Die >Witwe Böhmer< bei Therese und Georg Forster in der Mainzer Republik

1792/93 Mainz

Caroline will »das Neue« aus der Nähe sehen, um es zu beurteilen. Ein Urteil über Ideen, Parteien, Programme ist für Caroline immer verbunden mit den Menschen, die diese Ideen aussprechen. Sie ist also eher von Menschen — auch insofern sie Ideen >verkörpern< — zu überzeugen, als von den Ideen selbst. Das ändert sich auch nicht im Prozeß der Politisierung in Mainz. Sie fühlt sich als Republikanerin, aber auch dies ist verbunden mit ihrer Verehrung für Forsters Engagement und seine Integrität, mit ihrer Erfahrung der Ungerechtigkeit und Not, die sie um sich her sieht mit der für die >stolzen< Handwerker beispielsweise entwürdigenden Situation, ganz vom >Hof< abhängig zu sein. Und sie empfindet es im Sinne ihrer Idee der sittlichen Menschheit als großen Befreiungsakt, als die Mainzer Bürger sich als Gleiche und Brüder umarmen. Für Caroline gelte, schreibt Inge Hoff mann — Axthelm,

  • »daß ihr politisches Interesse direkt mit ihrem persönlichen Gefühl für menschliche >Sittlichkeit im überschaubaren privaten Bereich vermittelt bleibt, ohne Blick für überpersönliche theoretische — und dann eben auch praktische — Konsequenzen einer politischen Idee« (Hoffmann-Axthelm: 90).

Zwar mangelt ihr, meine ich, dieser Blick nicht, sondern sie zweifelt an jenen Menschen (wie ihrem von ihr als karrieristisch und opportunistisch empfundenen Schwager Böhmer, der Jakobiner ist), die in ihrem persönlichen Verhalten der politischen Idee widersprechen, die sie > vertretene Ihre Grundhaltung, »Politik ausschließlich in ihrer existentiellen Relevanz für das private Individuum aufzunehmen« (Hoffmann-Axthelm: 91), hat auf den Jenaer Kreis, besonders aber auf Friedrich Schlegel großen Einfluß gehabt: denn mit dieser Einstellung gibt es keine Trennung mehr zwischen Privatheit und Politik (als dem Bereich des > Öffentlichen^. Diese Grundhaltung kann man als kulturrevolutionär bezeichnen. Wir finden sie im Jenaer Kreis wieder, und zwar am ausgeprägtesten bei dem von ihr beeinflußten Friedrich Schlegel. Die kulturrevolutionäre Verbindung von Privatsphäre und Politik im Hinblick auf eine Revolution des Lebens (und nicht der formal-politischen gesellschaftlichen Verfassungen) wird in Jena später in die ästhetische Utopie der Verbindung von Kunst und Leben verwandelt. Sie geht davon aus, daß man nicht auf eine Revolution wartet, damit sich etwas ändert, sondern faßt das Leben als einen Prozeß äußerer und innerer Revolutionen auf, als eine Art >permanente Revolution^ die alle Lebensbereiche dauernd erfaßt. Dies gibt später den Frühromantikern in einer Zeit der politischen Abstinenz dennoch den Optimismus, daß man sich auf ein ästhetisches Weltbürgertum zubewege — meist ist dies nur als >Kompensation< für politische Ohnmacht interpretiert worden. Hoffmann-Axthelm hebt Forster offensichtlich positiv von der individuellen Caroline ab, wenn sie schreibt, daß Forster »Sinn für spezifisch politisches Handeln unter Absehung von der eigenen Person, in seinem Leben konsequent zum Ausdruck« komme (Hoffmann- Axthelm: 91).
Das ist es genau, wovon die Kulturrevolution nicht absehen will: von der eigenen Person. Denn genau in diesem >Absehen< ist das Moment (letztlich christlich beeinflußter) Selbstunterdrückung, das alle Revolutionen, die von diesem politischen Selbstverständnis ausgehen, zum Scheitern verurteilt. In der Studentenbewegung war dies der Kern der Auseinandersetzung, an dem sich die parteifixierten von den spontaneistischen Geistern schieden.
Georg Forster, dessen politische und schriftstellerische Größe außer Frage steht, transzendierte die bürgerlichen Vorstellungen von Ordnung, Fleiß und Nützlichkeit nicht, er unterwarf sich ihnen vielmehr und >opferte< sich damit für die >große Sache der Revolution. Bei Caroline finden wir eine instinktive Abwehr gegen den Opfergedanken, weshalb sie von allen, die ihm huldigten, als selbstisch und egoistisch empfunden wurde.
Der Gedanke der Weltrepublik bei den Jenaern geht über den bürgerlichen Staat weit hinaus. Gleichzeitig wird er, scheinbar ganz >privat<, am einzelnen Individuum festgemacht. Erst die >Weltfamilie< der Wahlverwandten bildet die Voraussetzung der Weltrepublik, in der jener unselige Zusammenhang von Gewalt und Opfer (auch im engsten oder vielleicht weitesten Sinn jeder Form der Selbstunterdrückung) endlich durchbrochen ist. Diesen Zustand nennt Novalis >höhere Natur<, >zweite Un-schuld<, >Goldenes Zeitalter< — er hat mit dem >Ursprung< den Gestus der Fülle gemeinsam, aber in reflektierter Form — Natur und Humanität sind darin keine Gegensätze mehr (manche dieser Gedankengänge finden wir im Ansatz bei Babeuf und den französischen Frühsozialisten — von hier aus wäre die Französische Revolution erst der >Anfang<).

  • »Die Natur ist die Feindin ewiger Besitzungen. Sie zerstört nach festen Gesetzen alle Zeichen des Eigentums, vertilgt alle Merkmale der Formation. Allen Geschlechtern gehört die Erde, jeder hat Anspruch auf alles. Die Frühern dürfen diesen Primogeniturzufalle keinen Vorzug verdanken« (Novalis 1968: 342).

Die Abrechnung mit dem Geist des ancien regime finden wir bei fast allen relevanten deutschen Schriftstellern am Anfang der Revolution, mit wenigen Ausnahmen wie Goethe oder August Wilhelm Schlegel. Schiller und Klopstock erhielten den Ehrenbürgerbrief der Französischen Republik, während die »neue Generation« noch unter den Repressalien der Institutionen litt, deren sie als Schüler oder Studenten angehörten: so sprach man von »revolutionären Umtrieben« im Tübinger Stift, in dem Hegel, Hölderlin und Schelling in einem Zimmer wohnten. Schelling wurde verdächtigt, die Marseillaise ins Deutsche übersetzt zu haben. Die Geschichte des Jakobiners Hölderlin ist bekannt.
Obwohl die Frauen in diesem letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts politisch fast gar nicht in Erscheinung treten (oder wütend-konservativ wie Charlotte von Stein), spüren wir in manchen Briefen revolutionäre Gesinnungen. Caroline Herder, die Frau des Dichters und Hofpredigers Herder, den Caroline schon als junges Mädchen verehrte, schrieb an den empfindsam-konservativen Friedrich Heinrich Jacobi (mit dem Caroline viel später, in München, als Frau Schelling zu tun haben wird) 1792:

  • »Die Sonne der Freiheit geht auf, das ist gewiß und daß dies nicht allein das Geschäft der Franken, sondern der Zeit ist... In Deutschland werden wir noch eine Weile im Finstern sitzen, doch erhebt sich der Morgenwind hie und da« (Jäckel: 12).

An der Hinrichtung des Königs Ludwig XVI. nach seinem mißglückten Fluchtversuch schieden sich aber schon die Geister vor der sogenannten »Schreckensherrschaft«, der Diktatur der Jakobiner 1793. Daß Herder die Verurteilung des Königs rechtfertigte, war für ihn als Generalsuperintendenten und Hofprediger in Weimar nicht ungefährlich. Carolines Stellung zur Revolution, ihr Denken und Handeln während der kurzen hoffnungsvollen Zeit der Mainzer Republik, ist eine Ausnahmeerscheinung unter den intellektuellen Frauen der Zeit. Günter Jäckel schreibt einleitend zu seiner Auswahl von Frauenbriefen zwischen 1790 und 1848 über Carolines Brief an Meyer (wobei zu bedenken ist, daß sie an ihn vorsichtig schreibt, daß ihre »Demokratenbriefe« an die Schwester Luise und später an Forster in Paris nicht mehr existieren):

  • »Ihr Brief vom 27. Oktober 1792 ist ein Höhepunkt demokratischen Denkens, das Äußerste, was eine Frau in jenen Jahren überhaupt denken und aussprechen konnte« (Jäckel: 14).

Denselben Brief hat Walter Benjamin in seine Briefauswahl zur 150-Jahr-Feier der französischen Revolution, »Allemands de Quatre-Vingt-Neuf«, 1939 als einzigen Brief einer Frau aufgenommen (neben Briefen der deutschen Jakobiner Schubart, Herder, Forster, Seume, Hölderlin, Jochmann). Benjamin wollte hiermit die Spuren einer subversivrevolutionären Tradition des Exils aufzeigen, die

  • »von der deutschen Literaturgeschichte durch hundert Jahre planmäßig verschleiert wurden« (Benjamin IV, 2: 1095) »Die Stimmen der Zeugen«, schreibt Benjamin in der Einleitung, »die man nun hören wird, sind im gegenwärtigen Deutschland erstickte Stimmen; trotz allem, man hat sie beinahe ein Jahrhundert lang genauestens vernommen« (Benjamin IV, 2: 863).

Benjamin weist darauf hin, daß Caroline mit ihrer demokratischen Gesinnung einen starken Einfluß vor allem auf Friedrich Schlegel hatte. Am selben Tag, dem 27. Oktober 1792, als Caroline an Meyer schreibt — eine Woche, nachdem General Custine die Stadt eingenommen hat, schreibt Forster aus Mainz:

  • »Ich habe mit mehreren gutgesinnter Männern von allem mich zurückgehalten; allein diese Neutralität ist mißlich, die Krisis naht heran, und man wird Partei ergreifen müssen... der durch die gänzliche Vernichtung der kombinierten Armee geweckte Revolutionsgeist wirkt, wie man vorausgesehen hat, bereits so kräftig, daß für die deutsche Verfassung alles zu befürchten steht, wenn man im Frieden nicht die bereits entscheidend demokratisch gewordenen Teile ablöst oder willig hingibt. Der Rhein ist jetzt zum Glück für Deutschland da, er muß die Grenze sein, die das Land der Französischen Republik von Deutschland absondert... Raserei wäre es, wenn man jetzt noch an die alten Träume der Unverletzbarkeit und Unzertrennbarkeit des Reiches gedächte. Alles geht verloren, sobald man etwas zurückhaben will, das Beispiel der königlichen Macht in Frankreich ist hinreichend, dies zu beweisen...« (Forsters Briefwechsel, 2:255).

Forster hofft, die neuerworbene Demokratie für Deutschland kampflos zu gewinnen durch »freiwillige« Abtretung des linken Rheinufers von Landau bis Bingen. Ulrich Enzensberger hat in seinem Buch über Forster diese Entwicklung bis zu Forsters Beitritt zum Demokratischen Sozialistischen Jakobinerklub in Mainz beschrieben. Caroline, die mit ihrer Tochter Auguste allein lebt, ist fast täglich in Forsters Haus. Ihre Briefe spiegeln die Generations-, Geschlechts- und »Standes«-Rollen leicht transzendierende lockere »Revolutionsstimmung«. Caroline und Therese nehmen an den Sitzungen des Jakobinerklubs teil, von der Tribüne des Akademiesaales aus im kurfürstlichen Mainzer Schloß, wo die Sitzungen stattfinden. In einem Brief an ihren Vater, Professor Heyne (mit dem Forster ausführlich korrespondiert und der immerzu zur »Mäßigung« aufruft), betont Therese, daß sie »im Falle der Not« Forster auch nach Frankreich begleiten werde, daß die Menschlichkeit der republikanischen Einwohner eine Stütze für sie sei. Aber Anfang Dezember 1792 möchte sie plötzlich der Kinder wegen aus Sicherheitsgründen Mainz verlassen. Am 17. Dezember 1792 schreibt Caroline an Meyer:

  • »Therese ist nicht mehr hier. Sie ist mit den zwey Kindern nach Strasburg gegangen — warum — das fragen Sie mich nicht. Menschlichem Ansehn nach, ist es der falscheste Schritt, den sie je gethan hat, und der erste Schritt, den ich ohne Rückhalt misbillige. Sie, die über jeden Flüchtling mit Heftigkeit geschimpft hat, die sich für die Sache mit Feuereifer intereßirte, geht in einem Augenblick, wo jede Sicherheitsmaasregel Eindruck macht... Ich bleibe hier — man gewöhnt sich an alles, auch an die tägliche Aussicht einer Belagerung.« (Caroline I: 278ff.).

