Das Lebensmosaik der Schriftstellerinnen im historischen Zusammenhang

Die Frauenforschung der letzten zwei Jahrzehnte hat - bedingt durch den in diesem Bereich von Nationalsozialismus und Nachkriegszeit hinterlassenen Kahlschlag - die Geschichte der Frau eher Schritt für Schritt von heute aus zurückverfolgt. Aus diesem Grund wissen wir heute recht viel (aber noch nicht genug!) über das 20. und 19. Jahrhundert, und viel weniger über das 18. Jahrhundert und die Zeit davor. Aus der bisher bekannten und erforschten Geschichte der Frau ergibt sich aber für die einzelnen Bereiche des Lebenszusammenhangs der zwischen 1760 und 1770 geborenen deutschen Schriftstellerinnen eine Einordnung in grobe Entwicklungslinien.

1. Haus-Wirtschaft und Haus-Arbeit

Im Bereich der Hauswirtschaft waren diese Schriftstellerinnen Vorläuferinnen einer Entwicklung, die sich bis Ende des 19. Jahrhunderts allgemein durchsetzte. Diese Frauen kauften schon Ende des 18. Jahrhunderts die benötigten Lebensmittel beim Händler und auf dem Markt, hielten sie doch eine Vorratswirtschaft auf der Basis der Eigenproduktion nicht mehr in dem Maß aufrecht wie ihre Mütter und Großmütter. Die Frauen des Bürgertums allgemein hatten diesen Wandel erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts vollzogen.
Über die Forschungsergebnisse von Freudenthal hinaus bestätigt dies eine Analyse Sybille Meyers über die Hausarbeit von Frauen des Bildungsbürgertums in der wilhelminischen Zeit. Über die Hauswirtschaft des 18. Jahrhunderts zum direkten Vergleich und zur Vorgeschichte der Hauswirtschaft der Schriftstellerinnen wissen wir allerdings noch recht wenig. Die Arbeiten zu diesem Thema von Alwin Schultz (1890) und Irmintraud Richarz (1971) sind zwar informativ, reichen aber für einen Gesamteindruck nicht aus. Das Prinzip reiner Vorratswirtschaft blieb bis ins 20. Jahrhundert Bestandteil der Hauswirtschaft. Nur der Schwerpunkt der hauswirtschaftlichen Tätigkeiten verlagerte sich, denn die Reinlichkeit einer Wohnung wurde immer wichtiger. Somit wurde ein wesentlicher Schwerpunkt der häuslichen Geschäfte das regelmäßige und gründliche Putzen von Hausrat und Wohnungen. Die Tendenz zur Sparsamkeit, die im Haushalt des ausgehenden 18. Jahrhunderts schon vorhanden war, verstärkte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts. Finanzielle Belastungen wurden durch vermehrte Frauenarbeit in der Hauswirtschaft, durch Arbeitsintensivierung reduziert. Dabei erfolgten allerdings keine Rückgriffe auf eine verstärkte Eigenproduktion nach traditionellem Vorbild. Dafür fehlten allein schon die Voraussetzungen, nämlich der Grundbesitz oder eine ausreichende Geldsumme zum Anmieten eines Grundstücks, das zum Selbstanbau genutzt werden konnte. Gespart wurde dadurch, daß die Hausfauen aus Resten Möbel und Kleinigkeiten für die Wohnungseinrichtungen bastelten.
Die Wohnverhältnisse der Schriftstellerinnen zeigten eine Trennung von Gesellschaftsräumen und Privaträumen, die typisch für das damalige Bürgertum war. Die Gesellschaftsräume dienten der Repräsentation, die Privaträume wurden nur von Familienmitgliedern genutzt. Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden die Gesellschaftszimmer zur »kalten Pracht«, die nur dann bewohnt wurden, wenn Gäste erwartet wurden. An der Ausgestaltung der übrigen Räume wurde gespart, um das Gesellschaftszimmer luxuriös einrichten zu können. Dort fanden zwar nur selten große Gesellschaften statt, doch wenn gefeiert wurde, gab man erhebliche Geldsummen dafür aus. Die übrige Zeit sparte die Hausfrau an Lebensmitteln, wo es nur ging.
