Die Entstehung einer Emanzipationsbewegung

Der Aufruf an die Frauen, den Qiu Jin mit »Die Steine des Vogels Jingwei«[1] wie mit ihrem gesamten Leben überhaupt, laut werden läßt, reiht sich in eine historische und soziale Bewegung ein, die ihm erst seine ganze Tragweite verleiht. Zu der Zeit, in der sie lebt und schreibt, gibt es in China eine Denkströmung, die die Entstehung einer Frauenemanzipationsbewegung begüngstigt, eine Strömung nämlich, die sich als kritisches Denken aus der Infragestellung des Bandaglerens der Füße, der traditionellen Erziehung und der Ehe entwickelt.
Am Ursprung dieser Gedankenströmung finden sich eine ganze Reihe individueller Stellungnahmen, die eine besondere Betonung verdienen.

Die Vorkämpfer

Es ist immer möglich, zu einer Bewegung Vorläufer zu finden, und man begegnet im Lauf der Jahrhunderte immer wieder Individuen, die sich gegen die Lebensbedingungen der Frauen in China aufgelehnt haben. Wenn diese einzelnen Stellungnahmen - oft das Werk liberal gesinnter intellektueller, die ihrer Zeit voraus waren - keine direkten Auswirkungen auf die Gesellschaft hatten, so sind sie doch zumindest Anstoß für neue nonkonformistische Ideen gewesen, die dazu beigetragen haben, Schritt für Schritt einen faktischen Zustand zu verändern.
Die Infragestellung der Lebensbedingungen der chinesischen Frau entwickelt sich entlang dreier Hauptachsen: die Weigerung, sich die Füße bandagieren zu lassen, also eine Auflehnung gegen die physische Verstümmelung der Frauen. Zweitens: die Betonung der Notwendigkeit einer Erziehung für Frauen. Drittens schließlich tritt zu diesen beiden Themen der Frauenbefreiungsbewegung noch eine weitere Forderung: die selbstgewählte Ehe. Anders ausgedrückt finden sich in den Forderungen bezüglich der Veränderung der Lebensbedingungen der Frauen je nach der historischen Epoche, in der diese Forderungen erhoben werden, mehr oder weniger explizit die Grundgedanken der Unabhängigkeit der Frau vom Mann (Ablehnung des Sklavendaseins der Frau, wie sie sich in der Verweigerung des Bandaglerens der Füße und der Forderung nach selbstgewählter Ehe ausgedrückt) einerseits und der offenkundigen Notwendigkeit einer Erziehung der Frauen, ohne die es keine ökonomische Unabhängigkeit geben kann, andererseits.

a) Männer

Auf Gedanken, die die herkömmliche Ordnung der chinesischen Gesellschaft in Frage stellen, stößt man vor allem im 18. und 19. Jahrhundert, aber bereits unter den Song (960-1279) finden sich Männer wie Yuan Cal[2] und Che Ruoshul als Kämpfer für die Sache der Frauen. Beide sind Intellektuelle. Yuan Cal wendet sich gegen die Heirat mit Hilfe der Ehevermittler/in. Er findet es ungerecht, daß die Frauen völlig der Gewalt ihres Vaters, Mannes und dann des Sohnes unterstehen sollten. Er schreibt, es sei ein Widerspruch, den Frauen einerseits zu erzählen, daß der Mann das Einzige ist, worauf sie sich stützen können, und andererseits es ihnen zu verbieten, sich wiederzuverheiraten, wenn sie verwitwet sind. Er beklagt ihr Los, keinerlei Möglichkeit der Unabhängigkeit und keine Chance zur Auflehnung zu besitzen. Er spricht voller Mitgefühl von den Ammen und Dienerinnen, die keinerlei Privatleben kennen. Che Ruoshul[3] kämpft gegen das Bandagieren der Füße, worin er keinerlei anderen Nutzen sieht, als daß dadurch arme unschuldige Kinder gequält werden.
Im 18. Jahrhundert geht Yuan Mei [4] (1716-1798), ein gebildeter Beamter und berühmter Dichter über das bloß literarische Engagement hinaus. Auch er ist gegen das Bandagieren     der Füße. Er findet es dumm und lächerlich, eine solche Praktik immer weiter fortzuführen, ohne dafür andere Gründe nennen zu können, als daß die Tradition geachtet werden müsse. Er hält es für notwendig, den Frauen Gelegenheit zu geben, ihre Geistesgaben zu entfalten, und so wendet er sich gegen die traditionelle Maxime, daß der Mangel an Intelligenz bei einer Frau eine Tugend sei. Er umgibt sich mit Schülerinnen, die er ermutigt, ihre Gaben als Dichterinnen zu entfalten. Das bringt ihm bei seinen Zeitgenossen den Ruf eines sittenlosen