Mary Wollstonecraft - Frances Wright

Kann der Mann frei sein, wenn die Frau Sklavin ist?
Percy B. Shelly

1. Frauen gegen ihre Zeit

Wie die meisten bedeutenden Ideen der Moderne beginnt der Feminismus im Rahmen des Prozesses der bürgerlich-demokratischen Revolution Gestalt anzunehmen. Dabei steht er im Gegensatz zur überwiegenden Mehrzahl ihrer wichtigsten männlichen Vorkämpfer, die sich als Gegner einer rechtlichen Gleichstellung der Frau mit dem freien Mann und Eigentümer erweisen.[1]
Die ersten Feministinnen, die die Möglichkeit einer rechtlichen Gleichstellung der beiden Geschlechter untersuchten, traten während der puritanischen Revolution hervor, die den Prozess der bürgerlichen Revolutionen einleitete und den ersten Grundstein für das moderne England legte. Zum Teil diente es den späteren demokratischen Regimen als Vorbild. Die Puritaner versetzten der absoluten Monarchie den Todesstoß und verteidigten das Recht der Steuerzahler, ihre politischen Vertreter selbst zu wählen. Sie behaupteten die Fähigkeit eines jeden Individuums, sich direkt mit Gott zu verständigen, ohne die Hilfe des kirchlichen Lehramtes in Anspruch nehmen zu müssen. Doch den Frauen gestanden sie keine andere Art der Gleichheit zu als diejenige, zu Gott zu beten.
Die Aufklärer gingen erheblich weiter. Unter ihnen ragte der Marquis de Condorcet heraus, der 1788 in seinem Werk Versuch über die Verfassung und die Funktionen der Provinzparlamente das Recht der Frauen, auf gleichberechtigter Grundlage an der Politik teilzunehmen, verteidigte; allerdings sollte es in seinem Heimatland noch einhundertfünfzig Jahre bis zu seiner Einlösung dauern. Condorcet war der Auffassung, die Ausschließung der Frauen aus der Politik sei eine unvernünftige Ungerechtigkeit, denn die Frauen hätten mit den Männern alle "Eigenschaften vernünftiger und empfindender Wesen" gemein. Denjenigen, die von einem Mangel der Frauen an Wissen und Intelligenz und von ihrer physischen Schwäche ausgingen, entgegnete er:
 

  • "... gibt es denn ihrerseits nicht wenige Volksvertreter, denen es ebenfalls daran gebricht. Der gesunde Menschenverstand und die republikanischen Prinzipien schließen jeden Unterschied zwischen Männern und Frauen auf dieser Ebene aus. Der immer wieder wiederholte Haupteinwand gegen eine Beteiligung von Frauen am politischen Leben lautet, daß wir sie dadurch von der Aufmerksamkeit für die Familie ablenkten. Das Argument entbehrt aber jeder Grundlage. Es bezieht sich nur auf die verheirateten Frauen, also keineswegs auf alle. Und zweitens müßte man aus dem gleichen Grund den Frauen die Ausübung eines Handwerks oder Handels untersagen.[2]

Aber Condorcet war ein Rufer in der Wüste. Dem antifeministischen Druck erlagen in jener Epoche selbst die hervorragendsten Männer, so auch der Semi-Anarchist Sylvain Maréchal, ein Genosse von Babeuf beim Aufstand der Gleichen, der sich ebenfalls gegen die Rechte der Frau aussprach. Hingegen kämpfte eine Reihe von Frauen, die in den Worten Michelets "die Avantgarde der Revolution" gewesen waren, für die rechtliche Gleichstellung ihres Geschlechts. Darunter waren insbesondere die führende Girondistin Madame Roland, Claire Lacombe und vor allem Olympe de Gouges.[3] Sie wurde die unsterbliche Autorin der ersten Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin, in der unter anderem proklamiert wurde:
 

  • Art. 1: Die Frau wird frei geboren und bleibt dem Mann an Rechten gleich. Soziale Unterschiede können nur auf dem Nutzen für die Allgemeinheit beruhen.
  • Art. 2: Das Ziel jeder politischen Vereinigung ist die Erhaltung der natürlichen und unverbrüchlichen Rechte der Frau und des Mannes: diese Rechte sind die Freiheit, das Eigentum, die Sicherheit und vor allem der Widerstand gegen die Unterdrückung.
  • Art. 3: Das Prinzip jeder Souveränität liegt wesentlich in der Nation, die nur die Wiedervereinigung von Frau und Mann ist: keine Körperschaft, kein Individuum kann Autorität ausüben, welche sich nicht ausdrücklich daraus herleitet.
  • Art. 4: Die Freiheit und die Gerechtigkeit bestehen darin, das anderen Gehörende zurückzugeben; so unterliegt die Ausübung der natürlichen Rechte der Frau allein den Schranken, die ihr die fortwährende Tyrannei des Mannes auferlegt hat. Diese Schranken müssen nach den Gesetzen der Natur und der Vernunft reformiert werden.(...)
  • Art. 6: Das Gesetz muß der Ausdruck des allgemeinen Willens sein: Alle Bürgerinnen und alle Bürger müssen persönlich oder mittels ihrer Vertreter an seiner Festlegung beteiligt sein; es muß für alle gleich sein.
  • Art. 13: Die Abgaben für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Streitkräfte und für die Ausgaben der Verwaltung sind für Frauen und Männer gleich; die Frau nimmt an allen Diensten und an allen Arbeiten teil; sie muß daher den gleichen Anteil bei der Verteilung der Posten, der Stellen, der Ämter, der Ehren und des Gewerbes haben.

Diese kühne Feministin fiel der Guillotine zum Opfer, als die Revolution zu degenerieren begann. Viele ihrer Forderungen stellen einen weitsichtigen Vorgriff auf die Kämpfe der Frauenbewegung im zwanzigsten Jahrhundert dar. Sie spiegeln auch die Unfähigkeit sogar des fortgeschrittendsten Beispiels einer bürgerlich-demokratischen Revolution, die Rechte der Frau in ihr Programm zu integrieren.

