Caroline in Jena und die Vorgeschichte des >Jenaer Kreises<

1796-1800 Jena

Am 8. Juli 1796 ist Caroline mit der Tochter Auguste und A. W. Schlegel in Jena — sie mieten eine Wohnung am >Roten Turm<.
Seit dem 1. Juli ist Caroline >Frau Schlegel<. Ihren ersten Brief aus Jena schreibt sie an die Freundin Luise Gotter am 11. Juli 1796: »Das Haus ist klein, aber recht artig« (Caroline I: 389). Sie hat es bald hübsch eingerichtet. Weil sie ihren Tee bei der Freundin vergaß, muß sie bei Schiller Tee ausborgen — das Verhältnis zu ihm ist freundschaftlich:

  • »Vorgestern nach Tisch gingen wir zu Schillers ... Ich hatte mir alles grade so gedacht wie es war — nur schöner fand ich Schillern, und sein Knabe ist prächtig.«

Schiller äußerte sich über Caroline Wilhelm von Humboldt gegenüber schon am Anfang zwiespältig — allerdings ahnt man nicht, daß er sie später zur >Madame Luzifer< dämonisieren wird:

  • »Schlegel ist seit vierzehn Tagen wieder hier mit seiner Frau. Diese hat viel Talent zur Konversation, und man kann leicht mit ihr leben; es kommt nun darauf an, ob eine längere Bekanntschaft, wenn sie besonders zur Vertraulichkeit werden sollte, nicht irgendeinen Dorn entdecken wird« (zit. n. Kleßmann: 146).

A. W. Schlegel war im Juni schon in Jena gewesen, wohl auch, um zu erkunden, wie es sich dort leben ließe, und Ende Juni wieder abgefahren. Der Bruder Friedrich hatte ihm am 18. November 1794 von Dresden aus schon Jena dringend als zukünftigen Wohnort empfohlen:

  • »Für alle Deine literarischen Unternehmungen wärest Du am rechten Ort, selbst mit den Buchhändlern kann man von da aus sehr gut in Verbindung kommen ... Du findest dort Humboldt. Du hast Weimar ganz in der Nähe, also Herder und Goethe... Du findest keine Kunstsammlung, aber eine schöne Natur in Jena...« (Fassmann: 24).

A. W. Schlegel war mit seinen Dante- und Shakespeare-Übersetzungen von Schiller zur Mitarbeit an den >Horen< aufgefordert worden.
Am 16. Juli 1796 kommt Goethe nach Jena, um mit Schiller über »Wilhelm Meisters Lehrjahre« (die Schiller Anfang Juli in seinen Briefen an Goethe ausführlich kommentiert hatte) und die kämpferischen, gemeinsam veröffentlichten Aphorismen, die >Xenien<, zu sprechen. Noch ahnte Goethe nicht, daß die erste große Würdigung des >Wilhelm Meister< vom jungen Friedrich Schlegel kommen (und im >Athenäum< 1798 veröffentlicht werden) sollte. Friedrich Schlegel traf am 7. August in Jena ein. Vorher besuchte er Novalis, in »Weissenfeis beym Salin-Direktor v. Hardenberg« (Caroline I: 394f.) — das war der Beruf des angeblich so realitätsflüchtigen, »jenseitsschwärmerischen« Dichters der blauen Blume seit Februar 1796. Seine 13jährige Braut Sophie von Kühn war am 5. Juli in Jena operiert worden — es war also so, daß die >Wahlverwandten< fast alle schon sehr nah beisammen waren, bevor sie in Jena 1799 endgültig zusammenrückten zum >Jenaer Kreis<.
August Wilhelm und Caroline traf Novalis allerdings erst im Sommer 1797; am 19. März war seine Braut Sophie gestorben, einen Monat später, am 14. April, sein Lieblingsbruder Erasmus; er war tief depressiv danach und wollte Sophie >nachsterben<, bereitete also als Willensakt eine Art Selbstzerstörung vor, aus der ihn seine zweite Freundin Julie von Charpentier herausriß. Novalis war von allen Frühromantikern der größte Verehrer Schillers; schon 1791 — 19j ährig, schrieb er am 4. Oktober in empfindsam-überschwenglicher Weise an den Freund Reinhold über Schiller:

  • »Das vollste, uneingeschränkteste Zutrauen schenkte ich ihm in den ersten Minuten, und nie ahnte mir nur, daß meine Schenkung übereilt gewesen sei... ich erkannt in ihm den hohen Genius, der über Jahrhunderte waltet, und schmiegte mich willig unter den Befehl des Schicksals. Brächte ich einst Werke hervor, die einen innern Wert unabhängig in sich trügen, tat ich etwas, das einen edlem Ursprung, eine schönere Quelle verriete, so ist es auch größtenteils Schiller, dem ich die Anlage, den Entwurf zur vollendeteren Form verdanke...« (Hesse/Isenburg: 110).

In dieser Zeit war Novalis wirklich ein >schwärmerischer Jüngling<; als solcher begegnet er, nachdem er sich zum Studium der >strengen Wissenschaften Jura/Mathematik und Philosophie entschlossen hatte, zum »Seelenfasten in Absicht der schönen Wissenschaften« (Hesse/Isenberg: III), im Januar 1792 dem gleichaltrigen Friedrich Schlegel in Leipzig (er war ein Jahr in Jena gewesen).
Friedrich schrieb über ihn an den Bruder August-Wilhelm:

  • »Ein noch sehr junger Mensch — von schlanker guter Bildung, sehr feinem Gesicht mit schwarzen Augen, von herrlichem Ausdruck, wenn er mit Feuer von etwas Schönem redet — unbeschreiblich viel Feuer — er redet dreimal mehr und dreimal schneller wie wir andere — die schnellste Fassungskraft und Empfänglichkeit. Das Studium der Philosophie hat ihm üppige Leichtigkeit gegeben, schöne philosophische Gedanken zu bilden — er geht nicht auf das Wahre, sondern auf das Schöne — seine Lieblingsschriftsteller sind Plato und Hemsterhuys — mit wildem Feuer trug er mir einen der ersten Abende seine Meinung vor — es sei gar nichts Böses in der Welt — und alles nahe sich wieder dem goldenen Zeitalter. Nie sah ich so die Heiterkeit der Jugend (der gleichaltrige Friedrich fühlt sich älter und identifiziert sich mit Hamlets Gefühl der Zerrissenheit in Gefühl und Verstand, G. D.). Seine Empfindung hat eine gewisse Keuschheit, die ihren Grund in der Seele hat, nicht in Unerfahrenheit. Denn er ist schon sehr viel in Gesellschaft gewesen (er wird gleich mit jedermann bekannt), ein Jahr in Jena, wo er die schönen Geister und Philosophen wohlgekannt, besonders Schiller. Doch ist er auch in Jena ganz Student gewesen und hat sich wie ich höre, oft geschlagen. — Er ist sehr fröhlich, sehr weich und nimmt itzt noch jede Form an, die ihm aufgedrückt wird« (Fassmann: 18f.).

Friedrich Schlegel hat von Anfang an zu Schiller ein distanziert-kritisches Verhältnis, in dem er später durch Caroline bestätigt wird (die Schiller zu abstrakt und unsinnlich findet), dennoch ist er von den poetologischen Schriften Schillers stark beeinflußt. Am 11. Februar 1792 schreibt er an den Bruder August Wilhelm:

  • »Schiller hat eine Übung in Stanzen dem Volk vorgelegt. (»Die Zerstörung von Troja im zweiten Buch der Aneide«, in der >Neuen Thalia< erschienen, G. D.) Sie scheinen mir nicht schlecht. Seine Abhandlung Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen enthält viel Vortreffliches. Sie ist bestimmt, gedrängt, schmucklos und männlich, wie ich noch nichts von ihm las. — Man merkt das Studium des Kant darin, den er doch einseitig gefaßt zu haben scheint, nämlich von der rationalen Seite, so wie die ganze Abhandlung einseitig ist« (Fassmann: 19).

Entsprechend der eher distanziert-skeptischen Haltung Friedrichs ist dieser von dem damals noch vom Pietismus beeinflußten Novalis (in seiner Herrenhuterischen Ausprägung) in manchem eher entsetzt und versucht, ihn anderweitig zu beeinflussen. Am 2. August 1796 schreibt er von einem Aufenthalt bei Novalis an Caroline:

  • »Gleich den ersten Tag hat mich Hardenberg mit der Herrnhuterey so weit gebracht, daß ich nur auf der Stelle hätte fortreisen mögen. Doch habe ich ihn wieder so lieb gewinnen müssen, daß es sich der Mühe verlohnt, einige Tage länger von Ihnen abwesend zu seyn; ohngeachtet aller Verkehrtheit, in die er nun rettungslos versunken ist« (Caroline I: 393).

Das Verhältnis der Brüder Schlegel zu Schiller kühlte sich fraglos auch durch Carolines Einfluß ab (vgl. Haym: 241 ff.), und Schiller mag in seiner frühen Äußerung gegenüber Humboldt etwas von Carolines Skepsis ihm gegenüber gespürt haben (obwohl sie als junges Mädchen begeistert neben Goethes >Iphigenie< Schillers >Räuber< vorgelesen hatte, mit ihrem damals schon gerühmten >Vortragstalent< — aber der Schiller der > Räuber< war ein anderer als der sich zum Klassiker etablierende). Ernst Behler schreibt dazu in seiner Friedrich-Schlegel-Monographie über Carolines Einfluß auf die Brüder Schlegel:

  • »Sie schärfte den Brüdern den Blick für das Moralisierende und Pathetische in Schillers dichterischen Werken« (Behler: 44).

Den endgültigen Bruch mit Schiller provoziert Friedrich Schlegel. In der Zeitschrift »Deutschland« bespricht er im Mai 1797 kritisch Schillers Zeitschrift die »Hören«, für die A. W. Schlegel schreibt, und beanstandet die Menge und Banalität der Übersetzungen. Vielleicht hat Friedrich sich auch an Schiller gerächt, der in den >Xenien< eine unveröffentlichte Schrift Friedrichs, in deren Besitz er durch August Wilhelm Schlegel gekommen war, verspottet hatte (wie überhaupt in den >Xenien< die sich bildende >romantische Schule< in Jena etwas spöttisch betrachtet wurde).
Am 31. Mai 1797 schrieb Schiller erbost an August Wilhelm Schlegel:

  • »Es hat mir Vergnügen gemacht, Ihnen durch Einrückung Ihrer Übersetzungen aus Dante und Shakespeare in die >Horen< zu einer Einnahme Gelegenheit zu geben, wie man sie nicht immer haben kann, da ich aber vernehmen muß, daß mich Herr Frid. Schlegel zu der nämlichen Zeit, wo ich Ihnen diesen Vorteil verschaffte, öffentlich deswegen schilt und der Übersetzungen zu viele in den >Horen< findet, so werden Sie mich für die Zukunft entschuldigen. Und um Sie, einmal für allemal, von einem Verhältnis frei zu machen, das für eine offene Denkungsart und eine zarte Gesinnung notwendig lästig sein muß, so lassen Sie mich überhaupt eine Verbindung abbrechen, die unter so bewandten Umständen gar zu sonderbar ist und mein Vertrauen zu oft schon kompromittierte« (Fassmann: 26f.).

Am nächsten Tag antwortete August Wilhelm Schlegel Schiller, indem er sich äußerlich von Friedrich distanzierte, was freilich, da dieser inzwischen in seinem Haus wohnte, nicht sehr überzeugend geklungen haben mag:

  • »... Da ich keine Art von Autorität über meinen Bruder besitze, keine Macht, ihn von etwas abzuhalten, was ich auch noch so sehr mißbilligen möchte, so würde ich in der Tat sehr unglücklich sein, wenn ich für alle seine Schritte (die ich überdies erst hintendrein erfahren, wenn sie schon öffentlich geworden sind) verantwortlich gemacht werden sollte... Ich brauche Ihnen wohl nicht zu beteuern, daß er nur eine Beurteilung der >Horen<, die auch (gegen) mich mit gerichtet sein muß, weil ich es mir zur Ehre schätze, daran bis jetzt teilgenommen zu haben, nicht vor dem Druck wird gezeigt haben...« (Fassmann: 27).

Caroline setzte eine Nachschrift unter diesen Brief. Schiller antwortete noch am selben Tag, am 1. Juli 1797:

  • »Ihnen mache ich keinen Vorwurf, und ich will Ihrer Versicherung, daß Sie sich gegen mich nichts vorzuwerfen haben, gerne glauben, aber dadurch wird leider nichts verändert... Ein Verhältnis, das durch eine natürliche Verbindung von Umständen unmöglich gemacht wird, läßt sich mit dem besten Willen nicht erhalten« (Fassmann: 28).

Trotz eines Vermittlungsversuches von Goethe war der Bruch zwischen Schiller und der beginnenden, ihm ja durchaus poetologisch geistesverwandten >Romantischen Schule< endgültig. Friedrich hatte sich ohnedies schon innerlich von Schiller entfernt, wie erwähnt unter Carolines Einfluß, und sich Goethe zugewandt, der nun quasi der >Schutzherr< der, wie Wieland sie nannte, >boshaften Götterbuben< wurde, deren Verehrung er sich gern gefallen ließ: er war seit dem >Werther< (1774) durchaus nicht mehr >populär<, wie das retrospektiv fälschlicherweise oft angenommen wird. Der Umgang der Schlegels in Jena beschränkt sich nach dem Bruch mit Schiller, bei dem Wilhelm von Humboldt mit seiner Frau fast täglich verkehrt, hauptsächlich auf Professoren der Universität. Besuche in Weimar bei Wieland, Herder und Goethe seit Dezember 1796 unterbrechen die Tage in Jena.
In Jena lehrt neben dem berühmt werdenden Fichte Niethammer Philosophie und Theologie, Heinrich E. G. Paulus Theologie und Orientalistik (wie Carolines Vater einst in Göttingen), Justus Christian Loder Anatomie. Neben den »langweiligen Kaffeekränzchen« bei den Professorenfrauen, die Caroline ihrer Freundin Gotter gegenüber erwähnt, gibt es doch eine interessante >Professorenfrau<, die Schriftstellerin Sophie Mereau, die in offensichtlich unglücklicher Ehe mit dem Jenaer Professor der Rechtswissenschaft Ernst Carl Mereau seit 1793 in Jena lebt. Ihr Salon, in dem Herder, Schiller, Jean Paul, der Lyriker Matthison und auch die Schlegels verkehren, war einer der wenigen geistig anregenden Treffpunkte in Jena vor der Bildung des Jenaer Romantikerkreises. Caroline erwähnt Sophie Mereau nur ganz am Rande ihrer Freundin Luise Gotter gegenüber (Caroline I: 408 und 417), später noch einmal im Zusammenhang ihrer Scheidung. Schiller, der Mereau schätzte, kaufte im Februar 1797 das Gartenhaus und einen Garten (Caroline I:
417), den Sophie besaß.
Im Hause der Schlegels, zur Zeit des Höhepunkts romantischer Geselligkeit und Produktivität, lernt die neunundzwanzig jährige Sophie Mereau 1799 den einundzwanzigjährigen Medizinstudenten Clemens Brentano kennen (es ist dasselbe Alter und derselbe Altersunterschied wie 1793 in Lucka, wo Friedrich Schlegel Caroline kennenlernte). Clemens verliebte sich in Sophie Mereau, sie verhielt sich zwar geschmeichelt, aber distanzierter als Clemens es wollte. Sie löste die lockere Beziehung im August 1800, ein Jahr vor ihrer Scheidung. Auch nach der Scheidung, die, wie die spätere Carolines von Schlegel unter Herders Vorsitz und durch Goethes Vermittlung zustandekam, lehnte sie Brentanos Besuche ab. Im Dezember 1802 ging sie nach Weimar, und durch Vermittlung von Clemens' jüngerem Bruder Christian nahm sie die    Verbindung zu Clemens Brentano wieder auf. Sie heiratete ihn schließlich am 29. November 1803, als sie bereits ein Kind von ihm erwartete. Am 31. Oktober 1806 starb sie mit ihrem dritten Kind im Kindbett in Heidelberg. Wie sehr die Brief-Form als Möglichkeit der Fortsetzung des Gesprächs und in ihrem fiktional-künstlich-künstlerischen Charakter diskutiert wurde, zeigt ein Brief Sophies vom November 1799 an Clemens Brentano:

  • »Es ist ein sonderbares Gefühl, sich auf dem Papier jemand nähern zu wollen, und ich habe Ihre Entfernung nie mehr gefühlt als jetzt, da ich Ihnen schreiben will. Ich hasse alle Briefe an vertraute Wesen, ob ich sie gleich um keinen Preis missen möchte. — Ein Brief ist mir immer wie ein Roman, — und ich mag lieber zu wenig als zu viel sagen. Das Papier ist ein so ungetreuer Bote, daß es den Blick, den Ton vergißt, und oft sogar einen falschen Sinn überbringt, — und doch ist selbst der Kampf mit Irrungen besser als die fürchterliche Öde, die kein Ton durchhallt. ... Ich kämpfe im Leben einen sonderbaren Kampf. Eine unwiderstehliche Neigung drängt mich, mich ganz der Phantasie hinzugeben, das gestaltlose Dasein mit der Dichtung Farben zu umspielen und unbekümmert um das Nötige nur dem Schönen zu leben. Aber ach! Der Nachen meines Schicksals schwimmt auf keiner spiegelhellen Fläche, wo ich, unbekümmert mit Mondschein und Sternen spielend, das Ruder hinlegen könnte, indes ein schmeichelndes Lüftchen den Nachen leicht durch die kräuselnden Wellen treibt — durch Klippen und Wirbel, von Stürmen erschüttert schifft er umher, und ich muß das Ruder ergreifen oder untergehn« (Jäckel: 443f.).

Am 20. Januar 1803 antwortet sie ironisch auf einen Brief, in dem Clemens sie als schlechte Künstlerin< bezeichnet hatte, die über ein wunderbares Werk hergefallen sei, »über sich selbst«:

  • »Was Sie mir über die weiblichen Schriftsteller und insbesondere über meine geringen Versuche sagen, hat mich recht ergriffen, ja erbaut. Gewiß ziemt es sich eigentlich gar nicht für unser Geschlecht, und nur die außerordentliche Großmut der Männer hat diesen Unfug so lange gelassen zusehen können... für die Zukunft werde ich wenigstens mit Versemachen meine Zeit nicht mehr verschwenden, und wenn ich mich ja genötigt sehen sollte, zu schreiben, nur gute moralische oder Kochbücher zu verfertigen suchen. Und wer weiß, ob Ihr gelehrtes Werk, auf dessen Erscheinung Sie mich gütigst aufmerksam gemacht haben, mich nicht ganz und gar bestimmt, die Feder auf immer mit der Nadel zu vertauschen« Jäckel: 445 f.).

