Das Mysterische - Hysterische*

(*Frz.»La Mysterique.« (Anm. d. Ü.))

»Nehmt einen konkaven Spiegel und nähert ihn einer
trockenen und entflammbaren Materie; dann setzt den
Spiegel den Strahlen der Sonne aus. Die trockene Materie
wird sich entzünden und aufflammen, der Sonnenhitze
wegen, und wegen der Konkavität des Spiegels.«
Ruysbroek, der bewunderungswürdige

>»Frau< ist der edelste Name, den man der Seele geben
kann; er ist edler noch als >Jungfrau<«
Meister Eckhart

»Das Wort wurde Fleisch, damit ich Gott werde.«
Angela von Foligno

So könnte man das bezeichnen, was man in einer theologischen, ontotheo-logischen Perspektive mystischen Diskurs oder mystisches Sprechen nennt: Namen, die sich im Bewußtsein durchsetzen, um jenes Außerhalb der Szene, jene andere Szene zu bezeichnen, die für es kryptisch sind. Damit ist auf den Ort hingewiesen, an dem es sich keine Herrschaft mehr auferlegt, auf die »finstere Nacht« ebenso wie auf die Feuer und Flammen, in die sie sich in äußerster Verwirrung stürzt: Ort, an dem »sie« — oder er, aber durch Rekurs auf »sie« - von der Blendung durch die Quelle des Lichts spricht, die von der Logik verdrängt wurde, vom Überströmen des »Subjekts« und des anderen in einer verzehrenden Umarmung, die sie als Begriffe zunichte macht, von der Mißachtung der Form, von dem Argwohn gegenüber dem Verstand, der die Dauer der Lust verhindert, von der öden Dürre der Vernunft... Und auch von diesem »brennenden Spiegel«. Dieser Ort ist der einzige in der Geschichte des Abendlandes, an dem die Frau spricht und handelt, auch öffentlich, ohne in Rechnung zu stellen, daß das Männliche sich hier durch und für sie aufs Spiel setzt, hier herabsteigt, sich hier herabläßt, selbst auf die Gefahr hin, sich zu verbrennen. Vor allem um als Frau zu sprechen, für die Frauen zu schreiben, um ihnen zu predigen oder sie in die Beichte zu nehmen, wagte sich der Mann bis zu solchen Exzessen vor. Deshalb hat er den Rekurs akzeptiert, den Umweg über jene Metaphern, die kaum noch als Sinnfiguren gelten können. Deshalb hat er seinem Wissen entsagt, um ihrem Wahnwitz Gehör zu schenken. Dabei ging er, so jedenfalls würde Platon argumentieren, in die Falle, sie nachzuahmen, so zu tun, als empfände er Lust wie »sie«. So weit ging er, daß er sich als »Subjekt« nicht wiederfand und sich dorthin führen ließ, wo er um keinen Preis hinwollte: bis zum Verlust seiner selbst in dieser atypischen, atopischen Mysterie. Wo, wie man - zum allgemeinen Erstaunen - bereits bemerkt hat, die Ärmsten im Geiste, die Allerunwissendsten die Beredtesten wurden, die Reichsten an und in Offenbarungen, historisch die Frauen also. Oder zumindest das »Weibliche«.