Unter dem Gesichtspunkt ihrer individuellen Leistung - um den es in diesem Buch hauptsächlich gehen wird - ragen in dieser Epoche besonders zwei großartige Frauenpersönlichkeiten hervor, nämlich Mary Wollstonecraft und Frances Wright. Sie wurden zu den wichtigsten Pionierinnen der beginnenden britischen bzw. nordamerikanischen feministischen Bewegung, und sie waren eng mit den damaligen Hauptvertretern des Frühsozialismus verbunden, mit William Godwin und Robert Owen. Dadurch ergab sich eine erste Synthese von feministischen und sozialistischen Positionen.

2. Der Vater, ein absoluter Patriarch

Mary Wollstonecraft kam am 27. April 1759 als zweites Kind im Heim einer Mittelklassenfamilie zur Welt, die aus sieben Geschwistern, drei Mädchen und vier Jungen bestand. In ihren Memoiren schreibt sie, ihr Vater sei der Despot der Familie und ihre Mutter die erste und unterwürfigste Untergebene gewesen. Der Vater habe die Familienmitglieder wie Haustiere behandelt. Während Frau Elisabeth Wollstonecraft sich ihr Leben lang im Haushalt abmühen mußte, verschwendete ihr Ehegatte den nicht unerheblichen Familienbesitz in ständigen Extratouren und Trinkgelagen, die im allgemeinen in Mißhandlungen seiner Frau und Töchter endeten. In Mary Wollstonecrafts literarischen Werken, die man wohl teilweise auch als persönliche Erfahrungsberichte lesen darf, taucht das Bild des brutalen Vaters immer wieder auf - aber auch die Zurückweisung der Protagonistin durch die Mutter, die ihren erstgeborenen Sohn über alles liebt.[4]
Der recht wohlhabende Seidenweber Edward John Wollstonecraft verließ London, als die Preise für Textilien nach dem Ende des dreißigjährigen Krieges verfielen, und versuchte, seinen und der Familie Lebensunterhalt in der Landwirtschaft zu erwerben. Für die Neureichen der Mittelklasse wurde der Landkauf zum Mittel, den weiteren sozialen Aufstieg bis hin zur Vertretung im Parlament zu schaffen. Die Vertreibung armer Bauern und Anwendung neuer Techniken machte es reichen Landwirten möglich, bei steigenden Preisen für ihre Produkte ein Vermögen aufzuhäufen.[5] Wollstonecrafts Versuche in der Landwirtschaft ließen sich zunächst gut an, scheiterten schließlich aber an mangelnden Fähigkeiten, Unstetigkeit und vielleicht auch seiner Spielleidenschaft. Sein unsteter Geist bewog ihn, von einem Dörfchen [6] in Yorkshire ins andere, in die Nähe von London und daraufhin nach Wales zu ziehen, bis er sich endlich in Walworth niederließ, einem Vorort von London. Dort waren die Härten der beginnenden industriellen Revolution schon deutlich zu spüren. Alle diese Faktoren - die Tyrannei des Vaters, die Verarmung und die vielen Umzüge verhinderten, daß Mary eine gediegene Schulbildung erhalten konnte, wie sie damals für eine ganze Reihe von Mädchen aus der Mittelklasse möglich war. Ihre Enttäuschung darüber schlug sich in ihren Konzepten für eine gründliche Erziehung der Frauen nieder.
Doch die fehlende schulische Ausbildung war für sie kein Hindernis, ihren Bildungsrückstand mit großer Willenskraft autodidaktisch aufzuholen. Ihre Hauptstütze hatte sie in der Freundin Fanny Blood, die sie seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr kannte und die ihr weibliches Vorbild war. Mit der Zeit sollte Mary ihre Freundin weit übertreffen, die, obwohl sie eine unruhige Frau war, doch davon träumte, der familiären Enge mittels Heirat zu entkommen. Mary hatte andere Vorstellungen, sie fand ihre Alternative in der Erziehung. Über ihre Freundin war sie mit einigen liberalen Gönnern - mit diesem Wort verbanden sich damals andere Vorstellungen als heute - in Kontakt gekommen, mit den Ardens und den Clares, die Mary in ihren Neigungen unterstützten und sie in die Literatur und in die gebildete, aber nonkonformistische Gesellschaft einführten. Sie wollte Lehrerin werden, doch zuerst mußte sie sich ihren Lebensunterhalt als Gesellschafterin einer gewissen Frau Sarah Dawson in Bath verdienen, eine Arbeit, die sie von ihrem Vater unabhängig machte und ihr einige Mittel verschaffte, ihre Studien vorantreiben zu können. Außerdem lernte das puritanisch erzogene Mädchen dort die Gepflogenheiten und Machenschaften der "Oberen Gesellschaft" kennen.
Obwohl sie sich im Alter von neunzehn Jahren von ihrer Familie getrennt hatte, wurde sie im Herbst 1780 ins elterliche Haus zurückgeholt, um ihre kranke Mutter zu pflegen, bis diese "perfekte Ehefrau" nach einem leidvollen Lebensweg im April 1782 müde und krank verschied. Mit dem Tod der Mutter begann die Familie zu zerfallen; der älteste Sohn Edward ("Ned") nahm die beiden jüngeren Schwestern Eliza und Everina zu sich, der Vater heiratete eine Hausangestellte, mit der er noch zu Lebzeiten seiner Frau ein Verhältnis gehabt hatte und zog nach Wales. Mary begab sich nach Walham Green in der Nähe von Fulham in das Haus der Bloods zu ihrer Freundin Fanny. Aber kaum waren einige Monate vergangen, als sie ein neues Familiendrama zwang, ihre Pläne aufzugeben. Ihre seit knapp einem Jahr mit Meredith Bishop verheiratete Schwester Elizabeth hatte ein Kind bekommen und befand sich in einer tiefen depressiven Krise, an der ihr Ehemann wohl die Hauptschuld trug. Mary forderte ihre Schwester auf, die Regeln der Pflicht zu vergessen und den Ehemann zu verlassen. Im Januar 1784 tat Eliza diesen Schritt und die beiden Schwestern zogen zusammen in ein Haus, nicht wissend, wie sie sich über Wasser halten sollten. Frauen konnten zwar Handarbeiten oder Gemälde anfertigen und verkaufen, doch die Erlöse hieraus reichten zum Leben kaum aus.
Mit Unterstützung einer Mrs. Burgh und deren Neffen machte sich Mary Wollstonecraft zusammen mit ihrer Schwester Eliza und Fanny Blood an die Realisierung eines Projektes, das ihr schon lange vorgeschwebt hatte: die Gründung einer Schule. Sie tat dies in einem bescheidenen Viertel von London, in Islington, konnte jedoch keine Schüler gewinnen. Aber Mary gab nicht auf, versuchte es ein zweitesmal in Newington Green, diesmal waren die Ergebnisse zufriedenstellender, doch nicht für lange Zeit.
Die Situation der Schule verschlechterte sich rasch, als zum einen Elizas Baby im August 1784 starb und zum andern der Gesundheitszustand von Fanny Blood, die an Tuberkulose litt, immer prekärer wurde. Ende 1784 erhielt Fanny einen Heiratsantrag von ihrem langjährigen Freund Hugh Skeys, der geschäftlich in Lissabon weilte. Die Ärzte hatten Fanny als Kur einen Umzug nach Südeuropa empfohlen. Nun bot sich die Gelegenheit, diesen Traum zu verwirklichen und obgleich die Liebe zwischen den beiden Menschen wohl nicht sehr tief war, willigte Fanny in die Verbindung ein. Bald nach der Hochzeit wurde sie schwanger. Die Geburt drohte für sie lebensgefährlich zu werden. Mary ließ alles stehen und liegen und lieh sich von Mrs. Burgh das Geld für die teure Überfahrt, um ihrer Freundin in den schwierigen Stunden beizustehen. Das Kind kam zu früh und Fanny erholte sich nicht mehr; beide starben Ende November 1785. Mary Wollstonecraft blieb mehrere Wochen in Portugal. Ihre düstere Stimmung und der Schock ob des Verlustes der Freundin wichen langsam den farbigen Eindrücken ihrer ersten Auslandsreise. Das katholische Land begeisterte sie und stieß sie gleichzeitig ab.