Das Vorurteil gegen schreibende Frauen ist von den Frauen selbst stark verinnerlicht worden — insofern ist die Briefform als >gestattete< Form weiblicher Konversation oft auch eine Möglichkeit, sich nicht mit dem verinnerlichten Vorurteil auseinanderzusetzen. Indessen gilt dies nicht für die Romantikerinnen.
Sophie Mereaus Gedichte erschienen 1801/2 unter dem Titel )»Kalathiskos<, 1. Bändchen 1801, 2. 1802 bei Frölich. Gesammelte Poesie und Prosa mit Beiträgen von Brentano und Frauen, so der Schwester Henriette Schubert.« Ich erwähne Sophie Mereau hier, weil mich die Frage beschäftigt, weshalb Caroline außer ihrer lebenslangen Freundin Luise Gotter und dem ambivalenten Verhältnis zur >Feindfreundin< Therese Heyne-Forster fast nur Männerfreundschaften hatte; es lag unter anderem vielleicht daran, daß es in Jena wenige interessante Frauen gab und sich die Ehefrauen der bekannten Männer (Schiller/Humboldt) sehr schnell neidisch, mißtrauisch und moralisierend ihr gegenüber verhielten. Jedenfalls finde ich es auffallend, daß Caroline diese interessante Schriftstellerin nur so beiläufig erwähnt. Friedrich Schlegel hat sich um Sophie Mereau bemüht. Er hat nach dem Bruch mit Caroline im Sommer 1801, zur Zeit der Scheidung von Mereau, ein kurzfristiges Liebesverhältnis mit ihr aufgenommen, weshalb Clemens Brentano ihm lebenslang zum Feind wurde (vgl. Behler: 84).
Der Bruch mit Schiller und dessen Aufkündigung der Mitarbeit A. W. Schlegels an den >Horen< begünstigte ein anderes Projekt, das Friedrich Schlegel schon lange als Lieblingsidee immer wieder andeutete: den Plan, mit dem Bruder und den engsten wahlverwandten Freunden (vor allem Novalis und dem Berliner Freund Schleiermacher, mit dem er in Berlin kurz zusammengelebt hatte) eine eigene Zeitschrift zu machen. Es ist kein Zufall, daß dieser Plan immer mit dem anderen des gemeinsamen Zusammenlebens genannt wird. Friedrich Schlegel hatte Mitte Juni 1797 Jena wieder verlassen (Goethe soll ihm dazu geraten haben, wohl in der Hoffnung, ohne ihn eine Versöhnung zwischen August Wilhelm Schlegel und Schiller doch noch vermitteln zu können). Er hatte eine Einladung von Reichardt, an dessen Zeitschrift >Lyceum< mitzuarbeiten (heute sind von dieser Zeitschrift fast nur noch die sogenannten >Lyceumsfragmente< Friedrich Schlegels bekannt). Schlegel trat in Berlin im August 1797 der »Mittwochsgesellschaft« bei, einem literarischen Zirkel, der die frühere «Montagsgesellschaft« abgelöst hatte, in der Lessing dem >Vorbild< seines >Nathan<, dem jüdischen Gelehrten Moses Mendelssohn begegnet war. Friedrich lernte dort den Theologen Friedrich Schleiermacher kennen. Der 30jährige Schleiermacher, fünf Jahre älter als Friedrich, war damals Prediger an der Charite und schon berühmt durch seine unorthodoxen Predigten, die den Tadel der >Obrigkeit< herausforderten. Schleiermacher nahm Friedrich Schlegel mit in den Salon seiner jüdischen Freundin Henriette Herz, wo Friedrich die Tochter eben jenes berühmten Moses Mendelssohn, Dorothea Veit kennenlernte. Die dritte wichtige Person, die Friedrich in Berlin, im Salon Dorothea Veits im Herbst 1797, kennenlernte, war der junge Dichter Ludwig Tieck. Zum Jahreswechsel 1797/98 zog Friedrich Schlegel zu Schleiermacher. Die Form dieser männlichen Geselligkeit, die die beiden >Ehe< nannten, schildert Schleiermacher seiner Schwester gegenüber als idealen Zustand:

  • »Eine herrliche Veränderung in meiner Existenz macht Schlegels Wohnen bei mir. Wie neu ist mir das, daß ich nur die Türe zu öffnen brauche, um mit einer vernünftigen Seele zu reden... Schlegel steht gewöhnlich eine Stunde eher auf als ich ... Er liegt aber auch im Bette und liest, ich erwache gewöhnlich durch das Klirren seiner Kaffeetasse. Dann kann er von seinem Bette aus die Tür, die meine Schlafkammer von seiner Stube trennt, öffnen und so fangen wir unser Morgengespräch an. Wenn ich gefrühstückt habe, arbeiten wir einige Stunden, ohne daß einer vom andern weiß; gewöhnlich aber wird vor Tisch noch eine kleine Pause gemacht, um einen Apfel zu essen. Dabei sprechen wir gewöhnlich über die Gegenstände unserer Studien: dann geht die zweite Arbeitsperiode an bis zu Tisch, d. h. bis halb zwei. Ich bekomme mein Essen aus der Charite, Schlegel läßt sich seines aus einem Gasthause holen. Welches nun zuerst kommt, das wird gemeinschaftlich verzehrt, dann das andere, dann ein paar Gläser Wein getrunken, so daß ..wir beinah ein Stündchen bei unserem Diner zubringen. Über den Nachmittag läßt sich nicht so bestimmt sprechen; leider aber muß ich gestehen, daß ich der erste bin der ausfliegt und der letzte der nach Hause kommt« (Behler: 57 f.).

Friedrich Schlegels ästhetische und geschichtsphilosophisch ausgebildeten Theoreme beeinflussen Schleiermacher nicht weniger, als dessen moralphilosophische Überlegungen Friedrich beeinflußten. Daß Schleiermacher später der heftigste Verteidiger von Schlegels >Lucinde< wird, hat auch mit diesem gegenseitigen Einfluß zu tun, aus dem bei beiden so etwas wie eine Ethik der Liberalität entstand. Diese war bei Schlegel noch in Carolines republikanischen Ideen< politisch begründet, im Sinne des geglückten Daseins in der utopisch entworfenen »Weltrepublik«, die sich wiederum mit Novalis' Synthese vom »Goldenen Zeitalter« berührte. Während Schleiermacher Schlegels Gemüt als kindlich, naiv und ein wenig launisch schildert, betrachtet er die intellektuelle Entwicklung des fünf Jahre Jüngeren als ihm überlegen:

  • »Was seinen Geist anbetrifft, so ist er mir so durchaus superieur, daß ich nur mit vieler Ehrfurcht davon sprechen kann. Wie schnell und tief er eindringt in den Geist jeder Wissenschaft, jedes Systems, jedes Schriftstellers, mit welcher hohen und unparteiischen Kritik er jedem seine Stelle anweist, wie seine Kenntnisse alle in einem herrlichen System geordnet dastehn und alle seine Arbeiten nicht von ungefähr, sondern nach einem großen Plan aufeinanderfolgen, mit welcher Beharrlichkeit er alles verfolgt, was er einmal angefangen hat — das weiß ich alles erst seit dieser kurzen Zeit völlig zu schätzen, da ich seine Ideen gleichsam entstehen und wachsen sehe« (zit. n. Haym: 282f.).

Daß es in einer Art ästhetischer Anthropologie< (gegen jede Art von Verwertungslogik) der Jenaer Frühromantik schließlich zu einer großen Analyse des Kulturzusammenhangs und zum Entwurf einer neuen Kultur kommt, verdankt sich vor allem der Aufgeschlossenheit dieser jungen Männer, die, aus ganz verschiedenen Richtungen kommend, unter verschiedenen Einflüssen gebildet, derartig aufnahmefähig füreinander waren, daß im Augenblick der konkreten weiblichen Vermittlung in Jena eine produktive gegenseitige Konsumtion der Geister stattfand. Friedrich Schlegel schreibt schon Ende September '97 an den Freund Novalis begeistert von seiner Begegnung mit Schleiermacher — er hat dabei wohl eine gewisse Wahlverwandtschaft zwischen Novalis und Schleiermacher gespürt, was sich auch aus der pietistisch-herrenhuterischen Herkunft erklären läßt. Am 26. September 1797 schreibt Friedrich an Novalis:

  • »Es giebt auch einen Philosophen in Berlin; er heißt Schleiermacher, ist reformierter Geistlicher, und trägt viel zu meiner Zufriedenheit hier bei. Er hat Sinn und Tiefe, und das Höchste den kritischen Geist: dabei so viel Sinn für Mystik, daß es beinah hinreicht« (Preitz: 106)

Im selben Brief trägt er Novalis auf, den Freunden in Jena von ihm >zu sagen<. Caroline betreffend, schließt der Brief: »Der Schwiegerin kannst Du mitteilen, was Dir gut dünkt« (Preitz: 107).
Novalis, der im Sommer 1797 in Jena Caroline und August Wilhelm Schlegel kennengelernt hatte, fühlte sie (wohl auch durch Friedrichs Vermittlung, der um dieselbe Zeit Dorothea Veit und Schleiermacher in Berlin kennenlernte) sofort als Wahlverwandte. Im selben Jahr, am 1. Dezember 1797, lernt er in Leipzig, auf der Reise von Weißenfels nach Freiberg, Schelling kennen. Trotz der Skepsis an dessen ersten Ideen zum später systematisierten transzendentalen Idealismus< ist er persönlich sofort von ihm tief beeindruckt; Goethe erging es ähnlich: nach anfänglicher Skepsis über Schellings Schriften, die er Anfang 1798 Schiller gegenüber äußert, ist er begeistert nach der ersten Begegnung, die er in seinem Tagebuch am 28. Mai 1798 beschreibt. Novalis schreibt am 26. Dezember 1797 an Friedrich Schlegel:

  • »Schelling hab ich kennen gelernt. Freimütig hab ich ihm unser Mißfallen an seinen >Ideen< erklärt — Er war sehr damit einverstanden und glaubt im zweiten Teil einen hohen Flug begonnen zu haben. Wir sind schnell Freunde geworden. Er hat mich zum Briefwechsel eingeladen. Diese Tage über werde ich auch an ihn schreiben. Er hat mir sehr gefallen — echte Universaltendenz in ihm — wahre Strahlenkraft — von Einem Punkt in die Unendlichkeit hinaus. Er scheint viel poetischen Sinn zu haben ... In Freiberg bin ich ganz isoliert. Ich bedarf geistiger Würze. Dein Bruder, Schelling und Du sind mir vollkommen genug... Du lebst prächtig in Berlin... Schreibe mir doch mehr von Schleiermacher« (Preitz: 110).

Das Bedürfnis nach gemeinsamer geistiger Arbeit, gemeinsamem Leben wird immer deutlicher; es ist geprägt von einer erstaunlichen Konkurrenzfreiheit, überhaupt einer Freiheit des Umgangs miteinander, die sich aus dem Mosaik der Briefe nur erahnen läßt. Die Sehnsucht, eine Gruppe zu bilden, wird deutlicher. Noch wird Caroline dabei nur von den Brüdern Schlegel als wichtiger Bezugspunkt genannt. Als Novalis sie näher kennenlernt, äußert er sich ähnlich. Das später fast engste Freundespaar dieses Kreises weiß noch nichts voneinander: Novalis und Tieck, der schließlich durch Friedrichs Vermittlung nach Jena kommen wird. Friedrich Schlegel schuf die Voraussetzungen für die Gründung der Zeitschrift sowie für das sich bildende Gemeinschaftsgefühl, er wurde dabei von Caroline noch stärker als von August Wilhelm unterstützt — ohne seinen Aufenthalt in Berlin wäre der Dichter Tieck, der mit seiner Schwester Sophie, spätere Bernhardi, die als Schriftstellerin bekannt werden sollte, zurückgezogen in der Hospitalstraße vor dem Rosentaler Tor lebte, nicht in seinem >romantischen< Dichten so deutlich unterstützt worden; ohne Tieck wiederum hätte Friedrich sein romantisches Programm nicht so formulieren können, worauf Behler in seiner Schlegel-Monographie hinweist:

  • »In seinen (Tiecks, G. D.) dichterischen Werken ließen sich bislang unbekannte Töne vernehmen, die Friedrich Schlegel als die Merkmale des Phantastischen, Sentimentalen, Pitturesken und Musikalischen bezeichnete und bald als wesentliche Bestandteile in die Theorie des Romantischen aufnahm. Tieck war den Schlegels ferner in der Erschließung Shakespeares verbunden und bereicherte die romantische Literaturwissenschaft mit seiner meisterhaften Übersetzung von Cervantes >Don Quijote< « (Behler: 61).

Das eben brachte ihn sehr schnell dem Bruder in Jena näher; die spätere Zusammenarbeit führte zu einer — bis zu den Übersetzungen Erich Frieds nicht mehr erreichten — Genauigkeit und Einfühlung in der Shakespeare-Übertragung; der Name Carolines bleibt hier allerdings ungenannt, obwohl sie intensiv daran mitgearbeitet hat: es ist erstaunlich, daß dies ihr eigener Wunsch war — so, wie Dorothea bei der Herausgabe ihres Romans >Florentin< ungenannt bleiben wollte und blieb, so wie auch Sophie Mereau 1803 bei einem ihrer Stücke, das sie mit Schiller bespricht, ungenannt bleiben will und an Clemens Brentano am 14. Sept. 1803 schreibt:

  • »Wir (Schiller und sie, G. D.) lasen das Stück, und er sagte, daß es in einigen Wochen aufgeführt werden sollte. Wir besetzten die Rollen gemeinschafthch und waren sehr lustig; doch hat er mir versprochen, meinen Namen zu verschweigen, und außer ihm und Dir soll niemand etwas davon wissen« (Jäckel: 450).

Offensichtlich war das Vorurteil des Publikums gegen weibliche Schriftstellerinnen so groß, daß die schreibenden Frauen sich >öffentlich< auf das Medium beschränkten, das ihnen zugewiesen wurde: Briefe und allerhöchstens moralisierende Betrachtungen in den für >Frau und Familie< bestimmten Wochenzeitschriften und Journalen, die gerade den emanzipierteren Frauen der Romantik ein Greuel gewesen sein müssen. Genau gegen diesen affirmativen Geist der bestehenden Ästhetik und die davon nicht zu lösenden Moralvorstellungen kämpften ja die Romantiker in Theorie und Praxis, und die sich bildende Gruppe wurde deshalb auch von außen als polemisch und antiautoritär wahrgenommen und gerügt. So schreibt z.B. Schiller aus Jena am 23. Juli 1798 an Goethe:

  • »Was sagen Sie zu dem neuen Schlegelischen Athenäum und besonders zu den Fragmenten? Mir macht diese naseweise, entscheidende, schneidende und einseitige Manier physisch wehe« (Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe II: 132).

Goethe, der zu dieser Zeit noch der >Held< der Gruppe ist, vor allem der Held Friedrichs, erkennt indessen das Neue und freut sich über die Polemik gegen das Mittelmäßige des literarischen Markts:

  • »Das Schlegelsche Ingrediens in seiner ganzen Individualität scheint mir denn doch in der Olla potrida (spanischer Eintopf, G. D.) unseres deutschen Journalwesens nicht zu verachten. Diese allgemeine Nichtigkeit, Parteisucht fürs äußerst Mittelmäßige, diese Augendienerei, diese Katzenbuckelgebärden, diese Leerheit und Lahmheit, in der nur wenige gute Produkte sich verlieren, hat an einem solchen Wespenneste, wie die Fragmente sind, einen fürchterlichen Gegner... Bei allem, was Ihnen daran mit Recht mißfällt, kann man denn doch den Verfassern einen gewissen Ernst, eine gewisse Tiefe, und von der andern Seite Liberalität nicht ableugnen. Ein Dutzend solcher Stücke wird zeigen, wie reich und wie perfektibel sie sind« (Briefwechsel II: 132).

Novalis, um dessen »Blütenstaub»-Fragmente es neben Friedrich Schlegels (>Athenäums<-) Fragmenten im zitierten Briefwechsel geht, hat schon vor Erscheinen der Zeitschrift deren Relevanz für eine neue, nämlich die romantische Literaturepoche erkannt; die jungen Männer waren sich dessen bewußt — am 26. Dezember 1797 schreibt Novalis an Friedrich Schlegel:

  • »Deine >Fragmente< sind durchaus neu — echte, revolutionäre Affichen. Manche haben mir bis ins Mark gefallen... Euer Journal (das Athenäum, G. D.) ist lang von mir erwartet. Mit ihm kann eine neue Periode der Literatur beginnen« (Preitz: 108 f.).

Daß Schiller sich so negativ über das Journal äußerte, mag seinen Grund auch darin gehabt haben, daß er durchaus das >Neue< darin spürte, gegen das er sich wehrte — jedenfalls bekam er es auch zu spüren, da seine >Horen< bald nicht mehr so im Gespräch waren. Dennoch konnte Schiller am Anfang des Jahres 1798 beobachten, daß Friedrich Schlegel sich von der Zeitschrift »Lyceum«, für deren Mitarbeit ihn Schillers Feind Reichardt in Berlin gewonnen hatte, offiziell distanzierte: am 16. Dezember 1797 — der Plan zur eigenen Zeitschrift stand fest. Am 2. Januar 1798 schreibt Schiller an Goethe:

  • »Dieser Tage las ich zu meiner großen Lust im Intelligenzblatt der Lit. Zeitung (ALZ, G. D.) eine Erklärung von dem jüngeren Schlegel, daß er mit dem Herausgeber des Lyceums nichts mehr zu schaffen habe. So hat also doch unsere Prophezeiung eingetroffen, daß dieses Band nicht lange dauern werde!« (Briefwechsel II: 2).

Schlegel hatte im Lyceum ohne Reichard ts Wissen dessen Freund Voß angegriffen, und es ist naheliegend, daß er den Bruch provozieren wollte, so wie vorher den mit Schiller. Zumindest erhielt ja die Gründung der eigenen Zeitschrift eine äußere Notwendigkeit, wenn August Wilhelm nicht mehr in den >Horen< und Friedrich nicht mehr im >Lyceum< veröffentlichen konnte! Am 31. Oktober 1797 schreibt Friedrich Schlegel an den Bruder, mit dem er seit 1793 über die Möglichkeit einer eigenen Zeitschrift spricht (vgl. Haym: 311):

  • »Die Hauptsache aber ist, daß jetzt ein großer Plan Tag und Nacht alle meine Gedanken absorbiert. Mir hat es lange Zeit erschienen, unser gemeinschaftliches Journal anzufangen. Was Du mir letzthin und Karoline neulich schrieb (dieser Brief existiert nicht mehr, G. D.), hat mich bewogen, mit Vieweg darüber zu reden, der sehr empfänglich dafür scheint. Es ist nun an Dir, die Sache schließlich zu überlegen« (zit. n. Haym: 311 f.).

Daß Caroline sich von Friedrichs Plan noch nicht völlig hatte begeistern lassen, wohl auch eine gewisse Skepsis gegen sein >Entwurfsfieber< hatte, wird aus demselben Brief klar. Und Friedrich wußte, daß er Caroline gewinnen mußte, wenn er August-Wilhelm gewinnen wollte; er dachte sich eine Zeitschrift, die ihnen endlich ohne Abhängigkeiten und Rücksichtsnahmen auf Verleger völlige Freiheit läßt: «... ein Journal, von uns beiden nicht bloß ediert, sondern ganz allein geschrieben, ohne alle regelmäßige Mitarbeiter, wo weder Form noch Stoff weiter bestimmt wäre, außer daß alles, was ganz unpopulär wäre, oder großes Werk oder Teil eines solchen wäre, ausgeschlossen bliebe.  — Denk Dir nur den unendlichen Vorteil, daß wir alles tun und lassen könnten, nach unserm Gutdünken. Ist es nicht eine Sünde und Schande, daß ein Mensch wie Du sich nach der A. L. Z. genieren soll! — Ich hoffe, daß Du, eins ins andere gerechnet, mit den Hören und der L. Z. doch im Merkantilischen gar nichts verlieren sollst, wo denn also die Freiheit und Gemeinschaft reiner Gewinn wäre. — Ich hoffe, daß auch Karoline durch die Schönheit des Unternehmens angefeuert werden wird, mehr teilzunehmen als bisher« (zit. n. Haym: 311). »Ich sagte zwar: keine regelmäßigen Mitarbeiter; weil man doch nur für sich allein stehn kann. Doch mit der Ausnahme, daß wir Meisterstücke der hohen Kritik und Polemik aufspürten, wo sie zu finden wären. Ja, auch überhaupt alles, was sich durch erhabne Frechheit auszeichnete und für die anderen Journale zu gut wäre... Ein andrer großer Vorteil dieses Unternehmens würde wohl sein, daß wir uns eine große Autorität in der Kritik machen, hinreichend, um nach fünf bis zehn Jahren kritische Diktatoren in Deutschland zu sein, die >Allgemeine Literatur Zeitung< zugrunde zu richten und eine kritische Zeitschrift zu sein, die keinen andren Zweck hätte als Kritik«... (Fassmann 28 f.).
»Eine kritische Schrift in Briefen, ohne Vollständigkeit und ohne Polemik findet positiv kein Publikum. Ich könnte mich auch durchaus nicht an die Monotonie einer einzelnen Form binden. Mit Rezensionen ist's was andres. Das ist eine ganz formlose Form. Auch bliebe für jetzt, wenn Du Dich von den Hören trennst, die Schwierigkeit, daß Du keinen Ort weißt, wo Du so manche andre Aufsätze hingeben sollst... Was ich noch gegen Deine Ansicht unseres alten Projekts, gegen bloß kritische Briefe habe, ist, daß ich über alles wünsche. Du möchtest eine Zeitlang weniger rezensieren und besonders einige poetische Projekte vornehmen« (zit. n. Haym: 315).

Der leichte Tadel gegen seinen Bruder war berechtigt. Neben einigen hervorragenden Rezensionen, Kunstwerken der Kritik — über »Bürgers Gedichte« oder über »Goethes Herrmann und Dorothea« beispielsweise — verzettelte sich August Wilhelm manchmal in Rezensionen über nicht eben interessante Neuerscheinungen. Auch Caroline drängte August Wilhelm, sich intensiv um seinen Plan, den >ganzen Shakespeare< zu übersetzen, zu kümmern; die Gespräche beider über das Übersetzen als dichtendem Über-Tragen des dicherischen Geistes finden sich wieder in der Abhandlung über die Quellen und die Struktur von >Romeo und Julia<, an der Caroline mitgeschrieben hat. Aus der Zueignung der Übersetzung des Trauerspiels >Romeo und Julia< für Caroline 1797 wird klar, wie intensiv diese >Freundschaftsehe< war, wie sehr die beiden sich in teile ktuell-symbiotisch in der Zeit des gemeinsamen Übersetzens verhielten, bevor die Jenaer Freunde eine Art intellektueller Gruppensymbiose bildeten, in welcher das Wort >sym< nicht zufällig in Wortneuschöpfungen das Neue dieses Denkens und Zusammenlebens zum Ausdruck brachte.

»Nimm dieß Gedicht, gewebt aus Lieb' und Leiden,
Und drück' es sanft an deine zarte Brust
Was dich erschüttert, regt sich in uns beiden.
Was du nicht sagst, es ist mir doch bewußt...«
(Caroline 1: 659).

