MEINE ANTRITTSREDE
Wer ein öffentliches Amt antritt, hält gewöhnlich auch eine Rede, in welcher er sich seinen Zuhörern empfiehlt. Warum sollte denn eine Schriftstellerinn, wenn sie wieder zum erstenmale die Feder ansezt, nicht auch den gütigen Leserinnen ihre ehrfurchtsvolle Verbeugung machen, da sie es doch mit einem weit vielköpfigem Publicum zu thun hat, als unsere gewöhnliche Antrittsredner? - Ach ja wohl, viel Köpfe, viel Sinn! Dies ist der fürchterliche Wahlspruch, der mir zentnerschwer aufs Herz fallt, wenn ich mich dem Schreibpult nähere, um da aus einem besondern, nicht sehr erfreulichen Verhängnis, die Nähnadel mit der Feder zu vertauschen! - Ich gestehe es recht gerne selbst ein, wenn alle Frauenzimmer thun wollten, was ich izt thue, so gäbe dies in unserer guten Welt eine Unordnung, die nicht zu ertragen wäre!
Indessen giebt es ja doch keine Regel ohne Ausnahme. - Ich theile meine Stunden ein, gehe nur selten in Gesellschaften, besorge hurtig meine kleine Hausgeschäfte, habe keine Kinder, und es bleibt mir zu dieser Arbeit immer noch Zeit genug übrig. Es sey also wieder einmal gewagt. - Ich will es versuchen meine liebenswürdige Leserinnen so viel in meinen Kräften liegt, zu unterhalten, und zu belehren. Nur eins muß ich mir zum voraus noch von Ihnen erbitten, daß Sie mir ja verzeihen, wenn Ihnen mein Vortrag bisweilen ein bischen zu derb, zu stark scheint, wenn ich blos, weil es die Notwendigkeit erfordert, mit den mir und meinem Geschlechte noch anklebenden Fehlern keine Komplimenten mache, wenn ich hie und da die Geissei der Satyre chwinge, wo ein bösartiger Schaden die feinere Ausbildung hindert. Es wäre mein gröster Stolz, wenn auch ich etwas zu dieser Ausbildung beytragen könnte! Mochte doch mein guter Wille Ihre gütige Nachsicht erhalten; und das Geständnis meiner eignen Fehler Sie zur Selbstverläugnung vorbereiten. Denn sehen Sie, wenn nur Eine unter Ihnen kleingeistlich genug wäre, und über einen satyrischen Ausfall, der gewiß nicht auf einzelne Personen gemünzt seyn wird, empfindlich würde, o wie könnte dann das hochweise Männervölkchen laut über diese Schwachheit lachen, wenn es dadurch vollends überzeugt würde, daß es in unsern Weiberköpfen noch immer so leer, so alltäglich aussieht; wenn es überzeugt würde, daß wir gerade darum die Geissei der Satyre, und den Tadel des Moralisten nicht vertragen können, weil wir sie zu sehr verdienen; kurz wenn es überzeugt würde, daß wir nicht einmal Geistesstärke genug besizzen, die Wunden, die uns durch Vorurtheile, vernachläßigte Erziehung, weibliche Schwachheiten u.s.w. geschlagen wurden, durch eine schmerzliche Kur heilen zu lassen; daß wir bei der geringsten Operation, deren man unser tief gesunkenes Geschlecht noch würdigt, wie verzärtelte Püppchen gleich anfangen zu ächzen, zu weinen, zu trozzen oder gar zu zanken! - O weh, wie würde das schadenfrohe Männervölkchen über diese Entdeckung ins Fäustchen lachen, und in die Trompete stossen! —
