1. Teil - Die Steine des Vogels Jingwei

Vorwort

Ich lebe in einer Übergangszeit und ich nutze das anbrechende Tageslicht westlicher Zivilisation (2)(3), um die Grenzen meines Weltbildes zu erweitern (4). Obwohl ich kaum gebildet bin (5), ist es doch sehr schmerzhaft für mich, daran zu denken, daß die Frauen in meinem Vaterland in einer Welt der Finsternis wie trunken dahinleben, oder wie in einem Traum, ohne das geringste Wissen. Obwohl es Schulen gibt (6), können doch die wenigsten diese Schulen besuchen, um zu lernen (7). Ganz im Gegenteil, es gibt unter unseren zweihundert Millionen Frauen (8) unzählige, die unter der Tyrannei der Männer stöhnen (9). Aber was tun sie? Sie fahren fort, sich zu schminken, ihr Haar kunstvoll zu frisieren, sich die Füße zu bandagieren, und mit Schmuck in ihren Haarknoten und in bestickte Gewänder gehüllt kokettieren sie mit den Männern, um deren Zuwendung auf solche Weise zu erlangen (10). Sie sind so lammfromm wie Lasttiere. Sie schämen sich nicht, von den Männern wie Spielzeug benutzt und wie Sklavinnen behandelt zu werden (11). Ohne Gefühl für die brutale Gewalt, die man ihnen antut, ertragen sie ohne jede Selbstachtung die schlechte Behandlung und die Demütigung (12); völlig blind und unwissend begnügen sie sich in ihrer Dummheit damit, das Schicksal dafür verantwortlich zu machen (13). Sie empfinden es nicht als Schande, wenn sie sich wie Sklavinnen und Bedienstete benehmen. Und anstatt unseren Schwestern zu Hilfe zu kommen, machen sie die Anstrengungen zunichte, welche einige Frauen unternehmen, um Mädchenschulen zu gründen und Möglichkeiten zur Ausübung von handwerklichen Tätigkeiten zu schaffen, indem sie sich damit zufrieden geben, ihren Männern und Söhnen zu gehorchen (14). Dann gibt es noch jene schönen Frauen und eleganten jungen Mädchen aus den wohlhabenderen Kreisen. Sie besitzen zahlreichen Schmuck und häufen kofferweise Gold an; es macht ihnen Spaß, als Abgöttinnen zu dienen. Sie unterhalten Mönche und Nonnen, weil sie sich davon Glück erhoffen, sie sehen aber wohl, daß ihresgleichen, andere Frauen, in einer wahren Hölle leben, aber ich habe noch nie gehört, daß sie diesen geholfen hätten (15). Wahrhaftig, welch eine Geisteshaltung!
Ich habe die längste Zeit das alles nicht verstanden, dann aber, nachdem ich gründlich darüber nachgedacht habe, ist mir die Erleuchtung gekommen und ich habe mir gesagt: "Gibt es denn unter den Frauen (16) keine Heldinnen, keine Wohltäterinnen, keine außergewöhnlichen Persönlichkeiten? Ich meine nicht die Frauen, die eine Ausbildung genossen haben, sie stehen ohnehin schon unter dem Einfluß westlicher Zivilisation. Ich will nur von den Frauen sprechen, die in der Unwissenheit leben, Stimmt es wirklich, daß es unter ihnen keine einzige Heldengestalt gibt? Sie wissen nicht viel (17), was sie gesehen und gebärt haben ist sehr beschränkt, obwohl es alle möglichen Bücher gibt, denn sie können sie nicht gut verstehen, weil sie Schwierigkeiten mit Geschriebenem haben. Aus diesen Gründen schreibe ich ein Tanci (18), ich schreibe es in der Sprache des Volkes, damit alle, Frauen wie Männer, es verstehen können und aus ihrer Unkenntnis zum Wissen gelangen mögen: Meine Geschichte wird sich schrittweise entspinnen, ich werde einzig und allein von den Erniedrigungen, den Leiden und den üblen Gewohnheiten sprechen, die das Leben der Frauen beherrschen. Ich möchte meine Leserinnen gewaltsam aufrütteln, damit sie plötzlich erkennen, daß sie sich falsch verhalten, damit sie sich kräftig regen und der weiblichen Bevölkerung den Fortschritt ermöglichen (19). Ich spreche jeden Tag den glühenden Wunsch aus, die Frauen mögen sich von ihrer Unterjochung befreien, sie sollen die Heldinnen einer freien Welt (20) werden und sich schnellstens für all das einsetzen, was Madame Roland, Manita, Sophie Perowskaja, Harriet Beecher Stowe und Jeanne darc (21) begonnen haben. Ich bin bereit, bis zum Ende meiner Kräfte dafür zu kämpfen, daß dieser Wunsch In Erfüllung geht. Ich will nicht zulassen, daß die zweihundert Millionen Frauen in unserem Land ihrer Verantwortung als Bürgerinnen den Rücken kehren. Auf, Frauen, rührt euch!

In Abwandlung der Melodie "han gong chun " (22)

Ach! Unser Vaterland dämmert im Finsteren dahin und soweit das Auge reicht, nichts als Betrübnis. Unerträglich ist es, zuzusehen, wie China von einer fremden Rasse vereinnahmt ist. Die vierhundert Millionen Menschen chinesischer Abstammung helfen unserem Land nicht, da sie schon zutiefst in ihrer Sklaverei befangen sind. Speichellecker sind sie, die auf Privilegien aus sind, die den Rücken krumm machen und sich selbst erniedrigen. Ich hoffe, daß ich das Glück haben werde, zu sehen, wie uns wieder wirkliche Helden erstehen, die das Land wieder aufrichten.
Bei den Frauen sah es völlig finster aus, sie warteten passiv auf den Tod, in Bitterkeit und Trauer (23). Der Mut, den Mu Lan (24) bewiesen hatte, und das Heldentum einer Hongyu (25) waren Vergangenheit. Und jetzt ist plötzlich, unter dem Einfluß der westlichen Welt, die Kraft zurückgekehrt. Die Frauen haben sich heftig aufgelehnt, haben das Joch Ihrer Unterdrücker zerbrochen. Von überall her sind heldenhafte und außergewöhnliche Frauen (26) aufgetaucht. Sie haben die Mitte des Schauplatzes in einer neuen Welt eingenommen, da der Himmel beschlossen hatte, daß es den Frauen zufallen sollte, das Land wieder zu festigen (27).

I. In diesem, in tiefer Bewußtlosigkeit erstarrten Land
leiden die Frauen, die in finsteren Gefängnissen begraben dahinleben.

