Das Lusterleben der »Frau«

Zwei Formen der Repräsentation zerreißen die Zeit, zerreißen sich in der Zeit. Eine, die sich - selbst ohne es zu -wissen - in die ständige Wiederholung des Geschehens einfügt und dabei niemals aus diesem »Gefängnis« herauskommt. Das Projekt ihres für immer unsichtbaren, plötzlichen Auftauchens dient als Folie für die schnelle Vermehrung von »Trugbildern«, die an und in diesem blinden Fleck in der Konzeption vorbeiziehen und ihn verdecken. Ein Schattentheater, in dem nur ganz unsichere Gewißheiten zustande kommen - trügerische Anwesenheiten, ungenaue Erinnerungen, Erwartungen ohne voraussehbare Ziele —, die nach und nach aus den Erscheinungsbildern wieder schwinden und sie zusammenstürzen lassen. Ein immerwährendes Fluten, das sich entsprechend der Verschiebung der Projektionsquelle bewegt, gemäß der Verformung der Horizont-Grenze und gemäß den eingesetzten Verführungsreizen. Eine Flut von Schatten, von Repräsentationen, die also nicht einfach festzulegen, die aber auch nicht endlos ist, die man sogar auf mehr oder weniger magische Weise als Bild fassen kann, durch eine raffinierte Verdoppelung ihres Prozesses: durch die Szenerie der Höhle, die der Mensch, der in ihr gefangen ist, nicht ausmessen, deren Zeit-Raum er nicht abschätzen kann. Begrenzt in und durch seine Verzauberung, beeindruckt von Spektakeln, die (ihm) die Zeit vergehen lassen, deren Dahinfließen nicht genau berechnet, gezählt werden kann, es sei denn durch repetitive Skandierungen, die schwer zu erkennen und festzulegen sind. Und der, dem es dennoch gelingt, die Sequenzen zu unterscheiden, dem es gelingt, sich an ihre Gliederungen zu erinnern, ihre Wiederholungen vorauszusehen, der verdient fraglos, daß man ihn zu einer solchen Leistung beglückwünscht. Doch welche Zeit wäre es, die er auf diese Weise analysiert hätte? Und wie sollte diese Analyse selbst möglich sein, außer unter der Annahme einer rein mechanischen Wiederholung, da er doch nur eine Zeit kennt? Nämlich die Zeit, die (hier und jetzt) verrinnt, ohne Gliederung und Schichtung, die irgendeine Perspektive ermöglichen würden. Sicher, in der Höhle bewirkt der Abstand der Wundertäter und ihrer Zaubereien, ihre Intervention zwischen dem Feuer und dem Hintergrund der Höhle, eine »Tiefe« des Raums. Aber was ist in ihrer Abwesenheit? Würde irgendein fester Punkt in dem flutenden Treiben existieren? Welche Entscheidung sollte darüber möglich sein, was jetzt ist oder nicht ist? Was gestern war, nicht war. Etc. Wobei man begreifen muß, daß die Identität der Positionen, in denen sich die Angeketteten befinden, bereits eine List, ein sophistischer Trick des Inszenators ist, der so tut, als könne er auf diese Weise das Problem lösen, während er es tatsächlich in der Schwebe beläßt. Was sich außerdem aus der Notwendigkeit, eine andere Zeit zu definieren, aufdrängt. Denn in dieser Repräsentation, in dieser Vorstellung reflektiert (sich) die Seele des Sohnes noch nicht in den Worten des Vaters; der Träger der Prägung ist noch außerhalb, draußen, und was hier gekennzeichnet wird, sind nur abgebildete Verdoppelungen von Gegenständen, die bereits von Menschenhand gefertigt sind. Es ist vielmehr der Tod, der Einsatz des Todes, der den Übergang zu einem Jenseits zur Folge hat.
   Wirklich der Tod? Aber an welcher Stelle in diesem unbestimmten Strom von Schatten steht er? Und wenn da nicht die Anweisungen des Lehrers wären, wer würde sich um ihn kümmern, es ist nicht einmal sicher, daß diese »Kinder« über ein Wort verfügen, um ihn zu bezeichnen, und über ein Traumbild, um ihn darzustellen. Und das, was in der Gegenwart geschieht, was an ihnen vorüberzieht, kündigt ihnen kein Ende an, sondern ist das Versprechen seiner Wiederkehr am nächsten Tag. Und wenn es nicht die Worte des Philosophielehrers gäbe, der von der Unsterblichkeit spricht, welches dieser »Kinder« sollte sich um einen solchen Ausgang Gedanken machen, da sie doch ganz gefangen sind in ihrem Traum, der immer wieder von vorn beginnt? Em Bote des Todes also. Welches Todes? Dem des Anfangs? Der »Materie«? Der Mutter? Weil er das Leben nur in der (seiner) Vorstellung (an)erkennt? In der (seiner) Spiegelung und Spekulation? In seiner Wiederholung, in Einheiten, die man zählen kann. Was natürlich bei der Unbestimmtheit dessen, was vorher war, nicht möglich ist? Bei der Empfängnis »zum Beispiel«, die einen »eigenen« Sinn nur in einer Wieder-Geburt in Wahrheit haben könnte. Sie wird - um jedem Zweifel an ihrer Wahrscheinlichkeit zu entgehen - in eine Zeit noch vor der Geburt verlegt. In die Ewigkeit, die keine Erscheinungsform annimmt und die die lnsistenz der Re-Produktion in sich einschließt. Was ihre doppelte Wiederholung im Sein notwendig macht, im Sein, das, wenn man von einigen Abweichungen in der Bezeichnung absieht, immer trinitarisch ist. Das Eine ist nicht Eins, wenn es sich nicht mindestens zwei Mal (darin) spiegelt. Aber diese Zwei bildet offensichtlich nicht einfach eine Summe. Jede Spiegelung und Spekulation verändert die Eigenschaften des Abbilds so lange, bis sie seine Attribute eingekreist hat, die auf diese Weise für das Subjekt selbst (als Selbst) konstitutiv werden und untrennbar mit ihm verbunden sind. Das Subjekt ist also schon immer, schon vor seiner Geburt, in dieser vollkommenen Identität mit sich gewesen.
Es ist ein Konflikt um den Vorrang dessen, was in der Folge kommt, danach. Wobei das Spätere auf das viel Frühere zurückdatiert wird, um seine Beziehung zur Projektion und die Nachträglichkeit seiner Bestimmung zu maskieren, die Neu-Kennzeichnung der Definition des Anfangs. Ein Ursprung, der auf diese Weise in der vorgetäuschten Unveränderlichkeit seiner Genese alle Zeit in der Schwebe hält: in ihrer Präsenz. Ohne Spaltung. Ohne Tod. Die zwei Tode und ihr Zwischenstück, ihre tote Höhle, ihre Höhle des Todes, sie sind in der Blindheit einer bestimmten Spekulation Gottes versunken, in der das Problem der Auto-Kopie des Seins dem Augenschein entzogen ist. Was für die Listen der Zauberer nicht gilt, diese Demiurgen, die die göttlichen Projekte verderben, indem sie sie dem Blick freigeben und sie in ihrer eigenen Konzeption erscheinen lassen.
Theater der Höhle, in dem die Attribute des Menschen immer schon als versteinerte erscheinen, unsterblich geworden in ihrer düsteren Verdoppelung. Der Bezug, den man zu ihnen herstellen könnte - wenn man sich nur umwenden könnte —, ist von Anfang an formal. Die Macht des Verführers ist von Anfang an in der Leblosigkeit erstarrter Formen eingefangen. Sie ist - und daher ist sie nie in Gefahr, zu Fall zu kommen — »über« einem ersten Schutzschirm errichtet, der der Repräsentation, der Darstellung dient und der über seine unüberwindliche Schranke nur die versteinerte Kopie des »Lebenden« hinausragen läßt. Der Verführer bleibt hinter ihm, in einer zurückgezogenen Position, unsichtbar in seiner Beziehung zu dem Objekt-Zeichen, das nun, als totes, jenen Mauer-Vorhang überragt, der den Vorstoß zum Höhlengrund verhindert; denn das Objekt-Zeichen ist ein »Fetisch«, der in Wirklichkeit, wenn es möglich wäre, ihn wahrzunehmen, den Verführer darstellt. In Wahrheit - was bedeutet, ohne erkennbare Spur einer Spiegelung und Spekulation - ist seine steinerne Gestalt der Preis, der gezahlt werden muß, um die Inversion zu verschleiern, die seine Konstruktion aufrechterhält. Diese erste Zeit also, die bei der Verführung eine Rolle spielt, wird nicht wahrgenommen. Der Augenblick, in dem die Macht des Scharlatans, der Scharlatanerie ganz ohne Hindernisse in die Welt gesetzt wird, entgeht der Wahrnehmung. Auch er, der Verführer selbst, verschließt seine Augen davor. Auch ein Augenlid kann ein Paraphragma sein. Das Auge sieht nicht, von welcher Leichenmumifizierung es verzaubert wird. Und wenn es nicht die Unterstützung eines Projektionsschirms gäbe - die tote Höhle -, der die Vorstellung wieder in Gang setzt, dann würde das ganze Spiel sicherlich scheitern. Es ist also die Höhle, die den Zauber ersetzen muß, der sich zu schnell erschöpft, weil er in der Herausbildung seiner eigenen Illusion erstarrt ist. Die Projektion wird ihm wieder ein wenig Bewegung, ein wenig sensible Beweglichkeit und auch bestimmte Erscheinungsformen des Werdens geben. Wuchernde Phantome von dem, der (oder das) in einem allzu adäquaten Abbild (ab)getötet worden ist. Abkömmlinge dieses toten Spiegels des Todes.