Caroline übernimmt nun die Haushaltsführung im Hause Forsters (»liebe und pflege Forstern«, hatte Therese ihr in dem einzigen nach Mainz geschickten Brief geschrieben). Daß Therese Hubers wegen die Stadt verlassen hat und nicht aus politischen Gründen, liegt nahe. Forster widmet sich nun noch ausschließlicher der Politik. Er geht, im Unterschied zu anderen Klubisten, davon aus, daß Deutschland nicht reif zur Revolution sei und nennt sich selbst einen

  • »Mann, der einstweilen die Beibehaltung ihrer (deutschen, G. D.) Verfassung wünscht, weil er doch nicht von der Reife Deutschlands überzeugt ist und eine Revolution vor der Reife manchen herben Auftritt kosten müßte« (Brief vom 21. 11. 92 an den Buchhändler Voß, Forsters Briefwechsel 2: 268).

Am 21. Dezember bekräftigt er Voß gegenüber dieses Urteil:

  • »Ich bleibe dabei, daß Deutschland zu keiner Revolution reif ist, und daß es schrecklich, gräßlich sein wird, sie durch das halsstarrige Bestehen auf die Fortsetzung des unglückseligsten aller Kriege unfehlbar vor der Zeit herbeizuführen... Unser rohes, armes ungebildetes Volk kann nur wüten, aber nicht sich konstituieren« (Försters Briefwechsel 2:270 f.).

Was zunächst realistisch wirkt, hängt doch, wie Walter Grab überzeugend nachweist, zusammen mit Forsters »Schwanken zwischen Liberalismus und Demokratie« (Grab: 26) und seiner Angst »vor dem Wüten des Pöbels« (Grab: 19). Über Hofmann, der in den Klubdebatten als Fürsprecher und konsequenter Interessenvertreter des geplagten Mainzer Volkes auftrat und »sich mit den sozialen Beschwerden der Unterklasse« (Grab: 25) identifizierte, schrieb Forster, der »Jakobiner ohne Volk«, am 31. Januar 1793 nach scharfen Auseinandersetzungen im Klub an Therese.

  • »(Hofmann) mit seinem Kapuzinerton, seinen Grimassen und seiner Pöbelsprache, und seinen niedrigen giftigen Scherzen muß immer bei einem sogenannten Volk, das für Vernunft, Anstand und edle Beredsamkeit keinen Sinn hat, die Oberhand behalten. Für das, was wir in dieser Zeit geleistet haben, ist an keine Dankbarkeit zu denken; sie sind so an Bubenstreiche gewöhnt, daß sie denken, kein Mensch könne uneigennützig handeln...« (Forsters Briefwechsel 2:405).

Carolines Briefe, die über ihre Einstellung zur Frage des »vierten Standes« vielleicht Auskunft geben könnten, existieren nicht mehr. Aus dem, was existiert, ist aber zu entnehmen, daß sie Forsters Ansichten teilte, was um diese Zeit, wie Jäckel zu Recht betont, sehr radikal ist. Am 17. März trat in Mainz der »Nationalkonvent der freien Deutschen diesseits des Rheins« zusammen — es ist das erste demokratische Parlament in Deutschland. Hofmann, mit dem Forster sich wieder ausgesöhnt hatte, wurde zum Konventspräsidenten, Forster zu seinem Stellvertreter gewählt. Einen Tag später schreibt Caroline ihren letzten (erhaltenen) Brief aus der Mainzer Republik — am 18. März 1793 — an Gotter, der sie, obwohl ihr Name »proscibirt« ist, zu sich eingeladen hat:

  • »Ich denke nicht lange Ihre Wohnung zu verengen, aber es ist mir ein großer Dienst, daß Ihr mich für den Augenblick aufnehmen wollt« (Caroline I: 282).

Für Forster mußte sie nicht mehr da sein, denn der Rheinisch-Deutsche Nationalkonvent hatte die Annexion an Frankreich beschlossen (als kleiner Freistaat wären die Mainzer dem Feind — den absolutistischen deutschen Regenten der Kleinstaaten — nicht gewachsen gewesen), und Forster beauftragt, das Anschlußgesuch zu formulieren und es dem Pariser Konvent zu überbringen, was Forster am 30. März in Paris tat.
Währenddessen näherten sich die preußischen Truppen der Festung Mainz. Andreas Hofmann leitete während der vier Monate dauernden Belagerung die Administration. Am 23. Juli 1793 wurde die Festung von den Franzosen an die preußische Armee übergeben. Wem unter den Jakobinern die Flucht nach Frankreich nicht gelang, wurde auf der Erfurter Zitadelle und der Festung Königstein (teils bis Februar 1795) eingekerkert.

Caroline aber kam auf einem ganz anderen Weg auf die Festung Königstein — zum Zeitpunkt der Gefangennahme der Mainzer (Juli 1793) war sie zum Glück schon wieder entlassen.

1793 Königstein, Kronberg; 1793/94 Lucka;
1794 Gotha; 1795/96 Braunschweig

Ein paar Tage nach Forsters Abreise verläßt Caroline die von preußisch-österreichischen Truppen eingekreiste Stadt mit ihrer siebenjähren Tochter Auguste, der Mutter des demokratischen Mediziners Prof. Georg Christian Wedekind (Mitglied des Klubs) und dessen Schwester Meta Forkel. Unterwegs (bei Oppenheim) werden sie aufgehalten, Caroline wird wegen ihres Namens für die Frau ihres Schwagers Böhmer gehalten, einer der aktivsten Mitglieder des Klubs, den Caroline stets als opportunistisch empfand und dem sie ihr Haus verbat. Außerdem gilt sie als Geliebte Forsters und wird der Beihilfe zum »Hochverrat« verdächtigt (auf Forsters Kopf waren hundert Dukaten gesetzt). Die drei Frauen und die kleine Auguste werden zusammen mit einer aufgegriffenen Gruppe mißhandelter Klubisten zum Verhör nach Frankfurt gebracht. Die Chance zum Entrinnen, die man ihr gibt, verpaßt Caroline, da sie sich unschuldig fühlt und in naiver Sicherheit auftritt. Außerdem verteidigt sie empört die mißhandelten Republikaner und provoziert die »Obrigkeit«. Zusammen mit den Klubisten wird sie auf die Festung Königstein gebracht und verbringt hier unter entwürdigenden Umständen eine schreckliche Zeit mit der Tochter Auguste. Schrecklich noch in einer anderen Hinsicht: Sie merkte, daß sie schwanger war, und zwar von dem 19jährigen französischen Leutnant Jean Baptiste Dubois-Crance, dem Neffen von Custines Nachfolger General d'Oyre, den sie im Hause Forsters kennengelernt hatte. Die Witwe Böhmer mit einem unehelichen Kind eines Franzosen (oder Forsters, wie man gemutmaßt hätte, da auch Therese das Gerücht verbreitete, Caroline sei die Geliebte ihres Mannes gewesen, um von der eigenen Geschichte mit Huber abzulenken) — nach dieser »Schande« wäre ihr jede bürgerliche Existenz unmöglich gewesen (sie war es auch fast schon ohne dies Wissen, wie ihr bald bewußt werden sollte). Man hätte ihr die spärliche Witwenrente aberkannt und vermutlich die Tochter Auguste genommen. Dies alles führte bei ihr zu konkreten Selbstmordplänen: um der Tochter Auguste die »Schande« zu ersparen, wollte sie sich, bevor ihre Schwangerschaft sichtbar wurde, vergiften. Sie bat A. W. Schlegel um Gift für den Fall, daß die Festungshaft sich verzögern würde — und dieser besorgte es ihr unter der Bedingung, es nur für den allerletzten Notfall zu gebrauchen. Diesen zu verhindern, schreibt sie an alle einflußreichen Bekannten, die eine Befreiung bewirken könnten. An Wilhelm von Humboldt, an Professor Schlözer, an Meyer, an den Bruder Philipp, Der Bruder ist in Italien — er kommt sofort. Von der Festung Königstein wird sie zunächst am 14. Juni nach Kronberg gebracht, und am 5. Juh ist sie frei. Philipp hatte sich direkt an den preußischen König Wilhelm II. gewandt, der ihm persönlich am 4. Juli antwortete.

  • »Wohlgelahrter, besonders lieber. Es ist ganz und gar nicht Mein Wille, daß schuldlose Personen das verdiente Schicksal der Verbrecher theilen sollen, die sich die Gefangenschaft auf dem Königstein zugezogen haben. Da Ich nun Eurer Versicherung, daß Eure daselbst befindliche Schwester, die Witwe des Bergmedikus Böhmer, nichts verschuldet habe, allen Glauben beylege, so habe ich dem Major von Lucadow befohlen, dieselbe, nebst ihrem Kinde, auf freyen Fuß zu stellen« (Caroline I: 702).

Wilhelm von Humboldt, der Gelehrte und Schriftsteller, den A. W. Schlegel aus der Göttinger Studienzeit kannte, schrieb an diesen nach Carolines Freilasssung:

  • »Ihre Freundin genießt ihre Freiheit wieder, und auf eine Art, die ihr zugleich die ehrenvollste ist. Gern hätte ich auch dazu mitgewirkt. Aber am Maynzischen Hofe war schlechterdings nichts fürs Erste zu thun, und der Weg, den der Bruder eingeschlagen hat, schien, ob er gleich am Ende geglückt ist (da alle Gefangenen allein vom Kurfürsten abhingen) so wenig zu versprechen, daß man ohne genaue Localkenntnisse ihn kaum zu versuchen wagen konnte...« (Caroline I: 701).

Caroline hatte noch von Kronberg, aus der Ferne, am 19. Juni 1793 den Untergang der ersten deutschen Republik Mainz erlebt, mit einem in der Geschichte der Feuerwaffen erstmaligen Dauerbombardement — als sollte die moderne Staatsform mit modernen Waffen ins absolutistische Zeitalter zurückgebombt werden! Der »Onkel« des Kindes, mit dem Caroline schwanger war, General d'Oyre, verteidigte mit 23 000 französischen Soldaten die Stadt gegen 43 000 Allierte. Mainz glich einem Feuermeer — der Dom und fast alle Kirchen brannten. Als am 22. Juni 1500 Mainzer, zum Großteil Frauen und Kinder, die Stadt verlassen, um sich zu retten, werden sie von preußischen Soldaten zurückgeschickt und müssen zwischen den Feuern, verpflegt von französischen Soldaten, im Freien leben und schlafen. Erst vier Wochen später kapituliert d'Oyre, nachdem sechstausend Franzosen gefallen sind. Die übrigen siebzehntausend erhalten freien Abzug unter der Bedingung, daß sie ein Jahr lang nicht gegen die Alliierten kämpfen. D'Oyres Bitte, die deutschen Demokraten mit abziehen zu lassen, wird zuerst vom preußischen General von Kalkreuth und später vom König Friedrich Wilhelm II. (der Caroline »freiließ«) kompromißlos abgelehnt. Hofmann und einige andere können entkommen. Die anderen sind der Wut der konservativen »Rückkehrer« preisgegeben.

  • »Acht Tage wüten Plünderung und Raub in Mainz, Opfer sind die Demokraten. Unter Mißhandlungen müssen Klubisten mit stumpfen Ästen den Freiheitsbaum fällen; man sperrt sie in ihre Wohnungen ein und vernagelt ihnen dann die Fenster; sie dürfen weder lesen oder schreiben noch musizieren, sie dürfen angespuckt werden, ja selbst ihre Kinder werden schwer mißhandelt. Ihre Frauen werden gezwungen, mit bloßen Händen die Abtritte zu reinigen« (Kleßmann: 120).

Am 30. Juni schrieb Caroline noch vom Bombardement aus Kronberg an Gotter:

  • »Diese Nacht habe ich den Wiederschein der Flammen von Mainz gesehen — ich habe keine Ruhe mehr — der Laut des Geschüzes macht hier die Fenster zittern, ob Mainz gleich 3 starke Meilen davon ist. O dies unaussprechliche Elend!« (Caroline I: 300).

