Parthenogenese

»Möge in meiner ganzen Geschichte das
richtig Gesagte von hämischem Tadel frei
bleiben, die Fehler der Unwissenheit von
Kundigeren berichtigt werden.«
DIODORUS SICULUS

Was da ist, was da sein wird und was gewesen ist, bin
ich. Meinen Chiton hat keiner aufgedeckt.
Die Frucht, die ich gebar, war die Sonne.
INSCHRIFT AM TEMPEL DER GÖTTIN NEITH

Was die Protozoen beschlossen haben, kann nicht durch
Parlamentsbeschluss annulliert werden.
P. GEDDES UND THOMSON - »THE EVOLUTION OF SEX«

Am Anfang war die Frau. Der Mann erscheint erstmalig in Sohnesgestalt, als das biologisch jüngere und Spätere. Von den beiden geheimnisvollen Grundformen, in denen das Lebendige, bald hadernd verschlungen, bald sehnsuchtsvoll entzweit, durch die Zeit stürzend sich aneinander entfaltet, ist das Weibliche älter, mächtiger, urtümlicher, denn weit in die Tierreihe hinein herrscht jungfräuliche Entstehung: Parthenogenesis und durch Zeiträume, unvergleichlich länger als jene, die seit ihrem Aufhören verstrichen sind.
Mehr noch: »Das Urweib im Tierweibchen pflanzt nicht nur sich selbst fort, es hat ganz allein das Männliche hervorgebracht; das Männchen nie irgend etwas ohne das Weib.« Fadenwürmer, Rädertiere, Salzkrebse, Blattläuse, verschiedene Wespen. und Schmetterlingsarten, »sie alle sind jungfräulich gebliebene Mütter«.
Parthenogenese reicht bis zu den Krustazeen. »Daphniskrebse bringen von März bis August alle vierzehn Tage elf bis zwölf SprößIinge hervor, erst dann erzeugen sie Männchen, mit denen sie sich begatten.« Somit hat die Frau den Mann erschaffen, nicht umgekehrt. »Sie ist das Gegebene, Er das Gewordene, Sie die Ursache, Er die Wirkung.« Immer in Gestalt der Mutter ragt sie ihm zuerst entgegen, ragt aus Urwelträumen bis hoch in die persönliche Schicht jedes Einzeldaseins hinein; und sein tiefstes Fühlen trägt keines Vaters Prägung, weil der ja ganz am Grund der Quelle nur ein Bruder war. Urphänomene sind nicht da, um erklärt, sondern um eingesehen zu werden. Eingesehen und nachwirkend wiedererkannt, nicht nur am Auseinandergefalteten, auch am kühl Abgeblätterten, scheinbar abkunftlos Treibenden noch.
Das Urphänomen: Primat des weiblichen Naturprinzips, während, aus ihm gelöst, das Männliche später erscheint, später zu Selbständigkeit und Schöpfertum herangereift, hat alles Menschenschicksal bald einschränkend, bald entfesselnd in jedem Zeit-und Kulturkreis immer wieder aufs neue aus seinem magischen Abgrund herauf entscheidend bestimmt. Der Mythos weiß es von je:

»Was da ist, was da sein wird und was gewesen
ist, bin ich. Meinen Chiton hat keiner aufgedeckt,
die Frucht, die ich gebar, war die Sonne«,

stand über dem Tor der ägyptischen Neith.
Auf andern Denkmälern heißt sie: »Nut, die Alte, welche die Sonne gebar und die Keime der Götter und Menschen legte.« In alten Texten: »Vater der Väter, Mutter der Mütter, die Seiende nämlich welche von Anfang an gewesen ist.« Dann wieder: »Die Mutter der Morgensonne, die Schöpferin der Abendsonne, welche gewesen ist, als nichts war, und welche geschaffen hat, was nach ihr war.« Ihr Sinnbild, der unsterbliche Skarabäus, rollt sein Urei als Weltkugel vor sich her, den Ball aus Mist, um ihm geflügelt und verjüngt nach jedem Mondumlauf aufs neue selbst zu entkriechen.