Doch wie soll man es anstellen? Der Horizont ist bereits begrenzt, und das »Subjekt« ist als dasjenige definiert, was ihn in einer Zirkularität festlegt, die kein anderes Ziel hat als ihre ständige Wiederkehr zu ihm und sich selbst. Man muß wiederfinden, was spricht, sieht, denkt und sich aus diesem Grund jetzt ein Sein gibt, in einem Selbst-Genügen, das sowohl Einkerkerung als auch Klarheit aus verneinten Schatten ist; man muß diese Behausung, in der es jetzt eingesperrt ist, und die Finsternis der Nacht aufs neue durchqueren, bis das Licht wieder zu spüren ist, das die Formen und alle anderen (spekulativen) Einkleidungen in einer technisch bewerkstelligten Verringerung aller Glut dem Blick entzogen haben. Ein Licht, das übrigens den Mann seinem Hunger, seinem Durst überläßt, zumindest manchmal, zumindest an einigen Orten. Noch.
Aber weil das Auge bereits Wächter der Vernunft ist, heißt es fürs erste, ungesehen zu entkommen. Und ohne zuviel dabei zu sehen. Ein blinder Ausbruch aus der geschlossenen Philosophenkammer, weg von der spekulativen Matrix, in der er sich zur klaren Betrachtung des Ganzen eingeschlossen hat. Ausschlüpfen der »Seele« aus sich selbst, wobei eine Höhlenöffnung bleibt, durch die sie (wieder) eindringen kann. Durchbrechen ihrer Trennwand, Überschreitung der (und ihrer) Unterscheidung zwischen drinnen und draußen. Ekstasen, in denen sie sich alsbald zu verlieren riskiert oder in denen sie jedenfalls die Gewißheit ihrer Identität mit sich selbst (als Selbst) schwinden sieht. Ohne Zweifel gelingt dies nicht auf einen Schlag, denn sie ist bereits in mannigfachen Repräsentationen und Verpuppungen gefangen, in verschiedenen Konfigurationen und Verkettungen, die sie Stück um Stück auf ihre Einheit zurückführen: auf die Ähnlichkeit mit dem, was sie idealerweise in ihrer eigentlichen Form oder Substanz wäre. Und der Weg, der ihr bevorsteht, um der Logik zu entfliehen, die sie so sehr eingeengt hat, ist nicht nichts. Ganz abgesehen davon, daß sie nicht weiß, wohin sie geht, daß sie sich ohne Methode auf den Weg machen muß, und in der Dunkelheit. Denn ihr Auge ist an eine Evidenz gewöhnt, die eben das versteckt, was sie sucht. Es ist der Schatten ihres Blicks selbst, der wieder durchlaufen werden muß. Es muß Nacht werden für jede noch sinnliche, noch sonnenhelle Sicht, um einer Blendung willen, die jenes Gestirn zur Reue über seine Dürftigkeit verdammen würde; Nacht vor allem für jede intelligible Spekulation, für alle theoretische Kontemplation, und hätte sie das Wesen selbst zum Objekt. Und wenn der Mann, durch eine richtige Sicht, der Undurchdringlichkeit aller Körper für das Licht zu entkommen sucht, dann hat ihn gerade das Ungestüm seines Begehrens in diese Schwärze zurückgeworfen, die aus ihrem Kern und von ihrer Rückseite einen Blick projizierte, von dem es heißt, er sei erleuchtet.

Worauf den Blick bei diesem nächtlichen Herumirren heften, wenn nicht noch tiefer in die Nacht, bis sie vibrierender Strahl, leuchtende Dunkelheit wird? In einem Anstoß, der die »Seele« einer göttlichen Berührung wiederöffnet, die in ihrer Heftigkeit und ihrer Strahlung verletzt; einem Hieb in den unterirdisch glitzernden Wasserspiegel, der sie blieb, ohne es zu wissen. Und (als) den sie (sich) niemals klar und deutlich erkennen kann, dort, wo sie in milder Betroffenheit (wieder) zu brennen beginnt. Vorerst unsichtbar in ihrem Feuer. Die Rißwunde läßt ihren Schmerz, ihre Ängste, ihre Schreie, ihre Tränen und ihr Blut jedes andere Empfinden transzendieren. Brennende Wunde, bevor sie Glut wird; doch zugleich Wollust und Begierde von und in dieser Qual, wenn sie sich einer trotz ihrer Kraft ausreichend zarten Hand anvertraut hat. Schon wieder verlangend, tief betrübt die so gebahnte Fährte verfolgend und voller Ungeduld gegen jede Verzögerung. Ohne genau sagen zu können, was sie will. Versagend in ihren Worten. Ahnend, daß etwas zu sagen bleibt, das allem Sprechen widersteht, das man kaum zu stammeln vermöchte, weil die Begriffe abgenutzt oder zu schwach sind, um es sinngemäß zu übersetzen. Denn es geht hier nicht mehr darum, nach irgendeinem bestimmbaren Attribut, nach irgendeiner Erscheinungsweise des Wesens, nach irgendeinem gegenwärtigen Antlitz zu schmachten. Was erwartet wird, ist nicht ein dies oder ein das, auch kein hier und kein dort. Weder durch Sein noch Zeit, noch Ort kann es bezeichnet werden. Besser ist es also, sich jedem Diskurs zu verweigern, zu schweigen oder sich an ein so unartikuliertes Schreien zu halten, daß ihr kein Gesang gelingen wird. Das Ohr aber achtet auf jedes Erschauern, das eine Rückkehr ankündigt.