Nur nicht zu frühe gelacht ihr Herrn der Schöpfung! - Ich kenne izt mein Geschlecht besser, es fehlt ihm nicht an gutem Willen, alles da zu werden, was es seyn könnte, und seyn sollte, aber nur an Gelegenheit. Man kümmert sich im Ganzen so wenig um dieses Geschlecht, man hat so wenig Gedult mit seiner Erziehung und Bildung, man opfert es so gerne alten Gewohnheiten und eingerosteten Vorurtheilen auf! Frau Mama wußte nichts Besseres, folglich darf die Tochter auch nichts Besseres wissen; dies sind die schiefen Schlußfolgen, denen man so manches hofnungsvolle Mädchen Preiß giebt. Ob aber Frau Mama Vernunft genug besaß, ihren Gatten durch strenge Untersuchung ihrer selbst, durch geübtes Nachdenken über weibliche Pflichten, glücklich zu machen; das Hauswesen und ihre Kinder weise zu leiten, die geseilschaftlichen Pflichten nicht durch das gedankenloseste Pflanzenleben zu versäumen; ob sie eine kluge Mutter, eine liebenswürdige Gattin, eine muntere wizzige Gesellschafterin war, darum bekümmern sich die wenigsten Männer! Sie sind zufrieden, wenn ihre Weiber sich im Denken nicht von der Magd unterscheiden, wenn sie im Handeln keine Eigenheiten besizzen, sondern hübsch nachbeten, was in jenen finstern Zeiten die Großmutter vorbetete. Sie sind zufrieden, wenn sie bei ihren Weibern über die faden Unterhaltungen gähnen können, um mit mehr Recht dem Zeitvertreib außer dem Hause nachlaufen zu dürfen. Sie sind zufrieden und ruhig dabei, wenn ihre Weiber Klatscherinnen, Verläumderinnen, Zänkerinnen, Koketten, Puznärrinnen, überhaupt, im strengsten Verstände genommen, wenn sie unter dem prahlerischen Namen guter Haußweiber an der Seele die elendesten Krüppel, in der Denkungsart die niedrigsten Schwachköpfe, und in den Sitten die pöbelhaftesten Geschöpfe sind! - Ich sage die meisten Männer sind zufrieden, wenn ihre Töchter in die rühmlichen Fußstapfen der Mutter treten; wenn sie hier ein Kochbuch, dort ein sinnloses Gebetbuch, oder wohl gar einen empfindsamen Roman lesen, der ihre Vernunft verpestet und ihre Herzen vergiftet; kurz sie sind zufrieden, wenn das junge Gänschen einen Mann bekommt, der entweder ihr Geld, ihr Ansehen, oder ihr Lärvchen heurathet, dem er lange genug schmeichlerischen Unsinn vorgeplaudert hat; wenn sie dann nur einen Mann bekömmt, Kinder zeugt, sich zu puzen weiß, ein bischen kochen, strikken, tolles Zeug plaudern kann, und stirbt! - So häuft sich dann bei diesen traurigen Aussichten Mißbrauch auf Mißbrauch, Erziehungsfehler auf Erziehungsfehler, Thorheit auf Thorheit, und Klage auf Klage von jenen vortrefflichen Männern, die unser Geschlecht gebessert wünschten und es mit Recht fordern können! Es thut mir leid, daß ich diese Entdekkung so geradezu zur Schau stellen muß; lange drükte sie mich bei meinen geheimen Beobachtungen, und endlich finde ich doch die erwünschte Gelegenheit, ein ernstes Wörtchen darüber zu sprechen!