Zwei Formen von Fiktion zerreißen die Zeit der Gegenwart und machen sie sich streitig. Aber es läuft, sie laufen letztlich immer auf dasselbe hinaus. Der Grund für dieses Zerrissensein - das hier übrigens imitiert wird - liegt in der Absicht, der Erde, der Mutter ihre Funktion als Zeit-Raum der (Re-)Produktion zu entreißen. Die Projektion der Höhle also ins Unendliche zu verschieben. Irgendwohin in die Ewigkeit. Aion* (*aion: Zeit, Zeitdauer, Ewigkeit. (Anm. d.Ü.)) des Vaters, in der die Repräsentation, die Vorstellung ohne Unterbrechung, ohne Schatten fortbestehen kann. Denn der Projektionsschirm, der an die Prägung und an die Reversibilität in der Inversion des Selbst erinnert, ist nun dem Blick entzogen, und für den tödlichen Preis, den Todesstoß, der für das Fortbestehen jener wertvollen Auto-Kopien zu zahlen ist, hat das Gute des Vaters, das, als Idee, unerschöpflich ist, die Bürgschaft übernommen. Was bedeutet es schon, wenn die Höhle hinter dem Sohn wieder verschlossen wird, wenn das andere in seiner Grotte vergraben wird, deren Zugang von nun an zugefroren sein wird? Entscheidend ist, daß irgend eins unter seinen Attributen sich die All-Macht angeeignet hat und daß das Kind sich als identisch mit ihm - mit einem Ich-Ideal - »phantasieren« kann, ohne Erinnerung an das Doppel, das sich in dieser Operation auch auf das Selbst bezieht.
Funkeln der fein zerstäubten Spiegel-Folie. Gott spiegelt nichts als das Selbe. Reines Spiegel-Sein, reines Sein des Spiegels. In dem die Reflexion ohne Reflex ist, ohne sichtbaren Effekt eines Doppelbildes, der keinen Schatten eines Zweifels an der Identität mit sich hinterläßt, keine Spur davon, daß schon etwas stattgefunden hat; der keine Unterstützung bietet als Zeuge eines Anfangs des Seins als Selbst; der keine noch materielle Matrix hat, die sich an den eigenen Tod in dieser Spiegelung und Spekulation erinnern könnte und die dabei die schemenhaften Reste von alledem, was sich in jedem Augenblick in der (angeblich) unbeschädigten Gegenwärtigkeit seiner spiegelnden Oberfläche erhebt, in die bewegte Nacht ihrer Höhle zurückholt. Es werden Maler und Dichter sein, die diese Höhle erforschen und, oft zu ihrem Verderben, ausbeuten werden, solche, die Gefallen an der Darstellung der Wiederholung - an der hysterischen Mimesis — haben, aber es werden nie die guten Bürger sein. Und noch weniger wird es der sein, der sich verpflichtet hat, sie in der Wahrheit zu unterweisen: der Philosoph, der sich nur um die Ideen kümmert. Um Spekulationen, die in sich jede Erinnerung an eine Vergangenheit der Reflexion getilgt haben. Spiegelnde, spekulative Höhlen, die man nicht einmal mehr einen Spalt weit öffnen wird, um in ihnen etwas zu betrachten. Schon im Prozeß ihrer Entstehung ist in ihnen die Möglichkeit für ein Bild des Schauspiels abgedichtet worden. Bei ihrer Vollendung ist es ganz ausgelöscht und dem Blick verloren gegangen, umgedreht und zurückgeleitet in das spiegelnde Höhlenrund. Allein der Vater könnte dort eindringen und vermitteln, in der Form von ergänzendem oder zusätzlichem Licht. Denn sein Auge sieht das Ganze, in jedem Augenblick und aus der Ewigkeit. Und das Strahlen des Urbilds einer Prägung, die in ihrer Form vollkommen gelungen ist, enthält für ihn nicht die Gefahr, daß die Augen übergehen, daß sie von dem Feuer geblendet werden oder daß die Membran zerrissen oder verzehrt wird. Er ist aus einer vollkommenen Substanz. Vielleicht ist er enttäuscht, unzufrieden - falls Gott auch das sein könnte -, dort nur eine partielle Illustration von sich (als) selbst wiederzufinden. Er muß die spiegelnden Höhlen, die Ideen, die Prägungen alle gleichzeitig spiegeln. Aber da alle schon in ihm sind, hat er, in seiner vollkommenen Autarkie, auch kein Bedürfnis und keinen Wunsch nach einer im besonderen. Indem er sich endlos in seiner Kreisbahn dreht, brennt er in diesem immer wieder umschriebenen Umriß einen glühenden Hymen in ihre Spiegelfläche und löst ihn darin auf, ohne ihr Geheimnis zu verletzen oder es zu entwenden. Das ist noch eine parternalistische Konzeption der Hysterikerin, die ihre Leidenschaft einzig in den Phantasien einer Kopulation mit ihm findet, mit ihm als einziger Quelle des selben. Entflammt von einer unbestimmten Zahl von kleinen blinden Augen, die in die Einheit einer göttlichen Spiegelung zurückgeführt werden, und zwar ohne jede entstellende Abweichung durch ein Auge, durch ein Geschlecht, ein Speculum, eine »Seele«, die mit ihrem Eingreifen oder ihrer Einführung diesen einsamen und wunderbaren Genuß verderben würden. GOTT-der-Vater, Er-der-SELBE - unter Ausschluß eines jeden, einer jeden »anderen« -, er kennt vielleicht seit jeher die Geheimnisse des hysterischen Lusterlebens. Seine Samen, seine Abkömmlinge der Wahrheit sind vielleicht nur als Ergänzung zu jener unvergleichlichen Lust entstanden, die er sich selbst vorbehält. Der Logos, der unwandelbar ist, weil er insgeheim aus den extremsten Genüssen genährt wird: sich selbst imitieren, bevor irgendein anderer angefangen hätte, (nicht) zu sein. Ein Abkömmling, der sicher in seiner Form seinen Vater-Erzeuger repräsentieren wird, aber um den Preis des Zerfalls des Selbst dieser Re-Produktion. Womit sich wieder die Frage stellt, auf welche Weise, wodurch sie einander ähnlich sein können. Durch die Frau-Mutter? Sie ist das Receptaculum für die Proliferation von Bildern, in dem sie für einen Augenblick die eigene Übereinstimmung mit dem Modell selbst (des Selbst) ermessen können. Aber sie zerreißen dabei auch ihre Eigentümlichkeit, jenen Schleier der Konzeption. Der Vater wird daher, um eine Entscheidung im Interesse aller, das heißt, im Interesse der Ordnung der Stadt zu treffen, dieses Geheimnis wieder verschließen; er wird es mit der Autorität seines Gesetzes umhüllen, die durch nichts in Frage gestellt werden darf — Zeugnis seiner Macht, von der es nicht zweckmäßig ist, Rechenschaft zu fordern, und die seit jeher und immer nur dasselbe wiederholt: die vollkommene Identität mit sich selbst, ohne möglichen Widerspruch an und in dieser Souveränität.