Am 8. Juli 1793 schreibt Forster aus Paris an seine Frau:

  • »Mainz muß einem Schutthaufen ähnlich sehen. Die Liebfrauenkirche, der eine Domturm, die Schustergasse, die Judengasse, Bleichen, Tiermarkt abgebrannt! Unsere Reihe Häuser? Steht sie oder brennt sie?... Ich weiß es nicht... «

Man kann in Mainz nur Verzweiflung vermuten. Aber am 9. Juli, einen Tag nach Forsters Brief, wird beispielsweise in der allgemeinen Administration der republikanischen Stadt Mainz ein Gedicht von Friedrich Lehne vorgelegt und gebilligt, das man »nach der Melodie des Marseiller Lieds« singen soll:

»Gesang der belagerten freien Deutschen in Mainz
beim Bombardement der Stadt (1793)
Ha, sieh uns deiner Flammen spotten,
Du Drache der Despotenvut!
Spott deinen feilen Sklavenrotten,
Mordbrennersucht ist euer Mut!
Was soll uns dieser Kuglregen?
Nie wird der Freiheit Krieger feig,
Flammt auch der Abgrund ihm entgegen.
Gerecht ist unser Krieg!
Drum kämpfen wir ihn gern;
Weh euch! Der Sieg
Der Menschheit ist, Tyrannen, nicht mehr fern.
Werft ihr auch diese Mauer nieder,
Ihr stürzt doch unsre Freiheit nicht.
Wißt, daß der Bund der freien Brüder
Nur mit des Erdballs Achse bricht.
Es ist ein Gott, der läßt nicht brechen,
Was allgewaltig seine Hand
Mit Vaterhuld und Weisheit band.
Und bricht's die Hölle — wird er's rächen.
Gerecht ist unser Krieg...«    
(Träger: 598).

In seinen Annalen bemerkt der Demokrat August von Henning über die Städte Mainz, Speyer und Worms rückblickend 1799:

  • »Sollten diese großen und reichen Provinzen von Deutschland getrennt bleiben, so werden sie der Zufluchtsort der deutschen Gelehrten werden. Von dort aus werden die verscheuchten Musen mit Mut und Freiheit schreiben und lehren, und so wird Frankreich auch hier wieder auf uns Zurückgebliebene wirken. Da die Wissenschaften in manchen Gegenden verdächtig gemacht werden, so wird der Gedanke, daß sie auf diese Art vertrieben werden könnten, manchen gewiß nicht unangenehm sein« (Träger: 749).

Wie erschreckend aktuell so manche Rückblicke sich anhören!
Caroline ist im Juli 1793 zwar frei, aber so ehrenvoll, wie Humboldt meint, sind die Umstände nicht — es wird ihr geraten, sich auf jeden Fall unter fremdem Namen aufzuhalten. Aus Frankfurt schreibt sie am 13. Juli an Gotter:

  • »Mein Bruder fordert, daß ich in der nächsten Stunde gehe — ich muß also — ich darf Gotha nicht berühren... Sprecht nicht von mir — laßt niemand rathen, in welcher Gegend der Welt ich seyn könte, als Wilhelmine und Mutter Schläger — ja, nicht einmal, daß ich verborgen seyn will...« (Caroline I: 301).

August Wilhelm Schlegel, der sie — ohne daß Caroline ihn »erhörte« — seit Jahren verehrt, kommt aus Amsterdam (wo er gutbezahlter »Hofmeister« ist) und bringt Caroline und Auguste nach Leipzig in das Haus des befreundeten Verlegers Gustav Göschen. Göschen erfährt nicht, wen er bei sich aufnimmt, aber vermittelt sie freundlich weiter an einen unverheirateten Arzt, der ein guter Geburtshelfer sein soll. Göschen erklärt Caroline für seine Stiefschwester und sagt, die Verwandten müßten erst versöhnt werden, der Mann sei noch nicht imstande, eine Heirat zu erklären. Caroline schreibt Meyer nach Berlin, sie wollte später in Berlin wohnen, in der Anonymität einer Großstadt werde sie leichter untertauchen können. Sie schreibt ihm die ganze Wahrheit, nicht nur über die Schwangerschaft, sondern auch über die Selbstmordpläne im Falle einer vorzeitigen Entdeckung, denn für Auguste wäre es besser gewesen, ganz Waise zu sein als eine »entehrte Mutter« zu haben. Caroline hat die bürgerliche Doppelmoral in dieser Situation schärfer zu spüren bekommen als je wieder in ihrem Leben — vielleicht schärfte das ihren Blick, denn sie spürt sie später überall auf und benennt sie als Heuchelei, auch wenn sie sich unauffälliger bemerkbar macht. Und auch von Meyer im (nichterhaltenen) Antwortbrief scheint sie sie gespürt zuhaben, denn sie antwortet sehr verletzt (Meyer will sie nicht in Berlin haben).
Aber es findet eine Versöhnung statt, als Meyer sie Ende Oktober 1793 in Lucka besucht.
Ihr einziger ständiger Umgang in Lucka ist der einundzwanzigjährige Student Friedrich Schlegel, der sich sofort in die Dreißigjährige verliebt, aber seine Gefühle gewaltsam zurückhält, weil er sie von vornherein als zukünftige Frau seines Bruders August Wilhelm betrachtet (Caroline selbst betrachtet sich zunächst noch gar nicht so). Er fühlt sich als junger Beschützer der schwangeren Frau, schirmt sie von Neugierigen ab, unterhält sie und die Tochter Auguste. Durch die Schwägerin von Göschen erfahren Schillers Freunde Körner in Dresden, August Wilhelm habe eine »unbekannte Dame« nach Leipzig begleitet. Die Portraitmalerin Dora Stock, Körners Schwägerin, mutmaßt sofort, daß es sich um Caroline handelt. Und Caroline ist für Dora Stock mit Therese Forster assoziiert, die wiederum ihr ihren Verlobten Huber weggeschnappt und diesen bewegt hatte, sich zu entloben. Das verbindet sich für Dora Stock mit dem Gerücht, Caroline sei die Geliebte Forsters gewesen. Wie hartnäckig solche Gerüchte sich halten, sieht man daran, daß im neu überarbeiteten Namensverzeichnis des Buches von Ingeborg Drewitz über Bettina von Arnim Caroline als einst verheiratete Forster bezeichnet wird (Drewitz: 329). Für die Brüder Schlegel bedeutet dies: erfährt ihre in Dresden verheiratete Schwester Charlotte Ernst von den wirklichen Zusammenhängen, so wäre, wie Friedrich bemerkt, ein gänzlicher Bruch »die natürliche Folge«. Dieses Risiko nehmen beide Brüder auf sich. Carolines Einfluß auf Friedrich ist kaum zu überschätzen — auf sein Leben, seine geistige Entwicklung, seine Laufbahn als freier Schriftsteller, seine Auffassung von Kunst, Politik, von Frauen, von Geselligkeit. Beide waren in Lucka sehr glücklich, auch bei aller Verdrängung der Erotik auf Friedrichs Seite (von Caroline wissen wir nicht, ob sie Mühe hatte, sich nicht zu verlieben); für Caroline begann sozusagen ein neues Leben, nachdem sie sich geächtet, ja schon sterbend gesehen hatte. Das Kind wurde am 3. November 1793 unter sehr viel Schmerzen geboren, Friedrich war im Hof und hörte dort noch ihre verzweifelten Schreie während der langwierigen, schweren Geburt.
Einen Tag nach der Geburt, am 4. November 1793, schreibt Friedrich Schlegel an den Bruder August Wilhelm in Amsterdam:

  • »Ich komme so eben von einer Kindtaufe, wo ich Gevatter gestanden habe. Mein Pate ist der kleine Citoyen, Wilhelm Julius Cranz« (Behler: 29).

Und später schreibt er über sein Verhältnis zu Caroline:

  • »Mein Zutrauen zu ihr ist ganz unbedingt. Sie ist nicht mehr die Einzige, Unerforschliche, von der man nie aufhört zu lernen, sondern die Gute, die Beste, vor der ich mich meiner Fehler schäme« (zit. n. Kleßmann: 133).

Anfang Februar verläßt Caroline Lucka, Friedrichs und ihre Wege trennen sich — vorerst. Friedrich, der in Leipzig total verschuldet ist, will nach Dresden zur Schwester Charlotte Ernst gehen und »gründlich« arbeiten. Caroline geht zu Gotters nach Gotha — das Kind, das sie niemandem zeigen darf, gibt sie in Lucka zur Pflege. Am Tag ihrer Abreise von Lucka erreicht sie die Nachricht von Forsters Tod in Paris am 10. Januar 1794. Neununddreißig jährig starb Forster verarmt und völlig einsam nach einem schweren Gichtanfall. Seit Dezember 1793 war er schwer erkrankt an einer Brustfellentzündung. Am 22. Dezember hatte er an Therese geschrieben:

  • »Ich habe mich in diesen Tagen darauf ertappt, daß ich für mich allein geweint habe wie ein Kind, so tief war ich abgespannt und so unleidlich ist es, hier, außer dem Kreise derer, die man liebt, krank zu liegen und keine Erquickung, keine rechte Bequemlichkeit erhalten zu können« (zit. n. Mangold: 48). Die letzten Zeilen an Therese vom 4. Januar 1794: »Ich habe nun keine Kräfte mehr zum Schreiben. Lebt wohl. Hütet Euch vor Krankheit! Küßt mein Herzblättchen« (a.a.O.).

An Meyer schreibt Caroline am 20. Februar 1794 von Gotha:

  • »Bei Forsters Tod, den ich am letzten Tag meines gemeinsamen Aufenthalts erfuhr, war mir — als hätt ich ein Kind in den Schlaf gewiegt. Er hat mir wenig Wochen vor seinem Tod geschrieben — unter andern: ich habe den Schlag verziehn, der mich so schrecklich um allen Genuß bringt, daß er mir auch die Errinnerung an die Vergangenheit vergiftet — die lezten Worte waren: so mag denn des Leidens bis zur Auflösung kein Ende seyn« (Caroline I: 320).

Das ist noch nicht alles: Die einstigen Freunde verleugnen ihn noch nach dem Tod. Als Lichtenberg vom liberalen Hamburg aus aufgefordert wird, für die Zeitschrift »Minerva« einen Nachruf auf Forster zu schreiben, schreibt er ganz offen, daß er dies aus politischen Rücksichten nicht tun will:

  • »Ich habe... das... in Deutschland seltne Glück, unter einer Regierung zu leben, der ich die größte Verehrung schuldig bin. Ich verlange schlechterdings in politischer Rücksicht nicht anders zu leben, als ich jetzt lebe, und es kümmert mich wenig, wieviel von dieser glücklichen Lage auf Rechnung der Regierung oder meine eigene zu stehen kommt. Denn man muß nicht immer verlangen, daß jene alles tun soll, ohne erst auch von seiner Seite alles getan zu haben. Aufopferungen sind von beiden Seiten nötig. Einseitiges Bestehen auf sogenannten (!) Gerechtsamen befördert die gute Sache wahrlich nicht. — Sollte ich über Forster schreiben: so würde ich gerade in diesem Hauptartikel Mißverständnisse von einer oder der anderen Seite befürchten oder es gar mit beiden verderben. Wo ich so etwas voraussehe, da schweige ich lieber und halte es eben dadurch mit beiden« (zit. n. Kleßmann: 134 f.).

Dies schreibt kein deutscher Spießer, sondern einer der besten Aphorismenschreiber, der wegen seiner Schärfe, Klarsicht und seines schonungslosen Zynismus (auch über deutsche Zustände) berühmt ist! Der zudem Forster als »einen unserer ersten Schriftsteller« verehrt. Neben der Geschichte der äußeren ließe sich die noch traurige Geschichte der inneren Zensur in Deutschland schreiben — wofür kein Land geeigneter wäre als dieses, in Vergangenheit und Gegenwart.
Ich habe den Namen dieses großen Schriftstellers in meiner Schulzeit nicht gehört. Als ich meine Studenten danach fragte, wußten zwei von zwanzig, daß er mit Cook um die Welt gesegelt war. Von seiner Tätigkeit in Mainz wußten sie nichts, sie kannten auch seine Prosa nicht. Um so wichtiger ist auch heute noch der Aufsatz des frühen Friedrich Schlegel über Forster, den dieser wohl ohne die Begegnung mit Caroline nicht geschrieben hätte.
Das »herrschende politische Klima« bekam Caroline deutlich zu spüren, als nicht nur sie, sondern auch Gotters in Gotha gesellschaftlich geächtet wurden, solange sie bei ihnen wohnte (dabei wußte niemand etwas von dem unehelichen Kind — was wäre ihr sonst noch geschehen?).
Bei Gotters bleibt Caroline über ein Jahr, geschnitten von fast allen ehemaligen Bekannten außer der Mutter Schläger, bei der sie in der Kinderzeit in Pflege war. Bei ihr trifft sie den kriegsgefangenen General d'Oyre, den Onkel von Crance, dem Vater ihres in Lucka geborenen Sohnes. Sie ist von ihm begeistert wie in den Mainzer Tagen. Die meisten Briefe in dieser Zeit schreibt sie an den Freund Meyer. Sie enthalten immer wieder Überlegungen über die nahe Zukunft. Daß sie bei Gotters nicht ewig bleiben kann, ist ihr klar. Sie denkt auch vage noch an Berlin, aber konkreter an Dresden — bittet Meyer, bei Besuchen in Dresden vorzufühlen, wie dort die Stimmung für sie sei. Vielleicht sollte sie aufs Land ziehen, in die Nähe von Dresden. Jedenfalls will sie einen äußeren Rahmen schaffen, in dem sie ihren verborgenen Sohn aus Lucka holen und ihn bei sich haben kann; diese Gedanken bestimmen ihre Wahl:

  • »Ich denke an nichts als was für mich und die beyden Kinder am nüzlichsten ist — mich leitet kein anderes Intereße, und kein Mensch auf Erden«, schreibt sie am 10. Mai 1794. (Caroline I: 339).