Nur noch Einen Mißbrauch muß ich rügen, der die weibliche Bildung betrift. Ich kenne Männer und Weiber aus der alten Rüstkammer der Dummheit, die das abgeschmakte Vorurtheil nähren, alles was auf weibliche Kultur abzwekke, sey überflüßig, und lächerlich, weil man dadurch unsre Mädchen zu lauter gelehrten Weibern ummodeln wolle. Du lieber Gott, was haben denn diese Menschen für absurde unentwikelte Begriffe von einem Frauenzimmer, die denkt und denken muß, wenn sie nicht Maschine seyn will, und von einer Schulgelehrten, die sich ihr ganzes Leben hindurch mit überflüßigem Studieren abgiebt, da sie indessen für die meisten weiblichen Pflichten, für Natur und häusliche Glükseligkeit lebendig todt ist? Warum verwechselt man doch diese mit jener? Warum will man jungen Mädchen durch übel angebrachte Vergleichung den Weg zu häuslichen und gesellschaftlichen Tugenden versperren, blos weil es hie oder da einer gelehrten Dame gefiel, ihn durch eine minder passende Beschäftigung zu verfehlen? - Wie ist es doch ums Himmelswillen möglich, daß man noch immer dies dummdreiste Vorurtheil, auf Unkosten unserer jungen Frauenzimmer, öffentlich ausposaunt und behauptet? - Wollen oder mögen diese eigensinnigen, unklugen Rechthaber den Unterschied zwischen einer gelehrten Pedantin, und einer Denkerin, die über ihre Bestimmung nachzudenken weiß, nicht begreifen lernen? - Wie weh muß dies ungerechte, unbiegsame Vorurtheil einem Geschlechte thun, das man dadurch von der nöthigen Bildung zurückschrökt, blos weil der Unterschied im Worte liegt, und die Sache selbst einen nüzlichen und unnüzzen Zwek enthält -
Doch dieser elende Spott, dieses eingerostete Vorurtheil, dieser in so manchen Gesellschaften sich so sehr brüstende Misverstand, dieser schreiende, hartnäkkige Machtspruch soll meine Leserinnen nicht muthlos machen, den Weg zu gehen, der uns von denkenden und billigen Männern angewiesen wurde! - Wir wollen dem Vorurtheil zum Troz unsere Köpfe aufheitern, unsere Seelen von den Schlakken reinigen, und unsere Pflichten durch gute Bücher und vernünftige Gesellschaft erfüllen lernen! - Wie herzlich freut' ich mich nicht immer auf meiner Pilgerreise bei dem Anblik eines gebildeten Frauenzimmers, die denkt und urtheilt, und deren lernt' ich manche zu meinem grösten Vergnügen kennen. Wie freundschaftlich bot ich ihr meine Hand, wie enthusiastisch hieng ich an ihr, wie schwesterlich vertraut schmiegt' ich mich an sie an; und wie viele dergleich giebt es noch, die nur im Verborgenen glänzen, aber sich oft blos darum nicht ans Licht wagen, weil sie falsche Bescheidenheit, oder feige Furcht daran hindert, da sie zum voraus überzeugt sind, daß Neid und Hohngelächter der Dummheit im Hinterhalt lauren, um sie mit Koth zu werfen! Jede Stadt hat in ihren Gesellschaften gewöhnlich so ihren ganz eignen Ton, ihren ganz eignen Schlendrian, die freilich oft nicht die erbaulichsten sind. Tritt dann eine in diese Gesellschaften, die richtiger denkt, reineres Teutsch spricht, in ihrem Betragen offner, ungezierter ist, frei von der Brust weg ihre Meinung heraus sagt, nicht immer alles bejaht, weil sie es mit Grund zu widerlegen weiß; dann treten ihre minder kultivirten Schwestern aus dem Winkel hervor, und begeifern sie hinter dem Rücken mit dem Geist der Verläumdung, wissen ihre Worte zu verdrehen, ihr dieses und jenes aufzubürden, an das ihr Herz nie dachte, finden sich bloß darum beleidigt, weil sie mehr weiß als sie, und bekleksen sie nicht selten mit den ausgesonnensten Bosheiten, die sie mit Vorbedacht ausstreuen, um sie zu verdunkeln. So sah ich schon manches verdienstvolles Frauenzimmer dem öffentlichen Hohngelächter Preis gegeben, nur weil sie es wagte, ihren Geist zu bilden, und sich sowohl im Sprechen, als im Denken von den Alltagsgeschöpfen auszuzeichnen.