Ein gemeinsames Schlafzimmer der Ehepartner wurde erst Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts eingerichtet. Für die Kinder gab es ein eigenes Kinderzimmer (Zinn, 20). Der Raum, den die Schriftstellerinnen mit ihren Kindern teilten, in dem sie arbeiteten und schliefen und der traditionellerweise vom männlichen Arbeitsbereich innerhalb der Wohnung abgetrennt war, fiel im 19. Jahrhundert weg. Dieser Prozeß des Ver-schwindens eines gemeinsamen Bereiches von Mutter und Kind aus der Wohnung müßte allerdings durch genauere Analysen der bürgerlichen Wohnverhältnisse in bezug auf die Frau näher beschrieben werden. Die Analyse von Sibylle Meyer geht auf diese Frage nicht ein. Veränderungen vollzogen sich auch innerhalb der Küche. Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts hinein war die Feuerstelle des Herdes direkt auf dem Fußboden. Die Köchin kauerte auf einem kleinen Hocker direkt vor der Feuerstelle. Ende des 18. Jahrhunderts baute man Herde in Tischhöhe, vor denen die Köchin im Stehen hantierte. Auf der Herdoberfläche war das offene Feuer. Qualm und Hitze durchzogen den Raum. Dies wurde anders, als mobile gußeiserne Herde - sie wurden ab 1830 industriell gefertigt - das Feuer in sich hielten. Der Herd war nun mobil und konnte überall in der Küche, wo es geeignet erschien, plaziert werden. Die alte Herdform war dagegen fest gemauert gewesen. Erst durch die Eisenherde war auch eine direkte Feuergefahr für die Köchin nicht mehr vorhanden. Das Kochen war außerhalb der Küche nicht mehr so stark wahrnehmbar, denn der Qualm zog durch einen kleinen Schornstein ab. Die Köchin mußte sich nicht mehr vor Funkenschlag und Hitze des offenen Feuers schützen, und die Hitze beim Kochen war leichter zu regulieren und zu dosieren.
Variationen dieser Herdform waren eingelassene Feuerlöcher, in die extrem in die Länge gezogene Töpfe gesteckt wurden. Der Herd hielt, im Gegensatz zum offenen Feuer, die Hitze konzentriert zusammen. Somit konnte Holz und Kohle eingespart werden. Dieser Herd entwickelte sich zum Gasherd, später zum Elektroherd.
Auch die Rußentwicklung in der Küche reduzierte sich nach Einführung des Eisenherdes. Von daher wurden die Küchengeräte nicht mehr so schnell schmutzig. Sie wurden außerdem seit dem Biedermeier in Küchenschränken verwahrt.
An der Zuständigkeit der Frau für die Hauswirtschaft änderte sich bis ins 20. Jahrhundert hinein nichts. Diese Zuständigkeit durchzog nicht nur das Bürgertum, sondern wurde zur allgemeingültigen Norm (Wolf-Graf, 237).
Überhaupt wurde Reinlichkeit oberstes Prinzip für die häuslichen Geschäfte. Da sie sich zunehmend nur noch innerhalb des Hauses abspielten, waren sie auch als Arbeit von außerhalb nicht mehr wahrnehmbar. In der Hauswirtschaft der städtischen Bürgerin Ende des 19. Jahrhunderts fiel schließlich die Eigenproduktion weg. Ihre Geschäfte wurden zu einer Hausarbeit, die sich auf Reinigungsarbeiten, Kochen und die Anfertigung von Einrichtungsgegenständen, die »Hand«-Arbeit, beschränkte.
Was bei den Schriftstellerinnen Ende des 18. Jahrhunderts als Befreiung begann, was eine Freistellung von der Last der Eigenproduktion gewesen war, wurde im 19. Jahrhundert zum Zwang. Die Hausfrau wurde von Geschäften, die sie im Haus hielten, regelrecht eingeschlossen. Sie galten außerdem nicht als produktiv, aber vermehrten sich so sehr, daß den Frauen kaum Zeit für andere Dinge blieb. Ende des 18. Jahrhunderts war dies noch anders gewesen, obwohl etwa die Schriftstellerei der Tätigkeit in der Hauswirtschaft untergeordnet war. Beide Tätigkeiten zusammen bildeten aber die ökonomische Basis des Lebenszusammenhangs dieser Frauen. Die Priorität der Hauswirtschaft rührte von der Verantwortlichkeit der Frauen für die Planung und Organisation des Hauswesens her. In ihrer Funktion als Leiterinnen des Hauswesens waren auch die schriftstellernden Frauen nicht zu ersetzen. Weder der Ehemann noch die Dienstboten waren dafür ausgebildet. Lediglich den Töchtern war es, bei entsprechender Erziehung, möglich, diese Tätigkeiten zu übernehmen.

