»Daraus folgt, daß sich in der inneren Fläche des Gehirns, die seinen Höhlungen zugekehrt ist, von neuem ein Bild formt,[...] Von hier aus könnte ich das Bild noch bis zu einer bestimmten kleinen Drüse geleiten, die sich ungefähr in der Mitte der Höhlungen des Gehirns befindet und die der Sitz des allgemeinen Empfindungsvermögens ist. Ich könnte Ihnen außerdem noch zeigen, wie die Bilder manchmal durch die Venen und Arterien einer schwangeren Frau bis in bestimmte Glieder des Kindes gelangen können, das sie unter dem Herzen trägt. Hier bilden sich die Muttermale, die den Gelehrten soviel Kopfzerbrechen bereiten.«
Descartes
Wenn bei Aristoteles die Prämissen der Urteilskraft notwendige sind, wenn bei ihm das Unendliche in der Voraussetzung einer Substanz, die die Allgemeinheit der Beziehung vom Subjectum zum Prädikat sichert, gestrichen werden muß, damit kein Platz für irgendeine Unbestimmtheit bleibt, so ist es bei Descartes der Schluß, der sich auf Anhieb als unwiderlegbar durchsetzt. Das Einzelne in einem Punkt, in diesem Punkt, ist zur Rekonstruktion des Ganzen notwendig geworden, und es bestimmt im methodisch auf jedes Objekt ausgedehnten Zweifel generell die Möglichkeit der erneuten Bestätigung des Universellen. Aber das Einzelne, es ist wahr, ist auch hier schon von einer besonderen Art: Es ist die denkende Substanz, die überdies zu sich selbst zurückkehrt und den Kreis der/ihrer Subjektivität schließt.
In der zuerst vollzogenen Bestimmung — wenigstens in der Bewegung des Aussagens - wird nicht nur die Möglichkeit gesetzt, daß das Subjekt als solches existiert, sondern auch die, daß es sich als dasjenige reflektiert, das sich die/seine Seinsbedingung gibt. Das geschieht in einem Augenblick, wird gleichsam ungreifbar bleiben. Was beweisen soll, daß es sich dabei tatsächlich um Realität handelt. Um fließende und sich bewegende Realität? Oder bleibt es ungreifbar, weil die Apperzeption desjenigen, der jetzt seine Existenz und Reflexion - die Folie des introjizierten, »inkorporierten« Spiegels - begründet, sich der Intuition an einer von Reflexen leeren Stelle öffnet, die man nur gewinnt, wenn man die Ausübung der spekulativen Tätigkeit selber aufgibt? Wenn »Ich« sich einer cogitatio specifica enthalten kann - also vermeiden kann, einen bestimmten Gedanken zu denken, aber auch die Aufmerksamkeit auf alle Bilder oder Empfindungen zu richten, die sich in seinem Geist einstellen können —, dann nimmt es sich für einen Augenblick als die Matrix alles dessen wahr, was sich (in ihm) denkt: Surplus der täglichen Wahrnehmung, der ihm bestätigt, durch alles hindurch, jenseits von allem zu sein, was immer ihm anderes als er selbst begegnen mag; ergriffen von »Bewußtsein«, das vom Philosophen fordert, sich einen Pfad, einen Weg zu bahnen, dem er in freier Entscheidung folgt, anstatt sich (durch jene Bilder) ins Wasser tauchen zu lassen, in einen Sumpf von Träumen oder gar Zweifeln, in dem er weder gehen noch schwimmen kann. A fortiori denken. Man darf dem Boden keine Macht der Spiegelung lassen, denn sie könnte die gegenwärtigen Gewißheiten des »Subjekts« in jedem Augenblick ins Wanken bringen. Das repräsentative Fundament muß von jedem Phantom, jeder Phantasmagorie, jedem Glauben oder von noch kindlichen Annäherungen gereinigt werden, die ohne Beweis empfangen, aufgenommen und wiederholt wurden. Von anderen, vom Anderen. »Nein« zu sagen zu allem, wird unabdingbar, um sich zu versichern, daß man wirklich selbst (als Selbst) ist. Andernfalls wird man niemals aufhören, zu zweifeln, was von einem selbst, was vom anderen kommt, was Reflexe der anderen in einem selbst sein könnten. Des anderen in sich, von sich im anderen. Wird man nicht aufhören, am Besitz der Attribute eines jeden zu zweifeln. Unaufhörlich wiederkehrender Verdacht, der jede Tätigkeit lähmt. Da ist es schon besser, seine Implikationen ein für alle Mal zum äußersten zu treiben, um zu prüfen, was daraus folgen würde, und so jene zerstörerische Beharrlichkeit der Frage nach dem Fest-Gegründeten aller Gewißheit zu neutralisieren.