Novalis schreibt ein Jahr später Friedrich Schlegel von der »Notwendigkeit unseres Zusammendaseins« (Preitz: 132) und der gemeinsamen »innern Symorganisation und Symrevolution« (a.a.O.). Beeinflußt von dem Münchener Theologen und Schriftsteller Baader, den Novalis sich »in unsre Gemeinschaft« (Preitz: 133) wünscht, erweitert er die Sehnsucht nach dem gemeinsamen >geglückten Dasein< zum Entwurf einer Anthropologie, die das gesamte frühromantische Denken durchzieht und der ein triadisches Geschichtsbild (wie auch bei Kleist, Hölderlin, Jean Paul) zugrunde liegt: Die Idee einer einstigen Einheit und Harmonie, aber ohne Bewußtsein; die Zeit der Isolation, der Katastrophen, der Entfremdung der Menschen voneinander und der Natur, aber auch die Bewußtwerdung und Subjektwerdung des Menschen, der, an diesem Zustand leidend, diesen in einer dritten Stufe überwinden wird und damit zur einstigen Einheit zurückkehrt, jetzt aber auf reflektierter Stufe; — deshalb ist es nötig, in einer reflektierten Regression (und manches in diesen Gedanken nimmt Theoreme der Psychoanalyse vorweg) zurück zu blicken (Friedrich Schlegel erfindet das Bild des rückwärts gekehrten Propheten), um befreit vorwärts gehen zu können in ein neues >Goldenes Zeitalter^ in welchem, wie Schelling später naturphilosophisch formuliert, durch die »Humanisienmg der Natur« und die »Naturalisierung des Menschen« die Menschheit versöhnt wäre. In der — notwendig noch esoterischen — Gemeinschaft wollten die Freunde etwas von diesem künftigen Zustand antizipieren. Novalis schreibt in dem erwähnten Brief vom 7. November 1798 an Friedrich Schlegel:

  • »Je länger wir miteinander umgehn, desto mehr werden wir uns auf einander besinnen und des Geheimnisses unsrer Entzweiung immer teilhaftiger werden« (Preitz: 133).

An diese geschichtsphilosophisch-anthropologische Begründung und Utopie sollte gedacht werden, wenn von der Jenaer Geselligkeit die Rede ist. Die Schwierigkeit, darüber zu schreiben, besteht eben in der Komplexheit und jener >Welt des Bezugs< der Jenaer Gruppe, wo in jeder ästhetischen, philosophischen oder politischen Assoziation das Ganze dieses Denk- und Lebensentwurfs mitgedacht wird und man das Selbstverständnis dieses Mitgedachten in der Kommunikation voraussetzt. Weshalb denn auch die Form des Fragments, die, von Lichtenbergs Aphorismen abgesehen, bis dahin fast unbekannt, zumindest keinesfalls als Kunstform akzeptiert war, für diese Denkbewegung typisch ist.
August Wilhelm Schlegel, der von der »mystischen Terminologie« seines Bruders in dessen Fragmenten spricht, ist, wie auch Caroline, die Brief- und Rezensionsform adäquater, weshalb er ja ursprünglich ein Journal aus kritischen Briefen gründen wollte. Er ist auch von diesem Denken entfernter als Novalis und Schleiermacher. Inge Hoffmann-Axthelm stellt zu Recht fest, daß >Geselligkeit< am genauesten für Friedrich Schlegel als »entscheidendes Schlüsselwort angesehen werden kann«:

  • »Es bezeichnet nicht nur die Erfahrung des täglichen Lebens von einer bestimmten Art des Zusammenseins der Menschen, sondern legt als umfassender Oberbegriff erst die Basis dafür. Als solcher Oberbegriff für Friedrichs ganzes Denken bedeutet >Geselligkeit< jede Art von Berühung, Relation, Kontakt, Zusammenhang und, darüber hinaus, Vermischung zwischen den von ihm abgelehnten Extremen der totalen Vereinzelung und des strengen Systems; beides wäre in einem nicht organischen Sinn >Tod<, während jenes Spielarten von >Leben< sind... Für Friedrich folgt daraus, daß alle Wissenschaften dazu dienen müssen, dem Menschen zur Verwirklichung seines emphatisch begriffenen Selbst zu verhelfen, und das bedeutet, ihm seine Beziehung zu allen Phänomenen bewußt zu machen, welche demnach auch nicht in ihrem eigenen, unabhängigen Zusammenhang untereinander gesehen werden dürfen« (Hoffmann-Axthelm: 155 f.).

Genau in dieser Denkstruktur fühlt sich Friedrich von Caroline verstanden und bestätigt, und deshalb ist er um so verletzter, daß sie die Form dieser Struktur, das Fragment, offensichtlich nicht versteht, worüber er sich bei Novalis und auch bei seinem Bruder beklagt:

  • »Caroline meynt, meine Fragmente wären oft zu lang. Das ist freylich eine von den Bemerkungen, — worauf einem die Antwort in der Kehle stecken bleibt...« (Caroline I: 449).

Caroline war mit Friedrich einig gegen das vom Leben abgetrennte  Gelehrtenwissen, das  ihr bei ihrem Vater in seiner tödlichen Isoliertheit auf eindringlichste Weise veranschaulicht worden war und wogegen sie sich sträubte.
Sie hatte deshalb auch nicht studieren wollen (sie war eine der wenigen Frauen des 18. Jahrhunderts, die überhaupt die Chance hatten, darüber entscheiden zu können), und sie empfand das Studium und die Promotion der 17jährigen Dorothea Schlözer (im Hause ihres Vaters Michaelis) als einseitige, männliche Denkabrichtung. Später vertiefte sich die Skepsis gegen jede Form des systematisierenden Denk- Zugriffs und die Kategorien, Begriffe, Ableitungen geschlossener Systeme. Diese Skepsis verband sie vor allem mit Friedrich Schlegel, dessen >antisystematisch-systematische<, auf Nietzsche vorausweisenden Denkfiguren man ihm (in der Rezeptionsgeschichte bis zur Gegenwart) als Schwäche auslegte, nicht als bewußten Unwillen — ähnlich wie später Schelling, der es nicht zu einem >wirklichen System< der Naturphilosophie gebracht habe. Man hat so das romantische Denken als eine Art weibliches Denken gescholten, wir loben es heute gerade deswegen! Für Friedrich war Caroline die Verkörperung dieses Denkens, die Bestätigung, daß seine Idee der Geselligkeit zu realisieren sei (daher seine besondere Verletztheit über ihr Unverständnis).
Friedrich versöhnte sich wieder mit Caroline, und zwar in Dresden, wo sich die Freunde zum ersten Mal gemeinsam trafen (Novalis, Schelling, die Schlegels, Caroline). Das im Athenäum abgedruckte Gespräch über die Gemälde der Dresdner Galerie zeigt gegenüber dem > platonischem Gespräch (von dem diese Form beeinflußt ist) einen entscheidenden, die Frühromantik charakterisierenden Unterschied: Es gibt keine >Hierarchie<, keinen > Wissendem, der sich dumm stellt, um dem anderen eigentlich dessen Unwissen zu zeigen, sondern es ist eine demokratische Aufteilung der Gesprächspartner. Das Paradoxon von demokratisierter Esoterik wird in diesen Gesprächen realisiert, die zugleich, obwohl der sachliche Gegenstand vorherrscht, wie nebenher eine Selbstdarstellung der Personen enthalten (Caroline ist in der Louise der Gespräche wiederzufinden). Auch das >sokratisierende< ist ein typisch männliches Gespräch, wobei die weibliche Kritik an ihm nicht nur geschlechtsspezifisch zu verstehen wäre, sondern als etwas utopisch-Androgynes, für das die >alte< Sprache noch keine Bezeichnung hat. >Weiblich< ist also eine begriffliche Idealkonstruktion, die insofern unfair ist, als >männlich< damit in diesem Zusammenhang eine negative Realkonstruktion wäre. Erlaubt sei der Begriff dennoch als Arbeitshypothese, um jenen Brennpunkt zu bezeichnen, in dem Caroline die jungen Männer in ihren als >weiblich< diffamierten Denk- und Lebensformen bestätigt, ermuntert, vermittelt. Es gehört, wie Hoffmann-Axthelm (89) feststellt, viel dazu, als Frau das Gelehrten-Wissen der >Männer<, zu dem man sich erst einmal >emanzipieren< soll, instinktsicher als Verkümmerung des Lebens und des (vom Leben getrennten) Geistes abzulehnen, und zwar radikal (diese Radikalität finden wir erst bei Bettina von Arnim wieder).
Ich meine, daß auch Caroline nie zu den Entfaltungsmöglichkeiten wie in Jena gekommen wäre, hätte sie nicht auch die Bestätigung für ihre Einstellung von den Männern erfahren, die gemeinsam das kausallogische Denken von Jahrhunderten samt der mit diesem verbundenen Moral und Ästhetik in Frage stellten, so radikal, daß man eigentlich erst heute (nach einigen Ansätzen bei Ricarda Huch) das Ausmaß und die Konsequenzen dieses Denkens zu ahnen beginnt. Die geistig oder innerlich gewordene Sinnlichkeit und der lebendig gewordene Geist dieser Gruppe in Jena muß das Selbstverständnis der Intellektuellenwelt damals ziemlich erschüttert und die Hoffnungen eines Teils der akademischen Jugend andererseits bestärkt haben. Es bedarf heute eines Dekodifizierungs-prozesses, um diese Zusammenhänge ganz zu verstehen, auch in ihrer Aktualität für die gegenwärtige Situation. So konterkariert die Idee einer ästhetischen Weltrepublik die vom Ökonomismus diktierte ,Globalisierung'. Das Internet aber eröffnet ihr neue Möglichkeiten der Antizipation — auch als Anregung, sich mit den Frauen und Männern von Jena intensiver zu beschäftigen. Die Verklärung des irdischen Lebens hier und jetzt (der die schonungslose Kritik des Alltaglebens, auch jenes, das man als > literarische Öffentlichkeit/ gern zu Unrecht verklärt, vorausgehen muß) wurde falscherweise als Jenseitsschwärmerei interpretiert — die eigentümliche Begrifflichkeit, vor allem von Novalis, gab dazu freilich Anlaß. Und die Ausbeutung dieser Begrifflichkeit (wie > Gemeinschaf t<) durch den Faschismus erschwerte den Zugang noch mehr. Im Unterschied aber von jeder Art von oben diktierter und instrumentalisierter Kollektivität, wo der Einzelne sich >fürs Ganze< opfern soll, gehen die Romantiker von der Gemeinschaft als der Voraussetzung der Entfaltungsmöglichkeit des Einzelnen aus. So sagt Ricarda Huch:

  • »Bei den Romantikem findet sich ein sehr lebhaftes Gefühl, wie die Gemeinschaft mit Menschen den einzelnen in seinem Sein und Können hebt und steigert. Immer wieder tauchten in ihrem Kreise Pläne zur Herstellung eines Hauses, einer Kirche, auf, oder wie sie diese innigste Verbrüderung nun nannten« (Huch: 457).

Sie wurde im Sommer 1799 in Jena versucht. Mit Friedrich Schlegel kam aus Berlin seine Geliebte Dorothea Veit und ihr sechsjähriger Sohn Philipp. Sie wurde von Caroline sehr freundschaftlich empfangen, wie sie in ihren Briefen an den Freund Schleiermacher in Berlin betont. Tieck brachte seine Frau Amalie mit, die alle offensichtlich langweilig fanden, was nur Novalis sich nicht eingestehen wollte, weil er die Ideologie hatte, daß man alle Menschen, die ein geliebter Mensch liebe, in seine Liebe miteinschließen könnte. Novalis hatte sich im Dezember 1798 mit Julie von Charpentier verlobt. Er kam immer wieder zu Besuchen nach Jena. Am 17. Juli 1799 begegnete er dort zum ersten Mal Ludwig Tieck; Caroline, die Novalis als mütterliche Freundin empfand, wie aus seinen Briefen an sie deutlich wird, war dem Freundespaar Tieck und Novalis gegenüber wegen ihrer religiösen Schwärmerei ein wenig skeptisch. Manches in der von Privatsymbolik stark geprägten Sprache des Novalis mag Caroline auch mißverstanden haben. Zukunftsweised ist heute sein Gedanke einer Universalwissenschaft, dem ich in meinem Wörterbuch des Müßiggängers (Bielefeld 2009, 269 ff) genauer erläutert habe.
In den letzten Monaten des Jahres 1798 schrieb Friedrich Schlegel sehr ausführliche Briefe an Caroline — nach dem Treffen in Dresden wußte er in ihr eine Bündnispartnerin für die Idee der Jenaer Gruppe. Neben dem Physiker Steffens, der als junger Student in diesem Jahr nach Jena kam, um Fichte und Schelling zu hören, kam noch ein Freund in den Umkreis der Gruppe, den vor allem Friedrich Schlegel sehr schätzte und zur Mitarbeit am Athenäum gewann, August Ludwig Hülsen. (Fichte wurde von allen verehrt, aber gleichzeitig war er den ästhetischen Ideen der Romantiker gegenüber ziemlich verständnislos. Schelling trat zu ihm von einem Schüler — allmählich in ein Konkurrenzverhältnis). Hülsen, der — wie Steffens — Fichtes wegen (von Kiel) 1794 nach Jena ging, wurde bald einer der vertrautesten Freunde und Schüler Fichtes (vgl. Haym: 502ff.).
Er gehörte in Jena neben Schlegels (und Carolines) Freund Gries zu der von Fichte gegründeten »Gesellschaft der freien Männer«, die deutlich zeigt, wie verschieden sich Geselligkeit in derselben Stadt gestalten kann, die ausschließlich von Männern organisiert wird. Freilich könnte der strenge wissenschaftliche Geist eines Fichte auch nicht den ungezwungen-assoziativen Plauderton dulden, der die romantische Geselligkeit bestimmte. Aber man achtete sich gegenseitig, und das Spottgedicht Carolines auf Fichtes >Wissenschaftslehre< war eher voll liebender Ironie und nicht wirklich scharf oder vernichtend (wie A. W. Schlegels Spottgedicht auf Schillers patriarchalisches Meisterstück »Würde der Frauen«). Es wurde erst 1956 bekannt, als das Düsseldorfer Goethe-Museum eine gebundene Ausgabe des Athenäum erwarb, auf dessen Vorsatz Caroline das Gedicht geschrieben hatte:

»Meine Herrn, damit Sie's wissen
Welche Wissenschaft ich lehre:
Es ist die Wissenschaftslehre,
Das heißt Wissen von dem Wissen
Glosse
Dies muß ich nun deutlich machen.
Können Sie es nicht verdauen,
Will ich's Ihnen erstlich kauen
Und dann schieben in den Rachen.
Zwar ihr Kopf wird etwas krachen,
Weil mit unnütz schlechtem Wissen
Sie ihn sonst zu sehr verschlissen;
Darum will ich's unverhohlen
Ihnen sagen, wiederholen.
Meine Herrn, damit Sie's wissen...
Diesen starken Stamm der Fichte
In der Hand, da kann man wandeln,
Fest auf Erden stehn und handeln
Und wird nimmer mehr zunichte.
Bis zum letzten Weltgerichte,
Wenn sonst alle Stränke rissen,
Bleibt ihr ruhig im Gewissen.
Denn ihr wißt, gewiß, ihr wißt.
Und auch, was dies Wissen ist,
Das heißt Wissen von dem Wissen.«   
(zit. n. Kleßmann: 243ff.)

Als im Frühjahr 1799 Fichte eine Anklage wegen Atheismus erhält, seinen Aufsatz »Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung« betreffend, stehen die Jenaer Romantiker eindeutig auf seiner Seite — im sogenannten >Atheismusstreit<.
August Wilhelm Schlegel schreibt an Novalis:

  • »Von Fichtes Händeln über den lieben Gott werden Sie aus dem Intelligenzblatt der Literaturzeitung unterichtet werden. Der wackere Fichte streitet eigentlich für uns alle, und wenn er unterliegt, so sind die Scheiterhaufen wieder ganz nahe herbeigekommen« (zit. n. Kleßmann: 181).

Daß dies ein Angriff auf die Geistesfreiheit, und also auch auf die Frühromantiker ist, begreifen alle. Deutlich wird hier ein Intellektuellenhaß, der sich in seiner deutschen Ausprägung bis heute durch besondere Schärfe und Borniertheit auszeichnet — die Ordnungsschilder des Geistes verraten Angst und Aggression. Friedrich durchschaute von Berlin aus sogleich die politische Seite des >Atheismus-streits< und schrieb an den Bruder, er wolle eine Broschüre schreiben und beweisen, daß Fichte die Religion eigentlich entdeckt habe (er schrieb sie allerdings nicht):

  • »Nicht bloß Atheisten sind die Gegner (Fichtes), sondern positive Diener des Satans, gegen die in Deutschland jeder Schriftsteller ein gebohrener Soldat ist« (Caroline I: 539).

Während Steffens bei den Studenten Unterschriften für eine Bittschrift an Weimar sammelte, verhielt sich Goethe (der Einfluß hätte haben können) feige, was den Schlegels sehr peinlich war. Goethes affirmative Grundhaltung durchschaute ein Einziger: Novalis. In seiner Kritik am >Wilhelm Meister< als »ökonomischem« Werk, wo die Poesie in der Gestalt Mignons stirbt und dies zwar beklagt, aber als unabänderlich, ja sogar notwendig angesehen wird (ähnlich wie Ottilies Tod in den >Wahlverwandtschaften<), sah Novalis

  • »eine poetisierte bürgerliche und häusliche Geschichte. Das Wunderbare darin wird ausdrücklich als Poesie und Schwärmerei behandelt... Wilhelm soll ökonomisch werden durch die ökonomische Familie, in die er kommt« (Novalis 1968: 466 f.).

Goethe erwähnt Fichte am 29. August 1798, nachdem Schiller ihm vorher von einem Besuch Fichtes bei ihm (in Jena) schrieb:

  • »Nutzen Sie das neue Verhältnis zu Fichten für sich so viel als möglich und lassen es auch ihm heilsam werden. An eine engere Verbindung mit ihm ist nicht zu denken, aber es ist immer sehr interessant, ihn in der Nähe zu haben« (Briefwechsel II: 147).

Es war also ein freundlich-distanziertes Verhältnis zu Fichte, was vermuten ließe, daß Goethe und Schiller  zumindest  über  den  >Atheismusstreit< diskutiert hätten. Aber nichts davon. Man überging diesen Skandal einfach! Sie verhielten sich nicht anders als die Professoren-Kollegen der Universität, von denen kein einziger außer Hufeland Partei ergriff — sie mieden ihn einfach. Seine »unerschütterliche Redlichkeit«, so stellte Caroline fest, habe wohl den Hof und die Universität oft in Verlegenheit gesetzt. Schiller nennt dieses Verhalten nicht mutig, sondern unklug, als er ihn, längst nachdem Fichte entlassen worden und nach Berlin gegangen war, am 14. Juni 1799 beiläufig in einem Brief an Goethe erwähnt:

  • »Es ist doch unbegreiflich, wie bei diesem Freunde eine Unklugheit auf die andere folgt und wie inkorrigibel er in seinen Schiefheiten ist« (Briefwechsel: 243).

Wie anders war das Echo bei den Romantikern! Dorothea und Friedrich sind >unruhig und bekümmert über diese Nachrichten, — Dorothea schreibt dennoch zuversichtlich an Caroline am 20. April 1799:

  • »Und die gute Sache? — Die wird nun erst siegen; die Guten werden sich nun erst erkennen und näher zusammentreffen« (Caroline I: 534 f.)

Und Caroline am 24. April 1799 an Luise Gotter:

  • »Nur mit Kummer kann ich Dir von dem schreiben, wonach Du mich fragst — von der Fichteschen Sache. Glaube mir, sie ist schlimm für alle Freunde eines ehrlichen und freymütligen Betragens. Wie Du von der ersten Anklage, die von einem bigotten Fürsten und seinen theils catholischen theils herrnhutischen Rathgebem herrührte, zu denken hast, wirst Du ungefähr einsehn ... Er wird verlassen, gemieden...« (Caroline I: 536f.).

Sicher mußte Caroline an ihre Zeit in Gotha 1793/94 denken, wo es ihr, der >Mainzer Republikanerin< ähnlich ergangen war. Fichte hatte dem Geheimrat Voigt  geschrieben, er werde seinen Abschied nehmen, wenn man seine Lehrfreiheit einschränke. Voigt behandelte diesen Brief nicht als privaten, sondern gab ihn dem Herzog, der ihn als Dimissions-Gesuch behandelte — »man ergriff freudig den Vorwand ihn los zu werden«, schreibt Caroline im selben Brief. Später, am 9. Juni 1799, äußerte sie dem Freund Gries gegenüber ihre Enttäuschung über Schiller und Goethe,

  • »die über jene Begebenheit wie Emigrirte sprechen... Bei Goethe ist das eine Art Verzweiflung darüber, daß die Ruhe, die er liebt, sich ferner und ferner verhält... Wir halten uns in diesen schlimmen Zeiten enge zusammen« (Caroline I: 550).

Ähnlich äußert sich Friedrich Schlegel aus Berlin gegenüber Caroline: »Es ist doch nichts, als daß er zu ehrlich war. Schelling wird doch wohl seinen Abschied nehmen?« (Caroline I: 539).
Das tat der junge Professor Schelling nicht — immerhin war auch im >Athenäum< vom Atheismusstreit wenig die Rede. In Berlin wurde Fichte sehr freundlich empfangen, er wohnte anfangs zusammen mit Dorothea Veit, Friedrich Schlegel und Schleiermacher, die auch gemeinsam aus dieser Berliner > romantischen Geselligkeit an Caroline (I: 543 ff.) schrieben und sich auf Jena freuten: Das Schlegelsche Haus in Jena war inzwischen bereichert durch Carolines >Mittagstisch<, zu dem zahlende befreundete Gäste kamen:

  • »Meine Haushaltung hat sich sehr vergrößert, denn denk nur, Paulussens essen bey mir, nebst dem Prof. Schelling« (Caroline I: 546),

schreibt sie an Luise Gotter im Juni 1799. Sie läßt allerdings unerwähnt, daß sie seit einem halben Jahr den >Professor Schelling< liebt (wie er sie) und diese Liebe unterdrückt. Im Oktober 1798 hatte Friedrich Schlegel auf Carolines Bemerkung hin, daß Schelling ein >Granit< sei, scherzhaft gefragt:

  • »Aber wo wird Schelling, der Granit, eine Granitin finden? Wenigstens muß sie doch von Basalt seyn? Und diese Frage ist nicht aus der Luft gegriffen... Will er die Le(vi), so will ich sie schicken (Rahel Levin, spätere Varnhagen. Friedrich verkehrte in Berlin auch in ihrem berühmten Salon, G.D.). Er hat Eindruck auf sie gemacht« (Caroline I: 471).