Ich bringe meinem Land eine ungeheure Liebe entgegen. Ich bin in völliger Verwirrung und schreibe als Laie bei Lampenlicht dieses Tanci. Die Lage ist bedenklich geworden, aber meine Schwestern sind sich dessen in ihrer Abgestumpftheit nicht bewußt. Mit Bedauern denke ich zurück an all jene zum äußersten entschlossenen Männer, die einst ihr Leben geopfert haben und an all die, die auch heute nicht vor dem Tod zurückschrecken, um ihr Land zu retten [1]. Daneben aber gibt es eine Bande von Heuchlern, die völlig von sich selbst eingenommen ist und sich wild darauf los rühmt und lobt. Diese Heuchler stellen sich als mutig und vaterlandstreu dar, aber welche Beweise ihrer Tapferkeit geben sie uns außer ihren schwülstigen Reden, die sie von Amts wegen halten. Man weiß ja, was sie in Wirklichkeit tun, sie umarmen die Dirnen in den Gärten. Man sieht, wie sie hochmütig und verächtlich werden, wenn sie mit Hilfe von Geld und Empfehlungen den Rang eines Juren [2] einnehmen, und wenn der Kaiser ihnen den Titel eines Zusbi [3] verleiht, dann sind sie selig. Das Einzige, was zählt, sind ihre persönlichen Interessen. Sie ziehen Profit aus den öffentlichen Geldern, die sie verwalten und gieren eifrig nach Ehrenämtern, weil sie wissen, daß dann die materiellen Privilegien von selbst folgen. Um modern zu sein, verkünden sie die Revolution wie tapfere Männer [4], aber sie können sich nicht von all dem freimachen, was auch nur die geringste Autorität verkörpert. Mehr noch, sie kuschen selbst vor den Lakaien und Kötern der Mächtigen. Sie kümmern sich wenig um die Kritik und den Spott des Volkes: "Man gebe ihnen einen Posten, und sei es auch der allerniedrigste, und sie vergessen sofort die Bande der Verwandtschaft, die sie mit ihren Brüdern verbinden und willigen drein, als Helfershelfer des Tigers zu wirken, der sie verschlingt. Die Männer, die etwas taugen, sind die einzigen, die sich darüber entrüsten, aber vergeblich, ihre Landsleute sind so dumm. Verdrossen darüber, daß sie ihr Land nicht sofort retten können, gehen sie nach Japan ins Exil und nehmen ihren vergeblichen Zorn [5] mit sich. Ich selbst bin auch ein Teil dieses Landes, wie könnte ich also als Zuschauerin auf meinem Platz bleiben und mich weigern, meine Pflicht zu erfüllen. Ich kann nichts dagegen tun, daß mein revolutionäres Verlangen stärker ist, als mein Wunsch zu leben. Mit dieser Glut, die mich beseelt, werde ich die Männer beschämen.
Es gibt wohl mutige Männer wie jene, die bei Boliang [6] die Masse der Bewaffneten stellten, aber angesichts der Unmöglichkeit, China zu vereinigen, weinen sogar sie. Ebenso traurig ist es, daß die Frauen, die etwas taugen, angesichts des Auszehrungs- und Entkräftigungszustandes unsres Landes obnmächtig geblieben sind, trotz ihres Willens etwas zu tun. Ich bin gewichen, ich warte und währenddessen schreibe ich dieses Tanci [7] und biete es meinen Schwestern an, die sich davon betroffen fühlen. Sie mögen beim Schein der Lampe Tee trinken und darüber diskutieren.

  • Es soll zu einer Zeit, die man nicht mehr genau angeben kann, im Osten ein Land namens Huaxu [8] gegeben haben, man weiß nur, daß seine Könige den Namen Huang trugen, und daß sie als »Han-Kaiser« verehrt wurden und daß dieser Zustand lange Zeit andauerte. Diese »Han-Kaiser« von einst waren alle sehr weitsichtig. Wer hätte ahnen können, daß sie eine natürliche Neigung zum Schlafen hatten, die von Generation zu Generation ihre Nachkommen ergreifen würde, sogar so weit, daß manche gar nicht mehr erwacht, andere sogar gestorben sind, ohne sich dessen in ihrem Schlummer bewußt zu werden. Der Thron von Huaxu wurde oft widerrechtlich von Fremden eingenommen und die Menschen im Königsreich wußten es nicht einmal. Und das war der Grund: Alle Beamten, sowohl die am königlichen Hof als auch die den Provinzen unterstellten, waren mit Dummheit und Blindheit geschlagen. Außerdem wurden diese Beamten trotz der Übernahme des Thrones durch die Fremden immer noch weiter täglich vor dem Kaiser kniefällig und lobten seine Weitsichtigkeit, seine Herrlichkeit und seine Großzügigkeit. Sie waren Kriecher und Speichellecker, sie lobten seine Güte und seine Größe. Dabei wurde ihnen gar nicht klar, daß es ein anderer Kaiser war, daß er nicht mehr unsrer Nation angehörte, daß er beständig unser Volk unterdrückte, den Sold der Soldaten veruntreute und die Steuern erhöhte. Sie wurden sich nicht der Tatsache bewußt, daß der Kaiser die Vorrechte einer Tyrannenherrschaft genießen wollte, zum Schaden des Volkes, und daß er die Beamten in hochmütiger Weise behandelte. Diese begehrten nur persönliche Vorteile und zusätzliche Rangabzeichen [9]. Auch waren sie immer pflichteifriger dabei, dem Kaiser zu dienen, und um der fremden Nation zu gefallen, töteten sie gnadenlos ihre Landsleute. Einige der Beamten, die weder mit Dummheit noch mit Blindheit geschlagen waren, machten sich, als sie merkten, daß eine fremde Nation das Land in Besitz genommen hatte, daran, die unwissenden Beamten davon zu unterrichten. Diese aber wurden von einer erbärmlichen Angst [10] ergriffen, behandelten die klugen Beamten als Aufständische und ließen sie hinrichten. So wußten die Beamten, die weder mit Dummheit noch Blindheit geschlagen waren, ganz sicher, daß sie nicht auf ihren Posten bleiben würden. Eine andere überraschende Tatsache war es, daß ein Mensch, der ganz offensichtlich vernünftig war, nur in die Kreise der Beamten vorzudringen brauchte, um auch von Dummheit und Blindheit angesteckt zu werden. Es hat schon Vorwürfe gegeben, die besagten, daß die wahre Ursache dieser beiden wunderlichen Phänomene in der Habgier zu suchen sei, die den Geist verneble und im Geld, das den Blick trübe [11]. Als die Fremden sahen, daß die Beamten so sehr mit Dummheit geschlagen waren, kamen sie in Scharen, um sich das Land einzuverleiben. Irgendwo grenzte sich jeder sein Stückchen Land ab und nahm es als Leben. Der Herrscher und seine Minister beunruhigten sich deswegen kaum. Sie lebten weiter wie bisher mit Zerstreuungen und Freuden, als wäre nichts geschehen, und begnügten sich damit, nach all den wertvollen Menschen suchen zu lassen, die weder dumm noch blind geworden waren, und sie hinrichten zu lassen. So wird noch heute das Land Huaxu regiert. Weiterhin war seit Tausenden von Jahren eine schreckliche Sitte verbreitet: die Männer wurden übermäßig hoch geschätzt und die Frauen unterbewertet. Die Männer in jenem Land hatten eigens ganze Bücher geschrieben und barbarische Riten erfunden, um die Frauen zu versklaven. Sie hatten grausame Unterdrückungsmechanismen praktiziert. Um ungeniert üblen Gebrauch davon machen zu können, hatten sie folgende Formel gefunden: für eine Frau ist der Mangel an Geistesgaben eine Tugend. So wurden die Frauen nicht unterrichtet und verblieben in völliger Unwissenbeit. Nachdem die Männer einmal damit angefangen hatten, ihre eigenen Verdienste zu übertreiben, betrachteten sie letztendlich die Frauen als ihre Sklavinnen, als Lasttiere. Sie wußten nichts davon, daß Männer und Frauen von Natur aus gleich sind. Daß sie Wesen mit vier Gliedmaßen und fünf Sinnen, mit Weisheit und Intelligenz, Mut und Kraft sind und sie wußten auch nicht, daß die Frauen die gleichen Rechte und Pflichten haben wie die Männer. Und daß es soweit kommen konnte, lag daran, daß die Frauen keinen Unterricht genossen, nie ausgingen, keine Erfahrung mit der Außenwelt hatten und nie etwas unternahmen. Alles was sie konnten war, in ihren Gemächern auf den Tod zu warten, hinter ihren Fenstern alt zu werden und zu sterben [12]. Sie hatten auch noch das letzte Stückchen ihres Zuständigkeitsbereiches an die Männer abgetreten, damit diesen den ersten Platz überlassen und es ihnen ermöglicht, nach und nach Unterdrückungsmethoden zu entwickeln. Das war für die Frauen eine erbärmliche Situation!