Die Methode, der Weg, der Gang, der Engpaß, sogar die Spalte, all dies hat dem Vater dazu gedient, sich seiner Autorität zu versichern. Doch wie soll man sie in dieser gebieterischen Einheit wieder ausfindig machen? In dieser Quadratur des Zirkels seines Ruhms? Eine Potenz, die die der bystéra in ihr Quadrat einbezogen hat. Sie spielt dabei mit dem Durchgang, der Passage durch und in die Inkommensurabilität von deren Größe. Die Diagonale, die man nicht in ganzen Zahlen berechnen kann, wird zum Ersatz für ein Diaphragma, das nicht vollkommen ist und über das man hinausgelangen kann. Auch für den Notbehelf eines Paraphragmas, das mit der Verdoppelung die primitive Dyade des Großen und des Kleinen trennt und bestimmt. Das aber immer noch eine materielle Matrix ist, deren Progression oder Regression ins Unendliche nun eine Diagonale oder ein Durchmesser — durch den Effekt des nachträglichen Einschnitts - stillstellen wird, indem sie ihr die Definition einer zweiten Seite entgegensetzt. Es ist eine Symmetrie, die auf listige Weise, durch eine verkehrende Projektion, die erste Seite als solche organisiert: als Hälfte desselben ganzen Quadrats. Die geometrische Konstruktion hebt die Hypothek einer Wurzel auf, die man - in ihrer Radizierung oder Potenzierung - nicht berechnen könnte, da es kein gemeinsames Maß mit dem Endlichen gibt. Die Verdoppelung durch das Ziehen einer Mittellinie, die auch fiktiv sein kann, ermöglicht die Reduktion auf ein Verhältnis von Gleichheit. Aber sobald man die Figur entworfen hat, erscheint der umgekehrte Schatten, den diese Teilung erzeugt, oder sein Spiegelbild: die hystéra von Platon. Seine Dilemmata - die er im Innern nachahmt: Raum des Zauberers/Raum der Gefangenen -haben ihre Inkommensurabilität mit der nicht repräsentierbaren hystéra prótera beseitigt, auch den Weg, der dorthin zurückführen würde, und das Diaphragma, das den Zugang zum Höhleneingang regelt. Die Konstruktionen, die die Ähnlichkeit von Zahlen begründen, müssen daher, ohne daß sie zu sehr von Mustern und Plänen auf der Erde - der Mutter - bestimmt sein dürfen, ins Denken selbst erhoben werden.