Später, als die Liebe Schellings und Carolines ihm selbst auffiel, war er nicht mehr zu Scherzen aufgelegt. Im Gegenteil. Er verhielt sich wesentlich eifersüchtiger als August Wilhelm. Aber dazwischen lag noch eine kurze Zeitspanne, der
Höhepunkt der Jenaer Geselligkeit, von dem manche >Teilnehmer< später wie von einem Zustand gesteigerten Lebensgefühls, fast wie von einem Rausch berichten (wie z. B. Steffens, der Carolines dreizehnjährige Tochter Auguste verehrt). Caroline bewirtet und logiert sogar einen Großteil der Freunde, die in ihrem Haus vom Sommer bis gegen Ende des Jahres 1799 verkehren — Friedrich und Dorothea wohnen ab August fest in ihrem Haus (Dorothea hat sich im Januar 1799 von Veit scheiden lassen), Tiecks, Novalis und Schelling, ab Weihnachten auch Steffens, sind sozusagen
Stammgäste. Je enger die Gruppe zusammenrückt und sich nach außen mit ihrem >Kampfjournal< Athenäum, das seit Mai 1798 erscheint, profiliert, desto    unversöhnlicher wird die Auseinandersetzung mit der Außenwelt, gegen die man sich — gemeinsam — stark fühlt. Drei Kinder gehören zur Gruppe — Dorotheas Sohn aus Berlin, der spätere christliche >Nazarener<-Maler Philipp Veit, die Tochter von Tieck, und Auguste Böhmer, Carolines Tochter, hübsch, altklug, verwöhnt, sensibel und ganz auf Caroline fixiert, deren Sympathien und Antipathien sie teilt — so auch, nach anfänglicher >Kratzbürstigkeit<, die Liebe zu Friedrich Schelling. Friedrich Schlegel, der Auguste sehr gern hatte, war deshalb vermutlich doppelt eifersüchtig. Die Briefe Friedrichs aus Berlin an Auguste (1797/98) zeigen nicht nur, wie sehr Friedrich Auguste seit den Tagen von Lucka 1793 ins Herz geschlossen hatte, sie zeigen auch Friedrichs Zartheit und esprit, wo er ganz frei sein darf. Freilich war manches in diesen Briefen an Carolines Adresse gerichtet, so die Anspielung auf seine Fragmente, die Caroline angeblich »barbarisch« findet (Caroline I: 626). Auguste war mit dreizehn Jahren für damalige Verhältnisse im heiratsfähigen Alter<. (Novalis, gleichalt mit Friedrich Schlegel, hatte sich einst mit der dreizehnjährigen Sophie von Kühn verlobt). Am 26. September 1797 schreibt Friedrich Schlegel an Novalis:

  • »Endlich hast Du auch Augusten bemerkt. Begreifst Du wohl, daß man so ein Kind so lieben kann, wie man nur einmal liebt, wenn man auch mehrmal etwas glücklich ist, und wogegen alles andres nichts ist?« (Preitz: 107)

Im Unterschied zur dämonischen >Kinderfrau< mit Lolita-Qualitäten (für die zu dieser Zeit auch die sexualgeschichtliche Voraussetzung gefehlt hätte), werden die Mädchen — Kinder von den Frühromantikern als Projektionen ihrer Idee der >höheren Kindheit< genommen: sie sind ganz erotisch, weil sie ganz utopisch verstanden werden, und eben nicht dämonisiert, weil es abgespaltene Sexualität in diesem Zusammenhang nicht gibt. Sie stehen als Gestalten am Horizont jener > goldenem Zukunft, wo, wie Novalis in der 5. Hymne an die Nacht sagt, die Herrschaft der > dürren Zahl< und des >strengen Maßes< zuende geht und die Verlebendigung der >leblosen Natur< in einem >Mächtigen Frühling< durchbricht. Man fühlt sich fast an Herbert Marcuses Metaphorik vom »Überwintern« der Kunst in der Welt der Entfremdung erinnert, wenn man die allegorischen und symbolischen Umschreibungen der Frühromantiker liest. Die Utopie läßt sich nicht direkt beschreiben, das wäre Kitsch und Verfälschung, sie läßt sich nur als Sehnsucht, Ahnung, Hoffnung (und in Allegorien dieser Gefühle) aussprechen.
Aber in allem, was ist, >keimt< auch das, was in einem >Mächtigen Frühling< ausbrechen könnte. Und es keimt nicht in allem gleich. Deshalb sind Kinder (jene, die nicht durch Erziehung >abgerichtet< sind, sondern sich >entfalten< durften) und Dichter näher am Horizont eines möglichen Morgen. Caroline teilt diese Ansicht — überhaupt finden wir bei den Frühromantikern, wie bei Jean Paul, ein Erziehungskonzept, das man als >antiautoritär< bezeichnen kann. 1789 verließ Caroline u. a. Göttingen, weil ihre Kinder zu wenig >Freiheit< bei den Großeltern hatten! Bei diesem Erziehungskonzept handelt es sich nicht um die Idee einer pädagogischen Provinz< um ein Ghetto, das Kinder von der Welt abschirmt (diese Ideologie bildet sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts), sondern das Kind wird ganz ernst genommen und ist vollwertiges Mitglied im Leben der Erwachsenen; im Fall von Auguste wäre nach Mainz, dem Gefängnisaufenthalt in Königstein und der  >geheimen< Geburt in Lucka ein >Kindheitsfreiraum< gar nicht möglich gewesen. Caroline verhält sich zu Auguste als Partnerin, und Auguste ist ihre geliebteste engste Vertraute — vielleicht liegt darin auch ein Grund, weshalb Carolines Bedürfnis nach einer Freundin nicht so groß war?
Die von allen herbeigesehnte gemeinsame Geselligkeit war von vornherein durch die Liebe Carolines und Schellings gefährdet. Für Friedrich muß es beispielsweise ein Schock gewesen sein, Schelling als vertrauten Freund Carolines in Jena vorzufinden. Deutlich wird hier, wie eine Idee, nämlich Geselligkeit in einem ganz bestimmten Rahmen zu verwirklichen, an der Unberechenbarkeit menschlicher Gefühle zerbrechen kann. Dieser Vorgang wird zunächst durch die Freude an der Gemeinsamkeit, durch das produktive gemeinsame Schaffen, das wir im Athenäum sozusagen objektiviert sehen, durch das nach außen geschlossene kämpferischpolemische Auftreten und durch die phantasievolle gegenseitige Förderung so verschiedener, sich jedoch ergänzender Talente verschleiert und aufgehalten. Caroline organisiert und vermittelt diese Geselligkeit und ist damit gleichzeitig der Mittelpunkt, vermutlich übernimmt sie sich aber ständig in der Unterdrückung ihrer eigenen Bedürfnisse (vor allem der Liebe zu Schelling), indem sie, wie Dorothea, die zunächst sehr angetan von Caroline ist, an Schleiermacher schreibt, »dienstfertig« ist, »gefällig und unermüdlich es einem jeden Recht zu machen« (Wieneke: 300). Dorothea vermutet schon im Oktober 1799 einen »Hang zur Schwehrmuth« (Wieneke: 301) bei ihr. Wahrscheinlich ist Caroline, schon lange vor dem Ausbruch von Krise und Krankheit, nicht so glücklich und heiter, wie sie sich gibt, auch in ihren Briefen.
An August Wilhelm Schlegels Geliebte in Berlin, Tiecks Schwester Sophie Bemhardi, schreibt Dorothea am Tag nach ihrer Ankunft in Jena:

  • »Glücklich — recht glücklich war der erste Eindruck von allem was mich empfing... Caroline ist mir bis jetzt noch recht liebenswürdig erschienen, Wilhelm ist freundlich, und Friedrich gesund, und beßerer Laune als vor einiger Zeit in Berlin... alles scheint sich zu einen recht vergnügten Winter anzulaßen...« (Wieneke: 298).

Ihre dann folgende Schilderung des geselligen Lebens und gemeinsamen Arbeitens könnte die meisten Wohngemeinschaften neidisch machen. Was besonders auffällt, ist das Fehlen geistiger Konkurrenzkämpfe oder Profilierungssüchte. In all den Briefen (von Friedrich und August Wilhelm an Novalis, an Tieck, an Schleiermacher und deren Korrespondenz untereinander, so auch Dorothea an Rahel Levin, an Sophie Bemhardi etc.) fällt auf, wie sehr sich diese Menschen gegenseitig fördern, aufmuntern, achten in ihrer Eigentümlichkeit. Sicher spielt die >Sache< — das kulturrevolutionäre Bemühen um eine gelebte Verbindung von Leben und >Poesie< — dabei die größte Rolle. Die üblichen Konkurrenzkämpfe und ausgelebten Profilierungsneurosen sind durchaus etwas >Normales< schon damals, auch unter Frauen, wie man aus der Beurteilung Carolines von Dorothea (an Schleiermacher am 11. 10.1799) sehen kann:

  • »Den Fehler der Frauen die so ins unendliche hinein coquettiren, den hat sie nicht, nämlich den: jede andre um sich zu verdunkeln; sie freut sich, im Gegentheil, mit jedes fremde Verdienst« (Wieneke: 301).

Vor allem hatten diese Menschen das Talent, einander zuzuhören; und zwar nicht nur die Frauen, von denen erwartet wird, daß sie als Spiegel des Mannes ihm sein Bild, wie Virginia Woolf freundlich-ironisch bemerkt, in doppelter Größe zurückspiegeln (Woolf: 12). Vielmehr finden wir eine positive Aufhebung des Narzißmus (im Hegeischen Doppelsinn), indem die Selbstdarstellung zur Kunst erhöht wird (Kern der Romantheorie Friedrich Schlegels) und alle untereinander als Künstler anerkannt werden (vgl. Dischner 1979). Was Ricarda Huch über das Freundschafts-Talent von Tieck schreibt, gilt in verschiedenem Ausmaß für die ganze Jenaer Gruppe: daß sie neben der eigenen Selbstdarstellung sich selbst zum >Spiegel der anderen machten:

  • »Es tat so wohl, sich in seinem (Tiecks, G.D.) empfänglichen Geiste widergespiegelt zu sehen; aber alle Spiegel bekommen ihren eigentlichen Wert, wenn man davor steht, ja sie sind im Grunde nur etwas, insofern sie etwas Aufgefangenes widerstrahlen« (Huch: 130 f.).

Dieses Gefühl, »auch wiederum von denn abhängig zu sein, denen er (Tieck, G.D.) so viel gab« (a.a.O.), hatten mehr oder weniger alle Jenaer, ja, es konstituierte ihren Begriff und ihre Praxis von Geselligkeit. Und genau deshalb sind so viele Mißverständnisse über »Frauen der Romantik« entstanden, die ja doch nur wieder Musen und Spiegel ihrer Männer seien (Dorothea allerdings hat sich selbst dazu gemacht!): Dieses Ideal war das Ideal der Männer selbst, deshalb wurden sie auch als »weiblich« bezeichnet. Die gemeinsame Produktion des >Kunstwerks< der Geselligkeit ist das Geheimnis der fehlenden Konkurrenz sowie des androgynen Ideals der Aufhebung der Geschlechter- und Generationsrollen (>Vergötterung< des Kindes Auguste) in einem emphatischen Begriff des >Gattungswesens< Mensch. Der frühe Marx weiß davon mehr als die nach ihm kommenden ökonomiefixierten Marxisten. In den »Exzerptheften« entwirft Marx im Konjunktiv die Utopie einer Gesellschaft, in der nicht mehr für den Tausch produziert wird, sondern für sich selbst und füreinander, erst dann hätten wir als >Menschen< produziert.

  • »Gesetzt, wir hätten als Menschen produziert; Jeder von uns hätte in seiner Produktion sich selbst und den andren doppelt bejaht. Ich hätte 1. in meiner Produktion meine Indvidualität, ihre Eigentümlichkeit vergegenständlicht und daher sowohl während der Tätigkeit eine individuelle Lebensäufierung genossen, als im Anschauen des Gegenstandes die individuelle Freude, meine Persönlichkeit als gegenständliche, sinnlich-anschaubare und darum über allen Zweifel erhabene Macht zu wissen. 2. In deinem Genuß oder deinem Gebrauch meines Produkts hätte ich unmittelbar den Genuß, sowohl des Bewußtseins, in meiner Arbeit ein menschliches Bedürfnis befriedigt, als das menschliche Wesen vergegenständlicht und daher dem Bedürfnis eines andren menschlichen Wesens seinen entsprechenden Gegenstand verschafft zu haben, 3. für dich der Mittler zwischen dir und der Gattung gewesen zu sein, also von dir selbst als eine Ergänzung deines eignen Wesens und als ein notwendiger Teil deiner selbst gewußt und empfunden zu werden, also sowohl in deinem Denken wie in deiner Liebe mich bestätigt zu wissen, 4. in meiner individuellen Lebensäußerung unmittelbar deine Lebensäußerung geschaffen zu haben, also in meiner individuellen Tätigkeit unmittelbar mein wahres Wesen, mein menschliches, mein Gemeinwesen bestätigt und verwirklicht zu haben.
    Unsere Produktionen wären ebensoviele Spiegel, woraus unser Wesen sich entgegenleuchtete« (Marx, Exzerpthefte: 261).

In diesem Sinne könnte man sagen, daß für eine kurze Zeit etwas von jener >konkreten Utopie< des geglückten Daseins, der >freien Lebensäußerung< in Jena realisiert wurde. Die >Arbeit< wäre >freie bewußte Tätigkeit — diesen Begriff hat Marx von Schelling übernommen -, Schelling hatte sie in Jena realisiert gesehen; daß es nicht die einsame Arbeit des Gelehrten sein könnte, das hatte Caroline im Hause Michaelis erfahren!

  • »Meine Arbeit wäre freie Lebensäußerung, daher Genuß des Lebens. Unter Voraussetzung des Privateigentums ist sie Lebensentäußerung, da ich arbeite, um zu leben, um nur ein Mittel des Lebens zu verschaffen. Meine Arbeit ist nicht leben« (Exzerpthefte: 261). Diese Einsicht finden wir auch bei Nietzsche, der die Muße lobt: »Sich Arbeit suchen um des Lohnes willen — darin sind sich in den Ländern der Zivilisation jetzt fast alle Menschen gleich; ihnen allen ist Arbeit ein Mittel, und nicht selber das Ziel« (Nietzsche II: 66).

Sie ist es so wenig wie jede Arbeit unter dem Verwertungszwang — daher das Lob des Müßigganges in der Lucinde. Mit einer gelebten Ahnung des >geglückten Daseins< erscheinen, von außen gesehen, >normale Entwicklungen als Katastrophe, zumal die feindliche Umwelt schadenfroh auf ein Versagen wartet.

  • »Die bloßen Bekannten haben sich ziemlich von den Freunden geschieden« (Caroline I: 588),

schreibt Caroline — die Folge ist ein näheres Zusammenrücken, was ja von Dorothea wie von Caroline schon in bezug auf das feige Verhalten der Umwelt im >Atheismusstreit< auch einen politischen Hintergrund hatte. Um so größer aber wird die Angst vor dem Scheitern der Gruppe, deren Loslösung von der bürgerlichen Gesellschaft eine Rückkehr in diese erschwert.
Bei aller geschichtlichen Differenz zeigen sich hier Analogien zum >Scheitern< antiautoritärer Gruppen und der Kommunebewegung, nämlich vor allem in den Folgeerscheinungen: einer Tendenz zur Regression (in rigide Parteilichkeit, im Rückgriff auf Unmittelbarkeit, sei es >Natur<, sei es Drogenkonsum oder Guruhörigkeit — und damals in den >Schoß< der katholischen Kirche), einem Nichtmehr-aushalten-können der Widersprüche, einer erhöhten Angst vor Identitätsverlust, die überwunden geglaubte Identitätsangebote aufnimmt. Im Unterschied zu Dorothea und Friedrich hat Caroline diesen Tendenzen widerstanden.
Inge Hoffmann-Axthelm hat das »Versagen der >Geselligkeit « (100) nicht wirklich erfaßt; auch ihre Gleichsetzung der >Geselligkeit< mit >Gruppen-idylle< (201 f.) ist nicht zutreffend, im Gegensatz zu ihren sehr richtigen Überlegungen zu Friedrich Schlegels Begriff der Geselligkeit. Weder scheitert die Gruppe an den zwei verschiedenen »Ehe- bzw. Liebesauffassungen« (100) der Paare Caroline-Schelling und Dorothea-Friedrich Schlegel, noch bleibt Caroline »auf der Zwischenstufe der emphatischen Personalität« (102) stehen. Auch die Aussage, der Kreis habe »vorwiegend Privatcharakter« (201) gehabt, hilft nicht wesentlich weiter in der Analyse, wird außerdem den Intentionen der Gruppe, der es um Aufhebung der Trennung privat — öffentlich, Gefühl — Verstand und andere Gegensatzpaare ging, nicht gerecht (der öffentliche Skandal um die >Lucinde<, die auf dem Höhepunkt der Geselligkeit, 1799, erschien, zeigt, daß die Darstellung dieser Aufhebung zumindest gelungen war, wenn auch als >Schock<!). Von der starken Spannung durch die >feindselige< Außenwelt des spießigen Bildungsbürgertums, die von der Gruppe nicht gewollt war, abgesehen, scheint ein Hauptgrund des  >Scheiterns<  doch die  Liebe zwischen Caroline und Schelling gewesen zu sein. An ihr nämlich zeigte sich, wie tief doch die Strukturen und Wertvorstellungen, die man theoretisch überwunden hatte, verinnerlicht waren und zur Rationalisierung von Eifersucht schnell reaktualisiert werden konnten. Das betrifft vor allem Friedrich Schlegel: Er hatte dem Bruder zuliebe darauf verzichtet, sich Caroline, der Frau, die seinen Geist, wie er in der Lucinde schrieb, »zum ersten Male ganz und in der Mitte traf«, liebend zu nähern. Nun näherte sich ihr der junge Schelling, ja »nahm sie dem Bruder weg« und mit ihm auch Auguste, das >geliebte Kind<, das, in Identifikation mit der Mutter, ihre Liebe Schelling zuwandte. Caroline, die all dies spürte, geriet in eine immer stärkere Ambivalenz zu Friedrich, was ihren Blick für dessen Schwächen schärfte. Dies wiederum fand Dorothea unerträglich, denn sie >betete< Friedrich an (Wieneke: 348, 350 etc.), er war und mußte unfehlbar sein, ihr Gott. Eine latente Eifersucht auf Caroline — denn sie spürte Friedrichs Abhängigkeit von ihr-verstärkte wohl ihren wachsenden Haß. Offensichtlich versucht Dorothea, Friedrich gegen Caroline und Schelling aufzustacheln. Caroline erkrankt im Frühjahr 1800 an der Ruhr, und im Verlaufe der gefährlichen Krankheit wird klar, wie völlig erschöpft Caroline von diesem Winter ist (auch durch die Bewirtung der ständigen Gäste — eine Kooperation von Männern in der Küche gab es um diese Zeit noch nicht, auch nicht in dieser Gruppe, die manche Konventionen hinter sich gelassen hatte). Noch im Winter hatten Caroline und Schelling bei Friedrich Schlegel Italienisch gelernt, aber die Spannungen nahmen zu — Friedrich versuchte, seinen Bruder gegen Schelling aufzuhetzen, aber trotz der Streitigkeiten verhielt August Wilhelm sich wesentlich zurückhaltender als Friedrich und Dorothea, was diese veranlaßte, dies den Teufeleien Carolines zuzuschieben:

  • »Ihr Haß auf den Friedrich kömmt eigentlich daher, weil sie glaubt, er wäre Schuld, daß W. (ilhelm) gegen Schelling sey, und darin hat sie ganz Recht« (Caroline I: 745) — die drei (Schelling, August Wilhelm, Caroline) wären womöglich sonst in Frieden geblieben und ein hübsches Stubenmädchen, vielleicht sogar Auguste (!!) »hätte die Ehe en quatre vollständig gemacht« (a. a. O.).

Auch Friedrich übernimmt diese Version der immer haßerfüllteren Dorothea und behauptet, Caroline habe die Tochter an Schelling verkuppeln wollen, um beide Männer um sich zu haben. Dorothea soll, was allerdings nur in einem boshaften Brief Tiecks an seine Schwester Bernhardi vom 6. Dezember 1799 einmal erwähnt ist, August Wilhelm umworben haben, was das Beziehungsgeflecht allerdings noch kompliziert haben könnte. Tieck hatte eine Abneigung gegen starke und selbständige Frauen (Amalie war brav und hausfraulich, fast alle fanden sie langweilig), er mochte weder Dorothea, die »Bestie Veit«, eine »Lucinde in Brechpotenz« (Caroline 1:747), noch Caroline, die »androgynische C«; die Verhältnisse beschreibt er nicht eben freundlich:

  • »Sonst macht Schelling der Schlegel die Cour, daß es der ganzen Stadt einen Scandal giebt, die Veit dem Wilhelm S. und so alles durcheinander. Friedrich ist allen mit der Lucinde lächerlich, wie nothwendig... seid nur überzeugt, daß die Schlegel (Caroline, G.D.) eigentlich die Ursach aller Zänkereien ist« (Caroline 1:747).