Dies ist auch eines von jenen barbarischen Hindernissen, wodurch so viele brave Mädchen gehindert werden, ans Licht zu treten, ihre Kenntnisse zu verbreiten, und in unsere oft so erbärmliche Frauenzimmergesellschaften, wo man meistens nur ißt, trinkt, strikt, klatscht, oder spielt, einen rühmlicheren Ton einzuführen, als man ihn, leider!! findet. O dies ist eines von jenen unverantwortlichen Hindernissen, die der weiblichen Bildung im Weg stehen, und ihre Verbreitung hemmen! Uebrigens sollten diese elenden Hindernisse, diese Mißgeburten der heimtükkischen Ignoranz und des blaßgelben weiblichen Neides, nie ein starkes, denkendes hellköpfiges Mädchen, in dem eine grosse männliche Seele wohnt, abhalten können, durch ihre Aufklärung, frei von feiger Furcht zum allgemeinen Besten zu wirken. Sie wird und muß mit edlem Stolz all diese Hindernisse mitleidig belächeln, mit Feuer und Karakterfestigkeit, mit Ueberzeugung, daß ihr angetretener Weg der beste ist, dem Vorurtheil zu trozzen wissen, und ihn aus Grundsäzzen, aus Bewußtseyn durchsezzen, da die Dornen nur, die Oberfläche ihrer Haut verwunden können! Sie muß sich nicht durch weibliche Feigheit, und eisgraue Vorurtheile, nicht durch Schwachköpfige Einwendungen superkluger Matronen, nicht durch drohende Dummheit, nicht durch zähnfletschende Verläumdung hindern lassen, ihre Bahn unerschütterlich fort zu wandeln, wenn sie anders den lauten Beifall des Denkers und die Bewunderung der Edlen erhalten will!
Ei, dies wäre für uns eine ewige Schande, wenn uns Menschenfurcht von unserer Bildung abhalten könnte, wenn uns der Pöbel, er stekke auch in welchem Gewand er immer wolle, an den Fortschritten der Aufklärung, an der Verfeinerung unserer Denkungsart und Sitten hindern sollte! - Darum erst verdienten wir mit Recht das schwache Geschlecht genannt zu werden, das aus sklavischer Furcht die besten Tugenden, die schönsten Vorzüge nicht zu erreichen Kraft und Willen hat! Dann erst, sollte man unseren schwankenden Karakter von Spinngeweben gebaut, die jeder Hauch zusammenreissen kann, auszischen!
Nicht doch! - Muthig meine theuersten Leserinnen! Lassen Sie uns durch Nachdenken vorwärts eilen, durch Selbstkenntnis das Gute zu erhaschen suchen, und das Schwache durch Grundsäzze in seinem Wachsthum hindern, durch Thätigkeit und Kopf über Vorurtheile weghüpfen, und durch Ueberzeugung das herrliche Ziel erreichen!
Lassen Sie uns mit Festigkeit an diesem Zwek arbeiten, mit Aufrichtigkeit unsere Thorheiten verbessern, mit festem Vorsatz wenigstens da, wo es um unsere zeitliche und ewige Glükseligkeit zu thun ist, ausharren, mit männlicher Standhaftigkeit durchdringen und siegen!
An meinem guten Willen, und an meiner Bereitwilligkeit, Ihnen, meine Beste, soviel ich es vermag, hierinnen die Hand zu bieten, soll es gewiß nicht fehlen; die geringen Talente, die mir die Vorsehung schenkte, und das bischen Erfahrung, das ich mir sammelte, werde ich mit tausend Freuden zu diesem Vorhaben benüzzen. Den Stoff, den ich dazu wählte, enthält mein vorgelegter Plan, seine Ausdehnung und Mannigfaltigkeit hängt izt von Launen und Umständen ab, um alles das, was mir im menschlichen Leben dazu aufstossen wird, dazu anwendbar zu machen. Aber wie gesagt, ich verbitte mir, wie Rabner', alle Auslegungen, und glaube nicht, daß sich jemand in meine Satyre eindrängen wird. Mein Ton soll mit Munterkeit und Ernst abwechslen, um die Gedult und Nachsicht meiner Leserinnen nicht zu mißbrauchen, und wie sehr würd' es mich rühren, wenn ich dann das Glük hätte, nicht zu mißfallen, und mich dadurch allen meinen Leserinnen zu empfehlen.
Die Herausgeberinn
1. Jahrgang 1790
DRITTER BRIEF.
AUGUSTE AN MINNA.
