Jede Theorie des Subjekts…

Jede bisherige Theorie des Subjekts hat dem »Männlichen« entsprochen. In der Unterwerfung unter eine solche Theorie verzichtet die Frau, ohne es zu wissen, auf die Besonderheit ihrer Beziehung zum Imaginären. Sie gerät in die Situation, durch den Diskurs zum Objekt zu werden - insofern sie »weiblich« ist. Sie macht sich darin selbst noch einmal zum Objekt, wenn sie vorgibt, sich »wie« ein männliches Subjekt zu identifizieren. Ein »Subjekt«, das nach sich selbst als verlorenem (mütterlich-weiblichem) »Objekt« sucht?
Es ist zweifellos die der Frau verweigerte Subjektivität, die eine eindeutige Objektkonstitution garantiert: des Objekts der Repräsentation, des Diskurses, des Begehrens. Man stelle sich vor, die Frau würde ihre Imagination entfalten: Der ganze »Entwurf« des Objekts würde seinen festgelegten Charakter (einer fixen Idee) einbüßen. Das Objekt würde seine Festlegung letzten Endes viel endgültiger verlieren als das Subjekt, das sich nur durch den Rückgriff auf irgendeine Objektivität, irgendein Objektives behauptet. Wenn es keine »Erde« mehr gibt, die man verdrängen, betreten, bearbeiten, darstellen und sich vorstellen kann, die man aber nach wie vor und immer als Eigentum begehrt, die undurchdringliche Materie, die nichts von sich weiß, welcher Sockel bliebe dann noch bestehen für die Existenz des »Subjekts«? Wenn die Erde sich drehte, sich vor allem um sich selbst drehte, dann würde die Konstruktion des Subjekts in ihrem Gleichgewicht gefährdet, die Erhabenheit dieser Einrichtung würde fragwürdig, ihre Durchsetzung würde behindert. Denn worauf soll das Subjekt sich nun noch aufrichten und über was, in was seine Macht ausüben?
Noch hat die Kopernikanische Revolution nicht alle ihre Auswirkungen im männlichen Imaginären entfaltet. Daß der Mann nicht mehr Zentrum ist, daß er exzentrisch zu sich selbst wird, hat vor allem seine Exstase im Transzendentalen (Subjekt) zur Folge. Indem er sich in eine Perspektive bringt, aus der sich alles beherrschen läßt, an einen Punkt, der ihm die meiste Macht verspricht, trennt er sich von seinem materiellen Fundament ab, von seiner empirischen Beziehung zur Matrix, die er überwachen will. Spiegelung, Bespiegelung, Spekulation, Spekulieren. Er entfernt sich immer weiter, dorthin, wo die größte Macht sein könnte, wird so zur »Sonne«, als ob er es wäre, um den sich die Dinge drehen, ein stärkerer Anziehungspunkt als die »Erde«. Wobei diese universelle Anziehungskraft noch dadurch gesteigert wird, daß »sie«, die Erde, sich auch um sich selbst dreht, daß sie die Rückkehr zu sich selbst kennt, ohne jenes Außerhalb der Suche nach der eigenen Identität im anderen: Natur, Sonne, Gott . . . (Frau): ein Außerhalb, in das der Mann ausweicht, um den Stellenwert seiner Repräsentation aufrechtzuerhalten. Dem setzt die Frau die Permanenz des (Sich-) Erinnerns entgegen, das sich freilich seiner selbst nicht bewußt ist und das in der fortgesetzten Rückkehr zu sich selbst - deren besondere Ökonomie noch auszumachen wäre - die Illusion von der Schwerkraft des Objekts aufrechterhalten kann: die Illusion von einer »Materie«, auf die man stets zurückkommen kann, um sie als Basis zu nehmen für immer höhere Aufschwünge, immer größere Sprünge, obgleich es sich um eine Natur handelt, die sich bereits auf sich selbst bezieht. Die schon rissig und gespalten ist. Und die auch das auf ihren Bahnen um sich selbst mitreißen wird, was man ihr übertragen hat, damit sie es repräsentiert. Daher rührt es wohl, daß man sie ruhelos und unbeständig nennt. In der Tat, sie ist, streng genommen, niemals genau dieselbe. Sich immer drehend, der Sonne mehr oder weniger nah, fängt sie deren Strahlen ein, die sie entsprechend ihren Zyklen bricht.
Das »Objekt« ist also nicht so massiv und widerständig, wie man gern glauben möchte. Und der Wunsch des »Subjekts«, es zu beherrschen, es zu besitzen, ist auch der Schwindel einer Niederlage des Subjekts selbst. Denn da, wo es (sich) ein beliebiges Ding entwirft, das man absorbieren, nehmen, sehen, besitzen kann, ja, mehr noch, einen Boden, auf dem es stehen, einen Spiegel, in dem es sich spiegeln kann, hat man es bereits mit einer anderen Spiegelung zu tun, deren Vertracktheit in ihrer Unfähigkeit begründet liegt, kundzutun, was sie darstellt. Das, was am wenigsten Idee ist, das, was, wenn man so will, am ehesten als »Ding« erscheint: die undurchdringliche Materie, wird zu einem Spiegel, der um so reiner von Reflexen ist, je weniger er von sich weiß, und den man daher als Spiegel nicht erkennt. Es sind lediglich die Reflexe des Mannes, die er aufnimmt und die in der sich um sich selbst drehenden Bewegung des konkaven Spiegels sofort verschluckt werden. Und je höhere Sphären der Mann erreichen will - auch in seinem Wissen -, desto mehr zerbricht der Boden unter seinen Füßen. Die »Natur« entzieht sich zunehmend seinen Repräsentations- und Reproduktionsentwürfen und seinem Zugriff. Daß das allzu häufig in Form einer Rivalität im Homologen realisiert wird, als Kampf auf Leben und Tod zwischen zwei Selbstbewußtseinen, ändert nichts daran, daß es immer - auch und gerade, wenn das Subjekt auf seinem Dünkel besteht — um die Gefahr eines Zerfalls eben dieses Subjekts selbst (als Selbst) geht. Also auch um den Zerfall des »Objekts« und der Formen der ökonomischen Gewichtung von Subjekt und Objekt. Besonders in der Ökonomie des Diskurses.  Die schweigende Ergebenheit des (der) einen garantiert die Selbst-Gefälligkeit, die Autonomie des anderen, solange keine Notwendigkeit besteht, diese Stummheit als Symptom - einer (historischen) Verdrängung - zu prüfen. Wenn nun aber das »Objekt« zu sprechen anfinge? Und zu sehen etc.? Bedeutete das nicht eine Zersetzung des »Subjekts«? Sowohl den Zerfall des überkommenen Gespaltenseins des Subjekts in es selbst und seinen Anderen, sein jeweils besonderes Alter ego, als auch den des Gespaltenseins in sich und den Anderen, der stets in irgendeiner Hinsicht sein Anderer ist, selbst wenn sich das Subjekt in ihm nicht wiederfindet, wenn er von ihm so überwältigt wird, daß es sich absperren muß, um wenigstens die Kraft zu behalten, seine eigenen Formen hervorzubringen? Diese Anderen sind allemal Diener des Selbst, Voraussetzungen des Logos selbst (des Selbst) gewesen, ohne nachteilige Veränderungen seiner Diskursivität. Also nicht wirklich »andere«, selbst wenn vielleicht der Eine, der Größte, der so weit weg ist, noch damit droht. Worauf gründet sich sein Draußensein? Auch er ist verdrängt, freilich nach oben. »In den Himmel?« Jenseits auch er? Unschuldig in seinem außerirdischen Imperium? Doch wenn man die Gründe seiner Extrapolation ahnt und wenn man gleichzeitig das Bedürfnis versteht, das das Subjekt hat, sich in einer Idee - einer »Seele«? — zu verdoppeln, dann enthüllt sich unter den noch vorhandenen Schleiern die Funktion des »Anderen«.