Der Rheumatismus Tiecks, der, wie Caroline in einem Brief vom 27. Dezember 1799 an Gries feststellt, seit drei Wochen andauert, verhindere, daß dieser an den Schlittenfahrten teilnehmen könne (Caroline I: 588). Die Laune, in der er den Brief an die Schwester schrieb, mag wohl nicht die beste gewesen sein. In diesem Krisenzustand ist die Gruppe auf sich selbst angewiesen wie nie zuvor.

  • »Seit Schlegels Bruch mit der ALZ, sehn wir selbst unsre nächsten Nachbarn nicht mehr« (Caroline I: 588).

Aber Heiterkeit gibt es doch auch, so beim Vorlesen von Schillers »Glocke«:

  • »Die Glocke hat uns an einen schönen Mittag mit Lachen vom Tisch weg fast unter den Tisch gebracht. Die ließe sich herrlich parodieren« (Caroline I: 592).

Dies ist der letzte Brief Carolines aus Jena, vom 27. 12. 1799. Bis zum Juni 1800 hören wir von ihr nichts mehr, dafür um so mehr Boshaftigkeiten von Dorothea. Am 31. März 1800 schreibt Auguste an Luise Gotter aus Jena — Caroline selbst ist zu schwach — und schildert die Anfälle von Nervenfieber und die Ohnmacht der Medizin (Senfpflaster gab man ihr aufs Bein, und das zu lang) —

  • »Man sagt, sie habe ein paarmal in Lebensgefahr geschwebt, aber dieser Gedanke ist mir zu furchtbar, als daß ich ihn gehabt hätte — « (Caroline 1:595).

                      

An Luise Gotter, Jena d. 11 Jul. [17]96.

Liebe Louise, ich hoffe, Du bist so glücklich wieder in Gotha angelangt, wie wir in Jena. Nachmittags warst Du sicher im Park, nur daß es der verwaisten Mutter nicht halb  so viel  Freude  machte,  als wenn sie eins  ihrer Schäfchen bey sich gehabt. Daß Du nicht mehr her kamst, war doch gut, denn zu Anfang ging alles drunter und drüber,  doch kamen wir sämtlich die Nacht noch zur Ruhe, und es macht sich nun schon alles. Das Haus ist klein, aber recht artig. Nur in Einem Stück hat Schlegel mich betrogen — hintergangen! Er schrieb von weißen Vorhängen. Die Wahrheit ist, daß kleine graue Läpchen vor den Fenstern hängen. Da mußt Du mir gleich helfen, meine Liebe  Gute...  Ich kan  diesen Gräuel nicht mit ansehn.  Auch hab ich meinen Thee bey Dir gelaßen. Darüber hat S. sehr geschmält, und ich habe gestern, da Hufelands zu mir kamen, bey der Schiller Thee borgen müßen. Schick mir den auch mit... Vorgestern nach Tisch gingen wir zu Schillers, denn an demselbigen Abend wars nicht mehr möglich. Ich hatte mir alles grade so gedacht, wie es war — nur schöner fand ich Schillern, und sein Knabe ist prächtig. Eben gingen wir hin, da kam man uns mit der Nachricht entgegen, daß sie von einen zweyten Knaben vor einer Viertheistunde entbunden sey. Er kam zu uns heraus und war gar freundlich und gut. Morgen, meint er, würd ich sie wieder sehn können, denn sie ist recht wohl. Das erstemal kam die Kalb hin mit der kleinen Rezia. Die Schiller hat noch glücklich ein Mädchen für mich aus Rudolfstadt bekommen, das schon da war, und mir bis jetzt äußerst behaglich scheint, und kochen kan. — Wir gingen von ihnen zu Hufelands, die uns wie Verwandte empfiengen. Gestern waren sie schon wieder bey uns, und luden uns auf Morgen Abend ein. Da will ich denn vorher zu der Schüz gehn. Die Voigt hat der Schiller weis gemacht, sie kennte mich. Ich weiß nichts davon.
Habe ich sonst noch etwas bey Dir gelaßen, so vorenthalte es mir nicht, ob Du mir gleich unzählig mehr Verpflichtungen mit auf den Weg gegeben. Wir danken euch noch herzlich für alles so sehr Gute und Liebe. Wann werden wir es euch nur ein wenig vergelten können? Nun geht es doch aber endlich über Stock und Block, die wir hinter uns laßen, weg, im graden Gleise, wie Ihr lange gegangen seyd, und in einem nachbarlichen dazu. Ich bin auch unbeschreiblich froh. Grüße die Deinigen und Mad. Und Mlle. Schläger und Minchen.
Die Luft vertrieb mein Kopfweh. Schlegel war angst, die Felsen am Eingange möchten mich abschrecken. Aber ich achtete nichts, als das Gute und Angenehme, und bin schon mit diesem romantischen Thal ganz befreundet. Gustel lebt noch in der Erinnerung.

An Luise Gotter, [Jena] d. 17[-20.] Jul. [17]96

... Diesen Morgen lag ich noch im Bett, als ich ein weitläuftiges Billet von Schüz bekam, worinn wir zu einer Spazierfarth eingeladen wurden, allein das schlug ich ab.
Und wohl mir, daß ich es that. Ich hätte Göthen versäumt. Gestern Nachmittag da ich allein war, meldet man mir den Hrn. Geheimerath. Ohngemeldet hätte ich ihn nicht erkant, so stark ist er seit 2 Jahren geworden. Er war gar freundlich, freute sich, mich in so angenehmen Verhältnißen zu treffen, sagte viel schönes von Schlegel, bis dieser selbst kam. Er hat mir gedroht, oft, auf seinen Weg ins Paradies, bey uns einzusprechen. Wir gingen nachher zu Schillers, und Abends in den großen hiesigen Clubb, wo er an beyden Orten war. Diesmal wird er nicht lange bleiben; er hat nur das Ende von Wilhelm Meister herüber gebracht, um mit Schiller darüber zu sprechen.
Frau von Kalb hab ich oft bey der Schiller getroffen, die fortfährt sich wohl zu befinden. Jene sagte mir mit einer leichten Wendung, daß ich sie des Morgens einmal besuchen möchte. Ich habe dies für einen Befehl gehalten und bin hingegangen. Höre — es ist doch eine Adliche, et meme tres fort, so artig sie ist. So viel ich durch den Adel hindurch sehn konte, scheint sie wirklich Geist zu haben. Giebt es aber vielleicht nicht mehr wie Eine Fr. von Kalb? Dieses kan ohnmöglich diejenige seyn, die bey der Esther in Thränen zerfloßen ist. Sie hat mir eben so leichthin gesagt, daß ich sie in Weimar besuchen möchte.

d. 20 Jul.

Das wird ein ordentliches Tagebuch. Ich bin gestern erbärmlich krank gewesen, darum blieb der Brief liegen. Es war am Sonntag so heiß, daß ich den halben Tag in Einem Röckchen und ohne Strümpfe ging, da hab ich mich verkältet und einen geschwollenen Hals — und Fieber bekommen, so daß ich nun diesen Abend aus einer Gesellschaft bey Woltmann bleiben muß, wo Göthe ist, wenn er nicht noch gestern Abend weggeritten ist...
Auf dem großen Clubb sah ich Loders, Rath Hufelands u. s. w. Man war von allen Seiten sehr artig. Gestern besuchte uns Bötticher aus Weimar. Du kanst denken, was es da für süße Reden gab. Niethammer ist auch schon bey mir gewesen...
Sind Wiebekings schon fort? Darmstadt ist freylich nicht sicher mehr — zittert man doch hier. Lebe wohl, wohl Liebe.
              

Friedrich Schlegel an Caroline, Dürrenberg. Den 2ten August [17]96.

Da Hardenberg einen Boten nach Jena schickt, so ergreife ich die Gelegenheit, Sie zu begrüßen, und Ihnen zu sagen, daß ich wohl noch diese ganze Woche hier zubringen werde.
Gleich den ersten Tag hat mich Hardenberg mit der Herrnhuterey so weit gebracht, daß ich nur auf der Stelle hätte fortreisen mögen. Doch habe ich ihn wieder so lieb gewinnen müssen, daß es sich der Mühe verlohnt, einige Tage länger von Ihnen abwesend zu seyn; ohngeachtet aller Verkehrtheit, in der er nun rettungslos versunken ist.
Uebrigens bin ich hier völlig frey, und kann einen grossen Theil des Tages arbeiten, welches ich denn auch tüchtig thue, und doch das langentbehrte Vergnügen der Gedankenmittheilung im vollen Maaß geniessen. Es soll mich wundern, ob Sie mich auch so einseitig, hartnäckicht finden werden, wie ich andern scheinen muß. Heute ist s drey Jahr, daß ich Sie zu erst sah. Denken Sie, ich stände vor Ihnen, und dankte Ihnen stumm für Alles, was Sie für mich und an mir gethan haben.
Was ich bin und seyn werde, verdanke ich mir selbst; daß ich es bin, zum Theil Ihnen.
Vom Cäsar hätte ich gern Nachricht. Schreiben Sie gleich, so trift michs gewiß noch. Wenn es nur keine Mäkeley von Schiller ist, so will ich gern bis zum lOten Stücke warten. Ist es aber das, wie ich argwöhne, so wollte ich, er gäbe mir das Ganze gleich zurück; dann zierte ich den ersten Band damit statt der Diotima.
Es liegt mir ganz unendlich viel daran, diese gleich zu finden bey meiner Ankunft in Jena. Ich wiederhohle also an Wilhelm meine Bitte desfalls, wie auch um den Dionys. Hätte Schiller die Diotima verlohren, das wäre äusserst unangenehm. Wer weiß, ob ich die Stücke gleich kaufen könnte.
Wenn ich Ihren Brief zugegen oder ganz im Gedächtnisse hätte, so würde ich noch viel mehr schreiben. Wäre ich in der Stimmung, wie neulich, so hätte ich auch viel zu mäkeln über Wilhelms böse werden müssen, und andre ähnliche Unverständlichkeiten. In der Laune, wo ich jetzt bin, würde ich wohl auf den oekonomischen Theil Ihres Briefes antworten, der mir viel Freude gemacht hat. Der allerliebste Einfall, in vollem Ernst mein Vormund zu seyn, ist gewiß nicht Ihr eigner. Sie haben ihn (wie alles Schöne) von den Alten entlehnt, haben gewiß eine Gemme gesehn, wo ein Amor einen Löwen spielend bändigt. Es muß beinahe eben so interessant seyn, eine so kleine, zierliche, zerbrechliche, leichtsinnige, kolossalisch verliebte Frau — als Grakchen Mutter zu sehn, wie Wilhelms Vaterwürde, auf die Sie mich sehr lüstern gemacht haben.
Meine Adresse ist: Weissenfeis beym Salin-Direktor v. Hardenberg. — Setzen Sie Eilends aufs Couvert, sonst möchte der Brief in W. Hegen bleiben.
Wilhelm mags ja überlegen, ob er Reichardt eigne Aufsätze für Deutschland geben will, wegen des Verhältnisses mit Schiller. Hält ihn aber dieß nicht ab, so kann er wegen des Honorars ganz unbesorgt seyn. Dafür will ich stehn, und könnte es eintreiben. — Wollt Ihr mir geben, was Ihr über W[ieland?] zu sagen habt, und mir erlauben, nach meinen Zusätzen, das Ganze unter meinem Nahmen an R. zu schicken, so könnten wir ja das Honorar leicht theilen. — Auch R. sieht W[ilhelm?] als einen Verbündeten an. — Seyd aber nur meinetwegen unbesorgt: sein Lob wird mich nie zur Frechheit verführen, und ich werde auf meiner Hut seyn, daß R. meine Freymüthigkeit nicht zu seinen Absichten mißbrauchen soll.
Wenn ich das Honorar für den Cäsar erst zu Ostern 97 bekäme, das wäre äusserst verdrießlich.
Kömmt ein Brief oder Packet mit D im Siegel: so brecht ihn auf. Das ist vom Drucker in Berlin. Vielleicht ist schon einer da; denn es könnte etwas eiliges darin seyn, welches ich mir gleich zu melden bitte. Mein Koffer muß schon gestern mit Fuhrmann Gottfried Tieftrunk angekommen seyn.
Es wäre mir auch lieb, wenn Sie die Abhandlung über das Studium aufmerksam lesen wollten.
Was ich zunächst für die Hören zu liefern dachte, war eine Biographie des Tiberius Grakchus. Dieß paßt doch nicht eigenthch für Deutschland und ich muß es entweder auf Spekulazion für die Oster Messe 97 für die Hören machen, oder es mit in die Sammlimg aufnehmen.
Wollen Sie wohl die Diotima noch einmahl lesen, und die Stellen mit Bleystift bezeichnen, wo Sie glauben, daß eine kleine Aenderung nothwendig und leicht sey?...

An A.W. Schlegel,* [1797?]
(* die folgenden beiden Briefe sind Gesprächsfortsetzungen über Shakespeares >Romeo und Julia<)
[Anfang, 2 Blätter, fehlt.]

... gedacht? Ich habe mir so das Ganze überlegt. Kurz muß er durchaus seyn — höchstens Ein Bogen. Das Stück ist voller Leben, voller Bedeutung, aber doch auch so einfach — es sind keine Räthsel darinn zu lösen. Der Charakter des Mönchs hat Tiefe, ohne Geheimniß. Kein Heiliger, ein würdiger, sanft nachdenkender Alter, ein edel betrachtender Geist, fast erhaben in seiner vertrauten Beschäftigung mit der leblosen Natur, und äußerst anziehend, pikant (wenn Du erlauben willst) durch seine ebenso genaue Bekantschaft mit dem menschlichen Herzen. Seine Kentniß deßelben ist mit einer frölichen, ja wizigen Laune gefärbt. Er hat einen schnellen Kopf, sich in den Augenblick zu finden und ihn zu nuzen, muthig in Anschlägen und Entschluß, fühlt er ihre Wichtigkeit mit menschenfreundlichen Ernst. Von seinem Orden scheint er nichts zu haben, als ein wenig Verstellungskunst und physische Furchtsamkeit — er ist frey von Herschsucht, und sezt sich ohne Bedenken aus, um etwas Gutes zu stiften, ist freymüthig und Herr seiner selbst in einer Gefahr, der er nicht mehr entrinnen kan. Es ist sonderbar zu sagen, aber es giebt nichts liehenswürdigres als diesen Mönch, und die erste Szene, in der er auftritt, dient dazu, uns eine achtungswürdige Gewalt in seinem Wesen fühlen zu laßen, die jenen Eindruck durch Verehrung stärkt. Er thut was die jungen Leute haben wollen, aber er scheint uns nicht ihrem Ungestüm, sondern der beynah heiligen Empfindung, der Erfahrung, von dem was Leidenschaft ist, nachzugeben. Er thut an Julien eine Forderung wie an eine Heldin, er mahnt sie zur Standhaftigkeit in der Liebe, wie an eine hohe Tugend, und scheint vorher zu wißen, daß er sich nicht in ihr betrügen wird — in der sich zur Leidenschaft schon die reine gewißenhafte — die  fromme  Treue  der  Gattin gesellt. — Julie ist nichts wie Liebe, und doch wäre es unmöglich sie nur für ein glühendes Mädchen zu nehmen, das zum erstenmal erwacht, und gleichviel auf welchen Gegenstand verfällt. Diesen beyden scheint wirklich ihr guter Geist sich einanderzugeführt zu haben — sie treffen sich in einem Blick, und jedes nächste Wort ist wie dieser Blick. Man glaubt mit ihnen, daß hier keine Täuschung  stattfinden kan.  Selbst  Romeos Flatterhaftigkeit giebt uns keinen Zweifel — es ist, als war seine erste Anhänglichkeit nur ein Gesicht der Zukunft gewesen, ein Traum seiner Fantasie, ihn vorzubereiten. Und ob wir  gleich  an beyden  nichts  sehn  wie  ihre Leidenschaft, so zeigt sie sich doch so, daß sie auf eine edle Bestimtheit der Seele schließen läßt. Zürnt nicht mit Julien, daß sie so leicht gewonnen wird — sie weiß von keiner andern Unschuld als ohne Falsch dem mächtigen Zuge zu folgen. In Romeo kan nichts ihre Zartheit, und die feinen Forderungen eines wahrhaftig von Liebe durchdrungnen Herzens  zurück scheuchen und beleidigen. Sie redet frey mit sich und ihm, sie redet nicht mit vorlauten Sinnen — sondern nur laut, was das sittsamste Wesen denken darf. Der heißen Italiänerinn verzeiht man die Lebhaftigkeit der Vorstellung. Von dem Augenblick an, da sie seine Gattin wird, ist ihr Leben an das seinige gefeßelt; sie hat den tiefsten Abscheu gegen alles, was sie abwendig machen will, und scheuet gleich die Gefahr, entweihet  oder ihm entrißen zu werden. Da  sie gezwungen  wird sich  zu  verstellen, thut  sie  es  mit Standhaftigkeit,  und  deswegen ohne Gewißenszweifel, weil sie ihre Eltern nach solcher Begegnung nicht sehr achten konte. Ihren Monolog halt ich für einen von Sh. Meisterzügen, die ohne Flecken sind. Erst der Schauer sich allein zu fühlen, fast schon wie im Grabe — das Ermannen — die Überlegung, der so natürliche Argwohn, und wie sie ihn heldenmüthig, mit einer Seele über alles Arge erhaben von sich weißt — größer wie der Held, der wohl nicht ohne Ostentation die Arzney austrank —
[Schluß fehlt]

An A.W. Schlegel
[Anfang, 2 Blätter, fehlt.]

