die schwarz-weissen ei-mütter

Die ältesten, ehrwürdigsten Gottheiten, vor denen alle
oberen Götter sich beugen, sind ursprünglich alles Erdmütter,
die den Schicksalsfaden der ganzen Welt spinnen
und das tiefe Geheimnis in den Mysterien bewahren.
C. A. BERNOULLI

Die Religion ist der Ort, wo ein Volk sich die Definition
dessen gibt, was es für das Wahre hält.
HEGEL

Die weiße Mutter

Wer durch allerhand oberes, heiter-seichtes, aufgeklärt-rühriges Göttergetriebe, durch dieses ganze Symposion von »Rayonchefs« hindurchstößt ins dunkle Reich, trifft bei diesem Schichtenwechsel in tieferem, mächtigerem, beseelterem Zeitkreis auf eine einzige große Göttin, die bis zum Mond reicht. Aus ihr geht die Himmelssippe dann hervor.
Diese Uraphrodite hat viele Namen. Rhea, Neith, Demeter, Ischtar, Shing-Moo, Kybele, Agdistis, Bona Dea, Ana Perennia, Cailleach Bhiarach, Fir Dea, Bu-Anu, Anaitis, Bellona, Astarte, Harmonia, Unakuagsak, Tetevinan sind einige wenige davon. Die ackerbautreibenden Ureinwohner Indiens, die Dravidas, lallen sie einfach als Ma, Mata Mutter an oder als schwarze Finsternis triefende Erde Honio (humus). Das Infantilwort für Mutterbrust wiederholt sich im Anlaut durch die verschiedensten Sprachen, so dass die Mütter Jesu und Buddhas Maria und Maja heißen. Die ackerbauhassenden Arier, Semiten, Zentralasiaten verehren sie als Himmelsei, Weibgestirn, Mond.
Aus ihrer verträumten Brust fließt es so silbrig und weich in die nächtlich atmenden Pflanzen, quillt über, wird nicht selten zum heiligen Rauschtrank. Auch der indische Soma ist ein Mondwein, im nächtlich uterinen Licht gewachsen, wie der Misteltrank der Kelten. Die »große Mutter« der Eskimos, Sedna oder Unakuagsak, wirkt ebenfalls als kosmische Mondkraft, gleich jener von Neuseeland und Brasilien. »Ebbe und Flut, Wachsen und Schwinden, Auflösung des Fleisches, Gärung und Verwandlung der Weine, Phosphoreszenz, Fäulnis der Hölzer, Eibrut, leichte Geburt treiben unter ihr.
Als Isis gleitet sie auf himmlischer Barke, der Mondsichel, durch das obere Fruchtwasser, fährt als große Nordgöttin auf den Wagen der Nomaden einher oder in einem Schiff, auf Speichenrädern rollend und von Webern gezogen, sie selbst die große Weberin. Das über Land fahrende Schiff, ein ins Rollen gekommenes, in Bewegung geratenes Ei, herausgehoben aus träumenden Gewässern, dieses Sinnbild begleitet uralten Mutterkult aus babylonischer, indischer, ägyptischer, altnordischer Frühe durch das ganze Mittelalter bis in unseren Karneval hinein.
Der Fastnachtskarren ist es, das »Narrenschiff«, umtanzt von orgiastischen Schwärmen. Tacitus sah eine suebische Göttin in Gestalt eines rollenden Schiffes verehrt, und die Göttin Nerthus auf ihrem Schiffswagen, den bunte Gewebe schmückten, milchweiße Kühe zogen, begleiteten sieben deutsche Stämme auf der kultischen Fahrt. In Irland ist der große Mutterkult ein Hain-und Mondkult.
Ihr Rauschtrank, »klebrig wie Libido«, quillt aus der glasigen Mistel, die zu bestimmten Mondphasen mit silberner Sichel von druidischen Priesterinnen oder Priestern in Frauengewändern geschnitten wird. Ihr zu Ehren ist das Jahr bei allen keltischen Stämmen ein Mondjahr und wird nach Nächten, nicht nach Tagen gezählt. Die Dea Syria fällt aus ihrem eignen Mondei vom Himmel in den Euphrat, wird von Fischen ans Land gerollt, von Tauben bebrütet.