Verallgemeinerung, wenn es sie gibt, rekurriert hier auf den übertriebenen Zweifel, auf das systematische Befragen. Alles kann in Zweifel gezogen werden. Wenn aber »ich« (es bin, der) zweifelt, ist (bin) »ich« (der ist). Die Beziehung des denkenden und sprechenden »Ich« zur Universalität des Seins ist so gesichert. Ohne Zweifel. Doch das »Ich« hat sich wohl gehütet, anzunehmen, vorauszusetzen, daß irgendein anderes »Ich« auch zweifeln könne. Und es hat kaum danach gefragt, ob der andere nicht etwa ein »boshaftes« Vergnügen daran findet, es an allem zweifeln zu lassen. Es ist ein Kind, »infans«, was die Manipulation der Logik angeht, ein wenig erwachsener dagegen in der zunehmenden Sicherheit seiner Identität mit sich. Selbstaffektiver, sich selbst affizierender Solipsismus der Vorstellung, die ihren Machttraum allein in ihrer Kammer ausfaltet, gleichgültig, wenigstens eine Zeitlang, gegenüber dem Rest der/ihrer Geschichte, die sich unterdessen weiterspinnt. Einsam, mit vorsichtigem Negativismus zerschneidet und überarbeitet sie die Bande des »Subjekts« zu seinen Quellen und zu seinem Erzeugungsprozeß. Und wenn das, was sich auf das Werden der Schöpfung bezog, vorher in dem erschien, was als das Besondere der Substanz, als subjectum bestimmt wurde, so läuft es jetzt, in einer Geste kaum denkbarer Kühnheit, darauf hinaus, daß ein einzelnes Subjekt das ganze Universum neu erzeugt, nachdem es sich selbst wieder in die Welt gesetzt hat, entsprechend einem Lebensmodus, der dem entgeht, was man gewöhnlich als Unsicherheit der Existenz versteht. Sind mit dem Bindeglied, dem Band, die Ahnen und die Mysterien der Empfängnis abgeschnitten, dann gibt es nichts außer dem, der in jedem Augenblick auf diese Operation wieder zurückgreifen kann: in einem spekulativen Akt der Verneinung, der ausreicht, seine Autonomie zu bestätigen. Durch ein Verb, das wie durch Zufall - oder notwendigerweise? - auch ohne Objekt auskommen, sich im Absoluten prädizieren kann, natürlich um den Preis von Entbehrung, von freiwilliger Standhaftigkeit. »Reine« Spekulation, in ihrem Prozeß ebenso intransitiv wie »leben« oder »sein«.
Und das ist nur möglich gewesen, weil »denkend an«, ich sich gleichsam schon im Passiv seines Denkens denkt und also im schon Vergangenen seines Denkens, das auf diese Weise die Grundlage der/seiner Vorstellung konstituiert. In einer Relativierung der Cogitationen durch die Beziehung zum Cogitatum, das sie denkt. Das (als) Hier und Jetzt zu bestimmen, was sich repräsentiert, ist in der Tat das Wichtigste. Der Rest folgt. Später. Und wenn man einwendet, daß man zuerst »atmen« muß, um zu denken und also um zu existieren, so wird diese Naivität damit beantwortet, daß es zwar durchaus möglich wäre, daß ich atme, aber solange ich es nicht weiß, kann mir nichts beweisen, daß ich wirklich atme. Also daß ich existiere. Meine Gewißheit, zu sein, wird, wenn sie nicht vorprädikativ sein kann, auf meinen Atem verzichten müssen. Und wenn mein Körper und alle materiellen Dinge und sogar der Himmel, die Erde, ja auch die andern Geister mir die Evidenz entziehen, die ich von ihnen haben kann oder haben möchte, genügt mir meine »Seele«, um in völliger Sicherheit zu leben, und sei es nur, weil sie die Macht hat, alles \u verneinen, auch die Wahrheit dessen, was sie denkt. Selbst wenn sie einer grandiosen Täuschung aufgesessen wäre, das Wissen vom Betrug würde ihr genügen, um in ihrem Sein zu beharren. Wirklich?