Schließlich wagt sie eine Reise nach Göttingen zu ihrer Familie — daraufhin erhält sie von der Regierung Aufenthaltsverbot für diese Stadt.
Im August 1795 siedelt sie mit Auguste und ihrer Mutter nach Braunschweig um. Dort erfährt sie, daß ihr Sohn in Lucka am 30. April im Alter von 17 Monaten an den Frieseln gestorben ist — es ist das dritte Kind Carolines, das im Kleinkindalter stirbt. Und sie darf den Schmerz um den Tod des Kindes nicht einmal zeigen, nur schriftlich den wenigen Eingeweihten, wie Göschen, der inzwischen alles weiß und dem sie am 9. August 1795 schreibt:

  • »Das Gefühl, an meiner Glückseeligkeit, an meinem inneren Frieden selbst, durch den Tod eingebüßt zu haben, wird keine Zeit lindem, und wenn es weniger lebhaft in mir ist, so ist es nur die Gewöhnung an Schmerz und Verlust, welche es dämpft« (Caroline 1:365).

Aber die Anwesenheit August Wilhelm Schlegels in Braunschweig für einige Monate erleichtert ihr diese Trauer. Offensichtlich werden neben persönlichen und ästhetischen heftige politische Diskussionen geführt, bei denen Caroline ihn wohl von seinen konservativen Meinungen etwas abbringt, denn sie schreibt an seinen Bruder Friedrich:

  • »Auch denkt er etwas anders über meine Freunde, die Republikaner, und ist gar nicht mehr Aristokrat. Seine Partheylosigkeit über diesen Gegenstand ist ein Reiz mehr seiner Unterhaltung« (Caroline 1:366 f.).

Die Briefe aus Braunschweig (viele an die lebenslange Freundin Luise Gotter) sind sehr viel beschwingter als zuvor. Es geht Caroline sehr viel besser, in Begleitung von A.W. Schlegel betritt sie sozusagen wieder die literarische Kleinöffentlichkeit und ist nicht länger >Unperson<. Friedrich Schlegel, der ihr aus der Ferne mit Verehrung schreibt, nennt seinen >großen< Bruder »den liebenswürdigen Schulmeister« — er selbst wohnt bei der Schwester in Dresden »im Schooß Abrahams« (Caroline I: 374) und beklagt sich, als er nicht gleich Antwort auf einen Brief erhält:

  • »Ich dachte, ich wäre Ihnen zu rauh, und (Sie) hätten Sich entschlossen es bey einem Schlegel bewenden zulassen« (Caroline I: 372).

Friedrich phantasiert Caroline und August Wilhelm schon längst als festes Paar, aber Caroline, die für ihn Freundschaft, nicht jedoch Liebe empfindet, zögert vor dem Schritt in eine neue Bindung. Die Mutter drängt, die Brüder Schlegel drängen, und August Wilhelm macht ihr klar, daß er ihre Freiheit völlig respektieren wird: da willigt sie schließlich ein, auch Auguste zuliebe.

An Meyer, Mainz d. 29. Juli [17]92.

Mit herzlichem Verlangen hab ich auf ein Lebenszeichen von Ihnen gewartet, und bekomme einen ungeduldigen kleinen Zettel, aus dem ich mir nichts zu nehmen weiß, als was ich nicht gern will. Ich habe Ihnen gleich antworten wollen, und es geschieht erst heute. Trauen Sie dem Anschein von Vergeßenheit nicht — man muß keinem — gar keinem Anschein trauen, lieber Meyer. Ich habe sehr oft an Sie gedacht, mich viel um Sie bekümmert — was thut es, daß Sie es nicht wißen, und es Ihnen nicht hilft? Mir selbst ist doch die Theilnehmung werth, die ich für Sie habe. Helfen sich Menschen überhaupt noch, die sich bis auf einen gewißen Punkt isolirt haben, so ist es nur durch eine gute Stunde, die sie sich durch eine freundschaftliche Unterhaltung machen — und das Vergnügen ist in der Abwesenheit so unvollkommen. Darum schwieg ich wohl, wenn ich gern geschrieben hätte — allein immer schweigen ist auch Thorheit.
Ich könte Ihnen sagen — wir haben viel an Sie gedacht — Sie wißen vielleicht schon, daß Amalie hier war, und das waren recht sehr vergnügte Tage, von denen nur der lezte, durch den plözlichen Tod von Theresens jüngstem Kind, einem Jungen, getrübt wurde, und uns allen Thränen gekostet hat. Amalie wird für sich selbst reden — sie sagte mir, daß sies bald thun wollte — ich habe die liebe Frau diesmal mehr wie in Gotha gesehen, und mich ihrer gefreut. Die Zusammenkunft des Deutschen Reichs hat so auch für uns zum Fest werden müßen — ohnge-achtet es für unsem bürgerlichen Sinn eben keins seyn konte. Zuweilen dacht ich, Sie müßten bey der Ueberschwemmung von Fremden mit herbeyschwimmen — ich hätte Ihnen die Hand gereicht, und Sie heimlich in mein Haus geführt — aber ich habe nichts gesehen, das Ihnen ähnlich war. Wie Sie aussehn, errinre ich mich recht gut, so dick Sie auch geworden seyn mögen, wovon freylich viel verlautet. Ich werde hier auch stark, weil ich mich nicht ärgern und zanken darf, und zwischen dem 30 und 40sten-Jahr hoff ich zu dem Rang einer holländischen Schönheit herangewachsen zu seyn. Ein Ingredienz von meinem Wohlseyn haben Sie mit diesem Geständniß — an häuslicher Ruhe fehlt mirs, in meinen einsamen kleinen Zimmern, mit meinem guten Mädchen, nicht. An mütterlichen Freuden auch nicht, denn sie verspricht ein liebes Geschöpf zu werden, das ich durch meine Behandlung gewiß nicht um seine Glückseeligkeit bringe. Man kan sich keine arglosere, neidlosere, fröhlichere Seele denken. Jedermann hat sie lieb — Therese zieht sie oft ihrer Kleinen vor, die durch Kränklichkeit verstimmt und schlaff geworden ist — Förstern nennt sie Väterchen — und er nimt sich ihrer recht väterlich an. Sie wird unter so viel beßern Eindrücken auferzogen, als es bisher in meiner Gewalt stand ihr zu geben — bey mir lernt sie, wie man sich allein beschäftigen, und wie viel man entbehren kan - und dort ist sie im Schooß einer Familie, und lernt Achtung gegen Menschen — Achtung gegen Männer fühlen. Es wird ihr bey den glücklichen Anlagen also nicht an weiblichen Tugenden fehlen — und um ihrentwillen allein könte mich der Entschluß hierher zu gehn schon nicht gereun. Meine Mutterpflicht war mein Leitfaden, seit meine Kinder keinen Vater mehr hatten — wenn dies Band riße, so würd ich einen ganz andern Weg gehn — ich müßte viele andere wieder anknüpfen, wozu ich bisher die Lust nicht hatte — und wohl auch die Fähigkeit bald verlieren könte — Gott gebe, daß es nicht reißt. — Wie es mir weiter geht? — Von dem vorigen Ungemach ist jede Spur verschwunden, sogar die Errinnerung — ich weiß kaum mehr, daß es so wunderliche verdrehte Menschen gab, als ich vorzüglich in meiner lezten Situation kennen gelernt habe. — Die, die ich jezt sehe, sind gut, in mehr wie gewöhnlichem Grade, gewähren meinem Kopf mehr Nahrung als — er bedarf — oder eigentlich mehr als er ihnen wieder geben kan, und erleichtern meine Lage durch alle Dienstleistungen der Freundschaft. Sie genießen ihr Leben, in dieser schönen Gegend — sie arbeiten und gehn spazieren und ich theile das alles mit ihnen. Jeden Abend bin ich dort um Thee mit ihnen zu trinken, die interreßantesten Zeitungen zu lesen, die seit Anbeginn der Welt erschienen sind — raisonniren zu hören, selbst ein bischen zu schwazen — Fremde zu sehn u.s.w. Außer Forsters hab ich gar keinen Umgang. — Darinn hab ich vielleicht unrecht — aber ich mag keinen andern. F. ist mein Freund, wie Sie mirs voraussagten — ich erkenne alle seine Schwächen, und kan die nicht von mir werfen, ihm gut zu seyn — ich thue alles, was ihm Freude machen kan. Im Anfang drückte es mich, mich theilen zu sollen, zwischen der Neigung für ihn und meinem Gefühl für Therese, aber, nachdem ich klar eingesehen habe, daß alles grade so seyn muß, wie es ist, und nicht anders seyn kan, vereinige ich es recht gut, und bin gegen keinen mehr ungerecht. Zwar gegen Th. würde ich es nie seyn — ob ich gleich noch immer behaupte, daß sie mich nicht liebt — mich deucht, darinn hat sie unrecht. — Sie kan es in mehreren Dingen haben — aber Sie, mein bester Freund, haben doch auch nicht recht, und es ist vieles anders, als Sie es sich vorstellen. Ich habe nicht den Eifer Sie bekehren zu wollen, aber die Genugthuung bin ich ihr schuldig, zu sagen, daß ich es nicht so finde, wie Sie mich fürchten ließen — und ich schreibe nicht in den ersten vier Wochen. Mag die Welt sprechen! Kan das Meyern ein Beweis seyn, der gewiß schon der Fälle mehr erlebt hat, wo sie nie den rechten Fleck traf. — Theresens Gesundheit ist sehr gut — Forster seine würde es auch seyn, wenn er nicht so viel arbeiten müste — und mehr arbeiten könte. Ich habe mit ihm mehreremal von Ihnen gesprochen — wie ich denke — selbst darüber, wo ich Sie absolviren sollte — er ist ohngefähr meiner Meinung. Amalie, er und ich haben bey Tisch wieder unsers Wanderers Gesundheit getrunken. — Sehn Sie — Sie sind nicht vergeßen, und möge das Ihr hartes Herz erweichen.
Voß hat Forster geschrieben, daß Sie in Berlin sehr gute Connektionen haben durch Itzig, der mit Bischofswerder verbunden ist. Wie komt es denn, daß nichts glückt — mein stolzer Herr, Sie machen wohl keine Versuche — Sie ärgern wohl die Leute — und betrüben so Ihre Freunde, die nichts sehnlicher wünschen, als ein Joch über Ihren Nacken zu sehn, weil doch wahrlich ohne solch ein Joch noch weniger Gedeihn auf der Erde ist — wenn man nicht die Kunst des glücklichen Selims versteht, jedes Sümmchen und die Summe zu verdoppeln. Sie sind sorgenlos? — Können Sie es denn seyn — dann meinetwegen! Sind Sie vielleicht zu ehrlich zu gottlos — für die jezigen Zeitläufte — apropos wer hat die Predigt in der Berliner Monatsschrift gemacht? Die war recht gut.
Ihre Uebersezung ist mir noch nicht vorgekommen — so viel ich auch lese. Sie wißen nicht, warum Sie Ihre Gedichte herausgeben? Ich denke, das Publikum wird so wenig fragen warum? wie ich gesonnen bin es zu thun, denn ich werde eine recht hübsche Ursache dafür finden.
Der 2te Theil von Forsters Ansichten ist beßer wie der erste — wandelt nicht so sehr auf Cothumen — und unterrichtet. Mitunter schreibt er doch allerliebste Dinge.
Mir thät es auch Noth zu übersezen ums tägliche Brod — aber es ist noch nicht so weit gediehn, troz einiger Versuche. Sie glauben nicht, mit welcher Geduld ich alle solche fehlgeschlagne Plane ertrage, und fest auf die göttliche Vorsehung traue. — Alles schlägt mir fehl. — Wenn der Nebucadnezar nicht wäre, so könt ich jezt recht glücklich seyn. Sie sollen sehn, ich werde es niemals werden. Ist das nun wohl meine Schuld? Und dennoch zürnt meine milde Seele nicht mit dem Schicksaal — und trachtet nur darnach, sich auch das härteste zu versüßen. Es ist doch nicht zu läugnen, daß mir vieles fehlt — und wenn ich es tief im Herzen fühle, klag ich mich wohl am Ende darüber an. Nichts verzeih ich mir weniger als nicht froh zu seyn — auch kan der Augenblick niemals kommen, wo ich nicht eine Freude, die sich mir darbietet, herzlich genießen sollte. Das ist mir natürlich — das wird immer meine Unruhe dämpfen, meine Wünsche zum Schweigen bringen — und wenn es auch lange noch keine Gleichmüthigkeit wird, so kan ich doch nie unterliegen. Ich habe mich nun einmal so fest überzeugt, daß aller Mangel, alle Unruhe aus uns selbst entspringen — wenn Du nicht haben kanst was Du wünschest, so schaff Dir etwas anders — und wenn Du das nicht kanst, so klage nicht — nicht aus Dehmuth, aus Stolz ersticke alle Klage. Die Moral hab ich mir nicht der Strenge wegen erfunden, ich konte aber nie mit einer andern fertig werden. Vom Geschick hab ich nichts gefordert, und bin ihm noch nichts schuldig geworden, als was es nicht versagen konte. Laßen Sie mich davon abbrechen.
Unser väterliches Haus in Göttingen ist verkauft, und ich habe dort nun keine Heymath mehr — mags auch nicht wiedersehn. Lotte hat mir eben einen Brief voll Glückseligkeit geschrieben — Gott gebe, daß sie dauert — ich verzweifle nicht ganz daran. Meine Mutter ist mit ihrer jüngsten Tochter auf eine Zeitlang nach Hamburg und Lüneburg gegangen — mein jüngster Bruder ist auf Reisen.
Der arme Bürger schreibt mir zuweilen und hat doch wieder so viel Kräfte gewonnen, eine Arbeit zu vollenden, die er längst unternommen hatte — die Uebersezung von Popens Eloise. Er schickte mirs durch Wächter (Veit Weber) und wolte strenge Critik, die ihm geworden ist — Eloise war ein paarmal Bürger geworden. Veit Weber kante Sie — ich sah ihn nur kurze Zeit. Um Boutterweks Infamien wußte ich wohl — es giebt keinen jämmerlichem Menschen. Ich habe Louisen von ihm errettet, mit der er sein Spiel einfädeln wollte — seine Briefe waren wie aus einem schlechten Roman von einem Studenten. Er haßt mich bitterlich, und versichert den Leuten, daß ich meiner Schwester eine herrliche Parthie an ihm verdorben habe. Sie brauchen ihn nur gesehn zu haben, um zu wißen, ob das wahr ist.
Jezt sind Sie wohl mit deutscher Litteratur wieder vollkommen vertraut? Es giebt einen August Lafontaine, der deutsche Erzählungen schreibt, wie wir sie noch nicht haben — er ist Feldprediger, sagt man, und jezt in unsrer Nähe — Gott schüz ihn! — im Fall die Franzosen sich wehren, worüber man hohe Wetten eingeht. Göthens Groß-Cophta ist im Schlafe gemacht — sein Genius hat wenigstens nicht Wache dabey gehalten.
Daß der gute Herder so krank und jezt in Spaa ist, wißen Sie doch? Sie werden wohl alles wißen, da Sie alle Welt kennen.
Lieber Meyer — ich bitte Sie, schreiben Sie mir gleich. Sie müßens thun, weil ich so lange gewartet — wolten Sie eben so lange warten, so würde die Lücke zu groß. — Schreiben Sie unter Forsters Adreße, so geht der Brief frei — oder unter einer diplomatischen, als an Legatsecretär Huber, oder Legats. Müller, denn der kleine Ludwig Müller ist solch Ding geworden, und kam ein paar Tage nach mir an. Im Fall Sie einmal hier durchgehn, steht hier meine unmittelbare Adreße — im Reidtischen Hause in der Welschen Nonnen Gaße. Wenn ich die Freude hätte, daß Sie Gebrauch davon machten! Sagen Sie mir, ob ich gar nicht drauf rechnen kan.
Lauers aus Gotha waren auch hier — alle die Leutchen gingen nach Coblenz mit Forster — Therese blieb des Kindes wegen, das sie stillte, zurück. Den Tag nach Forsters Zurückkunft starb es.
Leben Sie wohl. Tatter grüßt Sie, das weiß ich gewiß. Ich wünsche Ihnen tausend Gutes — das weiß ich noch gewißer.
CB.

