Der Feminismus der Mujeres Libres

Ja, die Anarchisten haben immer gerne von der freien Liebe
gesprochen. Aber schließlich waren sie Spanier, und es ist
komisch, wenn Spanier von so etwas reden.
Es paßt gar nicht zu ihrem Temperament.
Sie hatten das nur aus ihren Büchern.
Die Spanier hatten nie etwas übrig
für die Befreiung der Frau. Nicht die Bohne.
Ich kenne sie in- und auswendig, und ich sage Ihnen:
Die Vorurteile, die sie störten, sind sie recht rasch losgeworden,
aber die ihnen paßten, haben sie sorgfältig gehütet.
Die Frau gehört an den Herd!
Von dieser Weisheit haben sie viel gehalten.[1]
Emilienne Morin, Witwe von Buenaventura Durruti

1. Libertäre Feministinnen

Eines der am wenigsten bekannten Kapitel der spanischen Krise der dreißiger Jahre ist zweifellos das der Frauenbewegungen, die von den Spezialisten im allgemeinen nur in geringem Maße studiert worden sind.[2] Die bedeutendste unter ihnen waren die Mujeres libres, in denen einige wenig bekannte Intellektuelle und anarcho-syndikalistische Arbeiterinnen wie Maria Luisa Sánchez Saornil, Amparo Poch y Gastôn, Mercedes Camaposada und die Arbeiterin Lola Iturbe [3] eine herausragende Rolle spielten. Obwohl die Emanzipation der Frau zu den großen Bestrebungen des Sozialismus gehörte und einige weibliche Persönlichkeiten - etwa Teresa Mané Soledad Gustavo, Teresa Claramunt oder die marxistische Sozialistin Virginia González leidenschaftlich von der Notwendigkeit der Befreiung der Frau sprachen, kannte die spanische Arbeiterbewegung bis zum Auftauchen der Mujeres libres im April 1936 keine autonome Frauenorganisation mit einem gewissen Masseneinfluß.
Die Geschichte der Mujeres libres beginnt am Vorabend des Bürgerkriegs und endet mit der Niederlage gegen Franco 1939. Nachdem sie bei beinahe allen ziemlich in Vergessenheit geraten war, bewirkte der weltweite Wiederaufstieg der Frauenbewegung, daß man auch wieder von ihnen spricht und in ihrer Erfahrung einen mutigen Versuch sieht, der libertären Bewegung eine feministische Dimension zu geben. Ihr Scheitern weist unmittelbar auf die Blindheit der Arbeiterbewegung hin, die den Frauen aufgrund ihrer Vorurteile Rechte verweigerte, die ihre eigenen Positionen deutlich verstärkt und die Anziehungskraft ihrer emanzipatorischen Alternativen erweitert hätte.
Die Organisation der Mujeres libres entstand nicht als Ausfluß politisch-theoretischen Bewußtseins, obgleich der ideologische Faktor natürlich zu ihrer Entstehung beitrug.[4] Ihr Ausgangspunkt war vielmehr empirischer Art. Anfang 1936 wurden einige Kurse für Frauen abgehalten, die von der lokalen Föderation der CNT in Madrid organisiert waren. Die Erfahrung mit diesen Kurse bewirkte, daß die Teilnehmerinnen, vor allem die Gewerkschafterin und Dichterin Maria Luisa Sánchez Saornil,[5] die Schlußfolgerung zogen, daß die Männer - ein "halbes Dutzend gut orientierter Genossen ausgenommen" - von den "typisch bürgerlichen Verirrungen verseucht" sind. Viele von ihnen meinten, ihre Frauen dürften auf keinen Fall die Hausarbeiten aufgeben, um sich auf ein Gebiet zu begeben, das "Männersache" sei; einige gingen sogar soweit, die Mitgliedschaft von Frauen in Parteien etc. als etwas Unanständiges anzusehen. Selbst die Agitatoren, die im Prinzip mit dem libertären Feminismus, wie ihn Soledad Gustávo und Federica Montseny [6] verkörperten, zumindest etwas vertraut hätten sein müssen, kehrten häufig ihre "Fähigkeiten" als "Don Juans" heraus. Es gab auch solche, die unter den Schlagwörtern "freie Liebe" und "sexuelle Revolution" nur ihr Eigeninteresse verstanden und glaubten, sie hätten hinfort freies Spiel.