Die arabische große Mutter heißt AI-Uzza. Ihr Heiligtum, die Kaaba, wurde in vorislamistischen Zeiten in Mekka von Priesterinnen gehütet, sie selbst verehrt in Gestalt eines schwarzen Steines (Mondei). Die große Mutter von Mexiko heißt Ahnfrau Tonantzin, als Erdbebenmutter Thalli-Yjolta - »schlagendes Herz der Erde«, als Maismutter Centeotl.
Wie die antiken Mysterieneier, wie die Erinnyen, die indische Aphrodite, wie alles Chthonische, der Erdtiefe Verhaftete ist auch sie schwarz-weiß. Oben weiß, vom Mund ab schwarz. In ihrem Tempel wurde sie verehrt unter der Form eines hockenden grünen Riesenfrosches, geschliffen aus einem einzigen, ungeheuren Smaragd, des Totemtieres der Sumpfzeugung.
Die Karaiben sagen bei Erdbeben: Die große Mutter tanzt. Immer und überall erscheint sie in doppelter Gestalt, als Erde und Mond; diese bilden ein geschlossenes Bezugssystem vorwiegend weiblicher Natur, bei dem der Mond das seelische, die Erde das stoffliche Teil vertritt. Der Körper ist ja Seelenform.
»Im Mond lösen sich die Seelen auf wie die Körper in der Erde.« Ischtar, die große Mutter von Babylon, ist alles zugleich. Als ruhender Uterus - Erde, um den sich der ganze Kosmos dreht, hat sie den Tierkreis zum Gürtel, ist auch Morgen-und Abendstern, Schöpferin aller Dinge, große Jägerin, Herrin der Schlachten, Himmels-und Erdkönigin, Sternenkönigin, gehörnte Mondgöttin, Mutter der Götter und der Menschen wurde fast monotheistisch verehrt.
Die babylonischen und sumerischen Königinnen galten als Stellvertreterinnen der Ischtar, die babylonischen Könige als Gatten der Himmelskönigin. Ursprünglich sind die großen Lebensmütter alle Mondfrauen; wo der Ackerbau überwiegt, werden sie einschränkend geschaut unter dem Bild der Ernte spendenden »Mutter Erde«.
Primär aber sind sie eben das lebendige Schicksal selbst. Ihre Verehrung ist daher nicht ausschließlich weder an den regelmäßig besamten Ackerboden, noch an den mütterlichen Urschlamm gebunden, vielmehr an das weibliche Ei, mit dem alle Mondfrauen verbunden sind. Auch in Erdgestalt tragen sie die Mondinsignien als heilige Jungfrauen auf der Mondsinsel, denn Jungfrauen bleiben sie alle, was gattenlos heißt, nicht keusch. Was ihnen als Priester dient, muss weibliche Mimikry treiben.
Der Priester der Ischtar, der Dea Syria, der Diana von Ephesus, die Mondpriester Afrikas und Kleinasiens sind Eunuchen, jene der großen Mutter von Mexiko Greise. Religion üben ist auf der Urmutterstufe eben ein ausschließlich weibliches Amt, wie Zauber, Weissagung, Seherschaft, Lenkung der Naturkräfte, Magie. Soll ein Mann daran teilhaben, dann nur nach Ablehnung seines eigenen und symbolischer Anlegung des anderen Geschlechts oder in androgyner Gestalt. Überall ist die große Herrin fertig da, ein von Anfang an Gegebenes.
Männliche Gottheiten dagegen haben eine Kindheit, brechen aus ihrem dunklen Verschlug als Unmündige ans Licht, wie in der niederen Natur die jungen Männchen aus dem erwachsenen Muttertier parthenogenetisch hervorschlüpfen. Die halbe Götterwelt Kleinasiens zeigt diese Bildung: zeitlose Mutter, kindlicher Sohn; am reinsten aber zeigt Kreta sie.
Dort hat die minoische Kultur, eine der originellsten und raffiniertesten der Welt, in den 1500 Jahren ihrer Blüte keinen einzigen selbständigen Gott gehabt, nur eine »große Mutter«. Auf manchen Gemmen und Siegelringen aus dem dritten Jahrtausend v. Chr. ist ihr lediglich etwas wie ein zwergisches Nebengeschöpf gesellt - Sohn und Gatte zugleich - das Ganze nicht unähnlich einer Termitenkönigin und ihrem winzigen Prinzgemahl. Auch für das hellenische Gefühl bleibt diese »große Mutter« als Rhea die einzige erwachsene Gottheit der Insel, begleitet nur von idäischen Daktylen: Fingerlingen, Däumlingen, kleinen Phalli.