Freigeistes ein. Er gibt eine    Sammlung heraus, das sulyuan nüdizi shlxuan, das nur aus Gedichten von Frauen besteht. So ermöglicht er den Frauen, sich auszudrücken, und dieses unter seiner Schirmherrschaft entstandene Werk hat großen Einfluß auf die Frauenliteratur zu Ende der Qing-Zeit gehabt und eine Menge gebildeter Frauen dazu angeregt, Gedichte zu schreiben [5]. In ihren Gedichten drücken die Schülerinnen Yuan Mels ihre Gefühle ihrem täglichen Leben gegenüber aus. Sie bedauern, daß soviel Zeit vergeht, in der sie passiv sind und nichts tun können, und sie beklagen den Umstand, daß man ihnen keine Gelegenheit gibt, die Erziehung zu nutzen, die sie genossen haben. Ebenso berichten sie von den Freuden und Leiden ihres Herzens.
Im 19. Jahrhundert schreibt der Literat Li Ruchen (1763 1830)[6], gegen Ende seines Lebens ein Werk in mehreren Teilen, das Jinghua yuan,[7] in dem es besonders um Frauen und deren Lebensbedingungen geht. In seiner Erzählung, die unter der Kaiserin Wu (690-705) spielt, versetzt er Männer in die Situation der Frauen. Wu war die erste Frau, die alle Funktionen einer Kaiserin erfüllte. Die Männer leben also in einem von Frauen regierten Land, diese suchen sich ihre Männer aus und sperren sie in »Männergemächer«. Die Männer haben durchstochene Ohren, und bandagierte Füße, sind gekleidet wie Frauen und geschminkt und sind - selbstverständlich - außer sich darüber, daß solche Praktiken möglich sind. Mittels seiner Erzählung ergreift Li Ruchen Partei gegen die ganze Frauenmode, das Schminken, das Zurechtmachen, das Durchstechen der Ohren und Bandagieren der Füße, und außerdem auch gegen die Heirat mit Hilfe der Ehevermittlerinnen. Er ist unter den ersten, die die Gleichheit von Männern und Frauen verkünden, insbesondere die Gleichheit auf intellektuellem Gebiet, und die den Vorschlag machen, die Frauen an der politischen Macht teilhaben zu lassen. Yu Zhengxle,[8] ein Zeitgenosse Li Ruchens, der von 1775 bis 1840 lebte, veröffentlicht 1832 zwei Werke, die das Bandagieren der Füße, das Konkubinat, die Ehe und die Begriffe Jungfräulichkeit und Keuschheit behandeln. Er ist gegen das Bandagieren der Füße und erklärt, daß die Männer sich einmal bewußt machen müßten, welche Folgen dieser Usus nach sich ziehen würde: er schwächt die Frauen beträchtlich, und diese Schwäche fällt auf die Männer zurück. Nach Yu ist das Konkubinat eine unmenschliche Einrichtung, und es ist ganz normal, daß die Frauen eifersüchtig werden.[9] Alles andere wäre anormal. Er hält an der Einehe fest und zeigt auf, wie die Männer für ihre eigenen Zwecke die Jungfräulichkeit der Frauen ausbeuten. Seit der Ming-Zeit (1368-1644)[10] gibt es die Sitte, diejenige Familie, die sich rühmen kann, eine in ihrem Verhalten vorbildliche Tochter zu haben, ideell und materiell zu belohnen. In einem Lande, in dem man Ehen im voraus arrangiert, wobei manchmal gewaltige Altersunterschiede zwischen den Partnern bestehen, kommt es vor, daß Mädchen zur »Witwe werden, ehe sie überhaupt verheiratet sind. Das vorbildliche Verhalten besteht in diesem Falle darin, daß das Mädchen sein ganzes Leben dem Andenken des Verstorbenen weiht und ihm treu bleibt, indem sie entweder ihre Jungfräulichkeit bewahrt oder überhaupt in Keuschheit lebt. Es gibt auch die Möglichkeit, Selbstmord zu begehen, um den Verstorbenen nicht zu überleben. Oft üben die Familien Druck auf ihre Töchter aus, um bei diesen jenes vorbildliche Verhalten zu erzielen, aus dem sie ideellen und materiellen Vorteil schlagen. Yu Zhangxle dagegen betrachtet die Wiederverheiratung als eine ganz normale Sache.
Die Männer, die im Lauf der Jahrhunderte ohne Umschweife in ihren Schriften zugegeben haben, daß die Lebensbedingungen der Frauen in China ungerecht sind, sind natürlich zahlreicher, als wir sie hier erwähnen konnten. Aber man muß sich vor Augen halten, daß, wenn auch zahlreiche Männer gegen die Lebensbedingungen der Frauen protestiert haben, sie doch keineswegs die Einzigen waren. Die Frauen haben sich zu allen Zeiten gegen die Bedingungen gewehrt, die man ihnen aufzwang.