Wo wird von nun an die Funktion des »Anderen« auftauchen? Wo liegt das Gefahrenmoment, das dem Subjekt die Leidenschaft erhält, immer und ewig dasselbe zu bleiben, sich als Selbst zu bestätigen? In der Duplizität seiner Spekulation? Mehr oder weniger bewußt? Nur zum Teil und am Rande seiner (Selbst-)Reflexion? Seiner (Selbst-)Erkenntnis? Ein ihm Ähnliches, dem die »Nacht« des Unbewußten den Preis stundet? Der Andere, der zwar durch seinen Schatten und seinen Zorn beunruhigend ist, hält dennoch die Organisation eines stets mit sich identischen Universums aufrecht, das im Subjekt zerfallen war. Jenseits jeder Vorstellung von sich, jenseits der Ebenen, in denen es sich spiegelt? Also verlängert sich die Ähnlichkeit (und der Schein) am stärksten in der Menge der Analogien. Das »Subjekt« wird von nun an vielfältig, mehrzählig, manchmal unförmig sein, aber es wird unbeirrt behaupten, es sei die Ursache all dieser seiner Trugbilder, deren Aufzählung ständig nach Zusammenfassung drängt. Phantastische, phantasmatische Zerstückelung. Destruierung (Destrukturierung), in der das »Subjekt«, das sich insgeheim noch immer für das Prinzip der Vernunft hält, sich aufspaltet und auseinander bricht. Täuschung vielleicht? Eine, sicherlich. Denn diese Ansammlung von Signifikanten buchstabiert noch den Solipsismus dessen, der sie hervorbringt, sie zusammenruft, und wäre es nur, um sie dann wieder zu zerstreuen. Das »Subjekt« spielt damit, sich in ihnen zu multiplizieren, gar sich in ihnen zu deformieren. Für sich allein Vater, Mutter und Kind(er). Und deren Beziehungen. Für sich allein männlich, weiblich und deren Beziehungen. Verhöhnung der Erzeugung, Parodie der Genealogie und der Kopulation, die ihre Gewalt dem selben Modell entlehnt, dem Modell selbst (des Selbst): dem Subjekt. Ihm gegenüber bleibt jedes Außen immer Bedingung der Möglichkeit des Bildes von sich und der Reproduktion seiner selbst. Treuer Spiegel, blank und frei von entstellenden Reflektionen. Unberührt von Kopien eines eigenen Selbst. Ein Anderer nur deshalb, weil er lediglich im Dienst des Subjekts selbst steht, dem er seine Oberfläche präsentiert, unschuldig und unwissend über sich selbst.

Der Fall des Anderen von seinem Sternenhimmel zurück in die Abgründe der Psyche zwingt das »Subjekt« denn auch, einen neuen Bereich zu erobern, um sich darin festzusetzen und dort seine Herrschaft abzusichern - auf andere Weise diesmal und anderswo. Wie hoch oben er auch war, jetzt heißt es, in die tiefsten Tiefen zu steigen. In jedem Fall handelt es sich um Verschiebungen, die unverändert nach Kriterien der Vertikalität geregelt sind: nach phallischen Kriterien also.  Wie dieser Teufeleien, dieser beweglichen Phantome des Unbewußten Herr werden, da doch eine lange Geschichte einen gelehrt hat, nichts zu suchen und zu wünschen als die Klarheit, die anerkannte Deutlichkeit der (fixen) Ideen? Vielleicht ist es an der Zeit, den Akzent wieder auf die Technik zu setzen? Vorübergehend auf die Souveränität des Denkens zu verzichten, um Instrumente zu schmieden, die jene noch unausgebeuteten Ressourcen, jene unerforschten Schätze erschließen werden. Vielleicht muß man vorläufig auf die heitere Betrachtung seines Imperiums verzichten, um jene Kräfte zu domestizieren, die, sind sie erst einmal entfesselt, sogar dessen Konzeption sprengen könnten. Ein Umweg durch die Strategie, die Taktik und die Praxis, zumindest für die Zeit, die man braucht, um zu sehen, zu erkennen, um sich zu erkennen, auch in der eigenen Dezentralisierung. Das »Subjekt« weicht der Wahrheit aus, überwacht sie mit schiefem Blick und versucht, sich das anzueignen, was sie nicht sagen kann, nicht mehr sagen kann. Es schürft und gräbt dabei jene Metaphern aus - vor allem photologische -, die diese Wahrheit zur Prämisse der abendländischen Philosophie gemacht haben. Die Wahrheit erscheint stumm, noch in der Entschleierung maskiert, mit einer naiv »natürlichen« Optik und in gewisser Hinsicht wirklich blind: eine Wahrheit, die nicht ahnt, was ihre Blindheit verbirgt.