Es hängt noch gar kein Mann an ihnen. Vorerst sind sie nur als männliches Prinzip geboren, ohne Persönlichkeit, das nackte, spannenlange Prinzip, sonst nichts. Lange, nachdem oben die Welt voll entfalteter Götter steht, rumort es noch in Form von Gnomen, Erdmännchen, Heldenzwergen, dämonischen Schmieden, beklopft, gedämpft im dunklen Erdschoß hämmernd, am schwelenden Innenfeuer den Stoff. Dort, tief unten, bringen die Daktylen der großen Mutter das Schmieden bei.
Sogar die goldne, so gar nicht erdmütterliche Aphrodite droben im linden Licht hat so einen unansehnlichen Feuerschmied, den hinkenden Hephaistos, zum unterirdischen Mann, während sie sich oben das vollentwickelte Exemplar Mars zum Geliebten nimmt. Noch heute hämmert ein Schmied in Gretna Green eilige Paare zusammen; diesem Handwerk bleibt immer ein männlich dämonisches Wesen verhaftet, ein niedrig feuriges Zaubergetue, das eigene Bünde und Kasten bildet.
Auch in den Mutterrechtszentren von Afrika mit weiblichen Häuptlingen, weiblichen Kriegern schmiedet nie eine Frau, denn das ist Männerwerk. Langsam vollendet sich der Machtwandel der Götter. Erst tritt Männliches nur »im Gefolge der großen Mütter« auf, wird später zu Sturm- und Mondherrn, denn wie aus der Erde die Daktylen, so tritt auch aus dem weiblichen Mondstoff ein männlicher Gott hervor.
Das alles folgt, erst halb entfaltet, der großen Göttin als wilder, dienender Schwarm.
Sogar Dionysos, der »phallische Herr«, Berauscher der Frauen in Frauengewändern und hermaphroditisch gebildet, ist nichts als der Oberste ihres Gefolges, wie die Daktylen die Untersten sind. Mondgötter bleiben ohne Selbstzweck, von unsublimierter Männlichkeit, nur bestimmt, dem Weiblichen zu dienen. Auch Odin war ursprünglich Mond-und Windgott, in wartender Lufthöhle die stürmische Geißelzelle des Aufruhrs. Das erklärt, warum er - selbst bei Wagner noch - stets in einer Graupelbö daherkommt, während der Naive doch vermeinen sollte, sei einer schon ein Gott, so läge es nahe für ihn, vorerst doch sich selber erfreuliches Wetter zu machen.
Stets und überall wird der »großen Mutter« freiwillig gedient, in Scheu, Rausch, Dankbarkeit, Ehrfurcht, Ekstase, als dem Urquell jeder Kreatur. Aus ihr schäumt Reichtum, Liebe, Glück, Gut; alle orgiastischen Rauschfeste gehen auf Erdfrauen und Uraphroditen zurück, die Mysterien wie der Karneval. Ernste Ordnerin ist sie und Lustprinzip zugleich. Und da sie aus ihrer Fülle ohne Ende jedem ihrer Kinder das Seine spendet, ist sie das Naturrecht und die Gerechtigkeit. Wer aber sie verletzt in irgendeiner Form, verletzt in ihr zugleich sich selbst, frevelt gegen die Schöpfung und muss unweigerlich zugrunde gehen.
Demeter, Themis, Dike, Poine, Nemesis, Erinnys, Justitia sind Trägerinnen uralter Einordnung, nie völlig verdrängt vom späteren männlichen. Recht. Fällt auch Osiris als Totenrichter den Spruch, eine Göttin mit niemals irrender Waage wägt ihm die Herzen vor. Männliches jus civile braucht Rechtssuchung und Rechtsfindung, weibliches jus naturale ist selbst das Recht, spendet es aus sich, und gegen dieses Urteil gibt es keine Appellation. Hundertnamige, Einzige, weiße Mutter, unbegreifliche Geberin, allen gibt sie Nahrung auch dem Tod.