b) Frauen

Dieser Widerstand war immer ein individueller. Die Frauen drückten ihn in ihren Schriften aus, besonders in den Tancis, derer sie sich, wie wir sahen, besonders gern bedienten.
Wir können nicht genau angeben, wieviele Tancis von Frauen geschrieben wurden, aber es ist eine lange Liste, und ich will lieber zwei davon exemplarisch herausgreifen und hier vorstellen.
Um das Jahr 1600 schreibt zum ersten Mal eine Frau, Tao Zhenhuai, ein Tanci, das tianyu hua. Man weiß nichts über das Leben seiner Verfasserin, kennt weder ihr Geburts- noch ihr Todesjahr. Zheng Zhenduo [11] meint, daß es sich hier um ein politisches Literaturwerk handelt, das über die bloße Zerstreuung der Frauen in den Frauengemächern hinausgeht. Die Verfasserin, die ein tiefes Empfinden für das Volk besitzt, beschreibt mit bewegten Gefühlen die Not und das Elend, in dem dieses Volk in den schwierigen Jahren Ende der Ming-Zeit lebt. Man hat sich wiederholt gefragt, ob dieses Tanci überhaupt von einer Frau geschrieben wurde, da die männliche Hauptfigur der weiblichen weit überlegen ist, was die Wertschätzung des Publikums anbelangt.
Im 18. Jahrhundert, unter dem Kaiser Qian Long (1736 - 1796), schreibt Chen Duansheng (1751-1796)[12] das Zaisheng yuan (Geschichte einer Auferstehung).[13] Sie stammt aus einer gebildeten Familie und »nachdem ihr Mann nach Zentralasien ins Exil gegangen war, schreibt sie verarmt und ohne Hoffnung, jemals Anerkennung ihrer Talente zu finden - das zaisheng yuan, um ihr eigenes Unglück unter dem Deckmantel einer erfundenen Geschichte noch einmal aufleben zu lassen«.[14] Dieses Tanci erzählt die Geschichte eines Mädchens, das seinen Namen ändert und sich als Mann verkleidet, um einem Schurken zu entgehen, der sie heiraten will, nachdem er ihren Verlobten gezwungen hat, in die Berge zu fliehen. Da sie überall für einen Mann gehalten wird, legt sie Prüfungen ab, wird Minister und sieht sich eines Tages als Prüfer ihrem Verlobten gegenüber. Die Verkleidung der jungen Frau wird entdeckt, und der Kaiser beschließt, sie zu seiner Konkubine zu machen. Erst durch das Dazwischentreten der Kaiserin dürfen die beiden Verlobten endlich heiraten. Chen Duangsheng stirbt an ihrem Kummer, ehe sie ihr Buch beendet, und dieses wird von einer anderen Frau vollendet: von Liang Decheng (1771-1947).[15] Der Einfluß des Zaisheng yuan läßt sich später bei anderen von Frauen verfaßten Tancis weiterverfolgen.
Wenn auch nicht alle Frauen Tancis schreiben, so sind sie doch deren eifrigste Leserinnen, und viele von ihnen tragen sie auch vor und tragen so zu ihrer Verbreitung bei.
Schon seit dem Beginn der Qing-Zeit (1644) werden sie in zahlreichen Werken als Interpretinnen von Tancis gewürdigt.[16] Ein Dichter der Qing-Zeit schreibt zu Beginn dieser Epoche in einem Nachruf auf seine verstorbene Konkubine, daß diese »Aufrufe an die Frauen richtete, indem sie ihnen melancholischen Gemüts Tancis vortrug«.[17] Im »Traum des roten Pavillons«[18] werden mehrfach Erzählerinnen erwähnt, die man ins Haus kommen ließ. Auf diese Art besitzt das Bürgertum also auch seine Künstlerinnen, die nü ylren, von denen viele berühmt geworden sind. Dichter haben ihre Verdienste besungen. Als Shanghai zur blühenden Handelsmetropole geworden ist, haben die Frauen die die Tancis vortragen, das Recht, sich in den Teehäusern aufzuhalten, die man neu hergerichtet und in kleine Theater umgewandelt hat, mit einer kleinen Bühne und im Kreis aufgestellten Stühlen.[19] Sie sind oft auf den Plakaten zu sehen, mit denen Vergnügungsveranstaltungen angekündigt werden. Wenn diese Frauen vom Publikum wie männliche Künstler anerkannt werden, so muß man auch dazu sagen, daß der Weg zu dieser gesellschaftlichen Anerkennung über den Erwerb einer Anrede führt, die normalerweise den Männern vorbehalten ist: Xiansheng.[20] Die berühmten Tanci-Interpretinnen Shanghais kommen in der Mehrzahl aus der Gegend von Suhou und insbesondere aus den beiden kleinen Städten Changshu und Qinchuan. Die Einwohner dieser Städte waren ehemalige Bauern, die durch die Akkumulation von Grund und Boden zu Landbesitzern geworden waren. Ihr Wohlstand gestattete ihnen ein müßiges Leben, und die Frauen aus Changshu und Qinchuan entwickelten, nachdem sie sich einmal der Kunst verschrieben hatten, ein künstlerisches Talent, wie es ihre Schülerinnen aus Shanghai nie erreichten.
Die Tanci-Interpretinnen lebten im Norden der Stadt Shanghai.[21] Sie empfingen ihre Gäste bei sich zuhause, konnten sie aber auch in die Teehäuser begleiten. Von den Prostituierten-Sängerinnen, von denen sie sich immer stark abgrenzten, unterschied sie nur die Hochachtung, die man ihrem künstlerischen Talent zollte. Diese Prostituierten-Sängerinnen hießen Jinü. Später vermischten sich wohl infolge eines allgemeinen Desinteresse an dieser Kunstgattung diese Tanci-Künstlerinnen immer mehr mit den Prostituierten-Sängerinnen. Sie verloren ihr Ansehen und das Recht auf die den Männern vorbehaltene Anrede.
Andere Frauen finden Formen eines aktiveren Widerstands gegen die Lebensbedingungen, die man ihnen aufzwingt. Sie werden Transvestitinnen, legen alle äußerlichen Erkennungsmerkmale ihres Geschlechtes ab und versuchen mit Hilfe dieser falschen Identität Zugang zu den Privilegien der Männer zu erlangen. Die volkstümliche Sagenwelt Chinas ist voll von solchen Frauengestalten, die sich als Männer verkleiden, um Examen abzulegen, Verwaltungsämter zu erlangen, in die Armee einzutreten. Eine andere passivere Form des Widerstands ist es, Nonne zu werden. In jener Zeit sind die buddhistischen Klöster die Zuflucht vieler Frauen, die auf diese Weise vor einer Ehe fliehen, die man ihnen aufzwingen will.[22] Schließlich ist für viele der Selbstmord der letzte Ausweg aus ihrer Situation. Statistiken,[23] die die kommunistische Presse in den fünfziger Jahren veröffentlichte, zeigen, daß noch vor so kurzer Zeit eine große Zahl Frauen sich aus familiären Gründen das Leben nehmen.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erhebt sich in der Provinz Guangdong [24] eine Protestwelle gegen die traditionelle Eheschließung, die sich zu einer echten organisierten Bewegung auswächst. In einem Distrikt jener Provinz verweigern eine große Zahl Frauen, in der Mehrzahl Arbeiterinnen in Seidenfabriken, das Zusammenleben mit ihren Ehemännern. Sie bleiben Jungfrauen und organisieren sich in besonderen Häusern für junge Mädchen. Diese Bewegung, der sich viele Bäuerinnen und Arbeiterinnen anschließen, gewinnt in jener Gegend eine derartige Bedeutung, daß die Behörden sich gezwunden sehen, besondere Häuser einzurichten, in denen Frauen Aufnahme finden, wenn sie alt und ohne Unterstützung sind. Dies ist meines Wissens das einzige Beispiel einer Protestbewegung, die kollektive Formen und einen bestimmten Grad an Organisiertheit angenommen hat, und die von den Frauen ausging.
Wenn auch die chinesischen Frauen ihre Lage als Ehe-Sklavinnen oft beklagten, oder sich gegen ihre Männer auflehnten, so ist es doch eine interessante Tatsache, daß sie sehr selten gegen die Verstümmelung ihres eigenen Körpers protestiert haben. Man kennt kaum Frauen, die über ihre verkrüppelten Füße gesprochen hätten, und noch weniger solche, die sich dagegen aufgelehnt hätten.
H. Lévy [25] erwähnt in seinem Buch über das Bandagieren der Füße nur zwei namentlich nicht genannte Frauen, die zu Beginn der Mandschu-Zeit in Briefen den unmenschlichen Charakter dieser Verstümmelung anprangerten.