Diese Einstellungen ergänzten in gewissen Maße die geringe Bereitschaft, den Frauen Funktionen zu übertragen. Das bewirkte, daß es in den mittleren und höheren Rängen der Gewerkschaften kaum Frauen gab. Montseny war die bekannteste Ausnahme, die die Regel bestätigt, und ihre "Männlichkeit" bewirkte, daß man in ihr eine "anarchistische Egeria" erblickte.
Als im April 1936 der Madrider Kern gebildet worden war, bestand die erste Aktivität in der Schaffung einer eigenen Schule, mit der die pädagogischen Intensionen der Gruppe verdeutlicht werden sollten. Der nächste Schritt war die Aufnahme von Beziehungen zu einer Gruppe in Barcelona, die dort ein Haus für Frauenkultur unterhielt. Damit war das Netz einer nationalen Organisation geschaffen, die zur Unterstützung der Republikaner im Krieg arbeitete, besonders aber in den verschiedenen Abteilungen der CNT aktiv wurde. Es war ihr vorrangiges Ziel, die Arbeiterinnen für ihre Rechte zu sensibilisieren, ihnen ihre Rechte in allen Bereichen bewußt zu machen. Sie zögerten nicht, die Vormachtstellung der Männer in Frage zu stellen und zu versuchen, "in ihren Gehirnen jede Vorstellung von Überlegenheit auszurotten".
Weniger als zwei Jahre später waren die Mujeres libres eine Organisation voller Vitalität, die etwa zwanzigtausend Mitglieder in 150 Gruppen umfaßte. Sie arbeiteten vor allem in Madrid und der Zentralregion, in Barcelona und Katalonien und in Valencia. Ihre Zeitschrift gleichen Namens erschien regelmäßig und hielt ein solides Gleichgewicht zwischen der Genauigkeit und Ernsthaftigkeit ihrer Botschaft und allgemeiner Verständlichkeit. Sie hatte darauf Rücksicht zu nehmen, daß sie sich an Frauen wandte, die in ihrer großen Mehrheit Analphabetinnen waren und von denen nur wenige eine schulische oder eine Berufsausbildung hatten. Die Mujeres übernahmen auch Kontakt zu Frauengruppen in den Vereinigten Staaten, in Südamerika und Europa auf, die ähnliche Ideen vertraten, um eine "Internationale Konföderation freier Frauen" zu bilden doch dazu kam es nicht. Hervorzuheben sind ihre Beziehungen zu Emma Goldman, die vielleicht die sie am meisten beeinflussende Persönlichkeit gewesen ist und von der sie zahlreiche Artikel zu Frauenfragen übersetzten.[7]
Ihre Fähigkeiten und ihr Aktivismus zeigten sich auch noch während ihres ersten Kongresses am 20. August 1937, als die anarchistische Bewegung schon stark im Zurückfluten begriffen war und der Einfluß der Kommunistischen Partei als Antreiberin der Rechten in der Republikanischen Bewegung zunahm. Auf diesem Kongreß wurde beschlossen, einige organisatorische Prinzipien einzuführen, die auf dem traditionellen libertären Föderalismus beruhten. Damit wurde der Versuch gemacht, sowohl die Fähigkeit der lokalen, regionalen und der Gruppen aus den Provinzen auf Selbstbestimmung zu garantieren, als auch alle in einem nationalen Komitee zu koordinieren, dem seinerseits verschiedene Sekretariate zur Seite standen. Die Organisation setzte sich folgende Ziele:

  1. Emanzipation der Frau von ihrer dreifachen Versklavung, der sie im allgemeinen unterworfen war und noch bleibt: der Sklaverei durch Unwissenheit, der Sklaverei als Frau und der Sklaverei als Produzentin.
  2. Aus unserer Organisation eine bewußte und verantwortliche feministische Kraft zu machen, die eine Avantgarde innerhalb der revolutionären Bewegung bildet.
  3. Die Unwissenheit bekämpfen, indem wir die Genossinnen kulturell und sozial schulen. Dabei können als Mittel eingesetzt werden: Grundkurse, Konferenzen, Gespräche, kommentierte Lektüren, Filmaufführungen etc.
  4. Zu einem echten Zusammentreffen zwischen Genossen und Genossinnen zu gelangen: zusammenleben, zusammenarbeiten und sich nicht ausschließen. Energien für die gemeinsame Aufgabe investieren."[8]

Zur Erreichung dieser Ziele, hißt es weiterhin, "wird eine politische Organisation gebildet werden, die sich mit den allgemeinen Zielen der CNT und der FAI identifiziert, denn ihr Streben nach der weiblichen Emanzipation hat als höchstes Ziel die Beteiligung der Frauen an der Emanzipation des Menschen, wobei sie mit den erworbenen Kenntnissen, bereichert durch ihre eigenen, besonderen Eigenschaften bei der Herausbildung der neuen sozialen Ordnung mithilft." Wie wir noch sehen werden, war dies aber eine unmögliche Ehe.
Ihre Vorstellungen bauten also auf der Erwartung einer sozialen Revolution unter der Führung der anarchistischen Bewegung auf, so wie sie seit dem berühmten Kongreß von Zaragossa geplant war. Bei der Erreichung ihrer Ziele wollten die Mujeres libres von den sozialen Umwälzungen profitieren, die sich zu Beginn des Bürgerkrieges entwickelten, aber auch von der Tatsache, daß ihre Organisation vor diesem Krieg entstanden war und ihre eigene Tradition und eigenen emanzipatorischen Ziele hatte, die über den bloßen Antifaschismus hinausgingen. Auch viele Anarchisten wollten die Frauen im wesentlichen auf die Rolle als Helferinnen beschränkt sehen: in der Krankenbetreuung, den sozialen Diensten, als Ersatz für die im Kampfe stehende männliche Arbeitskraft, ohne daß damit eine grundsätzliche Kritik der sozialen Stellung der Frau verbunden gewesen wäre.

2. Die Probleme des Krieges

Die Mujeres libres waren nicht nur die erste autonome Frauenorganisation in Spanien, sondern auch die erste nennenswerte feministische Organisation von Anarchistinnen überhaupt - und sie sind es bis auf den heutigen Tag geblieben. Aus beiden Gründen kann man sagen, daß sie ihre Aktivitäten allein und ohne praktischen Bezug zu früheren Organisationen verwirklichen mußten. Zu diesen Gründen trat ein weiterer hinzu: der Bürgerkrieg und die inneren Konflikte in der republikanischen Zone, die sie vor überwältigende Probleme stellten. Dies wird besonders deutlich, wenn man das Verhältnis zu der von der FAI-CNT praktizierten Politik überprüft, besonders in Fällen wie den Geschehnissen vom Mal 1937 in Barcelona, als die Haltung der Mujeres libres eher mit den linken Strömungen im Anarchismus übereinstimmte.
In den verschiedenen in ihrer Zeitschrift erschienenen Artikeln gibt es eine Bewertung des Bürgerkriegs, die sich wie folgt zusammenfassen läßt: Der Krieg hatte immer weniger die Eigenschaft, den Bruch mit der Vergangenheit zu vertiefen und dadurch bessere Bedingungen für den langen Weg der Befreiung der Frau zu schaffen. Der Feminismus, der vor dem Juli 1936 im Bereich der politischen Utopie angesiedelt war, verwandelte sich in eine politische Kraft, als die sozialen Umwälzungen zahlreiche Frauen veranlaßten, ihre untergeordnete Position in der traditionellen Gesellschaft, in der Familie ebenso wie am Arbeitsplatz, in Frage zu stellen und darüber gewerkschaftlich und politisch tätig zu werden. Zahlreiche Frauen taten sich nach Francos Putsch politisch hervor und nicht wenige eilten an die Front, um mit dem Gewehr in der Hand gegen ihn zu kämpfen.
Die Arbeit der Mujeres libres verstärkte die allgemeine Orientierung auf eine Organisierung der Arbeitenden und der Bauern. Jede aktive Frau sollte hingehen und möglichst selbst eine Frauengruppe aufbauen, wie eine auf den Dörfern verteilte Broschüre in etwas paternalistischem Ton forderte:

  • "Werde Dir bewußt, daß alles Mühe kostet und daß die Dinge sich nicht von selbst entwickeln und darüber hinaus, daß Du, um etwas zu Erreichen, die Mitwirkung anderer Kolleginnen brauchst. Du mußt Dich auf sie stützen, wie sie Deiner Unterstützung bedürfen. Mit einem Wort: Du mußt in einer Gemeinschaft arbeiten. Um es noch einmal zu sagen: Du mußt eine Frauengruppe aufbauen."[9]

Die Frauen engagierten sich bei der Bekämpfung des Analphabetismus in Stadtvierteln und Dörfern. Es wurden zahlreiche Broschüren herausgegeben, die feministische Forderungen vom anarchistischen Standpunkt aus erklärten, die aber auch für Beiträge aus anderen politischen Richtungen offen standen. Viel Energie wurde darauf verwendet, Schulen, Werkstätten und Bibliotheken aufzubauen, vor allem in Barcelona und Madrid. In Barcelona gab es ein "Haus der arbeitenden Frau", in dem eine Reihe von intellektuellen Frauen arbeiteten, die für die Sache des Feminismus gewonnen worden waren. Die dort angebotenen Kurse beschränkten sich nicht auf traditionell weibliche Tätigkeiten, etwa Säuglingspflege oder Herstellung von Kleidern, sondern umfaßten auch Maschinenschreiben, Stenographie, Mechanik, Elektrizität, Soziologie und Wirtschaftslehre. Ebenso wurden Kurse über Landwirtschaftstechniken, Geflügelzucht und zur gewerkschaftlichen Bildung abgehalten.
Im gewerkschaftlichen Bereich wurden Fragen der wirtschaftlichen Unabhängigkeit und der Bemessung des Lohns für besonders wichtig gehalten. Die Arbeit galt als Mittel, daß "die Frau ihrem Heim entkommen" konnte, welches sie zu einem "auf sich selbst beschränkten Leben" verurteilte. Die Arbeit war Pflicht der Frauen; eine "unverzichtbare Bedingung, die Erfüllung eines biologischen Gesetzes, das den Menschen beherrscht; und die Frau, die eine Hälfte der Menschheit, kann von diesen Pflichten nicht ausgenommen werden". Von diesem Standpunkt aus wurden alle Theorien bekämpft - die in den Medien der Gewerkschaften immer wieder vorgetragen wurden - die die Tendenz hatten, die Frauenarbeit als eine Quelle der Männerarbeitslosigkeit zu betrachten. Die Mujeres libres hingegen gingen von der Ansicht aus, daß "dieses Problem keineswegs auf der Konkurrenz zwischen den verfügbaren Arbeitskräften beruht, sondern auf dem Mißbrauch der Rechte durch einige, die den Eindruck haben, daß sie selbst rennen, wenn sie die anderen nur am Gehen hindern". Als die Regierung Negrin 1938 die Frauen aufrief, sich massiv für die Produktion zur Verfügung zu stellen, um den Gang der Wirtschaft aufrechtzuerhalten und die Männer zu ersetzen, antworten sie in ihrer Zeitschrift: "... er soll jetzt nicht von der Eingliederung der Frau in die Arbeitswelt reden, als ob es sich um eine Notwendigkeit oder um einen Gefallen handelte! Die Arbeit ist ein Recht, das die Frauen in den blutigsten Tagen des Kampfes erobert haben!".
Sie sahen, daß in den entscheidenden Augenblicken der Kämpfe im Juli 1936 die Frauen tatsächlich in Massen Haus und Herd verlassen hatten, um die härtesten und für am wenigsten weiblich gehaltenen Arbeiten zu verrichten, von der Handhabung der Gewehre bis zu der der MGs, aber sie mußten gleichfalls feststellen, daß nur die hartnäckigsten ihren Platz behalten konnten, als die Männer einrückten, um "ihre" verantwortlichen Plätze einzunehmen, als sich die Lage stabilisiert hatte. Im Gegensatz zu denen, die dachten, die Frauen hätten nach dem Krieg dorthin zurückzukehren, woher sie gekommen waren, waren für die Mujeres libres die neugewonnenen Freiheiten eine nicht wieder rückgängig zu machende Errungenschaft. In diesem Sinne unterschied sich ihre Position von den Frauen im Umkreis der Kommunistischen Partei (PCE), die nicht zögerten, die Empfehlung auszusprechen, die Männer sollten nach Rückkehr von der Front ihre Arbeitsplätze wieder einnehmen. Für die Mujeres libres war die Arbeit ein Mittel der Emanzipation. Darunter verstanden sie allerdings etwas anderes als Arbeit im Kapitalismus, die das Leben der Arbeiter "zu einer endlosen Mühsal macht, zu einer Konkurrenz, bei der der am meisten Versklavte gewinnt".

