Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung setzt bereits vor 1848 ein, im Aufbruch der demokratischen Bewegung des Vormärz. Und doch ist ein genaues Datum nicht zu benennen, erst recht keines, das in unseren Geschichtsbüchern steht. Hiermit aber beginnt die Schwierigkeit, diese Geschichte chronologisch zu erzählen.
Denn selbstverständlich haben Frauen auch schon vor 1848 eine Geschichte gehabt, gearbeitet, geliebt und gelitten. Sie sind schließlich «die Hälfte der Menschheit» — eine Redewendung, die in der Französischen Revolution aufgekommen war und damals, unter der Parole der «Freiheit und Gleichheit» aller Menschen, von den Zeitgenossen bereits als Herausforderung verstanden wurde. Wie um über die Einseitigkeit der Geschichtsschreibung hinwegzutäuschen, werden mit Vorliebe einige «große Frauen der Weltgeschichte» genannt — als Ausnahmen wohlgemerkt, die die Regel bestätigen: ein paar Regentinnen, wenige außerordentliche Talente, zumeist Künstlerinnen, im 18. Jahrhundert zunehmend sog. «gelehrte Frauenzimmer», in deren Gesellschaft allerdings — wie der ßestsellerautor A. v. Knigge in seinem Anstandsbuch zu berichten weiß — jeden anständigen Mann «eine Art von Fieberfrost befällt».
Denn im Hause solcher Damen «geht (dies verkehrt; Die Speisen kommen kalt oder angebrannt auf den Tisch; Es werden Schulden auf Schulden gehäuft; der arme Mann muß mit durchlöcherten Strümpfen einherwandeln; Wenn er nach häuslichen Freuden seufzt, unterhält ihn die gelehrte Frau mit Journals-Nachrichten, oder rennt ihm mit einem Musen-Almanach entgegen...»[1]
Abgesehen von solchen bis heute noch üblichen Entgleisungen wird niemand leugnen, daß Frauen zu allen Zeiten — insbesondere in denen der Not — einen unverzichtbaren Beitrag nicht nur zur Geschichte, sondern eben zum Leben geleistet haben, auch wenn die Geschichtsschreiber hierüber bisher wenig Worte verloren haben. Doch die Behauptung und der Anspruch von Frauen, eine eigene und damit eine andere Geschichte zu haben, eine Geschichte, die bisher vergessen oder bewußt nicht erzählt und auch nicht von der sog. allgemeinen Geschichtsschreibung aufgenommen wurde, hatte noch mehr zur Folge. Dieser Anspruch mußte erst einmal angemeldet, ausgesprochen und bewußtgemacht werden, und zwar von Frauen als Vertreterinnen ihres Geschlechts, als Mittäterinnen, als Opfer oder als Zeuginnen der Geschichte. Und er setzt voraus, daß Frauen es gewagt haben, sich als einzelne zu exponieren, aus der gewohnten Rolle und der ihnen vorgeschriebenen Bahn der Bescheidenheit und Unmündigkeit auszubrechen. Damit haben sie oft mehr riskiert als ihren Ruf, insbesondere auch materielle Sicherheit und geliebte Gewohnheiten.
Kennzeichnend für den Aufbruch der Frauen im deutschen Vormärz und der Grund dafür, hier zum erstenmal von einer Bewegung der Frauen zu sprechen, war die verblüffende Gleichzeitigkeit ihres Aufbegehrens und ihrer Erkenntnis, nicht nur eine einzelne, sondern eine von vielen zu sein, die mit ihrer «Bestimmung» hadert. Zu offensichtlich waren für sie die Widersprüche geworden zwischen den neuen politischen und sozialen Forderungen und den besonderen Zumutungen, denen Frauen ausgesetzt waren.
