Die Szenerie des Schauspiels
- Der Kunstgriff einer Umkehrung. - Das Privileg des Gegenüberliegenden. - Ein Feuer als Bild einer Sonne. - Der vergessene Weg. - Paraphragma/Diaphragma. — Die Vorführung von Scharlatanen. - Ein Zeitverlust? - Eine spiegelnde Höhle.
Zum Beispiel, oder in beispielhafter Weise, könnte man beim Höhlengleichnis wieder anfangen. Um es diesmal als Metapher zu lesen, die — strenggenommen - undurchführbar ist, wie man im Text sehen wird -, als Metapher für die Höhle oder die Matrix, oder hystéra, manchmal - für die Erde. Als Versuch der Metaphorisierung, als Prozeß der Umdeutung, der stillschweigend die abendländische Metaphysik vorschreibt, aber auf nachdrücklichere Weise das, was (sich als) ihre eigentliche Bestimmung ankündigt, ihre Vollendung, ihre Interpretation.
Fangen wir also wieder mit der Lektüre des Höhlengleichnisses an. Sokrates erzählt, daß Menschen - hol anthropoi, unbestimmten Geschlechts - sich unter der Erde aufhalten, in einer Behausung in Form einer Hohle. Erde, Behausung, Höhle und, in unterschiedlicher Weise, Form können als Quasi-Äquivalente der hystéra gelesen werden. Man könnte noch das Sich-Aufhalten hinzufügen, das Verweilen für eine bestimmte Zeit, sogar die ganze Zeit über, am gleichen Ort, das Bleiben in der gleichen Wohnstätte.
Menschen also - ohne Geschlechtsbestimmung - sollen an dem gleichen Ort geblieben sein. Zur gleichen Zeit am gleichen Ort, einem Ort, der die Form einer Höhle, eines Schoßes haben soll.
Der Eingang dieser Höhle wird von einem langen Durchgang gebildet, einem Tunnel, Engpaß, Kanal, der nach oben führt, zum Tageslicht, zum Anblick des Tageslichts, einem Kanal, nach dessen Richtung und Ausrichtung die ganze Höhle strukturiert ist. Das nach oben macht deutlich, daß diese platonische Höhle der Versuch einer Nachbildung, einer Vorstellung ist, die sich an der vorgegebenen Existenz der Höhle orientieren - eine Orientierung, die von bestimmten Umkehrungen abhängig ist, von Drehungen um Symmetrie-Achsen: von unten nach oben, von oben nach unten, von hinten nach vorn, vom Zurückliegenden zum Vorneliegenden, aber auch vom Früheren oder Späteren zu dem, was sich dort, in dieser Höhle, auf der Rückseite befindet. Ein entscheidender Eingriff der Symmetrie - Projektion, Reflexion, Inversion, Retroversion, der einen von vornherein desorientieren wird, sobald man nur einen Fuß in diese Höhle setzt, der einem von vornherein den Kopf verdrehen, einen kopfüber gehen lassen wird. Selbstverständlich hat Sokrates über diese Mystifikation kein Wort verloren. Dieser theatralische Kunstgriff wird durch und für den Eintritt in den Ablauf der Vorstellung verlangt.
Menschen also halten sich seit ihrer Kindheit in dieser Höhle auf. Seit jeher. Sie sind niemals aus diesem Raum oder Ort, aus dieser Topographie oder Topologie der Höhle herausgekommen, wie auch immer - zwangsläufig - die Drehung um Symmetrie-Achsen beschaffen sein mag, die ohne ihr Wissen diesen Aufenthaltsort bestimmt. An Hals und Schenkeln gefesselt, werden sie mit Kopf und Geschlecht nach vorn, in Richtung auf das ihnen Gegenüberliegende festgehalten. Was in der Erzählung von Sokrates nichts anderes als die Rückwand, der Grund der Höhle ist: die Vorstellung einer vorausgesetzten, schon immer gegebenen Existenz einer ursprünglichen Materie und Matrix, die diese Menschen sich nicht vorstellen können, weil sie von Fesseln gehalten werden, die sie daran hindern, den Kopf oder das Geschlecht umzudrehen, natürlich zum Licht hin, aber auch zum Ursprünglicheren, zum próteron*,(*Das Frühere, das Überlegene. (Anm. d. Ü.)) tatsächlich aber zur hystéra. Von Fesseln gebunden, die es ihnen verwehren, sich zum Ursprung zurückzuwenden, und gleichzeitig im Zeit-Raum der Projektion der Vorstellung vom Ursprung gefangen. Köpfe und Geschlechter nach vorn gewendet, zur Frontseite des Projekts, des Prozesses einer Vorstellung von der hystéra. hystéra prótera, angeblich aufgenommen, aufgelöst durch die Bewegung des hystéronpróteron**. (**»Das Spätere ist das Frühere.« Scheinbeweis aus einem selbst erst zu beweisenden Satz. Auch Redefigur, bei der das begriffl. oder zeitl. »Spätere« »zuerst« steht. (Anm. d.Ü.)) Hystéron, dasjenige, was sich hinten befindet, aber auch hystéron, das Spätere, die Zeit danach, das später Kommende. Próteron, dasjenige, was sich vorn befindet, doch zugleich das Vorhergehende, das früher Kommende. Ein Mangel des hystéron***,(*** Zu spät kommen. (Anm. d. Ü.)) das vom próterein**** (**** Zuvorkommen, voraus sein. (Anm. d.Ü.)) durch Fesseln, durch (scheinbar) unsichtbare Ketten künstlich aufrechterhalten wird oder, genauer gesagt, hier jedenfalls, durch das próso*, (* Vorwärts. (Anm. d. Ü.)) also nach vorn, das prósopon**,(** Gesicht. (Anm.d.Ü.)) die Vorderseite, das Angesicht, das Gesicht, die Stirn, das blepein das prósopon*** (***Ins Gesicht blicken. (Anm. d. Ü.)) und, schließlich, durch die prótasis. So wird die Illusion genährt, der Ursprung könne vollständig sichtbar, erkennbar werden, wenn man sich nur umdrehen könnte, ihn in die Reichweite des Blickes bekäme, ihm Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten vermöchte, während jetzt Blick und Angesicht auf hinterlistige Weise vom Ursprung weggewendet, nur einer geraden Linie folgen, nur nach vorn gerichtet sind (und gerichtet werden können): eine durch Ketten verewigte Fiktion des Linearen, der geradlinigen Perspektive, der andauernden Bewegung in eine einzige Richtung. Nach vorn. Eine Höhle, die nicht mit kreisförmigen Bewegungen erforscht, umschrieben, die nicht durch Umsicht eingegrenzt werden kann. Deshalb verharren sie alle am gleichen Fleck - am gleichen Ort zur gleichen Zeit -, im gleichen Kreis oder in der gleichen Arena, im geschlossenen Theaterraum**** (****»Enceinte« = geschlossener Raum, aber auch schwanger. (Anm. d.Ü.)) dieser Vorstellung.
Das einzige, was sie noch tun können, ist, geradeaus zu sehen und das zu betrachten, was sich ihnen zeigt. Weil die Unmöglichkeit, sich umzudrehen oder zurückzukehren zum Ursprung, zur hystéra prótera, sie unbeweglich gemacht hat, sind sie gezwungen, geradeaus auf die Rückwand der Höhle zu schauen - die Rückwand, aber auch die Vorderseite, das »nach vorn« -, dieses metaphorische Projekt des Höhlengrundes, der allen künftigen Vorstellungen als Bühnenhintergrund dienen wird, während Gesichter, Blicke, Geschlechter stets in die richtige Richtung gewendet, immer nach vorn, nach einer geraden Linie ausgerichtet sind. Phallische Richtung, phallische Linie, phallische Zeit, die dem Ursprung den Rücken zukehrt.
Sie sind von Anfang an Gefangene dieses Projekts oder Prozesses der Verschiebung, Verlagerung, Übertragung, Metaphorisierung der hystéra. Das Vorher wird ins Nachher verlegt, der Ursprung ins Ziel, in den Horizont, ins telos, das niemals vorstellbar ist, selbst aber alle schon bekannten oder gekennzeichneten Vorstellungen verursacht, produziert und ermöglicht und das die Gefangenen durch die unaufhörliche Wiederholung der immer gleichen Arbeit der Projektion verstrickt und einkreist: eine Aufgabe, die unerfüllbar, zumindest niemals ganz zu vollenden ist. hystéra, die niemals erscheinen, niemals ein Gesicht haben wird, die sich niemals als solche anschauen, vorzeigen, vorstellen lassen wird. Aber der Plan und Entwurf ihrer Vorstellung - deren Vollendung undenkbar ist - unterstützt, umfaßt, umschließt, konnotiert und überdeterminiert alle Absichten, Ansichten, Angesichter, Erscheinungen, Figuren, Formen, das Vorstellbare wie das Vorhandene. Blindlings.
Menschen also - ohne Geschlechtsbestimmung(?) - sind in der und durch die Verlagerung der hystéra gefesselt, daher außerstande, den Kopf zu wenden, das andere zu drehen, sich umzudrehen, zurückzukehren.
Ein Licht wird ihnen jedoch zugestanden. Es geht von einem Feuer aus, welches in der Ferne brennt, hinter ihnen und über ihnen. Fraglos ein Licht, obschon künstlich und irdisch, von nur schwacher Leuchtkraft, die dem Blick durchaus nicht die besten Bedingungen für das Sehen, das Sichtbare, die Sicht bietet. Seine Entfernung, vor allem aber seine Position im Verhältnis zu den Gefangenen bestimmt auf spezifische Weise das Spiel der Schatten. Ein Licht, das nicht sehr erhellend wirkt. Das nur Schatten, Reflexe, Phantasmen erzeugt, die aber größer sind als die von ihm derart abgebildeten Gegenstände. Durch seine Lage im Verhältnis zu diesen Gegenständen, zu den Gefangenen, zu den Blicken. Dadurch, daß es auf der Erde exponiert ist. Ein Feuer, welches von ferne, hinter ihnen und über ihnen brennt. Wie das natürliche Licht des Tages, der Sonne - von ferne, hinten, oben (zumindest an dieser Stelle) -, jedoch nur eine künstliche, raffinierte Nachbildung im Innern dieser Verlagerung, Verkehrung, Projektion der hystéra. Ein Feuer, das von der Hand des Menschen nach dem »Bild« der Sonne angezündet wurde. Eine topographische Nachahmung, deren Entwicklung als Repetition und Reproduktion freilich immer schon halbiert, aufgespalten, zerkleinert, durcheinandergebracht ist, ohne daß ein Rückbezug auf ein erstes Mal, ein erstes Modell möglich wäre. Denn wenn die Höhle das Nachbild der Welt ist, dann ist die Welt - wie man noch sehen wird - das Nachbild der Höhle: Höhle oder »Welt«, worin alle Dinge lediglich Abbilder von Bildern sind. Denn diese Höhle ist nie etwas anderes gewesen als ein Versuch der Vorstellung, der Nach-Bildung einer anderen Höhle, hystéra, einer Hohlform, die stillschweigend jede Nachbildung vorschreibt, jede mögliche Form, jedes mögliche Verhältnis, auch untereinander, von Formen der Nachbildungen.