Die ungeordnete und wechselnde Vielfältigkeit des anderen beginnt sich also in ein System von intelligiblen Beziehungen aufzulösen. Und die Arithmetik des Philosophen, im Gegensatz zu der des gemeinen Mannes, wird die Größe und die Kleinheit dadurch unterscheiden, daß sie von Anfang an die Homogenität jeder Einheit, um die es geht, festlegt. Das Rechnen, das sowohl für das private wie für das öffentliche Leben notwendig ist, verlangt, daß man den Geist durch eine wirkliche Konversion dazu bringt, sich über die Sphäre des Werdens - das größer oder kleiner ist - zu erheben und die Verhältnisse nur noch in Begriffen zu betrachten, die den Zahlen selbst wesentlich sind. Aber an dem Punkt, an dem wir uns befinden, kann die hier noch geometrische Progression oder Regression nur hierarchisch angeordnet sein, auf nicht reziproke Weise; und der Aufstieg zu den Ideen, den Prinzipien der Analyse, impliziert nicht, daß das, was noch sichtbar, noch spürbar zu ihrer Wiedererkennung geführt hat, alles gleichermaßen wahr ist. Hier ist es die Basis, die Grundlage, die impliziert, daß letztlich die Hypothesen als gültige Folgerungen festgelegt sind, auch wenn man sie schon vorher kennen mußte, um eben diese Basis herzustellen. Der Aszendent und der Deszendent genießen nicht das gleiche Privileg. Der Sohn ist der Zweite, in gewisser Weise der Abgeleitete, selbst wenn es ihm gestattet sein sollte, zum Vater als zu dem, der seine Ursache ist, wieder emporzusteigen. »Zum Beispiel«. Dennoch lassen sich der Vater und der Sohn, zumindest wenn man sich zu der Reinheit des Intelligiblen erhebt, auf die Form der Einheit beziehen. Das gilt nicht für das »Sinnliche« - das Mütterliche, das Weibliche; ihr vielfältiges, diskontinuierliches Werden ist nicht auf ein Modell zurückzuführen; sie sind aus der Welt der noisis und aus der ununterbrochenen Kette von Ideen herausgefallen. Die Leere, die dadurch zwischen den Ideen entsteht, wird zum wesentlichen Prinzip der idealen Figuren. So ist es bei den Zwischenräumen zwischen den Punkten der »Linie«, die man, methodisch und kontinuierlich von der paideia geleitet, mit Hilfe einer Berechnung der Proportionen in eine geometrische Reihe bringt, ausgenommen den — unhypothetischen - Schlußsprung ins Transzendentale. Autonomie der Philosophie, die ihre wissenschaftliche Gewißheit in diesem Intermediären findet, das hier die noch geometrische Repräsentation des Inkommensurablen ist, des Irrationalen. Eine Theorie, die in ihrer technischen Überfülle und ihrem überhöhten Ideal im »Zentrum« ihrer Konstruktion eine sensible Lücke gelassen hat.
   Aber diese Lücke muß in ihrer immer wechselnden Abweichung, in der Unbegrenztheit ihrer Veränderlichkeit einer Begrenzung unterworfen werden, die den widerständigen Störungen, die sie mit sich bringt, mit einem Begriff ein Ende setzt. Durch die (Wieder-)Kennzeichnung der Eins wird sie einer bestimmten Zahl unterworfen, die ihr zumindest eine Richtung auf eine Finalität hin gibt. Die Eins wird daher die Macht haben, die doppelte Bewegung von Progression und Regression zu fixieren, jene Bewegung, die die Natur der Dyade ausdrücken würde. Sie hält sie bei jedem Schlag, in jedem Zeitpunkt der Gegenwart an, in einer Stasis, in einer Stockung, einem Stillstand. So wird der Punkt des Gleichgewichts zwischen dem Größerwerden als zwei und dem Kleinerwerden als vier - oder 22 - durch die stabilisierenden Operationen der Eins erreicht, die damit die erste Triade erzeugt. Aber die Wirksamkeit der Eins ist bereits abgestimmt auf Gleiche, auf Zwei - den Prototyp der ersten determinierten Dyade -, was die Gefahr mit sich bringt, daß sie ohne Maß zum unendlich Kleinen oder zum unendlich Großen strebt: zum Bösen.