Denn wohin sich in dieser Ungewißheit wenden, die allein aus einer verzehrenden Umarmung ihre Wissenschaft empfangen kann? Ohne Zweifel bleiben schmale Pforten, verengte Pfade, finster und schrecklich, zu passieren, Beklemmungen zwischen zwei Wänden müssen erduldet, Spalten für das Übermaß der Klarheit müssen geweitet, Höhlen müssen erkundet werden, endlose Wüsten, leere Räume zwischen zwei Extremen, Taumeln, Aufsteigen und auch Rückschritte ... Doch selbst wenn man die Leidenschaft zu solchen Prüfungen hat, wie sich verhalten, wenn man zu ihnen nicht »berufen« ist? Kein Ziel ist wahrzunehmen, an dem man sich orientieren, keine Ursache anzugeben, auf die man Bezug nehmen könnte. Das »natürliche Licht« bietet dem Fortschreiten auf diesem Weg keinen Halt, einem Weg, der in der Vermischung mit den reflektierenden Wänden der »Seele«, die sie sich unter kalt vernünftigen Gesichtspunkten angeeignet hatte, verschwunden ist. Ausgelöscht in dieser Nacht, in der jetzt, da alles schläft, da auch der höhere Teil der Seele im Schlummer liegt, der Verstand wie blöde ist, ein seltsames Erwachen sich vorausahnen läßt. Das, was sich zu ereignen beginnt, findet in einem solch tiefen Versteck statt, in einem solch unzugänglichen Geheimnis, daß keine Intelligenz, kein gesunder Menschenverstand sich davon einen zureichenden Begriff machen können. Entlegene und entfernte Einsamkeit in diesem erregten, wiewohl außerordentlich intimen Gefühl. Ein Nichts kann es aus seiner unruhigen Spannung ablenken oder zerstreuen. Kein Entschluß kann es aufheben. Passives Abwarten, Hingabe ohne Voraussicht. Ohne den Rekurs auf eine willensbestimmte und geregelte Aktivität, die dem Einbruch der »Gnade« sich entgegenstellen könnte. Abwartende Erwartung in diesem Nichts von einem Projekt, von Projektionen. Unerträgliche Süße und Bitterkeit, Trockenheit, Schwindel und Schrecken durch diese grenzenlose Leere. Wenn es nicht eine ungreifbare Erinnerung ist, die sich ihrer Repräsentation, Re-Präsentation, Repetition entzieht. Sogar ihrem Traum.