In dieser Höhle also, im Innern dieser Höhle, brennt ein Feuer »nach dem Bild« einer Sonne. Doch es gibt dort auch einen Weg, zweifellos nach dem Bild des Kanals, des Engpasses, des Tunnels, der Passage, die hinaufführt - oder vielmehr hinab —, die von der Höhle zum Licht des Tages, zum »Anblick des Tageslichts« führt; Galerie, Futteral, umhülltes Passagen-Gehäuse, das vom Licht des Tages zur unterirdischen Grotte und zu ihrem Feuer führt. Ein Gang, zu dem es im Innern der Höhle ein Gegenstück, von dem es eine Nachbildung gibt, eine in der Höhle verborgene Wiederholung, Wiedergabe, Darstellung jener Passage, die in sie hineinweist und durch die man hinausgelangen könnte. Wiederholung des Weges dazwischen. Zwischen zwei »Welten«, zwei Maßstäben, Modi, Modalitäten von Kopien, Vorstellungen, Auffassungen, insbesondere von der Sonne, dem Feuer, dem Licht, von den »Gegenständen« und von der Höhle. Wiederholung dieser Passage, die weder außen noch innen ist, sondern zwischen dem Zugang zum Draußen und dem Zugang zum Drinnen, zwischen Annäherung und Überschreitung. Passage (und Schlüsselstelle), selbst wenn sie unkenntlich geworden ist, ja, gerade in ihrer Unkenntlichkeit; weil es dies in der Höhle verborgene Gegenstück gibt, begründet, umfaßt und unterstützt sie, auch wenn sie selbst vergessen ist, die Verhärtung aller dichotomischen Gegensätze, aller entschiedenen Differenzen, aller strikten Distinktionen, aller trennenden Unterbrechungen, aller Konfrontationen von nicht zu vereinbarenden Vorstellungen: zwischen der »Welt des Draußen« und der »Welt des Drinnen«, zwischen der »Welt dort oben« und der »Welt hier unten«; zwischen dem Licht des Himmels und dem Feuer der Erde; zwischen dem Blick des Menschen, der aus der Höhle herausgetreten ist, und dem des Gefangenen; zwischen Wahrheit und Schatten, zwischen Wahrheit und Trugbild, zwischen der »Wahrheit« und dem, wodurch sie »verborgen« wurde. Zwischen Realität und Traum. Zwischen..., zwischen... Zwischen dem Intelligiblen und dem sinnlich Wahrnehmbaren. Zwischen Gut und Böse. Zwischen dem Einen und dem Vielen. Zwischen allem Möglichen. Gegensätze, die immer den Sprung vom Schlechteren zu etwas Besserem voraussetzen. Einen Aufstieg, eine Verschiebung (?) nach oben, ein Fortschreiten längs einer Linie. Vertikal. Phallisch? Deren Bahn man aber aus' gutem Grund vergessen hat, auch ihren möglichen Verlauf, den benutzbaren Durchgang, den Über-Gang. Den Tunnel, Kanal, Engpaß.
Vergessene Vagina. Fehlender Durchgang, dessen man sich nicht mehr bewußt ist, Passage zwischen draußen und drinnen, zwischen mehr und weniger, so daß alle Divergenzen letzten Endes auf Proportionen, Funktionen, Relationen hinauslaufen, die man auf ein Gleiches zurückführen kann. Eingezeichnet und vorgeschrieben von einer identischen Einheit, Synthese oder Syntax. Die stillschweigend und unsichtbar alle nachfolgenden Ähnlichkeiten und Unterscheidungen vorschreibt. Selbst dann noch, wenn man das benennen oder darstellen zu können glaubt, wodurch sie verbunden sind: Sonne, zum Beispiel. Oder Wahrheit. Oder das Gute. Oder Vater. Oder vielleicht Phallus? Als Beispiele. Um damit die sogenannten Triebkräfte oder Ursachen der eigentlichen Verschiedenheit zu bezeichnen. Die »Mutter« der Verschiedenheit. Mit anderen Worten: das, was dieses ganze Spiel gewährleistet, vor allem, weil es ganz anders ist. Oder das andere. Doch das, was so die Funktionsweise des eigentlich Verschiedenen sichert, ist dem Spiel der Verschiedenheit(en) fremd, die durch das Vergessen des Engpasses, des Kanals, der Passage schon immer in die Wahrscheinlichkeit und Ähnlichkeit verwickelt war(en). Eine Wahrscheinlichkeit, die nur das (sogenannte) Spiel des Verschiedenen gestattet, das am Selben gemessen wird. Eines Verschiedenen, das der Analogie, verschiedenen Analogien untergeordnet ist, die im nicht darstellbaren, unsichtbaren Verlagerungsprozeß der hystéra kenntlich werden. Im Rahmen dieses den Horizont einkreisenden, einengenden Versuchs, die hystéra zu metaphorisieren, spielt der Tanz des Verschiedenen sein trügerisches Spiel, wobei es gleichgültig ist, wie die Bezugspunkte beschaffen sind, das Außen, das »Aus-dem-Spiel«, das »Außer-mir«, die man annimmt oder (vor-)gibt, um sie einander anzunähern, sie zueinander ins Verhältnis zu setzen, sie zu metaphorisieren. Denn die Metapher, die Transposition, die Verschiebung werden durch das Unkenntlichwerden der Passage, des Engpasses, des Übergangs schließlich wieder in eine Matrix der Ähnlichkeit, der Verwandtschaft eingeprägt. Nachdrücklich. Als das Selbe wie die Höhle, als selbe in der Höhle, als das Selbe wie die Übertragung der Höhle. Das Selbe wie die Kopien und Reflexe, die in der Höhle sichtbar werden. In der der Mensch - ho anthropos* (* Der Mann, der Mensch. (Anm. d.Ü.)) - unbestimmten Geschlechts, ein Neutrum, wenn man so will (togenos?)**, (** Das Geschlecht. (Anm. d.Ü.)) aber nach vorn orientiert, aus dem Prozeß des Selben nicht heraustreten kann, auch wenn er sich als Ähnlicher re-präsentiert oder reproduziert. Weil er seit eh und je von der Wiederholung gefesselt ist. Alles spielt sich zwischen Wiederholung und Vorstellung oder Nachbildung ab. Zumal die als Gegenwärtigkeit bezeichnete Vorstellung oder die als Vorstellung erscheinende Gegenwärtigkeit ihn vergessen läßt, ein anderes Vergessen, das aber doch dasselbe ist, aus dessen Boden es (und sie) hervorgeht. Und das Aufdecken der sogenannten Gegenwärtigkeit ist nichts als der Beginn eines weiteren Traumes, der immer derselbe ist, selbst wenn er im Sichtbaren Bestätigung findet, selbst wenn man ihn mit offenen Augen, am hellichten Tag fortsetzen kann und Beweise für seine Objektivität oder Objekthaftigkeit findet. Ein Traum des Selben oder vom Selben, der uns veranlaßt, vorzustellen oder zu folgern, oder zu deduzieren, daß der Engpaß, die Passage, der Kanal, ob vergessen oder unkenntlich geworden, nichts anderes sein können als das selbe Geschlecht. Umgekehrt oder verstümmelt. Nur als Beispiele. Ohne sich bis zu der Annahme zu versteigen, daß es sich unter Umständen um den selben, jedoch zugleich anderen Spiegel handeln könnte. Einen Hohlspiegel vielleicht? Um einen anderen und den selben Spiegel zu spiegeln. Einen konvexen? Aber das würfe einige Probleme auf. Mit dem »Gegenstand« der Reflexion, mit den Klippen des Verschiedenen, mit einer unvorhergesehenen Verschiebung der Brennpunkte. Die man dazu nutzen könnte, neue Verschiedenheiten zu produzieren, während man gleichzeitig einen alten Traum von Symmetrie weiterträumt, den man erst recht verwirrend macht, indem man seine Wirkung zu berechnen, vorherzusehen beginnt. Indem man erneut den Spiegel oder die Spiegel, die - und daran muß man (sich) erinnern - eins unter vielen Mitteln der Wiederholung sind, einschiebt. Eine bestimmte Vorstellung der Wiederholung. Fraglos eine bevorzugte, die die Interpretation noch nicht gänzlich auf den falschen Schein eines nicht vorstellbaren Begehrens des Selbst reduziert hat.
Aber das hieße, der Geschichte und auch der Erzählung von Sokrates vorgreifen, der alles schon so kombiniert hat, daß die Dinge ablaufen, wie es sich gehört. Er, der zuverlässige Führer, führt auf einen abgesteckten Weg, eine schon bekannte und anerkannte Methode. Überraschungen oder Unebenheiten sind nicht zu befürchten. Er geht noch einmal - allerdings verkehrt herum und mit einer gewissen Ironie - durch einen Parcours, dessen Ausgang er bereits festgelegt, dessen Hindernisse er längst beiseite geräumt hat. Man geht dabei kein Risiko ein, außer vielleicht dieses: sich am Ende auf subtilere Weise beherrscht zu sehen als am Anfang. Gedoubelte Szenen eines Schauspielers, den man selbst noch bestärkt.
In dieser Höhle gibt es also einen Weg zwischen dem Feuer und den Gefangenen, ein im Innern liegendes Gegenstück zu jener Szenerie des Kanals, des Engpasses, der Passage zum »Anblick des Tageslichts«, einen Weg, der der Topographie des anderen Weges entspricht, und der von einem Feuer überstrahlt wird, einem Feuer nach dem Bild der Sonne, einer Sonne. Längs dieses Weges, der auch ein Gefälle hat, ist eine kleine Mauer - teichion* (*Kleine Mauer, Mäuerchen. (Anm. d.Ü.)) - gebaut worden, die die Straße, den Weg, den Durchgang versperrt. Ein vom Menschen errichtetes Mäuerchen, das man nicht übersteigen, überqueren, durchbrechen kann, das trennt und abteilt, ein Zugang zur anderen Seite ist nicht möglich: teichion, dessen Diminutiv »i«, der gewöhnlich mit klein, nicht hoch übersetzt wird, auch als dünn, leicht interpretiert werden kann, also nicht zu vergleichen mit den dicken Mauern, die beispielsweise eine Stadt umschließen. Die Mauer einer privaten, persönlichen Wohnung: teichion. Eine Mauer, die von Platon übrigens mit einem Vorhang, einem Schleier verglichen wird - hosper tá paraphrágmata**. (**Wie ein Vorhang, wie eine Schranke. (Anm. d.Ü.)) Eine kleine Mauer »wie« ein Vorhang, oder ein Vorhang »wie« eine kleine Mauer? Durch welchen Referenten wird hier die Analogie bestimmt? Man kann das nicht leicht entscheiden. Mauer-Vorhang, hinter dem das Taschenspieler-Kunststück des Scharlatans verschwindet; durch einen Kunstgriff dazwischengestellter Mauer-Vorhang, der den Weg versperrt. Schlau und künstlich von menschlicher Hand verfestigt. Mauer-Vorhang, der den Menschen, nachdem sie diese Absperrung errichtet haben, den Zugang zur Tiefe der Höhle verwehrt. Und der hier als Bühnenhintergrund der Vorstellung dient.