«Wenn die Zeiten gewaltsam laut werden, so kann es niemals fehlen, daß auch die Frauen ihre Stimme vernehmen und ihr gehorchen.» [...] «Die Zeiten sind gewaltsam laut geworden. Der freie deutsche Geist ist aufgewacht, der schlummernd und gebunden in Kellen lag... Es zieht eine heilige Frühlingsluft über das deutsche Land, welches seine Blütezeit verkündet. Es ist Ostern und Pfingsten in Deutschland zugleich... Es ist ein Leben und Streben in unserer Zeit, wie es nie vorher gewesen.»[2]
Nie vorher? — Deutschland hatte bisher keine Revolution erlebt. Seit 1830, seit der Julirevolution in Frankreich, knackte es gewaltig in den Fugen der alten Ordnung auch in Deutschland, das seit dem Wiener Kongreß von 1815 im Deutschen Bund unter der Vorherrschaft Österreichs und Preußens nur mit politischer Repression zusammengehalten wurde. Feudale Kleinstaaterei, politische Rückständigkeit, wirtschaftliche Umwälzungen und soziale Mißstände spitzten sich zu, überstürzten sich, drängten auf Veränderung. Dies war der Anlaß einer revolutionären und demokratischen Bewegung, an der auch die Frauen teilhatten, die sie mit vorantrieben und die viele «aus ihrem lethargischen Schlummer»[3] riß.
Und doch beginnt die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland keineswegs mit einem Paukenschlag, ganz im Gegenteil, nicht wie im Frankreich der Französischen Revolution mit einem Protestzug der Frauen nach Versailles oder spektakulären Auftritten in der Nationalversammlung, auch nicht wie in den USA mit einer «Feierlichen Erklärung» auf dem Frauenkongreß in Seneca Falls im Jahr 1848, sondern eher unauffällig, schüchtern und zu Anfang beinahe unbemerkt: z. B. mit einer anscheinend harmlosen Zeitungsdebatte in den «Sächsischen Vaterlandsblättern» in den Jahren 1843/44, mit einzelnen persönlichen Befreiungsversuchen aus der Enge bürgerlicher Verhältnisse und Konvenienzehen und mit viel politischer Poesie. Es mußte vieles zusammenkommen, bis sich aus der Erfahrung alltäglicher Ungerechtigkeiten, aus vielfältigen Erlebnissen von Not, Behinderung und Kränkung und schließlich aus der Weigerung von Frauen, dies alles hinzunehmen, jenes Gefühl von Gemeinsamkeit bildet, das in Wort und Taz zu einer Bewegung wird, die ihren Protest laut und «für alle» verkündet.
Versuchen wir uns daher zunächst die Voraussetzungen zu vergegenwärtigen: Dazu gehören die soziale Lage, insbesondere der Alltag von Frauen, politische Ereignisse und Anstöße auch aus dem Ausland, aber auch einzelne Lebensgeschichten.
1. «So weltbewegend wie die Anlegung der Eisenbahnen!» (Louise Otto)
- Die Erfindung der Streichhölzer
Frauenalltag
«... es sah zur Zeit unserer Großmütter und Mütter gewaltig anders aus in Haus und Stadt und nun gar auf dem Lande. Fast alle, auch die einfachsten Bedürfnisse einer Haushaltung mußte man erst in dieser sich selbst bereiten. Die Wäsche ward im Hause gewaschen, Brod und Kuchen selbst gebacken, alle Vorräthe für den Winter, Früchte vom einjachsten Dörren an bis zum compUcirlesten Gelee, Fleisch in den verschiedensten Zubereitungen, Butter und Eier — Alles war durch eigene Hausarbeit für den Hausverbrauch bereitet und aufbewahrt...»
