Vorwort

Auch die Zauberflöte mag daran nichts ändern: "Mann und Weib, und Weib und Mann" sind, wie man es dreht und wendet, verschiedene Wesen. Allein in der Liebe finden sie zueinander, werden eins und "reichen an die Gottheit an". Der irdischmenschliche Alltag aber wirbelt sie auseinander, produziert Hierarchien und Fremdheit, zieht Trennlinien und Grenzen. Da baut der Mann an Tempeln der Weisheit, Vernunft und Natur, in denen "Klugheit und Arbeit und Künste" weilen. Zugleich bewährt er sich als Lenker und Erzieher des Weibes. Pamina erfährt es von Sarastro:

"Ein Mann muß eure Herzen leiten,
Denn ohne ihn pflegt jedes Weib
Aus ihrem Wirkungskreis zu schreiten."

Eindeutig überschritten hat Paminas Mutter diesen Wirkungskreis. Nach dem Tod ihres Gatten strebt sie, bar jeder männlichen Leitung, die Herrschaft an, blendet das Volk und predigt Aberglauben. Mit "Weibertücken" und "Weibersinn" sucht sie ihre Ziele durchzusetzen und schreckt dabei auch vor Mord nicht zurück. Ihrem Willen zur Macht opfert sie sogar die "Bande der Natur", indem sie die tugendhafte Tochter, die vor der krirninellen Energie der Mutter erschauert, erst verstößt und später mit einem ihr gefälligen "Mohren" verkuppelt. Die Königin der Nacht in ihrem "sternflammenden" Glanz sie ist das Gegenbild des bescheidenen und verläßlichen Weibes, das seinem angestammten Wirkungskreis treu bleibt und die Oberherrschaft des Mannes fraglos akzeptiert. Nur unter dieser Voraussetzung, das ist Mozarts und Schikaneders Botschaft, können Mann und Weib und Weib und Mann gedeihlich miteinanderleben.
Die Zauberflöte wurde 1791, zwei Jahre nach Beginn der Französischen Revolution, in Wien uraufgeführt. Sie paßte in die neue, die moderne Zeit in eine Zeit des Umbruchs, der raschen Veränderung, des Aufbruchs in die Zukunft. Diese Zukunft, das versprach auch Mozarts Oper, würde lichtvoll sein, aufgeklärt, human. Sie würde den Menschen um des Menschen willen achten und geburtsständische Unterschiede nicht mehr gelten lassen: "Bedenke: Er ist ein Prinz. - Mehr! Er ist ein Mensch!"
Andere Unterscheidungen jedoch, auch das machte die Zauberflöte deutlich, würden Bestand haben, allen voran die zwischen Mann und Weib. Auch das moderne Reich der "Geweihten", in dem Schönheit und Weisheit gepaart mit Stärke regierten, kannte getrennte "Wirkungskreise" der Geschlechter und hielt an der Dominanz des Männlichen fest. Es konstituierte sich, genaugenommen, als ausgesprochen männliches Projekt, in Abgrenzung und Abwehr gegen weibliche Herrschaftsansprüche. Nun war Mozarts Kunstreich - trotz aller zeithistorischen Anspielungen - gewiß nicht identisch mit der bürgerlichen Gesellschaft der Moderne, wie sie sich gegen Ende des 18.Jahrhunderts in West- und Mitteleuropa herauszubilden begann. Ebensowenig wie Sarastro Robespierre verkörperte (oder, wie in Harry Kupfers brillanter Berliner Inszenierung, Napoleon), gab es ein "realgeschichtliches" Vorbild für die Königin der Nacht. Auch die anderen Männer- und Frauenrollen sind nur begrenzt historischen Typen und Formationen zuzuordnen. Mozart nahm sich die künstlerische Freiheit, Konkretes und Erdachtes, Vorgefundenes und Erinnertes neu zu durchmischen. Dabei konnte er sich aber stets darauf verlassen, daß das Grundmuster - die Aufspaltung des Menschen in "Mann" und "Weib" und die vielfältigen Weisen ihrer Verknüpfung - von seinen Zuschauerinnen und Zuschauern verstanden wurde. Er arbeitete gewissermaßen mit einem anthropologischen Fundus, der ebensosehr alltagsweltlich präsent wie im kollektiven Menschheitsgedächtnis verankert war. In der Tat kann die Differenz der Geschlechter, die Unterscheidung zwischen männlich und weiblich, als fundamentale, ursprüngliche, ja geradezu archetypische soziale Unterscheidung überhaupt gelten. Man trifft sie in allen historischen und gegenwärtigen Gesellschaften an - allerdings in höchst unterschiedlichen Formen und Funktionen. [1] Biologisch grundiert, erfuhr und erfährt sie vielfältige kulturelle Ausdeutungen und Repräsentationen. Sie ist demnach hoch variabel. Weder das, was unterschieden werden soll, noch das, wonach unterschieden wird, steht ein für allemal fest. Auch die Schärfe, mit der Unterscheidungen durchgeführt werden, differiert erheblich. Sie hängt von zahlreichen Faktoren ab: vom Entwicklungsstand wirtschaftlicher Arbeitsteilung, von den Strukturen politischer Machtausübung, vom Grad gesellschaftlicher Verflechtung und - ganz entscheidend - von der Ausdifferenzierung eines kulturellen Systems, das Unterscheidungen legitimiert und interpretiert.