Aus diesem Grund muß jetzt gehandelt werden, selbst auf die Gefahr hin, alles zu verlieren. Wiederaufnahme der Arbeit auf den Feldern also, die man für endgültig kultiviert hielt und die sich nun als Brachland erweisen, Brachland, auf dem etwas wachsen könnte, das alles auf ihm Angebaute ersticken würde. Das »Subjekt« muß seine Fundamente tiefer treiben, die Kellergeschosse, die das Gehäuse seiner Bestimmung tragen, weiter öffnen, die Gewölbe, auf denen es das Monument seiner Identifikation errichtet, noch mehr ausbauen, um schließlich seine »Behausung« auf noch stabilere Weise zu stützen: das System seiner Beziehung zu sich selbst, die Umgrenzung seiner Selbst-Repräsentationen, Zentrum seines einsamen Exils als »Subjekt«. Der dem Mann vertrauteste Aufenthalt sind tatsächlich diese seine theoretischen Elaborate geworden. In einer unmöglichen Metaphorisierung hat er versucht, durch sie die Matrix zu rekonstruieren und den Weg, der ihn dort hinführen, wieder zurückführen würde. Aber wenn er die Furcht vor der Einkerkerung im anderen und auch die vor der Vermischung mit dem anderen dadurch abwenden will, daß er sich ausschließlich in sich selbst zurückzieht, sich selbst zu seiner »Behausung« macht, wird er zum Gefangenen von Auswirkungen der Symmetrie, die keine Grenzen mehr kennen. Überall stößt er an die Wände seines Spiegelpalastes, dessen Boden überdies zu beben und zu wanken beginnt, was zweifellos seine Aktivität anstachelt und ihn zu neuen Aufgaben treibt, die ihn noch eine Zeitlang von seiner spekulativen Spiegel-Gefangenschaft ablenken werden. Umwege durch die Schichten seines Wahnsinns, Gelegenheit für einen Zuwachs an Kontrolle, Wachsamkeit, Aufmerksamkeit. Er muß das Warum der Erschütterungen ergründen, die seismischen, selbstischen Konvulsionen deuten.
Aber der Mann stellt (an sich selbst) nur die Fragen, auf die er von vornherein antworten kann; er ist ja ausreichend mit Instrumenten bewaffnet, um sich auch die Niederlagen in seiner Geschichte zu assimilieren. Zumindest diesmal wird er es erneut versuchen, und mit Hilfe einiger neuer Waffen wird er das Unbewußte zu einem Besitz seiner Sprache machen. Ein verwirrender Besitz, gewiß, der durcheinanderbringt, was er von jeher als die Besonderheit des Sinns bezeichnet hat. Doch das ist anscheinend nicht sonderlich wichtig. Dringlich ist vielmehr, die Kolonisierung dieses neuen »Bereichs«, nicht ohne Gewaltstreich und Eklat, sicherzustellen und ihn in die Produktion des Diskurses des Selben/des selben Diskurses zu integrieren. Und weil es nicht darum gehen kann, dieses »fremde« Sprechen, diese »barbarische« Sprache, mit der man nicht einfach einen Dialog — d. h. einen Monolog mit sich selbst - beginnen kann, auf derselben »Ebene« anzusiedeln, wird man diese Entdeckung hierarchisieren, einstufen, sie auf eine Ordnung zurückführen. Dabei läßt man dem System manchmal mehr, manchmal weniger Spielraum . . . Die Formen der Klassifizierung können variieren, aber sie alle sind paradox insofern, als sie das, was notwendig ein Heterogenes, Anderes ist, der selben Repräsentation — der des Selben - unterwerfen.

Da der Traum bloß als »Rebus« interpretiert werden kann, müßte er seinen »Deuter« veranlassen, ihn in alle Richtungen und auf alle Positionen hin zu untersuchen, unter Verzicht auf ein besonderes Deutungsmuster, das bereits den Sinn vorgeben würde: als eine lineare, teleologisch ausgerichtete horizontale oder vertikale Verschiebung auf einer noch unbeschriebenen Oberfläche, die er bezeichnet, indem er sie den Regeln der Wiederholung und der Wiederkehr entsprechend zerlegt und dabei Prozessen gehorcht, die bereits die Gebärden des »Körpers« in einer bestimmten graphischen Ordnung erstarren lassen, etc. Warum sich nicht an jene »Bilder« für Kinder erinnern, Piktographien, auf denen irgendein Jäger, seine Beute und deren dramatische Beziehungen ^wischen den Zweigen ausfindig zu machen sind, aus den Zwischenräumen der Bäume entschlüsselt werden müssen? Abstände zwischen den Figuren, den Figurierenden. Zwischenräume, die die Szene organisieren, weiße Flecken, die ihre Strukturierung unterstreichen und die dennoch so nicht wahrgenommen werden. Werden sie gar nicht entziffert? Überhaupt nicht gesehen? Sie kommen niemals zur Geltung, sind nie darstellbar. Das freilich heißt nicht, daß sie in der vorhandenen Szenographie unwirksam sind. Doch sie sind in der Vergessenheit erstarrt und warten darauf, zum Leben zu erwachen und alles durcheinanderzubringen - wenn das Subjekt, der Interpret nicht verlangte, daß das »Es« für die Proliferation von Bildern (von sich) bliebe, der trügerische Hintergrund für das selbe Spektakel, Dekor für ein identisches Theater (des Identischen).