Das Doppelte ist also ambivalent in der Funktion, die man ihm zuschreiben wird. Sicher, es vervielfältigt in seiner Indetermination, ist also (mütterliche) Matrix für die Erzeugung der Serie der Zahlen, dennoch kann es nicht die unveränderliche Permanenz der Primzahlen sichern. Aus irgendeinem Grund sind sie immer ungerade und bedürfen der Eins, um ihre Übereinstimmung, ihre Gleichheit mit sich selbst zu definieren. Das Doppelte reproduziert unbegrenzt, obschon ohne Ordnung und durcheinander, wenn ihm die Eins - das Eins - nicht in jedem Augenblick die Wirkung ihres Begriffs aufzwingt. Und wenn es der Gleichheit untergeordnet ist, damit es das Mehr und das Weniger, um das es geht, erzeugt - und auch dessen Abweichungen -, dann bläht es sich ins Unendliche auf. Aber als Selbes: die Eins der Idee, die eins ist. Eine Ausdehnung, die jede Progression, jede Regression und auch die leeren Zwischenräume in ihre unvergängliche Größe aufnimmt. Was also ist es, was all diese Substanzen und Kräfte enthält, jetzt schon und seit immer, seit ewigen Zeiten? Und was diese Substanzen und Kräfte in einer Rangordnung übertrifft, die diese als solche erst erzeugt und ihre Verbindungen ordnet? Es ist das Gute (von) GOTT-(dem)-VATER.

Wem, genaugenommen, soll man also den Wert des Ideals zusprechen? Der Eins? Oder der Tetrade? Dem Quadrat von zwei? Eine schwierige Frage? Oder naiv? Das Quadrat definiert sich als solches einzig durch die Diagonale, die die Gleichheit seiner beiden Hälften oder seiner gleichschenkligen Dreiecke bestimmt. Man kann die beiden Hälften übereinander und ineinander legen, die eine auf die andere, die eine in die andere - unbegrenzt -, durch ein Kippen um eine Symmetrieachse. Die Symmetrieachse kann in der Länge variieren, das Wichtige ist, daß es an keinem Punkt möglich ist, sie in der Einheit, die sie repräsentiert, zu durchtrennen oder zu durchbohren. Sonst würde sich der Übergang eines Mehr oder Weniger an Zahl, an Potenz, an Ausdehnung für eine der beiden (Hälften) ergeben. Linie, Oberfläche, Volumen, die sich dieser Regel der Erzeugung in Hälften fügen müssen, zumindest in dem Sinne, daß diese paradigmatisch für alle Formen ist. Auf diese Weise wird der nicht wahrnehmbaren »Leere«, die die Geometrie nicht berücksichtigen konnte, wollte, jeder »Körper« abgesprochen. Seine Aufhebung in das Intelligible hat den Geist zur idealen Konzeption gebracht.

