterschicht) Leitbild auf. Dies entspricht unseren in 2.2 geäußerten Vermutungen.
Außerdem besteht ein Zusammenhang zwischen Leitbild und Art der Berufstätigkeit:
— das traditionell-patriarchalische Leitbild haben vor allem Arbeiterinnen und Mädchen in hauswirtschaftlichen Berufen;

  • das traditionell-partnerschaftliche Leitbild findet sich vorwiegend bei Hausfrauen und Verkäuferinnen;
  • das traditionelle Leitbild mit emanzipatorischen Tendenzen haben vor allem Mädchen in sozialen Berufen internalisiert;
  • das emanzipatorische Leitbild findet sich am ehesten bei Schülerinnen;
  • während Konflikte zwischen traditionellem und emanzipatorischem Leitbild sich auf alle Berufsgruppen etwa gleichmäßig verteilen.

Bezüglich unserer Hypothesen (2.2), die von im wesentlichen drei Orientierungsmöglichkeiten ausgingen, ließ sich
anhand der Daten das traditionelle Leitbild noch etwas differenzieren, so daß fünf Orientierungsmöglichkeiten
feststellbar sind. Im ganzen läßt sich jedoch festhalten: Zum größten Teil erwächst das Rollenleitbild der Mädchen weitgehend aus der Übernahme der traditionellen weiblichen Rolle, die besonders durch die Eltern vermittelt wird und auch im außerfamiliären Bereich wirksam wird. Dadurch wird die Art der Zielvorstellungen in bestimmter Weise geprägt; dies hat wiederum Einfluß auf Einstellungen und Verhaltensweisen der Mädchen.

Aus den zum Teil noch unveröffentlichten Untersuchungen speziell zu diesem Thema referiert Bauer (1970) einige Ergebnisse, die den hier gefundenen gleichen. »Weibliche Jugendliche scheinen den wenigen Angaben zufolge dazu zu neigen, im Unterschied zu Jungen weniger umfassende und differenzierte Zukunftsorientierungen zu entwickeln, vor allem wenn es darum geht, stärker ich-zentrierte Vorstellungen über die eigene Persönlichkeitsentfaltung auszubilden. Vielmehr verlagern sich ihre Zukunftserwartungen auf familiäre Angaben.  ... Die Wunschvorstellungen der Mädchen zielen in erster Linie auf Ehe und Familiengründung, erst an zweiter Stelle wird die Ausübung eines befriedigenden Berufs bedeutsam« (S. 58/59). Diese Zielvorstellung äußern danach schon 15jährige Mädchen, außerdem steht das Leitbild der zukünftigen Ehe und Familiengründung bei Mädchen aller sozialen Schichten im Vordergrund. Zusätzlich sind vor allem Mädchen aus den Mittelschichten um eine Berufsausbildung bemüht, sie wollen ihren Beruf jedoch höchstens bis zum ersten Kind ausüben, während Mädchen aus unteren Schichten keine, allenfalls eine kurze Berufsausbildung anstreben, da sie — völlig unrealistisch, wie Jaide (1969) bei jungen Arbeiterinnen feststellt — den Wunsch haben, nach möglichst frühzeitiger Heirat nur noch für die Familie da zu sein. Die für sie eher als bei Mittelschichtmädchen zwangsläufig sich einstellende Notwendigkeit, mit zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen, wird von ihnen nicht gesehen, entsprechend sind sie auch in keiner Weise darauf vorbereitet.

Ein Vergleich der Rollenleitbilder mit unseren als Hinweis auf Fehlen legitimer Mittel entwickelten Indices ergibt,
daß zwischen Sozialisationsdefiziten und Leitbildern kein Zusammenhang besteht, während die schon im Hinblick
auf bestimmte Leitbilder konstruierten Indices hoch korrelieren.

Tabelle 23:  Rollenleitbilder und Unzufriedenheit im Beruf

Rollenleitbilder   Unzufriedenheit im Beruf
Ausprägungsgrad
     
 

schwach

abs./%

mittel

abs./%

 

stark

abs./%

 
1. trad.-patr.     14 (6) 33 (14)   10(4) 57(24)
2. trad.-partn.   19 ( 8) 34 (14)   15 ( 7) 68(29)
3. trad.-em.Tend.   24 (10) 28 (12)   11 (5) 63(27)
4. emanz.  17 ( 7) 2 ( 1)   3 ( 1) 22 ( 9)
5. Konflikte  10 ( 4) 12 ( 5)     5 ( 2)   27 (11)
  84 (35) 109 (46)   44 (18) 237 (100)
           
           

Relativ am wenigsten Unzufriedenheit zeigen die Mädchen mit einem emanzipatorischen Leitbild, während starke Unzufriedenheit im Beruf vor allem Mädchen mit traditionell-partnerschaftlichem wie traditionell-patriarchalischem Leitbild aufweisen (s. Tabelle 23). Eher befriedigende Partnerbeziehungen geben vorwiegend Mädchen mit traditionel-patriarchalischem Leitbild an (s. Tabelle 24). Besonders eng ist natürlich, wie Tabelle 25 zeigt, der Zusammenhang zwischen Leitbild und Verhalten (p = 0.001): Mädchen mit traditionellen Leitbildern zeigen auch eher traditionelles Verhalten, entsprechend weisen Mädchen mit einem emanzipatorischen Leitbild eher emanzipatorisches Verhalten auf.

