Zurück nach Manderley - Liebesromane, weibliche Sexualität und Klasse*

(*Alison Light dankt Cora Kaplan für ihre Hilfe bei der Klärung vieler Gedanken und Sätze.)

Gestern nacht träumte ich, ich sei wieder in Manderley.
So beginnt Daphne du Mauriers Rebecca, veröffentlicht 1938. Mit 39 Auflagen und innerhalb von zwanzig Jahren in ebenso vielen Sprachen übersetzt, war und ist Rebecca ein Riesenerfolg. Hitchcock verfilmte den Roman 1940, die jüngste Fernsehfassung liegt nur wenige Jahre zurück und kürzlich ist das Buch Thema einer Oper gewesen. Während eine Studie über den Anfangserfolg behauptet: »Jeder gute Historiker sollte es im Tandem mit zeitgenössischen Zeitungen lesen« (Beauman, 1983), ist klar, daß Rebecca in den achtziger Jahren die Leser/innen ebenso sehr anspricht wie in den vierziger Jahren. Die Geschichte des einfachen, wohlerzogenen Waisenkindes — ihren Namen erfahren wir nie —, das den adligen Witwer heiratet, hat alles, was zu einer Liebesgeschichte gehört, und mehr: Eifersucht, Rätselhaftes, Ehebruch und Mord.
Eifersucht und Neid auf die erste Frau ihres Mannes — die schöne Rebecca vornehmer Herkunft — treiben die namenlose Heldin durch die dunklen Gänge der Vergangenheit Rebeccas. Doch das Entschlüsseln der Geheimnisse um Rebeccas Charakter handelt ihr mehr ein, als sie erwartet: Es stellt sich heraus, daß ihr Mann selbst Rebecca getötet hat. Trotzdem ist nicht alles verloren, denn die bürgerliche Tugend der Heldin triumphiert, und am Ende gelingt es ihr, Ehe und Ehemann zu retten. Rebecca ist eine Neufassung von Jane Eyre inmitten einer Welle der Nostalgie für den Untergang des britischen Imperiums und seiner Aristokratie. Es ist ein zögernder Abschied an die Welt von Monte Carlo und bezahlte Gesellschafterinnen, an opulente Frühstücksmahlzeiten und treue Diener, an die Leichtigkeit und Arroganz des Lebens in noblen Häusern wie Manderley, der Villa  in   Cornwall,  die  dem  glatten Gentleman und  Helden, Maximilian de Winter, eignet. Ganz offensichtlich ein mitreißender Schmöker. Aber was fangen, davon einmal abgesehen, Feministinnen und Sozialistinnen mit der anhaltenden Popularität und Zugkraft eines solchen Buches an?
In den Nachwehen der Geschichte von Charles und Di haben Liebesgeschichten und -romane eine Menge kritischer Aufmerksamkeit erhalten, und zwar von Groschenromanen über Schmonzetten bis hin zu den neuesten Konsumphantasien in exquisiten Hochglanzreihen (siehe z. B. Batsleer, 1981; Margolies, 1982; Harper, 1982). Im Mittelpunkt der Diskussion steht die Frage der möglichen politischen Auswirkungen des Lesens von Liebesgeschichten — mit anderen Worten: Was tun sie dir an? Im großen und ganzen sind Liebesgeschichten von linken Kritikern verurteilt worden (Janet Batsleers Artikel ist eine bemerkenswerte Ausnahme). Sie werden als Erzählungen betrachtet, die Zwang ausüben, stereotypisieren und die Leserin einladen, sich mit einer passiven Heldin zu identifizieren, die wahres Glück nur dort findet, wo sie sich einem gebieterischen Mann unterwerfen kann. Was mit Leserinnen vorgeht, wird anschließend mit bestimmten marxistischen Beschreibungen von der Lage aller menschlichen Subjekte im Kapitalismus verglichen.[1] So werden Liebesgeschichten zu einer gewissen unterdrückerischen Ideologie, deren Aufgabe es ist, Frauen in ihrer sozial und sexuell untergeordneten Stellung zu halten.
Die politische Gefahr dieses Ansatzes veranlaßt mich, an die Fragen der Wirkung von Liebesromanen ganz anders heranzugehen. David Margolies (1982) Aussagen sind zum Beispiel fragwürdig, wenn er behauptet, Leserinnen würden »ermutigt, sich in Gefühlen versinken zu lassen« und »zu fühlen, ohne die Struktur der Situation zu beachten«. »Der Liebesroman«, fährt er fort, »bietet Gelegenheit, eine frustrierte Gefühlswelt zu trainieren... in seiner Konzentration auf das Innenleben und seiner intensiven Subjektivität« ist er als Form des »gewohnheitsmäßigen Lesens zur Unterhaltung regressiv«. Eine solche Analyse gleitet in puritanischen linken, Leser/innen verunglimpfenden Moralismus ab. Wieder einmal behandelt er Frauen als Opfer und irrationale Sklavinnen ihrer Gefühle. Bei jeder Folgerung, die nahelegt, daß der große Kreis der Leserinnen von Liebesromanen (mit Ausnahme einiger pfiffiger Intellektuellen) entweder Masochistinnen oder von Natur aus dumm sind, müssen sich den Feministinnen die Haare sträuben. Text und Leser/innen sind komplizierter. Es ist denkbar, daß die Lektüre Barbara Cartlands aus der Leserin eine Feministin macht. Das Lesen ist niemals ein linearer Betrug, sondern ein Interaktionsprozeß, und nicht nur zwischen Text und Leserin, sondern zwischen Leserin und Leserin, Text und Text. Es ist ein Prozeß, der hilft, soziale Bedeutungen in Frage zu stellen oder zu bejahen, und daher dynamisch und für Veränderungen offen bleibt.[2]
Mit anderen Worten: Ich meine, daß wir kritische Diskussionen brauchen, die sich nicht davor fürchten, daß Literatur eine Quelle der Freude, der Leidenschaft und der Unterhaltung ist. Dies nicht, weil die Freude dann die Politik überflüssig machen kann, als sei sie ein Allheilmittel, das jenseits historischer und sozialer Beschränkungen existiert, sondern gerade weil Freude von Frauen und Männern innerhalb und trotz jener Beschränkungen erlebt wird. Wir müssen ein Verständnis von fiktionalen Texten als Re-Formulierung (wenn auch noch so vermittelt) sozialer Wirklichkeit sorgfältig verbinden mit einer genaueren Untersuchung der möglichen Funktionsweisen, die literarische Texte in unserem Leben als Phantasiekonstruktionen und -Interpretationen haben. Es ist dieses Ineinandergreifen von Freude, Phantasie und Sprache, das in der literarischen Kultur einen so wichtigen Ausdruck findet, und das macht sie so einmalig wichtig für Frauen. Subjektivität — die Art, wie wir unser Verständnis unserer Personen auszudrücken und zu definieren lernen — scheint somit zentrale Bedeutung in jeder Analyse der Lesevorgänge zu erlangen. Weit davon entfernt, im negativen Sinn des Wortes nach innen gerichtet, von den Realitäten des Staates oder des Marktes getrennt zu sein, kann die Subjektivität als der Ort erkannt werden, an dem die Operationen der Macht und die Möglichkeiten des Widerstands ebenfalls durchgespielt werden.
Eine neue Betonung der Phantasiedimensionen des literarischen Diskurses könnte also aufzeigen, wie Liebesromane, sowohl aufgrund ihrer widersprüchlichen Wirkungen als auch ihnen zum Trotz, ihrem Publikum als Frauen und weiblichen Lesern etwas Positives zu bieten haben. Zumindest muß sie zu verhindern wissen, daß unsere »Kulturpolitik« zur Bücherverbrennungsinstanz verkommt, zu einer Politik, die zum Scheitern verurteilt ist, weil sie sich weigert zu sehen, daß Frauen aller Klassen fähig sind, das eigene Leben zu bestimmen oder zu verändern.
Liebesromane handeln vor allem von den Zweifeln und Freuden der Heterosexualität, einer Institution, die Feministinnen von Anfang an als problematisch betrachtet haben. In der Auseinandersetzung mit diesem »Problem« erschien mir psychoanalytisches Denken besonders nützlich, weil es den Erwerb einer geschlechtsspezifischen Subjektivität als Prozeß behandelt, als Bewegung hin zu einem sozialen »Ich«, die — konfliktbefrachtet — nie ganz vollzogen wird. Außerdem nimmt die Psychoanalyse die Frage der Freude ernst, in ihrer Beziehung zum Geschlecht und in ihrem Verständnis fiktionaler Texte als Phantasien, als Erforschung und Erzeugung von Verlangen, das über das sozial Mögliche oder Wünschenswerte hinausgeht. Sie vermittelt uns Zugang zur Diskussion der populären Kultur, die die Fallen von Moralismus und Diktatur umgehen.
Ich will nun einige dieser Punkte durch eine genaue Lektüre von du Mauriers Rebecca beleuchten. Es ist ein Text, der mir ein klassisches Modell des Liebesromans zu bieten scheint, während er gleichzeitig viele seiner Vorgehensweisen bloßlegt. Hier ist es entscheidend, daß Rebecca, weil es sich auf Weiblichkeit konzentriert, wie sie durch Klassenunterschiede reguliert und artikuliert wird, die psychischen, sozialen und fiktiven Bedingungen für einen gelungenen bürgerlichen Liebesroman illustriert und untersucht.