3. Die Geburt eines neuen Zeitalters

Als sie nach England zurückgekehrt war, fand sie die Schule in einer so schwierigen Lage vor, daß es ihr nicht mehr gelang, die finanziellen Probleme zu meistern. Dank ihrer Aktivitäten als Lehrerin hatte sie schon vor einiger Zeit mit den radikalen Kreisen von Newington Green Verbindung aufgenommen, vor allem mit Doktor Richard Price, einem Geistlichen und Philosophen von großem Ruf, der mit den bedeutendsten Intellektuellen seiner Zeit in Frankreich und Amerika in geistigem Austausch stand und Mary bei der Vertiefung ihrer literarischen Fähigkeiten und feministischen Überzeugungen beeinflußte.
1786 schrieb sie ihr erstes Werk, Gedanken über die Erziehung der Töchter (Thoughts on the Education of Daughters, with the Reflexions on Female Conduct, in the more Important Duttes of Life), in dem man einen ersten Entwurf ihres späteren Hauptwerkes Verteidigung der Rechte der Frau sehen kann. In ihm wird die Frage der weiblichen Erziehung diskutiert und die Vorstellung entwickelt, die Frauen wären nicht so zerbrechlich und furchtsam, wenn sie nur in gleicher Weise wie die Männer erzogen würden. Sie kritisierte die Unzulänglichkeiten der formalen Erziehung und die Art, wie die Mädchen von Kindheit an behandelt wurden. Sie spricht sich für eine Art Koedukation aus, eine Idee, die sich im frankistischen Spanien erst lange nach dem Zweiten Weltkrieg durchsetzen sollte.[7]
Ihre prekäre finanzielle Lage zwang sie, sich nach einer neuen Arbeit umzusehen. Ein Bekannter vermittelte ihr eine Stelle als Erzieherin der Töchter des britischen Aristokraten Lord Viscount Kingsborough, dessen Besitzungen sich in Irland befanden. Irland interessierte sie schon lange, denn die Vorfahren ihrer Mutter kamen von der Insel. Außerdem spielte wohl die Erwägung mit, den Gläubigern aus dem Weg zu gehen. Da die Bezahlung sehr gut war, konnte sie auch hoffen, ihre Schulden in absehbarer Zeit zurückzahlen zu können. Mary blieb ein Jahr in Irland. Für ihre intellektuelle Entwicklung war es ein bedeutsames Jahr. Sie fand die Zeit, sich mit Philosophie, vor allem mit Rousseau zu befassen, und im Juni 1787 schrieb sie am Feriensitz der Familie in Bristol Mary, A Fiction, ein deutlich autobiographisches Werk, dem Eleonor Flexner [8] die Funktion einer Selbsttherapie zuschreibt. Als eine Tochter der Lady Kingsborough ihrer Mutter gegenüber immer aufsässiger wurde, führten die aufgestauten Spannungen zwischen ihr und Mary zu ihrer Entlassung.
Mit ihrem Roman im Gepäck fuhr sie Ende August 1787 nach London zu dem liberalen Verleger Joseph Johnson, der während ihres Irlandaufenthaltes bereits ihr erstes Buch veröffentlicht hatte. Dieser war von der Willenskraft und Intelligenz Marys eingenommen und bot ihr eine Stelle bei der von ihm verlegten Monatszeitschrift The Analytical Review an. Für Mary bedeutete dies eine feste Stellung und die Möglichkeit, sich dem Schreiben zu widmen, zunächst von Kritiken, Besprechungen und Übersetzungen, aber auch von literarischen Arbeiten. Ein Jahr später verfaßte sie das Kinderbuch Original Stories, das William Blake illustrierte. Für Johnson übersetzte sie auch Salzmanns Moralisches Elementarbuch ins Englische.
Neben ihrer Arbeit an Johnsons Zeitschrift konnte sich Mary Kenntnisse (teilweise aus erster Hand) der fortgeschrittendsten intellektuellen Beiträge des Jahrhunderts aneignen; sie las und übersetzte Artikel der Großen der Aufklärung, etwa von Baron d'Holbach, Voltaire, d'Alembert, Diderot und Rousseau.[9] Diese Denker hatten auf ihre Entwicklung deutlichen Einfluß. Obwohl unter den Großen des Jahrhunderts keine Einigkeit über die Frauenfrage bestand, stimmten sie im allgemeinen in der Auffassung überein, daß die Männer mittels Wissenschaft und Vernunft die demokratische Gesellschaft und die Natur kontrollieren sollten; der Mann sollte für die Frau das Denken übernehmen und sie ihm nachgeordnet sein.[10]
Mary Wollstonecraft ging bald über ihre Lehrmeister hinaus, wie ihre glänzende Kritik an Rousseau anläßlich der englischen Veröffentlichung seiner Bekenntnisse zeigt. Denn obgleich Rousseau einsah, daß die Frau in der Feudalgesellschaft unterdrückt war, entwarf der berühmte Genfer Denker in der angestrebten kleinbürgerlich-egalitären Demokratie für sie keine wesentlich
andere Zukunft. So schrieb er beispielsweise in Emile oder die Erziehung:

 

  • "Aus diesem Grunde muß die Erziehung der Weiber stets in Beziehung auf ihr Verhältnis zu den Männern betrachtet werden. Ihnen zu gefallen und nützlich zu seyn, sich ihnen lieb und werth zu machen, sie als Kinder zu erziehen und als Erwachsene zu verpflegen, ihnen mit Rath und Trost beyzustehen, und das Leben angenehm und süß zu machen - das sind die Pflichten der Weiber zu allen Zeiten, und dazu sollten sie schon von Kindheit auf angewiesen werden. So lange wir nicht auf diesen Grundsatz zurückgehen, entfernen wir uns von dem Ziele und alle Vorschriften, die wir ihnen geben, werden weder ihre Glückseligkeit, noch die unsrige vermehren."[11]

Mary ging in einem Zeitschriftenartikel, der ihr später als Grundlage für das zweite Kapitel der Verteidigung... diente, auf diese Vorstellungen ein:

  • "Rousseau sagt, daß eine Frau sich nie frei und selbstständig fühlen dürfe, sie solle durch Furcht regiert werden, um ihre natürliche Schlauheit zu üben; sie soll eine kokette Sklavin sein, um die Begierde des Mannes zu reizen, seine holde Gefährtin, wenn er Erholung sucht. Er führt seine Argumente, die er angeblich von der Natur ableitet, noch weiter, indem er behauptet, daß Wahrheit und Geistesstärke, die Grundpfeiler aller Moral, in der Frau nur mit Beschränkung gepflegt werden sollen. Gehorsam sei das einzige Gesetz, dem sie sich unbedingt zu unterwerfen habe.
    Welcher Unsinn! Wann wird ein großer Mann erstehen, der genügend Geisteskraft hat, um die Nebel zu zerstreuen, die Dünkel und Sinnlichkeit über diese Angelegenheiten gebreitet haben. Wenn die Frau von Natur ein geringerer Mensch ist als der Mann, aber doch ein Mensch, dann müssen ihre Tugenden der Beschaffenheit nach, wenn auch nicht dem Grade nach, dieselben sein, wie die des Mannes; ihre Lebensführung muß auf denselben Prinzipien gegründet, ihr Ziel dasselbe sein."[12]

Wo Rousseau eine natürliche Neigung der Frau sieht, versteht Mary die Funktion der Erziehung; den Prozeß, in dem die Frauen sich gewissermaßen in Mittäterinnen bei der Schaffung ihrer eigenen unterdrückten Situation verwandelt haben. Ihre Mütter haben sie darauf ausgerichtet, listig zu sein und einen "scheinbaren Gehorsam und eine peinliche Beachtung einer Art kindlicher Unterwürfigkeit" an den Tag zu legen. Dennoch unterschied sich der gesellschaftliche Horizont Marys in dieser Zeit nicht von dem Rousseaus. Wie er dachte sie, die Klassenunterschiede könnten im Rahmen einer Demokratie von Kleinbesitzern aufgehoben werden.
Während sie in der Redaktion der Zeitschrift arbeitete, verkehrte sie in einem der fortgeschrittendsten Clubs jener Zeit. Der "Johnson's Circle" befand sich in St. Paul's Churchyard. Dort knüpfte sie Kontakte mit vielen großen Köpfen ihrer Zeit, mit Thomas Paine, der mit seinen radikalen Ideen in der englischen Öffentlichkeit Anstoß erregt hatte, bevor er sich in Frankreich in den Strudel der Revolution stürzte. Dieser überzeugte Internationalist war ein Unterstützer des Stimmrechtes für Frauen. Andere bekannte Leute, die an diesem Ort verkehrten, waren Anna Barbaud, Rechtsanwältin und Feministin und der Dichter und Zeichner William Blake, der später in den schweren Jahren der französischen Revolution die Solidarität mit den Jakobinern organisieren sollte. Sie lernte dort auch den aus der Schweiz stammenden gelehrten liberalen Maler Heinrich Füssli (Henry Fusell) kennen, mit dem sie eine enge Beziehung verband.
Mary Wollstonecrafts Leben kennzeichnete auch ein überaus romantisches Liebesempfinden: "Ich kann nicht leben ohne zu lieben schrieb sie, und "die Liebe führt zum Wahnsinn".