Rätsel sind die Träume auch deshalb, weil sie - im »Schlaf« und als seine »Hüter« - die Rollen durchkreuzen, die die Geschichte dem »Subjekt« und dem »Objekt«  vorgeschrieben hat.  Sprechende Stummheit ohne Worte, sich bewegende Bewegungslosigkeit ohne Gebärde, es sei denn in einer anderen Sprache, einer anderen  Schrift.   Piktographie,  Choreographie,  Phonographie, Pornographie des Traumes, stellvertretend für die gegenwärtige Paralyse dessen, was noch schläft. Und das vielleicht erst aufwachen wird, wenn das »Kind« angesichts solcher »Rätsel«, bei einem solchen »Rebus«, keine Lust mehr hat, um jeden Preis eine andere und dieselbe Figur oder Form zu sehen, sondern nur solche, die ihm sofort präsent sind. Wenn es dem Subjekt, dem Interpreten genügte, an einer, sagen wir, doppelten Syntax Gefallen zu finden, ohne dabei die zweite nach dem Maß der Repräsentation, der Re-Präsentation der ersten regeln zu wollen; wenn das, was für ihn nicht unmittelbar sichtbar ist, was er nicht als ein ihm Gleiches wahrnehmen kann, ihn nicht mehr »verletzen«, mit »Kastration« bedrohen würde, dann verspürte er nicht mehr das Bedürfnis, eine neue »Theorie« zu entwerfen, um mit einem zweiten oder x-ten Blick, der durch die Verschiebung seiner Technik geschützt ist, die »Manifestationen« des Unbewußten abzuriegeln. Eine Stütze, die dem schaudernden Blick zu Hilfe kommt bei der emsigen, »gewissenhaften« Konstruktion — Begriff auf Begriff -der Rationalität seiner gut abgesicherten Verdrängung. Wobei er Sitzung um Sitzung in einem auch durch die Imperative des Sehens - des Wiedererinnerns - geregelten Protokoll auf immer gleiche Weise Schranken setzt oder ausgrenzt.*  (* Frz.: »retablissement de la harre, du harre«; vgl. zu diesen Begriffen: Jacques Lacan, Schriften II. (Anm. d. Ü.j) Alles zulassend, alles mit wohlwollender Neutralität anhörend und das Verbotene auf einem kleinen, mit Bedacht eingegrenzten Schauplatz sammelnd. Die »Inter-dits« des Diskurses. Allerdings mit dem Vorbehalt, deren Konturen zu bezeichnen und zu »analysieren«, die verschiedenen Schichten wieder einzustufen, damit sich die Ordnung, die »gute« Ordnung des Bewußtseins daraus ergibt. Sonstwo.

Stellen wir uns nun einmal vor - und was soll man, wenn man Freud liest, anderes tun als Vorstellungen entwickeln, es sei denn, man erklärte sich für unfähig, die eigene Einbildungskraft zu gebrauchen -, daß der Mann, Freud in diesem Fall, jene zwei (sagen wir) Syntaxen entdeckt und sie für die unerhörteste, aufregendste, wissenschaftlich stichhaltigste, der Materialität der Fakten angemessenste Sache der Welt ausgegeben hätte, für ein historisches Heilmittel: zwei Syntaxen, die ohne jede Möglichkeit einer wie immer versteckten Hierarchisierung ganz offen und direkt miteinander verknüpft werden sollten. Zwei Syntaxen, die irreduzibel sind in ihrer Fremdheit und Äußerlichkeit zueinander, abhängig von verschiedenen Zeiten, Orten, Logiken, »Repräsentationen«, Ökonomien. Diese Begriffe - sowohl »zwei« als auch »verschieden« -sind übrigens nicht angemessen, um sie zu bezeichnen, zumindest deshalb nicht, weil sie für den Vergleich nicht taugen. Damit würde nur eine altgewohnte Bewegung wiederholt, das heißt von »dem anderen« in einer bereits für und durch das Selbe systematisierten Sprache gesprochen. Die Aufteilung, Bezeichnung und Verknüpfung der Syntaxen erforderte Operationen, die noch nicht existieren und deren Komplexität und Subtilität man lediglich ahnen kann, ohne ihre Resultate vorwegzunehmen, ohne eine bereits geltende Teleologie zu gebrauchen. Aber wenn der Mann Freud das Schwergewicht auf das Spiel, ja sogar auf den Wettkampf dieser beiden Ökonomien gelegt hätte statt auf ihren hierarchischen, durch eine Barriere (oder zwei), durch eine Zensur (oder zwei) gesicherten Aufbau, wäre er am Ende wahrscheinlich nie auf das gestoßen, was ihm in seinen Spekulationen ein unauflösbarer Rest, was ihm »dunkel« bleibt. Auf jenes Unsichtbare, also Nichttheoretisierbare: das Geschlecht und das Lustempfinden der Frau. Was auch immer für Explorationen er über diesen »dark continent« anstellt, welche Attraktion dieser auch für ihn haben mag: er verweist ihn stets auf einen noch blinden, unverständlichen »Horizont« der Forschung. Und weil er ihn als außerhalb seines systematischen Forschungsfeldes - außerhalb seines Ich? liegend anerkennt, zeigt Freud zweifellos einen Ausweg aus dem historisch-transzendentalen Schauplatz, während seine Theorie und seine Praxis über den Modus der Aussage oder das Drama des Aussagens den gleichen Schauplatz verewigen, den wir jetzt hysterisch-transzendental nennen wollen. Und durch diese Kennzeichnung, den Effekt der Wiederholung - der Wiederholung aus Prinzip, petitio principii -, der Rekapitulation, der unwissentlich auch ein mimischer Effekt ist, wird das Privileg des längeren Atems deutlich. Und zugleich die Kurzatmigkeit.

Denn wenn Freud das Inzestverbot noch einmal bekräftigt, dann tut er nichts anderes, als die Bedingungen der Möglichkeit der spekulativen Matrix des »Subjekts« erneut zu formulieren und zurechtzurücken. Er sichert ihre Grundlagen erst recht »wissenschaftlich« ab, noch »zwingender« in ihrer »Objektivität«. Eine Demonstration, die er selbst brauchte, um sein Begehren nach seiner Mutter, nach der Mutter in allgemeineren Interessen zu »sublimieren«? Aber da er in der (seiner) Psychoanalyse bloß die Geschichte seines Subjekts, seiner Subjekte befragt, ohne die historischen Bestimmungen der Konstitution des »Subjekts« seihst (als Selbst) zu interpretieren, verbesserte er nur noch einmal jenen Boden, der als von neuem verdrängte Erde die Grundlage seiner Arbeit bildet: die Erde, die auf traditionelle Weise, aber für ihn ganz explizit das Körper-Geschlecht der Mutter-Natur ist, mit der er, obschon er sie unter hohen Idealen verbirgt, sehr wohl um die Macht, die Produktivität rivalisieren muß. Durch Identifizierung mit dem Gesetzgeber-Vater, mit seinen Eigennamen, seinen Wünschen nach Verwertung in jeglicher Form, für die der Besitz des Territoriums, also auch der der Sprache, Vorrang hat; indem man sich mit der Art und Weise identifiziert, wie jener seine Genüsse durchsetzt, wenn es nicht um den Austausch der Frauen - fetischisierten Objekten, Waren - mit seinesgleichen geht. Das Verbot der Rückkehr, der Regression in den Bauch der Mutter, zugleich in die Sprache und die mit ihr geteilten Träume - dies Verbot stellt den Punkt, die Linie, die Oberfläche dar, an die sich das »Subjekt« weiterhin halten wird, um seinen Diskurs voranzutreiben, ihn zu entfalten, ja, um ihn zum Tanzen zu bringen, diesen Diskurs, der wegen der ständig wiederkehrenden Erinnerungen an seinen Anfang nur mit Mühe den Verlockungen einer falschen Versöhnung seines Ziels und seiner wirklichen Quellen entronnen ist. Ein ziemlich labiles Gleichgewicht im Verhältnis zu dem, was der Diskurs, was er hervorbringen soll. Aber was macht das schon aus, da er ja nun die Gründe seiner Schwierigkeiten kennt . . . Und, alles in allem, handelt es sich hier nicht letztlich bloß um den Erwerb neuer Reichtümer? Überdeterminierung, Nachträglichkeit, Träume, Phantasien, Wortspiele . . . Die Sprache, auf deren Rechnung diese/seine Annexionen gehen - auch die okularen, uterinen, embryonalen -, vermehrt sein Glück; sie gewinnt an »Tiefe«, Dichte, Differenziertheit, an Vielfältigkeit der Verfahrensweisen und Techniken. Man glaubte ihn in Gefahr? O nein, er tanzt, spielt, schreibt über sich mehr denn je.  Man behauptet sogar, daß seine Sprache »wahrer« sei als in vergangenen Zeiten, reicher geworden um die Dimension seiner Kindheit. Schwangeres Bewußtsein, das durch seine Beziehung zum Mütterlichen noch bewußter ist.