Tabelle 24: Rollenleitbilder und unbefriedigende Partnerbeziehung

Rollenleitbilder unbefriedigende Partnerbeziehung
 

Ausprägungsgrad

 
                 

schwach

abs./%

mittel

abs./%

stark

abs./%

 
1.   traditionell-patriarchalisch 21  (11) 20 (10) 9 (5) 50 (26)
2.   traditionell-partnerschaftlich 15 ( 8) 38 (20) 2 (1) 55 (29)
3.  traditionell-emanzipatorische Tendenz 14 ( 7) 28 (14) 9 (5) 51 (26)
4.   emanzipatorisch 4 (2) 11 ( 6) 2 (1) 17 (9)
5.  Konflikte 10 (5)  10 (5) 0 (0) 20 (10)
  64 (33) 107 (55) 22 (12)
    193 (100)

Tabelle 25: Rollenleitbilder und traditionelles/emanzipatorisches Verhalten

Der Zusammenhang zwischen Leitbildern auf der einen und Unzufriedenheit im Beruf, unbefriedigender Partnerbeziehung und traditionellem bzw. emanzipatorischem Verhalten auf der anderen Seite deutet an, daß in den meisten Fällen Mädchen legitime Mittel zur Verwirklichung ihres spezifischen Leitbildes zur Verfügung haben. Am wenigsten legitime Mittel stehen danach insgesamt Mädchen mit Rollenkonflikten sowie Mädchen mit traditionellem Leitbild und gleichzeitigen emanzipatorischen Tendenzen zur Verfügung.
Inwieweit nun Zusammenhänge zwischen Leitbildern, fehlenden legitimen Mitteln und abweichendem Verhalten bestehen, wird im 7. Kapitel, das die Überprüfung der Hypothesen darstellt, beschrieben und interpretiert.

6.4 Selbstbild und Selbstideal

Hier sei kurz der Versuch beschrieben, ein Indiz für abweichendes Verhalten aus der Diskrepanz zwischen Selbstbild und Selbstideal zu erschließen. Um über Selbstbild und Selbstideal der befragten Mädchen Anhaltspunkte zu gewinnen, wurde die Methode des Polaritätsprofils oder des semantischen Differentials (Osgood et al. 1957; Hofstätter 1963) benutzt. Den Befragten wurde sechsmal das von Hofstätter entwickelte semantische Differential vorgelegt, wo sie anhand von 25 siebenstufigen Skalen, die sich zwischen Gegensatzpaaren (z.B. weich — hart) erstrecken, sich selbst, ihr Selbstideal, ihre Mutter, ihren Vater, ihren Partner und den idealen Mann beurteilen sollten.

Mit Hilfe der Faktorenanalyse läßt sich der Raum konstruieren, in dem sich die verschiedensten Vorstellungskomplexe lokalisieren lassen. Dieser »semantische Raum« oder das »System der Begriffskonnotationen« (Hofstätter 1963, S. 263) hat eine einfache Struktur, er geht über vier Dimensionen kaum hinaus. Dabei sind — bei orthogonaler Rotation — die ersten beiden Dimensionen am bedeutungsvollsten: Weiblichkeit und Männlichkeit.

Im Vergleich mit den Daten einer repräsentativen Stichprobe (Hofstätter) zeigt sich (s. Abbildung 4), daß das
Selbstbild der befragten Mädchen (Mittelwertprofil) dem weiblichen Stereotyp am nächsten liegt, etwas entfernter
das Mutterbild. Das Vaterbild liegt dem männlichen Stereotyp am nächsten, während das Bild vom Partner etwa
in der Mitte zwischen weiblichem und männlichem Stereotyp zu finden ist. Der »ideale Mann« liegt noch etwas näher dem weiblichen Stereotyp zu, in der Nähe des Mutterbildes. Das Selbstideal der befragten Mädchen schließlich ist dem Bild vom idealen Mann am ähnlichsten (Q = 0.97).

So ist zwischen Selbstbild und Selbstideal der Befragtengruppe eine leichte Diskrepanz festzustellen, die jedoch
nicht signifikant ist. Die Aussagen basieren auf Mittelwertprofilen; dies ist hier gerechtfertigt, da die Streuung in
den Urteilen der Mädchen nur geringfügig bleibt.
Unsere Vermutung, eine Diskrepanz zwischen Selbstbild und Selbstideal (s. 2.2) sei ein Indiz für die Möglichkeit
der Entwicklung von abweichenden Verhaltensweisen, konnte so weder bestätigt noch verworfen werden. Das mag daran liegen, daß dieses Instrument zur Feststellung von Stereotypen nicht genügend trennscharf ist, um es als Individualmaß zu benutzen. Wir werden daher diesen Aspekt in der abschließenden Diskussion nicht weiter verfolgen.