4. Die französische Revolution und die Verteidigung

Als am 14. Juli 1789 die französische Revolution ausbrach, war Mary, gleich ihren radikalen Genossen und Genossinnen, berauscht vor Glück; endlich hatte ein neues Zeitalter begonnen, das Zeitalter der Menschenrechte.
Daher fühlte sich Mary, als der "Apologet der Tyrannei" Edmund Burke ein Jahr nach dem Sturm auf die Bastille sein berühmtes Werk Überlegungen über die Revolution in Frankreich (Reflections on the Revolution in France) herausbrachte, verpflichtet, eine scharfe Erwiderung zu schreiben. In ihrer Kampfschrift A Vindication of the Rights of men, in a Letter to the Right Honourable Edmund Burke (Verteidigung der Menschenrechte, 1790) legte sie ihre Meinung dar, die französische Revolution leite eine neue Ära in der Geschichte der Menschheit ein, in der die Rechte des Individuums ohne Unterschied des Geschlechts unverletzlich sein würden. Das Buch erregte ziemliches Aufsehen und wurde eine Art "Bestseller."[13] Etwa zur gleichen Zeit verfasste Thomas Paine die Rights of man (Menschenrechte) und nun galten beider Namen als Synonyme für "Befürworter der Revolution". In dieser Zeit lernte Mary William Godwin kennen, in dessen Denken sich eine erste Aufhebung der bürgerlich-demokratischen Ideale, die Frankreich bewegten, findet.
In diesen fieberhaften Jahren verfasste sie, von Condorcet beeinflußt und von Paine ermutigt, ihr Geschichte machendes Werk Vindication of the Rights of Women, das 1792 erschien. Die sozialistische Historikerin Sheila Rowbotham schrieb darüber:

  • "Im Rahmen dieser Revolution (der französischen) produzierte eine außergewöhnliche Frau ein außergewöhnliches Buch. Die Vindication von Mary Wollstonecraft war eines jener Bücher, die eine so konzentrierte Synthese der Vergangenheit, eine so brillante Zusammenfassung und Ausdruck der Erfahrung des Augenblicks liefern, daß die Grundlagen des Denkens des Volkes in der Zukunft dauerhaft umgewandelt wird."[14]

Man hat ihr Buch bisweilen etwas mißbräuchlich die "Bibel des Feminismus" genannt. Sie hat es in sechs Wochen geschrieben, was man manchmal am etwas holprigen Stil merkt. Seit seiner Veröffentlichung Anfang 1792 wurde es zu einem Klassiker der angelsächsischen Linken, die im allgemeinen eine vergleichsweise feministische Linke gewesen ist.[15] Auch nach zweihundert Jahren ist es noch von Interesse, unter anderem deswegen, weil die Lage der Frau noch immer eine grundlegende Revolution verlangt, selbst in den höchstentwickelten Ländern.
Mary besaß den großen Mut, die wichtigsten Ideen der Aufklärung auf den Bereich der Frau anzuwenden. Wenn die menschlichen Wesen weder einer geschichtlichen Fatalität noch der Erbsünde unterworfen waren, wenn sie in der Gesellschaft wie in der Natur über ihre Geschicke entscheiden konnten, gab es überhaupt keinen Grund, weswegen die Frauen davon ausgenommen sein sollten. Sie erkannte, daß eine Reihe gesellschaftlicher Faktoren existierte, die ihre freie Entfaltung verhinderten und sie zwangen, ihre Selbstbestimmung dem Vater und Ehegatten zu unterstellen.
Männer und Frauen unterschieden sich hinsichtlich ihrer körperlichen Kraft, aber nicht hinsichtlich ihrer Intelligenz und praktischen Befähigung. Der gesunde Menschenverstand sei gleichermaßen unter Frauen und Männer verteilt, ebenso unter Reiche und Arme. Sie wandte sich gegen diejenigen, die glaubten, der Verstand der Frau sei minderwertig, denn das würde bedeuten, daß die Vernunft vom Geschlecht abhinge, während in Wahrheit doch Vernunft und Geschlecht auf unterschiedlicher Ebene angesiedelt seien: Die Vernunft gehöre zum über den Sinnen liegenden Bereich, sei folglich höherstehend, das Geschlecht gehöre zum Bereich der Sinne und sei daher untergeordnet. Sie sprach über diese Fragen mit einer Ausdruckskraft und einem Nachdruck, wie es zuvor niemand getan hatte und so bald niemand mehr tun würde. So schreibt sie etwa:

  • "Es ist an der Zeit, daß in weiblicher Art und weiblichem Wesen eine große Veränderung Platz greife, an der Zeit, den Frauen ihre verlorene Würde wieder zu geben, ihnen ihre richtige Stellung als Mensch einzuräumen und sie so auszubilden, daß sie an der Verbesserung der Welt teilnehmen können. (...) Es ist Zeit, die ewigen und unveränderlichen Grundsätze der Sittlichkeit von Gebräuchen und Gewohnheiten, die nach Verschiedenheit der Orte verschieden sein können, zu unterscheiden. Sind die Männer Halbgötter; gut, so wollen wir ihnen dienen! Darf man den Weibern die Vorzüge der Seele noch eben so wie den Tieren streitig machen; gibt ihnen ihre Vernunft auf der einen Seite nicht Licht genug, ihre Bahn zu wandeln, während ihnen auf der andern ein untrüglicher Instinkt versagt ist dann sind sie wahrhaftig unter allen Geschöpfen die unglücklichsten, und müssen, gebeugt unter das eiserne Joch des Schicksals, sich gefallen lassen, ein schöner Fehler in der Schöpfung zu sein! Nur, wie sich die Vorsehung auf eine befriedigende Art rechtfertigen lassen möchte, daß sie einen so großen Teil des Menschengeschlechts der Zurechnung fähig und nicht fähig machen konnte - dies dürfte auch den feinsten Kasuisten in Verlegenheit setzen."[16]