... Geschichte schreiben, ihm ebenfalls recht wieder zu Gut kommt.
Die Hufland hat vorgestern fast die ganze Rolle der Julie aus Gotters Oper gesungen; die Musik ist sehr edel nach meinem Gefühl. In die Oper selbst ist nichts vom Geist des Originals übertragen. Die Liebenden kommen mir immer wie Julie und St. Preux dannn vor — die sich — Mad. de Stael mag es anders sagen — ein wenig nach Grundsäzen liebten. Sh. Julie ist so jung, so aufrichtig glühend. Dort haben wir eine moralische, hier eine romantische Leidenschaft. Darinn gleicht Romeo dem St. Pr., daß er seinen Schmerz nicht verhehlen und nicht bemeistern kan. Wer aber würde dieses auch von dem Jüngling fordern? Was dem Manne ziemt, weiß der Mönch wohl, aber auch, daß er in die Luft redet und nur die Amme erbauen wird, doch vergingen darüber einige Minuten, in denen sich der verzweifelnde sammeln und dann auf den reellen Trost des tröstenden horchen konte, der ihm eine Julia zusagt, wies die Philosophie nicht konte. Romeos milde Festigkeit wird bei andern Gelegenheiten sichtbar. Seine Tapferkeit sucht keinen Streit, auch ohne Liebe scheint er über den Haß hinaus zu seyn — diese läßt ihn eine Beleidigung verschmerzen. Der Tod des edlen Freundes nur warnet seinen Arm.
Im ersten Ausbruch von beyder Verzweiflung sind unstreitig — wir mögens uns so sanft vorsagen wie wir wollen, lieber Freund — einige Sh-rische Härten und Unschönheiten — aber dagegen ist es auch wieder himmlisch, wie in dem Abschiedsauftritt die Freuden der Liebe den wilden Kummer gebrochen haben — wie wehmüthig, hofnungsvoll und unglückahnend zugleich sie aus ihnen spricht. Du wirst nicht unterlaßen zu bemerken, daß in diesem Auftritt ganz vorzüglich die poetische Schönheit mit dem einfachsten Ausdruck eines zerißnen Gemüthes verschmolzen ist. Die erste Unterredung  im  Garten  hat  einen  romantischeren Schwung, aber sie hat auch eben solche Ausdrücke der innigsten Zärtlichkeit, wie sie unmittelbar dem Herzen und der von Liebe erfüllten Phantasie entschlüpfen. Romeo ist nicht mehr niedergeschlagen — Die Hofnung, die blühende jugendliche Hofnung hat sich seiner bemächtigt
fast frölich wartet er auf Nachricht. Er nennt das, selbst nachher den letzten Lebensbliz. Dergleichen Züge gehören ganz Shakesp. Ich weiß niemand, der ihm darinn ähnlich wäre — das sind solche, womit er die Seelen der Menschen umwendet. — Was Romeo nun hört, das verwandelt auch wie ein Bliz sein Inneres — zwei Worte
und er ist zum Tode entschloßen, entschloßen in die Erde hinabzusteigen, die ihn kaum noch so schwebend trug.
Den nächsten Auftritt find ich sehr gut, auch nicht etwa das Ganze unterbrechend. Hier ist eine Spur vom Ton des Hamlet — der könte so geendet haben, wenn er Gift zu kaufen nöthig gehabt hätte.
Laß Romeos lezte Szene für sich selbst reden — merke nur an, wie verschieden die Todtenfeier des treuen Bräutigams von der des Geliebten ist, wie gelaßen er seine Blumen streut. Und dann, daß Romeos Edelmuth auch hier hervorbricht, wie ein Stral aus düstern Wolken, da er über dem in Unglück verbrüderten die letzten Segensworte spricht. Ich kann deswegen auch nicht fragen, war es nöthig, daß diese gute Seele hingeopfert wurde, und Romeo noch einen Menschen umbringt? Paris ist eine durchaus nothwendige Person im Stück — und eine solche, denen im Leben und Sterben wohl ist. — Von einer gewißen Oeconomie (vortreflicher) neuerer Stücke — Lessings Stücke sind so eingerichtet — wo alles
überflüßig scheinende erspaart wird, und auch oft Personen nur erwähnt, nicht dargestellt werden, wo jedes so genau berechnet ist, daß kein Wort wegfallen darf, ohne Nachtheil des Ganzen, wußte Sha. freylich nichts. Er war so freygebig wie die Natur, der man zuweilen auch müßige Rollen und unnöthige Begebenheiten vorwerfen möchte. — Es ist viel, daß er Rosalinden nicht erscheinen läßt, da es ihm auf einen mehr oder weniger gar nicht ankomt. — Vielleicht könte Rosalinde ganz wegfallen, ohne Schaden des Stücks. Und doch pflegt man, je tiefer man in den Gang eines Shak. Stücks eindringt, desto mehr Harmonie und Nothwendigkeit, so daß man sich zuletzt nichts nehmen lassen mag, zu entdecken {Cimbelyne wird diese Freude schwerlich gewähren; es ist wenig Zusammenhang darinn, nur die Ausführung einzelner Sachen schmelzend schön).
Die Geschichte, die Fabel ist nicht sein eigen, heißt es oft. Der Geist ists immer. Der rohe Plan, und der Geist, wie ich hier immer den feinen Plan nennen will, sind sehr verschieden. So wie Hamlet jetzt ist, ist er Sh. eigenste Schöpfung (wie wir längst wißen). Ich bilde mir ein, es ist eher vortheilhaft für das Genie, nicht stets zugleich zu erfinden und auszuführen. Sollte nicht eben die Fremdheit des rohen Stoffs zu Schönheiten Anlaß geben, indem das weniger Zusammenhängende in dem, was der Dichter vorfindet, durch die Behandlung erst wahre Einheit gewinnt? und diese, wo sie sich mit scheinbaren Wiedersprüchen zusammen findet, bringt den wundervollen Geist hervor, dem wir immer neue Geheimniße ablocken, und nicht müde werden, ihn zu ergründen. (Wenn Ihr Euch nur versteht, ich begreif es recht gut). Ich entsinne mich nicht der Legende von Hamlet, aber vermuthlich war das Ende wie im Trauerspiel, daß der Zufall die Rache übernimmt mehr wie Hamlet. Und wem sind wir dann den Hamlet schuldig? — Im Romeo fand Sh. weit mehr Stoff vor, und ist ihm sehr treu gefolgt, aber wie ist er sein eigen geworden. Die Charaktere helfen der Geschichte nach und bringen die lebendigste Wahrscheinlichkeit hinein. — Die Heftigkeit des Vaters, das Gemeine im Betragen beyder Eltern ist sehr anstößig, allein es rettet Julien von dem Kampf zwischen Leidenschaft und kindlicher Liebe, und von allem Tadel. Jener wäre hier gar nicht an seiner Stelle gewesen (wie er es allerdings in dem moralischen Liebeshandel der nouvelle Heloise war). — Dieser bleibt nun lediglich Johnsons Strenge überlaßen (denk an die Note). Das muß ich sagen, alle Schimpfwörter des Vaters sind mir nicht so anstößig als der Mutter Wort: I would thefool were married to her grave. Sowas übersezt ich nun so gern weg. Ist es nur ein pöbelhaft gedankenloser Ausdruck — warum sollte mans nicht thun dürfen? Selten wird sich solch eine Gelegenheit zur Untreue finden. In Margarethens Munde (King Richard III.) will ich keinen Fluch unterdrücken, und auch Lady Macbeth mag sagen: ich weiß, wie süß es ist, ein Kind an eigner Brust zu tränken etc., statt — ich habe keine Kinder etc. Aber Mislaute wie jener, wo sonst alles so harmonisch ist, thun weh.
Den Merkutio und die Amme, die man auch ihrer eignen schwatzhaften Zunge überlassen kann, magst Du allein behalten.
Und ob Romeo und Julie ein Trauerspiel ist mögt Ihr beyden ausmachen.

Dienstag 19ten,

Heute muß ich etwas von Dir hören. Mein guter Freund, wie läßt mich die Hofnung des Tages Last so leicht ertragen.
...Gestern bin ich wieder mit 40 bis 50 Menschen zusammen gewesen, ohne deß froh zu werden. Nun hat der
[Schluß fehlt.]
                      
Hardenberg* (*Friedrich von Hardenberg (1772-1801); Dichtername NOVALIS
an Caroline, Freiberg, den Sonntag früh [Juni oder Juli 1798].

Weder kommen, noch schicke?! hab ich können. Wer aber auch eine Natur und Welt zu bauen hat, kann wahrhaftig nicht abkommen. Auf meiner Entdeckungsreise oder Jagd bin ich, seitdem ich Sie nicht sah, auf sehr vielversprechende Küsten gestoßen, die vielleicht ein neues wissenschaftliches Continent begrenzen. Von neuen Inseln wimmelt's in diesem Meere.
Der Brief über die Antiken wird umgeschmolzen. Sie erhalten statt dessen ein romantisches Fragment — der Antikenbesuch — nebst einer archäologischen Beylage. Ich hoffe beinah mit Zuversicht auf Ihr Interesse. Mir scheint Armuth an Neuheiten wenigstens kein Fehler dieser Arbeit zu werden.
Meine Symphysik mit Friedrich betrifft meine neueste Masse allgemeiner philosophisch physiologischer Experimente vorzüglich. An die Form kann ich unter diesen Umständen noch nicht denken. Schreiben Sie ihm das. Seine Papiere soll er ehestens erhalten; wann die meinigen — verbessert, vermehrt und geordnet — das weiß ich noch nicht bestimmt zu sagen. An meinem Fleiße soll das Spät nicht liegen — eher an der Unkultur des Gegenstandes und seiner unermeßlichen Mannigfaltigkeit, die zwar um deswillen auch höchst einfach ist, aber so schwer als solche gefaßt, gehalten und nachgebildet wird. Je tiefer ich in die Untiefe von Schellings Weltseele eindringe, desto interessanter wird mir sein Kopf, der das Höchste ahndet und dem nur die reine Wiedergebungsgabe fehlt, die Göthe zum merkwürdigsten Physiker unserer Zeit macht. Schelling faßt gut-er hält schon um vieles schlechter und nachzubilden versteht er am wenigsten.
Schreiben Sie mir nur, wie lange Sie noch in Dresden bleiben, daß ich mich mit meiner Reise darnach richte. Wann ich Ihnen etwas schicke, weiß ich ebenfalls noch nicht genau. Empfehlen Sie mich Funk, den Sie gewiß sehen werden.
Ihr Mann könnte mir eine Gefälligkeit erzeigen, wenn er beiliegende Rechnung für mich bezahlen und sich quittiren lassen wollte. Ich werde mündlich es ihm danken und die Auslagen wieder erstatten.
Empfehlen Sie mich der vortrefflichen Ernsten und William herzlich. Erzählen Sie mir von allem und von dem was Sie machen — vorzüglich. Die Madonna erhalte Sie gesund und beschütze unsre Freundschaft.
Hardenberg.

An Friedrich Schlegel* (* Nach der Rückkehr aus Dresden)
Jena d. 14[-15.] Ort. [17]98.

Ich kann Ihnen heut allerley sagen, was Sie gern wissen wollen. Wilhelm blieb in Weimar zurück um Göthen zu sprechen, und der ist sehr wohl zu sprechen gewesen, in der besten Laune über das Athenäum, und ganz in der gehörigen über Ihren Wilhelm Meister, denn er hat nicht blos den Ernst, er hat auch die belobte Ironie darin gefaßt und ist doch sehr damit zufrieden und sieht der Fortsetzung freundhchst entgegen. Erst hat er gesagt, es wäre recht gut, recht charmant, und nach dieser bei ihm gebräuchlichen Art vom Wetter zu reden, hat er auch warm die Weise gebilligt, wie Sie es behandelt, daß Sie immer auf den Bau des Ganzen gegangen und sich nicht bey pathologischer Zergliederung der einzelnen Charaktere aufgehalten, dann hat er gezeigt, daß er es tüchtig gelesen, indem er viele Ausdrücke wiederholt und besonders eben die ironischen. Sie haben alle Ursache Ihr Werk zu vollenden von dieser Seite, und so thun Sie es denn doch recht bald. Er hat Wilhelm mit Grüßen für Sie beladen, und läßt vielmals um Entschuldigung bitten, wegen des Nichtschreibens, eine Sache, die wirklich aus der Geschäftigkeit des letzten Vierteljahrs, wovon nachher ein Mehreres, zu erklären ist. An W. hat er den ganzen Brief schon fertig diktiert und doch nicht abgeschickt. Auch von der griechischen Poesie hat er gesprochen; bey manchen Stellen hätte er eine mündliche Unterredung und Erläuterung dazu gewünscht, um etwa ein längeres und breiteres Licht zu erhalten. Gelesen hat er auch redlich; das kann man ihm nicht anders nachrühmen. Die Fragmente haben ihn ungemein interressirt; ihr hättet euch in Kriegsstand gesezt, aber er hat keine einzige Einwendung dagegen gemacht; nur gemeint, es wäre eine allzu starke Ausgabe [Zusatz W. Schlegels: die Verschwendung wäre doch zu groß, war der pivot seines allgemeinen Urtheils], und es hätte sollen getheilt werden. Wilhelm hat ihm geantwortet, in Einem Strich ließe sichs freylich nicht lesen; da hat er so etwas gemurmelt, als das hätte er denn doch nicht lassen können, es wäre denn doch so anziehend — In Weimar ist das Athenäum sehr viel gelesen. Ein gewisser Friedrich von Oertel hat sich Jean Pauls gegen Sie angenommen, es steht im Merkur [W. Schi.: im Octoberstück], noch sahn wir es nicht. Böttiger hat Wilhelm davon gesagt, er hätte es nicht wollen einrücken, aber Wieland hätte gesagt, weil es bescheiden geschrieben wäre, hätten sie keine Ursach es zu versagen. Von Carl Nicolais Unfug wußten wir noch nichts, können aber das, und auch was Hirt schreibt, hier bekommen, und Wilhelm hoft, der Haufen soll bald recht hoch werden. Tieks Zettel wird besorgt; hat er sich nicht zu weitläufig heraus gelassen?
In Dessau sprachen wir einen jungen Mann, der eben aus Wien kam und da einen Brief von Böttiger an Hammer (der sich im Merkur zuweilen vernehmen läßt) gesehn, woraus er sich der Worte erinnerte: »die beiden Götterbuben, wie Wieland sie nennt« — das Übrige war irgend eine Notiz gewesen, was ihr gethan oder wo ihr euch aufhieltet, die er vergessen hatte. Es kommt nur darauf an, ob er mehr Akzent auf das Göttliche oder Bübische gelegt.
Nun von Göthens Geschäftigkeit. Er hat das weimarische Comödienhaus inwendig durchaus umgeschaffen, und in ein freundliches glänzendes Feenschlößchen verwandelt. Es hat mir erstaunlich wohl gefallen. Ein Architekt und  Dekorateur aus Studtgart ist dazu her berufen und innerhalb 13 Wochen sind Säulen, Gallerien, Balcone,  Vorhang  verfertigt  und  was  nicht  alles geschmückt, gemahlt, verguldet, aber in der That mit Geschmack. Die Beleuchtung ist äußerst hübsch, vermittelst eines weiten Kranzes von englischen Lampen, der in einer kleinen Kuppel schwebt, durch welche zugleich der Dunst des Hauses hinaus zieht. Göthe ist wie ein Kind so eifrig dabey gewesen, den ganzen Tag vor der Eröfnung des Theaters war es von früh bis spät Abends da, hat da gesessen und getrunken und eigenhändig mit gearbeitet. Er hat sich die gröbsten Billets und Belangungen über einige veränderte Einrichtungen und Erhöhung der Preise gefallen lassen und es eben alles mit freudigem Gemüth hingenommen, um die Sache, welche von der Theater-casse bestritten ward, zu stand zu bringen. Nun kam die Anlernung der Schauspieler dazu, um das Vorspiel ordentlich  zu geben, worinn  ihnen  alles  fremd und unerhört war. Es stellt Wallensteins Lager dar, wie Sie wissen, und ist in Reimen in Hans Sachsens Manier, voller Leben, Wirkung, Geist der Zeit und guter Einfälle. Schiller hat  doch in  Jahren  zu Stande gebracht, was Göthe vielleicht (die Studien abgerechnet) in einem Nachmittag hätte geschrieben, und das will immer viel sagen. Er hat sich (dies komt von Wilhelm) dem Teufel ergeben, um den Realisten zu machen und sich die Sentimentalität vom Leibe zu halten. Aber genug, es ist gut, er hat alle Ehre und die andern viel Plaisir davon. Göthens Mühe war auch nicht verloren; die Gesellschaft hat exzellent gespielt, es war das vollkommenste Ensemble und keine Unordnung in dem Getümmel. Für das Auge nahm es sich  ebenfals  treflich  aus.  Die  Kostüme, können  Sie denken,  waren sorgfältig zusammen getragen, und contrastirten  wieder  unter  einander  sehr artig. Zum Prolog war eine neue, sehr schöne Dekoration. — Bey der Umwandlung des Hauses war Schillers Käfig weggefallen, so daß er sich auf dem offnen Balkon präsentieren mußte, anfangs neben Göthe, dann neben der herzoglichen Loge. Wir waren im Parket, das denselben Preis mit dem Balkon hat, wo wir auch hätten hingehn können, aber lieber die bekannten Stellen wählten. — Die Korsen von Kotzebue gingen vorher. Bey dem Vorspiel hat man mehr gelacht und applaudirt. Der Schauspieler bringt überhaupt eine ganz andre, lebhaftere, materiellere Begeisterung hervor als der Dichter, aber hier konnte doch auch die im Allgemeinen geringe Liebe für diesen und selbst seine Gegenwart mitwürken, abgerechnet, daß man das Ding fremd finden mußte, und obendrein auch soll zu lang gefunden haben.
Piccolomini wird wohl im Dezember, ebenso, gleichsam auf die Probe gespielt werden, wo man sich mit unsem Schauspielern behilft. Göthe meint, der alte Piccolomini (denn Vater und Sohn sind darin), das würde eine Rolle für Iffland seyn. Auf Schröder rechnet man schon. — Göthe ist heute wiederum hier angelangt, um nun weiter den vergangnen Effeckt des Vorspieles und den zukünftigen des Piccolomini zu überlegen. Desto besser für uns. — Schelling fuhr an Schlegels Stelle in der Nacht mit mir zurück. Gustel war nicht mit, wir hatten Parthie mit Gries und Mayer gemacht. Es kam gar zu hoch, das Billet 1 Thlr. Doch wird sies schon noch sehn, ich habe ihr alles erzählt. Fichte hatte mir nach der Comödie 4 Gläser Champagner aufgenöthigt, das muß ich nicht vergessen zu melden.
Schelling wird sich von nun an einmauren, wie er sagt, aber gewiß nicht aushält. Er ist eher ein Mensch um Mauern zu durchbrechen. Glauben Sie, Freund, er ist als Mensch interessanter, als Sie zugeben, eine rechte Urnatur, als Mineralie betrachtet, ächter Granit.
Tiek muß sich nun eben so wenig über Göthens Schweigen skandalisieren als Sie, denn er bittet auch ihn um Nachsicht. Und ich will Ihnen auch sein Urtheil über den lsten Theil von Sternbald wiedergeben; Sie überantworten es Tiek. Man könnte es so eigentlich eher musikalische Wanderungen nennen, wegen der vielen musikalischen Empfindungen und Anregungen (die Worte sind übrigens von mir), es wäre alles darinn, außer der Mahler. Sollte es ein Künstlerroman sein, so müßte doch noch ganz viel anders von der Kunst darin stehn, er vermißte da den rechten Gehalt, und das Künstlerische käme als eine falsche Tendenz heraus. Gelesen hat er es aber, und zweymal, und lobt es dann auch wieder sehr. Es wären viel hübsche Sonnenaufgänge darinn, hat er gesagt [W. Schlegel: an denen man sähe, daß sich das Auge des Dichters wirklich recht eigentlich an den Farben gelabt, nur kämen sie zu oft wieder].
Wollen Sie nun mein Urtheil über den zweyten? Vom ersten nur so viel, ich bin immer noch zweifelhaft, ob die Kunstliebe nicht absichtlich als eine falsche Tendenz im Stembald hat sollen dargestellt werden und schlecht ablaufen wie bei Wilhelm Meister, aber dann möchte offenbar ein andrer Mangel eintreten — es möchte dann vom Menschlichen zu wenig darinn seyn. Der zweyte Theil hat mir noch kein Licht gegeben. Wie ist es möglich, daß Sie ihn dem ersten vorziehn und überhaupt so vorzüglich behandeln? Es ist die nemliche Unbestimmtheit, es fehlt an durchgreifender Kraft — man hoft immer auf etwas entscheidendes, irgendwo den Franz beträchtlich vorrücken zu sehn. Thut er das? Viele liebliche Sonnenaufgänge und Frühlinge sind wieder da; Tag und Nacht wechseln fleißig, Sonne, Mond und Sterne ziehn auf, die Vöglein singen; es ist das alles sehr artig, aber doch leer, und ein kleinlicher Wechsel von Stimmungen und Gefühlen im Sternbald, kleinlich dargestellt. Der Verse sind nun fast zu viel, und fahren so lose in und aus einander, wie die angeknüpften Geschichten und Begebenheiten, in denen gar viel leise Spuren von mancherley Nachbildungen sind. Solt ich zu streng seyn, oder vielmehr Unrecht haben? Wilhelm will es mir jetzt vorlesen, ich will sehn, wie wir gemeinschaftlich urtheilen.

d. 15 Oct.

Fast habe ich so wenig Kunstsinn wie Tieks liebe Amalie, denn ich bin gestern bey der Lektür eingeschlafen. Doch das will nichts sagen. Aber freylich wir kommen wachend in Obigen überein. Es reißt nicht fort, es hält nicht fest, so wohl manches Einzelne gefällt, wie die Art des Florestan bei dem Wettgesang dem Wilhelm gefallen hat. Bey den muntern Szenen hält man sich am liebsten auf, aber wer kann sich eben dabey enthalten zu denken, da ist der Wilhelm Meister und zu viel W. M. Sonst guckt der alte Trübsinn hervor. Eine Fantasie, die immer mit den Flügeln schlägt und flattert und keinen rechten Schwung nimt. Mir thut es recht leid, daß es mir nicht anders erscheinen will. Was Göthe geurtheilt hat, theilen Sie ihm doch unverholen mit.
Meyer war diesen Morgen hier. Er tritt auch mit Entschuldigungen auf, habe Ihre Adresse nicht gewußt, aber sehr dankbar ist er und hat Sie studirt. Ganz von selbst fing er von Wilhelms Kunstfragmenten an, die ihm eine sehr große Freude gemacht hätten, in denen gar sehr viel läge, und kurz, er war von ganzer Seele damit zufrieden. Was wird er nun zu den Gemälden sagen?
Fernow in Rom hat eine starke Abhandlung gegen Hirts Laokoon geschrieben. Sie ist noch nicht gedruckt.
Im Allg. Liter. Anzeiger soll ein grober Ausfall gegen Sie, auch in Sachen Jean Pauls, seyn. Närrisch, daß man dabey doch gleich auf Sie gerathen. Auch Oertel nennt Sie, der ein paar fade Seiten voll geschrieben, die sich auf das nemliche Misverständniß Ihrer ironischen Behandlung der Göthischen Leerheit gründen, das Jean Paul irre geführt, der künftig in Weimar wohnen wird. Mich soll wundern, wie er sich gegen uns nimmt.
Hardenberg ist nicht hergekommen. — Charlottens Kind bessert sich. — Schleusner ist todt.
... Zum Schluße dieses frage ich Sie auf Ehre und Gewissen, ob das Projekt mit Henrietten die ganze Bescherung gewesen, um welche Sie die Schatten — den bewußten Geist und Liebe — beschworen haben. Dazu brauchte nichts aus den Tiefen heraufgeholt zu werden.
Ganz von der Oberfläche habe ich es weggenommen, daß ich von keiner Seite das mindeste gegen diesen Plan habe, und ihn vollkommen ausführbar finde, wenn Sie sonst glauben, daß sich unsre sämmtlichen Wesenheiten in einander fügen, wie Sie denn davon überzeugt scheinen. Irdische Rücksichten werden mich nicht zurückhalten. Henriette kann mit uns leben, ohne daß es uns so viel mehr kostet, daß davon die Rede seyn könnte. Sie steht ihre besonderen Ausgaben selbst, wie sie wahrscheinlich jezt auch thut, und ist übrigens, als wenn ich eine Schwester bey mir hätte. — Eine geistigere irdische Rücksicht, die unschuldige Neigung betreffend, die zwischen Wilhelm und ihr statt findet, lastet mir auch nicht auf der Seele. Und so macht mir die Idee recht viel Freude, und könnte, dächte ich, wenn Henrietten nichts genirt, recht leicht auf den Sommer,wo wir nach Berlin kommen und Henrietten mitnähmen, ins Werk gerichtet werden. Ich spreche blos von mir, denn Wilhelm hat mir es ganz überlassen.
Vertrauen Sie mir aber nun auch die übrigen Projekte für Ihre Angehörigen. Ist nichts für mich mit dabey? Es muß aber allen so leicht seyn.
Adieu, Friedrich.
Sagen Sie Unger, die Druckfehler-Verzeichnisse fehlten bei den Shakespear Exemplarien, auch die Compositionen zu Was Ihr wollt von Reichardt. Wie es damit stünde?
Wird Woltmann Sie nicht bei der Unzelmann ausstechen, verläumden, aus dem Sattel werfen? Kann sie ihn leiden? Wie thut er gegen Sie? Ich dächte sehr, ihr versöhntet euch ordentlich zusammen, und da ich nächstens der Unzelmann schreiben muß, und nichts zu schreiben weiß, werde ich ihr meine Aufträge dazu geben.
Ist Schleiermacher glücklich, tout äfaitl daß er auch — die Füße küßen darf?