3. Die Selbstbefreiung der Frau

Der wichtigste theoretische Beitrag des Anarchismus zur Frauenfrage liegt vielleicht darin, daß er die Betonung auf die eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten zur Emanzipation legte. Niemand äußerte sich dazu klarer als Emma Goldman. Während sie aber nie ernsthaft die Frage der organisatorischen Vermittlung und daher der konkreten Praxis als Umsetzung der angestrebten Selbstbefreiung aufwarf, mußten sich die Mujeres libres inmitten eines kriegerischen und sozialen Konfliktes bemühen, sie zu konkretisieren.
Neben Erziehungsfragen und dem Problem der Frauenarbeit stellten sie die Frage nach der Zukunft der Hausarbeit, die sozialisiert werden mußte, wenn die Frauen außerhalb von Heim und Herd aktiv werden sollten. In diesem Sinne beschlossen sie die Organisation von Kindertagesstätten in allen Landesteilen, wo es Gruppen von organisierten Frauen gab. Amparo Poch y Gascón bereiste die gesamte republikanische Zone, um Vorträge über die Periode vor der Geburt und die Pflege der Neugeborenen zu halten. Sie versuchte, die Eltern zu bewegen, ihre Kinder gemeinsam zu erziehen, aber sie scheint nur geringen Erfolg gehabt zu haben. Obwohl die anarchistischen Aktivisten abstrakt von diesen Ideen beeinflußt waren, fehlte es ihnen an Erziehung und am Willen, sie in die Tat umzusetzen. Nicht einmal die älteren Kinder und die Alten fühlten sich berufen, solche Aufgaben zu übernehmen, obwohl dies breit propagiert wurde.
Wir haben schon gesehen, daß die Mujeres libres auch in den Medien kaum auf Verständnis stießen, als sie ihre Ideen über die "sexuelle Revolution" entwickelten, Ideen, die sie aus Beiträgen von Goldman und dem Arzt Marti Ibéneeez übernommen hatten. In ihrer Anprangerung der vorherrschenden Einstellungen unter Männern konnten sie wirklich kaum weiter gehen. Hinsichtlich der Bedeutung und Funktion der traditionellen Familie bestanden zwei mehr oder weniger abgegrenzte Positionen nebeneinander. Die radikalste war die von Maria Luisa Sànchez Saornil, die mit Vehemenz die Abhängigkeit der Frau und ihre Gefangenschaft in ihren ehelichen Klostermauern anklagte. Sie unterließ auch nicht, die sich "verzehrenden" Mütter zu kritisieren. Sie sah, daß es in der Frauenrolle eine Art komplementärer Dualität gab - die Frau als Gattin und als Hure -, was für sie die Aufhebung dessen bedeutete, "was an ihr ausgesprochen menschlich ist, nämlich die Frau als rationales Wesen, denkend und autonom." Die einzig freie Gemeinschaft, die sich die Anarchistinnen vorstellen konnten, war eine, die weder von der Kirche noch vom Staat sanktioniert war. Daher nahmen sie auch an der "Zivilehe" Anstoß, die in den konföderierten Medien gefeiert wurde.
"Wir verurteilen", so heißt es da, "wenn uns die Freiheit der Gemeinschaft nicht gefällt; wir sollten uns doch nicht feige hinter heuchlerischen Zeremonien verstecken und die Gewerkschaften mit unserer verlogenen Moral durchsetzten." Die Gemäßigteren standen eher hinter den Reformen, die von Federica Montseny als verantwortlicher Ministerin entwickelt worden waren und die auch in den Gewerkschaften Anklang fanden. Ihre Einstellung bekannte sich zur Zivilehe und stimmte mit Federica Montseny auch in der Schwärmerei über die Bedeutung der Mutterschaft überein, die als "natürlicher, vorherbestimmter Zustand" aufgefaßt wurde. In einem Artikel in der Zeitschrift Mujeres libres heißt es sogar:

  • "Die Mutterschaft als solche ist ein natürlicher Zustand, für den die Frau geschaffen ist; ein biologischer Zustand, der in vielen Fällen ohne Wissen und ohne bewußtes Wollen der Frau eintritt. Sie vollzieht nur das Naturgesetz, das den weiblichen Geschöpfen aller Gattungen gemeinsam ist, um das Leben auf unserem Planeten zu erhalten."[10]

Eine solche Einstellung stand auch bei der Errichtung von Schulen Pate, in denen die Frauen in der Hauswirtschaft unterrichtet wurden.
Ähnliche Widersprüche und Zweideutigkeiten gibt es desweiteren in Fragen der Empfängnisverhütung und der Abtreibung. Obwohl die Anarchistinnen traditionell der Empfängnisverhütung zustimmten, bestand die wichtigste Beschäftigung im von ihnen geleiteten Mütterhaus in Barcelona in der Erteilung von Lektionen, wie eine Mutter sich verhalten solle und nicht darin, wie Frauen ihren Körper und damit ihr Leben kontrollieren können.
In der Frage der Abtreibung unterstützten sie die relativ fortgeschrittene republikanische Gesetzgebung, ohne allerdings Aktionen für eine kämpferische Verteidigung dieses Rechts anzuleiten.
Eine ähnliche Haltung begegnet uns auch beim Problem der Prostitution, demgegenüber die Mujeres libres eine ausgeprägte Sensibilität entwickelten. Zu Beginn des Krieges unternahmen sie große Anstrengungen, Zentren zur Rehabilitierung von Prostituierten zu schaffen, die diesen Frauen materielle und moralische Unterstützung gewähren und eine medizinisch-psychiatrische Behandlung sowie eine Berufsausbildung ermöglichen sollten. Für die Mehrheit der Organisation handelte es sich um eine Frage von erstrangiger Bedeutung:

  • "Solange es noch eine einzige Prostituierte gibt, wird es keine Ehefrau als solche, keine Schwester oder Gefährtin als solche geben. Denn es ist gerade die Prostituierte, die die Erhaltung solcher Begriffe wie Ehre garantiert, die die Wohlanständigkeit möglich machen. (...) Sie ist es, die die heimlichen sexuellen Abenteuer der Jugendlichen christlicher Familien und die Seitensprünge der ehrenwerten Familienväter ermöglicht. Das alles muß schleunigst aufhören. Genug Theater, genug Lügen und Reden gegen den Mädchenhandel. Genug passives Erbarmen der sich in der Ferne haltenden Frauen. Es ist nicht ihr Problem, sondern unseres, das Problem aller Frauen und aller Männer. Solange es besteht, werden wir in der Liebe, in der Zuneigung, in der Freundschaft oder in der Kameradschaft keine Aufrichtigkeit erreichen."[12]