An Meyer, M[ainz] d. 27. Oct. [17]92.

Wenn Sie etwa glauben, daß man nicht mit Sicherheit hieher schreiben kan, so irren Sie sich — es sey denn, daß in Berlin ein Brief nach Mainz jezt für high treason gerechnet würde. Mir wird die Zeit lang zu wißen, wie Ihr gerechter Zorn wieder in Sanftmuth übergegangen ist. Ich hoffe, so leicht wie wir in Feindes Hand — wenn wir unsre höflichen wackren Gäste anders Feinde nennen können. — Welch ein Wechsel seit 8 Tagen — General Custine wohnt im Schloß des Churfürsten von Mainz — in seinem Prachtsaal versammelt sich der Deutsche Jacobiner-Club — die National-Cocarden wimmeln auf den Gaßen. — Die fremden Töne, die der Freiheit fluchten, stimmen vivre libre ou mourir an. Hätte ich nur Geduld zu schreiben und Sie zu lesen, so könt ich Ihnen viel erzählen. — Wir haben über 10 000 Mann in der Stadt, und es herrscht Stille und Ordnung. Die Adlichen sind alle geflohn — der Bürger wird aufs äußerste geschont — das ist Politik, aber wenn die Leute des gueux et des miserables wären, wie man sie gern dafür geben wolte — wenn nicht strenge Disciplin statt fand — wenn nicht der stolze Geist ihrer Sache sie beseelte und sie Grosmuth lehrte, so würds unmöglich seyn, so alle Ausschweifungen, alle Insulten zu vermeiden. Die Leute sehn sehr delabrirt aus, weil sie lang im Feld lagen, aber arm sind sie nicht, und Mann und Pferd wohl genährt. Der Zustand der combinirten Armeen hingegen — Göthe, der den Ausdruck nicht zu übertreiben pflegt, schreibt seiner Mutter — keine Zunge und keine Feder kan die traurige Verfaßung der Armee schildern — und ein preusischer Offizier sagt: la Situation imposante de leurs armees, et la deplorable de la notre. — Custinens Schritte sind so berechnet — er findet nirgends Wiederstand — hat nichts zu fürchten — ne vous fies pas a vos armees monrantes, sagte er bey den Unterhandlungen. Frankreich ist geräumt, Longwy und Verdun zurückgegeben — die Belagerung von Lille aufgehoben — Montesquion und Custines ohne Blutvergießen siegreich — und was mich mehr wie alles freut, die Marrats in der Nationalversammlung nach Verdienst gebrandmarkt. Ich glaube jezt dort — hier kan man sich des Spotts nicht erwehren — man macht Projekte — man haranguirt — gestikulirt nach den 4 Weltgegenden hin — will das Volk aufklären. Ein Werkzeug ist mein Schwager George Böhmer, der seine Profeßur in Worms aufgegeben hat, und so was von Secretair bey Custine ist. Mir sank das Herz, wie ich den Menschen sah — oh weh — wolt und könt Ihr den brauchen? aber wen kan man nicht brauchen? Die sich bey solchen Gelegenheiten vordrängen, sind nie die besten. — Ich kan Ihnen Forsters Betragen nicht genug rühmen — noch ist er bey keinem der Institute — er macht seinen bisherigen Gesinnungen Ehre, und wird vielleicht mit der Zeit den Ausschlag zu ihrem Vortheil geben. Der Mittelstand wünscht freilich das Joch abzuschütteln — dem Bürger ist nicht wohl, wenn ers nicht auf dem Nacken fühlt. Wie weit hat er noch bis zu dem Grad von Kentniß und Selbstgefühl des geringsten Sansculotte draußen im Lager. Der Erwerb stockt eine Weile, und das ist ihm alles — er regrettirt die sogenannten Herrschaften, so viel darunter sind, die in Concnrs stehn und die Handwerker unbezahlt ließen. Aber nur eine Stimme ist über den Priester — er sieht gewiß sein schönes Mainz nicht wieder, wenn es auch, wies wahrlich sehr zweifelhaft ist, seine Thore dem Nachfolger öffnete.
Custine bevestigt sich, und schwört den Schlüßel zu Deutschland nicht aus den Händen zu laßen, wenn ihn kein Friede zwingt. Kaum 4 Monat sinds, wie sich das Concert des puissances versammelte um Frankreichs Untergang zu beschließen hier — wo nun auf dem Comödien-zettel steht: mit Erlaubniß des Bürgers Custine.
Ich hab eine Hausgenoßin, lieber M., seit 8 Tagen — eine Landsmännin — die Forkel. Man hat sie mir nicht aufgedrungen — ich habe selbst die erste Idee gehabt. Sie wißen vielleicht, daß sie unter Protektion des Forsterschen Hauses steht. Ich kante sie beynah gar nicht — hab aber keinen Haß gegen Sünder, und keine Furcht für mich. Was sagen Sie dazu? Sie hat sich hier immer gut aufgeführt — hat sie je ganz ein solches Urtheil verdient wie in Bürgers Brief stand? — Und doch ist mir kaum daran gelegen das zu wißen — das kan mir ja einerley seyn — aber haben Sie sie außer Liebeshändeln falsch und intriguant gefunden? Das könte mich inkommodiren — denn ich weiß nicht, ob meine schlichte und ununternehmende Ehrlichkeit hinreicht, da Spize zu bieten. Die Frau gefällt mir bis jezt — ich bin gut mit ihr — da man das seyn kan, ohne sich hinzugeben, so seh ich nicht, warum ich damit nicht den Anfang machen sollte. Sie kennen sie, und können mir mehr Licht geben.
Adieu, lieber Meyer. Schreiben Sie doch bald. Wie gefallen Ihnen Forsters Erinnerungen? Reichard hat einen Revolutions-Allmanach geschrieben, der künftig Jahr nicht zu brauchen seyn wird.

An Meyer, [Mainz] 17. Dec. [17]92.