2. Schreiben als Frauen-Beruf?

Die Schriftstellerei war kein bloßer Zeitvertreib, sondern - wie erwähnt - für die Finanzen der Familie unabdingbar. Die Art der Wirtschaftsführung (Ankauf von Rohprodukten zur Weiterverarbeitung, Warenkauf) bedingte einen vermehrten Gelderwerb, wozu diese Frauen durch ihre Schriftstellerei beitrugen. Dennoch war für diese Tätigkeit kein festgelegter Freiraum vorhanden. Geschrieben wurde, wann immer Zeit dazu gefunden wurde: tagsüber oder auch nachts.
Die Rekonstruktion der Wohnverhältnisse zeigte eine Aufteilung der Privaträume in einen männlichen Arbeits- und Schlafbereich und einen weiblichen. Allerdings teilte die Frau ihren Bereich mit den Kindern. Ein speziell männlicher, abgesonderter Arbeitsbereich läßt sich seit dem 13. Jahrhundert in den Wohnungen der Handwerker und Händler ausmachen (Meier-Oberist, 87). Diese Tatsache schließt die Existenz eines traditonell weiblichen Bereiches innerhalb der Wohnung mit ein. Der Begriff »Frauenzimmer« weist darauf hin. Ursprünglich wurden damit die weiblichen Dienerinnen der Burgherrin bezeichnet, die in den Frauen-Zimmern der Burg gemeinsam wohnten (Wolf-Graf, 302). Im 18. Jahrhundert bedeutete »Frauenzimmer« noch neutral »Frau«, während im 19. Jahrhundert der Begriff deutlich abgewertet wurde.
Endlich »Ein Zimmer für sich allein« forderte Virginia Woolf im 20. Jahrhundert für schreibende Frauen (1928). Sie begründete diese Forderung mit einem Vergleich der Arbeitsbedingungen schreibender Frauen und Männer. Ihre Auflistung der Geschichte schreibender Frauen in England zeigt, daß die Mehrzahl der Schriftstellerinnen nur nebenher, in knapp bemessenen Zwischenräumen, die ihnen Haushalt, Ehemann und Kinder ließen, Zeit zur literarischen Produktion fanden. Der männliche Schriftsteller war in vielerlei Hinsicht besser gestellt. Er war frei von häuslichen und erzieherischen Pflichten; er hatte zeitlich, gedanklich und räumlich einen Freiraum. Um dieses Mißverhältnis auszugleichen, forderte Virginia Woolf denselben Freiraum für Frauen. Den deutschen Schriftstellerinnen Ende des 18. Jahrhunderts ging es nicht anders als ihren englischen Kolleginnen. Auch sie hatten kein Zimmer für sich alleine. Zwar waren sie in ihrem Bereich innerhalb des Hauses unabhängig vom Ehepartner, dafür aber umso abhängiger von Kindern und Küche. Die Schriftstellerei lief nebenher, so wichtig sie auch als Verdienstquelle war.
Im Vergleich zu ihrer Zeit und den herrschenden Normen erscheint die Schriftstellerin Ende des 18. Jahrhunderts als eine Ausnahmefrau. Den Beruf ergriff sie aus wirtschaftlicher Not, dafür geschult war sie durch ihre von der Aufklärung geprägte besondere Erziehung. Die Erziehung der eigenen Kinder, speziell der Töchter, erfolgte nach anderen als den selbst genossenen Kriterien. Die Töchter erzog sie zur guten Hausfrau und Mutter, nicht aber zum selbständigen Denken und damit zur Fähigkeit der Schriftstellerei. Ihr eigenes Wissen und ihre Fertigkeiten gab sie also nicht an ihre Töchter weiter. Sie vermittelte ihnen das, was sie für fortschrittlich, zukunftsträchtig und zeitgemäß ansah, und das war eben nicht die geistige Tätigkeit.