Ein romantischer Thriller

Rebecca ist eine Erzählung in zwei Genres — Kriminal- und Liebesroman. Beide sind im letzten Jahrhundert von Frauen dominiert (Agatha Christie — »die Königin des Krimis« — hat interessanterweise unter dem Namen Mary Westmacott ebenfalls Liebesromane verfaßt). Die Liebesgeschichte des Mädchens und die Hochzeit in Windeseile nehmen jedoch nur etwa ein Achtel von Rebecca ein. Obwohl dies der chronologische Anfangspunkt der Geschichte des Mädchens ist — Handlung —, ist es weder der Anfangspunkt des Romans noch der eigentlichen Erzählung. Das Eröffnungskapitel und mit ihm eine Hälfte von Rebecca bilden chronologisch den Epilog der Geschichte, ein Epilog, in dem die Erzählerin/das Mädchen und ihr namenloser Ehemann sich im ausländischen Exil befinden, enterbt und heimatlos.[3] Der Roman im Ganzen und die Liebesgeschichte an sich sind ihrer Form nach ein Rückblick. Rebecca benutzt die konventionelle Liebesgeschichte als Grundlage und als Prolog. Der gesamte Rest der Handlung findet nach der Heirat statt, nach dem, was sonst traditionsgemäß in der Gattung den glücklichen Ausgang bildet.
Statt dessen dreht sich die Masse des Textes darum, wie das Mädchen dem Charakter Rebeccas und ihrem Tod nachspürt. Sind diese Rätsel gelöst, werden sie die merkwürdige Situation des Ehepaares im Exil, mit der die Geschichte beginnt, erklären und zum Ausgangspunkt zurückkehren. Durch diese strukturelle Bewegung von Verschiebung und Rückkehr, wie sie vom Mädchen erzählt wird, ist Rebecca in der Lage, die Gesetzmäßigkeiten und Bedingungen von Liebesgeschichten für Frauen, zugleich fiktional und sozial, zu untersuchen. Der Roman wird zu einem Thriller, der hinter der Bühne des romantischen Dramas spielt.
»Ich frage Sie, ob Sie mich heiraten wollen, Sie kleiner Dummkopf.« Dieser unwiderstehliche Heiratsantrag (54) bildet den Höhepunkt der Liebesgeschichte zwischen dem »linkischen Schulmädchen mit roten Ellbogen und wirrem Haar« (19) und dem Besitzer von Manderley, wie Maxim bei ihrer ersten Begegnung in Monte Carlo, im Speisesaal des Hotels, bezeichnet wird. Ihre Heirat allein — die allen Widrigkeiten zum Trotz zum Erstaunen aller zustande kommt — hätte ausgereicht, die Standardhandlung eines heutigen Romans von Berta Ruck oder Barbara Cartland zu füllen (Anderson, 1974). Doch beginnt das Mädchen sofort, diese Kategorie des Liebesromans zu hinterfragen: Sie ist beunruhigend und anheimelnd zugleich.

  • »Romantisch, das war das Wort... ja, natürlich, romantisch! Das war es, was die Leute sagen würden. Es war alles sehr plötzlich und romantisch...« (59)

Von hier wird sie weiter geführt, um ihren »Traum eines grünen ex-Schulmädchens« mit der reifen Liebesgeschichte zu vergleichen, die sich, so stellt sie sich vor, zwischen Maxim und Rebecca abgespielt hat. Was das Mädchen in bezug auf »Romanzen« unsicher macht, ist nicht nur ihre Jugend und ihr Mangel an sexueller Erfahrung, sondern ganz entscheidend die Art, wie sie aufgrund des Klassenunterschieds zwischen ihr und Maxim, ihr und Rebecca zum Ausdruck kommen. Von ihren schäbigen und uneleganten Kleidern, ihrem genauen Verdienst, ihrer biederen Mittelklassennettigkeit wird viel Aufhebens gemacht. Offensichtlich ist ihre Ehe nicht eine unter sozial Gleichgestellten. Maxim macht das in einem Vergleich deutlich, der demonstriert, wie Klasse sexuelles Verhalten und Erwartungen interpretiert und reguliert:

  • »Anstatt die Gesellschafterin von Mrs. Hooper zu bleiben, wirst du meine, und deine Pflichten werden fast genau die gleichen sein.« (55)

Es überrascht nicht, daß das Mädchen darüber zugleich erleichtert und zutiefst deprimiert ist. Ihre anfängliche Eifersucht auf Rebecca ist daher auf deren sichere soziale und sexuelle Stellung gerichtet, denn für Frauen muß das eine das andere definieren und absichern. Wo Rebecca »die Herrin von Manderley« war, ist das Mädchen »keine richtige Dame« (75). Und weit wichtiger: das Mädchen beginnt sich vorzustellen, daß Rebeccas adlige Herkunft ihr eine leidenschaftliche und gleichberechtigte Sexualität gestattete, die ihr durch ihr bürgerliches Weiblichkeitsideal, mit seiner Betonung auf Gemeinschaft und Pflicht, verbaut ist. Rebeccas Klassenunterschied läßt sie reifer erscheinen, erwachsener, im sozialen wie im sexuellen Sinne. Im Lauf des Romans idealisiert das Mädchen sie als Ausdruck aller möglichen Versionen weiblicher Sexualität, die ihr durch ihre Mittelklassezugehörigkeit versperrt sind. Rebecca sprengt das romantische Modell des Mädchens und führt sie hin zur Suche nach einer »erfolgreichen« Heirat, die auch ihr weibliches sexuelles Verlangen legitimiert. Damit das Mädchen eine gesicherte soziale Identität (einen Namen) als Maxims Frau finden kann, muß Rebeccas Unterschied neu interpretiert werden. Einst das Phantasieideal des Mädchens, muß sie zu ihrer alptraumhaften Feindin werden. Nicht mehr die vollkommene Frau, Gastgeberin und Geliebte, muß sie am Ende des Romans als Lesbe und Hure gebrandmarkt sein.
So kommt es, daß die Kernfrage der Liebesgeschichte, die sich das Mädchen stellt — liebt Maxim sie wirklich? —, später von der Antwort auf eine andere Frage abhängt — hat Maxim Rebecca geliebt? Wenn ja, wie kann er beide lieben, die so verschieden sind? Das führt zur Frage nach der Andersartigkeit Rebeccas — wie war Rebecca? Nach der Rückkehr nach Manderley beginnt das Mädchen Hinweise zu sammeln, die zur Aufklärung von Rebeccas rätselhaftem Tod führen. Es ist kein Zufall, daß die Erforschung von Rebeccas Sexualität im Roman die Phantasiegestalt eines Krimis annimmt. Der Text schwankt zwischen einem fiktionalen Entwurf, der harmonische Modelle für menschliche Beziehungen idealisiert und konstruiert — der Liebesgeschichte —, und einem, der seinen Ausgangspunkt bei der gewaltsamen Zerstörung des Sozialen — dem Verbrechen — nimmt. Dieser Wechsel kennzeichnet die Distanz, die das Mädchen und die Leserin überwinden müssen, um Rebeccas Bedeutung als verführerischen, jedoch letztlich tabuisierten Ausdruck der Weiblichkeit zu begreifen. Rebecca ist ein Krimi — mit einem Unterschied: Der Schuldige kommt nicht nur mit Mord und allem Anschein nach mit der Billigung durch die Leser/innen davon, sondern die unschuldige Zeugin wird aufgefordert, Komplizin zu werden. Das Mädchen erklärt sich einverstanden, die Fakten von Rebeccas Mord geheimzuhalten, um die wahre Liebe mit dem Verbrecher zu finden, endlich ihren Mann zu kriegen.
Das Problem liegt darin, daß das Mädchen bei der Suche nach Rebecca sich mit ihr als positiver Alternative zu sich identifiziert hat. Das daraus resultierende Drama ist ein Szenarium außerordentlicher Gewalt und Spannung. Es ist nichts Geringeres als die Darstellung der Machtverhältnisse, von denen eine erfolgreiche bürgerliche Ehe abhängt, und Institution unterdrückter weiblicher Heterosexualität, auf der eine solche Ehe beruht. Die Aufgabe, vor der das Mädchen steht und die sie im Erzählen der Geschichte zwanghaft wiederholen muß, ist eine Art Selbsttötung, eine gewaltsame Ablehnung jener anderen Formen der weiblichen Sexualität, zu deren Repräsentantin Rebecca geworden ist.
Rebecca ist also der Brennpunkt widerstreitenden Verlangens und Beschreibungen des Weiblichen. Sie ist die Figur, durch die die Fiktion der Liebesgeschichte untergraben und deren Mord ihre Normen retten und wiederherstellen wird. Sie gefährdet die herrschenden sozialen Kategorien durch ihre Existenz außerhalb ihrer Grenzen. Und dieser Punkt der sozialen und sexuellen Zerstörung ist es, vor dem der Roman und seine Erzählerin stets zurückweichen müssen. Von Anfang an bekennt der Roman, daß die Regulierung weiblicher Sexualität ihre Waffen in der Artikulation von Klassenunterschieden findet. So droht er, die soziale Konstruktion aller Sexualität zu offenbaren und damit auch die innewohnende Instabilität aller jener Klassen- und Geschlechtsdefinitionen bloßzulegen. Die Kreisstruktur der Erzählung versucht demnach die Unordnung in ihrer Mitte zu übertünchen. Sie straft die anfängliche Versicherung des Mädchens — »Wir können niemals zurück« (8) — permanent Lügen. Das Zurück ist das eigentliche Thema von Rebecca-. Zurück nach Manderley, zur Urszene des Erwerbs der Weiblichkeit.
In Rebecca erweist sich der Prozeß, eine gute bürgerliche Frau zu werden, als gefahrvoll; niemals kann er fiktional oder sozial vollendet werden. Rebecca beginnt mit dem Traum einer Rückkehr und nimmt so seine narrativen Strategien vorweg. Es winkt auch mit dem Traum aller romantischen Fiktionen: mit der Lösung aller Spannungen innerhalb der Fiktionalität selbst. Es klingt eine imaginäre Sphäre an, in der die Konflikte der Geschlechts- und Klassenunterschiede von einer unproblematischen weiblichen Subjektivität zu überwinden wären. Aber wenn sich der Kreis der Geschichte Rebecca schließt, ist sie dazu verdammt, preiszugeben, daß der Mythos, der im Mittelpunkt aller bürgerlichen Ideologie steht, ein Fehlschlag und ihre letzte Fiktion ist: die Romanze vom einheitlichen, kohärenten Ich.