Sie fragte sich, welche Alternativen es denn für die Frauen geben könnte, die weder heiraten noch Kinder haben konnten. Die bürgerliche und politische Gleichberechtigung mußte sich sowohl als Recht wie als Notwendigkeit durchsetzen und alle Männer, die die Frauen als für diese Errungenschaften noch nicht genügend "vorbereitet" ansahen, verweigerten sie ihnen in Wirklichkeit. War es aber andererseits, da die Männer das meiste Interesse hatten, die Frau weiterhin als schönes Haustier zu halten, nicht widersprüchlich, wenn gerade sie glaubten, bevorrechtigt zu sein, die für die Frauen geeigneten Maßnahmen bestimmen zu können? "Wer hat den Mann zum alleinigen Richter erhoben, von dem Augenblick an, da die Frau mit ihm den Gebrauch der Vernunft gemein hat?" Die Frau hat ein unveräußerliches Recht auf Freiheit und Gleichheit, denn dieses sind natürliche Rechte, "auf die kein Mensch verzichten darf und die sogar von der Zivilisation gewährt sind: das Recht und die Pflicht, das beste zu erhalten, was ihm die Gesellschaft bietet. Und das beinhaltet auch die Pflicht, sich die Mittel zu verschaffen, sie zu bekommen."
Neben ihren Argumentationen entfaltet die Verteidigung ein außerordentlich lebendiges Bild von Erfahrungen, das Marys Fähigkeit zeigt, die Bedingungen zu analysieren, unter denen sich die Frauen im damaligen England entwickelten, besonders wie man sie anhielt, schöne Puppen zu sein und die Fähigkeit zum Lügen und Heucheln zu erlangen, wie die gesellschaftliche Konvention es verlangte. Lange vor Fourier und Owen kommt sie zur Überzeugung, die bürgerliche Ehe sei eine Art "legaler Prostitution".
Im gleichen Jahr, in dem sie das Buch veröffentlichte, trat sie mutig eine Reise ins revolutionäre Frankreich an und forderte dadurch den Argwohn der britischen Behörden heraus, die die revolutionäre "Ansteckung" fürchteten. Bald kam sie und ihre britischen Freunde in große Schwierigkeiten, denn nach dem Ausbruch des Krieges zwischen beiden Ländern wurde allen Ausländern untersagt, das Land zu verlassen. Mary zog in ein Haus in Neulliy und begann dort die Arbeit an ihrem Buch über die französische Revolution: A Historical and moral View of the Origins and Progress of the French Revolution and the Effect It Has Produced. (Eine historische und moralische Analyse der Ursprünge und des Fortschritts der französischen Revolution und ihrer Auswirkungen). In Paris stand sie mit den Girondisten in Verbindung, besonders mit den angesehendsten Frauen, darunter Madame Roland.

5. Selbstmordversuch

Im Gegensatz zu ihrer Freundin Madame Roland konnte sich Mary an keiner feministischen Bewegung beteiligen; ja es gelang ihr nicht einmal, unter den wenigen radikalen Frauen eine Gruppe zu bilden. Sie war eine Einzelkämpferin, die eine Reihe von persönlichen und politischen Überzeugungen vertrat, die es im England des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts mit sich brachten, daß sie gegen den Strom schwimmen mußte. Sie stand gewissermaßen im Gegensatz zu ihrer Zeit, war eine "Rarität", die die Aufmerksamkeit der Männer anzog. In einem Brief von ihrer Skandinavienreise schrieb sie: "Beim Abendessen sagte mir mein Gastgeber ohne Umschweife, ich sei eine bemerkenswerte Frau, weil ich ungewöhnliche Fragen über die Männer stelle."
Ihrem Aufbruch nach Paris ging eine Verschlechterung ihrer Beziehung zu Füssli voraus, da Frau Füssli angeblich ihren Vorschlag, ins Haus der Füsslis mit einzuziehen, empört zurückgewiesen hatte. In der französischen Hauptstadt lernte sie den US-Amerikaner Gilbert Imley kennen, zu dem sie nach anfänglicher Reserviertheit eine innige Liebesbeziehung entwickeln und von dem sie auch ein Kind haben sollte. Das Zusammenleben der beiden wurde dadurch gestört, daß sich Imlay häufig auf "Geschäftsreise" begab. Die romantische Leidenschaft Marys für diesen Mann zeigt sich in ihren Briefen an Imlay, deren Ton oft in offene Verzweiflung umschlägt, aber voller Würde ist. "Du wirst es fertigbringen, mich unglücklich zu machen", schrieb sie in einem ihrer Briefe, "aber es wird dir nicht gelingen, mich in meinen eigenen Augen verächtlich erscheinen zu lassen".
1794 wurde in Le Havre ihre Tochter Fanny geboren und kaum hatte sie sich von den Strapazen der Geburt wieder erholt, nahm sie unverzagt den Kampf um ihren geliebten Imlay wieder auf. Auf seinen Vorschlag hin reiste sie mit Tochter und Kindermädchen nach Skandinavien, um dort seine Geschäftsinteressen wahrzunehmen. 1796 erschien ihr Reisebericht mit dem Titel Letters Written During a Short Residence in Sweden, Norway and Denmark. Nachdem sie von Imlay mehrfach versetzt worden war, kehrte sie mit ihrer Tochter nach London zurück, wo die "öffentliche Meinung" sie für eine Hure hielt. In ihrer Verzweiflung schrieb sie einen Abschiedsbrief und stürzte sich von der Putney Bridge in die Themse, wurde aber von einigen Seeleuten, die sich zufällig in der Nähe befänden, gerettet. Durch den Beistand einiger Freunde gewann sie neuen Lebensmut.
Sobald sie wiederhergestellt war, setzte sie ihre Arbeit für die Analytical Review fort; daneben schrieb sie einen Roman mit dem bezeichnenden Titel Maria; or, the Wrongs of Woman, in dem in einigen Geschichten das Drama von Frauen ihrer Zeit abgehandelt wird. In einem unvollendet gebliebenen Vorwort zu ihrem Buch sagte sie, es sei ihre Absicht gewesen, "das Unglück und die Unterdrückung zu beschreiben, unter denen die Frau zu leiden habe, die sich aus den Gesetzen und den von der Gesellschaft allgemein akzeptierten Gebräuchen ergeben". Gleich den anderen Romanen, die sie schrieb, war das literarische Niveau recht bescheiden und er geriet daher in Vergessenheit, obwohl er von seiner Themenstellung her von unbestreitbar dokumentarischem Wert bleibt.
In ihren letzten Lebensjahren gestalteten sich ihre Beziehungen zu ihrem Freund William Godwin immer enger, der drei Jahre älter war als sie und der Nachwelt als einer der bedeutendsten Vorläufer des anarchistischen Sozialismus gelten sollte.[17] Ihre Zusammenarbeit begann auf rein intellektueller Grundlage, wurde aber immer mehr von gegenseitiger Zuneigung bestimmt. Ende 1796 war Mary wieder schwanger und obwohl Godwin gleich ihr (theoretisch teilte er die feministischen Ideen Marys) gegen die Ehe war und sie als das "schlimmste aller Besitzverhältnisse" geißelte, machten sie der heuchlerischen "öffentlichen Meinung" ein Zugeständnis und ließen sich auf eine Heirat ein.
Während dieser kurzen Zeit ihrer Beziehung zu Godwin - vielleicht die glücklichste ihres Lebens - vertiefte Mary ihre protosozialistischen Vorstellungen und ihre Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft und entwickelte die Ideen weiter, die in ihrer Verteidigung schon embryonal angelegt waren. Sie begriff, daß hinter der Unterdrückung der Frau die Eigentumsfrage liegt und daß aus dem Eigentum sich "wie aus einer vergifteten Quelle die meisten Übel, die diese Welt zu einem beklagenswerten Schauspiel machen" herleiten. Godwin schrieb in dieser Zeit seine Abhandlung An Enquiry Concerning the Principies of Political Justice (Untersuchung über die Prinzipien politischer Gerechtigkeit), ein wichtiger Beitrag in der Geschichte des sozialistischen Denkens, an deren Ausarbeitung Mary aktiven Anteil nahm. Viele in diesem Werk vertretenen Ideen, besonders diejenigen natürlich, die sich auf die Frauen beziehen, zeigen ihre Handschrift. Godwin sagte später über sie