Es gibt also keine direkte Linie der Schriftstellerei der Frauen vom 18. bis ins 20. Jahrhundert. Die Grenzen des weiblichen Tuns im 19. Jahrhundert waren durch vielfältige Aufgaben in Haushalt und Erziehung so eng gesteckt, daß die Durchsetzung des Berufswunsches von jungen (und auch älteren) schriftstellernden und talentierten Frauen zunächst einmal Kampf gegen Familie und Gesellschaft bedeutete. Große Hindernisse galt es für sie zu überwinden. Als Beispiele stehen dafür Luise Aston (Goetzinger) oder Fanny Lewald (Venske). Tatsächlich war Ende des 18. Jahrhunderts die Gesellschaft noch offener und tolerierte Frauenberufe. Die erfolgreiche Schriftstellerin hatte nicht in dem Maß um ihre Anerkennung zu kämpfen wie im 19. Jahrhundert. Die zwischen 1760 und 1770 geborenen Schriftstellerinnen hatten auch - bei allen häuslichen Pflichten - den nötigen Freiraum zum Schreiben, konnten die literarischen Produkte verkaufen, davon leben und sogar eine Familie ernähren. Sie waren durch ihre Lebenspraxis Avantgarde der Frauenliteratur, fühlten sich aber nicht verpflichtet, diese als Tradition ihren Töchtern weiterzugeben.

3. Körper und Kind

In der  Frauenforschung wird seit einigen Jahren diskutiert, ob die bisherigen Zäsuren der Allgemeingeschichte auch für die Geschichte der Frau von Bedeutung sind; oder ob diese Periodisierungen in Frage gestellt werden müssen zur Historisierung weiblicher Existenz (Bock, 38).
Eine Entwicklungslinie der ökonomischen Grundlagen im weiblichen Lebenszusammenhang ergab sich aus Veränderungen in der Hauswirtschaft und Berufstätigkeit bürgerlicher Frauen im 18. und 19. Jahrhundert. Drei Stufen der Wirtschaftsführung von Eigenproduktion, Kauf und häuslicher Verarbeitung halbfertiger Produkte bis zum Warenkauf haben sich ergeben. Konsequenzen dieser Entwicklung waren Verlust von handfester Produktivität im häuslichen Geschäft, gleichzeitig eine Zunahme von auf die Wohnung selbst beschränkten Tätigkeiten. Der Warenkauf bedingte eine Zunahme des Gelderwerbs der Frauen (zum Beispiel durch Schriftstellerei) als Zubrot oder als finanzielle Selbständigkeit.
Eine weitere Zäsur bei der Historisierung weiblicher Existenz ergibt sich, wenn die Umstände des Gebärens betrachtet werden. Im 18. Jahrhundert begann die Systematisierung und Technisierung des Geburtsvorgangs. Von männlichen Geburtshelfern wurde der Geburtshebel und die Gebärzange eingeführt. Diese Instrumente halfen sicher vielen Frauen und minderten die Risiken beim Gebären. Die ärztlichen Eingriffe in den Geburtsvorgang hatten jedoch andererseits das Kindbettfieber zur Folge. Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts erkannten die Ärzte die mangelnde Hygiene als dessen Ursache. Bis zu dieser Zeit starb eine große Anzahl von Wöchnerinnen am Kindbettfieber. Ob die Technisierung des Geburtsvorgangs eine Erleichterung der Geburt darstellt, ist heute stark umstritten (Bosten Women's Health Collective). Unwiderlegbare Tatsache ist jedoch, daß die Todesfälle bei Geburten seit dem 19. Jahrhundert zurückgegangen sind (Fischer-Homberger).
Von Elisabeth Badinter wurde eine weitere Zäsur im Frauenleben thematisiert: der Wandel in der Beziehung der Mutter zum Kind. In Frankreich stellte sie ab 1760 das Aufkommen der Mutterliebe in ihrer bürgerlichen Form fest. In Deutschland erfolgte dies zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre später.