Den frühesten Fassungen der Schöpfungsmythen gilt weiblicher Stoff allein als zeugende Kraft. In Babylon hieß dieses Urwesen Thalat, erst als zweite Generation gebiert sie ein Götterpaar: Apsu und Thiamat. Es sind jene »Welteltern« so vieler Kosmogonien, die, unaufhörlich aufeinander ruhend, von den herausdrängenden Kindern später zu Himmel und Erde auseinandergerissen werden.
Auch für das frühe Griechenland geht aus der Urvagina, dem »alles merkenden Abgrund«, erst Gäa, die weibliche Erde, hervor. Diese zeugt jungfräulich, ohne Liebesumarmung, Uranos, den Himmel, dann mit ihm, ihrem Sohn, das Titanengeschlecht. Wieder aus dem weiblichen Abgrund Ginnungagab - Vertiefung, Höhle, Spalt sind immer weibliche Symbole - kommt nach altnordischer Überlieferung Ymir, der Brauser, wie bei den Orphikern aus silbernem Weltei, dem »Uterus expositus«, Eros bricht, ältester und ehrwürdigster unter den Göttern.
Auch Brahma weilt lange Zeit verborgen im Urei, hervortretend teilt er es dann in Himmel und Erde. Die hethitische Agdistis, androgyn, wie fast alle vorderasiatischen Göttermütter, trägt ein männliches Nebenglied in sich; später aus ihr abgetrennt, wächst es sich zu Attis, dem schönen Jüngling und Sohngeliebten, aus, und noch in den späten Märchen der Steppenvölker erscheint die Frau als beide Eltern zugleich: unsre Mutter, der Held Karakus, wird sie dort genannt. »Von Anfang an gegeben, unwandelbar ist nur das Weib; geworden und darum stetem Untergang verfallen der Mann.
Auf dem Gebiet des physischen Lebens steht also das männliche Prinzip an zweiter Stelle. Darin hat die Gynaikokratie ihr Vorbild und ihre Begründung. Darin wurzelt auch jene, der Urzeit angehörige Vorstellung von der Verbindung einer unsterblichen Mutter mit einem sterblichen Vater. In einem Aphrodite-Mythos erzählt Plutarch, dass, als Theseus der Göttin am Meeresufer eine Ziege geopfert, sich diese ganz von selbst in einen Bock verwandelt habe, und seit der Zeit werde Aphrodite auf einem Bock reitend dargestellt.
Auch hier erscheint das Muttertier als ursprünglich und von Haus aus gegeben. Aus dem Weib entsteht der Mann durch wunderbare Metamorphose der Natur. Aber der Bock ist doch nur Aphrodites Attribut, ihr untergeordnet und zu ihrem Dienst bestimmt. Aber mit Entzücken weilt ihr Auge auf dem Gebilde. Der Mann wird ihr Liebling, der Bock ihr Träger, der Phallus ihr steter Begleiter ... Sie freut sich des Dämons, den sie gezeugt.
Doch überragt Kybele als Mutter den Attis, Diana den Virbius, Aphrodite den Phaeton. Das weibliche stoffliche Naturprinzip steht voran, es hat das Männliche, als das Sekundäre, Gewordene, nur in sterblicher Form Vorhandene und ewig Wechselnde, gewissermaßen, wie Demeter die Cista, auf seinen Schoß genommen.
Das ist der höchste Ausdruck der Gynaikokratie.« (Bachofen) So weit ab vom Mythos wie nur irgend möglich, durch die Statistik nämlich, ist es lange schon bekannt geworden, dass männliche Linien viel rascher aussterben. »Das Männliche ist das wesentlich Sterbliche, das Weibliche grundsätzlich unzerstörbar.« In Bildern, zuweilen aufwühlend und phantastisch, wie sich sonst nur das Leben in der Tiefsee abspielt, spiegeln frühe Mythen im parthenogenetischen Weltbild biologische Urzustände wider.
Und nicht nur der Glaube an jungfräuliche Entstehung, auch dass sie ein Vorzüglicheres sei, gilt allgemein von je. Wer etwas auf sich hält, wie Erlöser, Heroen, Götter, Ahnherrn, Könige, Weise, legt auf diese Entstehungsart Wert. Buddha und Quetzalcuatl, Huizilopochli und Platon, Montezuma und Dschingis Khan sind von Jungfrauen geboren.