  • "Sie sah sich selbst als die Verteidigerin jener Hälfte des menschlichen Geschlechts, dessen Angehörige im Lauf der Geschichte unter das Joch gezwungen worden waren, das sie aus dem Zustand vernünftiger Wesen beinahe auf die Ebene von Tieren herabgedrückt hatte. Sie merkte, daß oft versucht wurde, sie in Fußeisen aus Seide zu halten und sie zu bestechen, indem man ihnen beibrachte, Liebe für Sklaverei einzutauschen. Aber die Verstellung und die Falschheit bestärkten sie nur in ihrer Gegnerschaft."[18]

Aus dem Zusammenleben von Mary und Godwin ging die Tochter Mary hervor, die spätere Mary Wollstonecraft-Shelley, die unsterbliche Autorin von Frankenstein und Lebensgefährtin des romantischen Dichters Shelley, den sie trotz entschiedenen Widerstandes des Vaters heiratete. Die Geburt von Mary verschlechterte Ihren ohnehin angegriffenen Gesundheitszustand. Die nicht ganz ausgestoßene Plazenta verursachte eine Infektion, die am 10. September 1797 ihren Tod herbeiführte. Ihre Tochter Mary schrieb in ihren Erinnerungen über sie:

  • "Mary Wollstonecraft war eine jener Personen, die vielleicht in jeder Generation nur ein einziges Mal vorkommen und sich der Menschheit so glänzend darstellen, daß sich ihnen auch Menschen mit abweichender Meinung nicht entziehen können. Ihr Genie war unbestreitbar. Sie war in der Schule des Unglücks erzogen worden und hegte, da sie die Leiden der Armen und Unterdrückten kennengelernt hatte, in ihrem Herzen den glühenden Wunsch, diese Leiden zu vermindern. Ihre solide Intelligenz, ihr unerschrockener Charakter, ihre Empfindsamkeit und ihre lebendige Sympathie durchdrangen all ihre Schriften mit großer Kraft und Wahrheit."[19]