Der Forderung der Ärzte des ausgehenden 18. Jahrhunderts und des 19. Jahrhunderts nach verstärkter Rücksichtnahme auf das Ungeborene während der Schwangerschaft folgte dieser Einstellungswandel der Frauen. Das Kind rückte seit dieser Zeit immer mehr in den Vordergrund und spielte eine immer bedeutendere Rolle im weiblichen Lebenszusammenhang. Die Frau verstand sich immer mehr als verantwortungsvolle Mutter. Die Beschäftigung mit dem Kind gewann Vorrang vor anderen Tätigkeiten. Spezifisch mütterliche Aufgaben, wie Pflege und Erziehung der Kinder, kamen zu den hauswirtschaftlichen Tätigkeiten und, in unserem Beispiel, zur Schriftstellerei hinzu. Im Verhalten zu ihren Kindern setzten die Schriftstellerinnen Maßstäbe, die im 19. Jahrhundert von Frauen aller Schichten übernommen wurden (Badinter). Eine genauere Analyse dieser Übernahme, vor allem durch die Frauen der unteren Schichten, steht allerdings noch aus.
Einzelne der Schriftstellerinnen sahen in der Mutterschaft eine politische Aufgabe. Sie wollten auf das politische und gesellschaftliche Geschehen einwirken, indem sie Kinder gebären und diese als aktive, freiheitsliebende und gefühlvolle Menschen erziehen wollten. Diese Politisierung der Mutterschaft blieb jedoch bei den Schriftstellerinnen nur Tendenz, die mit dem Patriotismus zur Zeit der Freiheitskriege - der Zeit, in der diese Äußerungen fielen - zu erklären ist. Zwanzig Jahre später war in Frankreich bei den frühsozialistischen Frauen aus der Tendenz eine Bewegung geworden (Grubitzsch/Lagpacan). Diese Frauen fühlten sich über ihre persönliche Mutterschaft hinaus als Mütter für die Gesellschaft verantwortlich. Aus diesem Grund setzten sie sich innerhalb der frühen sozialistischen Bewegung für eine Gesellschaftsveränderung ein. Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts gewann die soziale Mutterschaft auch in Deutschland an Bedeutung (Stoehr). Der Kampf um Frauenberufe spielte sich in diesem Rahmen ab. Die Frau verstand sich als Mutter und sah die mütterliche Fürsorge als gesellschaftliche und politische Frauenaufgabe. So waren die ersten bürgerlichen Frauenberufe, die sich die Frauenbewegung erkämpfte, neben dem der Schriftstellerin der Beruf der Erzieherin, der Krankenschwester, der Kindergärtnerin, der Sozialarbeiterin (Greven-Aschoff).
Die Kindererziehung übernahmen die Schriftstellerinnen zum größten Teil selbst. Sie erzogen ihre Kinder streng nach dem bürgerlichen Geschlechtsrollenschema: die Töchter zu einer aufs häusliche Wirken gerichteten Weiblichkeit, die Söhne zu einer auf öffentlich-berufliches Wirken gerichteten Männlichkeit. Wie schon erwähnt, stand vor allem die Erziehung der Töchter im Widerspruch zur eigenen anspruchsvollen Erziehung, die allerdings eine Ausnahme war. In bürgerlichen und adligen Kreisen des 18. Jahrhunderts fand die Ausbildung der Mädchen allgemein durch Privatlehrer statt, doch diese beschränkte sich meist auf religiöse Bildung und »Gesellschaftsdressur« (Risse-Stumbries). Die schreibenden Mütter gaben ihren Töchtern nicht einmal das Maß an Geistesbildung mit, das sie selbst genossen hatten. Viel größerer Wert wurde auf deren Ausbildung in hauswirtschaftlichen Angelegenheiten gelegt sowie darauf, daß die Töchter unterhaltsame Partnerinnen der Männer wurden. Dieser Widerspruch, den die Schriftstellerinnen im übrigen nicht wahrnahmen, ist durch das Aufkommen der Liebesbeziehungen zu erklären. Die Schriftstellerinnen hatten die Liebesheirat gegen die Konvenienzehe erkämpfen müssen. Nun wollten sie ihre Töchter für die Liebe und für die selbstbestimmte Partnerschaft erziehen und ihnen ihre eigenen, innerhalb der Konvenienzehen erlebten Enttäuschungen ersparen. Daß dies auf Kosten der Geistesbildung der Töchter ging, wurde von ihnen nicht wahrgenommen. Damit begann ein Prozeß, in dem Mädchen immer weniger Bildung vermittelt und sie ganz allgemein zu guten Hausfrauen, Ehefrauen und Müttern erzogen wurden. Das blieb Grundsatz der Mädchenerziehung im 19. Jahrhundert (Blochmann/Simmel/Zinneker). Erst die Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts protestierte gegen die vernachlässigte Mädchenerziehung und erreichte die Einrichtung von Ausbildungsstätten für Mädchen und Frauen (Greven-Aschoff/Möhrmann/Twellmann).