Die schwarze Mutter

Die Zeit schleppt Tag für Tag durch mich hindurch, reißt
ab wie ein Bandwurm, dessen Kopf woanders in einem
andern Opfer wieder Leiden und CIieder zieht,
Die große Mutter wird mir zu schlafen geben schwarze
Milch.
PAUL CLAUDEL

»Der Bauch knickt ein, die Darmschlingen treten in seinen Kontur, das letzte Gefühl flüchtet sich in den Nabel, will auch da hinaus, zurück in den Leib der Mutter. Der Weg ist abgeschnitten - grauenhaft, der Weg ist abgeschnitten - der andre ist der Tod!« (H. H. Jahnn) Ja, Futter macht sie für die alles verzehrende Zeit, sonst nichts. Aus holder Geborgenheit, tiefer als Traum, treibt sie die wehrlosen Geburten aus in das »Nicht-Umkehrbare«, die Kette aus lauter »nie wieder« »und viel zu grauenhaft, als dass man klage«, denn ein Geborenes sein heißt: herausgezerrt werden aus einem kleinen Kind und eingesperrt in einen eklen Alten, fortgeschleift werden an Haaren und Nerven in eine Richtung, ohne Verweilen, ohne Gnade, wo Glück und Dauer einander ausschließen und jeder noch so heiße Sieg in kalter Niederlage dem sich zum Sterben Niederlegen - endet.
Das bedeutet der großen Mutter schwarz-weißes Gesicht, in Persien und im Iran der schwarz-weiße Mond, das bedeutet der Geier auf dem Haupt der Neith, der niederstößt, das Weltaas zu vertilgen, alles, was da über seine Zeit schon west, damit es nicht zu lange verweile.
»Große Mutter« ist nicht nur Aphrodite und Demeter, bona Dea, Fortuna, Abundantia, die Liebe und Nahrung spenden, auch als kinderfressende Mara erscheint sie, als Lamia, scheußliche Kali, fischäugige Durga, schwarze Humus, Hekate, als mit den Todeshündinnen hetzende Diana, die böse Jägerin, wenn sie ihr Jünglingsopfer jagt, pfeilt, zur Strecke bringt, als Empusa, die, ein Angstgespenst, das eine Bein aus Erz, das andre aus Eselsmist, in einer Blutblase einhertreibt.
Sie ist das Drachenhaus aller Pubertätsriten, die böse Ahnfrau Hine-nui-te-po Neuseelands; ewig ausspeiender und wieder einsaugender Muttermund. Doch Mater Dolorosa zugleich. Unsterbliche Mutter des sterblichen Sohnes. Von Thrakien bis nach Samarkand, von Indien bis zum Nil ist die Welt voll klagender großer Mütter, mag der tote Sohn Tammuz, Attis, Adonis, Dionysos, lasion, Ruadan, Christus heißen; alle edlen Harze, Weihrauch, Bernstein gelten für Tränen der Erdgöttinnen um ihr sterbliches Kind. Das von ihr Hervorgebrachte, die Schöpfung, wird meist symbolisiert durch den Baum.
In Bengalen wird der »Sohn« in Gestalt eines Opferbäumchens mit Blumen, Früchten und brennenden Lichtern wie ein Christbaum geschmückt, von Jünglingen in den Fluss getragen, dort tanzt er fort, weggerissen vom Strom, um irgendwo unterzugehen. Attis wieder wird in Gestalt einer veilchenumkränzten Pinie verehrt. Bei den Sumerern vor 6000 Jahren hieß der »wahre Sohn« Damuzi, Wanderer, »guter Hirte«, Sohngeliebter der Ischtar; auch er ertrinkt, von der schwarzen Mutter in die Unterwelt geraubt, während ihr weißes Gesicht oben in Tränen schwimmt. Wo die Söhne später als junge Korngötter erscheinen, folgt dem Tod ein Auferstehungsfest; und erst in viel späterer griechischer Zeit, als das Inzestverbot in Geltung stand, deutete man ihren Untergang in »Strafe« für die Liebe zur Mutter um.