Während »sie« nicht ausdrücken kann, was ihr Körper leidet. In der Anordnung, die eigens erfunden wurde, um ihr zuzuhören, sind es gerade die Worte, die ihr entzogen werden. In einem Bekenntnis, das ihre Sprache verschleißt oder sie geradezu fetischistisch verleugnet. Die Hysterie aber, zumindest die, die vorzugsweise das Los des »Weiblichen« ist, bat hier jetzt nichts zu sagen. Was »sie« erduldet, was »sie« begehrt, ja, sogar das, woran »sie« Lust erfährt, spielt sich auf einem anderen Schauplatz ab als dem, der durch seine Beziehung zur Repräsentation bereits kodifiziert ist. Aus dem Sprechen verdrängt, unter-sagt in »hieroglyphischen« Symptomen - eine Bezeichnung, in der man Vorgeschichtliches vermutet -, wird man es in dieser Geschichte gewiß nicht mehr hervorholen können. Es sei denn, man bringt sie dazu, sich unter Mißachtung ihres eigenen Geschlechts an den Spielen der männlichen Tropen und Tropismen zu beteiligen. Zu einem Diskurs bekehrt, der die Besonderheit ihrer Lust leugnet und der sie, natürlich zensuriert, als Hohlseite, als Umkehrung, als Negativ der phallischen Manifestationen in sich integriert. Homosexualisiert also. Auf perverse Weise tra(ns)vestiert zur Befriedigung von päderastischen und sodomitischen Bedürfnissen des Vater-Gatten. Sie schwatzt von Forderungen, deren Harmlosigkeit zu offensichtlich ist, als daß man davon beunruhigt sein müßte. Man lacht darüber. So amüsiert man sich über ein Kind, das lauthals die verrückten Ambitionen proklamiert, die die Erwachsenen verschweigen. Man kennt seine Unfähigkeit, sie zu realisieren. Und daß sie so naiv ihre Machtphantasien zur Schau stellt, dient ihnen in ihrem Machtkampf zur Entspannung. Denn in ihrer Kindlichkeit* (*Im Original »in-fance«, eine Anspielung auf »infans« (lat.), das wörtlich »nicht sprechend« bedeutet. Vgl. auch »Stade infans« bei Lacan. (Anm. d. Ü.)) setzt sie etwas wieder in Szene, hält sie etwas in Reserve, von dem sie sich zwar ein wenig entfernen müssen, um sich mit der Sicherung ihrer Herrschaft zu befassen, das sie aber nicht gänzlich aufgeben dürfen, sonst könnten sie selbst den Kopf verlieren. Sie wird also diese induzierten Begierden, die ihrem noch amorphen Bewußtsein fremden Suggestionen wie eine Pythia mimen, und diese werden sich um so glaubhafter darstellen, je weiter sie sie von ihren Interessen wegführen. Indem sie sich in der Rolle eines Doubles, durch das sie sich selbst entfremdet wird, der etablierten Ordnung unterwirft, gibt sie das Vorrecht auf, das ihr historisch eingeräumt wurde, leugnet es sogar: die Unbewußtheit. Sie prostituiert das Unbewußte selbst an die immer präsenten Projekte und Projektionen des männlichen Bewußtseins.

Es gibt natürlich Stellen, an denen der Mann Freud - oder die Frau, wenn sie ihm entgegensetzen könnte, was ihr wirklich zusteht - das hätte wahrnehmen können, was die Überdeterminierung der Sprache, ihre nachträglichen Wirkungen, ihre Doppelbödigkeiten in Träumen und Phantasien, ihre konvulsivischen Schocks, ihre Paradoxa und Widersprüche der zwanghaften Verdrängung der mütterlichen Macht schulden - dem Matriarchat, um noch einmal einen prähistorischen Bezug aufzunehmen — und ebenso der Verdrängung des historischen Entstehungsprozesses der weiblichen Sexualität; aber in seiner Interpretation findet man  lediglich   eine   Bestätigung   der  Begrifflichkeit   und   des Bedeutungsumfangs des Diskurses selbst (des Selbst). So wird die Frau ein weiteres Mal der Architektonik des Diskurses einverleibt, die nun mächtiger ist denn je, sie wird in sie eingefügt und ihrer phallischen Struktur entsprechend hergerichtet. Bisweilen findet sie selbst Gefallen daran, in diesem Diskurs eine Anerkennung des Bewußtseins zu verlangen, ja, sie will sich gar die Unbewußtheit aneignen, die nicht die ihre ist. Unbewußtheit, die sie ist, doch nicht für sich: Sie ist ohne Subjektivität, die sie zur Kenntnis nehmen, die sie als eigene anerkennen könnte. Sicherlich ist sie sich selbst nahe, jedoch in völliger Unwissenheit (von sich). »Sinnliche« Reserve für den Aufstieg der Intelligenz, Materie-Grund für den Aufbau der Formen, Unterpfand für die mögliche Regression zu naiver Wahrnehmung, Vorstellungs-Repräsentanz der Negativität (des Todes), »dark continent« der Träume, Phantasien und Phantasmen. Und sie ist nicht zuletzt das Tympanon, das getreulich die Musik verdoppelt, allerdings nicht jede, damit die Serie der Verschiebungen für das »Subjekt« ihren Fortgang nehmen kann, ein »Subjekt«, das sie übrigens in seiner Bestimmung stabilisiert, wenn sie nun versucht, ihm seinen Besitz wieder wegzunehmen: das, was — von ihm — ausgehend vom Es — von ihr - als Selbst ausgearbeitet und aus der Spekulation und Spiegelung ausgeschlossen wurde. Lediglich seine Verwertung ist in andere Hände übergegangen. Sie muß einen solchen Wechsel in der Leere ihres Begehrens akzeptieren, mit einiger Verspätung im Prozeß, im Progreß der Geschichte.