Daß Sie krank wären, fürchtete ich und sah es — Sie hätten sich sonst menschlicher bewiesen. Warum brechen Sie auch ein Bein — warum verderben Sie den Magen, wenn niemand in Ihrer Nähe ist, der Sie warten kan, der Ihre physischen Uebel linderte, und Ihren moralischen Gebrechen den Dolch aus den Händen wände, deßen Spitze sie gegen sich selbst zukehren. Das ist recht unsinnig schön gesagt, o sieh meine erhabnen Worte nicht an, mein Thun war drum nicht geringer. Zweifeln Sie, daß ich für Sie sorgen können möchte und treu sorgen würde? — Ich kenne Sie nicht genug? — Das kan seyn, aber wenn ich mich sehr irre, so ist das nicht zu Ihrem Vortheil. Wir wollen uns mit Wohlwollen und Achtung begnügen? — Meinetwegen, wenn ich sie nach meiner Weise empfinden darf — und ich biete Ihnen Troz, daß die Ihrigen nicht ein herabgestimmter Ausdruck seyn sollten, wie sie tausendmal ein heraufgeschrobner seyn mögen. Verstehn Sie das? Ich bin wohl heute nicht sehr deutlich — das wäre dann nicht Kraft des Beyspiels, sondern ein Vermächrniß — wie Sie am Ende dieses Briefs einsehn werden. Sie sind versöhnt, aber meine Etourderie* (* Unbesonnenheit) wirkt doch nach. Meyer, ich will mich dehmüthigen, will meinen Kopf nicht verläumden, allein es ist wahr, daß ich Etourderien begehn kan, die wie Dummheiten aussehn. Mein Verbrechen gegen Sie ist von der Art. Wenn mir dann die Augen aufgegangen sind, begreif ich mich nicht mehr. Sollte man denn das einem Weibe nicht aus vollem Herzen verzeihn können? — Weiß ich, was Bajocco Romano für ein Ding ist? Vom Bettler Cabre hab ich einmal gehört und bey einem andern Meyer davon gelesen sogar — (so! den Meyem dank ich also meine Bettlerbekantschaften!). Hab ich seine Sinngedichte wirklich gelesen? Und kan ich immer unterscheiden, was Witz und reizlose Spaße sind? Bruder, vergieb mir. Wer kan sagen, wie bald mein Haupt eine Kugel triff! Es würde Dich dann gereuen. Wenigstens bitt ich zum letztenmal — ich kan es nicht leiden, über Verdienst belohnt oder gestraft zu werden. — »Nach dem Frieden sprechen wir uns wieder«, heist das, ich soll Ihnen nicht schreiben, so lange wir en etat de guerre sind? So gehorch ich nicht — ich will schreiben — so wie ichs einrichte, können Sie keinen Nachtheil davon haben — und haben also Vortheil davon. Daß Sie uns en horreur haben, kont ich vermuthen. Wer giebt aber Dir Pillgrim im Jammerthale das Recht zu spotten? Sie sind unter jedem
Himmelsstrich frey, unter keinem glücklich. Allein können Sie im Ernst darüber lachen, wenn der arme Bauer, der drey Tage von vieren für seine Herrschaften den Schweiß seines Angesichts vergießt, und es am Abend mit Unwillen trocknet, fühlt, ihm könte, ihm solte beßer seyn? Von diesem einfachen Gesichtspunkt gehn wir aus; der führt auf Abwege — Sie dürfen deswegen aber nicht glauben, daß wir toll sind und andre Propheten hörten, als die wir immer gehört haben, worunter W[edekind] und B[öhmer] nicht gehören.
Therese ist nicht mehr hier. Sie ist mit den zwey Kindern nach Strasburg gegangen — warum — das fragen Sie mich nicht. Menschlichem Ansehn nach, ist es der falscheste Schritt, den sie je gethan hat, und der erste Schritt, den ich ohne Rückhalt misbillige. Sie, die über jeden Flüchtling mit Heftigkeit geschimpft hat, die sich für die Sache mit Feuereifer interreßirte, geht in einem Augenblick, wo jede Sicherheitsmaasregel Eindruck macht, und die jämmerliche Unentschiedenheit der Menge vermehrt — wo sie ihn mit Geschäften überhäuft zurückläßt — obendrein beladen mit der Sorge für die Wirtschaft — zwey Haushaltungen ihn bestreiten läßt, zu der Zeit, wo alle Besoldungen zurückgehalten werden. Das fällt in die Augen. Er wollte auch nicht — ich weiß weder, welche geheime Gründe sie hat, noch welche sie ihm geltend machte — sie hats aber durchgesezt. Ich müßte mich sehr irren, wenn nicht diesmal weniger verzeihliche Antriebe als leidenschaftliche sie bestimmten, vielleicht die Begierde nach Wechsel, und eine Rolle dort zu spielen, wie sies hier nicht konte. Viele vermuthen Trennungsplane — Sie und ich gewiß nicht. Würde sie so gerecht seyn? — Sie hören mich zum erstenmal so sprechen — weil ich zum erstenmal so denke — aber dies hat mich auch aufgebracht. Der Ausgang mag auch nicht zu ihrem Nachtheil ausschlagen — das kan mein Urtheil nicht ändern. Eine Entschuldigung hat sie — die Infamien zu Frankfurt hatten ihre Imagination erschüttert — aber das hätte eine andre Wendung genommen, wenn es nicht ihrer Neigung gemäß gewesen war ihr diese zu geben. Er ist der wunderbarste Mann — ich hab nie jemanden so geliebt, so bewundert und dann wieder so gering geschäzt. Er ging seinen politischen Weg durchaus allein und that wohl daran — Ihr Geist ist nicht für die Sphäre, mehr thätig als würkend darinn. Er geht mit dem Adel — einer Intelligenz — einer Bescheidenheit — einer Uneigennüzigkeit — war es nur das! aber im Hinterhalt lauscht Schwäche, Bedürfniß ihres Beyfalls, elende Unterdrückung gerechter Forderungen — auffahrendes Durch-sezen geringeres. Er lebt von Attentionen und schmachtet nach Liebe, und kan diesen ewigen Kampf ertragen — und hat nicht die Stärke sich loszureißen, die man auch da, wo man Superiorität anerkennt, haben müßte, wenn es uns mit uns selbst entzweite. Ich heiße [?]* (*hasse?) Egoismus — aber entweder muß man in Einfalt des Herzens Vollkommenheit anbeten — oder die Festigkeit haben sich nie geringer zu achten, als selbst das, was wir über uns erkennen. Dieses Mannes unglückliche Empfänglichkeit, und ihr ungrosmüthiger Eigennuz verdammen ihn zu ewiger Qual. Ich habe wohl gedacht, ob man ihm die Augen öfnen könte — es versteht sich, daß ich nicht mittelbar noch unmittelbar dazu beitragen darf und werde — ich habe gefunden, man würde seine Liebe tödten können, aber seine Anhänglichkeit nicht. Spricht ihm das nicht sein Urtheil? Sie beschäftigt, sie amüsirt ihn
das kan ihm kein Wesen ersezen — darum ist sie einzig
sie reizt seine Eitelkeit, weil er sieht, daß sie auch andre beschäftigt, und daher nie erfährt, wie nachtheilig die Urtheile sind, die selbst diese von ihr fällen. Wer sie nicht mag, flieht sie — ein neuer Triumph! So hält sie ihn — geht hin, und nuzt seinen Nahmen, und führt ihn mit Stolz. Das ist nicht billig — ach und doch verdient ers. Guter Forster, geh und klag die Götter an.
Ich bleibe hier — man gewöhnt sich an alles, auch an die tägliche Aussicht einer Belagerung. Schreiben Sie mir durch Gotha — Sie könnens ja mit aller Sicherheit. Ich muß wißen, ob Sie gesund sind.

An Luise Gotter, Mainz d. 24. Jan. [17]93.

Liebe gute Louise — was seyn soll, schickt sich wohl! Halt mir nur ein gutes Gänsebein bereit. Du hast Dich schon freundlich zu dem erboten, warum ich Dich bitten wollte, mich in den ersten Tagen aufzunehmen, bis ich mich arrangirt habe — etwas das ich lieber selbst thun will, weil ich gefunden habe, daß man andern Mühe damit erspaart, und es sich am besten zu Dank macht. Also, bestes Weib — noch einmal unter Dein Dach — wann, weiß ich noch nicht genau. Ich erwarte erst Nachricht aus Frankfurt, ob Huber mich nach Sachsen mitnehmen kan. Dein Mann ist dort — wird er noch lange bleiben? Ich hätte Lust ihm zu schreiben, daß er mich von Mannheim abholen soll, aber er wird wohl seine Reisegesellschaft nicht verlaßen dürfen. Sag ihm zu seiner Beruhigung daß ich den Mund nicht öfnen werde über Politika, sobald ich über die freye Gränze bin. Auguste, die leichtsinnige, die immer rosenfarbne Bilder von den Dingen, die da kommen sollen, vor sich her flattern läßt, und mit der Gegenwart beständig zufrieden ist, schreit vive la nation und erkundigt sich dazwischen nach Deinem kleinen Mädchen. Adieu, Liebe. Grüß Wilhelminen.

An Gotter, [Königstein] 16 May [1793].

...Muß ich nicht sogar fürchten, daß gehäßige Gerüchte meine hülfreichen Freunde von mir abwenden? daß sie an meinem Charakter irre werden, den wüthende Menschen, die nie mich persönlich kannten, darstellen, wie es ihr Gesichtskreis mit sich bringt?
Gotter, Sie wißen die Wahrheit — die Geschichte meines Aufenthalts in Mainz liegt vor Ihnen — so ist sie! Könt Ihr, die Ihr in jenem Zirkel mich liebtet, zweifeln — ich werde kein Wort weiter zu meiner Vertheidigung reden als dieses — könt Ihr zweifeln — nun so mag denn das die Hälfte des Tropfens seyn, von dem der Becher überfließt. —
Ich sagte Ihnen in dem kurzen Blatt, wie dringend meine nahe Rettung für mich sey — Sie werden gethan haben, was Sie konten. Ich versuche selbst alles, denn Mut und Thätigkeit soll mir nichts rauben.
Kent niemand in Gotha Pauli, den Leibarzt des Churfürsten? Er gilt viel. Sollte nicht an ihn zu kommen seyn? Wenn er in Erfurt ist, so sprächen Sie wohl einmal selbst. Es geht nicht, daß ich ihm so abgebrochen schreibe, allein ich wünschte, einen Weg zu ihm zu haben. Er ist Wedekinds Feind — aber wie könt er der meinige seyn? Solte Grimm oder Sulzer ihn kennen? — Leben Sie wohl
— ich umarme mit schwererem Herzen wie jemals meine Louise.
Vielleicht erhalt ich noch etwas von Ihnen.
Abends, es ist nichts gekommen.

An Gotter, [Königstein] 16 May [1793].

Vorgestern kam Ihr Brief und die Einlage von Humbold — der sich doch des hofmännischen Tons nicht enthalten kan — vielleicht weil er glaubte, sein Schreiben käme nicht ungesehn zu mir. Sie sehn, daß der Trost gering ist, den er giebt — und meine Lage wird täglicher unleidlicher.
Die wahre Beschaffenheit der Dinge begreift Ihr alle nicht, wies scheint. Hier ist nur von willkührlichen Verfahren, von falschen Gerüchten die Rede. Geißel soll ich seyn darum: Mainzer Bürger sind als Geißeln nach Strasburg geführt — man sucht sie frey zu machen, ehe Mainz übergeht, um nicht da etwa Verbrecher entwischen laßen zu müßen. Man will die Weiber schrecken, denen man genaue Verbindungen, wenn auch nicht avouirte, mit Französischen Bürgern zutraut. Mich soll Forster erlösen.
— Das kan F. nicht, und ich werds nie von ihm fordern — denn wir stehn nicht in diesem Verhältnis.
Nachher wird man auf Chicanen zurückkommen — das nimt Zeit weg — und indeßen schmacht ich hier, in der nahen Abhängigkeit elender Menschen, denen jede Gefälligkeit mit Geld abgekauft werden muß. — Wir haben unsem braven Commendanten verlohren, und auf der Stelle die Wirkung davon empfunden.
Ich hoffe dennoch jezt auf eine günstige Wendung und nahe Befreyung. Hofflich zu viel — so ists auch gut.
Es versteht sich, daß ich in keinem Verhör fremde Dinge einmischen werde noch eingemischt habe. Glauben Sie mir, wir benehmen uns männlicher, wie unglückliche Weiber gewöhnlich thun. Meine Ideen über dies ganze Wesen sind ziemlich klar. — Könt ich nur ein zarteres Gefühl in mir betäuben, und über die Entweihung meines Nahmens hinweg gehn! Hätt ich die Rolle gespielt, die man mir schuld giebt, so würd ich dazu vermuthlich Stirn genug haben.
Ich habe eine große Begierde Meyers Schriften zu lesen — könte Ettinger sie nicht frey nach Frankfurt spediren, an Varrentrap[p] und We[n]ner nehmlich Ihr Exemplar — ich wills Ihnen wieder bringen! Ich weiß nicht, wie ich sie soll aus Frankfurt bekommen, da ich den Titel nicht weiß, ihn auch im Meßkatalog nichts finde. Meyer wird mich seit diesem Abendtheuer detestiren — er hätte recht, wenn ich mirs zugezogen hätte. — Von Schillers Freund hab ich Briefe und schrieb an ihn. Adieu, lieber Gotter und Louise.
(Nachschrift):
Lieber Gotter — sie sagen, man wolle mich auf Bedingungen frey geben, das ist also vermuthlich Caution, eine hübsche Freyheit hab ich da zu erwarten — jezt an eisernen, dann an goldnen Ketten. Noch weiß ich nichts officielles.
Expediren Sie doch die Briefe. Man muß nun in Frankreich um mein Schicksaal wißen — im Moniteur steht ja, qu'on amene à la forteresse de K. la veuve Böh. amie du Citoyen Forster. — Das ist tröstlich, ich bin seine Freundinn, aber nicht im französischen Sinn des Worts.

An Gotter, Kronenberg d. 15ten [-16.] Jun. [17]93.