In der Höhle von Platon - von Sokrates - gibt es einen künstlichen Mauer-Vorhang - das Gegenstück, das Nachbild, die Darstellung eines ansonsten heimlich unterschlagenen Hymens —, der niemals durchquert, geöffnet, durchdrungen, durchbrochen, zerrissen wird, der aber schon immer halb geöffnet war. Die Vorstellung von Zerbrechlichkeit, Feinheit, sogar Transparenz, die das Diminutiv teichion erweckt, und vielleicht auch der Vergleich mit einem Vorhang haben keine Folgen oder Auswirkungen für die Unverletzbarkeit dieser Zwischenwand — einer Fassade im Innern, die die Gegensätze zwischen Außen und Innen zwar unendlich verfeinert, aber auch umkehrt.
Auf der einen Seite gehen also Menschen vorüber, gehen frei hin und her, so könnte man glauben, könnten sie selbst glauben, abgesehen davon, daß sie nicht weiter in die Höhle hineingehen können. Auf der anderen Seite, der Rückwand der Höhle gegenüber, sind Gefangene gefesselt — in einer Nische, die durch diese Rückwand ebenso fest verschlossen ist, wie der Mauer-Vorhang intakt bleibt, sie sind gefesselt, sie stehen mit dem Rücken zum Feuer, zur Barriere, zu den Menschen, die sich dahinter bewegen, und zu den Instrumenten ihrer Zauberei, mit dem Rücken auch zum Ursprung, zur hystéra, denn die Höhle ist nichts als deren Umkehrung, ein Versuch ihrer bildlichen Darstellung. Bruchlos. Fiine Gefangenschaft, gegen die diese Menschen sich nicht wehren können, die sie nicht gewahren können, weil sie auch durch andere - andere und doch gleiche - (Bilder von) Ketten daran gehindert werden, sich umzudrehen, zurückzukehren zur Öffnung dieser Höhle, hinter ihre Topographie zu kommen, hinter ihr täuschendes symmetrisches Projekt. Bedingung a priori für die Illusion, von der diese Pantomime inspiriert und strukturiert ist. Eine fiktive Vorstellung der Wiederholung, die zu nichts weiter führen kann und führt als zur Kontemplation der Idee, der ewig unwandelbaren.
Ketten also hindern die Gefangenen daran, sich umzudrehen, zurückzukehren zum Eingang der Höhle, aber auch zum Ursprung. Und zur Sonne, zum Feuer, zum Weg, der dort hinaufführt, zum Mauer-Vorhang, zu den Menschen, die sich hinter ihm bewegen, und zu den »Gegenständen«, mit denen sie ihre Kunststücke vollbringen. Das alles ist hinter ihnen, nicht sichtbar, dem Blick entzogen, aber trotzdem (könnte man sagen) innerhalb des Tropismus. Was nicht nur Permutationen hervorruft, sondern auch Verwirrungen über die Funktion, das Funktionieren dessen, was dort hinten ist. Unsichtbar.
Dort hinten also sind Menschen, in zweifacher Hinsicht: hinter ihnen und hinter der Zwischenwand. Dieses Zweifache kann allerdings nicht in zweimal eins aufgespalten werden, denn die Teilung durch die Zwischenwand in der Höhle kann und wird niemals überschritten werden.
Zwischen den Gefangenen und jenen Menschen, die sich dort hinten befinden, findet eine Art von Vorführung statt, vorausgesetzt, man kann sich vorstellen, daß man die »kleine Mauer« oder den Vorhang, die ansonsten unüberwindlich sind, überragen kann, sich über sie erheben kann. Daß man über sie erhaben ist? Dieses Zur-Schau-Stellen kann über die Mauer hinweg stattfinden, wenn die »Gegenstände« hoch genug emporgerichtet werden. Die Mauer soll jedoch nicht sehr hoch gewesen sein. Durch solche Begriffe der Vertikalität übersetzt man jedenfalls gewöhnlich das Diminutiv »i« in teichion, möglicherweise auch das hosper tá paraphrágmata. Also kommt man über die Mauer hinaus. Nicht wirklich. Man wird nicht hinüberklettern, nicht sie überspringen. Die Menschen, die »Körper« der Menschen werden hinter diesem Schutzschirm bleiben. Doch sie können irgendwelche Symbole, Abbilder, Fetische ihrer »Körper« oder der Körper anderer Tiere, anderer Lebewesen über diesen Schirm hinausragen lassen, wenn sie sie hoch genug aufrichten; irgendwelche emblematischen Standbilder ihrer Körper oder der Körper anderer lebender Tiere. Der Schatten dieses aufgerichteten Bildes ihres Körpers, der von dem Feuer erzeugt wird, das hinten und oben brennt, zeichnet sich dann auf der hinteren Wand der Höhle ab, einem Projektionsschirm in diesem Fall. Zwischen diesen zwei Schirmen, wobei das zwei nicht zweimal eins ist - der Schirm, der etwas wiedergibt und vervielfältigt, kann nämlich nicht mit dem zusammengezählt werden, der etwas verbirgt und abtrennt -, zwischen diesen zwei Schirmen sind die Gefangenen Teilnehmer und Teil des Schauspiels.
Ohne ihren leider wenig aufgeklärten Blick, der durch das, was vor ihnen ist, fasziniert und in Bann geschlagen wird, würden die projizierten Schatten, Reflexe, Phantome den Reiz ihrer Erscheinung verlieren, die Wirksamkeit ihres Vermögens, Phantasien hervorzurufen. Schatten, die entstehen, wenn der Feuerschein von einer durch ihre düstere Verdoppelung unsterblich gewordenen Symbolfigur, von Menschen aufgefangen wird; ihre wunderbaren Trugbilder, diese täuschend ähnliche morphologische Hochstapelei über einen Schirm-Horizont hinauszuheben. Unsichtbare Zauberer, spitzfindige Nekromanciers, die sich zum größeren Ruhme ihrer Schattenbilder selbst verleugnen und so ihrem Publikum den Scharfblick rauben, ihn verdunkeln, ihm Gewalt antun, es durch ihre Vorführungen blenden. Sandmänner, die in der unbestimmten Beleuchtung der Mitternacht heimlich am Werk sind. Sonnen-Masken. Aber sie selbst sind durch einen undurchsichtigen Vorhang von der Szene getrennt. Vor denjenigen versteckt, die sie bezaubern, und deswegen außerstande, ihre eigenen Kunststücke, die Wirkung ihrer Zauberkünste zu betrachten, so daß ihr Scharfblick hinter den Kulissen sich darauf konzentriert, ihre Nachbilder bis zu täuschender Echtheit zu verfeinern. Trügerische Attribute, die das Licht des Feuers - Bild der Sonne? - verfinstern, das den Umriß ihrer Schatten auf der Rückwand der Höhle nachzeichnet. Durch ihre Reflexe verdoppelte Doppelungen, die dem (und den) Wuntertäter(n) entgehen.
Die Täuschung dabei ist mindestens dreifach. Man sollte diese Zahl eine Zeitlang festhalten oder vortäuschen. Drei, die selbstverständlich nicht als dreimal eins interpretiert werden kann. Der Zauberer, dessen zurückgezogene und/oder hinterhältige Position allein schon eine Analyse seines Abstandes verdient, läßt sich von den Instrumenten seiner Macht vertreten, die mit der angeblichen Angemessenheit ihrer Ausführung betrügen, ködern. Schon beginnt der Blick sich in ihnen zu verlieren. Diese vorgetäuschten Gestalten, die das Licht, die Voraussetzung für genaues Sehen, abfangen, verdoppeln sich durch ihre Schatten. Die Täuschung wuchert fort. Projektionen, Reflexe, Trugbilder... Aber von wem? Von was? Auch von den Gefangenen, die sich zwischen dem Feuer und der Fläche befinden, die die Bilder reproduziert? Das Spiel mit dem Schein funktioniert nur allzu gut: Er pflanzt sich ganz von selbst fort. Die Protagonisten verpassen ihren Einsatz. Keiner weiß mehr, welche Rolle er spielt, wer der Täuschende und wer der Getäuschte ist, wem oder was man die Projektionen zuschreiben soll. Komparsen, Komplizen einer Täuschung, die sich von selbst verewigt und deren immer schon zurückliegende, vorhergehende Ursache bis ins Unendliche zurückreicht, während die Zukunft von undurchschaubaren Projekten verdüstert wird.
Auf der vorgeblichen Bühne der Vorstellung indessen werden Menschen dargestellt, mindestens zwei (aber zwei ist hier offenbar nur eine Summe — von der der eine und/oder der andere nur eine Hälfte bildet -, aber welche Hälfte, die Hälfte wovon?, wenn die Hypothek des Unternehmens von nun an nicht mehr teilbar ist, sondern im gemeinschaftlichen Eigentum liegt) — zwei Menschen, halb geblendet, halb verborgen-geschändet-beraubt, halb bereitwillig beteiligt; zwei Menschen, zweimal zwei (machtlose?) Hälften von (einem) Menschen in der soundsovielten Potenz halten den Prozeß der Mimesis aufrecht, von der einen und von der anderen Seite eines Mauer-Vorhangs aus, an dem ihre listigen Kniffe scheitern. Einer Fassade, die die Gegensätze außen/innen in diesem symmetrischen, abgeschlossenen Theaterraum endlos wieder verdoppelt, teilt, umkehrt.
Trennende Eingriffe, die man und mit denen man immer wieder spielen kann, die man sich immer wieder vorspielen kann, um einer von Beginn an ausgehöhlten Position neue Bedeutung zu verleihen. Um den anderen völlig sinnlos um die günstigere Position zu bringen. Wobei man aussichtslos und schwindlerisch auf Nichts setzt. Und damit die listig verdrehte, verkehrte Höhle von Platon - von Sokrates — durch immer weniger einlösbare Hypotheken ruiniert wird. Sokrates, dem man trotzdem nicht ohne weiteres sein Spielgeld wegnehmen kann, selbst wenn man mit imaginären Zahlen rechnet. Denn in dieser Höhle sind die Kunstgriffe zahlreich, und sie lassen sich niemals schlicht gegeneinander aufheben oder zusammenzählen oder miteinander multiplizieren, obschon ihre vielfältigen Interventionen die Wirkung der Eindrücke verstärken und ihnen Glaubwürdigkeit verleihen. Doppelzüngigkeit, bei deren vielschichtigen Operationen immer wieder der Übergang vom Imitierenden zum Imitierten, von der Gegenwart zur Vergangenheit unterschlagen wird. Blind machende Täuschung.
Und Zeitvertreib. So werden die Wiederholungen des Ursprungs und der Ursprung der Wiederholung in ihrer symmetrischen Nachbildung - der hystéra von Platon - nur scheinbar gestoppt. Die Wiederholung wird in der Vorstellung nicht ohne Extrapolation zum Stillstand gebracht. Die Bestimmung des Selben tritt in ihr zwar zurück, bleibt aber bestehen und behält einen Vorrang, der alle Nachbildungen bestimmen wird, ohne sich jemals in ihnen zu erschöpfen. Es bleibt stets ein Überschuß. Als Ergänzung - Hilfsmittel des Seins - jeder künftigen Rückkehr. Für die Zwischenzeit.