Spalte, die sich weiter öffnet, sich teilt und sich Gewalt antut, ohne (sich) zu kennen, ohne sich (von sich) ein Bild zu machen in ihrer unergründlichen Nacktheit. Abgrund, in dem alle Personen, alle Namen, auch die eigenen, verschwinden. Denn es gilt allerdings, sich aller Eigenschaften zu entledigen, um bei diesem Eindringen (in sich) voranzukommen: Liebe, Willen, Affektation, Ergötzung, Interesse, Nutzen, die sich noch auf ein Selbst (als Selbst) beziehen, müssen aufgegeben werden. Die es mit einem Luxus von Werten bekleiden, deren Reize nur den hinters Licht führen und täuschen, der die Vereinigung in der äußersten Nacktheit noch nicht kennt. Keine Gabe im Austausch als die außer sich geratene Schamlosigkeit. Diese jeden Attributs beraubte »Einfachheit«, die alsbald auf dem Grund des Grundlosen scheitern wird und dabei die letzten Behausungen der Seele, ihre reinste Virginität im Unendlichen und unendlich verschlingen wird, wobei sie die Kammern der Seele, ihre Höhle, drüber und drunter kehrt, um sie bis zu dieser abgrundtiefen Quelle zu führen, die sie nicht zu erreichen wußte, nicht imstande war, zu erreichen. So sehr eingeschlossen in und durch den Besitz eines Wissens, das sie stumpfsinnig machte, vor allem mit seinem Anspruch auf Makellosigkeit, die niemand hat durchdringen oder zu Fall bringen können. Und das in einer so extremen Lust, in einer so unbegreiflichen Liebe, in einer so unermeßlichen Erleuchtung aufgelöst wird, daß das Nichtwissen zum Begehren wird. Nichts zählt mehr, nichts hat einen Preis in diesem göttlichen Verzehr. Nichts ist etwas wert, nicht einmal sie, die sich jedem Richtmaß entzieht. Was weder durch Mühe noch durch Arbeit erkauft werden, durch kein Kapital gedeckt werden kann. In einer Währung, die, streng genommen, unmöglich ist, einer Verausgabung, die durch die Unerschöpflichkeit ihres Verlustes unberechenbar ist, jedenfalls noch nicht berechenbar oder vielleicht niemals. Die Aufzählung selbst stellt sich dem (Rück-)Fall in den Abgrund entgegen, wo sie sich verschwendet, sich entfaltet und auflöst in ihrem Wahnwitz. Ohne Zweifel wird am Ende derjenige der reichste sein, der seine Reserven am gründlichsten verschleudert hat. Doch bedeutet das bereits zu sehr kalkulieren, allzu logisch sein, selbst in dieser Umkehrung aller bekannten Ökonomie. Kein Maß ist mehr angemessen. Endgültiger Verlust auch dieses letzten imaginären Rückzugs in reine Objektivität: »ich« kalkulierte, also wußte es noch, woran es war. Merkzeichen, Gerüste von Plänen, um dieses Ausgedehnte zu vermessen, diese Mutter-Materie, die sich fortan der Beherrschung verweigert. Auch werden alle Oberflächen und räumlichen Konstruktionen in einem allgemeinen Brand in sich zusammenbrechen, die Tiefen des Schlundes, in dem jetzt alles in Flammen steht, immer weiter zurückweichen. Feuer und Flammen, die das Überfließen seiner unterirdischen Quelle nicht mehr zum Versiegen bringen: Die Gegensätze vereinigen sich hier, um ihn mit ihren Flüssigkeiten zu erfüllen, ihn bis zum Übermaß wieder zu öffnen. Denn obwohl ihn der Überfluß dieser Fluten über die Ufer hinaustreibt, verlangt er doch nach weiteren Exzessen. Noch leer und immer leerer, ausgedehnt durch Einflüsse, die die Seele weiten.
Doch durch sich selbst kann die Seele sich aus der Verschüttung, dem Gewölbe ihrer Krypta nicht befreien. In ihrer Verborgenheit erwartet sie die Rückkehr des Raptus, der Ekstase, des Blitzes, des Eindringens der göttlichen Berührung. Deren Aussetzen, Kürze, Hast, Seltenheit sie quälendem tiefen Schmerz überantworten. Ihre beiden Lippen, ganz Einsicht und ganz Zustimmung, bereit für weiteren Druck, trocknen alsbald ein, falten sich zurück in ihrer Trauer, wenn die Zeit zu lang wird. Keine Stimme, um zu rufen, keine Hände, um sich selbst diese ebenso verschlingende wie nährende Speise zu geben, der sich ihr Mund, ausgehungert in seiner Entwöhnung, öffnet. Sehr besorgt darum, in dieser Hingabe das Vertrauen zu behalten. Ohne Bild, ohne Gegenstand, um eine derart tödliche Abwesenheit zu zerstreuen. Kein Tafelbild, kein Porträt, kein Gesicht vermögen ein solches Säumen zu beschwichtigen, und bestünden sie gleich im Mangel jeder definierten Form. Das (Sich-)Wiederfinden zwingt eine Nähe auf, die sich nicht unter Aspekten, Modi, Figuren erkennen läßt. Auch nicht in Metaphern, die das Aufflackern dieser Erregung bezeichnen. Für das es kein Mittel gibt, um es im ungreifbaren Augenblick seines Ereignisses zu unterscheiden. Auch keine Umgebung, die eine Ahnung davon wiederbeschwören oder vorbereiten könnte. All solches Beiwerk, solche Schnörkel brächten sie in eine Willfährigkeit, die die Fährte ihres Weges verwischte, eine Fährte, deren Verlauf im Dunkel liegt.

Wie soll man in einer solchen Gewalt, wie sanft sie auch sei, weiterleben? Nicht zu sterben im Sterben, zu sterben, um nicht zu sterben. Unfähig, den Zeitpunkt ihrer höchsten Lust oder ihres tiefsten Schmerzes zu bestimmen. Bewußtlosigkeiten, Synkopen, Vierteilungen, in denen die Glieder, die Knochen sich mit einem Krachen, das das Geschrei aller Begnadigungsparolen überdeckt, voneinander lösen. Wo Hitze und Eis ausglühen und einfrieren, ohne Innehalten, ohne Pause zwischen den Unbilden, ohne Frühjahr oder Herbst, Morgen oder Abend. Unversöhnliche Strenge des Mittags im Sommer, der Mitternacht im Winter, die ihre Extreme mischen, kein Ausgleich, keine gemäßigten Zwischenzonen, die den Wechsel milderten. Unmittelbarkeit des Ganzen, die durch dieses Hymen vor dem Unerkennbaren aufgezwungen wird; der man sich nicht mehr entziehen kann, sobald man sie einmal erfahren hat. In einer abgründigen Einheit, als es die noch oder schon spekulative Einheit ist, die den Sinn dieser zerreißenden Widersprüche erhält. Grund und Zentrum, innerster und verstecktester Ort, Herz der Krypta, in die einzig »Gott« niedersteigt, nachdem er seinen Attributen entsagt hat. Denn diese allergeheimste Virginität der »Seele« erschließt sich nur dem, der sich ebenfalls in seiner Nacktheit gibt. Diese intimste Zone der Behausung öffnet sich einzig dem, der seine Macht keinem Besitz schuldet. Das Intime gibt sich nur dann hin, wenn alles Vermögen, alles Haben, alles Sein, das sich anderswo und anders begründet als in dieser verzehrenden Umarmung, deren Sinn unfaßbar bleibt, vernichtet ist. In der jeder der andere wird, das Nichts des anderen, in diesem Verzehr. Der andere, dessen Identität er in Wahrheit nicht erkennen wird, so wie er die seine verloren hat, von der er freilich einen schwachen, kaum wahrnehmbaren Abdruck bewahrt, um sich in diese endlich nahende Umarmung zu schmiegen. So bin ich du, wie du ich, das Meine ist das Deine und umgekehrt, ich kenne dich, wie du mich kennst, du erfreust dich meiner, wie ich mich deiner erfreue in dem Jubel der wechselseitigen Kohabitation und Koidentifikation, in denen alsbald die von unserem letzten Druck flachen Matrizen zu schmelzen beginnen, zu verschmelzen, umzuschmelzen.