Und wenn die Täuschung für das Denken konstitutiv wäre? Nicht so sehr als »Irrtum« über die Entsprechung von Gedanken und objektiver Realität, sondern als Fiktion des Beweises des Gedachten selbst, oder als etwas, das auf dasselbe hinausläuft, so wie das, was jetzt dabei ist, (sich) zu denken. Vorspiegelung von Einheit und Einfachheit des Subjekts: des Cogitans und des Cogitatum. Und wenn es nun genauso notwendig, wenn nicht notwendiger wäre, aus der Tatsache des Denkens auf die Existenz des anderen - und auch auf sich selbst als anderen - zu schließen? Wenn die Introjektion des anderen, die Vermischung mit dem anderen die Voraussetzung meines Denkens wäre, sei es als Gedanke, sei es als Spiegel, in dem ich (mich) reflektiere? Und selbst wenn die Gedanken, die ich vom anderen, von anderen empfangen habe, hier mit einer solipsistischen Geste in Zweifel gezogen werden, die zur Prüfung ihrer Gültigkeit auffordert, so scheint doch die Tatsache, daß der Mechanismus des Denkens und der »denkende Stoff« zwangsläufig von anderen konstituiert sind und von mir angeeignet werden, jenes »Subjekt« in der Behauptung seiner einsamen Existenz nicht zu stören, ebensowenig die Tatsache, daß ich (mich) ohne reflektierenden Schirm nicht reflektieren kann. Diese optischen Betrachtungen werden in gesonderten Traktaten abgehandelt, schon außerhalb der Ontologie.
Dasselbe trifft für die Betrachtungen über die Frau, die Frauen zu. Eine Gynäkologie, eine Dioptrik bilden keinen wirklichen Teil der Metaphysik. Anthroposlogos, dessen Geschlecht man nur in dem erkennt, was er ausschließt, verkennt, ignoriert, und in dem, was in Fußnoten gesagt wird. Und wenn »ich« nur das Denken der Frau dächte? Das Denken des Weiblichen (als Weibliches)? Und es dieses Denken nur auf Grund der Inkorporation der Mutter in die eigene Reflexion zurückholen könnte? Dieser allmächtige Spiegel wird im Selbst-Genügen des (sich) denkenden Subjekts geleugnet, sein »Körper« wird von nun an allein in der Spekulation gespiegelt. »Ich« würde sogar die Sprache vollständig neu erfinden - wenn es könnte -, um ja nicht die einzigen Gesetze, die es als konstitutiv für seine Existenz anerkennt, mit den von seinen Vätern überkommenen zu vermischen, bestätigen sie ihm doch bloß Schulweisheiten, die für seine gegenwärtige Existenz ein für allemal vergangen sind.
Der Bruch mit dem gesamten Erbe macht ihn für alles Denken verantwortlich. In einer Anwandlung von »Skrupeln« stellt er alles in Frage, wobei das Ausmaß der Verallgemeinerung dem entspricht, wovon er sich abschneidet, und ebenso dem, was er zurückweist, weil es nicht wie er selbst (als Selbst) ist. »Dem Wesen nach.« Circulus vitiosus, wo Ursache und Wirkung sich vermischen, in der Erschütterung aller Grundlagen, im Auslöschen jeden Anfangs, im Mißtrauen gegenüber jeder Erinnerung und Geschichte, jeder Einbildungskraft und jeder Sinneswahrnehmung. Denn er bezweifelt sogar den Unterschied zwischen Schlafen und Wachen, zwischen einer quasi foetalen Lethargie und dem aufgeklärten Bewußtsein des reifen Mannes, der er ist.