Aber wenn die Frau, mit Gesten ihrer Hand, noch einmal Wege in einen Logos öffnet, der sie als kastriert, vor allem als sprachlos definiert, der sie aussperrt von allen Aufgaben, es sei denn, sie prostituiert sich im Interesse der herrschenden Ideologie — der Homosexualität und ihrer Auseinandersetzung mit dem Mütterlichen -, dann bedeutet das, daß ein bestimmter Sinn, der immer auch den der Geschichte ausmacht, einer unerhörten Prüfung, einer unerhörten Veränderung unterworfen würde. Doch wie soll man es anstellen? Denn, um es noch einmal zu sagen, die »vernünftigen« Worte - über die sie übrigens nur durch Mimesis verfügt -sind außerstande zu übersetzen, was in den kryptischen Bahnen der Hysterie als Leiden oder als Latenz pulsiert, schreit oder unklar in der Schwebe bleibt. Nun, dann gilt es also, allen Sinn von oben nach unten, von hinten nach vorn zu kehren. Dann gilt es, den Sinn radikal\u erschüttern und die Krisen, die ihr »Körper« in seiner Unfähigkeit, zu sagen, was ihn schüttelt, durchmachen muß, in ihn zu übertragen, zu re-importieren. Auch auf jenen weißen Stellen im Diskurs bewußt zu insistieren, die an die Orte ihres Ausschlusses erinnern, die in ihrer schweigenden Plastizität den Zusammenhang, die Verknüpfung und die kohärente Ausdehnung der etablierten Formen des Diskurses sichern. Sie abweichend einzusetzen, anders und woanders als da, wo sie erwartet werden, in Ellipsen und Eklipsen, die die logischen Raster des Leser-Schreibers zerlegen, seine Vernunft aus dem Gleis werfen, seinen Blick trüben, bis daraus ein unheilbares Doppeltsehen entsteht. Die Syntax umzustürzen, indem man ihre stets teleologische Ordnung durch Abreißen des Drahtes, Stromabschalten, durch Pannen des selbsttätigen Ein- und Ausschaltens, durch Umkehren der Verkopplungen,   durch   Modifikationen   der   Kontinuität,   des Stromwechsels, der Frequenz, der Intensität suspendiert, so daß man für lange Zeit nicht mehr vorhersehen kann, von wo, worauf hin, wann, wie, warum dies oder jenes geschieht. Die Bewegung wird kommen, wird um sich greifen, sich verkehren oder anhalten.  Nicht aufgrund einer wachsenden Komplexität des (der) Selben allerdings, sondern mittels Unterbrechungen durch andere Schaltungen, durch das Eintreten von Kurzschlüssen zuweilen, die ziellos zerstreuen, ablenken, umleiten und manchmal die Energie explodieren lassen, ohne mögliche Rückkehr zu einem Ursprung. Eine Kraft, die nicht mehr nach einem bestimmten Plan kanalisierbar ist: als Projektion einer einzigen Quelle, auch in den sekundären Stromkreisen, mit Rückwirkungen.

All das gilt bereits für die Wörter, die (wie man sagt) »lexikalischen Terme«, die ebenfalls verkettet, gefesselt sind, im gleichen Sinn. Doch sie müssen auch als Verkleidungen befragt werden, in die das »Subjekt« voller Scham das »Weibliche« hüllt, das, vergraben unter all jenen aufwertenden oder herabsetzenden Metaphern, nicht mehr weiß, wie es sich aus diesen Verkleidungen herausschälen soll, zumal es ein gewisses Gefallen daran findet, in diesem Genre zu glänzen. Doch wie könnte sie, mehr und mehr mit Metaphern ausgestattet, irgendeinen Laut - irgendein »mein« -aus diesem chevaleresken Flitterkram heraus äußern? Wie einen Weg, eine Stimme finden, die stark oder bestimmt genug wären, um diese Schichten von Ornamenten zu durchdringen, diese dekorative Grabstätte aufzubrechen, die ihr schließlich den Atem nimmt? Erstickt unter all diesen (seinen) melodischen Schnörkeln. Doch sie muß aus all diesen Hüllen auftauchen wollen; sie muß der Explosion ihrer Nacktheit und ihrer Entblößung in der Sprache auch zustimmen, allem entgegen und gegen alles — auch gegen die Worte. Denn die gebieterische Notwendigkeit ihrer Scham, ihrer Züchtigkeit - vorschriftsmäßig eingefaßt vom gängigen Diskurs -, ihrer dezenten Bescheidenheit, ihrer Diskretion wird nach wie vor allenthalben bestätigt, in allen Tönen, allen Formen, allen Theorien, allen Stilen mit ganz geringen Schattierungen, die außerdem Argwohn hervorrufen, wenn sie sich im pornographisch homosexuellen Wettbewerb überbieten. Muß man dies für den gemeinsamen Grund und Fundus ihrer Produktion halten?
Das (re-)produktive Vermögen der Mutter, das Geschlecht der Frau: zwei Einsätze zur Proliferation der Systeme, geschlossene Häuser und Fetischwörter für das »Subjekt«, Zeichen-Objekte, deren Wahrheitsanspruch die Gefahr des Umschmelzens der Werte im und durch den anderen verschleiern soll. Aber keine noch so klare oder eindeutige Aussage kann diese Hypothek wirklich aufheben, da alle Aussagen vom gleichen Kreditsystem vereinnahmt, gefangen sind. Erneut verwertbar sind sie von dem Augenblick an, da sie aus dem bestehenden Bedeutungsdispositiv herausgenommen werden. Doch besser spricht man davon nur in Äquivokationen, Anspielungen, Gleichnissen, Andeutungen, selbst dann, wenn mehr Präzision verlangt wird, wenn versichert wird, daß man nichts von alledem verstanden hat. Man hat ohnehin nie etwas verstanden. Warum also soll man nicht das Mißverständnis bis zur Erschöpfung wiederholen? Bis das Ohr sich an eine andere Musik gewöhnt hat, die Stimme wieder klingt, bis der Blick aufhört, ausschließlich auf die Zeichen seiner Selbst-Repäsentation zu starren, bis die (Re-)Produktion nicht mehr immer wieder auf das Selbe (die Selben) und zu den mehr oder weniger gleichen Formen zurückkommt.