c) Organisierte Versuche des Widerstands

Die Anführer des Taiping-Aufstands [26] ergreifen konkrete Maßnahmen zur Liberalisierung der Situation der chinesischen Frauen. Es handelt sich hierbei um kollektive und organisierte Maßnahmen, die ein gutes Beispiel für konkretes Handeln in dieser Frage liefern. Die Durchsetzung dieser Maßnahmen ist dabei abhängig davon, ob es der Bewegung gelingt, die Macht zu ergreifen, oder nicht. Es ist nicht klar, ob das veranlassende Moment für das Bekenntnis zu diesen Zielen wirklich der Wunsch nach einer Verbesserung der Lage der Frauen war, oder ob dem bloßer Opportunismus zugrundelag, wodurch dieser Bewegung, deren Hauptziel es gewiß nicht war, die Frauen zu befreien, die unbedingt nötige breite Unterstützung gesichert werden sollte. Im Zuge jener Reformen bekommen die Frauen das Recht, Prüfungen abzulegen, die ihnen den Zugang zu allen Verwaltungsämtern die sie in allen Funktionen bekleiden dürfen,[27] zu eröffnen. Auf der ökonomischen Ebene werden Männer und Frauen gleichbehandelt bei der Aufteilung und Verteilung von Parzellen,[28] die sie bewirtschaften dürfen. Auf dem militärischen Sektor sollen sie ebenso wie die Männer in die Armee[29] eintreten. Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte Chinas, daß man Frauenarmeen bildet. Unter den Tang (618 - 907) beruft der erste Kaiser dieser Dynastie seine Tochter, Prinzessin Ping Yang, an die Spitze einer Frauenarmee, der niangzi Jun. Im Rahmen der großen Volksaufstände am Ende der Ming-Zeit (1644) stellt Zhang Xianzhong, einer der wichtigsten Rebellenführer der damaligen Zeit, eine Frauenarmee, die pozi jun,[30] auf.
Immer noch Im Rahmen der Reformen, die die Taiping erließen, wird das Bandagieren der Füße untersagt (auf der Übertretung dieses Verbots liegt die Todesstrafe), und die Ehen sollen frei geschlossen werden. Aber es besteht weiterhin eine strikte Geschlechtertrennung und die Examina, die die Frauen ablegen können, geben ihnen ausschließlich Macht über Frauen, aber niemals über Männer. Die Anführer der Bewegung leben in Polygamie, und die Frauen, die einen Posten in der Hierarchie der Führung ergattern, sind entweder die Frauen oder die Konkubinen der Führer.[31] Wie haben die Frauen auf die Maßnahmen reagiert, die sie in dieser Weise betrafen? Es gibt Quellen,[32] die behaupten, sehr viele Frauen seien unglücklich darüber gewesen, daß sie sich plötzich auf so autoritäre Weise gezwungen sahen, Dinge zu tun, die sie nicht gewohnt waren. Eine beträchtliche Zahl unter ihnen haben sich der Armee durch Selbstmord entzogen.
Aufgeklärte Intellektuelle, Frauen, die Taiping, haben alle auf ihre Weise die gesellschaftliche Situation der Frauen problematisiert. Aber erst am Ende des 19. Jahrhunderts zeichnen sich die Umrisse einer Frauenbefrelungsbewegung ab. Und erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts ergreifen die Frauen das Wort und artikulieren ihren Protest in einer systematischeren Weise.

Die Hauptthemen, die die Entstehung einer Emanzipationsbewegung auslösen.

Man kann zu Beginn dieses Jahrhunderts noch nicht recht von einer echten Frauenbefreiungsbewegung in China sprechen. Es gibt nur Gedankenströmungen, die versuchen, die Lebensbedingungen der chinesischen Frauen in Frage zu stellen, indem sie sich an den sichtbarsten Zeichen der Versklavung dieser Frauen festmachen, nämlich an der körperlichen Verstümmelung, dem Fehlen einer allgemeinen Ausbildung und der Zwangsehe.
Diese drei Themen sind die Angelpunkte der ersten organisierten Kämpfe. Aus diesen Kämpfen entwickelt sich in den Jahren 1916-1919 eine starke und strukturierte Bewegung.
In jedem Falle sind die ersten zehn Jahre des Jahrhunderts sehr wichtig für die Emanzipationsbewegung, da in dieser Zeit bereits die künftigen Gesellschaftsveränderungen ansatzweise entwickelt werden.

a) Der Widerstand gegen das Bandagieren der Füße.

Es muß noch einmal daran erinnert werden, daß bereits 1642 die neue kaiserliche Regierung Maßnahmen ergreift, um diesen Brauch zu unterbinden. 1645-1646 verweist man die Frauen mit bandagierten Füßen aus den kaiserlichen Frauengemächern. 1661 droht ein Erlaß allen, insbesondere den Beamten, die das Verbot mißachten, schwere Strafen an. Aber diese Maßnahmen, die nicht Ausdruck eines Aufstandes, sondern Erlaß einer als fremd empfundenen Macht sind, bleiben letztlich wirkungslos. Die Mandschu-Frauen, die sich die Füße nicht bandagieren, nehmen letztlich zu dem Mittel Zuflucht, unter ihren Schuhen weiße Stützen zu befestigen, die die Illusion kleiner Füße vermitteln.[33] Es gelingt den Mandschus nicht, eine Praktik auszurotten, deren Aufrechterhaltung unter anderem zu einem Symbol des Widerstands der Chinesen (han) gegen die Eindringlinge geworden ist.[34]
Die beiden ersten bedeutenden Verteidiger unverkrüppelter Füße sind die beiden Führer der Reformbewegung Kang Youwei[35] und Liang Qichao.[36] Seit 1882 fordert Kang Youwei die Abschaffung des Bandagierens der Füße in der Provinz Guangdong, 1894 gründet er in Kanton die erste Vereinigung gegen das Bandagieren. 1998 greift er in einer Denkschrift an den Kaiser [37] diese Praktik, die er als eine Fessel in einer sich erneuernder Welt ansieht, die China daran hindert, seinen Platz unter den modernen Nationen einzunehmen, aufs Heftigste an. Im selben Jahr veröffentlicht Liang Qichao in einer Shanghaier Zeitung, dem shiviu bao, einen Text unter dem Titel bianfa tongyl [38] (unerläßliche Gebote bei jeglicher Veränderung), einen Text, in dem er gleichermaßen das enorme Handicap unterstreicht, das diese Sitte darstellt, wie auch die Eile, die geboten ist, sich ihrer zu entledigen. Damit ist der Anstoß gegeben, und es entstehen überall in den großen Städten Vereinigungen gegen die bandagierten Füße. Schließlich erläßt die Kaiserin 1902 nach mehreren Bittschriften, die auch von den Ausländern, insbesondere von den Missionaren, unterstützt werden, ein Edikt, das das Bandagieren der Füße untersagt. Aber erst nach dem Sturz der Mandschu-Regierung ergreift man wahrhaft wirksame Maßnahmen, um diese Praktik endgültig auszurotten. In den Städten ist sie großenteils sehr schnell verschwunden, aber auf dem Land ist sie nur sehr langsam abzuschaffen.[39]
Zwei Dinge werden besonders entscheidend zur Abschaffung dieser Unsitte beitragen, einerseits die Verbreitung der Mädchenerziehung und andererseits die Entstehung einer modernen Industrie, die Arbeitskräfte benötigt.[40]