Doch genauso wird hier auch die Zeit in der Schwebe gehalten. Die fiktive Übereinstimmung der Kopie mit dem Menschen macht seine Attribute unsterblich, so daß sie sogar die Sonne verdunkeln und sie übertreffen, die doch den Kalender rhythmisiert: Tag und Nacht, Jahreszeiten, Jahre. Die sich gleich sind und doch verschieden, verschiedene Wiederholungen des Selben. Fetische und Gespenster sind es also, die sich die tote Zeit streitig machen. Und den Schatten. Dürftige Gegenwart einer versteinerten Kopula, in der eine hohle Aussage festgehalten wird. Und es dürfte Mühe bereiten, ihr Prädikat (ihre Prädikate) auf den- oder diejenigen zu beziehen, denen sie zustehen. Auf zweifache Weise tot. Was übrigens durchaus keinen Besitzanspruch begründet, da diese Verdoppelung natürlich nicht zweimal einem Toten (einer Toten) entspricht, sondern vielleicht ein Versuch ist, das abzutrennen, sich von dem abzugrenzen, was man Tod nennt. Eine Lücke zu sprengen zwischen zwei Toten, eine Trennung durch einen toten Zwischen-Raum. Ein Bruch in einer toten Höhle, einer Höhle des Todes. Ein Eingriff, der - notwendig — auf gemeinschaftlichem Eigentum beruht.
Das ist noch nicht alles. Durch die Wiederholung des Weges in der Höhle, dieses Weges, der es ermöglichte, aus ihr heraus und in sie hinein zu gelangen, Annäherung und Überschreitung der Höhle, wird das Kommen und Gehen ihrer Benutzer, der Rhythmus ihres Öffnens und Schließens blockiert, werden verschiedene und doch gleiche rhythmische Intervalle und Frequenzen unterdrückt und ausgeschlossen. Die Funktionen des Weges und der Zwischenwand können von den künstlichen Nachbildungen in der Höhle ganz sicher nicht übernommen werden. Denn die künstliche Öffnung durch eine Division/Multiplikation verewigt, bestärkt und bestätigt uneingeschränkt den Vorgang der Verdrehung und Verkehrung der Höhle, unterstützt die Betrügerei ihres symmetrischen Projekts und die Abgeschlossenheit ihrer Vor-Stellung, die sich immer in der Höhle abspielt Dabei wird das Verfahren der Aufteilung gekennzeichnet und bestimmt, über ihre möglichen Auswirkungen spekuliert, es wird versucht, die Spaltung, die Barriere im voraus einzuschätzen um sie zum eigenen Vorteil gebrauchen zu können. Manchmal, indem man auf sie hinaufsteigt - oder sie eskaliert. Aber immer innen weil alle Eingriffe den Durchbruch hinausschieben, um den man sich ohne Aussichtht auf Erfolg bemüht. Denn der Mauer-Vorhang, wird undurchdringlich bleiben. Und das paraphragma wird ein bestimmtes diaphragma* (*Zwischenwand, Scheidewand. (Anm. d.Ü.))niemals zuverlässig ersetzen können.
Man verliert wirklich (die) Zeit bei diesem Schauspiel, das sich als Propädeutik der Erinnerung ausgibt, freilich nicht ohne aus dem Takt zu geraten, das ist richtig. Denn die Lücken, Sprünge, Risse - des diaphragma zum Beispiel - oder die Mängel, Fehler - des
hystérionn - müssen ebenfalls beachtet und mitgezählt werden. Vor allem durch die Erinnerung. Das heißt nicht daß sie dargestellt
werden oder vorstellbar wären, sondern nur, daß sie noch in ihrer Unkenntlichkeit und ihrer Einschränkung die Struktur dieser
Vorstellung prägen, die in dem Begriff enthalten ist, der ihr Ziel, ihren höchsten Nutzen bezeichnet: a-litheia** (**Die Wahrheit, das Unverborgene. (Anm. d.Ü.)) ohne Vergessen, ohne den Schleier des Vergessens. Altheia, deren Konstitution durch die Negation man nicht vergessen darf. So beherrscht das Ausgestoßene - man nennt es in anderen Zusammenhängen auch den Knecht, das Verdrängte - unwiderruflich selbst noch den Text, durch den seine Ausschließung bestätigt wird. Man braucht nur seine Überdeterminierung in Frage zu stellen, die Figuren, Formen, Zeichen zu entlarven, die seinem gegenwärtigen Zusammenhang Halt geben.
Was niemals ein einfaches Unternehmen ist und es hier noch weniger als sonst sein kann, wegen der vielschichtigen Beziehung dieser Szenerie zum Ursprung. Ein Theater, Text, der seine Perspektive noch nicht reflektiert hat, in dem die Eigentümlichkeiten des Auges, der Spiegel - man könnte auch sagen: die des Abstandes, des Zeit-Raums, der Zeit - auseinandergerissen, zergliedert, zerstückelt werden, um schließlich, ohne besonderen oder eigentümlichen Gesichtspunkt, in die Kontemplation der Wahrheit der Idee verlängert zu werden. Die ewig gegenwärtig ist. Postuliert durch die Kluft, das Hin- und Hergerissensein zwischen dem »amorphen«, aber beharrlichen Frühersein, der Vorzeitigkeit der hystéra, dem unvorstellbaren Ursprung aller Formen und jeder Morphologie einerseits und der blendenden Faszination der Sonne - dem Bild des Guten - andererseits, deren unmittelbarer Anblick die Bedingung dafür ist, richtig zu sehen, das Gute zu erkennen. Als mit sich selbst identisches, sich selbst immer gleiches eidos* (*Form, bei Platon aber auch Idee, Begriff. (Anm. d.Ü.)) sichert sie die Identität der Wiederholung, die Beständigkeit des Wiederholt werden-Könnens; zugleich, durch einen dialektischen Kunstgriff, auf den man noch wird zurückkommen müssen,ist die Matrix - vorhergehend, zurückgekehrt, umgekehrt - selbst Ursprung und unsichtbare Ursache jeder adäquaten Wahrnehmbarkeit. Für das sterbliche Auge des »Körpers« nicht wahrnehmbar, ist es gleichwohl ein Licht der Evidenz, das von vorn und von oben, in vertikaler Linie kommt - Phallismus im Quadrat? -, ein Licht, durch das jeder Blick gelenkt werden muß, wenn er den wirklichen Scharfblick behalten will, die richtige Beurteilung des »Seienden«, eine gerade und wahre Richtung: die orthótes**. (**Die Richtigkeit, gerader Weg, aufrechte Haltung. (Anm. d.Ü.)) Eine harmonische Konstellation und darüber hinaus auch Vereinigung der hystéra und der Sonne in einer Ekstase der Kopula. Eine unsichtbare und unteilbare Idealität, deren Teile man durch bloße Betrachtung niemals (wieder) wird unterscheiden können - Ursache und Angelpunkt der Geradheit des Blickes, schließlich seiner Umkehrung. Ein Wesen, eins, einfach, unteilbar, unveränderbar, beständig. Eine abgeleitete - sublimierte? - Wiederholung einer unauflösbaren Urszene?
Dort jedoch in der apaideusia***, (*** Unwissenheit, Mangel an Bildung. (Anm. d.Ü.)) der Höhle, muß man das Zerlegen des Seins in seine Abkömmlinge, Kopien und Trugbilder erdulden. Die das Sehvermögen zerstreuen und zersplittern. Durch Spiegel. Durch Blicke »wie« Spiegel. Die nicht von vornherein zerbrochen sind und einen Bruch ausdrücken, sondern in scheinbar zu analysierende Eigentümlichkeiten zerfällt und aufgeteilt werden, um als solche bis zur höchsten Potenz summiert und multipliziert zu werden: der Einheit!
Ein knochiger, ausgehöhlter Kreis also, der das Auge enthält. Eine umgekehrte Augenhöhle, in die sich der Blick vergräbt, in die er gebannt ist. Projektionssphäre der hystéra prótera: der von Platon verkehrten und nach rückwärts verlagerten hystéra. Einfriedungsmauer, umgewendete Schleier-Hülle der ursprünglichen blinden Gefangenschaft, zur Arena und zum Bühnenhintergrund der Vorstellung geworden, zur passiven Netzhaut, zum nervenlosen Netz, zur einfachen, gekrümmten Oberfläche, die Licht und Schatten reflektiert. Zum undurchsichtigen Rückspiegel. Abgestorben. Ein Horizont, der das Licht und den Blick hemmt. Zwar begrenzt er das Schauspiel, aber er sichert auch durch Reflexion dessen, was hinten geschieht (geschehen ist), die Reproduktion. Mit der abgebildeten Figur, dem Trugbild fängt er den Zauber auf, der vom Phantasma ausgeht, die Wirkung, deren Zusammenhang mit der Ursache den Gefangenen vorenthalten wird, die zwangsläufig von dem fasziniert sind, was vor ihnen liegt, ein Zusammenhang, der aber auch den Thaumaturgen selbst entgeht, die von ihren Kunststücken durch einen Schirm getrennt sind, der die Rückseite des Spiegels oder der Spiegel bildet. Eine Scheidewand, die gegen alles Flüssige hermetisch abgedichtet ist. Paraphragma, auf dem von keinem Stoß nachträgliche Wirkungen zurückbleiben. Fiktion, fiktive Spaltung von Vorher und Nachher, von Ursache und Wirkung. Ein Versuch, durch Teilung und Verdoppelung die Ereignisse unter Kontrolle zu behalten. Durch Trennung, Zergliederung. Eine Operation, bei der sich Teilstücke und Überreste schnell vermehren. Grenzenlos. Der Projektionsschirm begünstigt (nichts als) die Erzeugung des Nachbildes, des Nachbildes des Nachbildes. Grenzenlos. Indem der Schirm, der versteckt, trennt, schützt, durch Projektion - von überflüssigen Überresten - phantasmatische Derivate auf den Schirm zurückfallen läßt, der reproduziert, multipliziert. Gut genug, um verblendete Blicke zu verwirren, während von der Klarsichtigkeit heimlich, hinter den Kulissen Gebrauch gemacht wird. Zweimal zwei halbe Blicke. Gebannter Blick/flüchtiger Blick.
Das paraphragma ist außerdem ein Augenlid. Aus Stein. Ein stets geschlossener Vorhang, der sich niemals auch nur einen Spalt breit öffnen wird. Eine mineralische, anorganische Membran. Totes Gewebe, wie diejenigen, die diese Szenerie eingrenzen oder aufteilen; die diese Vorstellung listig organisieren. Harte Membrane, die durch das »Wie« oder das »Als ob« der Erinnerung, der Vorstellung erstarrt, zu Eis gefroren wurden. Die von der und durch die - natürlich verschleierte - Vermittlung eines gewissen Speculums konstituiert werden. Alles Seiende ist hier innerlich schon beschädigt. In sich verschlossen und vertieft in eine spiegelnde, reflektierende Intuition. Reflexionskraft einer Intuition, die ihre Perspektive weder reflektiert noch als Intuition der Reflexionskraft interpretiert hat. Weil sich bei dieser Höhlenkunde kein Spiegel dem Blick, der Entzifferung darbietet. Voraussetzung für die Wahrheit des Schauspiels.