6. Frances Wright

Zwei Jahre vor dem Tod Mary Wollstonecrafts wurde in Dundee in Schottland Frances (Fanny) Wright geboren. Ihre Erziehung erhielt sie in Glasgow bei liberalen, zur Aristokratie gehörenden Verwandten. Sie sollte zur bedeutendsten Schülerin des großen britischen Frühsozialisten Robert Owen und - zusammen mit seinem Sohn - zur wichtigsten Propagandistin seiner Ideen in den Vereinigten Staaten werden. In jungen Jahren studierte Fanny die Geschichte der nordamerikanischen Revolution und reiste 1818, noch unverheiratet - aber Besitzerin eines beträchtlichen Vermögens - in die Neue Welt. Ihre Erfahrungen schilderte sie in ihrem 1821 erschienenen Buch Views of Society and Manners in America, das sie weithin bekannt machte.
Die junge Demokratin schloß Freundschaft mit dem internationalistischen Franzosen Lafayette - der übrigens auch mit Mary Wollstonecraft befreundet war - und lernte Jefferson, Adams und andere Führer der Revolution kennen, die sie so bewunderte. Diese Bewunderung hinderte sie aber nicht daran, in einer Frage, der jene wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatten, weiter zu gehen als sie alle: der Frage der Sklavenbefreiung. Nachdem sie führend an einigen abolitionistischen Aktionen teilgenommen hatte, kehrte sie mit Lafayette nach Europa zurück, wo sie mit den aufkeimenden sozialistischen Ideen in Berührung kam, insbesondere mit dem Owenismus. Owen selbst träumte davon, auf der Grundlage seines Kommunismus in Nordamerika eine industrielle Gemeinschaft aufzubauen. Von dieser Idee eingenommen, kehrte Mary 1824 in die Vereinigten Staaten zurück und entschloß sich bald danach, mit Robert Dale Owen zusammenzuarbeiten. Zusammen mit ihm gab sie die New Harmony Gazette heraus und beteiligte sich am Aufbau der gleichnamigen Gemeinschaft, die bald danach scheitern sollte. In New York gründete sie den Free Enquirer auf derselben politischen Linie und beteiligt sich an der "New York Society for Promoting Communities", einer prosozialistischen Gruppe, die die wichtigsten Vertreter des nordamerikanischen Owenismus zusammenfasste, Cornelius C. Blatchely, William Masclure, Paul Brown und Josiah Warten, der später zu einem berüchtigten Anarchoindividualisten wurde. Fanny gab der Gruppe einen aktivistischeren Charakter und vor allem eine feministischere Gestalt, so daß die Gruppe bereits die Forderung nach Geburtenkontrolle in ihr Programm einschloß.
Persönlich ragte Frances vor allem als große Massenagitatorin heraus, die ihre Aktivitäten als Rednerin über weite Teile des Staates entfaltete, was sie bekannt machte und womit sie in großem Maße Liebe und Haß auf sich zog. In ihren Reden behandelte Frances mit Nachdruck besonders drei Themenkomplexe: die Rassengleichheit, die Befreiung der Frau und die gewerkschaftlichen Rechte der Arbeiter, wobei sie beständig auf die Beziehungen zwischen diesen Komplexen verwies. Bei einer der Aktionen, an denen sie führend beteiligt war, erklärte sie:

  • "Es gibt einen vulgären Glauben, wonach die Unwissenheit der Frau ihre Nützlichkeit sichert, weil sie ihre Unterordnung begünstigt. Es handelt sich um dieselbe Theorie, die in aristokratischen Regimen von den wenigen, die regieren, gegenüber den vielen Untergebenen vertreten wird und in der Demokratie von den Reichen gegenüber den Armen; und in allen Ländern von den gebildeten Spezialisten gegenüber dem Volk."[20]

Das feministische Gedankengut verdankte sie In großem Maße Mary Wollstonecraft. war eine der ersten Frauen, die für das Frauenwahlrecht eintraten. Vor allem popularisierte sie die Ideen der Aufklärung unter den großen Menschenmassen, die ihr zuhörten. Bei ihren Reden wandte sie sich gewöhnlich an die Anwesenden, lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die spärliche Präsenz von Frauen im Saal und erklärte, jene seien durch Gesetze und Sitten gefesselt. Stürmisch fordernd wandte sie sich an die Männer:

  • "Ehemänner und Väter, merkt ihr es denn nicht! Versteht ihr nicht, daß die Sklaverei eurer Gattinnen und schönen Frauen euch selbst gefangen hält? Seid ihr denn fähig, eure eingebildete Freiheit zu genießen, ohne euch klarzumachen, daß eure Frauen geistige Sklavinnen sind? Seid ihr fähig, die verschiedenen Aspekte des Wissens zu genießen und euch vorzustellen, daß die betrogenen und ungebildeten Frauen gehobene Dienerinnen und gefügiges Spielzeug sind?"[21]

Der Fortschritt der Menschheit, sagte sie bei einer anderen Gelegenheit, wird nur sehr langsam vorankommen, solange die Unterdrückung der Frau existiert, eine Unterdrückung, an der auch ihrer Meinung zufolge der Mann kein Interesse haben konnte. Der Mann gewinne nichts dadurch, die andere Hälfte der Menschheit in Unwissenheit und Armut zu halten, er würde im Gegenteil gewinnen, wenn er sie zur Teilhaberin der vollen Gleichberechtigung machte.
Mit der Zeit nahm Frances immer radikalere Positionen ein, die sie - ähnlich Mary Wollstonecraft - nicht in einer Bewegung mit Leben erfüllen konnte, auch wenn sie die Samen legte, daß eine solche Bewegung in späteren Jahren sich entwickeln konnte. Sie ergriff für die ersten nordamerikanischen Gewerkschaften Partei, die recht radikal waren und 1830 sprach sie davon, daß die kapitalistische Gesellschaft auf einem "Klassenkrieg" begründet sei. Sie starb 1852, ohne in ihrer werbenden Militanz nachgelassen zu haben, außer in den letzten Monaten ihrer so leidenschaftlichen Existenz. Die konservative Reaktion ging hart mit ihr ins Gericht und beschimpfte sie sogar als "rote Hure der Untreue". Was aber von ihr bleiben wird, drückt sich in den Worten der nordamerikanischen Feministin und Antirassistin Ernestine L. Rosse aus, die diese ihr widmete:

  • "Frances Wright war die erste Frau, die in diesem Land von der Gleichheit der Geschlechter sprach. Die Aufgabe, die vor ihr lag, war in der Tat schwierig. Die Umgebung war überhaupt nicht auf sie vorbereitet. Sie mußte damit beginnen, die Mauer des Konservativismus einzureißen, die durch die Zeit so hart geworden war, und ihr Lohn war vorhersehbar - der gleiche Lohn, den man allen gewährt, die die Vorhut irgendeiner Bewegung bilden. Sie war Objekt des Hasses, der Verfolgung, man versuchte sie vom Volk zu trennen. Doch das war nicht alles! Sie erhielt einen Preis - einen, den kein Feind ihr entreißen, kein Verleumder herabsetzen konnte - den unvergänglichen Preis, zu wissen, die Pflicht erfüllt zu haben; der Preis, der ein ruhiges Gewissen nach sich zieht, der Preis, zu wissen, versucht zu haben, den kommenden Generationen von Nutzen zu sein."[22]