Dies ist späte Antwort, aber es ist eine — Seit 3 Wochen hab ich das Bett wenig verlaßen können, denn der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Ihr habt mir derweile erzkomisch gedünkt — Louise bildet sich ein, wenn ihr Herzogthum alle seine Canonen abfeuert, so kam es doch wohl einer Mainzer salve gleich, und Sie fertigen mich Gefangne, Bedrängte, Gemishandelte mit einer Galanterie ab! Schöne Werke des Geistes und der Hände! Ja Memoriale, Suppliken und Strümpfe und Hemder für mein Kind! Gehen Sie hin, lieber Gotter, und sehn Sie den schrecklichen Aufenthalt, den ich gestern verlaßen habe — athmen Sie die schneidende Luft ein, die dort herscht — laßen Sie sich von den, durch die schädlichsten Dünste verpesteten Zugwind durchwehn — sehn Sie die traurigen Gestalten, die Stundenweis in das Freye getrieben werden, um das Ungeziefer abzuschütteln, vor dem Sie dann Mühe haben sich selbst zu hüten — denken Sie sich in einem Zimmer mit 7 andern Menschen, ohne einen Augenblick von Ruhe und Stille, und genöthigt, sich stündlich mit der Reinigung deßen, was Sie umgiebt, zu beschäftigen, damit Sie im Staube nicht vergehn — und dann ein Herz voll der tiefsten Indignation gegen die gepriesne Gerechtigkeit, die mit jeden Tage durch die Klagen Unglücklicher vermehrt wird, welche ohne Untersuchung dort schmachten, wie sie von ohngefähr aufgegriffen wurden — muß ich nicht über Euch lachen? Sie scheinen den Aufenthalt in Königstein für einen kühlen Sommertraum zu nehmen, und ich habe Tage da gelebt, wo die Schrecken und Angst und Beschwerden eines einzigen hinreichen würden, ein lebhaftes Gemüth zur Raserey zu bringen. Und doch war das Ungemach der Gegenwart nichts gegen die übrigen Folgen meines barbarischen Verhaftes.
Meine Gesundheit ist sehr geschwächt — aber wahrlich die innere Heiterkeit meiner Seele so wenig, daß ich heute den Muth habe mich in einem eignen Zimmer, wo es hölzerne Bänke), und an einem Ort, wo ich keine Gefangenwärter und Wache mehr zu sehn brauche, glücklich zu fühlen, so heftig mein Kopf schmerzt und ein unaufhörlicher Husten, der ganz anhaltend geworden ist, mich plagt.
Sie werden vielleicht schon erfahren haben, daß der Churfürst (auf sehr dringende Vorstellungen hin, die ihr Gewicht haben konten) uns die Wahl zwischen zwey kleinen Städtchen ließ, um dort Orts Arrest ohne Bewachung zu haben. Wir wählten dieses Städtchen, das nur eine Stunde von Königstein und 2 von Frankfurt liegt.
Der Gesichtspunkt, uns als Geißeln zu behandeln, ist fest gefaßt, und von persönlicher Schuld nicht die Rede. Wir haben uns endlich an unsre Regierung gewandt und ihren Schutz begehrt, auch an den König von Preußen. — Diese bedingte Freyheit kan mir nicht genügen — ich muß vom Schauplaz abtreten können. Ist diese Erleichterung, die das wenigste ist, was man thun konte, wenn Königstein nicht mein Grab werden sollte, Befreyung? Wer giebt mir Ersaz für diese schrecklichen Monate, für öffentliche Beschimpfungen, die ich nie verdienen konte, für den Verlust meiner liebsten Hofnungen? — Sie sprechen von Formalitäten, die sezen Anklage, Verthei-digimg, Untersuchung voraus — wo fand dergleichen Statt? Räuberformalitäten übt man an uns — und Sie thun nicht wohl im deutschen Eifer einer Nation ausschließend das Räuberhandwerk zuzueignen. Mir müssen Sie es wenigstens nicht sagen, die ich 160 Gefangne sah, welche durch deutsche Hände gingen, geplündert, bis auf den Tod geprügelt worden waren, ohne ohngeachtet die wenigsten von ihnen den Franken wirklich angehangen hatten, jezt der deutschen Grosmuth fluchen musten. Königstein bildet eifrige Freyheitssöhne — alles, was sich noch von Kraft in diesen Armen regt, lehnt sich gegen dies Verfahren auf. Ich kan es begreifen, daß man scharf straft, aber daß ganz Unschuldige ohne alles Verhör so lange jammern müßen, da die Mainzer Regierung M. nicht wieder einzunehmen, sondern Muße genug für die Uebung der Gerechtigkeit hat — das ist unverantwortlich und sehr unpolitisch.
Verzeihen Sie meine Lebhaftigkeit um so eher, lieber G., da sie Eurer Freundschaft kein unwillkomner Beweis seyn muß, daß die Härte des Schicksaals mich nicht in den Staub gedrückt hat.
Ich höre von dem guten Forsch gar nichts mehr — unter uns, ich glaube, er wird ein bischen wild seit ihrem Tode. Das thut mir sehr leid.
Wenn man mir schreiben will, so bitt ich eine Adreße an Hrn. Franz Wenner, in der Varrentrapp und Wennerschen Buchhandlung, zu machen — offne Briefe sind forthin eine unnöthige Bemühung.
Ich umarme Louise und Wilhelmine — seyd ja nicht bös auf mich, liebe Leute — ich lache die Großen aus, und verachte sie, wenn ich tief vor ihnen supplicire, aber ich bin wahrhaftig nur eine gute Frau, und keine Heldin. Ein Stück meines Lebens gab ich jezt darum, wenn ich nicht auf immer, wenigstens in Deutschland, aus der weiblichen Sphäre der Unbekantheit gerißen wäre...

An Friedrich Schlegel, [Lucka, Ende August 1793].

...Sie fühlen, welch ein Freund mir Wilhelm war. Alles, was ich ihm jemals geben konnte, hat er mir jezt freywillig, uneigennützig, anspruchslos vergolten, durch mehr als hülfreichen Beystand. Es hat mich mit mir ausgesöhnt, daß ich ihn mein nennen konte, ohne daß eine blinde unwiederstehliche Empfindung ihn an mich gefeßelt hielt. — Sollte es zu viel seyn, einen Mann nach seinem Betragen gegen ein Weib beurtheilen zu wollen, so scheint mir doch Wilhelm in dem, was er mir war, alles umfaßt zu haben, was man männlich und zugleich kindlich, vorurtheilslos, edel und liebenswerth heißen kan...

An Friedrich Schlegel, [Lucka] den Uten October [1793].

Das köstliche Wetter hat mich gestern herausgelockt, und ich bin bis an die Bemdorfer Mühle gegangen — aber dafür muß ich heute im eigentlichsten Verstände kriechen; es würde selbst Ihr Mitleid zum Lachen bringen. Sonst ist alles ganz gut. Schreiben Sie denn wirklich postäglich? Sie sind die Gewißenhaftigkeit selbst — Wilhelm wird sich zulezt nichts mehr aus Ihren Nachrichten machen, die Bulletins bey Seit legen, und in der nächsten Minute so wenig davon wissen, ob wohl oder übel darin gestanden hat, als wenn von einer alten schwindsüchtigen Hofdame die Rede wäre. Seyn Sie doch ein wenig cokett, mit dem, was Sie ihm angedeihen lassen — in meiner Seele. Denn das glauben Sie nur, wir cokettiren mit Leben und Sterben...

An Friedrich Schlegel, [Lucka] den 13ten October Abends.

Wohin denken Sie, daß ich Ihnen medicinisch berichten soll? Das könnte doch nur unter der Bedingung geschehen, daß Sie es nicht läsen. Hier ist aber ein Resume meiner Gesundheit — es ist nicht schlimmer damit, wie sonst in ähnlichen Fällen. Wenn ich schlafen kann, so möcht ich es eher beßer nennen, und so glücklich bin ich jezt die meiste Zeit... Eßen muß ich sehr wenig, und nur eine halbe Vierthel-Stunde lang gehn, wenn ich nicht groß Ungemach haben will. Es läßt sich gar nichts voraussehn — viele Übel könen jezt ruhen, und kommen nachher in Aufruhr — wir werden das erfahren in — etwa so viel Zeit, als der Teufel brauchte, Christus zu versuchen. Jezt leid ich an geschwollenen Zahnfleisch und Blattern an der Zunge. Das mögen wohl Zeichen himlischer Verdamniß seyn...

Therese Forster an Caroline, [Neuchâtel] den 25 Febr. 1794.