Aber wie sich daran erinnern, wenn das Feuer so stark oder das Ausströmen so reißend war, daß sie alle Spuren vernichtet haben? Wenn das Ganze Feuer und Wasser geworden ist, wenn nichts bleibt als eine brennende Blendung und ein Glitzern? Wenn die Glut so tief war, daß sie bis zum Vergessen die Spur der Berührung mit sich zog, die noch ein Mittel unserer verzückten Bewegungen war? Wenn nichts bleibt außer einem weißglühenden Feuer, das nicht zu erreichen ist? Es sei denn, dieses »Zentrum« wäre von jeher auch Eis gewesen? Spiegel aus einer so flüssigen und feinen Materie, daß sie sich bereits allem beigemischt, sich überall eingeführt hätte. Immer schon dazwischengetreten, dennoch unsichtbar, unspürbar in ihrem Geflimmer, das der bestimmenden Reflexion fremd bleibt. Weil alles bereits auf solch intime Weise gespiegelt ist, daß selbst auf dem Grund des Abgrunds der »Seele« ein Spiegel ihren Reflex und ihr Licht erwartete. Auch ich bin (zu) dein(em) Bild geworden in diesem Nichts, das ich bin, und du spiegelst das meine in deiner Abwesenheit vom Sein. Zumindest diese Folie würde das Sein - das, was wir vielleicht waren, das, was wir vielleicht noch werden - im aktuellen Verlust unserer Spiegelung oder seiner Verdeckung durch fremde Spekulationen bewahren. Lebender Spiegel bin ich (für) deine Ähnlichkeit, wie du die meine bist. Eins, wenn diese Spiegel, die sich in der Reinheit ihres Austausches vermischen, durch nichts erblinden. Und wenn der eine den anderen an Größe und Qualität nicht mehr übertrifft. Denn dann löst der andere sich in dem Einen wie im Unendlichen und unendlich auf.
Wenn ich dich in dem Geheimnis meiner »Seele« kontempliere, ist es der Verlust dieser Bespiegelung, den ich (wieder) suche, indem ich meine »Natur« auf die Fülle ihres Spiegelbildes zurückzubringen trachte. Und wenn »Gott« sich mir erst in der Enthüllung seines »Angesichts« gezeigt hat, dann gleißt mein Körper von der Glorie, die von ihm ausstrahlt. Und meine Blicke sind durchdringend genug, um sie ohne Blinzeln zu fixieren. Verbrannt, wenn sie nicht das einfache Auge der »Seele« wären, das gerade das entflammt, dem es aus seinem hohlen Rund entgegenblickt. Brennspiegel, der sich in seiner Höhlung mit der Quelle des Lichtes (wieder-)vereinigt. Um all das, was in seinen Focus gerät, zu verzehren. Nichts als Asche, als ein Loch hinterlassend: abgrundtief in seiner entzündenden Blendung.

So hat sie »GOTT« geschaffen, damit sie in ihrem Begehren strahle und brenne. Und wenn Er und sie jenseits dieses Verzehrs dauern, dann deshalb, weil Er und sie nichts anderes sind als die Anbetung dieser Flammen, die Passion dieses nicht anzueignenden Feuers, das in die Leere des einsamen Spiegels passende Licht und seine virtuelle Verdopplung. Oder auch, weil man es sich - theologisch, teleologisch - wie die gegenseitige Anziehungskraft von Vater und Sohn in der Liebe eines verliebten Schoßes vorgestellt hat. Dies rettete die »Seele« des Mannes vor der totalen Auflösung in ihr. Und bewahrte, noch im Homologen, seine Identität und seine Vernunft in der Homosexualität. Doch nicht in dieser Konzeption des Geistes werden ihm seine göttlichen Entgrenzungen gelungen sein. Denn Gott übersteigt alle Vorstellung, und wäre sie noch so schematisch in ihrer Annäherung.