Liebe Minna, ich kann dich versichern, daß ich von dir keine ernsthaftere Antwort erwartete. Zu gut, Schäkerinn, kenne ich deinen Leichtsinn. Aber ich bitte dich Mädchen, lerne über dich selbst nachdenken, es ist hohe Zeit. Laß das Faseln, wo es deine moralische Verbesserung betrift. Du magst übrigens spötteln soviel du willst, meine Briefe sollen nie eine andere Sprache führen, als jene, die für dich taugt, und zu meiner Denkungsart paßt. Nach und nach wird dich meine Moral gewiß nicht mehr milzsüchtig machen. Ein Bischen Ernst auf der weiblichen Stirne steht weit besser als jene wilde, zügellose Munterkeit, die man nicht selten auf der deinigen erblikt. Du irrst dich, Liebe, mein gestrenger Herr Amtmann hat mich nicht blos um meiner geringen Vernunft willen, oder wohl gar nur, wie es die meisten Jünglinge gewöhnt sind, aus Sinnlichkeit zur Gattinn gewählt - Grosmuth und Uneigennüzzigkeit, Liebe und Seelenharmonie waren die Triebfedern dazu. Gutes Mädchen, lerne durch Erfahrung den Unterschied unter Jünglingen kennen, und ich wette, du würdest einen, der meinem Wilhelm gliche, gewiß nicht abweisen. Im Ganzen halte ich nicht viel auf Mädchen, die sich so sehr gegen das Heurathen sträuben, entweder fehlt es ihnen an Gefühl, oder sie lieben das Flattern. In der That, eine gewiße Minna hat artige Anlage dazu, wenn man sie so geradezu forttaumeln ließe. Es ist zu wünschen, daß die Kopfhängerinn nie Anlaß finden möge, dich an diesen unter uns noch immer streitigen Punkt zu erinnern.
Du bist gewöhnt über nichts tief nachzudenken, folglich sind auch deine Gefühle nur oberflächlich, und so kann ich dir jenes feine Gefühl, womit es dem denkenden Menschen so schwer wird, Wohlthaten annehmen zu müssen, nicht begreiflich genug schildern. Hier kömmt es viel auf die Begriffe von Ehre und edlem Stolz an, die uns in der Erziehung sind eingeflöst worden. Es ist ein für allemal für den, der sich fühlt, und diese Begriffe bekommen hat, weit peinlicher zu nehmen, als zu geben; nur die Art, wie man gibt, die deine Aeltern so vortreflich verstehen, kann es ihm erleichtern.
Uebrigens gewährt mir mein ländlicher Zirkel täglich mehr Glükseligkeit, die du erst kennen und empfinden lernen müßtest, um richtig davon urtheilen zu können. Bestünde diese Glükseligkeit auch blos aus den häufigen Freudenthränen, die jene Unglüklichen immer so entzükt auf meine Hand weinen, wenn sie vergnügter aus der Amtsstube treten, als sie hinein giengen. Wie viel Gutes kann da ein denkender, gefühlvoller, von Privathaß entfernter Richter stiften, wenn er die schwache Menschheit eben so duldend zu behandeln weiß, als es ihm der barmherzigste unter allen Richtern, der Richter im Himmel vorschrieb. Ach, warum geben sich doch die wenigsten Erdendespoten so selten Mühe, den Seelenzustand des Beklagten näher abzuwägen? Sie richten nach dem buchstäblichen Gesezze, und morden oft weit mehr Unschuldige, als sie einst werden verantworten können. Giebt es doch in Teutschland Amtsstuben, wo nach Verhältnis Niemand unmenschlicher behandelt wird, als gefallene Mädchen. Man verweißt sie hartherzig ins Elend, überläßt sie und das neugebohrne Kind der Verzweiflung, während als der Verführer seinem ungestraften Bubenstükke ruhig nachsieht! - Und dann fragen unsere philosophische Richter noch, woher doch die häufigen Selbst- und Kindermorde kommen? Minna, ich versichere dich mit voller Empfindung; über diese Barbarei geht nichts! Könnte mein Wilhelm sich eine einzige solche Tat auf sein Gewissen laden, ich würde ihn nie wieder lieben können. Der Richter, der zugleich Menschenkenner, Tiefblikker und Denker ist, weiß da, wo es auf Gefühl und Gerechtigkeit ankommt, kalte, pedantische Strenge von der weichen, weibischen Schwäche zu unterscheiden, und wählt im Urtheilen den Mittelweg zwischen beiden. Mir ist der Anblik eines steifen Pedanten, dessen Herz so ungestaltet ist als seine Perükke, auf dem Richterstuhl eine eben so ekkelhafte Figur, als der fliespapierne Weichling, dessen schlaffe Nerven über Menschenelend nachzudenken nicht mehr taugen. Welch eine wichtige, kritische Untersuchung für Fürsten, wenn sie für das arme Landvolk Beamte wählen! Siehst du, Minna, mit solchen und ähnlichen Betrachtungen vertreibe ich mir die Zeit auf dem Lande. Wer nachdenken will und kann, den wird nie Langeweile plagen. O es giebt für Menschen, die nicht ein bloßes Pflanzenleben führen wollen, der Gegenstände so viele, die unserer Aufmerksamkeit würdig sind!