Es bleibt, daß »ich« denke. Denkt er. Ein »fester Punkt« in den unbeherrschbaren Strudeln. »Ich« denkt, also ist es. Ein Verb, ein verbaler Prozeß dient der Existenz als Prämisse, dient dazu, »das Sein« am Punkt des Ohnmächtigwerdens wieder zu erzeugen. Als ob er in ein tiefes Wasser gefallen wäre, unschlüssig, auf wen oder was er vertrauen könnte. Noch nicht einmal auf seine Gedanken kann er sich verlassen, man weiß ja, daß sie vor der Geburt sehr verworren sind, weil die Seele noch so innig an die Materie gebunden ist, daß sie lediglich Eindrücke von dieser zu empfangen vermag. Aber eine derartige Regression kann und muß verhindert werden, indem man sich hier und jetzt fest an klare und deutliche Ideen hält. Und die erste in der Evidenz ist - in diesem Augenblick -, daß »ich denke«. »Ich« kann noch denken. Kraft dieses Keims, dieses Samens der Wahrheit, dieser Entwicklung eines natürlichen Lichts der Vernunft — von dem ich zumal jetzt nicht fragen muß, woher es kommt und wie es erzeugt wird, um nicht noch einmal und dann für immer ins Unendliche zu fallen - verleiht »ich« sich die Existenz. Ein Wesen, das aus keiner kopulativen Verbindung entstanden ist? Ich (also), die Kopula, ist ohne Kopulation seiner Vorfahren und ohne Verbindung mit ihnen: weder mit höheren noch mit niederen. »Ich« also »ist« ohne »alles«, ohne »wenn und aber«, die in seiner Genese erst dann erscheinen, wenn »ich« als einzige Grundlage seiner Re-Präsentation bereits gesichert ist. Indem es sich selbst objektiviert, sich selbst in einer Wirklichkeit bestätigt, in der alles gleich auf eine Karte gesetzt wird. Eine Wirklichkeit, die er formell und objektiv als denkende Substanz ausweisen kann - auf Anhieb. Er kann zeigen, daß »ich« in demjenigen ist, der denkt, hier und jetzt, ohne jeden Fehler in seiner Beweisführung. Es sei denn, man würde nicht denken. Das freilich ist für einen Menschen unmöglich, mag er ein gemeiner Mann sein, mag er sich geirrt haben. Vom Augenblick seiner Erzeugung an denkt er (sich). Und der Zweifel, der sich schließlich auf das ganze Universum erstreckt, enthüllt ihm den blinden Fleck, an dem er (sich) erzeugt und denkt, ohne es zu wissen, die Dunkelkammer der Repräsentation (der Welt), die gänzlich ohne Bilder, allein durch seine In-sistenz ex-sistiert. Das Auge (der Seele), das von der Mannigfaltigkeit der Spektakel absieht, die sich ihm darbieten oder aufdrängen, wird am Ende als Sehorgan erkennbar. Er läßt den Körper außer acht - und sei es nur für die Erfahrung eines kurzen wissenschaftlichen Augenblicks -, er trennt sich von ihm, um besser sehen zu können, möglicherweise klar und deutlich zu sehen, ohne die Vielfalt an Nervenreizen, die aus allen Körperteilen und aus der äußeren Umgebung störend auf ihn eindringen: Empfindungen, Einbildungen, Erinnerungen, die er durch begleitende aseptische Vorschriften für die chirurgische Zergliederung ausschließt. Der Blick hat von nun an ein »Objekt« einzig durch die bewußte Wahrnehmung, durch die er endlich auch von außerhalb, also selbst nicht mehr einbezogen, in die Szenerie sehen können wird. Ein Blick, der den in ihrer Täuschung verführerischen Reizen der »Dinge« verschlossen ist und, da seine Mechanik analysiert ist, lediglich das verbinden und reproduzieren wird, was man technisch vor ihm anordnet.