Und vielleicht ist es »ihr« eigener Körper, in den Er vor allem seine »Absichten« eingeprägt hat, auch wenn sie ungeschickter darin ist, sie zu lesen, ärmer an Sprache, »verrückter« in ihren Reden, gehemmter durch ein Mehr an Materie(n), zu deren Treuhänderin man sie historisch gemacht hat, erstarrt in und durch spekulative Pläne, die ihr Begehren lähmen. Selbst noch in der »Seele«, die sie bisweilen, in einer Art von Sinnlichkeit der Vernunft, ungeheurer Güter beraubt und sie über die äußersten Lüste in Unwissenheit beläßt. Die »Seele«, die durch ihre Beziehung zum »Körper« schuldig ist und die - in seiner Wiedererhebung ihrer Offenbarung - nicht wissen wird, daß das physische Übel stets ein Hindernis für das souveräne Gute darstellt. Daß die Köstlichkeit und die Sinnlichkeit des »Körpers« hier schwer ins Gewicht fallen und daß die Teilung des »Herzens« des Mannes der Fehler, die Spalte ist, wo sich die Liebe in Kontroversen verliert, die alle »Tiefe« vermeiden.
Aber ihr eigener Versuch, dieses zerteilte Ausgedehnte wieder zusammenzusetzen und wiederzubeleben, ohne zu wissen, daß sie (auf der) Erde ist, ist zu wild und zu grausam, als daß sie sich einfach auf eine »Seele« zurückführen könnte, diesen Kokon, der ihr Innerstes in allem verdoppelt und so die Bespiegelung und Spekulation ihrer Quelle umspinnt, so daß sie für sich selbst durch und durch Dunkelheit ist und die Welt, die sie umgibt, nicht mehr versteht. Und von der sie sich in dieser ununterschiedenen Blindheit nicht anders wird unterscheiden können als durch bestimmte Einschnitte. Den »anderen« liefert sie sich erst aus, nachdem sie die Trennung von allem und jedem und von ihren »Gewohnheiten« vollzogen hat, eine Trennung, durch die sie sich schmerzhaft wieder zu spüren beginnt und aus der sie ihre Kräfte zurückgewinnt, die sich alsbald zu einer entfesselnden Macht steigern und sie glauben machen, besessen zu sein. Also verdammt durch die Beichtiger und die unerfahrenen Beobachter, die von Entsetzen gepackt werden, wenn sie sehen oder hören, wie sie, als sei sie vom Blitz getroffen, auf der Erde aufschlägt, sich verdreht, brüllt, grunzt, erregt in Zuckungen stöhnt, sich steif macht, dann in einen seltsamen Schlaf fällt; die entrüstet oder außer sich sind bei der Vorstellung, daß sie sich grausam schlägt, daß sie sich die Fäuste gegen den Unterleib preßt, sich versengt, um das Feuer der Konkupiszenz zu löschen, sich am ganzen Körper wundscheuert, um durch diese extremen Praktiken ihre eingeschlafenen Leidenschaften wiederzuentfachen und zu stillen. Der Ausbruch dieser Leidenschaften schlägt den vor den Kopf, der zum Zeugen wird und der daraus in geradezu apollinischer Weisheit auf ein Teufelswerk schließen wird, um diese Rasereien aufs neue zu verdrängen, die sie jetzt nicht mehr im Zaum halten kann; die sie verheimlicht oder zur Schau stellt, je nachdem. Sie will ihr Geheimnis bewahren, schafft es nicht immer oder noch nicht in diesen Gewalteinbrüchen, die sie durchkreuzen und durch die sie unkenntlich wird, auch für sich selbst. Die sie bald erregen, sie bald niedergeschlagen, bleich und wie tot zurücklassen. Wieder auf dem Boden ausgestreckt. In der Finsternis. Ohne ihr Wissen.