Es war für sie eine Skandal, daß die Männer, auch diejenigen, die die rote oder schwarzrote Farbe zur Schau stellten, in den Bordellen und "Music-Halls" ihr sexuelles Vergnügen suchten.
Es läßt sich allerdings nicht unbedingt sagen, daß die Mujeres libres über eine moralische Verurteilung der Prostitution hinaus zu einer wirklich gesellschaftlich-dialektischen Analyse dieses Phänomens gelangt wären. An keiner Stelle ihres Periodikums kann man erkennen, daß sie tiefschürfend über das Problem des "Machismo" nachgedacht hätten. Von daher ist der Unterschied zwischen der Linken und der Rechten nur ein gradueller. Die Rechte hatte 1935 ein Gesetz gegen die Prostitution erlassen, indem Maßnahmen gegen diese Frauen festgelegt wurden, aber natürlich nicht gegen diejenigen, die in der einen oder anderen Art vom "Geschäft mit dem Fleisch" profitierten.

4. Unverstanden und an den Rand gedrängt

Die Mujeres libres konnten sich dem allgemeinen Verlauf der spanischen Revolution nicht entziehen, insbesondere nicht nach den Mal-Ereignissen von Barcelona und dem darauf folgenden Sturz von Largo Caballero. Die Zeiten und Möglichkeiten, die gestern (im Sommer 1936) noch so vielversprechend schienen, hatten sich grundlegend gewandelt, die Orientierung der Regierung Negrin und die ungünstige Veränderung der militärischen Lage engten ihren Spielraum zusehends ein. Dazu muß man noch die eigenen Schwierigkeiten in der libertären Bewegung und die Widersprüche innerhalb der eigenen Organisation berücksichtigen.
In dieser Zeit gelang es den Mujeres Antifascistas mit ihrer Orientierung auf die traditionelle Arbeitsteilung, nach der den Frauen nur die Aufgabe blieb, den Kämpfern Erholung zu bieten und gute Mütter zu sein, eine Vorreiterrolle zu spielen. Die Mujeres libres stellten die Bedeutung der militärischen Aufgaben nicht in Frage, aber sie protestierten dagegen, daß deswegen bereits durchgesetzte Errungenschaften wieder rückgängig gemacht werden sollten. Dennoch akzeptierten sie, wenn auch widerwillig, den Rückzug der Frauen aus der Armee, weil angeblich der "methodische, reguläre und verzweifelte Kampf an der Front" für sie nicht geeignet sei und die Frauen das Gewehr gegen die Maschine in der Industrie und die Unterstützung der Kämpfer im Hinterland einzutauschen hätten. Eine "wirkliche Frau entehrt die Front nicht!", eine Maxime, die den Erfahrungen späterer Kämpfe widerspricht, wo Frauen eine durchaus mitentscheidende Rolle gespielt haben, man denke nur an Vietnam oder Nicaragua.
Die Mujeres libres lehnten eine Zusammenarbeit mit den Mujeres antifascistas ab; sie weigerten sich beispielsweise, die Tribüne zu nutzen, die ihnen anläßlich der Internationalen Aktionstage zum 8. März 1938 (in allerdings sektiererischer Weise) angeboten wurde. Sie versuchten fortwährend, einen Platz innerhalb der anarchosyndikalistischen Strömung zu finden und zwar nicht als Anhängsel, sondern mit gleichen Rechten wie die libertäre Jugendorganisation. Doch sie stießen auf wenig Gehör. Man wollte ihnen vor allem Hilfsfunktionen übertragen, wie José Peirats in seinem Buch La CNT en la revolución espanola in aller Klarheit aufzeigt. Die Anarchisten", meinte eine so bedeutsame Zeugin wie Emma Goldman, "scheinen nicht den Sinn der wirklichen Emanzipation zu verstehen" und möchten lieber, daß "ihre Frauen auch fortan ihre Rechte nicht kennen".[13] Maria Luisa Sánchez Saornil zog die Schlußfolgerung, die Frauen müßten innerhalb der sozialen Revolution, auf die sie weiterhin hoffte, "ihre eigene Revolution" machen. Vorläufig erwies sich diese Revolution aber als unmöglich. Die Niederlage der Zweiten Republik führte die meisten Führerinnen der Mujeres libres auf den Weg ins Exil, wo es ihnen nicht wieder gelang, sich zu reorganisieren.