Für dies neue »Subjekt«, das sich, hungrig nach wissenschaftlicher Macht, nun wieder in die Welt begibt, muß jedes (andere) Phantasma, jeder (andere) Traum, der die Präzision seines theoretischen Instrumentariums durcheinanderbringt, zu Eis werden, muß jede »Passivität« der noch natürlichen, d. h. unkontrolliert für die Materie empfänglichen Sinne verboten werden, zumindest für die Zeit einer entscheidenden Operation: der unumkehrbaren Einstellung und Definition seines Objektivs. »Ich« denkt, und es wird sein, und ihr werdet sein, was seine photographische Apparatur aus der Ferne herangeholt und objektiviert hat, außer es hätte das Objektiv bis zur unmäßigen Übertreibung geöffnet oder geschlossen, so daß es nichts mehr zu sehen gäbe. Unendlichkeit und Unbestimmtheit eines Makels - trotz allem bleibt ein gelber Fleck -, der den Horizont des Wissens aufs neue bestimmen wird. In dieser asketischen Ellipse des Körpers - fällt das Gelbe jetzt weg? - glaubt er, er habe sein Operationsfeld gereinigt von jedem Schmutz, allem Vermischten, allen Konfusionen: dem Durcheinander von Träumen, Wahn, Leidenschaften, Krankheiten eines beschränkten Verstandes, die man wohl in Rechnung stellen muß, aber erst später. Klar und deutlich. Das »Subjekt« zieht sich zurück in die Position des strengen Verzichts auf den Gebrauch von Sinnlichkeit und Einbildungskraft, von da aus wird es die Welt überwachen, Kapitän eines Schiffes, das seine Bahn in der Unendlichkeit des Meeres zieht, wo nichts anderes mehr die Perspektive bestimmt als die Unbegrenztheit des Nichts-zu-Sehen. So kehrt er also zu sich, in sein Inneres zurück und wird dann erneut aufbrechen, wieder anfangen, sich einen Weg zu bahnen, gestützt auf dieses (quasi) Nichts-Haben. Doch trotz allem »denke ich«, also habe ich das Sein. Umwandlung eines Mangels in einen Machtüberfluß, in eine allmächtige Matrix, die ihn dazu bringt, hellsichtig über dasjenige und denjenigen zu urteilen, dem er das Leben verdankt.
Was also ist dies Meer, in dem er zumindest scheinbar verloren ist, das ihn von allen Seiten überflutet und damit in Gefahr bringt? Nüchtern betrachtet, ist es ein körperlich ausgedehntes Ding. Ungeheuerlich ohne Zweifel. Der Blick, der übersättigte, ertrinkt darin. Aber von dem Punkt aus, an dem seine Existenz jetzt gesichert ist, kann er es unendlich in Stücke zerteilen, es einer Vielzahl von Blickwinkeln unterwerfen, es in einen noch weiteren Raum einzeichnen, um ihm Konturen zu geben: eine Weltkarte. »Ich« kann es einem Ensemble von Maßnahmen unterwerfen, die es in ein Objekt des Gebrauchs verwandeln: ein Transportmittel zum Beispiel. Natur also, die das »Subjekt« immerhin für seine Ortsveränderungen benutzen kann. Im übrigen muß er darauf verzichten, sich von seinen Farben verwirren, seiner Größe faszinieren, seinen Düften, seinen Geräuschen betören zu lassen, es nicht etwa unmittelbar spüren oder gar trinken zu wollen, Impulse, die sich auch für die Erhaltung seines Körpers als Irrtümer erweisen würden. Damit er also, in der Beharrlichkeit seines Willens, der ebenfalls ohne Grenzen ist, diese für ihn letzten Endes zweitrangigen Existenzweisen vernachlässigen kann, um sich an die Analyse des wesentlichen Attributs dieses Meeres zu machen: die Ausdehnung, was ihm auch gelingt, gut ausgerüstet, wie er jetzt ist. selbst wenn er den Akt der Teilung endlos wiederholen müßte. Selbst wenn er diese Brüche komplizieren, sie sogar verdoppeln mußte, wegen der Krümmung der Linien. Feldmesser, der er ist, gibt es in seinen Plänen nichts Verwirrendes mehr, nichts, was ihm seine Stellung in der Kunst der Geo-metrie nehmen könnte, in der er glänzt, indem er sie mit arroganter Gewißheit in immer verwinkelteren Räumen entfaltet, Räumen, die bis jetzt mathematischer Schürfarbeit entzogen und den schwärmerischen Phantasien der Menschen überlassen waren. Das »Ich« denkt; also wird dieses Ding, dieser Körper, der immer auch die Natur, auch die Mutter ist, als etwas Ausgedehntes verfügbar für seine analytischen Forschungen, seine wissenschaftlichen Projektionen, die geregelte Anwendung seiner Einbildungskraft, die utilitaristische Praxis seiner Technik.