Als Anaitis zu Ninive aber reißt diese Lebens-und Todesmutter zugleich - den Sohn in einer einzigen riesigen Feuerorgie wieder in sich hinein. jedes Jahr wurde ihr der schönste Jüngling ausgewählt, »eine üppig blühende Gestalt von halb weiblichen Formen, das weiße Antlitz mit Psimythion, Augenbrauen und Wimpern mit Stimmi bemalt, mit goldenen Ketten, Ringen und Ohrgehenken reich geschmückt, in einem hellroten, durchscheinenden Gewand, Becher und Doppelbeil in den Händen - von Weibern umgeben, unter purpurnem Baldachin, mit untergeschlagenen Beinen sitzend, so stellt man ihn dem Volk zur Schau«.
Nach einem Tag und einer Nacht orgiastischen Aufrausches »wiederum mochte es eine andere Schau geben, wo dieser Herrliche - auf einem ungeheuren Rogus aus köstlichen Hölzern, mit golddurchwirkten Teppichen bedeckt und allerlei Räucherwerk und Aromen reich beladen, zu sehen war, der unter dem Geheul einer unermesslichen Menge und dem Charivari einer gellenden, betäubenden Musik angesteckt eine ungeheure Feuersäule zum Himmel wirbelte und mit Rauch und Duft das halbe Ninive überströmte«. (0. K. Müller)
Das Problem der Unsterblichkeit besteht für den Sohn offenbar darin, wie früher durch die »weiße«, so jetzt durch die »Schwarze« Mutter hindurchgeboren zu werden; dann ist sie nichts für ihn gewesen als eine dunkelweiche Pforte ewiger Wiederkehr. »Du Erde warst auch diese Nacht beständig.«
Die polynesischen Mauimythen in ihren vielen Varianten handeln von nichts anderem als diesem »zweimal durch die Mutter gehen«. (Jung) Dort ist des Helden mütterliche Feindin die böse Ahnfrau Hine-nui-te-po. Um sie von innen her zu vernichten, kriecht er mutig in sie hinein, mahnt aber vorher »die kleinen Vögel«: seine hilfreichen Wunschgedanken, sie möchten jetzt nur ja nicht lachen, käme er erst glückIich wieder heraus, dann wäre es Zeit, zu jubeln. Doch »die kleinen Vögel« lachen zu früh und zu laut, die »böse Alte« erwacht, schnappt zu - aus ihren Maulecken rechts und links fallen Mauis Beine, die Wiedergeburt mißlingt. In Mystik, Religion, Philosophie, Mythos, Märchen - immer das gleiche Motiv; der schwarzweißen Mutter doppelter Aspekt.
In den Mythen der Eskimos, bei den nordamerikanischen Indianern, in Mexiko, in der Sahara, am Kongo, überall, für alle Rassen ist der Tod durch die Frau in die Welt gekommen; sie alle wissen nicht, wieso, aber sie wissen es aus »Natursichtigkeit«. Trotzdem: ist sie denn böse, die große Endgültige? Und nicht des Geborenen eigenste Sehnsucht auch?
»Die Sehnsucht hin zur Heiligen Nacht.« Aus der zermarternden Hatz des immer wachen »Weiter« endlich wegsinken dürfen ins tiefe »Zurück«, in die traumlose Ruhe des Nicht-mehr-Seins. So tauschen für den zu Tode Erschöpften »schwarze« und »weiße« Mütter sich wieder wunderlich aus. Die »Gute« war so »böse«, die »Böse« wird so »gut«. Demetrier hießen die Toten: der Demeter Gehörige, und hockend in der Embryonallage, wurden sie der Erde in den Schoß gelegt; »den Neugebornen gleich, ziehen sie die Schenkel wieder heran an den Bauch und betten sich zurück in den mütterlichen Grund«. Zur Vereinigung mit der großen Erdseele kehren ihre Seelen heim.