Doch in ihren Bewußtlosigkeiten nähert sich bereits ein »Gott«. Und daß alle sie für verrückt erklären, zählt nicht mehr, da der »Fürst dieser Welt« sie gezeichnet hat und von nun an ihre Einsamkeit begleiten wird. Ein Erwachen voll Freude, doch nur um in neue Qualen zurückzufallen. Denn wie sollte sie in ihrer Unwürdigkeit nicht an dieser Gewißheit zweifeln? Wie könnte sich Gott in seiner Herrlichkeit manifestieren und sich an eine so schwache und gemeine Kreatur vergeuden, wie eine Frau es ist? Sie, die so oft gedemütigt wurde und an der kein Atom etwas anderes ist als Verwesung und Ansteckung: Auswurf, Materie. So schickt sie sich an, sich immer mehr zu erniedrigen, um die Liebe auf die Probe zu stellen, die man ihr entgegenzubringen behauptet, und um die Wunschvorstellungen, die ihr keine Erwiderung erlauben, erneut zu durchkreuzen. Den sklavischsten Aufgaben gibt sie sich hin, dem beschämendsten und degradierendsten Betragen, um die Verachtung, die man für sie hat, die sie selbst für sich hat, herauszufordern. Und um, vielleicht, auf dem Grund des Abgrunds ihre Reinheit wiederzufinden. So werden das Blut, der Schorf, der Eiter, von denen die anderen sich säubern und die von ihr aufgenommen werden, das sein, womit sie sich allen Schmutz abwäscht. Endlich rein, weil sie es gewagt hat, die Verworfenheit, den Ekel, den Schrecken, wozu sie verdammt war und wozu sie sich auf mimetische Weise selbst verdammt hatte, bis zum äußersten zu wiederholen. Keusch, weil sie sich den schlimmsten Perversionen ausgesetzt hat, sich in den widerlichsten Handlungen, den schmutzigsten Extravaganzen prostituiert hat. Gerettet in ihrer Unschuld. In dem Nichts an Vorstellungen von ihr, der Leere, die den Abscheu einschließt, dem Nichts einer Seele, als die sie sich weiß. Während sie die anderen fassungslos zurückläßt, die noch außerstande sind, ihr zu folgen. Um dort zu sehen.

Und wenn »GOTT« sie noch liebt, sie, die so wieder den Beweis ihres Unwertes erbrachte, dann deshalb, weil sie dennoch, jenseits von alledem, was darüber gedacht werden mag, existiert. Weil die Liebe sie über das hinausträgt, was man von ihr zu sagen wußte. Und weil zumindest ein Mann sie so weit verstanden hat, daß er dafür in den grausamsten Leiden starb. Er, der weiblichste aller Männer, der Sohn. Den sie nicht aufhört zu kontemplieren in seiner den Blicken preisgegebenen Nacktheit, in den Rissen seines jungfräulichen Fleisches, in der schmerzvollen Streckung seines am Kreuz hängenden Körpers, in den Wunden der Nägel, die ihn durchbohren, in seiner Passion, in seiner Hingabe und Verlassenheit. Überströmt von Liebe für ihn und sich selbst. Vorbild, das ihr durch seine Kreuzigung einen Weg der Erlösung aus der Verworfenheit, in der sie war, eröffnet.

So wäre denn nicht jede Verletzung unaussprechbar, nicht jeder Riß beschämend? Ein Wundmal könnte geheiligt sein? Ekstasen in dieser glorieumstrahlten Spalte, in der sie sich wie eine Schlange einringelt, in der sie sich wie in ihrer Behausung zur Ruhe legt - und genauso ist Er in ihr. Badend in einem Blut, das sie warm und reinigend spürt, während es reichlich fließt. Und das, was sie in dieser göttlichen Passion entdeckt, kann und will sie nicht wiedergeben. Endlich berechtigt zu verstummen, im Innersten dieses Austauschs, wo sie (sich) sieht, das sieht, was sie nicht wird sagen können, den Blicken entzogen. Wo sie nichts oder wo sie alles sieht. Eingeschlossen in dieses Mysterium, in dem sich die in ihr niedergelegte Liebe verbirgt. Die sich in diesem Geheimnis des Begehrens offenbart. So siehst du mich, und ich sehe dich, ich sehe mich endlich, weil ich dich in diesem abgründigen Wundmal sehe, das die Quelle unserer verwunderten Einsicht und unserer Trunkenheit ist. Und um mich zu erkennen, brauche ich nicht eine »Seele«, mir genügt die Kontemplation der geöffneten Wunde deines liebreizenden Körpers. Jedes andere, im geringsten theoretiche Instrument lenkt mich von mir ab, zerlegt auf künstliche Weise - und/oder versiegelt abermals - die Lippen dieser Spalte, wo ich mich wiedererkenne, indem ich mich dort (quasi) unvermittelt wieder berühre.