Wer ist Rebecca?

Je mehr das Mädchen im ersten Teil des Romans über Rebecca in Erfahrung bringt, desto mehr beginnt sie zu verblassen. Ihre labile Sicherheit als verheiratete Frau, überhaupt als Frau, zerbröselt, bis sie an den Rand des Zusammenbruchs und fast zur Selbstzerstörung gelangt. Dies ist der erste Satz der Handlung, er bezeichnet Rebeccas Aufstieg. Allmählich sammelt das Mädchen die Zeichen für Rebeccas Anderssein-, der Regenmantel (Rebeccas Größe und Schlankheit), die handgeschriebenen Karten und Rechnungsbücher (Rebeccas Eleganz und ihre ehefraulichen Leistungen), die Kambriktaschentücher, die Seidenwäsche, das Parfüm (Zeichen ihrer sinnlichen und zarten Natur sowie ihres erlesenen Geschmacks). Maxims Großmutter bezeugt Rebeccas Liebenswürdigkeit und Frank Crawley ihre Schönheit. Rebecca war furchtlos und energiegeladen, ritt schwierige Pferde und segelte einhändig, selbst bei Sturm. Das Mädchen, das weder jagt noch schießt oder segelt, näht gern und kann ein bißchen zeichnen. Nach und nach entwickelt der Text eine binäre Opposition zwischen den beiden Arten der Weiblichkeit, die Rebecca und das Mädchen repräsentieren. Jungfräuliche Lilie und dunkelhaarige sinnliche Rose; das Mädchen bewohnt den Ostflügel mit Blick auf den kultivierten Blumengarten, während Rebeccas Westflügel vom Anblick des ruhelosen, beunruhigend rauschenden Meeres beherrscht ist. Rebecca entpuppt sich als eine aristokratische Mischung aus unabhängiger, »essentieller« Weiblichkeit, einer starken physischen Ausstrahlung, einer selbstsicheren, verlockenden Sexualität. Das Mädchen entpuppt sich wahrlich als Mädchen, an Rebecca gemessen unreif.
Doch diese konventionellen Gegensätze werden auf wichtige Weise umgestaltet. Denn es ist entscheidend, daß Rebecca einzig und allein das Produkt der Phantasie des Mädchens ist, erfunden aus dem Gefühl der eigenen sozialen und sexuellen Grenzen. »Rebecca« ist eine Projektion eigener Wünsche, die dazu beiträgt, die Unzulänglichkeitsgefühle des Mädchens zu erzeugen und zu bestätigen. Rebecca ist in der Tat nur der vollkommenste Moment und Ausdruck der Sehnsucht des Mädchens nach einem sozial und sexuell sicheren Ort. Die Erzählung ist aus einer Serie von Phantasien aufgebaut, die das Mädchen projiziert und die allesamt als Phantasiekommentar zu ihrer fehlenden fixierten Identität dienen. Ständig entgleitet sie ihrem wirklichen Ort in Zeit und Raum, um Szenarien, z.B. zwischen Maxim und den Bediensteten zu erfinden, die zeigen, daß es ihr nicht gelungen ist, eine ordentliche erwachsene Ehefrau, eine Mrs. de Winter zu werden.
Doch während die Leserin eingeladen wird, an diesem Prozeß der Selbstauflösung dieser jungen Romantikerin teilzuhaben, wird ihr auch etwas anderes geboten. Es gibt einen weiteren Dreh. Das Mädchen selbst ist nur eine erinnerte, erfundene Gestalt — die uns von der älteren Erzählerin nahegebracht wird, mit der wir den Roman begonnen haben. Die Erzählerin projiziert schon auf die Gefühle und Gedanken eines imaginierten jüngeren Ich zurück. Die Leserin weiß also von Anfang an, daß das Mädchen es schafft, zur erwachsenen Frau, »älter, reifer«, zu werden. Doch dieser Dreh bedeutet auch, daß wir Hinweise über Rebecca bekommen können, die das Mädchen nicht bemerkt und die aus der nachträglichen Einsicht der älteren Frau stammen. So werden Rebecca, der Roman, und »Rebecca«, die Frau, gleichzeitig geschrieben und überarbeitet. Die »Lektoren«-position des älteren Ich und die unsichere Gestalt des jungen Mädchens stehen der Leserin beide zur Verfügung.
Unsere ersten Andeutungen über die Existenz einer alternativen Rebecca erhalten wir auf den ersten Seiten des Romans, bei der geträumten Rückkehr nach Manderley, wo es überwuchert und wild vorgefunden wird.

  • »Die Natur war wieder zu ihrem Recht gekommen... Wesen von Kultur und Anmut... waren verwildert und ragten jetzt blütenlos zur Riesengröße empor, schwarz, häßlich... Die Rhododendronbüsche... hielten unnatürliche Hochzeit mit der Masse namenlosen Gestrüpps, das sich um ihre Wurzeln klammerte, als sei es sich seiner niedrigen Herkunft bewußt.« (5/7)

Heimische Pflanzen überwucherten anarchisch den englischen Garten, somit wurde jede rechte Ordnung von Klasse, Familie und Reich über den Haufen geworfen. Die Passage drückt soziale und rassische Zerrüttung sauber in Begriffen sexueller — »natürlicher« — Exzesse aus. Dieser Symbolismus wird mit mehr Macht versehen, als die Heldin bei der Ankunft in Manderley von den nämlichen wuchernden Rhododendren überrascht ist. Diesmal ist ihre Moralpredigt über das Gärtnern deutlich mit Definitionen von Weiblichkeit verbunden. Die Büsche haben

  • »das blutige Rot, üppig und phantastisch... etwas Verwirrendes, etwas Erschreckendes... bisher hatte ich Rhododendronbüsche immer als gemütliche, etwas hausbackene Pflanzen betrachtet... diese hier glichen Ungeheuern; sie waren zu schön in ihrer ungebändigten Wildheit, dachte ich, es konnten keine Pflanzen sein.« (67)

Es stellt sich heraus, daß sie von Rebecca angepflanzt worden waren, ihr ganzer Stolz. Die Lektion über »übertrieben-natürliche« und damit abweichende weibliche Sexualität wird entworfen.
Zwei Prozesse sind also in die Erzählung eingearbeitet. Mit der wachsenden Anziehungskraft Rebeccas beginnt das Mädchen mit ihrer Romanze mit Maxim unzufrieden zu werden — bürgerliche Gemeinschaft erscheint auf seiner Seite als bloßer Paternalismus, auf ihrer als Hundeliebe. Rebecca wird zur Figur, die die unerfüllten Wünsche des Mädchens offenbart. Sie ist das, was der Ehe fehlt, der Körper zur endlosen Kopfarbeit des Mädchens, der fehlende Mittelpunkt, um den sich die Erzählung und ihre Definition von Weiblichkeit drehen. Doch noch während das Mädchen sich als mangelhaft empfindet, beginnt die ältere Erzählerin dunkle Hinweise auf Rebeccas »wahre Natur« zu geben und der Leserin anzudeuten, daß die Distanz zwischen Rebecca und dem Mädchen in Wirklichkeit ein positiver Beweis für die überlegene Weiblichkeit des Mädchens und für ihren wahren Wert ist. Rebecca bietet der Leserin die Chance, ihren Kuchen zu behalten, während sie ihn aufißt, und dabei wie das Mädchen zwischen möglichen sexuellen Identitäten hin- und herzuschlüpfen, aber — anders als das Mädchen — die ganze Zeit über Bescheid zu wissen. Die Leserin kann die Freude genießen, Rebecca als begehrenswert zu empfinden und sie im voraus zu verdammen. Diese Position ist meines Erachtens eine androzentrische, eine, die für die Leserin mit Schwierigkeiten belastet ist. Sie ist schwierig, weil sie eine Kontrolle über die Diskurse anbietet, die die Weiblichkeit definieren, und das können Frauen, da sie selbst stets Gegenstand solcher Diskurse bleiben, nie ganzen Herzens genießen. Wie das Mädchen möchte die Leserin Rebecca gleichen, sie wagt es aber nicht. Ist jedoch der Prozeß der Identifikation mit Rebecca einmal in Gang gesetzt, können die Auswirkungen nie ganz im Zaum gehalten oder das aufrüttelnde Potential ganz wettgemacht werden. Diese Erzählung von Wunschprojektion und Identifikation, von Verschiebung und Abgestoßensein ist demnach die Geschichte aller Frauen, sie handelt von dem, was wir in der Konstruktion und der Aufrechterhaltung unserer Weiblichkeit alle durchmachen.
In der Tat werden die Hinweise auf Rebeccas Anderssein so offensichtlich, daß die Glaubwürdigkeit der sozialen und sexuellen Reinheit des Mädchens fast überstrapaziert wird. Als Ben, der »Dorftrottel«, z. B. sagt: »Sie sind nicht wie die andere. ... Sie gab Ihnen das Gefühl von einer Schlange« (157), fragt man sich, wie das Mädchen es noch fertigbringt, die negativen Konnotationen der phallischen Sexualität Rebeccas zu überhören. Das Entscheidende an dieser Unschuld ist jedoch, daß sie beinahe gewollt ist. Des Mädchens Unfähigkeit, Rebecca als abweichend zu erkennen, wandelt sich allmählich in eine Weigerung, so verfangen ist sie in die Entwicklung ihrer Phantasie einer mächtigen und autonomen weiblichen Subjektivität.
Natürlich fungiert hier Mrs. Danvers, Rebeccas aufopfernde Haushälterin, als Katalysator und Hebamme. Aktiv nährt sie das Empfinden des Mädchens, eine Person zweiter Klasse zu sein (74), bis die Phantasie vom anderen Ich übernimmt und das Verhalten des Mädchens leitet. In einer außergewöhnlichen Szene im Westflügel »vollführt« Mrs. Danvers die Verführung des Mädchens durch Rebecca, indem sie sie auffordert, Rebeccas Wäsche zu berühren, die Hand in ihren Schlüpfer gleiten zu lassen, sich vorzustellen, sie warte im Bett. Es ist jedoch wichtig, daß das Mädchen selbst, wenn auch schüchtern, dies alles schon getan hat: Mrs. Danvers ratifiziert ihre Wünsche. Kurze Zeit später tagträumt das Mädchen eine Begebenheit zwischen Maxim und Rebecca, mit sich in der Rolle der Rebecca. Maxim, der sie bei ihrer stillen Träumerei beobachtet hat, bemerkt, sie habe plötzlich älter, verschlagen ausgesehen. (202)
Das Verlangen des Mädchens, wie Rebecca zu sein, findet seinen vollendeten Ausdruck, als sie, von Mrs. Danvers irregeführt, unwissentlich ein Kostüm nachahmt, das Rebecca einst getragen hatte. Dies ist der Moment ihrer vollständigsten sozialen und sexuellen Sicherheit als Herrin von Manderley und Mrs. de Winter.

