[1] Ich lebe in einer Übergangszeit und ich nutze das anbrechende Tageslicht westlicher Zivilisation [2] [3], um die Grenzen meines Weltbildes zu erweitern [4]. Obwohl ich kaum gebildet bin [5], ist es doch sehr schmerzhaft für mich, daran zu denken, daß die Frauen in meinem Vaterland in einer Welt der Finsternis wie trunken dabinleben, oder wie in einem Traum, ohne das geringste Wissen. Obwohl es Schulen gibt [6], können doch die wenigsten diese Schulen besuchen, um zu lernen [7]. Ganz im Gegenteil, es gibt unter unseren zweihundert Millionen Frauen [8] unzählige, die unter der Tyrannei der Männer stöhnen [9]. Aber was tun sie? Sie fahren fort, sich zu schminken, ihr Haar kunstvoll zu frisieren, sich die Füße zu bandagieren, und mit Schmuck in ihren Haarknoten und in bestickte Gewänder gehüllt kokettieren sie mit den Männern, um deren Zuwendung auf solche Weise zu erlangen [10]. Sie sind so lammfromm wie Lasttiere. Sie schämen sich nicht, von den Männern wie Spielzeug benutzt und wie Sklavinnen behandelt zu werden [11]. Ohne Gefühl für die brutale Gewalt, die man ihnen antut, ertragen sie ohne jede Selbstachtung die schlechte Behandlung und die Demütigung [12]; völlig blind und unwissend begnügen sie sich in ihrer Dummheit damit, das Schicksal dafür verantwortlich zu machen [13]. Sie empfinden es nicht als Schande, wenn sie sich wie Sklavinnen und Bedienstete benehmen. Und anstatt unseren Schwestern zu Hilfe zu kommen, machen sie die Anstrengungen zunichte, welche einige Frauen unternehmen, um Mädchenschulen zu gründen und Möglichkeiten zur Ausübung von handwerklichen Tätigkeiten zu schaffen, indem sie sich damit zufrieden geben, ihren Männern und Söhnen zu gehorchen [14]. Dann gibt es noch jene schönen Frauen und eleganten jungen Mädchen aus den wohlhabenderen Kreisen. Sie besitzen zahlreichen Schmuck und häufen kofferweise Gold an; es macht ihnen Spaß, als Abgöttinnen zu dienen. Sie unterhalten Mönche und Nonnen, weil sie sich davon Glück erhoffen, sie sehen aber wohl, daß ihresgleichen, andere Frauen, in einer wahren Hölle leben, aber ich habe noch nie gehört, daß sie diesen geholfen hätten [15]. Wahrhaftig, welch eine Geisteshaltung!
Ich habe die längste Zeit das alles nicht verstanden, dann aber, nachdem ich gründlich darüber nachgedacht habe, ist mir die Erleuchtung gekommen und ich habe mir gesagt: "Gibt es denn unter den Frauen [16] keine Heldinnen, keine Wohltäterinnen, keine außergewöhnlichen Persönlichkeiten? Ich meine nicht die Frauen, die eine Ausbildung genossen haben, sie stehen ohnehin schon unter dem Einfluß westlicher Zivilisation. Ich will nur von den Frauen sprechen, die in der Unwissenheit leben. Stimmt es wirklich, daß es unter ihnen keine einzige Heldengestalt gibt? Sie wissen nicht viel [17], was sie gesehen und gehört haben ist sehr beschränkt, obwohl es alle möglichen Bücher gibt, denn sie können sie nicht gut verstehen, weil sie Schwierigkeiten mit Geschriebenem haben. Aus diesen Gründen schreibe ich ein Tanci [18], ich schreibe es in der Sprache des Volkes, damit alle, Frauen wie Männer, es verstehen können und aus ihrer Unkenntnis zum Wissen gelangen mögen: Meine Geschichte wird sich schrittweise entspinnen, ich werde einzig und allein von den Erniedrigungen, den Leiden und den üblen Gewohnheiten sprechen, die das Leben der Frauen beherrschen. Ich möchte meine Leserinnen gewaltsam aufrütteln, damit sie plötzlich erkennen, daß sie sich falsch verhalten, damit sie sich kräftig regen und der weiblichen Bevölkerung den Fortschritt ermöglichen [189]. Ich spreche jeden Tag den gliibenden Wunsch aus, die Frauen mögen sich von ihrer Unterjochung befreien, sie sollen die Heldinnen einer freien Welt [20] werden und sich schnellstens für all das einsetzen, was Madame Roland, Manita, Sophie Perowskaja, Harriet Beecher Stowe und Jeanne d'Arc [21] begonnen haben. Ich bin bereit, bis zum Ende meiner Kräfte dafür zu kämpfen, daß dieser Wunsch in Erfüllung geht. Ich will nicht zulassen, daß die zweihundert Millionen Frauen in unserem Land ihrer Verantwortung als Bürgerinnen den Rücken kehren. Auf, Frauen, rührt euch!
In Abwandlung der Melodie "ban gong chun " [22]
Ach! Unser Vaterland dämmert im Finsteren dahin und soweit das Auge reicht, nichts als Betrübnis. Unerträglich ist es, zuzusehen, wie China von einer fremden Rasse vereinnahmt ist. Die vierhundert Millionen Menschen chinesischer Abstammung helfen unserem Land nicht, da sie schon zutiefst in ihrer Sklaverei befangen sind. Speichellecker sind sie, die auf Privilegien aus sind, die den Rücken krumm machen und sich selbst erniedrigen. Ich hoffe, daß ich das Glück haben werde, zu sehen, wie uns wieder wirkliche Helden erstehen, die das Land wieder aufrichten,
Bei den Frauen sah es völlig finster aus, sie warteten passiv auf den Tod, in Bitterkeit und Trauer [23]. Der Mut, den Mu Lan [24] bewiesen hatte, und das Heldentum einer Hongyu [25] waren Vergangenheit. Und jetzt ist plötzlich, unter dem Einfluß der westlichen Welt, die Kraft zurückgekehrt. Die Frauen haben sich heftig aufgelehnt, haben das Joch Ihrer Unterdrücker zerbrochen. Von überall her sind heldenhafte und außergewöhnliche Frauen [26] aufgetaucht. Sie haben die Mitte des Schauplatzes in einer neuen Welt eingenommen, da der Himmel beschlossen hatte, daß es den Frauen zufallen sollte, das Land wieder zu festigen [27].