Die aus dem Konzept gebrachte Sprache verlangt in ihren anarchischen Aussagen gleichwohl geduldige Strenge. Die Symptome sind von unerbittlicher Genauigkeit. Und selbst wenn es darum geht, eine bestimmte Art der Spiegelung und der Spekulation zu zerschlagen, heißt das keineswegs, daß man auf jeden Spiegel verzichten muß, und auch nicht, daß man es vermeiden kann, die Wirkung dieses Aufbaus der sprachlichen Repräsentation zu analysieren, der das weibliche Begehren sprachlos und, allgemeiner, leblos macht, es sei denn, es tritt in einer seiner phallomorphen Maskeraden oder Herausforderungen auf. Bringt man die Zeit für diese Interpretation nicht auf, so ist die Folge, daß das Begehren wieder erstarrt, sich verliert, zersplittert. Noch einmal. Aber vielleicht kündigt sich jenseits dieser spiegelnden Oberfläche, die den Diskurs trägt, ja nicht die Leere des Nichts an, sondern das blendende Licht einer Speleologie, einer Höhlenkunde, das durch unzählige Facetten gebrochen wird. Eine funkelnde und glühende Tiefe* (* Frz.: »concavite«; Konkavität, Vertiefung, Höhlung. (Anm.d. Ü.)) auch der Sprache, die die Fetisch-Objekte und die durch den Glanz des Goldes gebannten Augen** (** Frz.: »yeux aurifies« ist homonym mit »yeux horrifies«, »aurifier«, mit Grold ausstopfen. (Anm. d. Ü.))  mit Feuer bedroht. Das Umschmelzen ihres Wahrheitswertes ist da nicht mehr fern. Es genügt, noch tiefer einzudringen, noch ein bißchen weiter hinabzusteigen in den sogenannten dunklen Keller, der ihren Spekulationen als heimliche Grundlage dient. Denn gerade dort, wo die dunkle und schweigende Matrix eines in der Gewißheit seiner erhellenden Kraft unveränderlichen Logos wiedergefunden werden müßte, fangen statt dessen Feuer und Eisspiegel zu glitzern an, die die Evidenz der Vernunft unterminieren. Nicht so sehr deshalb, weil sie den Hintergrund der Höhle bilden - das wäre der noch ursprüngliche Anspruch auf den geschlossenen Raum -, sondern vielmehr durch ihr loderndes Feuer, das sich endlos weiter entzündet.

Welches »Subjekt« indes hat sich bis heute darum gekümmert, daß ein konkaver Spiegel das Licht konzentriert, und vor allem darum, daß das Geschlecht der Frau dem nicht gänzlich fremd ist? Ebensowenig wie das Geschlecht des Mannes dem konvexen Spiegel fremd ist. Welches »Subjekt« hat sich für die anamorphotischen Gebilde interessiert, die aus der Konjunktion solcher Krümmungen hervorgehen? Welche unmöglichen Reflexe, verrückten Reflexionen, parodistischen Transformationen würden bei jeder einzelnen Verbindung stattfinden? Das Diktum »das ist« annulliert diese Möglichkeiten in der angeblichen Wahrheit einer Kopula, aus der »er« immer und heute noch die Ressourcen seiner Identifikation als Selbst macht. Niemand hat sich also darum gekümmert, aus Angst, aus der eigenen Existenz herauszufallen. Man muß daher jede noch so verborgene Perspektive einer Zentrierung des Subjekts, jeden autonomen Kreislauf der Subjektivität, jede in sich geschlossene Systematisierung, alle Formen der Einschließung, von der metaphysischen bis zur familialen, sozialen und selbst ökonomischen, in Verdacht haben, daß sie sich unter irgendeinem Namen das weißglühende Feuer des konkaven Spiegels zu eigen gemacht, fixiert haben, es zur P^rstarrung bringen. Wenn dieser Spiegel - obwohl er einen Hohlraum, ein Loch bildet - zum Punkt wird, um der imaginären Umlaufbahn eines »Subjekts« eine Gestalt zu geben, dann findet das Subjekt eine Möglichkeit, sich in und durch das »Zentrum« der Feuer gegen das Begehren der Frau, nach der Frau zu verteidigen. So bleibt er in einer Sicherheit spendenden Morphologie, macht sich aus der Struktur ihres Hohlraums eine bequeme Grabstatt, von der aus er eventuell, spekulativ weiter- und überlebend, seine Betrachtungen anstellen kann. Durch alle möglichen Kulissenfenster, durch optische Apparate, Scheiben oder Spiegel schützt und betrachtet er sich vor und in dem »glühenden Spiegel«, der alles verbrennt, was in seine Höhlung fällt.

Man hätte freilich - das Objekt und das Objektive verteidigend -bereits einwenden können, das Speculum sei nicht notwendig ein Spiegel. Es kann - ganz einfach - ein Instrument sein, das die (Scham-) Lippen, Spalten, Wandungen auseinanderspreizt, damit der Blick ins Innere dringen, dort sehen kann, vor allem in spekulativer Absicht. Nachdem die Frau verkannt, vergessen, auf verschiedene Weise in Spektakeln zum Bild erstarrt ist, in Metaphern verpackt, unter wohlstilisierten Figuren begraben, zu diversen Idealitäten erhoben wurde, wird sie nun das (Untersuchungs-) »Objekt«, das man ins Auge faßt, dem man explizit seine Aufmerksamkeit schenkt und das es in dieser Eigenschaft in die Theorie einzuführen gilt. Und wenn jenes Zentrum, das die Metaphysik in seiner Geschlossenheit fixierte und unbeweglich machte, vorher oft auf irgendeine Gottheit oder auf eine andere unsichtbare Transzendenz zurückbezogen wurde, hebt man nun vielleicht seinen letzten Sinn auf, indem man es auf das Sichtbare des weiblichen Geschlechts bezieht?