  • »Alle sahen mich an und lächelten. Ich fühlte mich stolz und heiß und glücklich. Sie waren alle so nett zu mir. Der Gedanke an den Ball, und daß ich Gastgeberin war, machte mir plötzlich Spaß.« (211)

»Rebecca zu sein« führt natürlich zu ihrer sozialen und sexuellen Schande, zur Krise des Romans, als es scheint, daß ihre Ehe fast völlig zerstört ist. Das Mädchen interpretiert Maxims Entsetzen bei ihrem Erscheinen fälschlich als Zeichen für ihre Unzulänglich, sie glaubt, ihre Andersartigkeit sei ihre Tragödie. Bedeutsamerweise allein im Bett (Maxim kommt nach dem Ball nicht zu ihr) unterwirft sie sich Rebeccas Triumph:

  • »Es gab doch nichts Beschämenderes und Erniedrigenderes als eine mißglückte Ehe... Rebecca war noch die eigentliche Herrin von Manderley. Sie war Mrs. de Winter... Ich würde von Rebecca niemals loskommen. Rebecca, immer Rebecca. Vielleicht verfolgte ich sie, wie sie mich verfolgte.« (231/232)

Die Grenzen, die bis jetzt die Identität des Mädchens geschützt haben, sind aufgelöst. Die Projektion ihres durch die Phantasie-Rebecca repräsentierten Verlangens droht nun nicht nur, die Grundfesten ihrer Ehe zu unterminieren, sondern auch den einzigen, dem Mädchen bekannten Weg zu einem akzeptablen Mittelschicht-Frausein und damit zu einer Person, einem Ich, zu gefährden.
An diesem Punkt beschließt das Mädchen, in den Westflügel zurückzukehren, und dort erfährt sie von Mrs. Danvers die Wahrheit über Rebecca. Bezeichnenderweise ist du Mauriers Beschreibung von Rebeccas Grausamkeit und ihrer scheinbaren Herzlosigkeit als Kind mit Neid und Bewunderung verwoben. Sie ist ohne Zweifel verlockend:

  • »Sie gehörte niemals zu denen, die stumm und geduldig ein Unrecht über sich ergehen lassen. ,Ich will ihnen das Leben zur Hölle machen', würde sie sagen... Sie hatte den Mut eines Mannes... Sie hätte besser als Junge geboren werden sollen... Sie tat nur, was sie wollte; sie lebte ihr eigenes Leben. Sie war stark wie eine junge Löwin. Sie machte sich aus nichts und aus niemandem etwas.« (241-243)

Der Schlüsselmoment in Mrs. Danvers Bericht über Rebeccas Widernatürlichkeit, ihre Weigerung, ein gutes Mädchen und eine ordentliche Ehefrau zu werden, kommt, als sie Rebeccas Beziehung zu sexuellem Genuß beschreibt: »Für sie war es wie ein Spiel. Wie ein Spiel.« Das ist das verräterische Zeichen für Rebeccas Kriminalität, für die sie mit dem Tode bestraft wurde. Das Mädchen ist jedoch so verstrickt in Rebecca als positive Alternative zu ihrem eingebildeten Versagen als Ehefrau und Frau, daß sie sich weigert zu hören. Ihr Bedürfnis, andere Formen akzeptierter Sexualität gutzuheißen, bringt sie auf Selbstmordgedanken. Entweder sie oder Rebecca muß überleben — die beiden Formen der Sexualität können nicht nebeneinander existieren.
Dies ist die Krise des Buches. Nun muß jeder Versuch unternommen werden, Rebecca aus der Identifikation des Mädchens und der Leserin mit ihr herauszusortieren. Rebecca muß externalisiert werden, sie muß aus dem Bereich von Phantasieprojektionen der Subjektivität heraus und wieder hinaus in die Welt. Das heißt im Rahmen des Texts, daß sie zwingend wieder in den Bereich der sozialen Diskurse eingeschrieben werden muß, die ihre Andersartigkeit verdammen und so die Unterschiedlichkeit des Mädchens legitimieren. An diesem Höhepunkt wird das Mädchen durch Schiffsirenen, die ein Wrack sondieren, vor dem Selbstmord gerettet. Sie verkünden auch die Wiederkehr von Rebecca als Person. Ihr Körper wird sogleich im versenkten Boot — Je Reviens — entdeckt, und ihre Rückkehr führt zu Maxims Mordgeständnis. Von nun an läuft der Text in seiner Neufassung von Wer War Rebecca? nur noch bergab. Maxims letztes Zeugnis muß nur mit dem oben zitierten von Mrs. Danvers verglichen werden, um die unverhältnismäßige Gewalt einzuschätzen, mit der der Text seine Treue zur bürgerlichen Moral wieder geltend macht, wonach weibliches Trachten nach außerehelichem sexuellen Genuß brutal tabuisiert werden muß.

  • »Sie war durch und durch verderbt und böse und verkommen. Wir haben einander nie geliebt, wir sind nicht einen Tag glücklich zusammen gewesen. Rebecca war unfähig zu lieben; Zärtlichkeit und Anstand waren ihr fremd. Sie war nicht einmal ganz normal.« (266)

Aber dieser gehässige Angriff ist ebenfalls ein Maßstab für Rebeccas subversive Macht: dafür, wieviel fiktional und sozial auf dem Spiel steht, daß sie so gründlich verunglimpft werden muß. Außerdem deutet diese Abwertung an, daß einmal Rebecca verfallen zu sein, für Leserin und Mädchen bedeutet, niemals mehr von den Möglichkeiten, die sie vorgaukelt, frei zu sein. Vielleicht wird Rebecca doch das letzte Wort haben.

Der Mord an Rebecca

Worin liegt also die Bedeutung des Mordes an Rebecca? Um das zu wissen, müssen wir ihr Verbrechen kennen. Rebecca weigerte sich, dem Gesetz, wonach Frauen ihren Körper für ihre soziale Stellung eintauschen, zu gehorchen. Dadurch daß sie Sex als Spiel behandelte, hat sie auch bloßgelegt, auf welche Weise Weiblichkeit wirkungsvoll überdeterminiert ist — Definitionen weiblicher Sexualität sind nicht nur mit klassenspezifischen Bedeutungen überfrachtet, sondern erzeugen diese auch und sorgen für ihren Fortbestand. Rebeccas Sünden waren demnach ein Vergehen gegen das gesamte Gefüge der sozialen Ordnung — gegen die Familie (ihr Geliebter Jack Favell war ihr Cousin), gegen Klasse (sie hat sogar Annäherungsversuche bei Arbeitern gemacht), gegen Besitz (sie hat Manderley zu einer schmutzigen Höhle gemacht) (270) und vor allen Dingen gegen ihren Ehemann. Rebeccas scheußlichste Sünde, die Maxim dazu trieb, sie zu erschießen, war natürlich, ihn mit einem künftigen Erben von Manderley zu verhöhnen, der vielleicht nicht von ihm gezeugt war. Bei ihrem Mord geht es um das Fortbestehen männlicher Autorität und um Maskulinität selbst, wie sie durch Besitz und die Macht von Hierarchien definiert ist. Das Sexuelle und das Soziale untermauern sich gegenseitig.
Maxims einziger Versuch, seine Taten abzuschwächen, ist ein Appell an aristokratischen Patriotismus, der sich als klassen- und rassenüberschreitender moralischer Diskurs anbietet, obwohl die Sprache seiner Gefühle offensichtlich von beidem durchtränkt ist:

  • »Ich habe zuviel an Manderley gedacht... Christus hat nichts von Steinen und Ziegeln und Mauern gesagt, nichts von der Liebe, die ein Mann für seinen Acker, seinen Besitz, sein kleines Königreich empfindet.« (269)