Und in dieser verzückten Vision des Ortes, aus dem du dich in einer tödlichen Ekstase ergießt, hat ein Blitz in mir den eingeschläferten Verstand wiederentzündet. Allem Wissen widerstehend, das in diesem Abgrund seinen und meinen Sinn nicht fände. Jetzt erkenne ich ihn und mich, und indem ich ihn und mich erkenne, liebe ich ihn und mich, und ihn und mich liebend, begehre ich ihn und mich. Und wenn ich aus dem Anblick des durchbohrten Körpers des Sohnes eine solche Freude ziehe, daß es mir unmöglich ist, ein einziges Wort hervorzubringen, so sei man mit dem Urteil nicht zu schnell bei der Hand, ich hätte Genuß an seinem Leiden. Aber daß das Wort so und bis hierher Fleisch geworden ist, konnte schließlich nur geschehen, damit ich Gott werde in meiner endlich wiedererkannten Lust. Hinabgetaucht in mich selbst und nicht mehr zerrissen in die Gegensätze der Erhebung und der Verworfenheit. Jetzt wissend, daß die Höhe und die Tiefe sich gegenseitig gebären - sich spalten -, die eine die andere, unendlich, und daß die eine in der anderen ist und die andere in mir, wiegt gering, denn in mir erzeugen sich beide, die eine die andere, in ihren Übertragungen. Außerhalb von jedem Selbst als Gleichem und von jedem gleichen Selbst. Niemals die gleichen; immer neu. Niemals wiederholt noch wiederholbar in ihren Verzückungen, also unzählbar in ihrer Aufzählung, ohne bestimmbares Maß. Und außerdem ewig, weil sie endlos sind. Mysterium - mein Hysterium -, ohne vorgegebenen Anfang, ohne vorgegebenes Ende. Tiefer innen als die »Seele« selbst. Krypta des wechselseitig geteilten Abgrunds zwischen »ihr« und Gott, in die sie (wieder) herabsteigen mußte, um endlich Ruhe und Erfüllung in sich - Gott zu finden. In Ihn verwandelt in ihrer Liebe: das Geheimnis ihres Austausches. In ihr und/oder außerhalb von ihr, denn in ihrer Lust öffnet sich ihr Schoß und verströmt sich. Um so weiter von sich selbst entfernt, je tiefer »innen« das Feuer ist. Bis der unterste Gipfel ihrer Hohle berührt wird. Ihre Ekstase entfernt sie um so weiter und der Flug ihrer Seele ist um so höhet, je tiefer im Innern dieses Nichts einer Seele getroffen wird.

Seltsame Ökonomie dieser Spekulation und Spiegelung der Frau, die in ihrem »Spiegel« stets auf eine Transzendenz zu verweisen scheint. Die den, der sich nähert, entfernt und sich von ihm entfernt, die über die Trennung von dem seufzt, der sie aufs engste umfangen hält. Die aber auch nach dem Stachel ruft, der sie durchbohren und ihr zugleich den Leib aufreißen wird. So wird »Gott« ihr bester Liebhaber sein, weil er sie von sich selbst entfernt und ihr diesen Zwischenraum für ihre Lust gibt, in dem sie sich und IHN wiederfindet. Im Unendlichen vielleicht, aber in der Heiterkeit des so durch und in ihre Lust projizierten Zwischenraums. An einem Ort also, der weit genug ist, so daß er nicht zur Gefangenschaft werden kann. Doch noch umringt von Repräsentationen - waren sie auch metaphorisch —, von Vorschriften - noch ethischen, onto-theologischen -, die, sie und ihn determinierend, seine Ausdehnung begrenzen. Und wenn sie sich durch Gott nicht vergewaltigt fühlt, auch nicht in ihren Vergewaltigungsphantasien, dann deshalb, weil Er (selbst) ihrem hysterischen Orgasmus niemals Grenzen gezogen hat, dessen ganze Gewalt er begreift.

So der Komplizenschaft ihres allmächtigen Gefährten (wieder) sicher, spielen sie und spielt sie damit, sich den Hof zu machen, sich zu demütigen, aber auch damit, sich mit Gold und Diamanten zu schmücken, sich zu berühren, sich zu genießen, sich zuzuhören, sich zu sehen, sich zu verschlingen, sich zu fressen, sich zu durchdringen, sich zu entflammen, sich zu verzehren, sich zu verflüssigen. Zutraulich wie eine Taube, hochfahrend wie eine Königin, stolz in ihrer Nacktheit, berstend vor Freude über solchen »Austausch«. Ihr göttlicher Geselle wird nicht müde, Komplimente und Ermutigungen an sie zu verschwenden, für ihre auf so wunderbare Weise wiedergefundene (Auto-)Erotik, der die Beichtiger nicht immer ein erfreutes Ohr leihen, vor allem wenn es ihnen an Wissenschaft in dieser Materie gebricht. Doch was macht es, sie weiß, daß sie sich nicht mehr täuschen kann. Und daß es ihr, um zu leben und zu sterben, genügt, daß »Gott« sie liebt.
Und würde man ihr entgegenhalten, daß das Gute auf diese Weise in ihr sei, sie es also nicht mehr empfangen könne, so würde sie in ihrer Ateleologie antworten, daß für sie das eine das andere nicht ausschließt.