Das, was trennt, teilt, spaltet, muß vor dem anderen, dem »Weiblichen« bewahrt werden. Sonst wüßten weder die Mathematik noch die Dialektik, woran sie sind. Sie würden sich in Unterschieden verlieren, die sie nicht in zwei auflösen, analysieren könnten, weil diese keine Beziehung zum selben hätten. Auch die spaltbreite Öffnung eines Zwischenraumes — eines Zeit-Raumes -, der heterogen zu ihm ist, muß ihre Ränder, ihre Lippen sofort, wie übrigens schon immer, wieder schließen über dem, was gemäß dem Funktionieren des Logos selbst als unvergleichbar, als unerreichbar erscheinen müßte. Sein Maß hat, auch wenn man die Differenzen einbezieht, die in Kategorien aufgelöst sind - in Mehr oder Weniger zum Beispiel —, etwas von diesem leeren Nichts, von diesem Nichts an Leere außerhalb seiner eigenen bestimmten Formen und ihren Verknüpfungen gelassen; etwas von diesem leeren Nichts, das doch ihre eigene (Re-)Produktion sicherstellt. Jungfräuliche und stumme Oberfläche, Gedächtnis, das sich nicht mehr erinnern kann, wo und wodurch Es geschieht. Und das seit jeher und immer nur das Selbe wiederholt und reflektiert, ohne den Schirm aufzulösen, in dem es seinen Ursprung hat.
Ein Paraphragma — eine Diagonale, ein Durchmesser oder sogar ein Diaphragma, das künstlich und hinterlistig für bestimmte Spiegelungen und Spekulationen fabriziert wurde - ein Paraphragma also versperrt und untersagt den Zutritt zum (wirklichen) Übergang auf eine »andere« Seite. Sicher, GOTT-der-VATER gewinnt daraus zusätzliche Macht, er, der sich in seiner Allwissenheit in idealen Zahlen auskennt. Aber nicht die Mutter, die Frau. Sie wird durch das Paraphragma unter ein Verbot gestellt, weil es ihre Lust blendet und sie blind macht. Versunken in den Schatten dieses göttlichen Gestirns, das bis in die Unendlichkeit vorausschaut und endlos rechnet. Seine Macht, die am Inkommensurablen Gefallen findet, wird mit ihrem Wissen diesen blinden Fleck überblenden, der dem Menschen, dem Mann vielleicht die Möglichkeit gegeben hätte, sich noch einmal die Frage nach seiner Beziehung zum anderen zu stellen, einer Beziehung, die kaum mit einem (selben) Maß zu messen ist.

Zwei Formen von Blindheit rivalisieren, was das Geheimnis des Unendlichen des Maßlosen angeht. Und seine Dominanz bei der Konzeption. Es wird diejenige von beiden den Sieg davon tragen, die ihre Argumente aus ihrem wohlbegründeten Verhältnis zur Wahrheit, also zum Eigentum bezieht. Es ist besser, von einer All-Macht fasziniert zu sein, die euch ihresgleichen werden lassen kann, als einen noch so kurzen Blick in das zu werfen, das sich endlos verformt, sobald man in es eindringt, das euch in seinem eisigen Spiegel ununterbrochen in einen anderen verwandelt, das euch in seinem Feuer verzehrt, in seinen flutenden Wogen untergehen läßt, ohne daß euch irgendwo irgendein Schatz, ein Vermögen garantiert würde. Und zwar deshalb nicht, weil dieses Vermögen so hoch plaziert ist, daß man es nicht mehr wahrnehmen kann; weil seine Akkumulation nur auf solche Weise geschehen könnte, daß man sich oder es - in logischer Form — mit einem Schleier bedeckt, um dann zu versuchen, sich oder es darin zu spiegeln; weil seine Aneignung ungemein vertrackt und kompliziert wäre, da einem kurzen Blick, der sich im Fluchtpunkt eines schrägen Lichtstrahls verflüchtigen würde, kaum auch nur der Ansatz einer ungefähren Berechnung seiner Macht gelingen würde, und weil das dabei doch noch geringer wiegt als die viel größere Gefahr seines unverzüglichen, ganz plötzlichen Verschwindens in und durch das andere. Gründe genug, daß man es wieder einschließen muß in seine Höhle. Und da hier alles durch Teilhabe wird und entsteht, könnte es vielleicht sein, daß Gott seit jeher jenes Diaphragma imitiert hat, das sich einen Spalt weit über dieser Maßlosigkeit öffnet — wobei er von sich aus gesehen nichts »imitiert«: die Leere. Aber schließlich, damit dieser Imitation Wahrscheinlichkeit zukommt, mußte er es in ein Paraphragma umwandeln. Das Geheimnis, das sie mit allen nicht berechenbaren Seiten, Diagonalen, Durchmessern ihres Kreises umgibt, während Formen, Ideen ihre Samen der Wahrheit in ihrer idealen Abgeschlossenheit bewachen . . . Das soll nicht besagen, daß ihm nicht etwas davon zurückbleibt: etwas Unendliches, Inkommensurables, Unsichtbares, etwas von einem anderen, das man nicht leicht wieder treffen oder einholen wird in der unergründlichen Abweichung seiner Lust. Außer, aber nur sehr selten und auf kaum voraussehbare Art, in der Ekstase. Oder - so wird versichert - in einem »anderen« Leben, in einer anderen »Welt«.