Um meines Adels willen, meinst du, sollen mich die guten Bauersleute nicht blos Frau Amtmänninn heißen? Dies kann dir unmöglich Ernst seyn, da du überzeugt bist, daß man nur auf Adel des Herzens stolz seyn darf. Die Vorsehung schenkte mir auch den gewöhnlichen Adel, und ich werde mich bemühen, diesen Vorzug durch die Herablassung, in welcher allein die wahre Größe liegt, zu verdienen. Laß mir immer meinen verkrüppelten Geschmak, mit dem ich mich aus Liebe zu meinem Gatten auf das Land vergrub. Nur da finde ich mein Glük, meine Zufriedenheit; du findest die deinige im Getümmel; wir wollen sehen, wer weiter kömmt? Morgen haben wir auch Redoute! Die liebe, schöne Sonne beleuchtet unsern großen, müt grünen Tapeten geschmückten Saal - muntere Grasmücken begleiten unsere Musik; Masken dulden wir keine, weil jeder ein unverschleiertes Herz im Busen trägt. Den ganzen Ball über wird mit frischer Luft, süsser Milch und schwarzem Brod traktirt. Fröhlichkeit, gutes Gewissen, Redlicheit und Aufrichtigkeit sind die Geschenke, die wir wechselweise unter dem schönen blauen Himmel geniessen. Dabei ist man einander nicht so gleichgültig, wie auf euren gezierten Redouten. Der Zwang verbittert nicht jede Freude, der blaßgelbe Neid beklekst nicht Alles, die Verführung lauert nicht so ungehindert auf die Unschuld, wir machen einander durchs Spiel nicht arm, wir tanzen uns nicht im Staube die Gesundheit weg. Willst du dich von der näheren Wahrheit überzeugen, so komm' und sieh', wie sehr sich deine Freundinn nach dir sehnt.
Auguste. . .
1. Jahrgang 1790
M.A. Ehrmann MEINE GLOSSEN ÜBER DAS WORT: MANN.
(Aus Amaliens Tagebuche.)
Als ich jüngst in meiner Küche am Feuerheerde stand, und ganz gelassen (eine Tugend, die mir sonst selten eigen ist,) auf das Aufsteigen meiner Milch wartete, die zu einer Suppe bestimmt war; da hört' ich plötzlich in meines Mannes Zimmer ein mächtiges Geschrei! — Es tönte eben nicht geradezu wie aus einem Gänsestall, aber doch wie aus einem Hünerhause, wo die Hähne unter einander im hizzigsten Gefechte sind. Hilf Himmel, was ist das? Mein Mann wird doch nicht etwa mit seinen Besuchen Händel anfangen; ich kenne den Brausekopf, wenn man ihm da widerspricht, wo er seiner Sache gewiß ist! Und husch war ich beim Künchenfensterchen, um zu lauren. Der Streit wurde immer lauter, die Männer unter einander immer heftiger, mein feuriger Gatte schrie unter allen am ärgsten! Es war ein solcher Lärm, daß ich erst nach einem Weilchen daraus klug werden konnte, worüber sie sich eigentlich zankten? Es galt bei meiner Ehre keiner Kleinigkeit - es galt dem vielumfaßenden Worte: Mann\ Schon lange war ich neugierig, auch einmal den wahren Verstand dieses Worts einräthseln zu hören; weil ich aus den niedlichen, pudelnärrischen Dingerchen, die heut zu Tage wie abgerichtete Schooshündchen um uns Frauenzimmer herumgaukeln, gar nicht klug werden konnte. Ich hielt diese süßen Wesen, diese butterweichen Männchen, für überflüßige Mitteldinger zwischen Weib und Mann. Man kann sich leicht denken, wie bei diesem Gespräche meine ganze Aufmerksamkeit gefeßelt wurde! Ich horchte mit gespanntem Ohr, und hörte folgendes:
Erste Stimme. Ja, meine Herren, wie gesagt, wer dem Wort Mann Ehre machen will, der muß Geschicklichkeit genug besizzen, um den schönsten, männlichen Modepuz zu wählen. Zum Beispiel, eine fein gekräußelte Frisur, einen Hut mit einem hohen Kopfe, der den leeren Hirnschädel dekt, zwei hohle, durchsichtige Faussesmontres, von zarten, weiblichen Händen recht niedlich geknüpfte Stokund Uhrbändchen, ein buntschäkkigt gestreiftes Kleid mit Scheibenknöpfen, die Hemdkrause mit schmalen Spizzen, die Ringe mit Silhouetten und Haaren garnirt, große von einem Pferdgeschirr entlehnte Schuhschnallen, Strümpfe mit Zwikkeln wie ein Baurenweib, kurz alles vom Kopf bis auf den Fuß muß dem galanten Geschmak des Mannes, und diesem Wort entsprechen!
Zwote Stimme. Ei behüte! Weit gefehlt; dies alles gehört nicht zu dem Wort Mann! Das weiß ich beßer! Der Mann nach meinem Kopf muß seine Leidenschaften eben so wenig zu bekämpfen wissen, als ein anderes schwaches Geschöpf. Er muß sich eben so gerne, eben so ämsig mit Stadtklatschereien abgeben, als das erste beste Hökkerweib. Er darf Niemanden leicht verzeihen, um seine Standhaftigkeit zu beweisen; er muß um nichts und wieder nichts braußen können, weil dies Feuer in seiner Natur liegt; er muß recht schwachköpf ig über unwichtige Dinge eine Brühe giessen, in seinem Eigensinn als der Stärkere gegen den Schwächern steif und vest beharren, kurz und gut nie wollen, was sein Weib will, und sollte sie auch in gewißen Fällen noch so recht haben.
Dritte Stimme. Ihr habt alle Unrecht, ich weiß es noch besser! Ein Mann, der es im ganzen Verstände dieses Worts seyn will, der muß ganz anders denken, als ihr uns da vormacht. Hört mich an und staunt! Erstens muß er um seiner Bequemlichkeit willen den Frieden lieben, wenig und langsam Gutes thun, um seine Kräften zu schonen; gute Handlungen geschwind wieder bereuen, und sie dem Unglücklichen recht sauer machen, in den besten Entschlüßen wanken wie eine berauschte Fliege, über gar nichts nachdenken, was Menschenwohl betrift, das gegebene Wort wieder zurückziehen, wenns ihm beliebt, oder es geschikt zu verdrehen wißen; seine wäßerichte Treue allen anbieten, wortbrüchig werden, so wie er die Hand umdreht, weinen und winseln können, wenn er sich aus Zufall in den Ringer rizt', schreien, toben und fluchen, wenn ihm das geringste Hindernis in den Weg tritt, alles mit raschem Ungestümm von Zeit zu Zeit erzwingen wollen, aber dann recht friedfertig zurüktreten, wie eine Memme, wenn ihm ächter Muth entgegengesezt wird.
Vierte Stimme. Ihr seid alle samt und sonders Dummköpfe! Ich weiß unter allen am besten, was zu dem vollständigen Wort Mann gehört! - Ein rechter Mann, versteht mich wohl, ein rechter Mann muß in der Gesellschaft über alles laut und viel sprechen, aber wenig mit Zusammenhang und Kopf. Er muß die Dreistigkeit besizzen über Zeitschriften, die er nicht gelesen hat, über Gelehrte, die er nicht kennt, über Bücher, deren Namen er nicht einmal auswendig weiß, kurz über alles zu urtheilen, alles zu bekritteln, was er nicht versteht, er muß mit einem Wort in der Kunst geübt seyn, mit unsinnigen Machtsprüchen um sich zu werfen, mehr plaudern als er denkt und verantworten kann, auch alles, was von Weibern gethan, gesprochen oder geschrieben wird, mit lautem Geschrei zu verhöhnen wissen, vor allem andern muß er sich bemühen, sein eignes Selbst wichtig zu machen, beständig gegen die Eitelkeit zu Felde ziehen, oder aber dabei immer sich selbst loben. Der geringste Widerspruch muß seinen Hochmuth empören, er muß brummen und Gesichter schneiden können, wie ein wilder Bär, wenn nicht jeder thut, oder glaubt, was seiner verwöhnten Eigenliebe schmeichelt.