»Ich denke« also, freilich um den Preis der Nivellierung jeden Gedankens, der Einebnung aller objektiven Realität meiner Ideen. »Ich« denke, aber an wen? An was? Und, eigentlich, warum? Und wer wird mir zu denken, richtig zu denken geben, in dieser Existenz, in der ich jetzt gefestigt, allerdings auch begrenzt bin? Denn ich bleibe in dieser Existenz voller Begierde nach etwas anderem als meiner bloßen Gewißheit, zu sein. Wer wird mir, und zwar vollständig, zurückgeben oder ersetzen, worauf ich verzichtet habe, um zu sein? Einen festen Punkt, der nicht immer in der Schwebe gehalten werden kann. Auf die Dauer könnte die klare und einfache Wiederholung der Punktualität des Seins ihre Deutlichkeit verlieren und sich unendlich aufblähen zu einer leeren Idee, bis zum Äußersten getrieben durch den völligen Mangel an Objekten, und wäre es bloß eines partikularen. Sie-wird also die kaum wahrnehmbare Plattform meiner Gewißheit bedrohen, wenn ich nicht einen perfekten Gewährsmann für sie finde, dessen Harmlosigkeit mir gegenüber übrigens gerade seine Vollkommenheit garantiert. Was in dem doppelten Sinne zu verstehen ist, daß derjenige, der unendlich vollkommen ist, meiner überhaupt nicht bedarf, um in seiner vollständigen Autonomie zu bestehen, aber sich und mich auch nicht täuschen kann, ohne von der Höhe seines absoluten Wertes herabzusinken. Und mein Wunsch nach diesem Ideal bestätigt mir, daß das, strenggenommen, unmöglich ist.
Ich denke, also ist Gott. Das unendliche Wesen, das der Herausbildung meiner Subjektivität in jedem Augenblick neuen Antrieb gibt und das überdies meiner Aussage die Wahrheit objektiver Realität verleiht, auf die sie in ihren Ideen zielt. Unaufhörlich nährt er die Subjektivität mit dem Brust-Phallus seines allmächtigen Verstandes, der niemals versiegt. Gott ist, aber das »Ich« ist es, das ihm durch den Gedanken jene Essenz und Existenz gewährt, die es von ihm erwartet. In einem vom Verstand angeleiteten Beweis, der den Glauben derer widerlegt, die nichts von der Offenbarung wissen wollen. Aus der grüblerischen Versunkenheit in seine eigene Entstehung ersteht der Sohn am »dritten Tage« wieder auf, als Vater-Mutter nach seiner Idee. Nach seinem Bild? Zugleich verlangt er nach dem Unendlichen, nach Gott. Ihn braucht er aus Mangel einer vollkommenen Existenz, die er also auch nicht wahrnehmen kann, und aus Enttäuschung über ein Subjektwerden, das sich zwar wiederholen läßt, das aber endlos ist, weil es an der Resorption der materiellen Ausdehnung in das Denken scheitert.
Auch den Organismus konnte er nicht vollständig auf und durch sein spekulatives System reduzieren. Was für Spaltungen auch immer man vornehmen mag, man muß ihn berücksichtigen, so undurchdringlich widerständig und undurchsichtig er dem reinen Intellekt bleibt. Dennoch kann »ich« sich seiner mit mehr oder weniger List bedienen. Es nutzt ihn durch Zerlegung in Einzelteile aus, deren Mechanismen, Funktionsprinzipien, Verbindungsketten, Räderwerke und Triebfedern es sorgfältig analysieren wird. Alle wissenschaftlichen Kenntnisse wird es in den Dienst eines Willens stellen, dessen Macht man kennt, dessen Heftigkeit jedoch in Mißbrauch münden kann. Es gehört sich nicht, sich blindlings von irgendeiner Freude, irgendeiner Leidenschaft, irgendeinem Schmerz beeindrucken zu lassen ... Nicht daß sie als solche zu verurteilen wären, doch sie können einen noch konfusen, nicht genügend aufgeklärten Geist irreleiten, der unablässig zur Vernunft gebracht werden muß; andernfalls verspürte er die Beschwerden, die ein bereits amputiertes Glied bereitet - was, man muß darauf bestehen, das Bewußtsein absolut nicht beeinträchtigt-, oder den Durst, der keinem wirklichen Bedürfnis entspricht, oder er brächte gar sein Leben in Gefahr, weil er das Gift nicht entdeckt, das in einer überaus verlockenden Speise verborgen ist, zum Beispiel. Woraus man Gott keinen Vorwurf machen sollte, denn diese Fehler und Täuschungen der Natur des Menschen rühren daher, daß er ein zusammengesetztes Wesen ist, nicht lediglich Seele. Und Gott, der ihn schließlich nicht aus Verwirrtheit geschaffen hat, ist dafür durchaus nicht verantwortlich. Außerdem bleibt er der Hüter jener unveränderlichen Werte der Wahrheit, die wir in uns erkennen, wenn wir Ihm huldigen.