Diese Höhle nun ist selbst und in sich selbst ein Speculum. Höhle der Reflexion. Glänzend und spiegelnd spiegelt sie die Nachbilder der Derivate des Seins. Durch sie wird der Schauplatz der Repräsentation der Vorstellung, wird die Welt in der Vorstellung, vergrößert, erweitert, geschickt genutzt. Durch die bloße Einführung des Speculums in Mulden, Sphären, Kreise, Kammern, abgeschlossene Räume gegliedert. Natürlich ein abortiver Eingriff. Allein die Reflexion reicht aus, um weitere Aborte hervorzurufen. Ergebnisse einer Verschmelzung des Früheren mit dem Späteren, des Vorhergehenden mit dem Nachfolgenden, dem Nachträglichen. Diese Höhle unterbricht die Spiele der Kopula und übersetzt sie in eine Nachahmung der Fortpflanzung - wobei das Bild der Sonne in irgendeinem Bildnis der Höhle etwas Ähnliches wie Abkömmlinge erzeugt. Eine Nachahmung, durch die sie unwiderruflich und unwiderbringlich verhindert werden, die aber die Täuschung erzeugt, sie würden mit Hilfe und aufgrund einer Art von Anamnese bloß aufgeschoben. Doch tatsächlich ohne Möglichkeit zur Rückkehr. Weil die Erinnerung schon immer in ekstatischer Kontemplation der ewig gegenwärtigen Idee bestanden hat. Zielpunkt oder Fluchtpunkt, toter Punkt, der diese Propädeutik beherrscht. Vorrang ohne genealogische Kontiguität. Ein nicht zu umschreibender Bereich, der wie ein Gestirn alle Formen der Nachbildung, jede mögliche Beziehung zwischen den Formen der Nachbildung lenkt und sie zugleich überwältigt, anpaßt und erstarren läßt. Der das Schauspiel, den Dialog, die räum- und zeitlose Sprache seiner glänzenden Extrapolation umfaßt und begrenzt, aber zugleich heimlich wie einen Abgrund öffnet, dessen Reinheit bei jedem Schritt oder Buchstaben oder Blick blendet. (Angeblich) noch jungfräuliche Matrix der Gegenwart. Entzücken über das, was noch nicht gespiegelt, gesehen, gemessen ist. Oder jedenfalls über das, was so erscheint oder erscheinen könnte. Vorspiegelung des Projektionsschirms, der die Vermittlung durch Spiegel verdeckt, die ihn »als solchen« schon immer hervorgebracht und ins rechte Licht gerückt haben.
Aus diesem Grund bleiben sie alle unbeweglich in dem abgeschlossenen Raum, erstarrt in der Haltung von Gefangenen, die sie darstellen, zu Eis erstarrt durch die Wirkungen der Symmetrie, die ohne ihr Wissen dieses Theater der Wieder-Erinnerung bestimmen, das die fesselnde und lähmende Illusion der Adäquatheit von erinnerter Vorstellung und Wiederholung (des Ursprungs) aufrechterhält. Und sie werden durch die Faszination dessen in Spannung gehalten, was sie vor sich haben. Durch das Trugbild dessen, was sich hinten abspielt oder abgespielt hat, und dessen Projektion, Inszenierung sich als unmittelbare Wirklichkeit, Präsentation ausgibt, verbirgt die Struktur das Vorher und Nachher. Verhindert eine Wechselwirkung in den Beziehungen zwischen Wiederholung und Repräsentation oder Reproduktion, verkehrt deren Bestimmungen und Bedingungen. Das Ziel, die nicht darstellbare Idee, garantiert sowohl die Erzeugung und Konformität der Nachbilder, der Kopien, als auch die Fiktion des gegenwärtig Seienden, dessen Genealogie der Reproduktion-Produktion sie verdeckt, während sie von der Wiederholung überschüssige Überreste bestehen läßt. Zeit, Raum-Zeit, die durch einen symmetrischen Prozeß verkehrt wurden, der die Vorstellung leitet, die aber andererseits oder korrelativ dazu durch die Glanzlichter der Idee, der Sonne, verführt, erobert, eingefangen wurden. Vom Funkeln der fein verstäubten Spiegel-Folie. Uneinlösbare Bürgschaft des Spiels - des Lichts-, die die Konfiguration und die ihr entsprechende Täuschung davor bewahrten, von ihrer Richtung abzukommen. Rettender Anker des Ursprungs. Der durch seine photologische Metaphorizität den Zyklus der phallischen Szenographie in einer unreflektierten Verblendung festigt und umschließt. In dessen Umkreis alles den blind machenden Betrug unterstützen wird. Die vorgeschobenen Fetisch-Objekte, der Mauer-Vorhang, die Schirme, Vorhänge, Lider, Bilder, Schatten, Phantasmen, die die allmächtige Weißglut auffangen, dämpfen und filtern, nehmen den Blick gefangen und schützen ihn, doch noch in diesen/ihren Verkleidungen sind sie Manifestation und Erinnerung seines Ursprungs und seines Ziels. Indem sie ihn immer wieder auf das Unendliche verweisen, schließen sie ihn in eine lichtvolle Blindheit ein. In eine blendende (Augen-)Höhle.
Die >Dialoge<
»Einige [dieser Menschen], wie natürlich, reden dabei, andere schweigen.« Natürlich? Wahrscheinlich? Wie man es hätte erwarten können? Ja, wie man es hätte erwarten können, nachdem die Verdoppelungsverfahren, die Regeln der Doppelzüngigkeit gegeben waren, nach denen diese Höhle organisiert ist. Denn wenn alle sprächen, gleichzeitig sprächen, dann würde der allgemeine Lärm jenen Verdoppelungsvorgang, den man Echo nennt, schwierig, wenn nicht unmöglich machen. Der Widerhall würde durch die gleichzeitige Äußerung artikulierter Töne durch verschiedene Sprecher verändert. Die Töne wären dann ungenau, unsauber in ihren Konturen, ohne klar gezogene Grenzen, ohne festgelegte Formen, ohne reflektierbare, reproduzierbare Gestalt. Wenn alle sprächen und gleichzeitig sprächen, könnte das Schweigen der anderen nicht mehr als Grundlage für die Hervorhebung und Definition der Worte der einen, des einen dienen. Ein Schweigen oder vielmehr eine Leerstelle, die hier auf doppelte Weise funktioniert - wobei diese Verdoppelung offenbar nicht als zweimal ein Mal zu analysieren ist: Das Schweigen der Zauberer kann nicht einfach dem der Höhlenrückwand hinzugefügt werden - als Möglichkeit der Antwort (und Wiederholung). Des Selben.
Überdies stieße dieses Echo - das die Mythologie mit der jungfräulich gestorbenen weiblichen Liebe zu Narziß in Beziehung gebracht hat - auf Schwierigkeiten, wenn die Zauberer miteinander sprächen. Die Interferenz der Aussagen, das, was ins Gespräch eingeht, was im Gespräch vor sich geht, wäre nicht mehr auf diese Leerstelle, dieses Schweigen, die Pause zu reduzieren, die neutral und geschlechtslos sind und daher die Unterscheidung der Worte erlauben, ihre Abgrenzung, Eingrenzung und Wiederholung. Die die Täuschung aufrechterhalten, es gäbe Begriffe, die jedermann und jedem Gegenstand adäquat seien und die geeignet wären, als solche reproduziert zu werden. Die Komplexität der nachträglichen Wirkungen und unvermeidlich auch die Faktoren der mehrfachen Determinierung, der Überdeterminierung im Drama der Interventionen würden in der Tat die Gegenwart, das Präsens der Produktion-Reproduktion aufsprengen. Nicht nur im Hiatus, der angeblichen Nahtstelle und Gelenkverbindung zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen einem Präsens und einem Perfekt - einem Nachahmenden und einem Nachgeahmten, einem Signifikanten und einem Signifikat —, wobei es die Gegenwart, das Präsens ist, das die Vergangenheit, das Perfekt, wiederaufnimmt, wiederholt, spiegelt, eine Vergangenheit, die als Gegenwart, die sich ereignet hat, definiert wird, sondern auch, weil in dieser Vergangenheit oder dieser Gegenwart durch die Ungewißheit unlösbarer, unentscheidbarer Korrelationen ein Abgrund zwischen Imperfekt und einer vergangenen Zukunft, einem zweiten Futur geöffnet wird, ebenso zwischen einer vergangenen Zukunft und einem Imperfekt. Wenn diese »Menschen«, die die Figuren tragen, miteinander sprächen, dann würden sie, zumindest an dieser Stelle des Berichts von Sokrates, die mimetische Verfahrensweise interpretieren und demaskieren, nach der diese Höhle organisiert ist.
Bestimmte Menschen sprechen also, andere schweigen. Ein bestimmter Mensch spricht, und andere oder ein anderer schweigen, bekommen die Gelegenheit zur Gegenrede. Wenn sie sie nicht artikulieren, übernehmen sie die Funktion eines Reflexionsschirms.
Zumindest in den Dialogen von Platon, einschließlich derjenigen, die eine Unterhaltung über die Nachahmung nachahmen. Natürlich. Wie man es hätte erwarten können. Hoion eikós, wie zu erwarten, übertragen, verfälschen und verdunkeln sie von Anfang an die Frage einer klanglichen und sprachlichen Mimetik in der Ökonomie des Tauschens, insbesondere des verbalen. Und man wird lange warten müssen, bis die Hypothek dieses wahrscheinlich »Natürlichen« in Frage gestellt wird, bis das Problem der Beziehungen zwischen Mimetik, Repräsentation und Kommunikation erneut aufgeworfen wird. Aber die Hysterikerin - von hystéra, wie man es erwarten konnte - wird, scheinbar durch Täuschung, an das vergessene Dilemma erinnern.
»Ein gar wunderliches Bild, sprach er, stellst du dar, und wunderliche Gefangene.« Damit ist das vorher beschriebene »Bild« als solches wieder eingegliedert, so daß dieses Resümee, im Stil einer Gegenrede, das Vertrauen in eine »gute« sprachliche Mimesis untermauert. Und verstohlen, heimlich, stillschweigend wurden durch die Unterstellung einer angeblich treuen Wiedergabe, durch den Glauben an ihre Angemessenheit, der Ort, die Illusion eines Ortes, die Vorspiegelung eines als transzendental bezeichneten Ortes eingeführt, eines transzendentalen Signifikanten. Der den Diskurs beherrschen, übersteigen und garantieren wird - eine unsichtbare und vielleicht unbeschreibliche Wirkungsweise des Blicks, während die Klarheit, der Glanz, die Reinheit, die »Wahrheit« der Idee sich bewahren, sich in Reserve halten als - extrapolierte - Quelle des Sehens. Des Schwarzen. Der Ökonomie der Beziehungen zwischen Schwarz und Weiß, aber auch zwischen Weiß und Weiß, Schwarz und Schwarz. Zwischen weißen Leerstellen, schwarzen Stellen und Sehen. Bedingung der Möglichkeit dessen, was »als« Sinn definiert wird, und der Zeichen, die ihn auf privilegierte Weise kennzeichnen, ihn (re-)produzieren. Extrapolation des als solches unsichtbaren weißen Lichts, Unterpfand für richtiges Sehen, für die Relevanz des Schwarzen, dessen Spiel daher schon beendet, dessen Garantie aufgehoben ist, eine Garantie, die übrigens von vornherein in die Schrift des Textes investiert wurde, den man in Wahrheit weder sehen noch nachahmen kann.