Die Männer versuchten, durch Lügen darüber hinwegzutäuschen und behaupteten, der Himmel habe sie selbst als edle, die Frauen aber als mittelmäßige Wesen erschaffen, weshalb die Frauen über all das, was außerhalb des Hauses geschieht, nicht urteilen könnten. Aber selbst im Hause war es der Mann, der Entscheidungen fällte, und die Frau gehorchte nur. Da es die Heiterkeit und den Spott der Leute bervorgerufen hätte, wenn an die Öffentlichkeit gedrungen wäre, was die Eheleute miteinander sprachen, wollte es der Anstand, daß die Frauen ihre Gemächer nicht verlassen durften. Und da es für die Frauen als Tugend galt, geistig unbedarft zu sein, gehörte es sich, daß sie keine Ausbildung bekamen. Es war ihre Aufgabe, die Mahlzeiten zuzubereiten und aufzutragen, Hanf zu spinnen, Stoff zu weben und Kleider zu nähen, Das Gebot des dreifachen Gehorsams galt seit dem Altertum. Die »vier Tugenden« [14] waren seit eh und je unantastbar. Keuschheit und eheliche Treue [15] waren strengstes Gebot für die Frauen, die Männer dagegen konnten mehrere Ehefrauen nehmen. Manchmal schoben sie den schlechten Charakter einer Frau als Grund vor und verstießen sie; dabei beriefen sie sich mißbräuchlich auf einen der sieben Scheidungsgründe [16]. Durch die Lügen und Täuschungen, die die Männer verbreiteten, schienen sie den Frauen keine andere Existenzmöglichkeit lassen zu wollen als die, sich ihnen zu unterwerfen. Da sie befürchteten, die Frauen könnten sie heimlich dabei belauschen, wenn sie ihre finsteren Pläne schmiedeten, beschlossen sie, daß man die Frauen, sobald diese ihre Gemächer verließen, am Geklimper ihres Schmuckes und ihrer Anhänger hören sollte, daß eine Amme sie bei jedem Schritt begleiten sollte, damit sie keinen Fehltritt tun könnten und daß sie, wenn sie abends spazierengingen, eine Laterne tragen sollten [17]. Der Gipfel jedoch war, daß der Tang-Kaiser Li Houzhu, dessen Gewohnheit es war, ausgefallene Dinge zu tun, eines Tages Spaß an der Vorstellung bekam, die Füße seiner Geliebten zu bandagieren, sie so zu wickeln, daß sie wie kleine Halbmonde oder wie ein goldener Lotus [18] aussähen. Sobald das den anderen Wüstlingen zü Ohren kam, die inzwischen Vergnügen daran gefunden hatten, die Frauen zu täuschen und zu unterdrücken, fingen sie an, sich gegenseitig auszumalen, daß es nichts Schöneres gäbe als bandagierte Füße, ohne bandagierte Füße kein eleganter Gang! Kaum wurden diese Gespräche bekannt, begann man allgemein diese Sitte nachzuahmen, und wenn man jetzt eine Frau heiratete, so heiratete man sie in erster Linie wegen ihrer Füße. Die Frauen hatten schon ein richtiges Sklavinnenbewußtsein entwickelt und waren in allen Dingen auf Gedeih und Verderb von den Männern abhängig. Sobald sie hörten, daß die Männer kleine Füße liebten, beeilten sie sich, ihre Füße zu bandagieren, indem sie sie jeden Tag ein kleines Stückchen mehr zusammenschnürten. Mütter, die ihre Töchter nichtsdestoweniger liebten, machten sich nichts daraus, daß diese litten, sobald sie in das Alter kamen, in dem man die Füße bandagieren mußte. Ihre Töchter mochten weinen, flehen, um Gnade betteln, die Mütter blieben ungerührt wie einem Feinde gegenüber. Die Frauen waren in der Situation eines Gefangenen, dem zur Strafe die Füße abgehauen wurden. Das zerquetschte Fleisch und die zerdrückten Knochen verursachten unerträgliche Schmerzen. Die armen Frauen! Was für ein Verbrechen hatten sie denn begangen, um in so jungen Jahren schon derart gestraft zu werden und zu einem wankenden und schmerzhaften Gang verurteilt zu sein?