4. Freiheit und Liebe

Der Aufstand der Schriftstellerinnen gegen herkömmliche Praktiken des Zusammenlebens von Frau und Mann bildet eine weitere Zäsur in der weiblichen Geschichtsschreibung. Ihr Ausbruch aus den von ihnen als kalt und zwanghaft empfundenen Konvenienzehen war allerdings Bestandteil einer größeren gesellschaftlichen Bewegung jener Zeit hin zur Entwicklung der Individualität (Shorter). Diese Frauen verstanden sich - im Vergleich zu den Generationen vor ihnen - erstmals als Individuen und nicht mehr als Mitglieder einer festgefügten Ständegesellschaft. Bisher hatten Frauen allgemein ohne Widerspruch den ihnen durch Geburt und Status zugewiesenen Platz innerhalb von Gesellschaft und Ehe eingenommen. Nun entwickelten zumindest gebildete Frauen individuelle Bedürfnisse und versuchten, nach diesen Bedürfnissen zu leben. Doch oft gelang ihnen die Befreiung von der Tradition erst im späteren Verlauf ihres Lebens. Noch das ganze 19. Jahrhundert hindurch, sowohl während der ersten (1848) als auch der zweiten (1865) Frauenbewegung, zog sich der Kampf der Frauen gegen die Konvenienzehe. Die Schriftstellerinnen waren wiederum durch ihre Lebenspraxis Vorläuferinnen dieses Kampfes, der nach ihnen immer öffentlicher und damit erfolgreicher geführt wurde (Möhrmann). Weibliche Befreiung verstanden die zwischen 1760 und 1770 geborenen Schriftstellerinnen stets als Weg zur privaten, persönlichen Freiheit. Wie aus den Fesseln der Konvenienzehe befreiten sich diese Frauen auch aus der einengenden Kleidung: Als solche galten ihnen Schnürbrüste, aufgetürmte Perücken und Stöckelschuhe. In den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts war das Äußere der Schriftstellerinnen den geringsten Zwängen unterworfen. Frisuren und Kleidung waren locker, natürlich und bequem. Ebenfalls in diese Zeit fallen die Scheidungen und Trennungen, die Ausbrüche dieser Frauen aus den Konvenienzehen. Was sie an deren Stelle setzen wollten, blieb zunächst einmal offen. Doch zeigten sich in diesen Kämpfen um persönliche Freiheit neue Werte und Moralvorstellungen, die in den Liebesbeziehungen zum Ausdruck kamen, die diese Frauen eingingen. In diesen Liebesbeziehungen bildeten Frau und Mann eine Einheit, deren Grundlage das Gefühl füreinander war. Die Befreiung aus der Konvenienzehe mündete in diese Liebesbeziehungen ein, in den Wunsch also, einer emotionalen, intensiven und engen Frau-Mann-Einheit anzugehören. Diese Frauen wollten statt Distanz und Gleichgültigkeit der Konvenienzehe Liebe, Wärme und Nähe zum jeweiligen Partner. Um die Verwirklichung des Liebesbedürfnisses kämpften sie. Die derartige freiwillige Bindung an einen Mann, das Eingehen eines auf Liebe beruhenden Verhältnisses war noch so konträr zu den herrschenden Normen, daß es von ihnen als Befreiung verstanden werden mußte.