Die Ainos von Japan, die Stämme Zentralasiens, chinesische Philosophen, siamesische Heroen, indianische Helden, tibetische Propheten, sie alle wollen für reine Muttergeburten gelten und lehnen einen leiblichen Vater ab. Hierher gehören wohl auch noch allerhand halbreine Konzeptionen, mit leichter symbolischer Nachhilfe. So wird eine mongolische Prinzessin durch ein Nordlicht gravid, eine japanische Göttin durch den Genuß einer Kirsche; Lotosblumen schwängern Fürstinnen von China.
Die Shang-Dynastie führt sich auf die Prinzessin Kien-Ti zurück, der ein Schwalbenei in den Mund fiel, und die Mandschu stammen von einem Mädchen und einer roten Frucht ab. Beispiele ohne Ende. Doch verwischt sich hier bereits reine Parthenogenese und geht in unbefleckte Empfängnis, etwas ganz anderes, über.
Beiden Vorstellungen gemeinsam ist es nur, dag sie die Entstehung des Lebens nicht notwendig an einen körperlichen Geschlechtsakt binden. Während jedoch bei Parthenogenese das weibliche Prinzip alles allein zustande bringt, bleibt es bei unbefleckter Empfängnis passiv, »empfängt« eben nur, wenn auch nicht durch einen irdischen Mann, so durch einen Gott, durch Immaterielles, auf mystische oder sonst übernatürliche Weise.
Darin liegt nicht notwendig betonte Hochachtung des Weiblichen, nur betonte Missachtung des Sexuellen. So bedeutet der extremen Geistreligion des Christentums die Jungfrau nichts als in Reinheit harrende Schale, zur Hegung des Heilands bereit. Die Ureinwohner Australiens - es sind die primitivsten, jetzt in voller Auflösung begriffenen Rassen der Erde - kennen überhaupt nur unbefleckte Empfängnis und nichts sonst. Wird doch für Naturvölker die Frau durch alles eher befruchtet als durch den Mann.
Als Spencer und Gillen in ihrem berühmten Werk berichteten, dass diese australischen Buschneger, so nahe der Natur, inmitten einer sehr ungenierten Tierwelt, deren Paarungs-und Brutzeiten sie in ihrer regelmäßigen Abfolge immer wieder miterleben, doch beim Menschen die notwendige Beziehung zwischen Geschlechtsakt und Fortpflanzung nicht kennen wollten, vielmehr unsre Kausalitätsreihe ablehnten, stieß diese Angabe vielfach auf Unglauben.
Sie wurde aber bei Überprüfung immer wieder bestätigt. Diese Urrassen sind, wenigstens in ihrem jetzigen Stadium, primitive Animisten, früher hatten sie eine hoch mythologische Phase, von Ahnengeistern umgeben. Am Boden, um Hölzer und Steine, wogen die unsichtbaren Schwärme, dringen mit Hilfe eines Sonnenstrahls, eines Windhauches, als aufgewirbelter Ahnenstaub auf dutzenderlei Weise in die Frau; tote Kinder werden daher mit Vorliebe an Kreuzwegen begraben, dort haben sie zur Wiederverkörperung bessere Gelegenheit, denn alles ist lauernder Seelen voll. Aus Erdnabeln, Höhlen mit einem Stein darauf, halten sie Lugaus nach leiblichen Müttern, um unversehens in sie zu schlüpfen. Junge Mädchen fliehen diese Orte oder vermummen sich, hinken, auf Stöcke gestützt, an ihnen vorbei, markieren Vergreisung, um verschont zu bleiben. Gleiche Sitte besteht bei den Huronen, Algonkin und einigen westafrikanischen Stämmen.