Aber wie soll man dorthin gelangen? Dorthin zurückkehren? Umkehren? Jener blinde Fleck, der dem Blick (der Seele) die Frage nach einem anderen Weg wieder hätte eröffnen können, ist ja von dem Wissen des Vaters verdeckt oder geblendet. Und das Auge, das aus der Faszination dieser Sonne auftaucht, kann nur »voller Dunkelheit« sein. Der Mensch ist blind geworden, weil er (sich) zu lange in den Glanz jenes Guten projiziert hat, in die Reinheit jenes Seins, in den trügerischen Schein des Absoluten. Er wird daher, wenn er »wieder hinunterstiege und sich auf denselben Schemel setzte«, in der Höhle seiner Vergangenheit nichts sehen. »Und wenn er wieder in der Begutachtung jener Schatten wetteifern sollte [...], würde man ihn nicht auslachen und von ihm sagen, er sei mit verdorbenen Augen von oben zurückgekommen?

Zwei Formen von Blindheit machen sich das Monopol der Konzeption streitig. Denn in ihrem Glauben, der keinen Zweifel kennt, in ihrer unbedingten Gewißheit, in ihrer Leidenschaft für die Vernunft hat die Optik der Wahrheit den Blick, der immer noch der eines Sterblichen ist, verschleiert oder zerstört. Und zwar so, daß er nichts mehr von dem sehen kann, was vor seiner Bekehrung zu dem Gesetz des Vaters war. Daß alles, was im Verhältnis zu seinem gegenwärtigen Augenschein fremd, anders, außerhalb ist, für ihn nicht mehr in Erscheinung tritt. Daß er davon nichts mehr wahrnimmt. Wenn da nicht - vielleicht? manchmal? - der Schmerz darüber wäre, auf diese Weise geblendet zu sein und nicht unterscheiden, vorstellen, fühlen zu können, was hinter dem Schirm vorgeht, hinter dem Projektionsschirm dieser oder seiner göttlichen Erkenntnisse, dieser oder seiner idealen Projektionen. Der Schmerz darüber, daß er in ihnen von allen seinen Beziehungen zu der Erde, der Mutter und zu allem, zu allen anderen abgeschnitten ist - durch diesen Aufstieg zu einer allmächtigen Intelligibilität. Allein also in dem geschlossenen Kreis seiner »Seele«, in diesem Theater der Re-Präsentation des Ähnlichen, in diesem Taumel und Schwindel eines Gottes, der nichts mehr kennt als sich selbst. Und von dem, wenn man ihm vorschlüge, einen anderen, eine andere zu identifizieren, zweifellos das Eingeständnis kommen würde, daß er nicht - oder nicht mehr? - gut sieht. Daß man sich ein wenig gedulden müsse, damit er das, womit er zu tun hat, oder auch den, mit dem er zu tun hat, nach seinem Maß bewerten und einschätzen könne. Ist es die Zeit, die er braucht, um seinen Blick an das, was vor ihm ist, zu 'ahnen? In der er dieses »Objekt« in seine Perspektive eintreten läßt?

Und wenn das, was man ihn bittet  zu beurteilen, nur ein »Schatten« wäre? Wie konnte er es dann überhaupt beurteilen? Die Verdoppelung, die der »Schatten« darstellt, wird mittlerweile durch das Ganze, das er imitiert, getragen, durch seine Spiegelungen und Spekulationen, die seinen Horizont, bis zur inkommensurablen Grenze, erfüllen. Auch sein »Universum«: sein Doppel, das wiederum voller Doppel ist. Die der Reproduktion des Selben mehr oder weniger angenähert sind. Mehr oder weniger angemessen. Spiegelnde Reflexe, in vollem Licht zur Schau gestellt? Ja, wenn man davon absieht, daß ihr Paradigma niemals sichtbar ist. Die Konzentration des Lichts fixiert den Blick in einem Schattenloch, das wie ein Schirm für die Sicht auf die andere Seite wirkt. Auf ein Ideal, das sich immer hinter dem Kreis aufhält, der das Blickfeld, das Erkundungs- und Forschungsfeld eingrenzt. Hinter dem Spiegel? Und das auf diese Weise die Inversion verdeckt und verbirgt?