»Sie sind uns ganz ähnlich«, antwortete er. Wie man es hätte erwarten können. Natürlich. Kein Grund, an diesem Punkt den Prozeß des Selben stillzustellen oder Einwände gegen ihn zu erheben. Oder zu glauben, daß diejenigen, die die Szene erzählen, repräsentieren, nicht dem vergleichbar wären, was ihre Worte darstellen, oder daß sie nicht als Referenz dienen könnten, die die Konformität ihrer Rede verbürgt. Oder daß ihre Äquivalenz nicht zumindest durch die Identität, das Prinzip der Identität, das ihren Diskurs garantiert, begründet würde. Oder daß sie nicht als »Selbe« erschienen — uns ähnlich, die wir ganz ähnlich sind —, gleich durch einen geregelten Wechsel von Rede und Gegenrede, durch den die Interferenzen, die Überlagerungen und der allgemeine Lärm der Unterhaltung von vornherein reduziert sind. Wobei das »uns« und das »antwortete ich« nur den strategischen Zweck haben, die Priorität oder das Apriori des Selben zu verdecken und gleichzeitig aufrechtzuerhalten.
»Sie sind uns ganz ähnlich«, antwortete ich. Denn ebensowenig wie wir, die wir uns mit dem Rekurs oder Ausweg der Nachahmung auf die Realität selbst zu beziehen glauben, uns einbilden, diese Realität, sei es auch durch eine bildhafte Sprache, heraufzubeschwören oder zurückzurufen, ebensowenig wie wir also haben sie Wirkung und Bedeutung jener Fiktion erkannt, die die verkehrende Projektion der hystéra prótera erzeugt. Ein Entwurf, der stillschweigend die gesamte Metaphorizität bestimmt und überdeterminiert. Sie einkesselt. Wie die Höhle von Platon die Gefangenen. Gefesselt wie wir, dem Ursprung den Rücken zukehrend, den Blick nach vorn gewendet. Vor allem auf Grund einer bestimmten Sprache, bestimmter Sprachnormen, die man, zum Beispiel, Verkettung nennt.
»Meinst du wohl, daß dergleichen Menschen« - ebensowenig wie wir? - »von sich selbst und voneinander je etwas anderes gesehen haben, als die Schatten, welche das Feuer auf die ihnen gegenüberstehende Wand der Höhle wirft?« Diese »Gefangenen« haben niemals andere Dinge gesehen als Reflexe, Schatten, Trugbilder von Gegenständen, die (immer schon) fabriziert waren, die (immer schon) hinter ihnen repräsentiert-präsentiert waren. Und dank dem Licht eines Feuers, das hinter ihnen brennt, aber auch (immer schon) hinter den »Gegenständen«, den »Bildsäulen«, die von Zauberern fabriziert und produziert wurden. Ein künstliches, trügerisches Feuer, so sagt man, nach dem Bild der Sonne. Die auch hinten ist. Durch die Verkehrung der hystéra begünstigt diese Anordnungsweise die Verwechslung zwischen einem bestimmten, nicht repräsentierbaren Ursprung und der Bedingung für den Anblick des Tageslichts, das richtige Sehen, die Repräsentation, die Vorstellung. Die Verwechslung zwischen dem Feuer und dem Licht, dem Feuer des Ursprungs und dem Licht des Tages. Ein wie die Sonne brennendes Feuer, das nur als Licht wirksam wird. Feuer und Licht, die irreführenderweise auf eine Einheit zurückgeführt werden. Ein Feuer, eine Sonne, doch wie eines vom andern herrührend. Als ob die Sonne das Feuer, durch eine listige Rückwärtsverlagerung des genealogischen Prozesses, wie einen illegalen Abkömmling erzeugt hätte. Als ob das Sehen (des Tageslichts) die einzige Ursache seines Ursprungs wäre. Und die Sonne der Vater wäre: den Gewaltstreich vergessend, mit dem die Szene schon vorher um Symmetrie-Achsen gedreht wurde, die Spaltung vergessend, die Schize - oder Pseudo-Schize - ein Doppelspiel, das die Partie im voraus entschieden hat, bei der die Sonne Vater, Gott, Schöpfer von allem wäre. Von allem jedenfalls, was sich in dieser Szenerie abspielt, während die andere Szenerie und der Durchgang von der einen zur anderen vergessen wurden. In diesem Theater der Repräsentation, der Vorstellung, wo das Licht, die Bedingung für das Sehen, vorherrscht. Eine Szenerie, die nicht ohne Kredit von Gläubigern - die andere reproduziert und in der die Passage, der Tunnel, der Engpaß, der zu ihr führt, zu ihr zurückführt. Und der diese beiden Szenerien nicht einfach nur durch eine bloße Drehung um Symmetrie-Achsen aufteilt und verbindet.
In der Höhle von Platon betrachten also Menschen - von unbestimmtem Geschlecht - die Schatten der Gegenstände, die vor ihnen auf die Wand der Höhle projiziert werden. Das Feuer hinten erzeugt lediglich Schatten und Blicke, die von den Schatten fasziniert sind. Und ob nun mit eigenen Augen oder mit denen ihrer Gefährten, sie sehen, sie erfassen nur den Lichtschein des Feuers, der von »Gegenständen«, »Figuren« aufgefangen wird, die immer schon vorher fabriziert sind. Hinten.
Was sollten sie auch anderes wahrnehmen, wenn sie in dieser Stellung festgehalten werden, der selben für alle? Sitzend, den Blick nach vorn gerichtet, den Rücken einem angenommenen gleichen Ursprung, gleich und einzig, zugewendet und auch dem Weg der in der Höhle entlanggeht, und der Zwischenwand, den Zauberern, den Werkzeugen ihres Zaubers und ihre Verführung. Die natürlich stets die gleichen bleiben. So können sie mit den Augen der anderen die gleichen Schatten, Bilder, Phantasmen sehen, identisch, identifiziert mit den anderen und gleichen Gefangenen dieser listig verdrehten Höhle von Platon. Eine Gemeinschaft die von einem täuschenden, trügerischen symmetrischen Projekt gefesselt wird, das sie nur durchschauen könnte, wenn sie umkehren, den Kopf wenden würde. Doch außerdem oder vor allem sind sie durch die unauflösbare Verkettung von Wiederholung und Vorstellung gebunden, durch die Überdeterminierung der einen durch die andere, die den Blick faszinieren kann, ihm jedoch trotzdem entgeht. Überdeterminierung, die durch keine Sonne jemals auf die Wahrheit von etwas exakt Wahrgenommenen zurückzuführen ist, auf eine richtig gesehene »Natur«.
Daß sie also das ganze Leben gezwungenermaßen den Kopf nicht bewegen scheint die äußerst fesselnde Wirkung zu haben, daß das Gesicht, die Haltung, der Blick die Bedingungen bleiben, die gut oder schlecht Ordnung in die Szenerie der Vorstellung bringen können, je nachdem, ob sie in der richtigen Richtung, im Sinn des gesunden Menschenverstandes, um eine Achse, einen Angelpunkt gedreht werden oder nicht. Und die Verwechslung von Oberfläche und Kehrseite, von vorn und hinten, von Früherem und Späterem erzeugt Trugbilder und Phantasmen, die durch die richtige Richtung, den gesunden Menschenverstand, aufgelöst werden können. Dazu freilich muß man den Kopf richtig gedreht haben, einen Kopf, der (zum Umdrehen) gut geeignet, gut abgerichtet ist, der in die richtige Richtung gewendet ist. Also verkehrt herum, im Verhältnis zu diesem illusorischen Vorn, das die Gefangenen anstarren, und entsprechend umgekehrt. Um auf das Wahre zurückzukommen, um sich der Wahrheit zu erinnern, von der man künstlich abgewendet worden ist, müßte man also den Kreis des Wissens vollständig abschreiten, eine vollständige Drehung um den Horizont vollziehen. Man müßte eine Drehung gemacht haben, in der Tat aber zwei halbe Drehungen oder zwei Halbkreise beschreiben. Weil die Illusion besteht, man könne den Kreis schließen. Zum selben Punkt, zur selben »Wahrheit« zurückkehren. Zur Wahrheit des Selben, zur Wahrheit selbst. Die listigerweise schon im voraus vorgeschrieben hat, welcher Umweg nötig ist, um sie wiederzuerkennen. So daß die Abkehr vom Ursprung und die Rückkehr zur Sonne sich nicht, jedenfalls nicht ohne akrobatische Sprünge, auf eine Propädeutik des Einkreisens der Wahrheit reduzieren ließen. Und das Übergehen des Unterschiedes zwischen diesen beiden Schwenkungen zerstört ihren Prozeß und ihr Projekt, weil dadurch eine Wahrheit aus der Szenerie entfernt wird, von der sie bestimmt werden. Unentrinnbar. Denn die Achse, die diese Pirouette ermöglicht und an deren Spitze die Sonne dominiert, verbirgt im Taumel die Unterbrechung in dieser Kehrtwendung und die Reduktion ihrer Ellipse.
Um eine einzige Achse senkrecht aufgerichtet, dreht sich also diese Szenerie, und ihr Verhältnis zur Sonne, zum Sonnenumlauf, bestimmt die richtige Richtung, den gesunden Menschenverstand. Eine einzige Achse, die auf eine Sonne hin ausgerichtet ist, die aber von vornherein durch die Doppelzüngigkeit des Projekts verfälscht, verstümmelt ist, das ihre Funktion, ihr Funktionieren als solches erfordert. Als Garantie für den sichtbaren, konturierbaren, wieder-erkennbaren Charakter der Wahrheit. Eine einzige Achse, die stets in Gefahr ist, zu zerbrechen: durch die Hypothek eines Traums von Symmetrie, durch den ihre Gliederung künstlich zusammengefügt und zurechtgebogen wird, wodurch die Heterogenität ihrer Zusammensetzung verdeckt wird. Denn die Drehung im Innern der Höhle, das Verlassen der Höhle und die (sogenannte) Rückkehr zur Sonne machen das Durchqueren einiger anderer Linien, Bahnen, Drehpunkte erforderlich, die sich nicht ohne Rest auf die Einheit zurückführen lassen, weder auf die einer richtigen Richtung noch auf die des gesunden Menschenverstandes. Die Fortsetzung der Geschichte wird das zeigen.
»Wenn nun diese Gefangenen miteinander reden könnten, - dialégesthai* (*Sich unterreden. (Anm. d.Ü.)) - glaubst du nicht, daß sie auch pflegen würden, dieses Vorhandene - taónta - zu benennen - nomizein —, was sie sehen?« - »Ananke«.** (**Notwendigkeit. (Anm. d.Ü.)) Notwendig. Durch die keinen Widerspruch duldende Affirmation dieser Notwendigkeit wird ein weiterer, ein anderer und doch gleicher Circulus vitiosus bestätigt, der das Drehen im Kreis verstärkt und unterstützt, durch das die Kunstgriffe und Aporien umgangen werden. Und wenn es wahrscheinlich, natürlich war, daß von den Zauberern einige sprechen, einer spricht, während andere schweigen, so ist es jetzt zwingend, die Notwendigkeit eines Verhältnisses zu bestätigen, zu verdoppeln, zu wiederholen: die Notwendigkeit des Verhältnisses zwischen der Möglichkeit, miteinander zu sprechen, und der Tatsache, daß man das als Seiendes bezeichnet, was man sieht. Nachdem vorher der Beweis geführt wurde, daß das Gesehene für alle Gefangenen dasselbe ist, die übrigens für uns, die wir ihnen ähnlich sind, miteinander identisch sind.