Der Mann dient höchstens als Eröffner, um dem Geist die Wege zu ebnen; mit der Erschaffung eines neuen Wesens hat er nicht das geringste zu tun, weil ja gar nichts Neues erschaffen wird. Das Ganze bleibt eine reine Wohnungsfrage, zu erledigen zwischen Geist und Frau, bei der sie das Fleischgefäß abgibt, in dessen Saft nie aufhörende Seelen sich nach einem ganz geregelten unterirdischen Kreislauf innerhalb des Totseins, das verschiedene Grade hat, wieder einbetten und zu Körpern austragen lassen.
Kinder oder gar Säuglinge, die noch nicht voll gelebt haben, sind überhaupt nicht tief verstorben. Nach ganz flacher Todesbahn gleiten sie wieder nach oben. Ein australisches Weib tötet daher ihr Kleines so einfach, wie ein europäisches zu ihm sagt: »Geh weg, du störst mich jetzt.« Sie weiß, es kommt schon bald von selber wieder.
Keine Hochkultur ohne Reste dieses Animismus. »Durch Platons Erdschlund, dröhnend vor Geburt, steigen die Seelen auf und nieder, vom Leben kommend hinunter und wieder von drunten mit neuem Lebenslose, das sie gelost, herauf.« Da die Mehrzahl der Naturvölker Totemrassen sind, stammen für sie diese Seelen aus dem jeweiligen Totem, der großen Ahnenseele. Mit ihr sind sie nicht nur körperlich, sondern auf tief magische Weise verwandt. Der Totem selbst kann alles mögliche sein.- Tier, Stein, Pflanze, Himmelsgegend, Windrichtung, Regen und Regenbogen, Sternschnuppe oder Stern.
Den gleichen Totem haben bedeutet nicht nur stärkste äußere Bindung, sondern Gleichheit der Substanz. Etwas so Fundamentales, dass es seine Glieder untrennbar zu einem lebenden Block zusammenschließt und sie für alle Ewigkeit von andern Menschen scheidet. Es erscheint die Beachtung nicht unwert, dass der Ausdruck Totem: »ototeman« - er stammt von den Ojibways und umfaßt gleicherweise das Totemtier wie jedes Mitglied der ganzen Sippe – wörtlich übersetzt »Abstammung in der weiblichen Linie« heißt und dass auch das Wort »ebussia« bei den Fanti der Goldküste sowohl das totemistische Tier als die mütterliche Familie bedeutet.
Der weibliche Herdtotem eines großen Mutterclans von Assam dürfte einer der ältesten überhaupt sein. Animismus und unbefleckte Empfängnis gehören offenbar zusammen, sie kommen in ungezählten Abarten bei den meisten Völkern vor; jene aber, die durch ihre Rassenbeschaffenheit über ihn hinaus zu Mythenschöpfung und Hochkultur gelangt sind, haben an ihren Ursprung vorwiegend die Parthenogenese gesetzt, am kühnsten die Indoarier.
»Am Anfang war das Wort.« In der Vedischen Naturreligion ist dieses Schöpfungswort, aus dem die geistigen Urbilder aller Dinge, ihre platonischen Ideen, hervorgehen, die Göttin Vâc. Vâc heißt Sprache. Im Gegensatz zu den üblichen »feurigen Zungen«, durch die ein männlicher heiliger Geist sich zu ergießen pflegt, formt und erweckt hier die Muttermundhöhle allein das lebendige Wort, ohne dass eine Zunge als väterlicher Phallus dazu anschlüge. In einer Hymne sagt die Göttin von sich: »Ich ging mit der Allmacht schwanger, ich wohne in den Wassern der Tiefe, breite mich aus von dort durch alle Geschöpfe und berühre den Himmel mit meiner Krone. Gleich einem Windhauch brause ich durch alle Kreatur, über die Himmel und über die Erde.«
Angefangen von den sublimen Grenzen metaphysischer Spekulation, durch alle Seelenschichten hin, bis zu den Praktiken der Hexen und Schamanen, in allen begabteren Rassen der fünf Erdteile und in allen lebensnahen Zeiten steht unerschütterlich das Axiom vom lebendigen Wort. Wortschöpfung ist gleich Weltschöpfung, Aufruf zur Gestalt, doch Bann und Beschwörung auch, somit der Urgrund der Nekromantie wie der Dichtung.