Hier fungiert Manderley ebenso als Klein-England wie als Klein-Eden. Beide gehen durch die Liebe einer Frau verloren. Ein Maßstab für die gesellschaftliche Unterstützung, auf die du Maurier zählen zu können meinte, ist es, daß dieses Verbrechen Maxims nicht nur verziehen, sondern geradezu gefeiert werden kann. Emphatisch endet das Kapitel mit dem Geständnis:

  • »Und wenn sich alles wiederholte, würde ich nicht anders handeln. Ich bin froh, daß ich Rebecca tötete. Mein Gewissen wird sich deshalb niemals regen.« (292)

Es ist wichtig, daß Maxims Offenbarungen von dem Mädchen nicht in einer nüchternen, überlegten Stimmung aufgezeichnet werden (denn was für ein Mann heiratet schon sechs Monate, nachdem er seine erste und, wie er glaubte, schwangere Frau ermordet hat, wieder?), sondern in berauschter Freude. Denn es findet hier ein entscheidender Taschenspielertrick statt, der unsere Aufmerksamkeit vom Verbrechen wieder auf die Romanze lenken und auf diese Weise das Mädchen ein für allemal als Musterfrau und -ehefrau etablieren wird.
Maxims Geständnis enthält eine bezeichnende Sequenz. Es genügt ihm nicht, seinen Mord zu gestehen, er muß zusätzlich betonen, daß er Rebecca nie geliebt habe, daß er Rebecca aus Haß, nicht aus leidenschaftlicher Eifersucht getötet habe. So kann die Erleichterung des Mädchens über Maxims emotionale »Freiheit« das Problem seiner Schuld überdecken. Maxims Verbrechen wird zu einer Erklärung seiner Liebe zum Mädchen und kann somit als eine Probe ihrer Liebe zu ihm umgedeutet werden. Nun scheint es, daß sie die Chance hat, doch noch glücklich verheiratet zu sein, wenn sie sich zur Mordkomplizin erklärt.

  • »Ich hatte wie im Traum neben Maxim gesessen... und seiner Geschichte gelauscht; und ein Teil von mir hatte ihn... wie ein Schatten begleitet. Auch ich hatte auf Rebecca geschossen, auch ich hatte das Boot dort draußen in der Bucht versenkt... All das hatte ich mit ihm durchgemacht... Aber der andere Teil von mir saß hier auf dem Teppich, unbewegt und gelassen, und dachte immer nur das eine, wiederholte es immer wieder.- Er hat Rebecca nicht geliebt! Und jetzt, als das Telephon läutete, vereinigten sich die beiden Teile meines Ichs, und ich war wieder das Ich, das ich immer gewesen war. Aber ein neues Gefühl war hinzugekommen, das ich vorher nicht gekannt hatte.« (279)

Indem das Mädchen zur Erzählerin des Verbrechens wird, überträgt sie ihre Identifikation von Rebecca auf Maxim und lädt die Leserin ein, das gleiche zu tun. Die eigene Identität festigt sich und wird an dieser Billigung des Mordes sicher. Ihre Treue ist nicht mehr zwischen Maxim und Rebecca hin- und hergerissen,
zwischen verschiedenen Weiblichkeiten. Der Mord an Rebecca ist der Preis, den das Mädchen zahlen muß, um den Erfolg ihrer Ehe zu gewährleisten und den Status der Mittelschichtsfrau anzunehmen. Sie wird mit der Identität der Mrs. de Winter belohnt, mit der Sicherheit, dem Mann zu gehören, aber nur zu dem Preis, daß sie eine Definition von erwünschter Weiblichkeit unterschreibt. Um ein soziales Subjekt zu werden — von sich als einem Ich zu denken —, lernt sie die Regeln weiblicher Heterosexualität durch Klassenunterschiede zu übernehmen, die aus sich heraus die sexuelle Konkurrenz zwischen Frauen notwendig machen.[4]
Doch von Rebecca zu erfahren, ist für das Mädchen in gewissem Maße die Wiederholung von Rebeccas Sündenfall, der Verlust ihrer sexuellen Unschuld. Maxims Ausruf, er bereue nichts, wird unmittelbarer von seiner Trauer darüber gefolgt, daß das Mädchen nun eine Frau sei. Sie hat nicht mehr jenes »junge, verlorene Aussehen«: Sie besitzt endlich jenes Wissen, vor dem sie Maxim früher gewarnt hat, es müsse von Vätern und Ehemännern »hinter Schloß und Riegel« gehalten werden. (203) Wenn Rebeccas Verbrechen zu natürlich wäre, zu weiblich, wie könnte dann das Mädchen zugleich sexuell und von ihr verschieden sein? Es lohnt sich, bei der Verwirrung des Textes an diesem Punkt zu verweilen. Bis hier hin sind die sexuellen Beziehungen zwischen Maxim und dem Mädchen entweder heruntergespielt oder ganz aus dem Text herausgeschrieben worden — ihre Flitterwochen finden zwischen zwei Kapiteln statt. Nun, da das Mädchen ihre symbolische Jungfräulichkeit verloren hat, können sie echte Geliebte werden: »So hatte er mich noch nie geküßt.« (263) Gleichzeitig darf ihr neues Glück nicht falsch als einfach sexuell verstanden werden — »es gab da«, wird uns versichert, »nichts Fieberhaftes oder Drängendes«. Nichtsdestotrotz muß du Maurier hinzufügen, daß ihr Liebemachen nicht mehr »wie das Streicheln von Jasper, Maxims Hund«, war. Diese keusche Ambivalenz deutet darauf hin, daß die zweite Mrs. de Winter, da sie jetzt die Freuden der Liebe entdeckt hat, aufpassen muß, daß sie nicht auch als Mordfall endet. Wenn Maxim seine erste Frau ihrer Sexualität wegen als entbehrlich empfand, was soll ihn daran hindern, seine zweite für ebenso fehlerhaft zu befinden? Daher die reuelose Logik eines Blaubart. Frauen sind allesamt Opfer einer Weiblichkeit, die uns nicht nur ohne Ende durch sexuelle Statusregeln definiert — wir sind Ehefrauen, Mütter, Jungfrauen, Huren —, sondern die uns brandmarkt, »das Sexuelle« an sich zu repräsentieren. Wo weibliche sexuelle Erwünschtheit in Konkurrenz um männliche Anerkennung und gesellschaftliche Belohnung organisiert ist, wird es immer eine Rebecca geben, die zugleich eine idealisierte Alternative zu unserer schwer faßbaren Subjektivität und deren radikale Untergrabung ist.
Ihre Verankerung in der Mittelklasse rettet das Mädchen. Allerdings verurteilt diese sie auch zu einem Kreislauf zwischen Verdrängung und Verleugnung. Jene anderen Möglichkeiten einer weiblichen Sexualität, die außerhalb der Grenzen der Mittelschichtsweiblichkeit liegen und die sie in der Figur Rebeccas um ein Haar verführt hätten, muß sie nun entschlossen verdrängen:

  • »... etwas... was ich auf immer tief in den schattigen Winkeln meines Unterbewußtseins vergraben wollte, wo auch die Schrecken meiner Kindheit ruhten...« (249/250)

Und doch ist klar, daß Rebecca niemals vergessen werden kann, denn sie ist die Bedingung dafür, daß das Mädchen weiß, »wer sie ist«. Während die Weiblichkeit des Mädchens im Gegensatz zu Rebecca definiert wird, wird Rebecca nicht unwichtiger, sondern wichtiger. Die Andersartigkeit der beiden gibt jeder Frau ihre Bedeutung. Das Mädchen und Rebecca brauchen sich gegenseitig, um überhaupt Bedeutung zu erlangen. Indem der Roman sich das Drama der Liebe als Mord vorstellt, zeigt er, daß erfolgreiche Heterosexualität ein Konstrukt und keine natürliche Gegebenheit ist. Die richtige Form der Weiblichkeit muß erlernt werden, und während der Mord an Rebecca all die Diskurse wachruft, die sie verurteilen, kann er das doch nicht tun, ohne ihre soziale und daher willkürliche Ordnung zu offenbaren. In einem solchen System der Unterschiedlichkeit ist das Mädchen ebensogut eine fehlentwickelte Rebecca, und dies könnte für die Leserin potentiell eine revolutionäre Umkehrung sein.
Für das Mädchen in Rebecca erwächst der Anstoß zum Erzählen der Geschichte aus dem Wunsch, nicht zu vergessen, sondern sich zu erinnern. Ihr Verdrängungsakt kann als Akt der Definition und der Artikulation verstanden werden — wobei das Unbewußte in einer dynamischen, nicht statischen Beziehung Sinn aus dem Bewußten macht. Die Erzählerin ist eine ältere Frau, die zurückblickt und das Trauma ihrer Ehe noch einmal durchlebt, und zwar in einer Erzählung, deren Struktur kreisförmig ist. Denn sie muß permanent die Illusion ihrer kohärenten sozialen und sexuellen Identität neu erzeugen. Wie der doppeldeutige erste Satz des Buches andeutet, hat sie von einer Rückkehr nach Manderley geträumt, und dieser Traum kehrt immer wieder:
Gestern nacht träumte ich, ich sei wieder in Manderley. Sie wird zu einer Art Ancient Mariner ihrer Geschichte der Mittelschichtsweiblichkeit, der zugleich Opfer und Erzeuger seiner Funktionalität ist. Je mehr sie sich bemüht, das eigene Leben zu kontrollieren, die eigene Geschichte zu erzählen, desto mehr wird sie zu Rebecca zurückgeführt, die beides aufgebrochen und definiert hat. Rebecca ist das namentliche Subjekt des Romans, sie diktiert seine Entwicklung, fügt Epilog und Prolog zusammen und strukturiert die Unmöglichkeit seiner Vollendung.
Es war natürlich Rebecca, die mich ursprünglich zum Schreiben reizte. Es schien mir, als müßte eine ganz neue Erzählung aus ihrem Blickwinkel geschrieben werden können. Kühn, unabhängig, mit ihrem steifen langweiligen Playboy-Ehemann in den mittleren Jahren auf dem platten Land eingesperrt, in einem Haus, das von Weideland und der See eingekreist ist, ist Rebecca die Ehefrau, die sich weigert, verrückt zu werden. Die Kraft zu meiner Identifikation ging jedoch von du Mauriers eigener Identifikation aus, vom Bild einer Frau mit selbstverständlicher Sexualität, der sie selbst nicht widerstehen konnte:

  • »Rebecca, das Leben mit beiden Händen anpackend; Rebecca, wie sie sich mit triumphierendem Lächeln über die Galeriebrüstung beugt.« (266)

Rebeccas fiktionale wohlverdiente Strafe betont ihre gefährliche Anziehungskraft um so stärker. Sie muß mehr als nur ermordet werden. Maxim kommt nicht nur ohne Strafe davon und erhält dazu noch eine hingebungsvolle neue Frau, am Ende wird er obendrein entlastet. Die Auflösung offenbart, daß Rebecca, weit entfernt davon, unter dem Herzen neues Leben zu tragen, ein Krebsgeschwür hatte. Sie wäre ohnehin an ihren Sünden gestorben, also war es nicht schlimm, ein bißchen nachzuhelfen. Und dann die letzte, brutale, überflüssige Beigabe: die Röntgenaufnahmen des Arztes zeigen, wird uns mitgeteilt, eine mißgebildete Gebärmutter:

  • »Das heißt, daß sie niemals ein Kind hätte bekommen können. Aber das, wie gesagt, nur nebenbei; es hatte mit der eigentlichen Krankheit nichts zu tun.« (354)

Scheinen die Kräfte der sozialen und fiktionalen Strafe nicht ein kleines bißchen überzogen zu sein? Selbst bei so viel »overkill« weigert sich Rebecca, als Tote zu ruhen. Es wird kein Zurück geben, aber nicht im beabsichtigten Sinne der neuen Mrs. de Winter. Das Verbrechen, das sie gegen sich selbst begeht, um einen Namen zu finden, kann nicht rückgängig gemacht werden. Ihre Mittelschichtsweiblichkeit wird ihr ebenso zur Strafe wie zur Errettung.
Für Leserinnen der Mittelklasse in den dreißiger Jahren scheint der Mord an Rebecca eine ideale fiktive Lösung für jene allzu verführerischen fehlentwickelten Weiblichkeiten. Es ist jedoch nicht ganz so einfach. Rebecca ist nicht mehr »dort draußen«, die Gattin auf dem Dachboden des Schauerromans, sondern innen im weiblichen Subjekt, die Bedingung für seine Existenz. Der Prozeß der Identifikation, auf den sich der Roman verläßt, ist auf mehr als eine Weise tödlich. Denn Rebecca bekommt schließlich doch, was sie wollte. Sie ködert Maxim, sie zu töten, und ändert so für alle Zeiten die Balance seiner Macht und Autorität. Zum Schluß beraubt sie ihn seiner Heimstatt. Denn wir wissen von der allerersten Seite an, daß irgendwas in Maximilian de Winters zweiter Ehe schiefgeht. Das erste und letzte Rätsel bleibt am Ende offen — das Rätsel von Maxim und seiner kindlichen Braut und wie sie heimatland- und kinderlos geworden sind.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute glücklich? Glücklich immerdar?

Die Art, wie Klasse sich mit Geschlechtsprioritäten überschneidet, bestimmt somit die Auflösung und läßt sie zum Schluß unvollendet. Das »Psychische« kann daher nicht als etwas betrachtet werden, das irgendwie losgelöst von Geschichte und Gesellschaft existiert, sondern es ist auf jeden Fall ihr Material. Klassen- und Geschlechtsunterschiede haben nicht nur miteinander zu tun, das eine kann sich ohne das andere gar nicht artikulieren. In Rebecca geht es darum, daß das Mädchen zugleich Maxims Frau und Herrin von Manderley werden soll, und letzteres muß sie aufgeben. Denn wenn Rebecca nicht entweder auf Manderley herrschen oder wenigstens spuken kann, ist es innerhalb des Phantasiegerüsts der sozialen Beziehungen im Text undenkbar, daß das Mädchen Rebeccas Platz einnimmt. Das Problem ihrer sexuellen Identifikation muß mit gleicher Kraft in der Arena der Klassenunterschiede ausgefochten werden. Bemerkenswerterweise besteht die erste Handlung des Mädchens als gerade selbstsicher gewordene Mrs. de Winter darin, das Hausmädchen herumzukommandieren und Mrs. Danvers Menü aus Resten abzulehnen. Beide Handlungen machen sie zur Herrin. Ihr neugefundener Sexualstand und ihre überlegene Klassenposition leiten sich voneinander ab und verstärken sich gegenseitig.
Das Problem besteht natürlich darin, daß die Handlungen des Mädchens zu sehr denen Rebeccas ähneln, um sehr beruhigend zu sein. Bei der Ankunft in Manderley hatte sie noch die Verschwendung seiner aristokratischen Küche bedauert — obwohl der Text typischerweise ausführlich beim aufgedeckten Frühstück verweilt, bevor er es verurteilt. Das Mädchen kann nicht bei dieser doppeldeutigen Klassenposition bleiben, und dennoch ist es gleichermaßen unmöglich, sich für die de Winters ein »happy end« gemäß der ursprünglichen bürgerlichen Romantisierung der Ehe vorzustellen. Man kann sich nicht vorstellen, daß Maximilian de Winter sich in einer anheimelnden Mittelschichtsexistenz niederläßt, wie sie uns im Modell der kleinen Skizze von Dr. Baker am Ende des Romans geboten und dessen Häuslichkeit zugleich als anziehend und schal empfunden wird. Der Prototyp für Maximilian hieß in Wirklichkeit »Henry« (du Maurier, 1981); wie Brontes Rochester endete er als verstümmelter Krüppel. Daphne du Maurier beschloß am Ende, ihren Helden doch nicht Henry zu nennen, und damit machte sie es ihm unmöglich, das wahre Glück im Kräutergarten zu finden, während seine Frau geschäftig Namensschilder in die Hemden seiner Söhne näht — ein Schicksal, das für so manchen der liebenswert langweiligen Ehegatten in den Romanen der kommenden Kriegsjahre passend war.
So ist also Maxims Verlust der Heimstatt, von Manderley selbst, eine gesellschaftliche, psychische und fiktionale Notwendigkeit innerhalb des Rahmens, der aus den Annahmen des Mädchens über Rebeccas Position aufgebaut ist. Es ist interessant zu sehen, wie genau über-determiniert ihr selbst auferlegtes Exil ist. Denn es ist gewiß nicht »realistisch« notwendig. Was soll denn schließlich nach der Entdeckung von Rebeccas Krebs und der Bestätigung ihres Selbstmordes das  Ehepaar daran  hindern, wenn nicht Manderley wieder aufzubauen, so doch eine andere Villa im Westen oder wenigstens in der Parklandschaft Surreys zu beziehen? Warum müssen sie England verlassen? Der Sinn solcher Fragen nach Art von »wie viele Kinder hatte Lady Macbeth?« liegt darin, zu sehen, wie bestimmte Möglichkeiten innerhalb des Textes nicht denkbar sind. Maxim und das Mädchen müssen ohne Ort bleiben. Ihr Exil genügt vielen Notwendigkeiten. Erstens kann der Text einen kompensatorischen Moraldiskurs andeuten, der Maxims ökonomischen Verlust mit seiner psychischen Verkrüppelung gleichsetzt und daher sein Verbrechen sühnen kann. Sein Landhaus zu verlieren, ist eine gerechte Strafe für den Mord an der Gattin. Zweitens kann das Ehepaar buchstäblich aus dem Klassensystem Englands entfernt und das Problem, wessen Klassenstellung angenommen wird, sauber umgangen werden. Und das kann dann der Preis sein, den die neue Mrs. de Winter zu zahlen hat. Country Life zu lesen, während man BBC World Service im Radio hört, kann so als wesentlich härter dargestellt werden, als Herrin von Manderley zu sein. Und es mangelt Mrs. de Winter ja auch an Söhnen, die so offensichtlich ein Haus brauchten (Einzelheiten auf S. 71/72), so werden nochmals die Fragen von Klassenerbe und konkurrierenden Begriffen von Familie umgangen. Das Exil des Ehepaares wird außerdem benutzt, um an ein »universelles« Englischtum zu appellieren, und ihre Position wird durch die Berufung auf einen mild chauvinistischen Patriotismus mit seinem Leiden an der Fremde und an Ausländern ergreifend, die 1938, als der Stern des Empires so rapide sank, um so stärker wirkten. Die Logik von Maxims Verbrechen wird natürlich verwischt, und es scheint, als sei Rebecca schuld an seinem Verlust des Hauses, seiner Autorität und selbst am Sonnenuntergang im Empire. Durch seinen Sündenfall wird das Ehepaar aus seinem kleinen Eden ausgestoßen, es muß seinen Garten England dem wuchernden sozialen und rassischen Anarchismus überlassen.
Dieser Epilog steht jedoch, wie schon erwähnt, am Anfang des Romans. Am Ende von Rebecca mag die Leserin längst diese Einzelheiten und ihre Beziehung zur Romanhandlung vergessen haben. Der eigentliche Text endet mit dem Feuer in Manderley, das anscheinend von Mrs. Danvers gelegt wurde (obwohl wir das nicht mit Sicherheit sagen können; die Feuersbrunst ist auch so etwas wie ein spontaner Ausbruch). Dies ist ein viel ambivalenteres Ende, weil es unmöglich ist, um den Verlust von Manderley zu trauern, ohne damit auch um den Verlust von Rebecca zu trauern, die es zu dem gemacht hatte, was es war. »Die Schönheit von Manderley... das ist nur ihr, nur Rebeccas Werk.« (270) Gewissermaßen wird der Tod von Manderley als die wirkliche Tragödie herausgestellt, als ein Ort, der von den Erfordernissen des Kapitals unberührt, ein Ort feudaler Freiheit war, der, wie Rebecca, zumindest außerhalb einer vordringenden bürgerlichen Hegemonie sozialer und sexueller Werte funktionieren konnte.
Manderley muß abbrennen, um alle Leserschichten zu befriedigen, um Maxim und seine neue Frau auch am Ende nicht festzulegen, sie außerhalb von Klassen- und Familienbanden frei schweben zu lassen. Dies ist zugleich Anfang und Ende der Geschichte des Mädchens — die Stelle, an der wir hereingekommen sind. Es ist interessant, daß das Mädchen — anders als Jane Eyre — am Ende weder Familie noch soziale Stellung gefunden hat. Sie endet, wie sie begann, in der Fremde, als bezahlte Gesellschafterin. Aber die letzte Seite des Romans endet auch mit einem Traum, einem Entdeckungstraum, der wieder mörderische Folgen hat:

  • »Und wieder versank ich in die unruhige Tiefe meines Bewußtseins. Ich schrieb im Morgenzimmer... Aber als ich das betrachtete, was ich da geschrieben hatte, da war das nicht... meine Handschrift... Ich erhob mich und trat vor den Spiegel, aber das Gesicht, das mir entgegenblickte, war nicht das meinige... Das Gesicht im Spiegel starrte mich spöttisch an und lachte. Und dann sah ich, daß sie auf dem Stuhl... saß, und Maxim bürstete ihr das Haar... Es wand sich wie eine Schlange, und er ergriff es mit beiden Händen, lächelte auf Rebecca hinab und legte es um seinen Hals.« (365)

Der Traum weist direkt auf das Schreiben als den Moment der Gefahr hin. Für das Mädchen in Rebecca bedeutet das Erzählen zugleich eine Sicherung und eine Öffnung der Subjektivität, eine nicht steuerbare Enthüllung, mit der sie ihr Ich riskiert. Rebecca tut in diesem Traum das, was sich das Mädchen ebenfalls wünscht. Vielleicht müssen die de Winters also wirklich ins Ausland, um Maxims Haut zu retten — nicht vor dem Schafott, sondern vor seiner Frau. Vielleicht sollte die ganze Erzählung als eine Art verschobener Rache gesehen werden, eine Rache, die das gewöhnliche Mädchen aus der Mittelklasse nicht als die eigene zu erkennen wagt und die zu artikulieren ihr erst der Feminismus gestatten würde.

Rebeccas Geschichte — Fortsetzung folgt

Das Ende von Rebecca widersteht einer einfachen Lösung im Sinn der Leserinnen der Mittelklasse. Wenn das einfache Mädchen siegt, beinhaltet dieser Sieg ein tiefes Verlustgefühl. Du Maurier, selbst eine versetzte Aristokratin, fühlte sich vielleicht dazu hingezogen, den historischen Wertewechsel zu untersuchen. Die Texte der dreißiger Jahre sind voll von diesen sterbenden Besitztümern. Rebecca ist jedoch insofern einzigartig, als sie aristokratische Klassenmythologie benutzt, um bürgerliche Definitionen von Weiblichkeit zu hinterfragen. Es gibt im Roman kein geradliniges Modell für soziale Mobilität, denn seine zentrale Frage dreht sich um weibliche sexuelle Freude. Sosehr Rebecca auch schließlich als fehlentwickelte Frau verurteilt wird, so spielt der Text doch das Problem einer autonomen Sexualität, wie sie von Frauen ersehnt wird, in den Vordergrund. Zweifellos ist der Roman ein snobistischer Abschied von Manderley, aber auf die vierziger Jahre vorausblickend registriert er auch, wie ich meine, ein kollektives Zähneknirschen all jener Frauen, die argwöhnten, daß Mrs. de Winter zu sein, eine unbedeutendere Rolle sein würde als die der Rebecca de Winter.[5] In den darauffolgenden Kriegsjahren begannen sich Liebesgeschichten auf konservativeres Gebiet zu bewegen, wo das Erotische tabu war und der Konflikt auf die Erfordernisse der Mittelschichtsehe und Mittelschichtsweiblichkeit und auf das Verlangen nach sexueller Erregung und Freude eingeschränkt wurde. (Harper, 1982; Anderson, 1974.)
Rebecca markiert einen Außenposten der späten dreißiger Jahre, einen historischen und fiktionalen Moment des Übergangs, als die Erfordernisse einer Mittelschichtsweiblichkeit im Rahmen einer populären und öffentlichen Form wie der des Liebesromans diskutiert und sogar demontiert werden konnten. Es kennzeichnet eine weibliche Subjektivität, die hoffnungslos innerhalb bürgerlicher Geschlechtsbeziehungen zersplittert ist. Die geschlechtsspezifischen Erfahrungen, die die Autobiographie des Mädchens dramatisiert, zeigen die gegensätzlichen Druckmechanismen auf, die die sexuellen Ideologien der Mittelklasse den Frauen auferlegen würden, Druckmechanismen, die zu einem gewissen Grad zu ihrer dreißig Jahre später begonnenen Politisierung beitragen sollten.
Ein großer Teil der populären Prosa der vierziger und fünfziger Jahre kann also als Ort gesehen werden, an dem Frauen als Schriftstellerinnen und Leserinnen versuchen, eine begehrte geschlechtsspezifische Subjektivität zu erlangen und für sich zu sichern, indem sie eiserne britische Mittelklassenhaftigkeit zelebrieren — und zwar mit unterschiedlichem, unvermeidlichem Mißerfolg. Wie Freuds Hysterikerin, »die an Erinnerungen leidet«, macht ihr Schreiben ohne Unterlaß die Spannungen in der gesellschaftlichen Konstruktion der Weiblichkeit sichtbar, deren Definitionen nie ausreichen und stets an das erinnern, was fehlt und was sein könnte.
Die Fortsetzung der aufrührenden Geschichte Rebeccas kann erahnt und zuweilen offen in den Romanen verfolgt werden, die in den fünfziger Jahren begannen, den Druck auf und die widersprüchlichen Forderungen an Mittelschichtsweiblichkeit zu thematisieren. Die düsteren und abrupten Schlußszenen in den frühen Romanen von Elizabeth Taylor, Barbara Pyms komische Weigerung, Romane über ein »erfülltes Leben« zu schreiben, die statt dessen das Leben älterer oder alleinstehender Frauen beschreibt, das Schweigen und die Geisteskrankheit von Schriftstellerinnen wie Antonia White, Jean Rhys oder Pym müssen ebenfalls als Reaktionen darauf verstanden werden, wie das Jahrzehnt anerkannte Weiblichkeit durch seine öffentlichen Diskurse über Ehe, Mutterschaft, Heim und Herd regulierte (Weeks, 1981; Wilson, 1977 und 1980; Birmingham Feminist History Group, 1979). Erst in den sechziger Jahren, mit ihrem erneuten Gewicht auf sexuellen Genuß und mit ihren glücklichen Hausfrauen, die selbst zu veröffentlichen begannen, wird dieser persönliche Zusammenbruch und das Scheitern der Ehe zum offenen Thema vieler literarischer Erzählungen. Der Wechsel vom »anderen« Gegenstück zur weiblichen Sexualität aus dem Schauerroman zu seiner Replazierung innerhalb des individualisierten Traumas des geschlechtsspezifischen Subjekts kann nicht mehr im Zaum gehalten werden. Jean Rhys schreibt in ihrem dramatischen Comeback 1966 gleichzeitig Jane Eyre und Rebecca neu. Diesmal erzählt die zurückkehrende geisteskranke Gattin ihre eigene Geschichte und beendet sie, indem sie vom Dachboden herabsteigt, um das Haus anzuzünden. Es wäre jedoch falsch, dies als einen einfachen Moment reiner sozialer Rebellion zu charakterisieren. Denn innerhalb des literarischen Diskurses wird »die Wiederkehr des Verdrängten« von weißen Schriftstellerinnen der Mittelklasse buchstäblich als verrückt machend imaginiert. In Doris Lessings Das Goldene Notizbuch (1962) findet Anna zu einer persönlichen künstlerischen Freiheit, die gleichzeitig eine private Hölle ist, ebensosehr ein Ort persönlicher Einengung wie sexuellen Protests. Vielleicht ist daher die Ansicht nicht zu wirklichkeitsfremd, daß Rebeccas Geschichte nur aus der Kollektivität feministischer Politik heraus jemals ohne Furcht vor gesellschaftlicher, psychischer oder fiktiver Vergeltung vorstellbar wäre.