b) Kampf um die Mädchenerziehung

Die Vorkämpfer auf diesem Gebiet sind die Missionare. Sie haben das Zeitalter der Frauenbildung eingeleitet.
1844 wird in Ningpo die erste chinesische Mädchenschule von einer englischen Missionarin gegründet. Eine Dokumentation, die die amerikanischen und englischen protestantischen Missionare zum Problem der Frauenerziehung in China erstellt haben, liefert uns eine Menge interessanter Informationen zu diesem Thema.[41]
Die Missionare haben Kontakt zu den am meisten unterprivilegierten Schichten der Bevölkerung, und ihre Schulen stehen den Mädchen aus dem einfachen Volk offen. Nach den Berichten der Missionen konnte 1874 in der Gegend von Amoy jede eintausendste Frau lesen. Der Glaube, daß die Frauen keiner intellektuellen Leistungen fähig sind, ist im Volk sehr weit verbreitet, und wenn die Missionare die Frauen selbst fragen, ob sie lesen lernen wollen, dann ist dieser Gedanke ihnen so fremd, daß sie antworten: »Lesen, das ist Männersache, die Frauen arbeiten.« Es fällt den Missionaren sehr schwer, Schülerinnen für ihre Mädchenschulen zu finden. Abgesehen von dem Widerstand gegen den Gedanken, Mädchen könnten eine Erziehung bekommen, können sich die chinesischen Familien nicht vorstellen, daß die Mädchen tagtäglich auf die Straße hinaus müßten, um in die Schule zu gehen. Außerdem gibt es in den Jahren 1840-1850 in China keine Frauen, die freiwillig in den Missionsschulen unterrichten wollen, und die auch über die dazu notwendigen Fähigkeiten verfügen. Die Missionsschulen stellen den Schülerinnen Essen und Kleidung und gehen sogar anfangs so weit, die Eltern dafür zu bezahlen, daß sie ihre Töchter zur Schule schicken. Die Schülerinnen rekrutieren sich also in erster Linie aus den ärmeren Schichten, da die besseren Leute sich kategorisch weigern, ihre Töchter in die Schule zu schicken.
In den religiösen Schulen findet der Unterricht in chinesischer Sprache statt. Man unterrichtet sie dort in der Bibel (in Chinesisch), ein wenig in Mathematik und Geographie und den chinesischen Klassikern. Es versteht sich von selbst, daß das Hauptziel die Unterweisung zu guten Christinnen ist. Gegen 1900 wird dieses Programm auf Bitten chinesischer Missionare erweitert und das Erlernen der englischen Sprache aufgenommen. Die Mehrzahl der chinesischen Frauen, die von diesen Schulen kommen, heiratet und wird zu treuen Ehefrauen und guten Müttern. Aber aus diesen Schulen kommt auch zwischen 1890 und 1905 die erste Generation chinesischer Frauen, die Ärztinnen und Lehrerinnen in den Missionskrankenhäusern und Schulen werden.[42]
Die erste chinesische Initiative zur Eröffnung einer Mädchenschule stammt aus dem Jahr 1897. Sie wird von reichen Shanghaier Kaufleuten unternommen, die eine Vereinigung mit dem Ziel der Eröffnung einer Mädchenschule gründen. Diese Schule wird im Juni 1898 [43] eröffnet. Die Schulordnung sieht vor, daß einige Jahre darauf der Zugang zu dieser Schule Mädchen mit bandagierten Füßen verwehrt sein soll. Alle Lehrerinnen müssen Chinesinnen sein (die sich aus den ehemaligen Absolventinnen der Missionsschulen rekrutieren). Im gleichen Jahr hebt Liang Aichao in demselben Buch, das wir vorhin schon zum Thema der bandagierten Füße anführten, noch einmal besonders hervor, daß eine Mädchenerziehung in China dringend notwendig ist. Er schreibt dort, daß die Stärke eines Landes in hohem Maße von der Erziehung der Frauen abhängt, da sie die ersten sind, die vor der Einschulung einen Einfluß auf die Kinder ausüben. Es sei also notwendig, so schreibt er, daß die Frauen eine Erziehung bekommen, wenn dieser Einfluß ein guter sein soll. Er entwickelt weiter den Gedanken, daß die Frauen im aktiven Leben stehen, unabhängig von den Männern sein müßten, wenn eine Nation stark sein soll. Und nur eine Ausbildung gestattet den Frauen, ihre Autonomie zu erlangen.[44]
Das Scheitern der Reform-Bewegung bringt ein Zurücktreten dieser fortschrittlichen Ideen mit sich, und die 1898 gegründete Mädchenschule wird 1900 auf Befehl der Kaiserin [45] wieder geschlossen. Aber die Bewegung lebt schon bald wieder auf, es gibt immer mehr private Initiativen, und zwischen 1901 und 1907 werden mehrere Mädchenschulen eröffnet. Zu Beginn des Jahres 1907 gibt es in Shanghai zwölf Mädchenschulen, die insgesamt achthundert Schülerinnen haben. Sie werden ausschließlich von Chinesen finanziert und kontrolliert.[46]
Erst 1907 werden die Schulordnungen der Mädchenschulen veröffentlicht. Es werden Dekrete erlassen, die die Eröffnung von Hochschulen in den Provinzhauptstädten und von Grundschulen ini ganzen Reich vorsehen. An eine Tätigkeit von Frauen als Lehrerinnen an weiterführenden Schulen wird jedoch nicht gedacht. Die Missionare berichten, daß bereits innerhalb weniger Jahre, vor allem nach der offiziellen Entscheidung für die Eröffnung von Mädchenschulen, die Schulbildung zu etwas geworden ist, dessen man sich rühmen kann. Wer nicht lesen kann, wird verachtet, und selbst Erwachsene verlangen Zugang zu den Schulen.
Man hat bei der Erziehung, die in den chinesischen Schulen erteilt wird, bestimmt nicht die Emanzipation der Frauen im Auge. Lehrpläne und Lehrbücher sind die gleichen geblieben, wie damals in den Familien und weichen kaum von den Grundprinziplen der konfuzianischen Moral ab, die da lauten, daß es darum geht, in erster Linie treue und ergebene Ehefrauen und gute Mütter zu erziehen. Wenn man es offiziell für falsch erklärt, daß manche Männer die Frauen verachten, so erinnert man doch immer wieder daran, daß die Unterordnung unter die Gewalt des Vaters und später des Mannes ein wichtiger moralischer Grundstock bleibt. Dies geht sehr deutlich aus dem folgenden Absatz eines neuen Buches über Erziehungsgrundsätze für Mädchen hervor:[47]
Die Tugend der chinesischen Frau ist zu allen Zeiten von allen Menschen sehr hoch eingeschätzt worden. So mögen die jungen Mädchen an unseren Schulen ebenso wie ihre älteren Schwestern keusch, friedfertig, gehorsam, bescheiden, sparsam und barmherzig bleiben.
Die Familie und das Reich stehen in enger Beziehung, deshalb sind die Sitten dann in einem guten Zustand und das Reich gefestigt, wenn es um die Familien gut steht. Die gute Erziehung der Bürger dieses Reiches hängt von der guten Erziehung der Frauen ab. Die Familien werden gut geleitet wenn die Mütter gut und tugendhaft sind. Es gibt in China üble Unsitten: Männer verachten die Frauen, andere Männer behandeln sie schlecht. Die Schulen müssen diese Unsitten abschaffen.
Männer wie Frauen müssen einen Beruf ausüben. Die Frauen dürfen ihr Leben nicht länger essend und plaudernd, ohne zu arbeiten, verbringen. Sie werden ihren Vätern, Müttern, Ehemännern und Schwiegersöhnen ergeben bleiben. Die abartigen Vorschläge, die üblen Gewohnheiten, mit denen man eine freie Annäherung der Geschlechter durchzusetzen versucht, müssen aufs Schärf ste bekämpft werden, es geht nicht an, daß die Frauen ihren Gatten frei wählen (...). »
Ungeachtet der Tatsache, daß hier die traditionelle Erziehungsmoral aufrechterhalten wird, ist die öffentliche Meinung der Ansicht, daß den Frauen immer noch viel zu viele Rechte eingeräumt werden, und daß das Wissen die Keime zu Freiheitsbestrebungen in sich trägt, die das Land dem Verderben ausliefern werden.[48]