Eine ganze Sprachkonzeption macht an diesem Punkt die Illusion einer besonderen Metaphorik fest - oder läuft auf sie hinaus -, die Illusion einer Metametaphorik, die durch das Vorherrschen einer Wahrheit postuliert wird, die im voraus über den Ablauf der Unterhaltung, der Interventionen entscheidet. Inter..., zwischen, Verhältnisse, die durch eine Genealogie der Spiegelung und Spekulation festgelegt werden, in einem Prozeß von Erscheinungen, Bildern, Reflexen, Verdoppelungen, die als mehr oder weniger konform, adäquat, angemessen beurteilt werden in bezug auf das Wahre, das es wiederzuentdecken gilt. Die als Proportionen eines mehr oder weniger richtigen Verhältnisses zum Selben (der Idee) kalkulierbar und kombinierbar sind, die immer auf das Ideal der Wahrheit bezogen werden, das über ihre Aufzählung, ihr Maß, ihre Proportion, ihre analogische und dialektische Triftigkeit entscheidet, damit also über die Ordnung, die Hierarchie, die Abhängigkeit der Interventionen, deren Unterschiede festgesetzt sind und die als mehr oder weniger »gute« Nachbildungen, Replikate benennbar sind. Des Selben, des Identischen, des Einen, des Ewigseienden, des Unveränderbaren, des Unauflösbaren. Des Seins. Dessen Namen, Bilder, Vorstellungen ebenso wie deren Differenzen, deren Intervalle, deren Syntax und Dialogik die Abstände des Geteilten, immer Reduzierbaren bezeichnen, abstecken, staffeln, die Abstände zwischen den wahrscheinlichen Erscheinungen und der Wahrheit, die sich in ihnen verbirgt.
Wenn jede Möglichkeit einer Unterhaltung auf einen von Zufällen freien Bereich eingeschränkt wird, dann wird die alétheia*, (*Die Wahrheit, das Unverborgene. (Anm. d.Ü.)) die eine solche Illusion insgeheim bestärkt hatte, nicht länger zögern, zu erscheinen, zumindest nicht im Dialog, in dem sie als Figur und als Feld eines Spiels benannt wird, bei dem sie nicht nur der Spieleinsatz, sondern ebenso der Spielraum ist, bei dem sie die Regeln und Etikette bestimmt. Die alétheia wird beim Modus der Benennung ebenso intervenieren, wie sie stillschweigend die gesamte Funktionsweise der Sprache mit ihrer Terminologie, ihrer Syntax, ihrer Dramatisierung festlegt. Diese Übermacht wird dadurch verschleiert, daß auch sie selbst durch die Sprache dargestellt, benannt, erinnert wird. Mit Hilfe einer Verneinung, Verleugnung: a-létheia.
Die Tatsache, daß jede Bestätigung (und Logik) des Diskurses durch etwas bestimmt wird, das sich in ihm nur mittels einer Verneinung, Verleugnung mitteilen läßt, gibt dem begonnenen Spiel immer wieder neue Spannung, so daß schließlich die Effektivität einer solchen Operation nicht mehr in Frage gestellt wird; so daß man den Doppelsinn dieses Formalismus schließlich nicht mehr interpretiert, der helfen soll, die Schleier zu lüften, insbesondere die des Vergessens, des Irrtums, der Unwahrheit, des Phantasmas; so daß schließlich die Tatsache nicht berücksichtigt wird, daß man, wenn man durch Repräsentationen innerhalb des Diskurses dasjenige, was ihn selbst stillschweigend beherrscht, (sei es auch) im Rückgriff auf die Verneinung wiederholt - daß man mit diesem Verfahren die Hypothek einer solchen Herrschaft nicht abträgt, sondern ihre Macht erweitert, ihre Glaubwürdigkeit stärkt und ihr damit die unendlichen Entwicklungen eines Diskurses hinzufügt, der schon von ihrem Projekt vorweggenommen, eingeschlossen, umgarnt ist und bei dem die Modalitäten der Exposition, Demonstration, Transformation lediglich unterschiedlich reproduzierte Behauptungen ihres Anspruchs auf Glaubwürdigkeit sind. Aber ihre Funktion als Trugbilder wird selbst niemals als Ursache entschleiert, sogar oder gerade dann nicht, wenn sie mit dem Begriff der Entschleierung bezeichnet wird.
Die Ökonomie dieser Augentäuschung macht es erforderlich, daß die alétheia benannt wird. Man braucht nur die nächste Wendung der Deduktion abzuwarten oder den nächsten Absatz. Der freilich ist es wert, in Gold aufgewogen zu werden, denn er umfaßt die gesamte sokratische Dialektik: die Bezeichnung »Seiendes« gilt nur für diese Selben, die als selbe alle auf dieselbe Weise sehen, nicht anders sehen können und es im Fall eines Gesprächs mit denselben Namen bezeichnen.
»Und wenn ihr Kerker auch einen Widerhall hätte von drüben her...« Von dieser Zwischenwand, die ihnen gegenübersteht, die die Sicht beschränkt, die den Blick, das Schauspiel, die Szenerie eingrenzt. Wenn die Rückwand der Höhle, das verwirrende Projekt des nicht repräsentierbaren Ursprungs, der Bühnenhintergrund aller Repräsentationen, Vorstellungen, ebenfalls ein Echo hätte? Wenn die Phantasmen, die er trägt, denen er seinen Projektionsschirm zur Verfügung stellt, das glatte Weiß seiner Oberfläche, wenn sie die Töne, die Worte wiedergäben, die von den Zauberern gesprochen werden? Von jenen Trägern der Bildwerke, die zwischen die Öffnung der Höhle, ihr Feuer, ihren Weg und die Zwischenwand, die Gefangenen, die Höhlenrückwand gestellt sind. Wenn die Schattenreflexe ihrer Zaubereien, die die schweigende Unberührtheit der Höhlenrückwand durchbrechen, sich von ihr abheben, nun zu sprechen anfingen und so selbst die Kunstgriffe und Kniffe ihrer Produktion-Reproduktion in den Schatten stellen würden? Die Schatten von Statuen, von Fetisch-Objekten würden von den Gefangenen dann Wahrheit - to alethés* (*Das Wahre. (Anm. d.Ü.)) - genannt werden, und zwar unter Ausschließung jedes anderen Gegenstandes. Projektionen der Symbole der Körper von Menschen, die hoch genug emporgestreckt werden, um die kleine Mauer zu überragen, zu dominieren, zu sublimieren — eine kleine Mauer, die von Menschen in der Höhle künstlich errichtet wurde -, diese Projektionen wären für die Gefangenen die einzig mögliche Repräsentation, Vorstellung der Wahrheit, weil sie auch noch das Echo der Menschen widerhallen lassen, und zwar dank der reflektierenden Eigenschaft, der angeblichen Unberührtheit und Stummheit dieser Rückwand der Matrix - einer Matrix, Gebärmutter, die von einem Mann, einem Geburtshelfer, heimlich umgekehrt, auf den Kopf gestellt, nach rückwärts verlagert wurde, um so zur Szenerie, zur Kammer, zum geschlossenen Raum der Repräsentation, der Vorstellung gemacht zu werden.
Einer Vorstellung jedenfalls, die von Menschen gespielt, dargestellt, artikuliert, nachgeahmt wird. Mindestens von dreien, wenn man diesmal den Inszenator mitzählt. Aber von dreien, die nur scheinbar eine Gesamtheit bilden. Und derjenige von ihnen, der der Höhlenrückwand am nächsten ist — der von den Tiefen dieser Höhle am stärksten gefesselt, gebunden, festgehalten, fasziniert ist? -, er wird die schillernden Kunststücke der anderen für Wahrheit halten und darüber sogar die Sinne verlieren, während die anderen vorgeben, noch über sie verfügen zu können. Aber es ist an diesem Punkt des Dramas - wie übrigens häufig - schwer zu entscheiden, wer der Betrüger und wer der Betrogene ist.
Bevor in dieser Höhle alles so verwirrt ist, daß man zumindest für einen exemplarischen Gefangenen einen Ausweg vorsehen muß, um die Dialektik wiederaufnehmen zu können, muß noch etwas erwähnt werden. Die Projektionen der emblematischen Statuen der menschlichen Körper werden einzig unter der Bedingung mit dem Begriff Wahrheit bezeichnet, daß man ihnen Stimmen zusprechen kann, klingende Echos der Worte, die von den Magiern-Imagiern ausgesprochen wurden. Es gibt dort also, damit alles klar ist, einzig Nachbildungen der Körper von Menschen, der Worte von Menschen, der Blicke von Menschen - deren Geschlecht zweifellos ziemlich unbestimmt bleibt, es sei denn, diese Bestimmung läge in der grammatischen Form - um darüber zu entscheiden, was wahr und falsch ist oder, besser, damit die Frage nach der parousia* (*Gegenwart, Präsenz. (Anm. d.Ü.)) der Wahrheit unausweichlich wird. Dadurch wird natürlich die Intervention sowohl eines Paraphragmas als auch der Rückwand der Höhle erforderlich, die als unberührte und stumme Schirme dem reibungslosen Ablauf der Kunstgriffe dienen sollen. Es ist unerläßlich, daß die Magier und die Gefangenen definitiv durch eine undurchdringliche Mauer voneinander getrennt sind und daß die Phantasmen und Stimmen von der am weitesten zurückliegenden Wand der Höhle aufgefangen werden. Es ist unabdingbar, daß diese beiden Schirme repräsentiert und zwischen die - mindestens zwei, zwei halben - Menschen gestellt werden, damit sich aufgrund des Verhältnisses, das zwischen ihnen besteht, die Frage nach der Wahrheit aufdrängt, damit die Wahrheit in Erscheinung tritt.
Aber mit äußerster Notwendigkeit - pollé anánke - wird sie sich nur dann manifestieren, wenn man den Phantasmen die Artikulation von Tönen zusprechen kann. Wenn die phone ihnen die Eigenschaft der reinen und unmittelbaren Präsenz bescheinigt, die über die listigen Mechanismen hinwegtäuscht, über die Verdopplungen, die Vorgänge der Repetition-Reproduktion, aber zugleich über die Entstellungen, durch die ihre Ausarbeitung bewerkstelligt wird. Wenn es spricht, repräsentiert das Trugbild die Wahrheit, und zwar unter Ausschluß aller anderen Dinge. Die phone** (**Stimme, Rede, Sprache. (Anm. d.Ü.)) - entweder selbst gegenwärtig oder vom Echo wiedergegeben - zeigt die Präsenz der Wahrheit an, die das Privileg der phone für sich beansprucht. Wahrheit und phone bestärken und begründen wechselseitig ihre Herrschaft, um die gegenwärtige Existenz, die Präsenz der Existenz der alétheia zu sichern; um die parousia der Idee (der) Wahrheit, des Ideals der Wahrheit unbestreitbar zu begründen. Das ist es schon wert, jene elementare Materie, die Luft, anzuerkennen, ja sogar sich auf sie zu berufen, insofern zumindest, wie sie schon bewegt, in Rhythmen, Kadenzen, Harmonien eingeteilt ist. Soweit sie schon mimetisch verändert ist. In Töne trans-formiert, deren sprachliche Ausarbeitung, ob terminologisch oder syntaktisch, von vornherein der Idee der Wahr-Scheinlichkeit untergeordnet ist. Das Vorrecht detpbone ist also nur eine Zwischenstation, ein unverzichtbarer Umweg, um den Vorrang der alethéia zu garantieren, die zukünftig alles »Seiende«, einschließlich der Stimmen, beherrschen wird. Einmal begründet und eingesetzt, wird die Macht der Wahrheit das Werkzeug unterwerfen und auslöschen, mit dem sie ihren Anspruch auf Glaubwürdigkeit durchgesetzt hat. Die Wahrheit wird als ewige Präsenz ohne dieses materielle Element existieren, das zum Medium einer ihrer Manifestationen reduziert wird: der Realisierung durch die Stimme.