Fünfte Stimme. Da hast du recht, Brüderchen, wir spielen auf dieser Welt keine unwichtige Rolle! Wenn uns jemand beleidigt, so müssen wir uns auf der Stelle zu rächen wissen, verzeihen ist schwachköpf ig! Sind wir Gelehrte, so fehlt es uns ja nicht an guter Gelegenheit, zum Gelächter eines Dritten, unsere Brüder öffentlich zu nekken. Dienen wir an einem Hofe, so stekken wir uns hinter die Schwachheiten eines Fürsten, und schießen Pfeile ab so viel wir wollen, und auf wen wir wollen. Dienen wir dem Staat, so fehlt es uns wieder nicht an Anlaß unsern Ehrgeiz zu mästen, und unsere Börse zu spikken. Sind wir Handwerksleute, so gebieten wir mit Despotismus unter dem Wort Mann dem Weib, den Kindern, und dem Gesinde; jeder Stand bietet uns Anlaß dar, uns im Ansehen zu erhalten. Es ist doch ein herrliches Geschenke um das Wort Mann!
Sechste Stimme. Um Verzeihung, meine Herren, der Meinung bin ich nicht! Ich habe in meinem ganzen Leben meinem lieben Weibchen nie gebieterisch begegnet! - Ich thue im Hauswesen alles, was ich ihr an den Augen ansehe, wenn sie sizt, so steh' ich, wenn sie ißt, so hungere ich, wenn sie lacht, so lache ich mit, wenn sie weint, so weine ich auch mit, wenn sie spazieren geht, so bleibe ich hübsch zu Hause; mit einem Wort: ich lebe in allem nach ihrem Willen, bin ich nicht recht brav?
Alle (mit lautem Gelächter). O du elender Tropf du! - Du machst dem Wort Mann ewige Schande!
Vorige Stimme. Ich? ... Ja warum denn? Meine Frau sagt ja immer, es wäre mit keinem beßer auszukommen als mit mir. Sie wiederholt es tausendmal, sie wollte lieber heute noch sterben, als mit einem halsstarrigen Strudelkopf leben zu müßen, der gar keine schwache Seite hätte, bei der sie ihn lenken könnte. Ich danke dem Himmel für mein ruhiges Temperament, da lebe ich fein hübsch im Frieden.
Siebente Stimme. Nun ja, du eingebeizte Schlafhaube, so lebe im Frieden! Ich wollte mir ja lieber meinen Schädel wie diesen Pfeifenkopf zerknikken lassen (baff lag die Pfeife unter den Füßen) als mich zu solchem Weiberunfug bestimmt sehen! Brüder, ich will euch einmal den rechten Begriff von dem Wort Mann beibringen. Den Zeigefinger auf die Stirne, sperrt den Mund auf und hört! Ein Mann . . . nun wo blieb ich denn? - Ein Mann ... ist ein Mann!
Und ein Weib ist ein Weib, fiel ich dem stokkenden Erzähler in die Rede, und trat ins Zimmer! — Mir schwindelte über dem belauschten Gespräche der Kopf, und doch konnte ich aus dem Ganzen keinen richtigen Schluß über das Wort Mann herausbringen, ob ich gleich in meiner Küche ausserordentlich darüber nachgloßirte! - Ich fühlte für dieses Wort immer so große Ehrfurcht, dachte mir darunter so unbegreifliche Vollkommenheiten, und muß izt nach dem eignen Männergeständnis hören, daß weiter nichts darunter stekke als... gebrechliche Menschen!
1. Jahrgang 1790