Friedrich Schlegel an Caroline, Berlin den 20ten Oct. [17]98.

Der Brief über den Shakespear kömmt auch dießmal noch nicht mit! Es soll mir heb seyn, wenn Wilhelm schon so weit mit der Professur im Reinen ist, daß er ungeduldig darüber wird. — Dies verdammte Grübeln! — Nun, die UnVerständlichkeit und Selbständigkeit soll dafür auch fertig werden wie ein Donnerwetter. —
Den Allmanach erwarten wir sehnsuchtsvoll. Marianne hat mir von vielem vieles gesagt, was meine Begierde noch höher spannt. Aber auch auf Nachrichten von dem alten Herrn bin ich begierig, auf trostreiche Worte und gute Lehre. Denn ich muß Ihnen nur sagen, ich habe ganz neuen und frischen Muth, meinen Versuch über Meister fortzusetzen, oder vielmehr zu endigen, gleich in einem Stück. — Hier betrachtet man mich als advocatum Diaboli. Ueberhaupt ist das Geschrey groß über uns, und unsre Frechheit. — Verschiedene sind der Herz (die Leute kennen also doch ihre Quellen) verschiedenemal zu Leibe und Seele gegangen, man wisse für gewiß, daß im nächsten Stück ein schrecklicher Angriff auf Garve erscheinen werde.
In der elenden Broschüre, so in Leipzig erschienen ist, gehts ganz aufs Athenäum los, aber doch vorzüglich auf mich, auch noch auf die Fragmente im Lyceum. Kästner soll hieher geschrieben haben, wir hätten die xenialische Tendenz, die illiberale Humanität classisch zu machen. —
Hören Sie, Sie wissen, ich wollte auch etwas Allgemeines über die Griechen fürs Athenäum schreiben. Es sollte ein Gespräch werden. Aber ich habe mir nun überlegt, daß es besser ist, diese Form Wilhelmen zu überlassen. Es wird mir leichter und anzüglicher seyn, wenn ichs in einem Frauenbrief an Sie thun darf. Ich kann leicht von Ihren Mysticismen Anfang, Anlaß und Anstoß nehmen. Noch schöner ists aber, wenn Sie nebst der Einwilligung auch noch sich sacrificiren und die kritischen Griechen und die abgebrochne Poesie noch einmal lesen wollen und schreiben, wie es der Kritik auf Ihrem ganz menschlichen Richterstuhle bedünken will. Denn das ist ja eben der Punkt, worauf es ankommt. Wichtiger ist es aber doch, daß Sie mir melden, ob Sie Caroline, oder wie Sie sonst heißen wollen. —

Fr. Schlegel an Caroline und A. W. Schlegel, [Berlin, 12.? Februar 1799].

Ich nutze geschwind noch die paar Augenblicke, Ihnen auf Ihre reiche Gabe eine briefliche Kleinigkeit zu erwiedern.
Der Fichte ist gut und tüchtig und so grüßen Sie ihn auch von mir. Mich hat er mehr an meine Endlichkeit gemahnt und die Zeitlichkeiten, die mich  von ihm     trennen.
Schleiermacher meynt, man sollte vom Churfürsten zu Sachsen eine zu Recht beständige Definition von Gott und dessen Daseyn verlangen. —
Der  Bote  eilt,  die  Feder  weilt,  die  Seele  keilt — Aber das ist doch gut und schön KaXovKayaöov von Dir, daß du As you like it übersetzest aus eigner göttlicher Willkühr.  Nun fehlt also nur noch der einzige Love's labour lost zu denen vier, die ich classisch halte und groß unter den romantischen. Das vierte ist Hamlet, Romeo versteht sich von selbst. — Much to do setze ich auch unter die kleinen Götter, immer noch höher als den Merchant; und doch sind beydes Götter, wenn schon kleine. Hab' ich nicht Recht, die Lucinde nicht unter ihrem Preis weggeben zu wollen? —
Jette ist jezt ganz bezaubert von und bey Itzigs. (— Wilhelm erinnert sich vielleicht noch ein Souper bey einer Levi — das ist noch die beste von dem langweiligen Volk     — wo er neben einer heimlich geschnürten jüdischen Generalin saß) — Sie ist etwas gidry geworden, da sie in dem geistlosen Cirkel natürlich sehr glänzt; es ist wie eine, die sehr lange nicht gewalzt hat. Uebrigens nehmen Sie     Ihre Herzlosigkeit nur nicht so schwer. Man kann ja auch ein Herz bekommen. Sie hat nur das auch nicht, weil [sie] niemals nichts hat und fest hält.

An Hardenberg, [Jena] 4 Febr. 1799.

Ob Sie mich gleich mit Ihren Dithyramben über das mercantilische Genie, das uns fehlt und Sie auch nicht haben, einmal recht böse gemacht, so sind Sie doch besser wie ich gewesen. Sie geben wenigstens Nachricht von sich. Ich aber habe mich in Absicht der nöthigen Mittheilungen ganz auf Ihre Weihnachtsunterhaltung mit der Ernst verlassen und mehr an Sie gedacht als geschrieben. Endlich kommt beides zusammen.
Was Sie von Ihrer Kränklichkeit erwähnen, darüber will ich mich nicht ängstigen, weil immer viel guter Muth dadurch hervorleuchtet, und Sie bei Ihrer Reizbarkeit immer Zeiten haben müssen, wo Sie nichts taugen. Das Wort des Trostes, was Sie nennen, geht mir weit mehr zu Herzen: Liebe. Welche? Wo? Im Himmel oder auf Erden? Und was haben Sie mir mündlich Schönes und Neues zu sagen? Thun Sie es immer nur gleich, wenn es nichts sehr Weitläufiges und etwas Bestimmtes ist. Es giebt keine Liebe, von der Sie da nicht sprechen könnten, wo, wie Sie wissen, lauter Liebe für Sie wohnt. In der That — darf ich alle Bedeutung in den Schluß Ihres Briefes legen, den er zu haben scheint? Ich will ruhig schweigen, bis Sie mirs sagen.
Ihre übrige innerliche Geschäftigkeit aber macht mir den Kopf über alle Maßen warm. Sie glauben nicht, wie wenig ich von eurem Wesen begreife, wie wenig ich eigentlich verstehe, was Sie treiben. Ich weiß im Grunde doch von nichts etwas als von der sittlichen Menschheit und der poetischen Kunst. Lesen thu ich alles gern, was Sie von Zeit zu Zeit melden, und ich verzweifle nicht daran, daß der Augenblick kommt, wo sich das Einzelne auch für mich wird zusammen reihen, und mich Ihre Äußerungen nicht blos darum, weil es die Ihrigen sind, erfreuen. Was ihr alle zusammen da schaffet, ist mir auch ein rechter Zauberkessel. Vertrauen Sie mir vors Erste nur so viel an, ob es denn eigentlich auf ein gedrucktes Werk bey Ihnen herauskommen wird, oder ob die Natur, die Sie so herrlich und künstlich und einfach auch construieren, mit Ihrer eignen herrlichen und kunstvollen Natur für diese Erde soll zu Grunde gehn. Sehn Sie, man weiß sich das nicht ausdrücklich zu erkären aus Ihren Reden, wenn Sie ein Werk unternehmen, ob es soll ein Buch werden, und wenn Sie heben, ob es die Harmonie der Welten oder eine Harmonika ist.
Was kann ich Ihnen von Ritter melden? Er wohnt in Belvedere und schickt viel Frösche herüber, von welchen dort Überfluß und hier Mangel ist. Zuweilen begleitet er sie selbst, allein ich sah ihn noch nie, und die andern versichern mir, er würde auch nicht drei Worte mit mir reden können und mögen. Er hat nur einen Sinn, so viel ich merke. Der soll eminent seyn, aber der höchste, den man für seine Wissenschaft haben kann, ist es doch wohl nicht — der höchste besteht aus vielen. Schelling sagt, Sie sollen Rittern nur schreiben, wenn Sie ihm etwas zu sagen haben. Es thäte nichts, daß Ritter selbst gar nicht schreiben könnte. Aufs Frühjahr werden Sie ihn ja sehn.
Was Schelling betrifft, so hat es nie eine sprödere Hülle gegeben. Aber ungeachtet ich nicht sechs Minuten mit ihm zusammen bin ohne Zank, ist er doch weit und breit das Interressanteste was ich kenne, und ich wollte, wir sähen ihn öfter und vertraulicher. Dann würde sich auch der Zank geben. Er ist beständig auf der Wache gegen mich und die Ironie in der Schlegelschen Familie; weil es ihm an aller Fröhlichkeit mangelt, gewinnt er ihr auch so leicht die fröhliche Seite nicht ab. Sein angestrengtes Arbeiten verhindert ihn oft auszugehn; dazu wohnt er bei Niethammers und ist von Schwaben besetzt, mit denen er sich wenigstens behaglich fühlt. Kann er nicht nur so unbedeutend schwatzen oder sich wissenschaftlich mittheilen, so ist er in einer Art von Spannung, die ich noch  nicht  das  Geheimnis  gefunden  habe zu lösen.
Neulich haben wir seinen vierundzwanzigsten Geburtstag gefeiert. Er hat noch Zeit milder zu werden. Dann wird er auch die ungemeßne Wuth gegen solche, die er für seine Feinde hält, ablegen. Gegen alles, was Hufeland heißt, ist er sehr aufgebracht. Einmal erklärte er mir, daß er in Hufelands Gesellschaft nicht bei uns seyn könnte. Da ihn Hufeland selbst bat, ging er aber doch hin. Ich habe ihm mit Willen diese Inconsequenz nicht vorgerückt. Er hat so unbändig viel Charakter, daß man ihn nicht an seinen Charakter zu mahnen braucht. Der Norwege Steffens, den ich Ihnen schon angekündigt habe, hat hier in der Gesellschaft weit mehr Glück gemacht. Das scheint ihn auch so zu fesseln, daß es die Frage ist, ob er noch nach Freiberg kommt. Er würde Ihnen angenehm gewesen seyn. Er ist es uns auch, aber ganz kann ich ihn nicht beurtheilen, denn ich weiß nicht, wie weit er da hinausreicht, wo ich nicht hinreiche, und die Philosophie ist es doch, die ihn erst ergänzen muß.
In Fichten ist mir alles klar, auch alles was von ihm kommt. Ich habe Charlotten aufgetragen, Ihnen seine Appellation zu schicken; er läßt Sie daneben grüßen. Schreiben Sie mir etwas darüber, das ich ihm wieder bestellen kann. Was sagen Sie zu diesem Handel? was zu Reinharden? und wie ihn Fichte zwischen Spalding und Jacobi stellt. — Ein wenig zu viel Accent hat Fichte auf das Märtyrerthum gelegt. Das Übrige ist alles hell und hinreißend. Ich bin andächtig gewesen, da ich es las, und überirdisch. In Dresden wird die Schrift noch nicht zu haben seyn. Ich beredete Fichte, sie Ihrem Vater zu schicken, und glaube, daß ers getan hat.
Nach dem Atheismus ist hier das neuste Evenement die Aufführung des ersten Theils von Wallenstein, die Piccolomini, in Weimar. Wir haben sie gesehen und es ist alles so vortrefflich und so mangelhaft, wie ich mir vorstellte. Die Wirkung des Ganzen leidet sehr durch die Ausdehnung des Stoffes in zwei Schauspiele. Aber das Dramatische interreßirt Sie nicht — ich will mir die paar Augenblicke, die uns bleiben, hiermit nicht rauben. Göthe bringt den Februar hier zu. Die Elegie ist noch nicht vollendet, das Athenäum erst zur Hälfte gedruckt.
Von Friedrich nichts, bis ich die Veit und Lucinde gesehen. Wir gehen in der Woche vor Ostern nach Berlin, wo jene den Sommer über bleiben werden. Lieber Hardenberg, gehn Sie mit uns! Wir können Sie ja in Naumburg treffen. Es wäre gar zu hübsch. Denken Sie mit Ernst daran. Wir sind fleißig und sehr glücklich. Seit Anfang des Jahrs komme ich wenig von Wilhelms Zimmer. Ich übersetze das zweite Stück Shakespear, Jamben, Prosa, mitunter Reime sogar. Adieu, ich muß dies wegschicken.
Auguste Böhmer an Cäcilie Gotter, Jena den 18 Februar 1799.

... Du wirst Dich erinnern, daß voriges Jahr zu Loder seinen Geburtstag eine Kinderkomödie aufgeführt wurde. Dieses mal wird wieder gespielt, aber eine ordentliche von großen Personen, und die Mutter und ich spielen auch mit. Die Stücke, die gespielt werden, sind die Heurath durch ein Wochenhlat und der Schwarze Mann. Das erste Stück ist recht drollig... unter andern macht die Mutter die Rolle einer Schneidersfrau, die sich für eine Gnädige Frau ausgiebt und einen Schneiders Purschen als ihren Jockey verkleidet, daß ist nun ganz zum todtlachen... den verkleideten Schneiders Purschen werde ich die Ehre haben vorzustellen, und die Mutter läßt mir deswegen eine ordentliche Jungenstracht machen...
Du wirst wohl schon wissen, daß neulich in Weimar Piccolomini, der erste Theil von Schillers Wallenstein, aufgeführt ist. Wir fuhren hinüber. Das Stück ist äußerst intereßant...

An Hardenberg, [Jena] 20 Febr. 1799.

So ist es denn wahr, mein liebster Freund? Sie haben uns recht glücklich und froh gemacht! Ihren Freunden blieb bisher kein ander Mittel übrig, als nur an Sie allein, nicht an Ihre Zukunft zu denken, und Sie hatten uns auch oft alle Sorge verboten. Ich nahm das selbst so an — gegen die, die uns lieb sind, wird man so leicht gelehrig und gehorsam. Nie habe ich Sie gefragt, wie wird sich der Knoten lösen? kann das so bleiben? Kaum habe ich mich selbst gefragt. Ich war ruhig im Glauben — denn ich habe doch am Ende mehr Glauben als ihr alle — nicht daß es grade so kommen würde, aber daß sich an irgend einer Brust die Spannung brechen müßte, und das Himmlische mit dem Irdischen vermählen. Was Sie Scheidung zwischen beiden nennen, ist doch Verschmelzung. Warum soll es nicht? Ist das Irdische nicht auch wahrhaft himmlisch? Nennen Sie es aber wie Sie wollen, genug Sie sind glücklich. Ihr Brief ist eigentlich voll Wonne und wie auf Flügeln zu mir gekommen.
Ich freue mich jetzt — wie Sie sich freuen werden — daran zu denken, wie dies so sich machen mußte. Nur in dieser fast öden Einsamkeit, durch das Band der süßen Gewohnheit konnten Sie allmälig gewonnen werden. Wie weise und artig setzten Sie uns einmal auseinander, daß dies alles keine Gefahr habe, Gefahr nicht, aber Folgen doch. Soll das Liebenswürdige umsonst seyn? Wie doppelt leid thut es mir, Julien nicht gesehn zu haben. Es war meine Schuld nicht, die Ihrige auch wohl nicht. — Sehn Sie, liebster Hardenberg, das könnte mich doch traurig machen, wenn Sie nicht unser blieben, wenn Ihre Frau nicht unsre Freundin durch sich selber würde, aus eigner Neigung. Kommen Sie nur, wir schwatzen mehr darüber. Es ist fast wahrscheinlich, daß Sie um Ostern uns hier finden und wir erst um Pfingsten reisen.
Charlotten haben Sie gewiß aufs Leben verboten uns nichts zu sagen, denn ich errathe nun, sie hat es um Weihnachten erfahren,  aber  geschwiegen über alle Maßen. Sie schreibt mir eben, daß sie Charpentier und Sie zusammen hofft bei sich zu sehn. Ein Glück, das sie nicht gern schreibt; gesagt hätte sie mirs doch. Friedrich verräth auch eine Ahndung — ich habe ihm Gewißheit gegeben. Sehr möglich, daß ein Dach uns alle noch in diesem Jahr versammelt. Friedrich bleibt den Sommer in Berlin, was mir lieb ist. Im Winter wünscht er herzukommen. Sie leben in Weißenfels. Sie könnten auch wohl einmal eine Zeitlang hier leben. — Mit Ihrem Vater ist wohl alles überlegt und es stehn Ihnen keine Schwierigkeiten im Wege? Er wird nur froh seyn, Sie froh zu wissen. Muß sich Thielemann nicht unendlich freuen! Ihren andern Schwager abandonniren wir Fichten.
Es ist kein Zweifel, wenn Fichte sich ganz von Reinhards Mitwirkung überzeugen könnte, so würde er ihn zum zweiten Göze machen. Er wills noch nicht glauben, oder vielmehr er wünscht Thatsachen, um den Glauben in der Hand zu haben. Mit der letzten Post hat er Reinhard selbst geschrieben, ihm seine Schrift geschickt und ihn zum Wehe über das Pfaffenthum aufgefordert. Er will abwarten, was er darauf erwiedert. Schreiben Sie es mir nur, ob Sie es gewiß wissen. Ich zweifle nicht einen Augenblick daran, aber schwerlich hat er doch offen genug gehandelt, daß man Thatsachen von ihm anführen könnte. Fichten ist sehr daran gelegen übrigens. Ich habe ihm den größten Theil Ihres Briefs mitgetheilt — ja, weil er Sie so liebt, auch das, was Sie angeht, und worüber er sich innig gefreut hat. Daß man in Preußen honnet verfahren ist, werden Sie nun wissen.
Bald, bald kommt das dritte Stück Athenäum. Hier ist indessen etwas andres. Was werden Sie zu dieser Lucinde sagen? Uns ist das Fragment im Lyceum eingefallen, das sich so anfängt: Saphische Gedichte müssen wachsen oder gefunden werden etc. Lesen Sie es nach. — Ich halte noch zur Zeit diesen Roman nicht mehr für einen Roman als Jean Pauls Sachen — mit denen ich es übrigens nicht vergleiche. Es ist weit phantastischer, als wir uns eingebildet haben. Sagen Sie mir nun, wie es Ihnen zusagt. Rein ist der Eindruck freilich nicht, wenn man einem Verfasser so nahe steht. Ich halte immer seine verschlossene Persönlichkeit mit dieser Unbändigkeit zusammen und sehe, wie die harte Schale aufbricht — mir kann ganz bange dabey werden, und wenn ich seine Geliebte wäre, so hätte es nicht gedruckt werden dürfen. Dies alles ist indeß keine Verdammniß. Es giebt Dinge, die nicht zu verdammen, nicht zu tadeln, nicht wegzuwünschen, nicht zu ändern sind, und was Friedrich thut gehört gemeiniglich dahin.
Wilhelm hat die Elegie geendigt. Eine Abschrift hat Göthe, der hier ist, die andere Friedrich. Sie müssen also warten. Der eigentliche Körper des Gedichts ist didaktisch zu nennen und sollte es auch seyn nach Wilhelms Meinung. Die Ausmalung des Einzelnen ist vortrefflich — das Ganze vielleicht zu umfassend, um als Eins in der Seele aufgenommen zu werden, wenigstens erfordert dies eine gesammelte Stimmung. Sie sollen es hier lesen. Es kommt in das vierte Stück.
Wenn Sie herkommen, so treten Sie doch gleich bey uns ab, wenn Sie keine Ursach weiter haben es nicht zu thun. An Ihrem Verkehr mit Schiller hindert es Sie gar nicht. In der Mitte des April kommt der vollständige Wallenstein auf das Theater. Wollen Sie ihn nicht sehn?
Göthe ist sehr mit Optik für die Propyläen beschäftigt und an keinem öffentlichen Orte sichtbar. Leben Sie wohl. Bester, ich muß noch an Charlotten schreiben. Julie ist uns gegrüßt! Theilen Sie Charlotten die Lucinde mit.
Exkurs: Friedrich Schlegels >Lucinde<* (* Friedrich Schlegel schrieb die Lucinde im Jahre 1799. Der Text gibt jedoch den Eindruck wieder, den er bei der ersten Begegnung mit Caroline 1794 in Lucka hatte, vgl. S. 51