Ja, das Auge des Mannes - auch das ans Geschlecht delegierte -wird das Geschlecht der Frau ausschürfen können und nach neuen Profitquellen darin suchen, nicht zuletzt nach theoretischen. Auf diese Weise treibt er den Fetischismus seines Begehrens, des Begehrens überhaupt voran. Die Hypothek des Mysteriums allerdings bleibt bestehen, welche Hilfe man auch immer heutzutage, seit kurzer Zeit, von der »Hysteroscopie« bekommen mag. Selbst wenn der Ort des Ursprungs, wenn das Ursprüngliche dabei bestehen bleiben, wenn nicht nur die Frau, sondern auch die Mutter sich seinem Blick enthüllen kann, was wird er mit der Erforschung dieser Goldgrube schon anfangen? Er kann allenfalls das Recht des Blicks auf alles, auf das Ganze noch gründlicher usurpieren, wobei er sein Begehren gerade dort immer weiter verausgabt und verbraucht, wo er in vollem Ernst glaubt, an der Reduktion einer Illusion zu arbeiten, möglicherweise sogar an der einer transzendentalen Illusion. Denn was wird er, werden sie an diesem absonderlichen Ort gesehen haben? Und wovon werden sie berichten? Eine Desillusionierung, die völlig illusorisch ist; das Transzendentale  bewahrt  sein  Geheimnis. Zwischen  Empirischem und Transzendentalem wird etwas offen, unangetastet bleiben, wird der Untersuchung entgehen: der Zeit-Raum, in dem die Gefahr besteht, daß die Fetische verzehrt und verbrannt werden. In dem Feuer, in dem Licht, in der optischen Ohnmacht, die ihre Zusammenstöße auslösen, wird auch die Spaltung verbrannt worden sein, die den vor allem phallischen Unterschied zwischen Erfahrung  und  transzendentaler  Erhabenheit begründet und strukturiert. Die Scheu verschwindet, die Krise der ontisch-ontologischen Differenz setzt ein* (* Frz.: »Exchize crise de la difference ontico-ontologique.« (Anm. d. Ü.))Was wird die Folge dieser Umschmelzung, dieser Umwertung jeder Ökonomie sein? Um die Wahrheit zu sagen: Man weiß es nicht. Und für den, der sich an etwas halten will: Man muß das Schlimmste befürchten. Denn es droht eine allgemeine  Krise  der  Wertsysteme,   ein  Zusammenbruch  der Werte, die heute noch Geltung haben, die Entwertung ihres Richtmaßes und der Herrschaft ihrer Monopole.
In jeder kopulativen Ekstase, Fusion und Diffusion, wird der Geldwert umgeschmolzen, werden die gültigen Einsätze erneuert und umverteilt. Zwischen zwei Krisen, zwei Explosionen erglüht der erzene Fetisch zweimal. Und es ist schwer vorauszusagen, ob in diesem Spiel derjenige - er? - der Gewinner sein wird, der die meisten Jetons gesammelt und akkumuliert hat. Man kann sich durchaus vorstellen, daß derjenige - sie? - den Sieg davontragen wird, der seine Zeit damit verbracht hat, seinen Schatz zu polieren. Wenn die der reflektierenden Oberfläche anvertrauten Depots wirklich abgetragen werden, dann kann es erst recht geschehen, daß jene die Reserven und Kapitalien dessen in Brand steckt, der unter dem Deckmantel und dem Vorwand der Verführung seine Reichtümer zur Schau stellt.

Doch, so wird man wieder einwenden - im Namen irgendeiner anderen Objektbeziehung -, man nährt sich nicht von Feuer und Flammen. Mag sein. Freilich genau so wenig von Fetischen und Blicken. Und wann wird man aufhören, das Geschlecht der Frau und den Mutterschoß zu verwechseln, zu behaupten, daß jenes nur zählt, wenn es die Erbschaft des Mutterschoßes antritt? Wann wird der Mann sein Bedürfnis oder sein Begehren aufgeben, sich in Ruhe von seiner Frau-Mutter sättigen zu lassen, um dann vor seinen Brüdern, seinen Freunden die herrlichen Objekte ausstellen zu können, die er geformt hat, als er die Milch dieser Nährmutter trank? Und/oder wann wird er darauf verzichten, die Rollen umzukehren, nur damit er sie um so besser konservieren kann, und darauf, seine Kind-Frau unterhalten zu wollen, die nach seiner Vorstellung unfähig ist, (sich) auf dem Arbeitsmarkt zu produzieren? Wobei sich die »Ehe« in eine mehr oder minder subtile Dialektik der Nahrungsbeziehung auflöst, mit dem einzigen Zweck, diese Ökonomie, zumindest die Differenz Frau-Kind, Produzent-Konsument, aufrechtzuerhalten.

Der Blick, um darauf zurückzukommen, wird also alle inneren Höhlen erforschen können, die geheimsten einstweilen mit Hilfe von Licht und zusätzlichen Spiegeln, mit geeigneten Sonnen und Spiegeln. Die instrumentelle und technische Nutzung von Sonne und Spiegel hat ihm sicher gezeigt, bewiesen, daß jene Grube kein Gold enthält. Solche Nacktheit aber löst im Blick Entsetzen aus, hatte er doch geglaubt, daß aller Glanz für ihn reserviert sei, daß er ohne Konkurrenz fortfahren könne, zu spekulieren; daß der kindliche archaische Kredit, der der allmächtigen Mutter eingeräumt wurde, nichts als ein Märchen sei. Wie aber soll man ohne Fiktion begehren? Und was für einen Genuß verschafft eine Akkumulation von Gütern ohne Risiko, ohne Kosten?
Man wird bemerkt haben, daß das, was das Licht zur Erforschung der inneren Höhlen polarisiert, paradigmatisch für den konkaven Spiegel steht. Er muß die zu schwachen Strahlen des Blicks, der Sonne, des von der Sonne erhellten Blicks konzentriert haben, bevor das Geheimnis der Höhlen aufgeklärt werden kann. Die wissenschaftliche Technik hat die Kondensationseigenschaften des »Brennspiegels« benutzt, um in das Mysterium des Geschlechts der Frau einzudringen, mit einer neuen Aufteilung der Möglichkeiten von experimenteller Methode und »Natur«. Ein neues Auseinanderspekulieren von Mütterlichem und Weiblichem? Die Verwissenschaftlichung der Fiktion, mit der die Desaster des Begehrens gebannt werden sollen, tötet es ab, indem sie es aus allen Blickwinkeln analysiert. Doch zugleich läßt sie es intakt. Anderswo, immer noch brennend.