c) Für eine freigewählte Eheschließung

Zu den beiden Themen des Widerstands gegen das Bandagieren der Füße und der Verbreitung der Mädchenerziehung tritt noch das Thema der von beiden Partnern freigewählten Eheschließung ohne Vermittlung der Ehestifterin und der Eltern. Die jungen Mädchen, die den Vereinigungen gegen das Bandagieren der Füße angehören, schwören sich, ihre Ehemänner selbst auszusuchen und sich nötigenfalls den Anordnungen ihrer Eltern zu widersetzen.

Die Mittel, deren sich die Emanzipationsbewegung bedient

a) Die Vereinigungen

  • Die Vereinigungen gegen das Bandagieren der Füße, die ab 1900 immer zahlreicher werden,[49] haben ein strenges Reglement, das über die lokale Presse verbreitet wird. Alle Mitglieder müssen sich verpflichten, die Füße ihrer Töchter nicht zu bandagieren. Die Männer verpflichten sich, keine Frauen mit bandagierten Füßen zu heiraten und überdies ihre Söhne keine Frauen mit bandagierten Füßen heiraten zu lassen. Wer bereits mit dem Bandagieren der Füße seiner Tochter begonnen hat, wenn er in die Vereinigung eintritt, muß damit aufhören, wenn das Kind jünger als acht Jahre ist. Wenn es älter ist, muß man damit fortfahren, es aber der Vereinigung mitteilen. Es gibt nämlich etwa im Alter von acht Jahren ein Stadium, in dem der Muskelschwund an der Fußsohle nicht mehr rückgängig zu machen ist. Wenn man zu diesem Zeitpunkt mit dem Bandagieren aufhörte, so würde das unerträgliche Schmerzen verursachen, die völlig vergeblich wären, da keine Heilung mehr möglich ist. Diesen Punkt muß man im Kopf behalten, wenn von der Ausrottung dieser Unsitte die Rede ist. Die Vereinigung bemüht sich auch, für die Mädchen, die noch zu sehr dem Vorgang des Bandaglerens verhaftet sind, einen Partner zu finden, der unverkrüppelte Füße mag. Die Anhänger dieser Vereinigungen müssen Name und Adresse auch ihrer Frauen und Kinder hinterlassen und die Geburt eines jeden Kindes mitteilen. In diesen Vereinigungen steht der Kampf gegen das Bandagieren der Füße neben dem für eine Schulbildung für Frauen, und manche von ihnen eröffnen Mädchenschulen, in die nach und nach nur noch Kinder mit unverkrüppelten Füßen aufgenommen werden.
    Diese Organisationen sind sehr aktiv. Es gibt öffentliche Versammlungen, Verteilung einfach geschriebener Flugblätter, kleine Lieder, die man leicht auswendig behalten kann und deren Texte die physischen und psychischen Leiden aufgrund der Verstümmelung anprangern und die Vorteile preisen, die der Besitz von unverkrüppelten Füßen mit sich bringt.
    Sie sind mit Sicherheit ein sehr wichtiges Element für die Verbreitung der neuen Gedanken in bezug auf die Frauen gewesen.