Das schöpferische Wort besitzen und damit alle Dinge bei ihrem wahren Namen nennen können heißt auf ihre Urbilder wirken, sie leibhaftig hervorrufen; es heißt, die ungeheuerlichste Zaubermacht ausüben, im Guten wie im Bösen, heißt, ein jegliches von innen heraus verwandeln, von der »natura naturans« her, im Gegensatz zur bloßen »natura naturata«.
Ihren rechten Namen nennen heißt, Götter und Dämonen sich untertan machen, heißt, Tote herbeiziehen, wieder herein aus freier Aufgelöstheit, und alle Geschöpfe zwingen, ihrer innersten Wesenheit nach zu erscheinen.
»O wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß.« Name ist Substanz. Was keinen Namen hat, existiert auch noch nicht. Daher fragen die Yoruba Westafrikas durch den Priester an, welcher verstorbene Ahne beabsichtige, in dem Neugeborenen zu wohnen, damit es seinen Namen erhalte; erst vermittels des gleichen Namens werden Vorfahre und Nachfahre einander gleich.
Der Christ erhält durch die heilige Handlung der Taufe seinen Namen, Mönche und Nonnen beim Eintritt in den Orden ihren Geistnamen, Liebende auf der ganzen Welt nennen einander neu, und jedem Schriftsteller ist es unangenehm vertraut, dass keine Romanfigur glaubhaft zu leben beginnt, ehe er den einzig rechten Namen für sie nicht etwa erfunden, sondern gefunden hat. Vorher ist überhaupt nichts mit ihr anzufangen, sie bleibt ödeste Konstruktion, strahlt nicht, wirkt nicht, und triebe sie es noch so wahr. Spricht die Physik von »Massepunkt«, »Elektronen«, »Quanten«, so ist auch das Beschwörung und Bann.
»Vom Namenszauber der Wilden bis zur modernen Naturwissenschaft, welche die Dinge unterwirft, bannt, indem sie Namen, nämlich Fachausdrücke, für sie prägt, hat sich der Form nach nichts geändert.« (Spengler) Wer umgekehrt den Namen auslöscht, löscht das Geschöpf mit aus. Bei vielen Naturvölkern besitzt jeder zwei Namen, einen scheinbaren und den wirklichen, von dem, um Missbrauch zu verhüten, außer der engsten Familie niemand wissen darf, denn würde dieser lebendige Name in sterbliche Materie eingeritzt, etwa in ein Blatt, dann beschworen und unter bestimmten Riten von einem Übelwollenden begraben, so schwände mit der mählich schwindenden Schrift der Träger zugleich dahin.
Jeder Indianer glaubt, dass, was dem Namen geschieht, ihm selbst widerfahre. Ist ein Kaffernkind diebisch veranlagt, so wird sein Name wiederholt in den Dampf reinigender Zauberkräuter hineingesprochen; das ahnungslose Kind - es darf von der Prozedur nichts erfahren - gilt dann als restlos von seinem Fehler befreit.
Einem irischen Barden wieder misslang die Totfluchung eines Königs von Ulster, weil sich dessen Name nach keinem bekannten Versmaß richtig skandieren ließ.
Metrum ist bannendes Schema, in das erst einmal verspannt der Name zur magischen Weiterbehandlung parat liegt.
Isländische Skalden waren deshalb strengen Gesetzen unterworfen, verfügten sie doch durch die Sprache über jene ungemeine Macht, Urworte und damit neue Verknüpfungsarten im kosmischen Kraftnetz zu bilden.
In Sumatra führen die Priesterinnen den Ehrentitel »sihoro« -Wort.
Auch die Kabbala nennt ja Magie treiben durch zielgerichtete Worte und Begriffe auf Ideen wirken.
Jenes erste unergründliche Wort aber, das die ewigen Ideen selbst hervorruft, ist in der indoarischen Naturreligion die Göttin V Vâc. Darum auch sie »im tiefsten, allertiefsten Grund umschwebt von Bildern aller Kreatur«. Als ihm in solchem Sinn das Urwort »Mütter« aufging, sagt Goethe zu Eckermann, habe er sich eines seltsamen Schauders nicht erwehren können.