Ein Element der Unfreiheit war jedoch auch diesen Liebesbeziehungen eigen, unterwarfen sich die Frauen doch in diesen engen emotionalen Verbindungen einer Zweitrangigkeit. Sie fühlten sich in der neuen weiblich-männlichen Dualität als - minderwertiger - Gegenpol des Mannes. Dies führte zu einer Überbewertung des Männlichen und zu einer Unterbewertung des Weiblichen. Diese eigene Unterbewertung wurde jedoch nicht als Verlust oder Nachteil empfunden, sondern, im Gegenteil, durch die Freiwilligkeit und emotionale Zusammengehörigkeit als neugewonnene Stärke und eben als Befreiung. Oft genug rutschten diese Frauen, die sich dem Männlich-Erwachsenen unterordneten und zum Partner aufblickten, in eine Kinder-Rolle. Auch äußerlich kam dieses kindhaft-unterordnende Verhalten zum Ausdruck: Der Trend zur Jugendlichkeit in der Frauenmode hielt Ende des 18. Jahrhunderts seinen Einzug. Die junge, schlanke Frau mit feiner und glatter Haut wurde das Modeideal. Jugendlichkeit löste die eher barock anmutenden Formen der reifen Frau, die bis dahin als Schönheitsideal gegolten hatten, ab (Wex).
Die Unterordnung dieser Frauen hatte für sie unabsehbare, weitreichende Konsequenzen, denn das Denken in der Frau-Mann-Polarisierung zeigte sich auch in anderen Bereichen des täglichen Lebens. Unselbständigkeit und Passivität wurden im 19. Jahrhundert - anders als früher - als Bestandteil des weiblichen Wesens betrachtet. Männer sahen Frauen nun als unmündige Wesen an, ja verachteten sie; Frauen fühlten sich schwach, passiv und unterlegen (Beauvoir). Die Unterordnung der Frau erscheint als Widerspruch in bezug auf die gesellschaftliche Entwicklung hin zur Individualität. Veränderungen der ökonomischen Gegebenheiten standen hinter der Herausbildung individueller Persönlichkeiten. Der freie Markt des industriellen Kapitalismus verlangte autonome, aus eigenem Antrieb handelnde Persönlichkeiten, denn nur solche konnten miteinander in Konkurrenz treten (Shorter). War aber die Frau, die in der Liebesbeziehung lebte und sich dem Mann gänzlich unterordnete, eine autonome Persönlichkeit?
Dies muß wohl verneint werden, obgleich der Ausbruch dieser Frauen aus der Konvenienzehe ihr Streben nach Individualität zum Ausdruck brachte. Die autonome Persönlichkeit ging, kaum daß sie im Ansatz entstanden war, durch die zweitrangige Zugehörigkeit zur Frau-Mann-Einheit schnell wieder verloren. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts mußte die Frau sich ihre individuellen Rechte und Freiheiten, ihre Persönlichkeit, erst erkämpfen. Die Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts nahm diesen Kampf auf breiter Ebene auf (Greven-Aschoff/Möhrmann/Twellmann).
Doch aus welchem Grund ging die Individualität der Frau im Dualismus der Frau-Mann-Einheit unter? Dieser Vorgang wird bei eingehender Betrachtung der Lebenszusammenhänge der Schriftstellerinnen verständlich. Als Kinder wuchsen sie noch in einer Ständegesellschaft auf, in der jede und jeder in eine soziale Gruppe sicher eingebunden war. Gleichheitsgedanken der Französischen Revolution, aufgeklärte Erziehung und die auch in Deutschland in Bewegung geratene Gesellschaft machte es ihnen möglich, sich aus diesen Zwängen zu befreien. Sie gingen selbstgewählte, ganz von ihren Gefühlen bestimmte Bindungen ein. Diese Befreiung war mit privaten Kämpfen verbunden, die hart und langwierig waren. Doch weil jegliche Normen und Vorbilder für diese neue Lebensart fehlten, entwickelte sich eine Angst vor der Freiheit, vor der Ungebundenheit. Aus dieser Angst heraus klammerten sich diese Frauen an den Geliebten - und schufen sich dadurch neue Fesseln. Die gewohnte Zugehörigkeit zur sozialen Einheit der Ständegesellschaft wurde ersetzt durch die Zugehörigkeit zur Frau-Mann-Einheit. Es blieb also der innere Zwang zu einer Zugehörigkeit, die sich aber von einer sozial vorgegebenen zu einer emotionalen wandelte. Wirkliche Freiheit und Unabhängigkeit wurden von einigen Schriftstellerinnen zwar kurze Zeit gelebt, aber schnell wieder aufgegeben. Angst, Unsicherheit, gesellschaftliche Ächtung waren zu groß.