b) Die Literatur als Waffe im Kampf der Feministinnen

  • Die Intellektuellen zu Qiu Jins Zeit schreiben der Literatur die Kraft zu, das Bewußtsein ihrer Leserschaft zu verändern. Sie glauben, daß sie, indem sie den Lesenden die bestehenden Probleme bewußtmachen und ihnen Kampfstrategien vorschlagen, nicht nur neue Ideen verbreiten, sondern auch Bewußtwerdungsprozesse einleiten können. Daher sind fast alle Literaturzeitschriften, die nach 1900 entstanden sind,[51] Kampforgane, in denen die zu vermittelnde Aussage weit mehr Raum einnimmt als die eigentliche literarische Qualität der abgedruckten Werke. Die neuen Ideen sind in alle Literaturgattungen eingedrungen, und es gibt eine reichhaltige Literaturproduktion zur Frauenfrage.
    Die bedeutendste Literatur entsteht zum Thema Bandagieren der Füße.[52] Das bezeichnendste Werk dieser Richtung ist das »zhongguo zhi nü tongxlang,[53] das in zwanzig huls (Kapiteln) all die Widerstände schildert, auf die man in den Familien stößt, wenn davon die Rede ist, die Füße der kleinen Mädchen nicht zu bandagieren.[54]
    Aber man findet meistens in den Werken, die die Gleichberechtigung von Männern und Frauen vertreten, die Themen des Bandagierens der Füße, der Schulbildung und der freigeschlossenen Ehe als einen Zusammenhang behandelt. Manche dieser Werke berufen sich auf berühmte historische Gestalten aus der westlichen Welt, was noch einmal deutlich macht, wie wichtig der Einfluß des Westens auf die chinesischen Frauen dieser Generation war. So handelt etwa das »faguo nü ylng-xiong tanci (Ballade de l'heroin francaise)[55] von Madame Roland. Es wurde 1904 von einer Frau geschrieben, die Anhängerin der neuen feministischen Ideen geworden war. Zwei Jahre früher, 1902, erschien eine andere Ballade,[56] die sehr großes Aufsehen erregte, und die von dem Attentat der russischen Nihilistin Sophia Perovskaja auf den Zaren Alexander II berichtet. Auch hier ist die Verfasserin eine Frau, die im übrigen recht bekannt war.
    Über die Situation in China gibt es noch ein weiteres Werk zu nennen, das ebenfalls großen Erfolg bei seiner Veröffentlichung hatte,[57] das »Huang Xiuqiu... dessen Titel aus dem Namen der weiblichen Hauptfigur besteht. Man nimmt an, daß es von Yl Suo, vermutlich einer Frau,[58] geschrieben wurde. Es ist eine Erzählung in dreißig Kapiteln über den schweren Kampf dieser neuen Frauengeneration für ihre Befreiung. Einer der Hauptgedanken der Verfasserin ist, daß die Veränderungen schrittwelse vorsichgehen müssen, also eine reformistische Sichtweise.[59] Man muß vorsichtig und bescheiden vorgehen, ohne Gewalt anzuwenden, um die Reaktion nicht herauszufordern. Die wahren Fortschrittskämpfer sind die, die das Alte analysieren, um zum Neuen zu gelangen, dabei aber einen goldenen Mittelweg einzuhalten verstehen. Die beiden Hauptfiguren dieses Buches, Mann und Frau, dienen der Darstellung zweier Seiten ein und derselben Person, der Ideologie einerseits und des Aktivismus andererseits. Erstere ist vorsichtig, zweiter stürmt voran. Erst das harmonische Zusammenwirken beider macht den wirklich fortschrittlichen Menschen aus. Die Verfasserin fordert die Verwendung gesungener und erzählter Literatur als Propagandamittel für jene Menschen, die nicht lesen können und ungebildet sind.
    Sie zieht satirisch über diejenigen her, die sich in Studenten- und Beamtenkreisen als fortschrittlich ausgeben, es aber in Wirklichkeit gar nicht sind. Das Hauptziel des Buches war es, die Frauen dazu zu bringen, sich zusammenzuschließen, um den Männern die Rechte, die sie ihnen abgetreten hatten, wieder zu entreißen. Sie sollen ihre Freiheit wieder erkämpfen. Unverkrüppelte Füße, Schulbildung und freigeschlossene Ehe sind die Hauptforderungen.
    Die politisch engagierte Schrift der damaligen Zeit erscheint 1903 in Shanghai. Es handelt ich hierbei um ein Buch mit dem Titel: Nüjle Zhong (Das Erwachen der Frauen). Es verkündet die Gleichheit von Mann und Frau und ruft die Frauen zur Revolution auf. Die Verfasserin, die unter dem Pseudonym al ziyouzhe Jin Yi (Jin Yi, die Freiheitsliebende) schreibt, ist eine Frau namens Jin Tianhe (1847-1974).[60] Hier ist der Inhalt wesentlich heftiger. Die Verfasserin zeigt auf, wie die Gesellschaft durch die Zwänge, die sie den Frauen von Kindesbeinen an auferlegt, aus ihnen >anomale<, an Leib und Seele verstümmelte Wesen macht. Die Frauen können weder ihre Gaben entfalten, noch ein Wissen erwerben und haben deshalb keinerlei Kontakt zur Gesellschaft. Alle Vergnügungen sind ihnen untersagt, und sie sind im wahrsten Sinne des Wortes in Ketten gelegt und eingeschlossen. Die Verfasserin fordert, daß Männer und Frauen gleichberechtigt sein und die Frauen eigenständige vollwertige Menschen werden sollen. Sie ergreift gegen die traditionelle Ehe Partei. Sie greift die wichtigsten Hindernisse an, die der Befreiung der Frauen im Wege stehen: bandagierte Füße, Mode, Make up, das Durchstechen der Ohren und alles andere, was aus Frauen Puppen werden läßt. Sie kritisiert die chinesische Mode, die gerade beginnt, die westliche Mode nachzuahmen. Erstmalig wird für chinesische Frauen das Recht gefordert, sich die Haare abschneiden lassen zu dürfen. Jin Yi verdammt den Aberglauben und das Einschließen der Frauen. Ihrer Ansicht nach gibt es drei Sorten Frauen: solche, denen es gelingt, die Sitten zu verändern, solche, die den überkommenen Machtstrukturen entkommen können und solche, die darin befangen bleiben. Jin Yi stellt den chinesischen Frauen klare Ziele vor Augen: sie empfiehlt ihnen, ins Ausland zu gehen und zu studieren, wobei sie ihnen rät, sich vor den japanischen Frauen zu hüten, die ihrer Meinung nach den Männern völlig ergeben sind. Sie ruft sie zum Kampf für eine Schulbildung auf, die der der Männer nicht nachsteht, zum Kampf für das Recht auf Freunde, auf Arbeit, das Recht, selbst Güter verwalten zu dürfen, kommen und gehen zu können, wie es ihnen gefällt, und das Recht auf eine freigewählte Eheschließung.[61]
    Schließlich erscheint 1907 [62] das erste Werk über die Betelligung der Frauen an der Macht, das »nüzi quan«. Der Verfasser, wahrscheinlich ein Mann, meint, daß die Parole der Gleichheit von Mann und Frau bedeutungslos bleibt, wenn Frauen nicht die gleiche Erziehung und die gleichen Arbeitsmöglichkeiten wie Männer haben. Dieses Buch ist in erster Linie individualistisch. Es erzählt von einer Frau, die durch ihr eigenes Handeln und ihre privaten Beziehungen die Dinge« verändert.