Wie aber sollen sich die »Körper« untereinander verhalten? Am besten durch Erhaltung jedes einzelnen und der Harmonie der Gesamtheit der Teile, in einer, wenn möglich, friedlichen Ko-Subsistenz bei der jeder versucht, die Bewegung sowie die Ruhe der anderen nicht zu sehr zu erschüttern, weder das, was sie dazu bringt, sich fortzubewegen - glücklicherweise besteht die Vollkommenheit darin, durch den Gebrauch des freien Willens die Seele zur Kontemplation der ewigen Wahrheiten zu erheben —, noch das, was sie durch Schwerkraft an der Erde festhält. Die Widersprüche treten offenkundig dann auf, wenn zwei Körper sich aufeinander zubewegen. Wäre es nicht der ideale natürliche Tropismus, wenn sie ihren Weg in gerader Linie, gleichsam im Gänsemarsch verfolgten, indem einer den andern anstieße und so den göttlichen Impuls, der sie ursprünglich bewegt, weitergäbe. Wenn sich also zwei Körper aufeinander zubewegen, muß sofort eine Berechnung angestellt werden, um ihre Geschwindigkeiten und die entsprechenden Massen einzuschätzen und um eine Korrelation zur Richtung ihrer Bewegung herzustellen. Daraus folgen alle Arten von Gesetzen, welche die Kraft und die Qualität des Zusammenstoßes vorhersehbar machen. Das Wichtige ist, daß jeder seinen Weg nach der Ordnung des Universums fortsetzt. So kann keiner den anderen anhalten, sich übrigens auch nicht mit ihm verbinden — und sei es nur, weil sich zwei Körper nicht gleichzeitig am selben Ort befinden können, außer Gott und den Engeln -, sonst spränge der Mechanismus der Welt aus den Angeln. Aber sie dürfen auch nicht, der eine gegenüber dem anderen, einen solchen Abstand halten, daß Platz für die Leere bliebe, die man gleichwohl als mit Körpern angefüllt begreifen muß und die nur deshalb leer erscheint, weil man die Erwartung hat, daß sie mit anderen Dingen gefüllt werden müsse.
Wenn es wirklich Leere gäbe, würde die »Natur« sich von selbst wieder schließen, indem sie die Seiten dieser Spalte gegeneinanderpreßte. Und wenn man mir mit dem Einwand kommt, daß Gott ganz unbemerkt aus einem Gefäß - zum Beispiel - das herausnehmen kann, womit es gefüllt war, es also ohne jeden Inhalt ließe, der die Öffnung seines Halses rechtfertigen würde, dann antworte ich, daß das meiner Konzeption widerspricht und daß es unmöglich ist, daß Gott dem Prinzip der Widerspruchsfreiheit nicht genügt. Das sind indes bereits Antworten auf Phantasien von Einfältigen, die die Eigenschaften imaginärer Räume überhaupt noch nicht bedacht haben. Und die Materie, obschon unendlich ausdehnbar und teilbar - in unzählige, aber aneinandergrenzende Teile, wodurch die Kontinuität gleichwohl erhalten bleibt -, ist in ihrer Gesamtheit aus einem Stück. Und der Raum - in seiner Gesamtheit - ist konstant und unwandelbar, obwohl er in seinen Teilen der Verschiedenheit unterworfen ist. Selbst- wenn dort heterogene Bewegungen zu entstehen scheinen, so muß man sie als notwendig für die Homogenität des Ganzen interpretieren. Genauso verhält es sich mit jenen regelwidrigen Wirbeln und jener subtilen Materie, die folgerichtig in die engen Schneisen hineingleitet, welche durch deren Konfigurationen sich öffnen. Denn alle »Körper« sollen zugleich getrennt sein — jeder besetzt den Raum, der ihm entspricht, ohne daß irgendeine Vermischung untereinander möglich wäre - und nebeneinander gestellt, wie im Funktionsablauf einer riesigen Maschine, in dem jedes Teil die allgemeine Bewegung gewährleistet. Als solche unablässig und andauernd. Und von großer Nützlichkeit.