«Aus einzelnen Bildern, die wir herausgreifen, wird auch die jüngere Generation sich eine Vorstellung machen können, wie es im deutschen Vater lande aussah, als eben erst die Webstühle das Spinnradverdrängten, aber noch keine Nähmaschinen der Handarbeit Concurrenz machten, als das Handwerk und die Industrie noch nicht auf der Stufe waren, die weibliche Hausarbeit auf allen Gebieten zu überflügeln, als es noch keine. Zündhölzchen gab und kein Gas, keine Eisenbahnen und Telegraphen, als das Meiste von dem, was wir heule in unseren Wirthschaflen noch nicht einmal Luxus, sondern nur Bedürfhiß nennen, noch gar nicht oder nur in sehr unvollkommenem Grade, in unbequemer Weise oder nur für die Paläste der Vornehmen vorhanden war; als es noch viele Krauen im Volke gab, die nicht schreiben oder nur Gedrucktes oder gar nichts lesen konnten, — und Damen, bei denen man es noch liebenswürdig fand, wenn sie nicht orthographisch schrieben — als die Lernzeit der Mädchen durch die Confirmation im Alter von 14 Jahren beendet wardundauch die ältesten Frauen vor Gericht gleich den Kindern eines Vormundes bedurften...»[4]
So begann Louise Olto aus der Rückschau fast eines halben Jahrhunderts (1876) ihre Schilderung des Frauenlebens um 1830. Mit ihren «Erinnerungen aus der Vergangenheit» hat uns L. Otto eine seltene und unschätzbare historische Quelle hinterlassen — selten, weil es trotz einer Fülle sozial geschichtlicher Literatur und Alltagsgeschichten bisher bezeichnenderweise keine Technikgeschichte gibt, die auch über die Arbeitsweisen und technischen Veränderungen im Haushalt und Alltag der Frauen Auskunft geben konnte. Die Grundlage jeder Hauswirtschaft um 1830 war die Vorratshaltung, die ständige Aufmerksamkeit und viel Aufwand erforderte.
«In großen Kellern lagerten ganz Kufen vom Rhein... Daneben auf besonderen Gestellen viele Scheffel Äpfel wohlgeordnet, darunter die Kartoffeln, dann zwei riesenhafte Pökelfässer, wohlgefüllt mit Rind- und Schweinefleisch... In den Gewölben des Erdgeschosses Buttertöpfe von allen Größen, zum Kochen für den Winter, Fässer und Krüge mit Gurken und Gemüsen, ganze Schränke voll Büchsen mit eingemachten Früchten, ganze Horten, voll gebackenem Obst, Eier in Stellagen mit Löchern zierlich aufgestellt... - ein Erträgnis der eigenen Hühnerzucht.»[5]
Aber auch Kolonialwaren und Textilien wurden im großen eingekauft, Zucker und Kaffee in Viertel- oder halben Zentnern, Leinen in großen Ballen oder andere Stoffe nach Metern, denn alle Wäsche und Kleidung wurde noch im Hause gefertigt in unendlicher Handarheit. Kleine Mädchen wurden schon im Alter von vier Jahren angeleitet und angehalten mitzutun beim Sticken, Stricken und Nähen oder auch beim Gemüseputzen - auch wenn diese frühe Einübung in die Hausfrauenpflichten in der bürgerlichen Familie mit kulturellen Genüssen, ja beinahe Gewohnheiten verbrämt wurde.
«Ja, die Welt der Poesie war nie und nirgend über der Hausarbeit vergessen! Wenn man beisammen saß... wenn man da Gemüse zuputzte oder Obst zu Einsetzen vorbereitete - es war eben nicht die hübscheste Arbeit, Johannisbeeren abzubeeren, Holmen zu schneiden, Schoten aufzubrechen. Pilze zu putzen usw. - aber da wurde dabei vorgelesen, das mußten sich die englischen wie deutschen Romanschriftsteller gefallen lassen: Walther Scott, Cooper und Bulwer, Wilhelm Hauff, Ernst Wagner, Henriette Hanke, Caroline Pichler U.A., sie verloren nichts von ihrer Würde. Ihre Charaktere prägten sich uns umso lebendiger ein, als man gleichsam zusammen mit ihnen lebte, von ihnen sprach in Ernst und Scherz. Ebenso ward vorgelesen bei der gemeinsamen Näharbeit...»