Aus demselben Grund blieben die Schriftstellerinnen auch in politischen Dingen bei Meinungsäußerungen stehen und beteiligten sich nicht aktiv an den Freiheitsbewegungen der Zeit. Ganz auszuschließen ist es allerdings nicht, daß eine direkte weibliche Beteiligung an politischen Vorgängen vorhanden war. Zeugnisse für diese vage Möglichkeit wurden jedoch noch nicht gesichtet. Doch auch die Beteiligung von Frauen an der Revolution 1848/49 wurde erst in den letzten Jahren bekannt (Hummel-Haasis). Es wäre also durchaus lohnenswert, dieser Frage einmal nachzugehen.
Das Aufkommen der Liebesehe bildet also eine weitere Zäsur bei der Historisierung weiblicher Existenz. Was Männer damals politisch in Freiheitskämpfen umsetzten, lief bei Frauen sehr persönlich ab: als Kampf um die freie Wahl des Lebenspartners. Gefühle und der Kampf um das Auslebenkönnen der Gefühle spielten hierbei eine große Rolle. Die Freiheit der Wahl, die emotionale Bindung an den Mann erfuhr ihre Grenzen in der damit zusammenhängenden freiwilligen Unterordnung. Die emotionale Frau-Mann-Einheit wurde zentral. Jahrzehnte später war die vormals neue Freiheit zur Fessel geworden: Die Frau war gebunden, sie mußte sich ihre persönliche, soziale und politische Freiheit erst erkämpfen.
Am Ende des 18. Jahrhunderts befinden sich, nach allem, Schnitt- und Ausgangspunkte bedeutsamer Entwicklungslinien in der Geschichte der Frau.

  1. Die ökonomische Basis im weiblichen Lebenszusammenhang verändert sich auf zwei Ebenen: In der Hauswirtschaft ergibt sich eine Entwicklung von Eigenproduktion zum Warenkauf. Daraus folgt als zweite Ebene der Zwang zum Gelderwerb: Vermehrter Bedarf nach Geld führt zu gesteigerten Tätigkeiten auf diesem Gebiet. Es ist der Beginn von zahlreichen Frauenberufen.
  2. Die biologischen Funktionen des weiblichen Körpers wie der Gebärvorgang unterliegen zunehmend der Technisierung. Diese bringt für Frauen sowohl eine Erleichterung (bei Risikogeburten) als auch eine Gefährdung (durch das Kindbettfieber) mit sich.
    Das Aufkommen einer engen Mutter-Kind-Bindung ändert auch das Verhältnis der Frau zum eigenen Körper. Indem das Kind im weiblichen Lebenszusammenhang immer zentraler und bedeutender wird, verändert sich die Einstellung der Frau zum Ungeborenen und ihre Bereitschaft, darauf Rücksicht zu nehmen.
  3. Die Mutterschaft und die damit verbundenen Tätigkeiten, wie Beschäftigung mit dem Kind, seine Pflege und seine Erziehung, nehmen immer mehr Platz im weiblichen Lebenszusammenhang ein. Selbst unverheiratete und kinderlose Frauen fühlen sich im Rahmen einer sozialen Mutterschaft zunehmend für die Gesellschaft verantwortlich.
  4. Im zwischenmenschlich-partnerschaftlichen Bereich ergibt sich durch das Aufkommen der Liebesehe eine neue Wertigkeit der Gefühle der Frau zum Mann. Emotionen werden zunehmend zum Bindeglied zwischen den Geschlechtern. Dies bringt einen Kampf gegen Traditionen, etwa gegen die Konvenienzehe, mit sich, der von einer persönlichen Ebene in eine gesellschaftliche übergeht.

Die zwischen 1760 und 1770 geborenen Schriftstellerinnen waren Schrittmacherinnen dieser vier Entwicklungslinien, die im 19. Jahrhundert für Frauen zur Norm, aber auch zur Fessel wurden. Um diese Zäsuren genauer zu belegen, bedarf es allerdings noch weiterer Forschungen über weibliche Lebenszusammenhänge im 17. und 18. Jahrhundert. Die damalige Tätigkeit von Frauen in der Hauswirtschaft und beim Gelderwerb, die (von Badinter für Frankreich beschriebene) Kälte und Gleichgültigkeit der Mutter ihren Kindern gegenüber und vieles mehr bietet noch ein weites Feld für weitere Forschungen.