  • Welch trauriges Schicksal! Von dem Zeitpunkt an, da man ihnen die Füße bandagiert, verbringen die Frauen ihre Tage sitzend in ihren Gemächern, ohne sich bewegen zu können. Es mangelt ihnen nicht an Dingen, die sie tun könnten. Aber ihre Füße hindern sie daran, sich fortzubewegen. Es scheint, als wäre die Hälfte ihres Körpers abgestorben. Sie sind bleich und mager, ihre Muskeln und Knochen verkümmert. Da sie sich nie bewegen, haben sie einen schlechten Kreislauf und ziehen sich leicht eine Tuberkulose zu. Und selbst, wenn sie von dieser Krankheit verschont bleiben, sind ihre Arme und Beine kraftlos, und sie sind weitgehend steif Auch jenes berüchtigte Magenleiden [19] befällt vorwiegend Frauen, Man trifft selten einen Mann, der daran leidet. Die Frauen betrachten die Entbindung als ein gefährliches Unterfangen, wobei nur ein kurzer Moment über Leben oder Tod entscheidet. All das ist die Folge der Übel, die durch die bandagierten Füße verursacht werden. Diese sind die Ursache für einen sehr schwachen Puls und ihretwegen ist der Körper verweichlicht und reaktionsunfähig. Mit unbandagierten Füßen dagegen kann man Sport treiben, man kommt und geht wie man will, und ich versichere euch, diese Krankheiten existieren dann nicht. Ich habe noch nie gebärt, daß es in Ost oder West ein Land gibt, wo so viele Frauen im Wochenbett sterben. Ich habe auch noch nie von einem Land gehört, wo es jenes gewisse Magenleiden gibt, es befällt nur unsere chinesischen Frauen. Ihr seht wohl, daß die bandagierten Füße eine wahre Geißel sind. Warum lassen wir Frauen es uns gefallen, daß wir unser Leben für zwei Füße opfern, deren Knochen zerquetscht und deren Muskeln verkümmert sind? Oft scheinen die Frauenleiden hundertmal schwieriger heilbar zu sein, als sie es in Wirklichkeit sind. Die Ursache liegt nur bei euch selbst, die ihr euch für wertlose Wesen haltet und die ihr nicht danach trachtet, euch beruflich zu qualifizieren, so daß ihr euren Lebensunterhalt selbst verdienen könnt. Es ist eure Schuld, daß ihr euch immer wieder den Männern anvertraut und eure ganze Energie daran wendet, ihnen zu schmeicheln und tausend neue Wege zu finden, wie ihr euch bei ihnen lieb Kind machen könnt, Es reicht euch, zu wissen, daß sie kleine Füße mögen und schon beeilt ihr euch, unter Lebensgefahr eure Füße eng zu bandagieren. Wenn ihr den Stoff, der dazu dient, eure Füße zu umwickeln, fest angezogen habt, müßt ihr ihn mit kleinen Binden befestigen und dann enge Socken und ganz kleine Schuhe anziehen. Dann könnt ihr noch, wenn ihr euch an der Wand abstützt, einige schwankende Schritte tun, aber ohne wirklich voranzukommen. Wie Krüppel könnt ihr nur noch sitzend in euren Zimmern bleiben, wie hübsche Statuen aus gebranntem Ton. Ihr schminkt euch das Gesicht, schmückt euch mit schönen Kleidern, weil ihr glaubt, so die Liebe eures Mannes zu gewinnen, aber das hindert ihn nicht, euch als Spielzeug zu betrachten und wie eine Blume oder einen Vogel zu behandeln. Werdet ihr denn nie das Recht auf ein bißchen Eigenständigkeit haben? Nichts gewährleistet im übrigen, daß euer Mann euch ewig lieben wird, nur weil ihr kleine Füße habt und euch hübsch zu schmücken wißt. Mit der Zeit werden die Männer eurer überdrüssig, sie nehmen sich eine neue Frau und verweisen die erste auf den zweiten Platz. Kein Blick, keine Aufmerksamkeit mehr. Einsam und traurig vergießt ihr eure Tränen und die Tage scheinen euch so lang wie Jahre. Wenn ihr euch beklagt, dann schlägt euch euer Mann, beleidigt euch, und kein Mensch macht ihm deshalb Vorwürfe. Vertraut ihr euch jemandem an, so wendet man das gegen euch indem man sagt, ihr kaut den Leuten eure Eifersucht vor und ihr werdet zum Gespött der Öffentlichkeit. Wie Gefangene in Einzelhaft seid ihr auf kleinstem Raum eingesperrt, ihr habt niemanden, dem ihr eure Leiden vermitteln    könnt. Ihr erstickt vor Zorn, ihr werdet mißhandelt und habt niemanden um euch, der euch ein paar passende, aufmunternde Worte sagen könnte. Und ihr lauft Gefahr, an böse Schwiegereltern zu geraten, die eine Schwiegertochter so aufnehmen wie der Kerkermeister einen neuen Gefangenen. [20] Ihr werdet auf alle mäglichen    Weisen schlecht behandelt, sie versuchen, euch alle Lebenslust zu nehmen. [21] Sie kreiden euch alle Fehler an, die ihr Sohn macht. Wenn etwas verschwindet, beschuldigt man euch, es gestohlen zu haben, um es eurer Familie zu schicken. Über ihren Sohn, der in Wirklichkeit ein Taugenichts ist, werden sie genau das Gegenteil sagen: nämlich, daß er vollkommen war, und daß ihr ihn verdorben habt. Ihr habt den bösen Blick und lenkt den Ruin, den Tod und alle möglichen Katastrophen auf die Familie. Ihr dient als Sündenbock, sie hassen euch und wünschen sich nur eins: euren Tod. Sie höchst persönlich werden ihren Sohn aufstacheln, euch zu mißhandeln. Und wenn ihr soviele Quälereien und Probleme nicht überlebt, so wird niemand darüber traurig sein, schließlich gehört ihr nicht zur Familie. Man wird sich damit begnügen, euch in einem Armengrab  [22] zu begraben, man bestellt die Ehevermittlerin, und wenig später wird eine andere euren Platz im Hause mit alter Selbstverständlichkeit einnehmen. Jene Sorte Mann ist es gewohnt, die Frauen als Spielzeug, als Lasttiere zu betrachten. Man nimmt sich eine neue, dann wirft man eben die alte weg. So verfahren sie schon mit euch, solange ihr lebt, umsomehr also, wenn ihr tot seid. Heute verkündet man euren Tod [23], morgen schon wird eine andere verehrt werden, Empfinden diese Männer denn niemals so etwas wie ein bißchen Sympathie, ein bißchen eheliche Zärtlichkeit? Wahrhaftig, es ist ein richtiges Unglück, wenn man eine Frau hat, die nach drei Jahren immer noch nicht tot ist. Ganz zu schweigen von jenen Mädchen, die ganz jung gekauft werden, um mit dem Sohn des Hauses verheiratet zu werden; sie werden grausam geschlagen und erleiden sogar strafbare Schikanen, viele von ihnen sterben an dieser schlechten Behandlung. Wahrhaftig, was für eine Welt voller Verachtung und Grausamkeit gegenüber den Frauen! Aber diese ertragen so viel Elend und Grausamkeit, weil sie nicht den kleinsten Funken Unabhängigkeit haben. Ihr ganzes Leben hindurch hängen sie sich an die Männer. Anstatt zu versuchen, Wissen zu erlangen, einen Beruf auszuüben, der es ihnen gestatten würde, sich selbst zu ernähren, strengen sie sich an, ihre Füße zu bandagieren und sich zu schminken, um den Männern zu gefallen. Sicher, es gibt auch Frauen, die von ihren Männern geliebt werden und die noch niemals gelitten haben. In Ruhe und Frieden genießen sie Reichtum und Ehre. Sie glauben, daß es kein größeres Glück gibt, und sie wissen nicht, daß andere - Frauen wie sie selbst - die schlimmsten Qualen erleiden. Wenn ihr sie darauf hinweist, antworten sie euch, da das Unglück anderer sie nichts angehe: sie selbst haben nicht gelitten. Aber jeder weiß, daß sie deshalb täglich vor Bodhisattva [24] Weihrauch verbrennen und ihn verehren, weil er die Welt von Leid und Problemen erretten kann. Was können sie aber wohl noch von Bodhisattva erwarten, wenn sie seinen Geboten schon dadurch den Rücken kehren, daß sie sich weigern, ihresgleichen großmütig zu Hilfe zu kommen? Wenn jene, die reich und glücklich sind, Großmut beweisen würden, könnten sie kraft ihres Geldes oder ihres Einflusses anderen Frauen helfen, indem sie dafür sorgen würden, daß für diese Schulen und Fabriken eröffnet werden. Dann könnten diese Frauen studieren, einen Beruf erlernen und so für ihren eigenen Lebensunterhalt arbeiten und endlich damit aufhören, dieses Elend zu ertragen. So zu handeln wäre tausend-, wenn nicht zehntausendmal verdienstvoller, als Weihrauch zu verbrennen, Gebete aufzusagen, Bodhisattva zu verehren. Und wenn sich erst einmal die anderen Frauen von ihren Leiden befreit hätten, dann wäre ihre Dankbarkeit und Verehrung noch viel größer als die für BodhiSattva. Wenn die Frauen so handeln würden, dann könnten sie sich ewigen Ruhm und scheffelweise Anerkennung für Ihre Verdienste erwerben. Es ist erstaunlich, daß nicht eine einzige unter ihnen eine solche Seelengröße beweist. Meine Schwestern, Frauen meines Landes, mögen jene unter euch, die noch nicht unabbängig leben können, fest beschließen, diese Unabhängigkeit zu erlangen. Und mögen jene, die es können, sich dafür einsetzen, diejenigen unter unseren Schwestern, die im Leiden leben, zu erretten. So kann es nicht weitergeben! Es ist zu schmerzlich, mitanzusehen, wie die Frauen in unserem Land eine derartige Unterdrückung ertragen. Bald werde ich euch von dem grausamem System, mit dessen Hilfe sie unterdrückt werden, erzählen.

Ihr seid an allen Ecken und Enden in eine schlimme Situation verstrickt. Der traurigen Stimmung und der Einsamkeit der Frauengemächer könnt ihr nicht entkommen. Ihr versucht, deren tyrannischer Herrschaft durch Gift, den Strang oder den Gang ins Wasser zu entfliehen. Finster und traurig ist die letzte Ruhestätte, wo die Seelen der Opfer der Ungerechtigkeit wehklagen. Finster und traurig sind auch die zahllosen Frauengemächer, in denen so viele Frauen als Gefangene leben. Das ist eine wahre Hölle auf Erden, die sich mit der Hölle der Toten messen kann. Ich habe großes Mitleid mit unserem ganzen Geschlecht, was haben wir denn schlimmes getan, womit wir alle diese Mißhandlungen verdient hätten?

  • Das Allerbestürzendste, Allertraurigste, Allerschmerzhafteste,
    aber auch das Allerlächerliste ist jedoch folgendes:

vermittlerin, und sie verheiraten auf unbesonnenste Weise ihre Töchter. Ihr einziges Begehren ist, daß, soweit es absehbar ist, keine unpassende Verbindung eingegangen wird, daß ihre Tochter ausreichend ernährt wird und nicht unter der Kälte leiden muß. Es kümmert sie wenig, ob diese Vereinigung unter dem Vorzeichen des gegenseitigen Verstehens erfolgt oder ob von vornherein ein Unstern darüber steht. Wozu hat man denn bloß seine Tochter zärtlich geliebt, wenn man zum Zeitpunkt der Verheiratung nicht an die guten Eigenschaften des Schwiegersobnes, sondern bloß an sein Geld denkt? Die Tochter selbst vertraut ihre Zukunft, sobald sie in das Haus des Mannes übergewechselt ist, auf Gedeih und Verderb dem Himmel an. Es ist schwer, sich noch zu entfalten, wenn man mit dem falschen Partner [25] zusammen lebt, wie eine Gefangene, die erst einmal im Gefängnis sitzt, nur schwer Strafaufschub erlangt. Jener Haß, der überall auf der Erde entflammt, stürzt selbst die Himmelsgöttin [26] in Verzweiflung.