Aber die Inversion hat immer schon stattgefunden. Es ist die Nacht - zumindest für einen Sterblichen -, aus der nun die Illumination herrührt, und in dem Halbdunkel der Höhle müßte eine Fackel vorhanden sein, um die Projektionen der Schatten zu ermöglichen. Sollte alles auf den Kopf gestellt sein? Wo ist dann die Vorderseite? Und die Kehrseite? Das, was andauert und insistiert, ist das Zurückliegen eines Dahinter. Gegenwärtig jedoch ist es unendlich weit nach vorne verschoben. Und nach oben. Jenseits des Himmels. Wenn sich daher der Philosoph davon abwendet, um zu seiner Kindheit zurückzukehren, zu regredieren, wenn er wieder in die Höhle hinabsteigt, in der er vorher aufgehoben war, dann ist er verwirrt in seiner Art, die Dinge ins Auge zu fassen. Er wird »Gewöhnung nötig haben«, um die — umgekehrte, invertierte, retrovertierte - Höhlensphäre mit seinem Blick wieder durchmessen zu können. Was soll er künftig voranstellen? Und nach oben? Und nach hinten? Nach unten? Wie soll er das hystéron und die hystéra wiederfinden, wie soll er sie drehen, wie sie auflösen? In jener Szene der Repräsentation, die euch schon immer den Kopf verdreht hat, die euch sogar kopfüber laufen ließ, und zwar seitdem ihr den Fuß in sie gesetzt habt. Die euch in jede Richtung und in jedem Sinn um Achsen - um eine Achse? - der Symmetrie gedreht hat. Und niemand hat ein Wort verloren über diesen Artefakt, der die Bedingung ist für euren Eintritt in diese Echonomie. Schauspiel von nichts, das sich in Wirklichkeit benennen ließe. Und wenn man es vergißt, weil man keine Vorstellung davon hat, wird man über den Philosophen lachen müssen, dessen Besessenheit von Gott dazu geführt hat, daß der Keim, der Ursprung seines schon immer und immer noch vergänglichen Blicks abgetrieben worden ist - diephtharménos hekei ta ommata* (*Politeia,117.»... »Würde man von ihm sagen, er sei mit verdorbenen Augen von oben zurückgekommen.« (Anm. d.Ü.)) Desinteressiert und losgelöst von den menschlichen Leidenschaften, die die anderen noch gefangen haften, ist er in Betrachtungen verloren, die ihn von allen Seiten in Bann schlagen, ihn von allem trennen, durch Projektionsschirme, deren Intervention für ihn selbst nicht mehr wahrnehmbar ist.

Und wenn er - weil er durch eine hierarchische Ordnung geschützt ist, durch das Privileg des Urahns, des Vaters -, wenn er also immer noch das Gesetz in der Stadt, sogar in einem akademischen Kontext, verkünden kann, so ist doch nicht sicher, daß seinem »Nachfahren« in einem Gefängnis, das voll von nicht mehr angeketteten, voll von entfesselten Kindern ist, ein gleicher Erfolg beschieden sein wird. Denn man stelle sich nur vor, daß jemand käme, »der sie lösen und hinaufbringen wollte« - das ganze Ausmaß ihrer bisherigen Gefangenschaft würde sichtbar werden: die Vorschriften, die sie daran hindern, sich zu bewegen, die ihnen vorschreiben, immer am selben Platz zu bleiben, die sie bewegungslos festhalten in der Faszination des formalen Zaubers und Prestiges von Meistern, die in ihren Praktiken immer auch ein wenig Scharlatane sind, die sie völlig in Beschlag nehmen durch einen Wandschirm, den sie vor sich haben und auf dem die projizierten Bilder jener Meister vorüberziehen, oder die Bilder der Figur, die sie bereits repräsentieren ... So geht es, jeden Tag, seit ihrer Kindheit. Sie sind paralysiert durch die Verwirrung in diesem Theater mit der noch mütterlichen Behausung, die sie -Kinder, die sie sind - noch nicht verlassen haben, von der sie niemals Kenntnis genommen haben. Sie sind stumm, weil sie nicht wissen, was sie sagen könnten, was sie davon sagen könnten; sie nehmen alles, was man ihnen zeigt, für Wahrheiten und schließen dabei alles andere aus. Vor allem, weil die ganze Demonstration von dem Echo einer verführerischen Stimme unterstützt wird.

Man stelle sich vor, daß jemand - und dieses Mal nicht einfach aus pädagogischen Absichten, sondern angetrieben von anderen politischen Anschauungen oder von dem widernatürlichen Verlangen, sich selbst zu vergnügen —, man stelle sich also vor, daß irgend jemand diese nicht mehr angeketteten, diese befreiten »Gefangenen« aufwiegelt, wenn der Philosoph, immer ein wenig in seinen Idealitäten verloren, gerade kommt, um sich zwischen sie auf seinen angestammten Platz zu setzen. Glaubt ihr nicht, daß sie ihn, »wenn sie seiner nur habhaft werden und ihn umbringen könnten, ihn auch wirklich umbringen [würden]«? - »Sie würden ihn mit Gewißheit umbringen, sagte er.«

Man brauchte nur noch zu wissen, ob das, was sie auf diese Weise in den Händen haben, nicht bereits tot ist: die dürftige Gegenwart einer versteinerten Kopula. Und ob in diesem Handgemenge etwas anderes geschieht, als daß sie sich selbst zerreißen. Und durch ihre Verletzungen Blut fließen lassen, das immer noch an eine sehr alte Beziehung zur Mutter erinnert. Einen Totschlag wiederholen, der schon stattgefunden hat. Und mit dieser Geste auch das nachahmen, was Platon bereits geschrieben, was Sokrates schon erzählt hat. »Sie würden ihn mit Gewißheit umbringen.« Das wurde vor langer Zeit in ihre Gedächtnisse eingegraben -freilich in einer mythischen Verkleidung.