Kalathiskos

AN DIE LESERINNEN

Es trägt beherzt in hohe frische Lüfte
der stolze Baum sein königliches Haupt,
es streut die Lilie die milden Düfte,
weit durch den hellen Garten, zart belaubt,
und weiße Blüthen säuseln durch die Klüfte,
vom Zephyr leicht des holden Schmucks beraubt,
indeß die Alpenros' in Glut getaucht,
in Einsamkeit den süßen Geist verhaucht.

Und alle wecken, wie's ihr Sinn gebeut,
verschiedne Regung in des Sehers Brust,
Bewunderung die, die sanfte Fröhlichkeit,
und die der Sehnsucht still bethräute Luft,
und alle wirken, friedlich, ohne Streit,
des eignen innern Werths sich tief bewußt,
und sind zufrieden mit dem schönen Leben,
das sie für sich empfahn und wieder geben.

So bilden auch viel wallende Gestalten,
die, wie der Geist der Zeiten sie beschwört,
sich aus dem Reich der Phantasie entfalten,
in Wort und Schrift ihr Leben unverwehrt;
nur strebe keiner alle fest zu halten,
er wird sonst leicht im eignen Gang gestört.
Doch alle kündigen den muntern Sinnen,
von innerm Drang das fröhliche Beginnen.

Denn jeder, der in jenem sel'gen Raum,
ein einzigsmal den kühnen Flug gewagt,
giebt gern zurück, was ihm wie ferner Traum,
ein leiser Nachtigall in die Seele sagt.
So sey auch hier manch stiller Blüthen Saum
euch aus dem Reich der Phantasie gebracht.
Ein Wiesenblumenstraus im bunten Kranze,
bald ausgefallen in der Hören Tanze.

Doch eh die Blätter welkend nieder beben,
so mögen sie in eures Lebens Gang,
euch eine freundliche Bedeutung weben,
in der Verhältnisse verworrnen Drang.
Ein süßes Wähnen eilt mich zu erheben,
und flüstert mir mit ferner Ahnung Klang:
Daß ich die Blüthen, die ich für euch winde,
an eurer Brust verschönert wieder finde.
Bd. 1

JUGEND UND LIEBE

Als die Menschen aus ihrer glücklichen Einfalt erwacht, und von dem Durst nach Erkenntnis gequält, nun mit den Augen des Verstandes umher sahen, und die schöne Wahrheit, die wir jetzt Wahn nennen, für sie verschwunden war, da fand der Mann bald gar vieles, was ihn zerstreute; er stellte die nächsten Verhältnisse der Dinge fest, betrog seinen Halbbruder, das Thier, betrat eine einzige Stufe auf der unermeßlichen Leiter der Natur, und nannte sich bald groß, mächtig und weise. Aber das Weib fand nichts, was die unendliche Sehnsucht nach der verlornen seligen Einfalt stillen konnte. Unaufhörlich wandte sie die weinenden Augen von der leeren, kalten Erde hinweg. Gieb mir, flehte sie zu dem Unendlichen, gieb mir, die das kalte Licht des Verstandes verwundete, nur etwas für meine unendliche Sehnsucht. - Und ein Schleier, als hätte Aurora ihre Rosen in Lunas Silberflor gewebt, senkte sich über die Erde. Allen Wesen schlug freudig verwundert das Herz höher, daß sie die Erde wieder in ihrer vorigen Gestalt erblickten; alles war übereinstimmend und fröhlich. Das war die Jugend und die Liebe, die den Menschen in einem seligen Traum die verlorne Wahrheit wiederbrachten, die der Verstand nun Irrthum nennt. — Aber das schöne Glück war bald entflohn, und das weibliche Herz grämte sich nocht tiefer um die wieder gefundne und so schnell entwichene Heimath. Da vernahm sie im Innern die tröstende Weisung: Liebe nur ewig und du wirst ewig jung seyn.
Bd. 1

NINON DE LENCLOS
NACH MEHREREN FRANZÖSISCHEN
SCHRIFTSTELLERN

Ihr gab die gütige Natur
ein Herz voll Wahrheit; ew'ge Jugend,
den heitern Sinn des Epikur,
und eines Cato strenge Tugend.
Saint-Evremond.