  • Laßt uns unsere Erzählung wieder aufnehmen. Jene Erbkrankbeit, von der ich sprach, dauerte also schon seit Generationen fort. Oft verbrachte der Kaiser sein ganzes Leben in seiner Hauptstadt ohne aufzuwachen. Das Volk nannte ihn den schlafenden Herrscher, und die Fremden sprachen vom schlafenden Land. Es begab sich, daß beim Tode eines Kaisers, dessen Sohn noch jung an Jahren war, einige mit Dummheit geschlagene Minister begannen, Zwietracht zu säen, Ein Prinz von Stand namens Ai [27] bemächtigte sich unrechtmäßig des Thrones. Er war kein richtiger Abkomme der Han-Kaiser: er wurde in einer geheimen Verbindung des dritten jüngeren Bruders des Kaisers mit einer Kurtisane namen Quin geboren, Diese hatte Beziehungen zu Jin, Hu, Juan und noch vielen anderen gehabt. Aus diesen Beziehungen wurde sie schwanger, gebar einen Sohn und gab vor, daß der dritte jüngere Bruder des Kaisers der Vater sei. Dieser Bruder des Kaisers war von seinem Wesen her dumm und glaubte die Geschichte. Er ließ also Mutter und Sohn kommen und nahm die Kurtisane zur Frau. Niemand ahnte, daß Mutter und Sohn schon seit langem ein Komplott geschmiedet hatten. In der Verwirrung, die auf den Tod des dritten Bruders des Kaisers folgte, verschaffte sich dieser Sohn unrechtmäßig den Fürstentitel, umgab sich mit Freunden, deren er sicher sein konnte und nutzte den Tod des Kaisers, um sich des begehrten Thrones zu bemächtigen. Und jener Bande von völlig verdummten Ministern genügte es, daß da ein Kaiser war; ihnen war es egal, ob er nun Zhang oder Li hieß, solange sie sich ihm nur zu Füßen werfen konnten. Sie waren alle dazu bereit, ihm in Angst und Kriecherei zu dienen. Nachdem der Prinz erst einmal den Thron bestiegen hatte, begann er zu schlummern, und zwar so tief, daß er nicht wieder zu Bewußtsein kam. Das Volk nannte ihn den Herrscher ohne Bewußtsein. Die Staatsgeschäfte fielen daraufhin in die Hände der Kaiserinwitwe, die die Macht ergriff und regierte. Doch hiervon später.

Die Himmelsgöttin sieht von ihrem Palast aus nur die Erscheinungsformen des wütenden Hasses, der auf Erden herrscht. Nachdem sie sich erkundigt hat, was da vor sich gehe, erfährt sie, daß alle Frauen mit einer unfaßbaren Rohheit mißhandelt werden. Da fragt sie sich, wie es kommt, daß nur die Männer in ihren Taten wie in ihrer Haltung Mut beweisen, da die Natur ja anfangs Männer und Frauen gleich erschaffen hat. Sie, die sie von hier oben aus ja nur Zuschauerin ist, wird dennoch sehr wütend bei dem Gedanken, daß die Menschen Verbrechen begehen lassen und einander unterdrücken, wie es ihnen paßt. Zweitausend Jahre Haß und Feindseligkeit! Die armen Frauen! Welches Verbrechen haben sie nur begangen, daß sie solchen Schwierigkeiten ausgesetzt sind? Da möchte die Himmelsgöttin auf dem schnellsten Wege alle Probleme und Hindernisse für die Frauen beseitigen. Sie möchte, daß ein neuer Tag die Erde hier unten erhellen möge. Aber da sie sieht, daß die Frauen auf der Erde die verdorbenen Sitten nicht erneuern können, muß sie himmlische Gottheiten herabschicken. Da überdies die Erbfolge der Han-Dynastie bedroht ist, ist es umso notwendiger, Gottheiten mit großen Fähigkeiten und großem Mut hinabzuschicken.

  • Die Himmelsgöttin besteht darauf, daß alle Männer und Frauen gleichberechtigt sind und daß der ganze Haß ausgeräumt werden müsse. Sie ruft also Ihre Hofdamen zu sich und befiehlt, daß die Götter, Männer wie Frauen, die auf Erden heldenhaft gelebt und sich Ansehen erworben haben, sich in ihrem Palast einfinden sollten, um lhre Befehle entgegenzunehmen.

- Der allwissende Himmel erhellt sich und gemeinsam steigen die Halbgöttinnen auf die Erde hinab.

Alle Göttinnen und Götter beeilen sich, sobald sie erfahren, daß sie aus dringenden Gründen zusammengerufen worden sind. 
Mu Lan, in Begleitung von Quin Liangyu, kommt zusammen mit Chen Yunying. Ihnen folgen Hon Yu, Gou Guan, Zbu Gefu und die vornehme Xian mit Ihrem Brokatschirm. Dann kommen die Prinzessin Ping Yang, Huang Zongxia und Dao Yun, die eine hervorragende Rednerin ist. Wei niang erscheint, fröhlich einen Pinsel in der Hand schwenkend, mit ihr kommen Hong Xian und Yin niang, die ihrerseits Säbel tragen. Nach ihnen erscheinen diese drei außergewöhnlichen Mädchen, nämlich die Eidesschwestern Qing Zhous mit Fei Shi und Han E. Als letzte sind Niu Yingzben und Ruolan su bui da.

  • Dann sind die Götter an der Reihe: Yue Wumu, Wen Tianxiang, Xie Frangde, Huang Daozbou, Sun Jiayi, Xiong Rulin, Zhang Guowei, Qian Suyue, Zheng Chenggong, Han Shizbong, Zhang Shije, Liu Xiufu, Zong Ze, Li Gang, Shi Kefa, Zhang Huangyan, Zhang Mingzheng, Zhang Quinshen, alles in allem mehr als hundert, denn alle, die der Aufruf erreicht hatte, waren versammelt.

Aufstellung der Heldinnen, die Qiu Jin erwähnt:

  • Mu Lan, s.o., S.24.
  • Qin Liangyu. Ihr Geburtsdatum ist nicht mit Sicherheit bekannt, aber sie soll 1648 mit 75 Jahren gestorben sein. Aus Sichuan stammend, erhielt Qin Liangyu die gleiche militärische und intellektuelle Ausbildung wie ihre Brüder. Sie heiratete einen lokalen Anführer nicht chinesischer Herkunft, erbte aber bei seinem Tode den Titel, den die chinesischen Kaiser den Vorfahren ihres Mannes im zwölften Jahrhundert verliehen hatten. Sie übernahm alle Ämter ihres Mannes und tat sich besonders darin hervor, Bauernrevolten zu Gunsten der kaiserlichen Zentralgewalt in Schach zu halten. Als die Dynastie der Ming 1620 von Mandschus im Nordosten Chinas bedroht wurde, schickte sie mehrfach Regimenter dorthin. Diese sollten die Dynastie unterstützen, deren Herrschaft sich Qin Liangyu immer schon durchzusetzen bemüht hatte. Sie soll ein Frauenbattaillon aufgestellt haben. Vgl. A. Hummel, Eminent Chinese of the Qing period, Washington, 1943-1944, S. 168; Yang Jisun, zhongguofunü huodongji, Zheng Zhong, Taiwan, 1964, S. 72; Jingju jumu chutan, Wenhua, Shanghai, 1957, S. 278. Zur genaueren Einschätzung der Bauernaufstände, die sie in Schach zu halten versuchte, siehe James B. Parson, "The culmination of a Chinese peasant rebellion: Chang Hsien chung in Szechwen 1644-1646", journal of Asian studies, XVI, 1957, S. 387-399
  • Chen Yunying (1624-1661). Sie war die Tochter eines Militärführers, der eine Garnison in Hunan befehligte. Ihr Vater fand den Tod in einer Schlacht gegen die Rebellen, Chen Yunying übernahm das verwaiste Kommando, verteidigte die Garnisonstadt und besiegte die Rebellen. Durch einen besonderen Erlaß wurde sie dann offiziell zur Nachfolgerin ihres Vaters ernannt. Sie demissionierte und zog sich in ihre Geburtsprovinz Zhejiang zurück, als sie erfuhr, daß ihr Mann in Ausübung seiner Pflicht gegen rebellische Banditen gefallen war. Vgl. A. Hummel, a.a.O., S. 160, Vang Jisun, a.a.O., S. 74.
  • Hong Yu, nicht feststellbar.
  • Gou Guan, lebte unter den Jin-Kaisern (280-420). Mit dreizehn Jahren wurde sie berühmt, weil sie den Feind täuschte, der die von ihrem Vater befehligte Stadt belagerte, um so Verstärkung herbeizuholen. Vgl. Yang Jisun, a.a.O., S. 21-22.
  • Zhu Ge fu, Frau eines berühmten chinesischen Generals aus der Zeit der Drei Königreiche (220-280); Zhu Geliang, die für ihre Häßlichkeit und hohe Intelligenz berühmt war. Vgl. ebenda, S. 169.
  • Xian Jinsan furen, "die Dame Xian mit dem Regenschirm aus Brokat" lebte in der Zeit der Nanbei Chao (420-589), unter der Liang-Dynastie. Sie hatte den Umgang mit der Waffe gelernt und löste ihren verstorbenen Mann bei der Niederschlagung von Aufständen ab. Sie war eine schlagkräftige und gefürchtete Kommandantin. Vgl. ebenda., S. 63.
  • Ping Vang gongzhu, Tochter des Kaisers Gao Zu aus der Tang-Dynastie (618-627). Sie zeichnete sich durch militärische Heldentaten in der Armee ihres Vaters aus. Vgl. ebenda., S. 65.
  • Huang Chonggu lebte von 891-925. Sie besaß auf militärischem wie wissenschaftlichem Gebiet gleichermaßen großes Talent und verkleidete sich gerne als Mann, was ihr eine Gefängnisstrafe einbrachte. Aber dank dieser Verkleidung gelang es ihr auch, einen Posten in der Armee zu bekommen, bis eines Tages ein Minister, der ihre Begabung bewunderte, ihr seine Tochter zur Frau geben wollte. Da sah sich Huang gezwungen, ihre Identität zu offenbaren. Vang Jisun, a. a. O., S. 15.
  • Dao Yun lebte zu Ende des 4. Jahrhunderts. Sie war äußerst intelligent, hatte eine glänzende Ausbildung genossen und schrieb Gedichte. Sie wurde mit einem Versager verheiratet, den sie wieder verlassen mußte und war sehr unglücklich. Giles, a.a.O., S. 717.
  • Wei Niang, vielleicht auch Wei Furen, war eine berühmte Schönschreiberin (140 vor Christus), Giles, a.a.O., S. 860.
  • Hong Xian lebte unter den Tang-Kaisern. Sie war musikalisch begabt und kannte die Klassiker. Als Sklavin eines Regionalbeamten errettete sie diesen aus den Schwierigkeiten, die ihm ein ranggleicher Rivale bereitete, der Anspruch auf sein Gebiet erhob. Yang Jisun, a.a,O., S. 191-192.
  • Ying Niang, die französische Übersetzerin gibt an, keine Informationen über diese Gestalt gefunden zu haben.
  • Qingzhou shaxue san qinu unter der Tang-Dynastie. Gegen Ende des An Lushan Aufstandes (755-757) sagten sich drei Mädchen aus benachbarten Regionen, daß sie lieber als Freiwillige zur Armee gehen wollten, um Rebellen zu bekämpfen, als nur dazusitzen und ihren Tod zu erwarten. Sie leisteten einander einen Eid, traten freiwillig in die Armee ein und bewiesen großen Mut. Yang Jisun a.a.O., S. 67.
  • Fei Shi, Ehrendame am Hof der Ming-Kaiser. Bei der Eroberung Pekings durch Li Zecheng 1645 ertränkte sie sich lieber in einem Brunnen, als sich den Rebellen zu unterwerfen. Vgl. Renming da cidian, S. 1201.
  • Han E war eine Zeitgenossin von Fei Shi. Sie verkleidete sich als Mann, um ihrem Onkel zu helfen, die Rebellenarmeen von Li Zecheng zu bekämpfen (1616-1645). Sie war zwölf Jahre lang in der Armee, ohne daß herausgekommen wäre, daß sie eine Frau war. Vgl. Renming da cidian, S. 1700.
  • Niu Yingzhen lebte zu Beginn der Tang-Herrschaft und ist bekannt geworden wegen ihrer Kenntnis der konfuzianischen Klassiker. Vgl. ebenda., S. 74.
  • Ruo lan su hui, nicht identifiziert.
  • Liu Shuying war eine Dichterin unter den Qing-Kaisern. Nachdem sie mit achtzehn zur Witwe wurde, verbrachte sie den Rest ihres Lebens in einem buddhistischen Kloster.
  • Yang E lebte am Ende der Ming-Zeit. Ihr Mann fiel im Kampfgegen die Armeen Wu Sanguis (1612-1678), die die Ming-Partisanen bekämpften. Sie schwor Rache und beschloß, Wu Sangui dahin zu bringen, sie zu heiraten, um ihn dann zu töten, aber ihr Plan scheiterte. Sie soll den Umgang mit Waffen hervorragend beherrscht haben. Vgl. Yang Jisun, a.a.O., S. 125.
  • Jin Yifu, nicht identifiziert.
  • Tang Saier lebte unter den Ming, genauer unter Yong lo (1403-1425). Sie kannte die buddhistischen Gesetzeswerke und die konfuzianischen Klassiker. Sie war in die Hexenkunst eingeweiht und wurde wegen ihrer Zauberkünste ins Gefängnis geworfen; es gelang ihr aber zu fliehen.
  • Feng Sun war eine gebildete Frau, die unter den Tang lebte. Als die Truppen der Aufständischen An Lushans in die Hauptstadt vordrangen und ihr Mann nicht da war, wollte sie lieber sterben, als in die Hände der Rebellen zu fallen.
  • Es ist der Übersetzerin nicht gelungen, Shao Xu und Fu Maoshi zu identifizieren.
  • Die Frau Zhou Baoyings aus der Familie der Xi, lebte unter der Tang-Dynastie, ihr Mann war Beamter und verantwortlich für eine Garnisonsstadt im Norden Chinas, wo Einfälle der Kitan an der Tagesordnung waren. Als ihr Mann eines Tages dienstlich unterwegs war, kam es zu einem feindlichen Überfall. Dabei übernahm sie die Füürung der gesamten Bevölkerung, einschließlich der Frauen, bei der Verteidigung der Stadt. Der Feind wurde in die Flucht geschlagen, und sie erhielt daraufhin einen Ehrentitel. Yang Jisun, a.a.O., S.67
  • Liu Zuofen, nicht bekannt.
  • Ban ji, Ban zhao war eine berühmte Schriftstellerin der späteren Han-Zeit (25-220), die eine Abhandlung über die Mädchenerziehung schrieb, das nüjie. Vgl. Nancy Lee Swann, Pan Chao, Foremost women scholar of China, 1st Century, A.D. Century CO, New Vork, 1932,S.179.
  • Fu nu lebte unter den Han und kannte die Klassiker der Geschichtsschreibung auswendig. Vgl. Renming da cidian, S. 231.

Mit Ausnahme Huang Fu gui qis, die unter der Han-Dynastie hingerichtet worden sein soll, weil sie einem der Kaiser ihre Gunst verweigerte, ist es der Übersetzerin nicht gelungen, die berühmten Frauen, die Qiu Jin hier aufführt, zu identifizieren.