c) Die Presse als Kampfmittel der Feministinnen

  • Die Presse ist ein weiteres Mittel revolutionärer und feministischer Propaganda. Ab 1900 erscheinen ausschließlich von Frauen gemachte und herausgegebene Zeitschriften.
    Das »nü bao« (Frauenzeitschrift) ist die erste Frauenmonatszeitschrift und erscheint 1902 in Shanghai. Es wird von Chen Xiefen herausgegeben. Es handelt von der Situation der Frauen und insbesondere von ihrer Erziehung.[63] Bald folgen ihm weitere Zeitschriften: »nüjle yue kan (Monatszeitschrift für Frauen), »Xin nüzi shiiie«[64] (Die Welt der neuen Frau). 1905 erscheint in Peking eine Tageszeitung, das »beiJing nübao« (Frauenzeitung für Peking), die ausschließlich von Frauen gemacht und redigiert wurde. Dies ist zweifellos zu der damaligen Zeit die einzige Tageszeitung dieser Art. Die Zeitung ist das Sprachrohr der Frauenorganisationen und verbreitet deren Nachrichten. Außerdem werden darin verschiedene Rubriken von allgemeinem Interesse veröffentlicht, wie beispielsweise Rechenaufgaben, deren Lösung dann im darauffolgenden Heft erscheint.[65] Hier ist ein exemplarischer Auszug aus dem »beiJing nübao", 1907-1908:[66]
    »Oh hört, Ihr zweihundert Millionen Chinesinnen, Schwestern. Man sagt in China, daß die Männer den Frauen überlegen sind, daß die Männer edel und die Frauen gemein sind und daß die Männer zu befehlen und die Frauen zu gehorchen haben. Woher stammen diese gesetzeswidrigen Reden? Von Gelehrten, deren pervertierte Intelligenz die alten Bücher falsch ausgelegt hat. Diese Gebildeten haben gesagt, daß Mann und Frau von Natur aus verschieden sind, daß die Frau ganz allgemein schwach, von nicht sehr tiefschürfender Intelligenz ist, daß ihr die Kräfte zur Erfüllung ihrer gesellschaftlichen Aufgaben fehlen, und daß sie demzufolge der Führung des Mannes unterstehen muß. Die Natur des Mannes wie der Frau ist aber die göttliche Vernunft, und dieses himmlische Prinzip besitzt weder Form noch Gestalt, wie könnte man also sagen, die Natur des Mannes ist so, und die der Frau ist so?«
    In diesem Zusammenhang muß man den Versuch Qiu Jins sehen, Ende 1906 in Shanghai das »Zhongguo nübao« (Zeitung für die chinesische Frau, das Faksimile der ersten Seite dieser Zeitung ist auf der hinteren Umschlagseite dieses Buches abgedruckt) gegründet. Nach den Plänen Qiu Jins soll die Zeitung eine neue Etappe in der Geschichte der chinesischen Kultur einleiten, indem es die Frauen dazu aufruft, sich Bildung zu erwerben und am aktiven Leben tellzunehmen. Ihre Zeitung soll ebenfalls die Grundlagen für eine Frauenvereinigung schaffen, die Qiu Jin anschließend gründen möchte. Sie hat vor, darin Leitartikel, tägliche Nachrichten aus China und dem Ausland, Übersetzungen, Umfragen und Dokumentarberichte über das Leben von Männern und Frauen im allgemeinen, über Status, Organisation und Lehrpläne der Mädchenschulen in China und im Ausland zu veröffentlichen. Auch soll die Zeitung Portraits berühmter Frauen sowie Märchen, Gedichte und Novellen enthalten. All das soll einfach und allgemein verständlich geschrieben sein, da es ja eins der wichtigsten Ziele der Zeitung ist, den Frau~n eine Art Bildungsgrundlage zu vermitteln. Sie gehört allen, die daran mitarbeiten wollen, und deren Vorschläge sind willkommen.[67]

d) Vorbildcharakter des individuellen Engagements Einzelner

  • In der Bewegung gegen das Bandagieren der Füße und für die Schulbildung der Frauen haben sich die Verbände, die Literatur und die Presse für die Befreiung der Frauen eingesetzt. Im Zusammenhang mit jenen frühen Kämpfen stößt man auch auf einzelne Beispiele individuellen Engagements von Frauen, selbst wenn es nicht immer einfach ist, dieses Engagement genau nachzuvollziehen.
    Obwohl chinesische Männer bereits ab 1872 Stipendien für ein Studium im Ausland bekommen können, müssen die Frauen noch bis 1907 warten, ehe die Regierung ihnen dieselben Rechte zugesteht. Einige Frauen haben dennoch bereits vorher China verlassen, sie mußten das aber ganz individuell und ohne irgendwelche finanzielle Unterstützung tun. Die Frauen gehen vor allem nach Japan [68] und unter diesen befinden sich Revolutionärinnen wie Qiu Jin. In jener Zeit ist es für eine Frau schon ein Akt der Auflehung gegen die Gebräuche des traditionellen China, überhaupt wegzugehen. Wegzugehen, um sich Wissen anzueignen, ist das Bekenntnis eines neuen Willens, der das Bild der chinesischen Frau vollkommen verändern wird.
    Welche anderen Frauen sind nun noch mit Qiu Jin in Japan? Wir wissen schon, daß es zehn Frauen in der Vereinigung gongal hui gibt. aber außer Chen Xiefen [69] kennen wir keine mit Namen und wissen nicht, was sie genau erreichen wollten. Neben dem Namen Qiu Jins werden Lin Zongsu und Yang Xilun erwähnt,[70] aber ich konnte keine genauen Informationen darüber erhalten, wie im Einzelnen ihr Engagement aussah. Eine Frau, die in jener Zeit sehr oft erwähnt wird, ist Zang Zhujun, besser bekannt unter dem Pseudonym Lignan xiyi.[71] Sie ist nicht nur berühmt geworden wegen ihrer schriftstellerischen Begabung und ihren Schriften, sondern auch wegen ihres aktiven Lebens. Sie lernte Englisch, und studierte Medizin, auf diesem Gebiet arbeitete sie in einem Shanghaier Krankenhaus. Während der Revolution von 1911 gründete sie eine Rot-Kreuz-Organisation und pflegte die Verwundeten an der Front, wobei sie großen Mut bewies.[72] Aber ihr Engagement liegt weniger auf der politischen Ebene als das der beiden Schwestern Yln, Vin julzhi und Yln Weijun.[73] Sie sind Zeitgenossinnen Qiu Jins und aktive Mitglieder der Guangfu hul, in der sie nach 1907 großen Einfluß erringen. Das Engagement der Yin-Schwestern betraf jedoch mehr die Zeit nach der Gründung der Republik (1911) zu der bereits zahlreiche Frauen den politischen Kampf aufnehmen.