Im Mittelpunkt dieses Buches steht die Epoche, die ungefähr zu Mozarts Zeiten begann und bis weit ins 20. Jahrhundert hineinragte: die Moderne. Wie und nach welchen Maßstäben hat sie "Mann und Weib" voneinander unterschieden? Wer oder was galt als weiblich, wer oder was als männlich? Mit welchen Praktiken und Verfahren wurden Geschlechterdiff erenzen identifiziert und festgeschrieben? Wie wurden sie gelebt, akzeptiert, möglicherweise aber auch unterlaufen? Und welche Begründungen und Rechtfertigungen fand man dafür? Solche Fragen rücken eine historische Topographie der Geschlechter in den Blick, die sowohl in die empirische Praxis als auch in die Selbstreflexion und -beschreibung einer Gesellschaft eingelassen ist. Damit verfolgen sie eine geschlechtergeschichtliche Perspektive, eine Lesart der Geschichte, die um das "Geschlecht" als Kategorie gesellschaftlicher Ordnung, Differenzierung und Hierarchisierung kreist. Geschlechtergeschichte, seit Mitte der 1980er Jahre (zumindest anspruchshalber) präsent, unterscheidet sich von der klassischen Frauengeschichte durch ihren komplexeren und stärker theorieorientierten Ansatz. Ausgehend von dem Interesse, Frauen in der Geschichte sichtbar werden zu lassen, hat sich die Historische Frauenforschung bislang vorwiegend damit beschäftigt, offenkundige Lücken der >allgemeinen< Geschichtsschreibung aufzufüllen. So überfällig und unverzichtbar ihre Studien auch sind, fügen sie dem überlieferten >allgemeinen< Geschichtsbild letztlich doch nur die >Sonderform Frauen< hinzu. Sie lassen das Bild facettenreicher, vollständiger ausgemalt erscheinen, ergänzen es im Detail, ohne jedoch an seinen Konturen und Fluchtlinien viel zu ändern. Demgegenüber visiert die Geschlechtergeschichte ein von Grund auf revidiertes Gesamtbild an. Ihr geht es nicht in erster Linie darum, die vergessene Geschichte der Frauen als Sonderform eines >Allgemeinen< zu schreiben; vielmehr soll jenes >Allgemeine< selber dekonstruiert, auf seine Geschlechterspezifik untersucht und neu zusammengesetzt werden. [2]
Dahinter steht die Vermutung, daß die Geschlechterdifferenz ein zentrales Strukturprinzip von Gesellschaften darstellt - ein Prinzip, das nicht nur die Bereiche ökonomischer Produktion und sozialer Praxis gliedert, sondern auch politische und kulturelle Repräsentationssysteme durchwebt. Unter dieser Arbeitshypothese gibt es kein Feld historischen Handelns und Denkens, das unabhängig von der Unterscheidung "männlich/weiblich" funktioniert, oder in dem diese Unterscheidung keine - mal größere, mal kleinere - Rolle spielt. Damit aber erweitert sich der feministische Blick auf provozierende Weise: Er richtet sich auf die ganze Geschichte, nicht nur auf die der Frauen. Der Leitbegriff "Geschlecht" verspricht insoweit, eine neue Lesart der Geschichte zu erschließen, ein neues Koordinatensystem zu entwerfen, das bislang feststehende Orientierungspunkte verschiebt, eingeführte Ordnungsschemata verändert. Darin liegt die größte Herausforderung, die die Geschlechtergeschichte der Geschichtswissenschaft zu bieten hat. im Vergleich zur Frauengeschichte erhebt sie somit einen sehr viel radikaleren und weiter gehenden Anspruch. [3] Ansprüche müssen jedoch nicht nur formuliert, sondern auch eingelöst werden. Dieses Buch will dazu einen Beitrag leisten. Es stellt vier Beziehungs-Geschichten vor, die die Differenz der Geschlechter in Politik und Kultur der bürgerlichen Gesellschaft zum Thema haben. [4]
Die erste Geschichte handelt von Begriffen, Vorstellungen und Deutungen. Sie zeichnet die Hauptlinien der Unterscheidungssemantik nach, wie sie sich in Konversationslexika des 18., 19. und 20.Jahrhunderts abgebildet haben. Die Begriffe "Geschlecht", "Mann" und "Frau" bzw. "Weib" werden sowohl in ihrer jeweiligen Definition als auch in ihrer Bezüglichkeit untersucht, wobei besonders auf Verschiebungen und Veränderungen geachtet wird. Welche Unterschiede werden wann thematisiert? In welchen sozialen, religiösen, politischen Kontexten verortet man sie? Welche Begründungsstrateglen werden bemüht? Was bedeutet es, wenn Begründungen wechseln?