Die Helden:

  • Yue Fei (1103-1141) war ein General, der für seinen Mut und seine Gefolgschaftstreue gegenüber den Song berühmt wurde; er tat sich im Widerstand gegen die Tataren hervor. Nachdem er auf Befehl eines auf sein Ansehen eifersüchtigen Ministers ins Gefängnis geworfen und hingerichtet worden war, wurde er rehabilitiert und zum Symbol moralischer Integrität. Vgl. Giles, a.a.O., S. 949.
  • Wen Tianxiang (1236-1283) ist berühmt wegen seiner Treue zu den Song und seines Widerstandes gegen die Mongolen, gegen die er eine Armee ins Feld schickte, um die bedrohte Dynastie zu retten. Nachdem er gefangen genommen worden war, wurde er auf eigenen Wunsch hingerichtet. Vgl. Giles, a.a.O., S. 874.
  • Xie Fangde (1226-1289) war ein gebildeter Beamter und Dichter der Tang-Zeit. Als die Mongolen ihm einen Posten anboten, lehnte er diesen ab und starb durch einen Hungerstreik. Vgl. Giles, a.a.O., S. 290.
  • Huang Daozhou (1585-1646), war ein Gefolgsmann der Ming-Kaiser. Er berief Truppen ein, um gegen die Mandschus Widerstand zu leisten. Diese nahmen ihn gefangen und richteten ihn hin. Vgl. ebenda., S. 337.
  • Sun Jiaji (1604-1649) bot der Mandschu-Armee Trotz, als diese gerade Nanking eingenommen hatten (1645). Vgl. Hummel, a.a.O., S. 180 und 352.
  • Xiong Rulin (1631-1648) gehörte zu den Ming-Gefolgsleuten, die bei der Eroberung Pekings durch die Mandschus beschlossen, Truppen auszuheben, um die Ming-Dynastie zu retten. Vgl. Hummel, a.a.O., S. 352.
  • Zhang Guowei (1594-1645) versuchte ebenso wie Xiong Rulin bis zum letzten Augenblick, die Mandschutruppen zurückzuschlagen. Vgl. ebenda., S. 358.
  • Zheng Chenggong (1623-1662), im Westen gekannter unter dem Namen Koxinga, war ein glühender Ming-Anhänger. Er ist unter anderem berühmt wegen seines heherzten Handelns auf Formosa, von wo er 1661 die Holländer vertrieb. Hummel, a.a.O., S. 108.
  • Han Shizhong starb 1151. Er war von großer Tapferkeit, aber auch sehr gewalttätig, und tat sich 1105 gegen die Xia hervor, nachdem er bereits vorher von sich reden gemacht hatte, als er mehrfach Einfälle der Jin zurückschlug.
  • Zhang Shijie starb 1279. Er hatte wichtige Posten unter der Song-Regierung inne, und bei der chaotischen Auflösung der Truppen vor den angreifenden Mongolenverbänden begleitete er den jungen Kaiser auf dessen Flucht nach Süden. Giles, a.a.O., S. 40.
  • Lu Xiu fu (1236-1279) war ein gebildeter Mann wie Zhang Shijie. Er begleitete ebenfalls den jungen Kaiser auf seiner Flucht nach Süden und ertränkte sich freiwillig mit ihm zusammen. Giles, a.a.O., S. 543.
  • Zong Ze (1059-1127) kämpfte sein Leben lang gegen die Tataren. Er war geachtet und beliebt. Als erster erkannte er die herausragende Begabung Yue Feis und übertrug ihm Verantwortung. Vgl. Giles,    a.a.O., S. 779.
  • Li Gang (1085-1140) wurde wie Zong Ze berühmt durch seinen unermüdlichen Kampf gegen die tartarischen Eindringlinge. Giles, a.a.O., S. 779.
  • Shi Kefa war ein hoher Ming-Beamter, dem die Verantwortung für die Verteidigung der Stadt Yangzhou gegen die Mandschus zufiel. Als er sich eingestehen mußte, daß er nicht mehr siegen würde, versuchte er vergebens, sich eigenhändig zu erwürgen. Die feindlichen Truppen machten ihm den Vorschlag, sich mit den Mandschus zu verbünden; er weigerte sich und wurde hingerichtet. (1644), Giles, a.a.O., S. 655.
  • Zhang Huangyan war der letzte Ming-Anhänger an der Küste Zhejiangs. Er wurde gefangengenommen und bis zu seinem Tode, 1663, festgehalten, nachdem ihn ein Untergebener verraten hatte. Giles, a.a.O., S. 26.
  • Zhang Mingzhen starb 1656. Er war der Ming-General, der 1652 zu den Truppen Koxingas stieß und entlang der Küsten Zhejiangs militärische Operationen gegen die Mandschu-Truppen anführte, mit dem Ziel, diese zu verunsichern. Hummel, a.a.O., S. 46.
  • Zhang Qinchen, ungeklärt

Da beginnt die Himmelsgöttin zu sprechen, sie erklärt in allen Einzelheiten die Lage auf der Erde. Sie sagt: "Wenn ich euch hier zusammenzerufen habe, so einzig und allein aus folgendem Grunde: Ich möchte, daß ihr die alte Ordnung im Land wiederherstellt, den barbarischen Wind [30], der dort weht, hinwegfegt und den Frieden wiederherstellt. Seit Anbeginn der Zeiten sollten Männer und Frauen gleich behandelt werden, da der Himmel sie mit den gleichen Rechten ausgestattet hat. Sie sollten die gleiche Geltung genießen. Frauen, die ihr in eurem vorherigen Leben eure Ziele nicht verwirklichen konntet, kehrt in diese Welt zurück und vollendet, was ihr einst nicht zu einem guten Ende führen konntet. Es ist eure Aufgabe, eine bessere Zukunft zu schaffen. Diese haßerfüllte und feindselige Stimmung darf sich nicht weiter ausbreiten. Ihr Männer, die ihr die Barbaren aus dem Norden vernichten konntet und die ihr noch den Haß gegen sie in euch tragt, ihr sollt euch jetzt für alles Unrecht, das ihr erlitten habt, rächen. Männer und Frauen müssen ihren Kampf einmütig zusammen führen. Unter den vierhundert Millionen Chnesen sollen keine Unterschiede mehr zwischen Männern und Frauen gemacht werden. Erweckt dieses verdummte und taubgewordene Land, das nur noch dahinschläft. Ihr müßt es schaffen, daß durch einen solidarischen Zusammenschluß niemand mehr Angst vor den Gefahren hat. Unser schönes Vaterland muß wieder eine Ordnung bekommen, diese verpestete Luft muß verschwinden."

  • Nachdem die Göttin ihre Ansprache beendet hatte, verabschiedeten sich die anderen
    und zogen sich voller Begeisterung und Freude zurück.