Dein Brief vom 28 December, glaub ich, ist uns erst am 21 Febr. in die Hände gekommen; wir begreifen diesen Aufschub nicht. Jezt wirst Du wißen, wie traurig und unverhoft sich unser Schicksal verändert, wie schrecklich der Tod Bande zerrißen hat, die zu knüpfen so manchen fürchterlichen Kampf, so manches bittere Opfer gekostet haben. Er ruht nun im Grabe der gute, unglückliche Mann dieses Gemisch der edelsten Eigenschaften, deren Uebermaß ihn zu Fehlem verleiteten, die sein Leben vergifteten. Er hat nie meine Liebe beseßen, nie meine Sinne, aber von unsrer Verbindung an meine wehmütige Zärtlichkeit, eine bange Sorgfalt. Sein Glück war zu meiner Ruhe nothwendig, — er war nie glücklich, und ich kannte nie Ruhe und Frieden. Ich hätte mich, und meine Liebe für Huber, seinen Glücke aufgeopfert, aber meine Liebe vertilgen konnte ich nicht — so kam der Augenblick der Erklärung — das ist nicht deutlich hätte Forster als vernünftiger älterer Mann, als Ehemann und Freund mir gerathen und befohlen Huber nie mehr zu sehen, mich entfernt — ich hätte mich nie wiedersezt — aber zu edelmüthig dazu, zu wenig fühlend, daß ich ihn nie lieben konnte, wiedersezte er sich diesen einzigen Mittel, er wollte mein Gefühl modifizieren, und sezte mich allen Gefahren aus — Er war zu edel und zu schwach — O er war unsäglich elend, und ich war — Was ich fühlte diesen Mann oft haßen zu müßen, ihn immer zu betrügen, ihn der immer der erste Gegenstand meiner zärtlichen Sorge und Zärtlichkeit war. Ich habe nie beten können, seit ich dencken lernte, aber in der Lebensangst meiner, leider bey verlezter Pflicht, alles überflügelnder Liebe, und den nie ablaßenden Wunsch ihm wohlzuthun hab ich oft aus Unsinn gebetet, er möchte mein Bruder sein — Wie ich heyrathete, war ich unschuldiger als ein Kind. Ich ward erst vier Wochen nach meiner Hochzeit Frau, weil die Natur uns nicht zu Mann und Frau bestimmt hatte. Ich weinte in seinen Armen und fluchte der Natur, die diese Qual zur Wollust geschaffen hatte — endlich gewöhnte ich mich daran — in Polen machte ich ihn glücklich, aber Liebe genügte ihm nicht, obschon er dort glauben mußte, ich liebte ihn, den meine Briefe an Meyer, die er sah, störten ihn nicht, so schwärmerisch sie waren. Nun kamen wir zurück, und er wurde elend, den nun sah er, ich hatte ihn nie geliebt. Damals bot ich ihn an, bat, flehte mich von Meyer zu trennen. Er wollte nicht, er wollte, ich sollte ihn lieben und Meyers Freundinn sein — Meyer hätte mich unbedingt besizen können, aber diesen Räthselhaften Menschen mochte nichts daran liegen, er wollte mich verderben, er gab mir elende Bücher zu lesen, er suchte mein Gefühl zu zernichten — und verließ uns. Forster hatte damals meine Seele empört — er wußte, ich liebe einen Andern — er war der Vertraute meiner Unklugheit — er hätte mich einen stillen Lebensweg führen können und bestürmte mich mit Sinnlichkeit. Nun fiel ich in Verzweiflung. Ich war allen Gefühl abgestorben, und verfolgte jede Spur desselben mit fanatischer Bitterkeit. Nur Forsters Wohlstand, sein Hauswesen war meine Absicht — ihn mußte ich immer, immer gut sein — er war mir theuer und Werth in jeder Rücksicht, wo ich nicht sein Weib war, aber wo ich seine Sinne berührte, mußte ich mit den Zähnen knirschen. Ich sah mich endlich vor eine Hündinn an, die das Männchen niederwirft — ich sah es wie die Erniedrigung der Menschheit an — ich hatte einen Grad menschen-haßender, alles Gefühl verabscheuender Bitterkeit, die seinen guten Herzen wohl meistens entging. Nun fingen wir uns zu lieben an. Huber und ich — den eh Forster nach England ging, hatten wir nie in irgend einen Verhältniß gestanden — der Zufall entdekte unsern Herzen, wie nahe sie waren, und Forsters häusliche Ruhe war dahin. Er wird Dir ja wohl viel erzählt haben — Er war unendlich edel, gut, menschlich — aber vor den Unglück, was ihn traf, konnte ihn nichts hüten — Lieben konnte ich ihn nicht, und lieben — nun zum erstenmal aus Herz und Sinnen und Verstand — lieben muste das liebevollste Herz, daß jezt nicht mit dem Ungestüm erster Jugend, aber der unabänderlichen Innigkeit eines ge;-bildeten Gefühles liebte. Was er gelitten hat, weis ich — mein blutendes Herz hat es mir drey Jahre gesagt — mein Leben nahte sich dem Grabe vor Schmerz — mein George trank den Tod an meiner Brust, weil ich im Kummer lebte
Und wie konnte sich seine mißverstehende Güte zu den Schritte entschließen, den meine glühende Liebe nicht zu fordern vermochte. Hätte er mich von Ferdinand trennen wollen, ich hätte mich nie wiedersezt — ich habe es ihm dreymal angeboten, aber sein Herz war zu weich.
Im Nov. sahen wir ihn — wir wären nun glückhch gewesen. Wahrheit und Liebe vereinte uns. Er sah uns ihm mit den denkbarsten Vertraun entgegen kommen, er sah uns glücklich, vereint, liebend — kein Betrug, keine Lüge, aber der kindliche Wetteifer ihm wohlzuthun, ihm zu danken. Er wußte aus meinen Munde meine ganze Schuld. Könnte ich Dir seine Briefe seit den Entschluß zu unsrer Trennung zeigen! Wärst Du Zeuge unsres Beysammenseins gewesen — Wir hoften dieses Jahr nach Frankreich zu gehen und in seiner Nähe zu leben, — er fühlte sich beraubt, er fühlte ein großes Opfer gebracht zu haben, aber er fühlte sich belohnt. Zu aller Achtung für seinen Karakter, zu aller langgewohnten Zärtlichkeit, zu aller Wehmuth langbegangener Schuld, kam mun in meinen Herzen das kindlichste Vertraun, der innigste Dank. Sieh Du — Du wirst es verstehen — er war uns, was den Christen ihr Gott ist — wir mußten um seinetwillen fromm und glücklich sein, das durch ihn erkaufte Leben mußte uns heilig sein. O wahrlich, wahrlich, wir hätten ihn beglückt, und er starb.
In Deinem Brief ist manches unversöhnliche, das mein trübes Herz nicht versteht, aber in mir ist nichts, was mich abhält vor Dir, die Du Ihn kanntest, meinen unaussprechlichen Schmerz auszuschütten. Die Zeit wird ihn lindern — ich mache ihn mir nicht zur Pflicht, aber jezt ist die Scene seines einsamen Todes der Grund, auf dem jede Farbe der Gegenwart sich trübt, und die Zukunft umsonst ihren Pinsel ansezt — ich höre seine Stimme zum leztenmal seine Kinder rufen, sehe seine armen brechenden Augen keinen Freundesblick begegnen und sehe, wie er nun im Grabe nicht mehr leidet und kämpft. O gab es einen Weg von der Geisterwelt zu uns, er war ihn schon längst gegangen — er hätte seine Hand in der stillen Nacht schon oft auf meine verweinten Augen gelegt — ich kann mich nicht mehr freun. Ich freute mich auf sein Glück, und er ist todt. Und er war so gut! Und doch konnte er nie glücklich sein, und nie glücklich machen — aber viele frohe Stunden konnte er haben, und die hätte ich ihm gegeben und Ferdinand. Meine Einbildungskraft sieht ihn — in allen — allen.
Alles weint um ihn — Welch ein Schicksal war seines! Gute Nacht, Gute Nacht, du Müder — O Karoline, wie wenig wußte er, was Liebe war — ich liebte ihn so redlich — aber sein Weib konnte ich nie sein.
Ich habe da vieles gesagt, daß Dir nicht nuzt, aber Dir doch zeigen muß, daß Du mir nicht fremd bist, den ich gab Dir mein Heiligthum, meinen Jammer — die Zeit wird ihn lindern. Huber war ganz so edel wie bey allem, was er that. Voß in Berlin hat sich mit einer höchst überraschenden Großmut betragen, alle Schuldscheine sind vernichtet. Forsters sämtliche Werke sollen in der Folge herausgegeben werden, jezt sein Nachlaß, und wahrscheinlich so bald wie möglich seine Korrespondenz zum besten der Kinder. Ob die Nation etwas für diese thun wird, ist noch nicht entschieden. In Paris ließ der gute F. nur Schulden, so daß ich vielleicht nicht einmal seine Uhr zum Andenken rette. — Er starb an einen Schlagfluß, zu einer Zeit, wo er sich auf der Beßerung glaubte. — O diese Bilder!
Ende Aprils verheirathen wir uns und gehen nach Zürich — alle unsre Plane sind zerstört durch seinen Tod und ich kann keine neue machen. Woher alles Geld zur Reise, zur Einrichtung kommen soll, weis Gott — Ferdinands Kindersinn blikt froh in die Zukunft, ich hänge an seinen heitern Auge und fühle Kraft zu allen, und so lang ich in seiner Gegenwart bin, ist mirs gut, wir sehen uns aber täglich höchstens nur drey Stunden, da er nicht mit uns wohnt, und viel arbeitet und auch Leute sieht.
Ich habe unglaublich gearbeitet — Gottlob daß ichs kann.
Die Kinder sind gesund und ihres verlorenen Vaters, ihres Versorgers werth. Kläre ist sehr liebenswürdig und glücklich; Rose gleicht Ihm.
Karoline, wozu bestimmte uns beide das Schicksal? Seit 15 Jahren was erfuhren, erlitten wir?
Liese ist noch bey mir — sie ist mir und uns allen unendlich zugethan.
Du lebst und Dein Kind. Gott sey Dank. Anfangs schokirte mich Deine Gegenwart in Gotha, die mir Marianne schrieb, eh Dein Brief vom Dez. kam, ich war unzufrieden; Deine Gründe befriedigen mich völlig, überhaupt Dein ganzer Brief; daß mein unendlich zerfleischtes Herz Dich hart findet und Dir jezt nur mit einer kindlichen Weichheit antworten kann, wirst Du verstehen. Ich wünsche Dir Frieden, wo Du auch seist, und verlange nach Dir, obschon ich mich vor dem, was in Dir anders ist, mich fürchte. Ich wünsche mir nichts als ein stilles Leben unter Hubers Augen. Meine Jugend ist hin, meine Gesundheit wankt, meine Hoffnungen — liegen in seinen einsamen Grabe — ich lebe nur durch Liebe — der Wunsch ihm, dieses beste menschliche Wesen — denn etwas menschlich guteres wie Hubern kannt ich nichts; ihm zu leben ist alles — mein einzig heftiges Gefühl ist Frankreichs Freyheit — Menschen sind mir jezt fast nichts, — aber das führt zu weit —
Du wirst mir schreiben, wenn Dein Schicksal fortschreitet. Höre eine Bitte, die Dich nicht beleidigen muß, sie ist treu. Ich weis nicht, ob Du jezt nicht liebst, oder was Dir jezt Liebe ersezt, aber kommst Du mit Männern in Verhältniße, so hüte Dich, daß Du nicht gemißbraucht wirst und Dich hintansezest. Gieb Dich aus Liebe, aber nicht aus Ueberdruß, Spannung, Verzweiflung. — Kannst Du aber die Männer entbehren, so ist es gut für Dich, bis Du wieder eine Bahn gefunden hast. Tatter mußt Du verlernen — Schlegel konnte Dich retten, aber doch nicht führen kann er Dich? Die bloßen gesellschaftlichen Verhältnisse sind Dir gefährlichlich bitte, weil ich nicht weis, wo Du Dich schadloß halten sollst, und ich Deinen Frieden wünschte. Schreibe mir, wenn Du etwas vornimmst, oder Hubern, denn Du thust Dir vielleicht nicht wohl, wenn Du mir schreibst, und das will ich nicht.
Laß die Menschen treiben — auch Böhmern, wenn er loß kommen sollte — Du kannst Dich gegen ihren Gift nicht vertheidigen, sie rasen gegen Dich. — Hast Du über Deinen Aufenthalt in Königstein und die dahin gehörigen Begebenheiten etwas aufgeschrieben? sende es mir doch! ich möchte gern mehr davon wißen — Du bist nun frey, und wenn es Dir nicht zu viel Gram macht, so sag mir, wie Dus dort triebst.
Lebe wohl! Ich umarme Gustel — und den Knaben. Ich bitte Dich, wie ists möglich Gustel wegen Deiner Lage zu verständigen?
[Letzte Seite, ein Viertel beschrieben, abgerissen.]

An Meyer, Gotha d. 16ten März [17]94.

Armer Freund, ich las von Anfang an in Ihrem Brief, was am Ende stand; es war mir, als wenn ich Sie hier und da Wehe! schreyen hörte. Lesen Sie dies, wenn Sie keine Schmerzen haben, denn Sie werden sich andrer, als die das Podagra giebt, nicht dabey erwehren können. Wenigstens glaub ich es so — aber vielleicht frag ich auch da zu sehr mein Herz. So viel ist sicher, es giebt nichts unbequemers als Theil an mir zu nehmen — doch —

mag mich noch so sehr das Schicksaal
haßen, betest Du wohl seine Sprüche nach?

Kanst Du mir gränzenloses Unglück verzeihn? Sie haben eine viel zu sanguinische Vorstellung von meiner Lage, und kennen den hiesigen Boden ganz und gar nicht. Ich kante ihn auch nicht, sonst hätte ich mir diesen Aufenthalt, ob er gleich nicht ganz unfruchtbar ist — denn hätten mich meine Freunde nicht gesehn, so dachten sie mit der Zeit auch wohl von mir wie die Welt — aber ich hätte mir ihn doch erspart. Ich muß es durchaus für entschieden halten, daß sich nichts ändern kan. Mit welchem Gewebe von Abscheulichkeiten bin ich umstrickt gewesen — und die Schuld, die ich wirklich habe, dient dazu, Glauben an eine jede zu erwecken, die ich nie haben konte. Allein dies brauchte nicht einmal zu seyn, wie es ist — ich würde doch nichts über ein allgemeines und schon mehrmals hartnäckig befolgtes System gewinnen. Man hat hier von jeher ein strenges Richteramt geübt. Sie errinnem sich der Auguste Schneider — sie wurde gemieden, verdammt troz der sonst so geläufigen Politik, die sie hätte schonen sollen. Da sie tod war, hätte man sie gern aus ihrem stillen Grabe hervorgerufen, weil ihr Daseyn den Regenten menschlicher gemacht hatte. Es giebt noch mehrere Beyspiele dieser Art, wo aufs auffallendste die Tugend gerächt worden ist. Ich spreche nicht mit Bitterkeit, lieber M., mich däucht, ich hätte selbst gegen jene unbarmherzige Tugend kein Vorurtheil, obwohl Sie meinen, daß wir alle an Vorurtheilen hängen.
— Gegen mich haben sie alle ihre drohende Hand erhoben — was ich that, ist verdammenswerth vor jedermann — was ich nicht that und es vor mir seyn würde, das wird von mir geglaubt, weil die
unglücklichste Verkettung es wahrscheinlich macht. Dazu ists Politik, nichts Gutes von mir zu denken. Die Worte, die ich Ihnen sagte, und die ich in einen Ihrer Briefe wiederfinde — meine Existenz in Deutschland ist hin, ich bin einem gehäßigen Publikum schmälich überantwortet — die sind wahr — und beynah alles ist wahr geworden, was ich damals voraussah, als ich überlegte, ob es beßer sey zu sterben oder zu leben.
Daß ich lebe — ist mir lieb — denn Sie wißen, was mich bindet — Liebe und Güte können in meinem Herzen nicht sterben, also auch nicht die Freude. Nur unter bekante Menschen hätt ich nicht wieder gehn sollen — warum soll ich mich quälen laßen?...

An Friedrich Schlegel, [Braunschweig, August? 1795].
[Anfang fehlt]

... mit Klarheit und Wärme, ohne Heftigkeit und doch fortreißend zu reden. Darinn ist er [Wilhelm] verändert, daß er die französische Sprache den übrigen vorzieht, daß sie ihn fortreißt, und daß er allerliebste französische Briefe schreibt, die ich denn doch nicht mit den deutschen, die er mir geschrieben, eintauschen möchte. Auch denkt er etwas anders über meine Freunde, die Republikaner, und ist gar nicht mehr Aristokrat. Seine Partheylosigkeit über diesen Gegenstand ist ein Reiz mehr seiner Unterhaltung. Ach ich werde ihm noch Leidenschaftlosigkeit ablernen — und dann ist meine Erziehung vollendet.
Wahrlich, lieber Friz, ich werde zulezt wohl auf die Idee gerathen mich zu bilden und zu meistern, um alles was da geschieht ruhig mit ansehn zu können. Sie werden es kaum glauben, daß ich in diesem Betracht aus dem Aufsaz über den französischen Nationalcharakter Nuzanwendungen gezogen habe. Diesen Aufsaz, den Wilhelm unreif nennt, in welchen er Ursache und Wirkung mit einander verwechselt und die Thatsachen selbst nicht treu dargestellt findet. Mir fiel die Richtigkeit der Ansicht auf, daß Leidenschaft, aus welcher die höchste Kraft und Genuß hervorgehn, gemäßigt und abgeleitet werden muß, um Tugend und Glück zu erzeugen. Ist es nicht so, daß der wesentliche Unterschied zwischen Ihren alten Griechen und meinen Neufranken in dem Grade der Leidenschaft besteht? Geben Sie diesen etwas weniger heißes Blut, so müsten alle Völker der Erde sie beneiden und lieben. Woher komt es ihnen aber und wie sollen sie es vertilgen? Das Clima und seine Produkte bleiben dieselben — die Phantasie hat eine Richtung genommen, welche die Revolution noch nicht dadurch anders gelenkt hat, daß sie ihr andre Begriffe unterschob. Mir scheint sie mehr durch den Zufall verstimt zu seyn, der Gallien einem Eroberer unterwarf, als durch jeden sonstigen Einfluß. Früh legte ihnen dies ein Joch auf, das sie mit Glanz zu bekleiden...
[Schluß fehlt.]

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