Die zweite Geschichte begibt sich in die klassische Arena der Politik - eine Arena, die im 19.Jahrhundert mehr als jemals zuvor nur Männern zugänglich war. Der Staat, hieß es allenthalben, sei ein rein männliches Wesen und müsse vor unheilvollem Welbereinfluß geschützt werden. Warum Frauen von politischer Partizipation ausgeschlossen wurden, mit welchen Argumenten man diesen Ausschluß rechtfertigte, welche Widerstände sich dagegen mobilisieren ließen, wird am Beispiel der Debatten um die Ausdehnung und Egalisierung des komrnunalen und staatlichen Wahlrechts rekonstruiert. Sie fixierten eine politische Topographie der Geschlechter, die das bürgerliche Zeitalter überdauerte und bis weit ins 20.Jahrhundert hinein gegenwärtig blieb.
In der dritten Geschichte geht es um die Beziehungen der Geschlechter im Bürgertum, jener sozialen Formation, die dem 19. Jahrhundert ihren Stempel aufdrückte. Das Bürgertum war, in der Geschechter-Sprache seiner Zeit, eine männliche Klasse, mit der sich Vorstellungen von Bewegung, Dynamik, Expansion verbanden. Arbeit, Leistung, Verdienst hießen seine Losungsworte - die allerdings nur für männliche Bürger galten. Frauen wies man andere Wertorientierungen zu - Ihr Zuständigkeitsbereich umfaßte neben Haushalt und Familie vor allem die Kultur und Ästhetik bürgerlicher Lebenspraxis. Angesichts dieser rigiden Arbeitsteilung stellt sich die Frage, ob bürgerliche Frauen überhaupt ein spezifisches Klassenbewußtsein entwickeln konnten. Anders ausgedrückt: Wie gestaltete sich das Verhältnis von Geschlechter- und Klassenidentität im deutschen Bürgertum des 19. Jahrhunderts? Autobiographische Texte können hier Auskunft geben, müssen allerdings wegen ihrer hohen Normativität und Topik vielfach gegen den Strich gelesen werden.
Die vierte Geschichte schließlich nimmt eine kulturelle Praxis in den Blick, in der sich die Differenz der Geschlechter besonders markant abbildete: den Code der Ehre. Wie sehr dort zwischen Männern und Frauen unterschieden wurde, zeigt sich bereits an der Sprache wenn zum Beispiel den "auf dem Feld der Ehre gefallenen" Männern hohe öffentliche Ehrungen zuteil wurden, während "gefallene" Frauen bzw. Mädchen ihren Fehltritt mit gesellschaftlicher Mißachtung bezahlen mußten. Diese Ehrdifferenz darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß männliche und weibliche Ehre eng aufeinander bezogen waren. Worin ihre Beziehung bestand, welche Oppositionen und Hierarchien sie enthielt, läßt sich am besten an Ehrkonflikten entschlüsseln. Hierzu liegt seit dem 18. Jahrhundert eine umfangreiche Quellenliteratur vor, die sowohl normative Texte als auch konkrete Fallschilderungen enthält.
Zusammen skizzieren alle vier Geschichten ein Bild der Moderne, in dem die Beziehungen der Geschlechter nicht nur farbige Tupfer setzen, sondern zentrale Fluchtpunkte markieren. Politik, Kultur und Gesellschaft [5] des 19. und frühen 20.Jahrhunderts sind ebensosehr von der Geschlechterdifferenz geprägt, wie sie ihrerseits dazu beitragen, jene Differenz zu begründen und zu verfestigen. Die Prinzipien und Verfahren dieser Differenzierung nachzuzeichnen, ihre Implikationen und Konsequenzen zu untersuchen, aber auch ihre Veränderungen aufzuzeigen ist das Ziel dieses Buches. [6]

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Vorwort