Daraufhin steigen die Götter und Göttinnen einer nach der/m anderen auf die Erde hinunter. Sie alle nehmen wieder Menschengestalt an, aber davon werde ich später erzählen. Ich stelle nicht aus bloßem Spaß diese ganze übersinnliche Welt dar. Ich weiß wohl, daß Götter, Gottheiten, Buddba und Teufel leere Worte sind. Aber ich weiß auch, daß es bei uns viele Frauen gibt, die Buddha opfern. Sie beten zu ihm, setzen seine Tempel wieder instand, ernähren seine Priester, in jeder Krise beschuldigen sie die bösen Geister, sie verehren hölzerne Statuen als Götter, betrachten die Mißhandlungen, denen sie ausgesetzt sind, als Strafe für ihre früheren Sünden und bitten die Geister, deren Zorn sie gleichzeitig fürchten, um ihren Schutz. Keine, die nicht die Gebote der Götter befolgte, keine, die nicht ihr Geld dem Götzendienst opferte. Und das Allerlächerlichste ist, daß man selbst wegen einer derart wichtigen Sache wie einer Heirat, dieser lebenslangen Vereinigung, die Götter durch Orakel befragt. Man schreibt Armut und Krankheit dem Schicksal zu und denkt nie darüber nach, daß man selbst seine Gesundheit schützen könnte. Von jeher ist unter den Kreaturen der Mensch derjenige gewesen, der am meisten mit Geist begabt ist; wie könnten da aus Ton und Holz angefertigte Gegenstände eine Seele haben? Den ganzen lieben langen Tag zu beten, nützt nichts, es hält einen höchstens für immer in Unglück und Schwierigkeiten fest. Dämonen, Unsterbliche, böse Geister, Buddba, das sind alles Lügen, um die Menschen in die Irre zu führen. Man täuscht die einfachen Männer und Frauen, damit sie glauben sollen und findet tausend Vorwände, um ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Aber laßt, mich euch eines fragen: Habt ihr schon einmal nach einem Unglück, einer Überschwemmung, einer Plünderung, einem Krieg, erlebt, daß Dämonen, Unsterbliche oder Buddha euch zuhilfe gekommen wären? Die Frauen, die in den letzten Jahren dem "Zauber der roten Laterne" [31] oder der Jungfrau Maria [32] huldigten, sind in Wirklichkeit nur verkappte Huren. All jene Lehrer und Schüler, die angeblich magische Kräfte besaßen, sind nichtsdestotrotz vor dem Gewehrfeuer der Fremden geflohen. All diese Geschichten sind nichts als Lügen, die dazu da sind, mit euch Mißbrauch zu treiben, aber bei Hofe glaubt man, bar jeden gesunden Menschenverstands, blind alle diese Lügen. Man rennt ins Unglück, kann diesem kaum noch die Stirn bieten; die Truppen der acht Aliierten dringen in die Stadt Peking [33] ein, sie töten und überall ist nichts als Blut und Leichen, die meisten darunter sind alleinstehende Frauen mit verkrüppelten Füßen. Schon diese Tatsachen beweisen, daß das alles falsch ist; hört also damit auf, vergeblich Statuen zu verehren. Das Einzige, was es wirklich gibt, sind Helden und vaterlandstreue Menschen, wenn deren Körper stirbt, so bleibt ihr Geist lebendig, jeder kennt ihre Namen, wegen ihrer großartigen Heldentaten zur Rettung des Volkes werden sie geachtet und bewundert. Man wird ihr Andenken auf ewig ehren, weil sie Volk und Vaterland verteidigt haben und weil das die einzige moralisch unanfechtbare Haltung ist. Wenn doch nur wir alle, die wir zur selben Zeit geboren wurden, Rasse, Vaterland und Familie verteidigt hätten, dann wären wir nicht unter das Joch einer fremden Rasse geraten. Sie hätte nicht unsere vierhundert Millionen Landsleute versklaven können. Wie wären wir glücklich, wenn wir alle, Männer wie Frauen, es unseren Vorfahren gleichtun könnten, die politische wie militärische Angelegenheiten gleichermaßen beherrschten. Dann wäre es uns ein Leichtes, die Fremden zu vertreiben, und wir würden ohne weitere Schwierigkeiten den Wohlstand des Landes wiederherstellen.
Dann wären wir nicht da, wo wir heute sind: Resigniert bis auf den Tod, schutzlos einer Regierung preisgegeben, die uns im Inneren des Landes unterdrückt und ausländischen Mächten ausliefert, die ihre Armeen auf uns betzen. Das Volk der Han ist restlos versklavt und man fügt ihm immer noch tiefere Wunden zu. Gruben, Eisenbahnen, Hafenanlagen, das alles serviert man den Fremden wie auf einem Tablett. Das Elend des Volkes scheint niemanden zu kümmern. Die Regierenden singen und tanzen den ganzen Tag wie in Friedenszeiten. Indem man das Volk bluten lüßt, das mit seinem Leben dafür bezahlen muß, baut man Yi He yuan [34] und die Straßen, die dorthin fübren. Jahr um Jahr preßt man die armen Leute aus, damit eine enorme Kriegsschuld bezahlt werden kann. Ach, während das Volk in äußerstem Elend heimatlos berumirrt, lebt man bei Hofe in Freuden und lädt die vornehmen Fremden zu seinen Festmal)len. Und wenn einige Leute sich nicht davon abhalten lassen, ihrer Entrüstung Ausdruck zu verleihen, werden sie verhaftet und an der Hinrichtungsstätte [35] getötet, Wie kann man nur solche Tyrannei und Bosheit an den Tag legen? Wie kann man freiwillig sein Land Fremden ausliefern? Ich werde euch diese Fragen beantworten: Die Mandschus sind keine Han und ihr einziges Bestreben ist es, den Fremden gefällig zu sein und dadurch ihre Kaisermacht zu festigen, so daß sie, wenn china längst vernichtet ist, immer noch Herr über ein kleines Reich sein werden. Meine vierhundert Millionen Landsleute leben in äußerster Not. Wenn die Katastrophe erst einmal hereingebrochen ist, wird es für sie sehr schwer sein, zu überleben. Deshalb möchte ich das Volk der Han davon überzeugen, sich auf der Stelle zu erbeben und ohne weiteres Zögern für immer und ewig Schluß zu machen mit den Demütigungen, die sich geäuft haben, und sich kraftvoll zu erheben. Wenn jeder einzelne unter uns mit seiner ganzen Kraft versucht, unser Land zu verteidigen, werden wir uns später glücklich preisen, daß wir die Gefahr rechtzeitig beseitigt haben. Auch ich war einst unwissend; ich werde mir erst jetzt der Dinge bewußt, und ich bedaure das. Deshalb verwende ich meine ganze Energie darauf, euch mit Worten zu überzeugen. Beeilen wir uns, einen Weg zu finden, wie wir überleben können, damit wir nicht später unseren jetzigen Mangel an Bewußtsein bedauern müssen. Ich wiederhole euch allen wieder und wieder diesen Rat, denn meine Begeisterung reißt mich so sehr mit. Aber kommen wir jetzt wieder ohne weitere Umschweife auf unsere Geschichte zurück. Wir wollen jetzt von einer Familie sprechen. In einer Familie aus Zbeijang gab es einen gewissen Huang. Sein Vorname war Sibua und er war seines Zeichens Präfekt. Noch sehr jung war er bereits soweit nach oben gekommen, das heißt, weit über den Durchschnitt hinaus. Darin machte er seinen Vorfabren Ehre, die als Menschen von erlesener Bildung durch Generationen hindurch alle Beamte gewesen waren und außerdem die Zollhoheit an der Grenze nach Fujian innehatten. Sie waren über jeden Vorwurf erhaben und führten ein sehr einfaches Leben. Das Familienerbe bestand nur aus einer von Generati«on zu Generation weitergegebenen Aufrichtigkeit. Wenn sich auch in dieser Familie einerseits die moralische Unantastbarkeit immer weitervererbte, so neigte sie doch andererseits dazu, engstirnig und konservativ zu sein. So war beispielsweise nie die Rede davon gewesen, den Mädchen eine Erziehung zukommen zu lassen. Diese blieb das Vorrecht der Jungen.
Aber wir haben bis jetzt erst den Präfekten erwähnt; er hatte auch eine Frau, deren Familienname Sang war, sie war tugendhaft und reich. Sie war seine Kusine; seit ihrer Heirat war sie ihm eine treue Gefährtin gewesen und hatte ihm beständig bei seinen Studien geholfen. Huangs Mutter war sehr jung gestorben, schon viele Jahre vorher und hatte drei Kinder hinterlassen. Der Älteste war eben jener Huang, der Präfekt, die anderen beiden Brüder waren noch jung, als ihre Mutter starb. Sang hatte mit achtzehn Jahren geheiratet und hatte ihrer Schwiegermutter immer große Achtung entgegengebracht. Bei deren Tod tat sie ihr Bestes und kümmerte sich um die Kinder, als wären es ihre eigenen. Als sie das heiratsfähige Alter erreicht hatten, leitete sie alles in die Wege, sie nahm die ganze Verantworung für all die Plackereien, die eine Familie mit sich bringt, auf sich. Sie hatte die schwierigsten Situatoonen erlebt und wenn die Familie jetzt in Ehren und Wohlstand lebte, so war sie, Sang, dafür keinem etwas schuldig. Aber der Himmel berücksichtigt nicht immer die Wünsche eines jeden, und trotz Ehre und Wohlstand war sie nicht sonderli»ch glücklich. Wenn ihr wissen wollt warum, werdet ihr es im Fortgang der Geschichte erfahren; ich halte nun für ein kurzes Weilchen in meiner Erzählung inne.