Ganz und gar nicht romantisch oder gemütlich aber waren die Wasch- und Putztage, die in den bürgerlichen Haushaltungen einen ganzen Trupp von Hilfskräften, sog. Tagelöhnerinnen, erforderten und zu mehrtägigen Unternehmungen ausarteten. Da in den Wohnungen vor dem Biedermeier offensichtlich Teppiche noch nicht übIich waren, gehörten die weißgescheuerten Holzdielen «zum Ruhm der Hausfrau». Zur täglichen Reinigung wurde auf Treppen und Fluren weißer Sand ausgestreut, mit dem der Schmutz zusammengefegt, jedoch viel Staub aufgewirbelt wurde, und jeder Schritt knirschte. Bevor aber die «Scheuerfrau» mit «drei Fässern, mit Strohwisch und grauen Scheuertüchern» erschien, um, auf einem Scbeuerbrett kniend, Diele für Diele mit Sand zu schrubben, wurden die Fettflecken mit Töpferton vorbehandelt und allen schweren Möbeln «an den Füßen gewissermaßen Strümpfe» übergezogen, um sie vor den Wassermassen zu schützen. Noch tagelang nachher waren die Zimmer «trotz edlen Lüftens mit einer Atmosphäre nassen Holzes angefüllt, die Zahnschmerzen und Gliederreißen aller Art erzeugte. Kein Wunder», weiß selbst L.Otto etwas zu verständnisvoll zu berichten, «daß besonders den Männern solche Scheuertage ein Gräuel waren» und ihnen anscheinend das Recht gaben, über den «Scheuerteufel» zu schimpfen.
Dieser Aufwand wurde nur in bürgerlichen Haushaltungen unternommen. Doch niemand wird annehmen können, daß Hausarbeit etwa in der bäuerlichen Wirtschaft oder bei den ländlichen Unterschichten, die Für ihren allernotdürftigsten Lebensunterhalt schufteten, für die Frauen einfacher war. Die Chronistin L.Otto wechselt im übrigen oft genug die Perspektive und nimmt ausdrücklich Partei für die Frauen aus dem Volk, die sich in den bürgerlichen Haushaltungen verdingten und hart arbeiteten, gegen viel zu geringen Lohn, ohne Rücksicht auf ihre Gesundheit und ohne Begrenzung der Arbeitszeit. Zum Beispiel für die Wäscherinnen:
«Die Waschfrauen der alten Zeit erschienen in der Regel schon früh um drei Uhr bei ihrer Arbeit. Meist galt es aus selbst gesammelter Holzasche die Lauge zu bereiten, an deren Stelle wir uns jetzt der Soda bedienen, und so standen sie dann bis zum späten Abend im zugigen dumpfen Waschhaus bei ihrer beschwerlichen Arbeit. Nachher ging es auf den Bleichplatz, wo sie in der Regel zwei Tage und eine Nacht zubrachten, letztere oft unter freiem Himmel auf nasser Wiese, dicht am Wasser, und wenn die Wäsche gespült ward, so wateten sie oft stundenlang im Fluß, nachdem sie vorher den heißesten Brand der Mittagssonne ertragen.»
Frauenerwerbstätigkeit[6]
Wäscherinnen, «Nähterinnen», «Scheuerfrauen» gehören zur großen Gruppe der Tagelöhnerinnen, einem typischen Frauenerwerbszweig auch schon vorder industriellen Revolution. Denn mit einem weitverbreiteten, idyllischen Irrtum über die Lebensverhältnisse der Vergangenheit ist aufzuräumen: Frauenerwerbstätigkeit, auch die aushäusige, bezahlte Frauenarbeit, ist keineswegs erst eine Folge der Industrialisierung oder beklagenswerte Errungenschaft der Neuzeit. Richtig ist: In einer Agrarwirtschaft, in der die große Mehrheit der Bevölkerung von und in der Landwirtschaft lebte und nicht Lohnarbeit, sondern Eigenarbeit, richtiger wohl eine notdürftige Subsistenz in der bäuerlichen Wirtschaft die vorherrschende Nahrungsgrundlage war, haben Frauen selbstverständlich in der Garten-, Land- und Viehwirtschaft einen gleich wichtigen und auch anerkannten Beitrag zum Lebensunterhalt der Familie geleistet.