So bekannt dieser Name ist, so wenig ist es doch im Allgemeinen die Person, die ihn führte. Viele halten sie für ein bloß sinnliches, leichtfertiges Wesen; berühmte Schriftsteller nennen sie das Meisterstück der Natur, das hohe Weisheit und Tugend mit der liebenswürdigsten Anmuth in sich vereinte;. ..
Bald lenkte ihr Hang zur Betrachtung, ihre Blicke auch auf die festgesetzten Verhältnisse der beiden Geschlechter. Sie fühlte die Ungerechtigkeit derselben, und konnte sie nicht ertragen. Ich sehe, sagte sie zu einem ihrer Freunde, daß man an uns die leersten und schaalsten Forderungen thut, und daß die Männer sich das Recht vorbehalten haben, nach dem Würdigsten und Belohnendsten zu streben, und von diesem Augenblicke an werde ich Mann. Nach dieser Aeußerung, nicht als ein Weib, die von tausend Rücksichten des Gebrauchs und der Meinung bestimmt wird, muß Ninon beurtheilt werden. Ihre Moral hatte sie mit den rechtlichsten Männern ihrer Zeit gemein, und sie blieb ihr treu .. .
Immer mehr und mehr von allem Liebenswürdigen, was in Paris war, umgeben, lebte sie ein heiteres freudenvolles Leben, und wenn auch der herrschende Ton sie zuweilen zu weit in den Strom des Vergnügens und der Weichlichkeit fortriß, so machte die Kunst und Feinheit, womit sie alles behandelte, selbst ihre Fehltritte verzeihlich, und was sie weit von allen anderen Weibern unterschied war, daß sie im größten Taumel des Vergnügens nie den Sinn für minder lebhafte, aber edlere, vernünftigere Freuden verlor. Sie war zärtlich gegen ihre Lieblinge, aber auch achtsam auf die Sitten, und treu gegen ihre Freunde. Augenblicke, Vergnügen, Sorgen, Aufmerksamkeit, waren zwischen ihnen geteilt, sie befriedigte alle Forderungen; der liebenswürdigste Liebhaber hatte nie das ungerechte Recht, sie ganz zu besitzen; aber er hatte auch nie geheime Nebenbuhler zu fürchten. Die Wahl ihrer Lieblinge war nie durch Eitelkeit oder Eigennutz bestimmt, aber keine Rücksichten konnten sie auch zurückhalten, wenn ihr Geschmack aufgehört hatte. Ninon war ehrlich genug, es jedem zu sagen, der ihr nicht länger gefiel, und, ihren Grundsätzen nach, war in der Liebe nichts schimpflich, als Falschheit und Künstelei. Auch war es nicht ihre Schönheit allein, die ihre Liebhaber glücklich machte, auch die ganze Bildung derselben gewann unendlich durch ihren Umgang, denn Ninon konnte, ihrer Natur nach, eben so leicht auf Achtung, als Liebe, Anspruch machen . ..
Die Unstätigkeit ihres Herzens schien wie ihre Liebe zum Vergnügen, mit jedem Tage zuzunehmen; ununterbrochen wiegte sie sich auf den sanften Wogen eines weichlichen, fröhlichen Lebens, von einem Tage zum andern fort. Es war einer ihrer Lieblingsgrundsätze, daß man die Freuden nicht wie die Lebensmittel aufheben dürfe, sondern sie mit jedem Tage aufzehren solle, als würde es der letzte seyn. Glücklich fühlte sich jeder Mann, dem es gelang, ihr zu gefallen, nur war das schöne Glück bald verschwunden, denn Ninon gab zwar zu, daß es seltne begabte Seelen geben könnte, die stets mit gleicher Innigkeit für denselben Gegenstand glühen, nur die ihrige sey nicht dazu gemacht. Sie handelte mit vollkommener Sicherheit und mit großer Ruhe, denn sie verhehlte ja ihre Grundsätze nicht, und glaubte, weil sie sich den Männern gleich rechnete, auch in alle ihre Rechte getreten zu seyn. Ihren Liebhabern überließ sie es, ob sie über ihre Art zu lieben verzweifeln, oder sich darnach bequemen wollten, und nie erröthete sie über ihre Unbeständigkeit, die sie nicht zu verbergen suchte, sonder vielmehr oft selbst darüber scherzte. ..
So verlebte sie in vollen Frieden mit sich selbst und ihren Verhältnissen, den langdauernden Rest dieser Tage, die einst so glänzend dahin gerauscht waren. Da sie weniger Phantasie, als Verstand, Gefühl und Sinnlichkeit besaß, so quälte sie sich nie damit, Freuden zurück zu wünschen, die unwiederbringlich waren; sie hatte einen leisen Sinn für die Forderungen jedes Alters, und ihr moralischer Genuß bestand für sie vorzüglich in dem Gedanken, die Wahrheit ihrer Grundsätze durch eine so lange glückliche Befolgung derselben bewiesen zu haben. - Jetzt, so schrieb Frau von Coulanges in einem ihrer nachmals gedruckten Briefe, laufen die Frauen der Lenclos nach, wie sonst die Männer es thaten. Wie verhaßt muß ihr nach dieser Erfahrung das Alter werden! Aber Lenclos dachte anders; - auch war jene Bemerkung nicht richtig, vielmehr verschönte der ausgesuchteste Kranz männlichen und weiblichen Umgangs den Winter ihres Lebens. Kleine Anfälle von Krankheit bestärkten sie nur in der Idee, sich, wie sie sagte, mit dem gegenwärtigen Tage zu begnügen; morgen schon heute zu vergessen, und mit einer abgelebten Form, wie mit einer angenehmen, zufrieden und einig zu seyn...
Bd. 2 3.