... Auch diese Krankheit wie alle vorigen heilte und vernichtete der erste Anblick einer Frau die einzig war, und die seinen Geist zum erstenmal ganz und in der Mitte traf. Seine bisherigen Leidenschaften spielten nur auf der Oberfläche, oder es waren vorübergehende Zustände ohne Zusammenhang. Jetzt ergriff ihn ein neues unbekanntes Gefühl, daß dieser Gegenstand allein der rechte, und dieser Eindruck ewig sei. Der erste Blick schon entschied, beim zweiten wußte er's, und sagte sich's, daß es nun gekommen, und wirklich da sei, was er so lange dunkel erwartet hatte. Er erstaunte, und erschrak, denn wie er dachte, daß es sein höchstes Gut sein würde, von ihr geliebt zu werden und sie ewig zu besitzen, so fühlte er zugleich, daß dieser höchste und einzige Wunsch ewig unerreichbar sei. Sie hatte gewählt und hatte sich gegeben; ihr Freund war auch der seinige, und lebte ihrer Liebe würdig. Julius war der Vertraute, er wußte daher alles genau, was ihn unglücklich machte, und urteilte mit Strenge über seinen eigenen Unwert. Gegen diesen wandte sich die ganze Kraft seiner Leidenschaft. Er entsagte der Hoffnung und dem Glück, aber er beschloß, es zu verdienen, und Herr über sich selbst zu werden. Nichts verabscheute er so sehr, als den Gedanken, das Geringste von dem was ihn erfüllte, auch nur durch ein undeutliches Wort durch einen verstohlnen Seufzer zu verraten. Gewiß wäre auch jede Äußerung widersinnig gewesen, und da er so heftig, sie so fein, und das Verhältnis so zart war, hätte ein einziger Wink, von denen, die unwillkürlich scheinen, und doch bemerkt sein wollen, immer weiter führen, und alles verwirren müssen. Darum drängte er alle Liebe in sein Innerstes zurück, und ließ da die Leidenschaft wüten, brennen und zehren; aber sein Äußeres war durchaus verwandelt, und so gut gelang ihm der Schein der kindlichsten Unbefangenheit und Unerfahrenheit und einer gewissen brüderlichen Härte, die er annahm, damit er nicht aus dem Schmeichelhaften ins Zärtliche fallen möchte, daß sie nie den leisesten Argwohn schöpfte. Sie war heiter und leicht in ihrem Glück, sie ahndete nichts, scheute also nichts, sondern ließ ihrem Witz und ihrer Laune freies Spiel, wenn sie ihn unliebenswürdig fand. Überhaupt lag in ihrem Wesen jede Hoheit und jede Zierlichkeit, die der weiblichen Natur eigen sein kann, jede Gottähnlichkeit, und jede Unart, aber alles war fein, gebildet, und weiblich. Frei und kräftig entwickelte und äußerte sich jede einzelne Eigenheit, als sei sie nur für sich allein da, und dennoch war die reiche, kühne Mischung so ungleicher Dinge im Ganzen nicht verworren, denn ein Geist beseelte es, ein lebendiger Hauch von Harmonie und Liebe. Sie konnte in derselben Stunde irgend eine komische Albernheit mit dem Mutwillen und der Feinheit einer gebildeten Schauspielerin nachahmen, und ein erhabenes Gedicht vorlesen mit der hinreißenden Würde eines kunstlosen Gesanges. Bald wollte sie in Gesellschaft glänzen und tändeln, bald war sie ganz Begeisterung, und bald half sie mit Rat und Tat, ernst, bescheiden und freundlich wie eine zärtliche Mutter. Eine geringe Begebenheit ward durch ihre Art sie zu erzählen so reizend wie ein schönes Märchen. Alles umgab sie mit Gefühl und mit Witz, sie hatte Sinn für alles, und alles kam veredelt aus ihrer bildenden Hand und von ihren süß redenden Lippen. Nichts Gutes und Großes war zu heilig oder zu allgemein für ihre leidenschaftlichste Teilnahme. Sie vernahm jede Andeutung, und sie erwiederte auch die Frage, welche nicht gesagt war. Es war nicht möglich. Reden mit ihr zu halten; es wurden von selbst Gespräche und während dem steigenden Interesse spielte auf ihrem feinen Gesicht eine immer neue Musik von geistvollen Blicken und lieblichen Mienen. Dieselben glaubte man zu sehen, wie sie sich bei dieser oder bei jener Stelle veränderten, wenn man ihre Briefe las, so durchsichtig und seelenvoll schrieb sie, was sie als Gespräch gedacht hatte. Wer sie nur von dieser Seite kannte, hätte denken können, sie sei nur liebenswürdig, sie würde als Schauspielerin bezaubern müssen, und ihren geflügelten Worten fehle nur Maß und Reim, um zarte Poesie zu werden. Und doch zeigte eben diese Frau bei jeder großen Gelegenheit Mut und Kraft zum Erstaunen, und das war auch der hohe Gesichtspunkt, aus dem sie den Wert der Menschen beurteilte.
Diese Größe der Seele war die Seite, von der Julius im Anfange seiner Leidenschaft ihr Wesen am meisten ergriff, weil diese zu dem Ernst derselben am besten stimmte. Sein ganzes Wesen war gleichsam von der Oberfläche zurückgetreten nach dem Innern; er versank in eine allgemeine Verschlossenheit und floh den Umgang der Menschen. Rauhe Felsen waren seine liebste Gesellschaft, am Gestade des einsamen Meeres hing er seinen Gedanken nach, und ging zu Rate mit sich selbst, und wenn das Sausen des Windes in den hohen Tannen rauschte, so wähnte er, die mächtigen Wogen tief unter ihm wollten sich aus Teilnahme und Mitleiden ihm nähern, und schwermütig blickte er den fernen Schiffen nach und der sinkenden Sonne... (Friedrich Schlegel, Lucinde, hsg. K. Konrad Polheim, Stuttgart 1977, S. 63-65)

Hardenberg an Caroline, Freiberg, 27. Febraur 1799.

Vor zwei Stunden, beim Frühkaffee, an einem stürmischen schneestöbemden Morgen erhielt ich Ihren Brief und sah mich plötzlich im Besitz der sonderbaren Lucinde, auf deren Bekanntschaft ich mich so lange gefreut hatte. Erst las ich Ihren Julischen Brief — das eine Dach war allein einen ganzen Roman werth. Denken Sie sich nur unsern prächtigen Kreis. Vor dem Jahre standen zwei noch so verwaist da. Einer schien auf glühendem Boden zu stehn. Er sah sich immer um, und wer weiß, was ein hellgeschliffenes Auge oft über ihm bemerkt haben würde. Jetzt hebt ihn eine freundliche Gestalt, wie eine Gabe von oben, weihend und dankbar in die Höhe, und ein irdischer, erquickender Schlaf hat seine Augen für eine andre Sonne wieder geschlossen. Also zurück im Lande der Träume und nun mit voller Seele bei Euch — treffliche Mitschläfer. Jetzt kann erst rechte Freundschaft unter uns werden, wie denn jede Gesellschaft nicht aus einzelnen Personen, sondern aus Familien besteht. Nur Familien können Gesellschaften bilden, der einzelne Mensch interessiert die Gesellschaft nur als Fragment und in Beziehung auf seine Anlage zum Familiengliede. Gewiß wird meine Julie ganz für Sie und alle passen. Aber ich bitte Sie um Verschwiegenheit. Noch weiß meine Familie nichts — auch ihre Eltern wissen von mir nichts. Der Erfolg hängt von Klugheit ab. Er ist mir ziemlich gewiß; nur muß ich der Erste sein,, durch den mein Vater etwas davon erfährt. Ich bitte Sie also und Fichte inständigst, dort alles für sich zu behalten. Die frühe Verbreitung machte mir übleres Spiel.
Julie weiß nicht einmal, daß Sie etwas wissen. Die gute Ernst hab ich nicht ordentlich unterrichten dürfen, nur so seitwärts hab ich ihr etwas davon gesagt. Wir haben einen glücklichen Abend dort zugebracht — Thielemann's, die beiden Mädchen und ich. Thielemann's sind jetzt hier. Wir leben sehr vergnügt. Schade nur, daß mir jetzt keine Zeit zum ideenreichen Müßiggang bleibt und ich so selten mich sammeln und auf meinen inneren Sprachorganen phantasiren kann. Ich fühle jedoch, daß diese Unterbrechung eine ruhige, weinichte Gährung befördert und ich nach geendigtem Lernen mit neuer, gebildeter Kraft zur alten Poesie und Philosophie zurückkehren werde, beide sind zur glücklichen Ehe unentbehrlich und ohne sie muß jeder Umgang in Überdruß und Langeweile ausschlagen...

An Auguste, [Jena] d. 30 Sept. [17]99.

Du Herzensmädchen, was hat mich Dein Brief gefreut, und die arme böse Mutter kann nun erst heut antworten! Du glaubst nicht, wie geschäftig ich in der letzten Woche gewesen bin, und krank dazu, denn endlich muß mir mein Laufen und Rennen, das ich so gern that, doch zu Haus und zu Hof kommen. Loderchen hat mir was verschreiben müssen. Nun ist das ganze Haus gereinigt und neu aufgeputzt. Ich habe dabey eine große Wäsche gehabt, und etwa einige 20 Vorhänge aufzustecken. Auch das neue Sopha ist gemacht, und es sieht alles aufs netteste aus, besonders ist unsre kleine Stube, mit dem Frommanschen kleinen Sopha, hübsch. Friedrich wohnt hier wie der beste appanagirte Prinz. Diesen Abend supiren wir 3 bey Schelling, um ihm sein neues Nest einzuweihen. Er freut sich, daß Du ihn zum Bachus gemacht hast, indem Du ihn den Geber des Weins nennst, bald wird er auch der Geber der Freude heißen können, denn er ist sanft und liebreich, und scherzhaft, und läßt Dir sagen. Du möchtest ihm bey Deiner Wiederkunft nicht wie eine spröde Halbmamsell begegnen. Wilhelm macht alle Morgen ein Gedicht. Friedrich thut alle Tage nichts — als die Veit erwarten, die nicht über Dessau kommt. Wir wollten sie vorgestern von Leipzig abholen, Friedrich und ich, als wieder andre Ordre kam, doch kommt sie sicher nächste Woche. Vorgestern fand sich mit einmal Hardenberg ein, blieb aber nur bis gestern nach Tisch, was gut war, denn ich mochte ihn diesmal gar nicht leiden, er hat recht abgeschmacktes Zeug mit mir gesprochen, und ist so gesinnt, daß er, darauf wolt ich wetten, die Tiek mir vorzieht. Denk nur, Kind! wir wissen noch nicht, wann diese kommen, wahrscheinlich bald. — Ungemessen lange Spaziergänge haben wir gemacht, von 2 bis 7 ist das gewöhnliche Un-Maaß. Wilhelm will nicht mehr mit ausgehn, er liefe sich die Beine ab; da er nun die vorige ganze Woche jeden Morgen von 10 bis 1 Uhr mit Goethe hat auf und abspazieren müssen, so ist es wohl billig, daß er den Nachmittag ausruht, der Länge lang nach. Goethe hat seine Gedichte, nehmlich Goethens Gedichte, von denen ein neuer Band herauskommt, mit ihm durch[ge]sehn, und ist erstaunlich hold. Griesette war vor 8 Tagen unglücklich, denn Schiller ließ ihn auf den Abend bitten, wo Goethe und Schelling da waren, und er war schon mit uns bei Frommans, wo es auch wirklich etwas stupide zuging. Gestern ist er nun glücklich worden, denn da wurd er wieder gebeten und ging auch effectivement hin. Er kommt fast jeden Mittag her, wobey ihm jedoch weit mehr in den Mund hinein, als heraus geht.
Corona hat sich wieder eingestellt, wo sich nun 2 alte Demoisellen ennuyiren. Es heißt, deux affütions mises ensemble fönt une consolation, aber zwey enmiys machen nie ein amusement.
Lode sind fort. Er ist noch hier und ganz Polentoll. Eine brillante Halsschnalle ist die neueste Aquisition. Diesen Morgen hat er ein Dejeuner im Museum gegeben, wo Schlegel auch war, einigen Portugisen zu Ehren, dem ehemaligen Gesandten Aranjo und dem jüdischen Banquier Cappeadoce aus Amsterdam nebst Frau, die Tischbein kennt sie vielleicht.
Wird Johanna von Montfaucon von Kozebue nicht bey euch gespielt? Es soll sich sehr gut ausnehmen. Treibe nur ja recht viel Musik und räume in Deinem Departement auf, sey ja ordentlich. Demnächst wirst Du noch andre Geschäfte treiben müßen, liebes Kind. Ich habe der Grosmutter fest versprochen, daß du Ostern confirmirt werden sollst. Sie schrieb mir mit einer Bekümmerniß darüber, die wir ihr ersparen wollen. Dich hat sie den lezten Tag noch gefragt, wie sie mir sagt, ob Du Unterricht hättest. Wie komt es, daß Du gegen mich davon schwiegest? Ich habe ihr aus einander gesetzt, wie verhaßt und unnütz so ein Studentenunterricht in der Religon einem gescheuten Kinde wie Du seyn müßte. Daß ich Dich aber hier bey dem Ömler nicht confirmiren laßen kann, siehst Du ein. Du kämest dabey um. Es muß in Gotha bey Löffler geschehn, und ich habe mich schon vorläufig erkundigt. Mit 6 Wochen wird alles gethan seyn. Die Göttern schrieb mir auch. Cecilie hat den Brunnen und Bad gebraucht und fährt fort sich, wiewohl sehr langsam, zu beßern.
Ich kann heut nicht an unsre liebe, liebe Tischbein schreiben; der Brief ihres Mannes ist erst mit Freuden gelesen und dann mit Feuer verbrannt, sag ihr das, die Kinder küße ich viel tausendmal.
Lehmann soll die Nachricht von der Nuys ja nicht auf Noten setzen, sie ist des Componirens nicht werth. Dies ist eine von den vielen dummen Sagen, die in Dresden und Leipzig über sie herumgingen. Die Nuys ist eine in der Gegend von Hamburg und Bremen, wo sie wohnte, völlig als Mad. Nuys bekannte Frau seit langen Jahren — längern, als ihr vielleicht lieb ist. Frommans kennen sie ja auch als solche. Prinz Augusts Frau war lady Auguste Murray. Sie lebt in England und hat einen Sohn von ihm.
Die Gurken sind angekommen und Friedrich spricht von nichts als seinen Gurken, und nimmt sich viel Gurken heraus, wird sich auch gewiß dereinst schriftlich bedanken. Schelling läßt der Tischbein sagen, das war' wenig, daß Goethe sie eine angenehme Gegenwart genannt. Ihm wäre sie auch eine äußerst angenehme Erinnerung. Adieu, ich drücke Dich braun und blau an mein Herz. Die Hufeland bringt Dich sicher mit.

Auguste und Caroline an Schelling, [Bamberg] Sonntag den 8ten [-9.] Juni 1800.

Wir haben gestern Deinen niedlichen Brief bekommen und er hat uns große Freude gemacht. Du bist recht artig, daß Du uns so bald geschrieben, wir sehnten uns schon recht. Mutter ist recht wohl und die Kälte hat ihr nichts geschadet, wir sind auch alle Tage zusammen spazieren gegangen, wenn es das Wetter erlaubte. Aber mit dem armen Kinde geht kein Mensch des Abends spazieren, einmal ließ ich mir einfallen, weil es gar zu schön war, mit Röschlaub und Kusine zu gehn, da schlepten sie mich gleich nach Buch, aber ich blieb standhaft und gieng durchaus nicht hinein, sondern grade vorbey nach dem Dorf zu, da mußten sie mir wohl folgen, sonst hätten sie mich wahrhaftig wieder da hinauf in den garstigen Tanzsaal geschlept. So geht es uns Kinderchen, wenn Du nicht da bist, kom nur bald wieder. Von Deinem Schwesterchen hast Du doch auch nicht ein Wort geschrieben, wie sie Dir gefällt, ist das nun nicht recht schlecht?
Nun stell Dir unser Unglück vor, mit dem schönen Logis bei Hofrath Faber ist es wieder nichts; der Herr Hofrath wollte es wohl sehr gern vermiethen, und mit dem Preis waren wir auch einig, nämlich 5 Carol. für 3 Monat. Aber nun hat der Herr Hofrath noch einen Vater, der Titular Geheimerrath ist und von dem der Sohn, der erstlich dum ist und zweytens viel Schulden hat, abhängt, und dieser will es durchaus nicht zugeben, das vermiethet wird. Röschlaub war selbst bey ihm, aber er hat allerley Vorwände, es wäre keine Frau im Hause, denn der Sohn ist Witwer mit kleinen Kindern, und da könnten Unordnungen entstehen, und es könnte was an den Möbeln verdorben werden und das Haus stünde so im Verkauf, und kurz, er giebt es nicht zu, und der Sohn kann nun nichts machen und steht da, als wenn er die Ruthe vom Papa bekommen hätte. Nicht genug, das die Frauen an diesem Orte Männer haben anderes Sinnes wie sie, um uns zu quälen, die Söhne haben auch Väter, und die Titular Geheimeräthe scheinen uns ganz besonders aufsäßig zu sein. Und was wirst Du erst sagen, wenn ich Dir erzähle, daß dieser halsstarrige Vater derjenige ist, vor dessen abscheulicher Nase wir einstmals nicht zu abend essen konnten, der uns auf dem Spaziergang begegnete.
Mit dem ist es also wieder nichts; ich ärgere mich nur, daß ich Dir schon davon geschrieben habe. Nun haben wir wieder ein andres auf der Spur, von dem wir aber noch nichts gewisseres wissen.

Montag.

Gestern konnte Dein armes Kind den Brief nicht vertig schreiben, denn es hatte solche Schmerzen in der Schulter, daß es nicht im Stande war, die Feder zu halten, und habe beynah den ganzen Tag auf dem Bett liegen müssen. Heute ist es nun aber wieder vorbey.
Die alte Mad. Schindler, die Unterhändlerin bey dem Faberschen Logi war, weil sie den Hofrath sehr genau kennt, meint, der alte hätte [es] nicht zugeben wollen aus religions Haß. Selbst religions Haß.
Vom neuen Logi sollst Du nicht ehe ein Wort hören, bis alles in Richtigkeit ist.
Mutter will auch noch ganz viel schreiben. Leb recht wohl, Du Mull, und vergiß das Uttelchen nicht, das so gern mit Dir spazieren ginge.

Montag früh d. 9ten.

Ich habe das kleine zärtliche Gemüth zur Ruhe verwiesen, denn trotz ihrer Versicherung ist sie doch noch nicht wieder besser und hatte Fieber gestern — es wird aber weiter nichts draus entstehn, als daß ich meine Abreise bis auf den 12ten verlege, auch aus der Ursache, weil es so kalt ist, und ich in das kühlere Boeklet nicht mit der Kühlung eintreffen mag. Marcus ist heut nach Nürnberg, und ich hab ihm versprechen müssen seine Rückkehr den Uten Abends abzuwarten. Erst von Boeklet schreib ich, was ich hier angerichtet habe — Wir haben Tag und Nacht zu sorgen gehabt, seit Du weg bist, und ich könt ein Lied nach alter Weise mit einem doppelten Refrain dichten — »wenn er doch nur bey uns wäre!« und »gut daß er nicht bey uns ist!« Bald hätte ich Dich mir zur Entscheidung gewünscht, und dann war ich wieder so froh Dich aller dieser Plage überhoben zu wissen, zumal ich selbst allein sie besser zu tragen vermochte. Nur das war mir im Wege — meine Schüchternheit an Deiner Stelle zu handeln, da ich es ganz als Deine Sache ansehe — Du weist, ich folge Dir, wohin Du willst, denn Dein Leben und Thun ist mir heilig, und im Heiligthum dienen — in des Gottes Heiligthum — heißt herrschen auf Erden. Doch könnt ich nicht aus dem Gesicht verlieren, daß unser Aufenthalt hier schon wie gemacht, erklärt und bereitet ist, daß er so manche Vortheile für Dich anbietet, und das bestimmte mich, allen Verdruß zu ertragen, den ich sonst oft auf den Punkt war von mir zu stoßen, und ohne weiter etwas ausgemacht zu haben, nach Bocklet zu gehn. Erst dort werd ich wahrscheinlich hören, ob Dir die nöthige Ruhe im Hause Deiner Eltern wird, worauf so viel ankömmt — gewiß bekomme ich nun hier keinen Brief mehr von Dir. Daß ich einen andern, nehmlich von meiner Mutter, noch hier abwarten kann, weil ich am Mittwoch noch da bin, ist mir lieb. Du giebst mir nicht eine einzige militairische Nachricht. Fast sollt ich vermuthen, ihr würdet Kaiserliche bekommen. Das wird Dich stören.
Vorgestern hat mich Marcus zu seiner einen Schwiegerin geführt, wo ich auch die andre, sammt der Gräfin Rothenhahn und Hofmarschall Redwitzens traf. Beyde Schwägerinnen sind artige Frauen. Dieser Bruder von Marcus, der krank ist an Krämpfen, sieht natürlich wie der idealisirte Hofr. Schütz aus. Die Rotenhahn war ganz und gar nicht adelich, sie hat sich so gefreut und wir haben unendlich viel mit einander geschwazt — es war auch eigentlich ein Rendesvous mit ihr.
Röschlaub hat mir eben das Geld gebracht.
Eben hat mich die Commerzienräthin Markus besucht.

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