All das wurde aus der Gewißheit erdacht und rekonstruiert, daß meine Vorstellung der einzig festgegründete Wert sei, das einzige, was mich in dieser Welt, in der alles dauernder Veränderung unterliegt, nicht im Stich lassen kann, wenigstens so, wie sich die Welt mir äußerlich darbietet, aber auch dem zufolge, was die meisten darüber sagen. Ich lebte also gleichsam inmitten von Wirbeln, in einem Erdbeben voller Regellosigkeit, angetrieben von auseinanderstrebenden Bewegungen, ohne jede Ordnung mich hierhin und dorthin wendend, von allen Seiten erschüttert, selbst in meinem Gehirn - das ihr vielleicht anzweifelt, weil es völlig der Herrschaft meines Willens entzogen war -, sogar in meinem Blick, der nach allen Seiten hin abweicht. Daher war es unerläßlich geworden, daß ich mir einen festen Punkt suchte, um alles von Grund auf neu zu beginnen: Ich mußte die Augen schließen, die Ohren verstopfen, mich von allen Sinnen abkehren und in meinen Gedanken die Bilder körperlicher Dinge auslöschen. Dennoch weigerte ich mich, die Alten nachzuahmen, deren Zeit - hier und jetzt - abgelaufen ist, und stützte mich lieber auf die neuen Wissenschaften, die die Erkenntnisweise großartig verändern können. So wurde ich wiedergeboren, frei von den Märchen und materiellen Eindrücken, die den Verstand der Kinder verdunkeln. Und obschon ich mich lange Zeit gefragt habe, ob es sich dabei um einen Traum handele, so weiß ich doch jetzt den Schlaf vom Wachen zu unterscheiden. Und ich schließe daraus, auf Beweise gestützt, daß von einem Traum nicht die Rede sein kann, wohl aber, daß das, was man gemeinhin für Realität hält, meist Fiktion ist, und umgekehrt. Denn die Verwechslung des realen mit dem virtuellen Objekt kann auch bei jemandem fortbestehen, der sich mit den Gesetzen der Optik beschäftigt hat. Außer man denkt, aus einem gewissen Mangel an Großzügigkeit und Achtung vor dem Menschen, daß ein Geist (sich) vorsätzlich täuschen kann...
Aber man wird mir nicht den Vorwurf eines ethischen Fehlers daraus machen können, daß ich von dem blinden Fleck aus, von dem ich - bösartigerweise? - meinen Ausgang genommen habe, hätte sehen können, daß ich bei der Rückkehr meiner Vorstellung in dieser zumindest einer Verdopplung erlegen wäre, die, schlimmer noch, mich und meine Vorstellung auch in jeder anderen Hinsicht verkehrt und entstellt hätte, so zum Beispiel in der Größe. Weil ich toleriert habe, daß die ganze Welt seit jeher von mir verkehrt wahrgenommen wurde und ich infolgedessen gezwungen war, sie ganz und gar dem Zweifel zu unterziehen, wurde meiner Evidenz entzogen, und zwar ohne Möglichkeit des Zweifelns, daß ich in meinem Denken Subjekt bin - »ich« ist Subjekt, in der Verkehrung und durch die Verkehrung selbst. Und deshalb bin ich in Unwissenheit darüber geblieben, daß es in der Umarmung der Wahrheit, die ich mehr als alles begehre, die Unversehrtheit eines Bildes im Spiegel ist, mit der ich mich vereinigen will. Daher bin ich. Endlich allein, Kopula. Ich-Ich* (*Im Original: »Je-moi.« (Anm. d. Ü.)), in einer immer wieder erneuerten Verbindung vereint, einer Verbindung, die ebenso immer wieder verfehlt wird: durch den Spiegel, der uns trennt. Gott aber läßt mich wenigstens hoffen, daß es anders werden wird. Eines Tages.
Und wenn eine solch gute Absicht zufällig Anlaß zum Lachen geben sollte, so wißt, daß die Fähigkeit zu lachen beim Menschen nur eine Eigenschaft vierten Grades ist, so wie nicht die Berührbarkeit und Undurchdringlichkeit den Körper wesentlich bestimmen, sondern vielmehr die Ausdehnung.