Schlußbemerkung

Mit verschärftem Blick wenden sich die Aufsätze in diesem Band den besonderen Lebens- und literarischen Schaffensbedingungen von Frauen zu sowie den Problemen des Gehörtwerdens. Verschärft, das heißt hier, Autorinnen lenken ihre Blicke intensiv auf Einzelfragen und schärfen dort Wahrnehmungsfähigkeit und Schlagkraft. Unterschiedliche Interessen, Berufsgruppen, Klassenzugehörigkeit, ethnische und geographische Herkunft prägen die Fragestellungen, entscheiden über Vorder- und Hintergründe der Wahrnehmung und über Scheuklappen. Die Aufsätze beschreiben neben den Leistungen auch Mängel und Lücken in der bisherigen feministischen Forschung zur Literatur wie im literarischen Schaffen feministischer Schriftstellerinnen. Und sie stellen Forderungen nach mehr Gerechtigkeit, weniger Ausgrenzungen — sowohl inner-feministisch als auch nach außen. Lösungswege werden in Form von Fragerichtungen anvisiert, vorzeitige Antworten gescheut: Aufbrüche, Angriffspunkte, Versuchsfelder — nie im wertfreien Raum, möglichst wenig verabsolutiert. Werden Ausgangspunkte deutlich ausgesprochen und mitreflektiert, um so besser für jene, die sich in den Diskussionsprozeß einschalten wollen.
Übertragungen auf eigene Fragestellungen und Standpunktebildungen, Zuordnungen auf der Privilegiertenskala werden durch die eigene persönliche oder wissenschaftliche Betroffenheit bestimmt. Beim Erkennen, wie diese Bereiche verflochten sind, mag dieser Band hilfreich sein. Wo sich Persönliches und Politisches, Theorie und Praxis treffen können — vielleicht auch sich verfehlen —, das zeigen die absichtlich sehr spezifisch gehaltenen Beiträge. Sie bezeugen, daß politisch verstandene Literaturkritik, die sich feministisch nennt, auf den verschiedenen Ebenen zwischen dem Intim-Privaten und dem Gesellschaftspolitischen ansetzen und gleichermaßen subversiv wirken und weibliche Erfahrungen bestätigen kann. Deutlich wird aber auch: Das Attribut »feministisch« beinhaltet keineswegs automatisch, daß engagiertes Schreiben und Handeln dem Wohlleben aller Frauen gilt, sondern unter Umständen nur der eigenen Gruppe. Dabei ist eine Konzentration auf die eigene Gruppe als Gegenstand der Betrachtungen nicht gleichbedeutend mit dem Vertreten ihrer Rechte oder Privilegien auf Kosten anderer. Dort, wo es gelingt, nicht für andere zu sprechen und diese nicht zu vereinnahmen, sondern sich als eine unter vielen zu begreifen, erfahren »die Anderen« die Chance, gehört zu werden. Nicht nur verschärfte Blicke, sondern auch gespitzte Ohren, bitte.
Sind wir schon an dem Punkt, an dem wir neue Theorien oder gar eine neue Theorie brauchen? Die Aufsätze in diesem Band bewegen sich, auch wenn die Autorinnen theoretisch versiert sind, größtenteils in einem vor- oder vielleicht besser zwi-schen-theoretischen Feld, in dem die Unzulänglichkeiten bisheriger Kategorien ebenso im Blick sind wie neue Kombinationsund Erweiterungsmöglichkeiten und bisher nicht berücksichtigte Erfahrungs-, Empfindungs-, Ausdruckswelten. Wir sind noch weit entfernt von einer »Welt der Differenz«, müssen noch lernen, vielfältige Phänomene ernstzunehmen und in die beschriebenen Beziehungsgefüge einzugliedern. Sowohl dort, wo wir urteilen, als auch dort, wo wir die Beurteilten sind.
Trinh T. Minh-ha, amerikanische Schriftstellerin, Filmemacherin und Komponistin asiatischer Herkunft, schlägt den Bogen zurück zu Barbara Smiths Beitrag am Anfang dieses Bandes, wenn sie 1987 die Problemlage beschreibt:
»Worte werden mit der Zeit hohl. Sterben und stehen wieder auf, jeweils mit neuen Bedeutungen angefüllt und immer mit Erinnerungen aus zweiter Hand belastet. Im Bemühen, etwas zu erzählen, wird eine Frau erzählt, zerreißt sich in undurchsichtige Worte, während ihre Stimme an der Wand des Schweigens verstummt. Schreiben: eine Verpflichtung an die Sprache... Sie ist vor dem Risiko gewarnt worden, das sie eingeht, wenn sie ihre Worte entgleisen läßt, ist immer aufs neue in Versuchung, sich den akzeptierten Normen anzupassen. Doch wohin hat sie der Gehorsam geführt? Bestenfalls zu den Befriedigungen einer gemachten Frau, mit der Fähigkeit, den Diskurs ebenso meisterhaft anzuwenden wie das machthabende männliche Establishment. /.../ Anderswo, in allen Ecken der Welt, gibt es Frauen, die trotz drohender Ablehnung resolut daran arbeiten, die institutionalisierte Sprache zu verlernen, während sie aufmerksam auf jeden Ausschlag der Kompaßnadel ihres Körpers lauschen. ,Das Überleben ist', wie Audre Lorde sagt, ,keine akademische Fertigkeit... es heißt unsere Unterschiede als Stärken nehmen zu lernen. Denn die Werkzeuge des Herrn werden niemals das Haus des Herrn niederreißen. Sie mögen uns zeitweilig erlauben, ihn bei seinem eigenen Spiel zu besiegen, aber sie werden uns nie befähigen, echte Veränderungen in Gang zu setzen.' Je mehr man/frau vom Haus des Herrn abhängt, desto weniger hört man/ frau, was er nicht hören will. Unterschiede sind für manche Ohren gar keine Unterschiede, sondern lästige Unbeholfenheit oder Unvollständigkeit. Aphasie. Unfähig oder nicht willens? Viele sind inzwischen so weit, daß sie diese Unähnlichkeiten tolerieren, und haben beschlossen, ihr Urteil offenzulassen, (nur dort) wo es um ,die Anderen' geht. Diese Haltung ist ein Schritt vorwärts; zumindest ist die Gefahr, für andere zu sprechen, ins Bewußtsein vorgedrungen. Aber das ist in der Tat ein kleiner Schritt, da er ihnen als Entschuldigung für ihre selbstgefällige Ignoranz und ihren Unwillen, sich in der Frage zu engagieren, dient. Ihr, die ihr die Entmenschlichung von Zwangsumsiedlungen, -Umerziehungen, -umdefinitionen kennt, die Demütigung darin, die eigene Stimme, die eigene Wirklichkeit verfälschen zu müssen — ihr wißt Bescheid. Und oft könnt ihr es nicht aussprechen. Ihr versucht beharrlich, es immer wieder zu ent-sagen, denn wenn ihr es nicht tut, werden sie unfehlbar zur Stelle sein, die Leerstellen für euch auszufüllen, und ihr werdet gesagt sein.«[1]

Texttyp

Epilog