Postskriptum: Der Liebesroman

Auf weiche Weise äußert sich Rebecca überhaupt zu der formelhaften Prosa, in der die zarte Blume auf den bronzenen Gott trifft? Ich sehe in Rebecca den abwesenden Subtext vieler Liebesromane, das Verbrechen hinter den Szenen der Groschenromane. Denn es scheint mir, daß Liebesromane vielleicht versuchen, uns den »Sieg« über das Unbewußte, über »den Widerstand gegen die Identität im innersten Kern des Seelenlebens« (Rose, 1983:9) anzubieten. Rebecca stellt den Prozeß der Verdrängung dar, den diese anderen Texte vermeiden, indem sie ein vollkommen erreichbares, unkompliziertes geschlechtsspezifisches Subjekt annehmen, dessen sexuelle Begierde ungebrochen ist und nicht mit Kämpfen erzeugt wird, sondern vorgegeben ist. Vor allem macht der Liebesroman Heterosexualität leicht, indem er Historisches formelhaft abhandelt (sei es nun als Kostüm-, Arzt- oder Karibisches Drama) und indem er Leserinnen eine Lösung anbietet, in der Unterordnung und Verdrängung nicht nur ohne Schmerzen oder Demütigung verarbeitet werden, sondern überhaupt zu bewältigen sind.
Obwohl Frauen also unzweifelhaft als Sexualobjekte dargestellt werden, mag es auf eine Weise auch für Frauen ein einzigartiges Angebot der Möglichkeit von Leserinnenmacht geben, der Möglichkeit, das Unkontrollierbare in der fiktionalen Liebesgeschichte in der Phantasie unter Kontrolle zu halten. Innerhalb des Szenariums extremen Heterosexismus kann die Freude an der Rekonstruktion einer »nicht schwierigen« Heterosexualität gewonnen werden. Der Liebesroman bietet uns Beziehungen an, die auf unmögliche Weise harmonisiert sind; er benutzt ungleiche Heterosexualität als Traum der Gleichheit und bietet Frauen einen unkomplizierten Zugang zu einer Subjektivität, die einheitlich und kohärent ist und dennoch im Bereich der Freude funktioniert.
Vielleicht kann die riesige Leserschaft von Liebesromanen, die Tatsache, daß so viele Frauen sie als zutiefst befriedigend empfinden, auf andere Weise als mit moralisierendem Entsetzen registriert werden. Liebesromane werden von über 50% aller Frauen gelesen, aber es ist kein Zufall, daß die beiden größten Teilleserschaften junge Mädchen und »Hausfrauen mittleren Alters« sind (vgl. Anderson, 1974, für die Diskussion der Leserschaftsmuster und -reaktionen und Euromonitor für neuere Daten). Ich meine, daß diese beiden Altersgruppen besonders deutlich spüren, wie unmöglich es ist, mit Erfolg weiblich zu sein, ob als Versagen empfunden, jemals weiblich genug zu sein — wie beim Mädchen in Rebecca — oder als Abstand zwischen der Erfüllung gesellschaftlicher Ansprüche (als Ehefrau und Mutter) und der wahren Bedeutung dieser Rollen in der Realität. Daß Frauen Liebesromane lesen, ist meines Erachtens ebenso ein Maßstab für ihre tiefgreifende Unzufriedenheit mit heterosexuellen Wahlmöglichkeiten wie für irgendein Verlangen, sich voll mit den unterwürfigen Versionen von Weiblichkeit zu identifizieren, die die Texte progagieren. Liebesromane phantasieren Frieden, Sicherheit und Leichtigkeit — gerade weil es Uneinigkeit, Unsicherheit und Schwierigkeiten gibt. Im Kontext des Lebens von Frauen könnte das Lesen von Liebesromanen weniger als reaktionärer Reflex oder als Anzeichen dafür, inwieweit sie Opfer des kapitalistischen Marktes sind, gewertet werden, sondern vielmehr als Zeichen der Unzufriedenheit oder als Überlebenstechnik. Und das um so mehr, weil in einer langweiligen oder befremdlichen Ehe oder im Alter von fünfzehn der Liebesroman unter Umständen der einzige populäre Diskurs ist, der die Frage weiblicher sexueller Freude anspricht. Frauenzeitschriften geben doch beispielsweise den Frauen und ihrem Leben den Vorrang in einer Kultur, in der sie sonst gewöhnlich ganz fehlen oder erst an zweiter Stelle kommen.
Die Muster beim Lesen von Liebesromanen sind ebenfalls vielsagend. Leserinnen sammeln die Romane oft zu Hunderten und lassen sie unter Freundinnen zirkulieren. Liebesromane zu lesen bedeutet, an einer Art Subkultur teilzuhaben — und zwar einer, die eine kollektive Identität als Frauen um die Frage weiblicher Freude betont und die außerhalb politischer Bewegungen gefunden werden kann. Wie Janet Batsleer gezeigt hat, werden Liebesromane nicht geschätzt, weil sie wie die »hohe Kunst« unwiederholbare Geschichten einzigartiger Charaktere zum Inhalt haben, sondern gerade als Ritual und als Wiederholung. Es ist demnach schwer zu glauben, daß diese Erzählungen als lineare Identifikation gelesen werden — es werden keine echten, abgerundeten Einzelpersonen präsentiert, und die Leserinnen wissen, daß die Ausgänge von vornherein feststehen. Der Liebesroman bietet statt eines Abschlusses einen Erfüllungsaufschub. Sie machen süchtig, weil die Kontrolle, die sie vorspiegeln, immer Illusion bleibt, immer von der Heterosexualität, die sie zu harmonisieren suchen, verändert und im Zaum gehalten wird. Gewissermaßen wird im Lesevorgang das Zwanghafte der Begierde wiederholt und bezeugt so das Einschränkende an den Vorschriften für weibliche Sexualität. Liebesromane mögen vorgaukeln, der Weg in die Ehe sei mühelos (Widerstände sind da, um aus dem Weg geräumt zu werden), aber sie müssen zurücktreten, wenn es eigentlich interessant wird — nach der Heirat. Die Leserin wird im Dauerzustand des Vorspiels gelassen, aber ich habe das deutliche Gefühl, daß das für viele Frauen der beste heterosexuelle Sex ist, den sie jemals bekommen.
Ich schlage also vor, daß wir Wege entwickeln, Liebesromane und ihre Rezeption als »symptomatisch« und nicht als lediglich »widerspiegelnd« zu analysieren. So gesehen ist das Lesen von Liebesromanen weniger eine politische Sünde oder ein moralisches Vergehen als eine Art »literarischer Eßsucht«, die als Protest gegen und als Neuformulierung von Unterdrückung funktioniert. Daß sie zwanghaft gelesen werden, macht auf Seiten der Leserinnen eine unablässige Suche nach mehr als dem Gebotenen sichtbar. Das soll natürlich keineswegs nahelegen, daß Liebesromane in irgendeiner Weise progressiv seien. Innerhalb der Realitäten des Lebens von Frauen können sie jedoch sehr wohl transgressiv, grenzüberschreitend sein. Konsumgut, ja; hoffnungslose Rebellion, ja; aber trotzdem in unserer Gesellschaft eine verbotene Freude — wie Sahnetorte. In Liebesromanen wird Heterosexualität groß geschrieben, aber dadurch ist diese für das literarische Establishment peinlich, denn die Schriftsteller/innen dort wollen gern stets ernst genommen werden. Sie beleuchten natürlich den Heterosexismus in einem großen Teil der orthodoxen wichtigen Literatur. Denn lassen wir die Präsentation der Weiblichkeit einmal beiseite, was gibt es denn überhaupt noch an Modellen einer alternativen Konstruktion von Männlichkeit? Der Liebesroman ist nicht absichtlich anders in seiner Beschreibung von Virilität als etwas, das sich um Positionen von Autorität, Hierarchie und Aggression rankt. Linke männliche Kritiker könnten gut daran tun, sich Projekten zuzuwenden, die sich mit der Dekonstruktion einer »normalen« männlichen Heterosexualität befassen — ein Phänomen, das schließlich tatsächlich auch außerhalb von Kriegsgeschichten und Cowboy-Büchern existiert.
Wenn ich sage, daß es beim Lesen und Schreiben um die Subjektivität geht, heißt das nicht, sich in den »Subjektivismus« zurückzuziehen, sondern zu erkennen, daß jedes feministische literaturkritische Unterfangen Fragen an gesellschaftliche und geschichtliche Gegebenheiten stellt. Sowohl in bezug darauf, wie sie »dort draußen« funktionieren, als auch darauf, wie sie das Material »dort drinnen« durchdringen und strukturieren — die Identitäten, die wir durchleben und die uns ermöglichen, zu Agenten politischer Veränderung zu werden. Literatur macht zumindest zum Teil deshalb Spaß, weil sie mit diesen anderen Fiktionen spielt, sie verschiebt und umgestaltet. Und als Kritikerinnen populärer Kultur brauchen wir eine Sprache, die politisieren kann, ohne auf die Kategorien der Unterhaltung zu verzichten. Zu sagen, Kunst für jedefrau/jedermann sei für manche Eskapismus, bedeutet nicht, die Wirkung eines literarischen Diskurses zu unterschätzen, sondern den Versuch, diese Wirkungen über das ganze Spektrum der Produktion von Bedeutung anzusiedeln, von dem literarische Texte einen Teil bilden. Ich behaupte weiterhin, daß der Feminismus weniger die Abschaffung bestimmter literarischer Formen als die Veränderung der Bedingungen, die sie erzeugen, notwendig macht. Ich für meinen Teil glaube, daß es auch nach der Revolution noch Liebesromane geben wird.
Wenn ich eine Schwäche für Liebesromane habe, so deshalb, weil sonst nichts mich auf die gleiche Weise anspricht. Wir Feministinnen sind aufgerufen, ein gründliches und einfühlsames Verständnis dafür zu entwickeln, wie diese Fiktionen im Leben von Frauen funktionieren, wo sie den Raum für kulturelle und psychische Freude offenhalten, während sie die Unzufriedenheiten, auf die sie angewiesen sind, umlenken. Das erscheint mir der Punkt zur Rückkehr nach Manderley.

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