Die große Weberin

Alle Muttergottheiten spinnen und weben. In verborgener Werkstatt verwachsen sie Adern, Fasern und Nervenstränge zum Wundergeflecht des lebendigen Leibes. Aus ihnen kommt alles, was ist: aus Entstehen und Vergehen, den »rhythmisch auftauchenden und wieder verschwindenden Fäden«, wirken sie die Wandeltapisserie der Welt.
Maja, die Dea Syria, die von Sais weben sie zum Schleier der Illusion, Harmonia zum bestirnten Himmel, und Arachne verspinnt alle Liebesverschlingungen der Götter und Menschen in ihr Netz. Wenn die dunkle Wirkerin ihr Gewebe auch verkündet, wird sie dreigestaltet in die Zeit projiziert, als Vergangenheit Gegenwart - Zukunft;
Nornen, Parzen, Moiren nennt man sie dann. Charitinnen, wenn sie nur Holdes, Erinnyen, wenn sie nur Übles weben. Hithia, die Geburtshelferin, wird auch »gute Weberin« genannt, und Weber ziehen den Wagen der wandernden Nordgöttin in Schiffsgestalt. Alles Verknoten, Verschlingen, Verflechten, Verspinnen gehört der weiblichen Naturseite an, doch auch die Umgarnung mit dem Zaubergewirk, dem giftigen Nessushemd, auch die Wiederauflösung des Geflochtenen ist ihr Werk. Bei Nacht muss sie zertrennen, was sie bei Tag gewirkt, »damit ewige Frische dem Gespinst erhalten bleibe, die nur möglich wird durch den ewigen Tod«.
Gewandweberei war bei allen Kulturvölkern und ist noch heute bei Primitiven eine kultische Handlung, ein von Frauen gehütetes Geheimnis und besonderen Priesterinnen anvertraut, jedenfalls weibliche Erfindung und eine Art Organprojektion, denn die Kteis, der weibliche Kamm, gleicht dem Webekamm, dessen Zähne die einzelnen Fäden trennen. Dieser Kamm ist überall Gegenstand religiöser Verehrung und Ursymbol der Frau. So tragen ihn persische und türkische Gebetsteppiche auf der »Ostseite«, wo die guten Wünsche stehen, eingewebt als Ornament; so viele Frauen der Geber des Teppichs dem Empfänger wünscht, so viele Kämme wiederholt das Muster. Zur Weberei der Erdmütter in Beziehung steht überhaupt jedes Geflochtene, Siegerhemden wie Totenhemden. Schwarz-weiße Binden umwickeln den Verstorbenen als Nabelschnüre ins Jenseits, auf dass der Schicksalsfaden nicht abreiße und etwas da sei, was die große Weberin ergreifen und weiter spinnen könne.
Und wer in die Eleusinischen Mysterien der Demeter eingeweiht war, trug wiederum den heiligen Faden um Hand und Fußgelenk, sichtbares Zeichen jener Unsterblichkeit, die ihm dort durch Schauung zuteil geworden war. Immer sind der Frau auch die geheimen Künste der Verknüpfung zugehörig, wie sie fast jedes Volk als imitative Magie gegen Krankheit und jegliche Unbill in irgendeiner Form noch heute übt. (Am häufigsten gegen Warzen.)
Die Wirkung liegt im Schürzen und Aufhalten des rinnenden Fadens; das Schicksal wird eben an bedenklichen Stellen in der Zeit abgeschnürt, gestaut, gewendet, zu oder weg gedreht.
Sogar der rationale Zivilisationsmensch von heute trägt, ohne es zu wissen, noch als Tänie, Amulett, Schutzknoten gegen Halsübel: die Krawatte, denn das war ursprünglich ihr Sinn. Übrigens hängt auch für die moderne Graphologie gerade alles, was Schlinge an den Buchstaben ist, mit dem Geschlechtlich-Schicksalhaften am Charakter zusammen; an diesen Knüpfungsstellen zeigt sich eben, wie der Schreiber im tiefsten, allertiefsten Grund mit der großen Weberin steht.
Aus weiblicher Tiefe kommt alles Wissen um das Geschick, von den Oberen kennt es keiner; wer es erfragen will, muss hinunter zu ihr, hierauf gründet sich das »Mysterieniprinzipat der Frau«. »Zeusmysterien« hat es nie gegeben, von den weiblichen Eleusinien aber schrieb Adesius dem Kaiser Julian: Wenn du einst an den Mysterien teilnimmst, so wirst du dich schämen, überhaupt nur als Mensch geboren zu sein. Und in einem Pindarschen Fragment heißt es von ihnen:

»Glückselig, wer jene Kommunion
unter der Erde geschaut hat.
Er weiß um das Ende des Lebens,
er weiß um den gottgegebenen Anfang.«

Überall, wo die Erde sich weiblich zum Kamm spaltet, brechen Orakel hervor. Aus ihm wachsen dann in Athen, Delphi, Sparta, Dodona die jungen Tempel der oberen profanen Götter heraus. Auch der Areopag stand über der »heiligen Schlucht« der Erinnyen; wer freigesprochen wurde, opferte dort den »Ehrwürdigen«, denn sie klagen ihn an, sie geben ihn frei. Sogar Delphi, die Hochburg des männlichen Geistgottes, ist um den uralten Navelstein der Erdmutter Cäa errichtet. Im Nabel selbst, einem Kuppelgewölbe inmitten des Apollotempels, liegt Gäas Sohn, der Erdgeist Python, begraben, und über die 1Dämpfe des weiblichen Abgrunds, die Kteis, gebeugt, weissagt Pythia: eine Frau. Dieses Orakel im Haus des Sonnengottes war, wie ein delphischer Priester dem Plutarch mitteilte, nur bei Nacht und Mondschein inspiriert. Auch die Moiren hatten hier ihren Schrein, hießen »die Drei«. Ananke aber wird »Herrin der Götter und Menschen« genannt.