Man wird sich erinnern, daß die parousia in der Höhle über den Umweg menschlicher Worte beglaubigt wird, die von Menschen gehört und Phantasmen zugesprochen werden, die ihrerseits von Menschen (re-)produziert und gesehen werden. Und daß es wiederum Menschen sind, die sie als solche anerkennen, vor allem durch Benennung. Dies ist die Bürgschaft und Voraussetzung für das Wieder-Erkennen der Wahrheit. Und, wie man hinzufügen muß, ihre Rechtfertigung, die darin besteht, die Verhältnisse zwischen Menschen zu sanktionieren, zu ordnen, zu regeln, zu schlichten, vorab durch Theoretisierung. Das gilt in der polis ebenso wie in der Höhle. Ein Ideal der Wahrheit, das außerdem notwendig ist, um die Metaphern und Figuren zu bestätigen und zu legitimieren, mittels derer die Intervention der Frauen dargestellt wird, die ohne Stimme, ohne Präsenz sind. Das Weibliche, das Mütterliche, die durch das »Wie«, das »Als ob« dieser männlichen Repräsentation, Vorstellung, sofort zu Eis erstarren, dieser Vorstellung, die von der Wahrheit, dem Licht, der Ähnlichkeit, der Identität beherrscht wird. Von einem Traum von Symmetrie, der selbst niemals entschleiert wird. Das Mütterliche, das Weibliche, die (nur) dazu dienen, die Reproduktion-Produktion von Doubles, von Kopien, von Scheinbildern, von Trugbildern aufrecht zu erhalten. Jede Erinnerung an ihre Elemente als Materie, Matrix und Mutter wird zu einem Versatzstück gemacht, das die Beweisführung erleichtert. Das Mütterliche, der formlose, »amorphe« Ursprung werden von jeder Morphologie durch Analogiebildung in eine Arena, einen Projektionsschirm, einen geschlossenen Raum von und für Phantasmen verwandelt. Die kleine Mauer, das Paraphragma - in der Höhle als übrigens verfeinertes Diaphragma nachgebildet —, ermöglicht und verewigt die Repräsentation, die Vorstellung, verschafft ihr Anreiz und Entfaltungsmöglichkeiten, indem sie in der Höhle mit List einen Prozeß der Division und Multiplikation eröffnet, bei dem die Gegensätze von Außen und Innen unendlich differenziert, aber auch durcheinander gebracht werden, ein theurgisches, astrologisches Hilfsmittel, um die Faszination durch die Parade-Vorführung zu verstärken. Ein Paraphragma, das wie ein undurchdringliches Augenlid die Magier oder die Dunkelkammer verdeckt. Ein Schleier, den man nicht zerreißen, insbesondere nicht öffnen, sondern den man seinem eigentlichen Zweck entfremden wird. Ein Schirm, der die Blicke teilt - flüchtiger Blick/faszinierter Blick —, und der sie davor schützt, sich gegenseitig wahrzunehmen, sich miteinander zu messen, es sei denn durch ein dazwischengestelltes Fetisch-Objekt, das das Licht auffängt und abdeckt. Zweimal zwei halbe - gebrochene? - Blicke, deren Verblendung dem Schauspiel unaufhörlich neuen Anreiz gibt.
Was den Weg betrifft, die in der Höhle liegende Reproduktion der Passage, des Kanals, des Engpasses, der aufsteigt - tatsächlich jedoch absteigt — aus der geheimnisvollen Gruft zum Licht des Tages, zum »Anblick des Tages«, wenn dieser Weg in der Erzählung erwähnt und dargestellt wird, bleibt er immer in einer Position des Rückzugs, in der Hinterhand, im Verhältnis zu der Szene, von der erzählt wird. Er wird von neuem abgewiesen. Durch eine doppelte Wendung vergessen, die diesen Weg in die Höhle zugleich einschließt und ihn ausschließt. Ganz sicher dient er wegen seines Gefälles dazu, die Ausstrahlung des Feuers zu sichern, er selbst aber ist bis jetzt recht wenig benutzt worden. Nur mit Mühe, durch Deduktion, kann man vermuten, daß er von den Magiern betreten wurde. Doch die Aufmerksamkeit der Protagonisten geht nicht in seine Richtung. Sie ist sogar gänzlich von ihm abgewendet. Seine Stellung in der Höhle verrät übrigens einen doppelten Irrtum, einen doppelten Fehltritt des Inszenators, obwohl er doch ein Experte der Mimikry ist. Man darf also annehmen und folgern, daß solche Irrtümer durch die parousia der Wahrheit erzwungen wurden, die beides verlangt: daß der Weg im geschlossenen Raum der Vorstellung wiederholt wird, und daß er durch das Paraphragma auf die andere Seite verwiesen wird. Daß er eine angemessene Kopie in der Höhle hat, wo er wegen einer unangebrachten mimetischen Skrupelhaftigkeit oder wegen eines trügerischen Vollständigkeitswahns die Szenerie abdichten, daß er aber weder einen Zugang noch eine Funktion für den Prozeß der Produktion-Reproduktion haben soll, der dort betrieben wird. Ganz sicher ist die Wahrheit nicht auf diesen Weg angewiesen, um in Erscheinung zu treten, präsent zu sein, doch sie zieht ihren Vorteil aus solchen topographischen Abwegen, die nie wieder in Frage gestellt werden.
Ebensowenig übrigens wie die ganze sexuelle Szenographie, zu deren bevorzugten Symptomen solche Irrtümer gehören. Und natürlich erklärt man den Gefangenen nicht mit derartigen Ausdrücken, daß sie das Falsche für das Wahre halten, wie unwissende Kinder. Der Einwand, den man gegen ihre »Meinungen« erhebt - allerdings ohne ihn jemals auf seine Voraussetzungen zu beziehen oder mit der Sexualökonomie in Verbindung zu bringen, die er verschleiert und gleichzeitig unterstützt -, richtet sich gegen die mangelnde Unterscheidung zwischen einer »guten« und einer »schlechten« Mimesis, zwischen einer »treuen« Reproduktion der Wahrheit, einer Kopie, bei der sie durch die Maske hindurch erkennbar ist, und jenen Phantasmen, Trugbildern, Schatten, Kopien von Kopien von Objekten, die selber schon künstlich fabriziert, nachgemacht sind und deren bloße Betrachtung zum Wahnsinn führt. Zu dem der »Gefangenen« zum Beispiel. Die noch nicht einmal in der Lage sind, ihr Irresein - aphrosyne* (*Unbesonnenheit, Irrsinn, Unsinn. (Anm. d.Ü.)) - zu ermessen, so sehr sind sie von den magischen Kunststücken verführt worden; und sie haben ihnen nichts entgegenzusetzen, nichts, mit dem sie sie vergleichen könnten, keine »andere« Wahrheit, keine »Vision« der Wahrheit. Immer noch in einem Zustand von apaideusia, der es nicht gestattet, Trugbilder und Kopien, Verdoppelungen der Wahrheit und die Wahrheit selbst voneinan der zu unterscheiden.
Die Wahrheit nicht wiederzuerkennen erzeugt Wahnsinn - eine Art Maßlosigkeit, eine Abweichung, die jedes Verhältnis zur Wahrheit als Richtschnur verloren hat. Aber diese Wahrheit hat seit jeher die Szenerie einer anderen »Wahrheit« oder »Wirklichkeit« verdeckt, ausgelöscht (»aufgehoben«?), deren Vergessen der Diskurs von Sokrates begründen, besiegeln wird. Wobei die alétheia, noch in der Verneinung, Verleugnung, die sie artikuliert, als Vortäuschung einer Entschleierung des Vergessens interpretiert werden kann, als Affirmation der Möglichkeit, das Vergessene in einer Ökonomie der Repräsentation der Vorstellung wiederzusehen, durch die es als solches bestimmt wird. Die a-létheia fungiert daher in der sokratischen Dialektik als ein Pfand, das dem Vergessen gegeben wird, als Garantie für das Vergessen des Vergessens beim Anbruch der okzidentalen photologischen Systematik, als Repräsentation der Repräsentationen, die der Sonne den Ort (die Orte) ihrer Rhythmisierung durch Wendekreise nimmt und sie in gewisser Weise zwingt, sich im Kreis zu drehen, ewig in ihrer eigenen Bahn zu kreisen, immer wieder zum selben Punkt des Kreises zurückzukehren, an den sie immer schon gestellt ist, um jedes System, paradoxerweise einschließlich ihres eigenen, zu regulieren. Fixiert, gebannt, wie der Schlüsselstein eines Gewölbes in dieser ganzen - phallischen - Szenographie der Repräsentation, der Vorstellung, die sie mit ihren überallhin ausgesendeten Strahlen beherrscht, erleuchtet, erwärmt, befruchtet, reguliert. Ohne Rückwirkung. Ohne daß ein Reflex stark genug wäre, ihren Lauf abzulenken, die Autarkie ihres Feuers zu modifizieren. Wobei vorausgesetzt wird, daß sie ihrerseits kein anderes Bedürfnis oder Begehren hat, als sich im Kreis zu bewegen, auf sich selbst zurückzukommen, ganz gleich, welchen Heliotropismus sie anderswo erzeugt hat. Daß sie zwar selbst alles anzieht, aber sich durch nichts aus der Bahn werfen läßt; daß sie unaufhörlich die Erde umkreist, den Rhythmus der Tage und Nächte, der Jahreszeiten und Jahre bestimmt, der Zeit, die immer auf dasselbe hinausläuft. Zumindest für jemanden, von dem man annimmt, daß er sie mißt, daß er an ihren Zyklus erinnert, ihn wiederholt und schließt. Unwandelbare Periodizität des Selben. Grundlage, auf der man die Abweichungen verzeichnen kann, die immer auf das Selbe bezogen werden. Abweichungen, die durch die unwandelbare Wiederkehr des Selben meßbar werden. Ewig isolierte Pendelbewegung der Sonne, die den Umkreis des Sichtbaren, des Repräsentierbaren, Vorstellbaren beschreibt, die die Ideen von Kopien, Trugbildern unterscheidet; die außerdem festlegt, was aus dem Theater der Repräsentation, der Vorstellung verbannt wird.