Unter feudalen Verhältnissen, in denen die «erbuntertänige Landbevölkerung» über Jahrhunderte bei Guts- und Grundherren zu den verschiedensten Diensten, Arbeitsleistung und Abgaben verpflichtet war, galt der Arbeitszwang ebenso für Frauen. Sie waren gleichermaßen zur Fronarbeit oder Hand- und Spanndiensten verpflichtet, weshalb man von «Weiber- und Männertagen» sprach, besonders aber zum Gesindedienst. Ebenso selbstversLändlich war die Arbeil der Frauen im Handwerk und im Gewerbe. Obwohl Frauen seit dem Mittelalter durch verschiedene Zunftordnungen immer wieder daran gehindert wurden, selbständig einen Meisterbetrieb zu führen, war ihre Arbeitskraft als Gehilfin oder Zuarbeiterin unentbehrlich und immer eingeplant. Von der Zunft ausgeschlossen, waren sie darum auch die ersten, die mit dem Aufkommen der Manufakturen und des Verlagswesens von den neuen Fabrikanten als billige Arbeitskräfte angeworben und insbesondere in der Heimarbeit zu Hungerlöhnen ausgebeutet wurden.
Nach der Aufhebung der Leibeigenschaft und Einführung der Gewerbefreiheit (in Preußen-Deutschland am Beginn des 19. Jahrhunderts) waren die Voraussetzungen für eine kapitalistische Wirtschaftsweise geschaffen. Arbeit war nun «frei» und zur käuflichen Ware geworden. Doch damit hatte sich die Situation der Frauen keineswegs verbessert. Die neue kapitalistische Wirtschaftsweise, die Trennung von Haushalt und Beirieb, die zunehmende Bindung der Frau an ihre Familienaufgaben warfen die Frauen aus der Konkurrenz, ließen sie erst recht ins Hintertreffen geraten. Ohne die alten Mittel, ihr Leben zu fristen, ohne eigenes Land oder Garten, gezwungen, alles zu kaufen, wurden sie immer abhängiger vom Lohn des Mannes als dem erst seither sog. «Familienernährer».
Um so bemerkenswerter ist ein statistisches Ergebnis, das allen üblichen Vorstellungen über die Frauenerwerbstätigkeit in der Vergangenheit widerspricht: Schon in den ersten Berufsstatistiken, die vom Statistischen Büro in Berlin seit 1810 gesammelt wurden, betrug die Erwerbsquote der Frauen fast 30 Prozent, die entsprechende Erwerbsquote lohnabhängiger Männer lag zur gleichen Zeit bei nur 45 Prozent, denn Lohnarbeit war zu dieser Zeit eben noch nicht die vorherrschende Lebens- und Arbeitsweise.
Zur Orientierung und zum Vergleich: Heute sind von allen Frauen im erwerbsfähigen Aller rund 54 Prozent erwerbstätig, bei den Männern ist die Quote inzwischen wieder leicht rückläufig; sie beträgt 83 Prozent. Die historischen Daten sind um so erstaunlicher, da unter der Rubrik «Erwerbstätigkeit» — damals nannte man sie «arbeitende Classen» — nur vier Berufsgruppen erfaßt wurden:
- Dienstboten und Gesinde (die für die Mehrheit der unverheirateten Frauen typische und einzige Erwerbsquelle),
- Tagelöhnerinnen (all die schlecht bezahlten und unregelmäßigen, aber vielseitigen Aushilfstätigkeiten, Zuarbeiten insbesondere der verheirateten Frauen, wie die oben erwähnten Wäscherinnen, aber auch alle Schneiderinnen, die im Hause ihrer Auftraggeber arbeiteten, oder die vielen Tagelöhnerinnen in der Landwirtschaft),
- Sog. Fabrikarbeiterinnen (wir müssen uns dabei vor 1850 vorwiegend Manufaktur- oder Heimarbeiterinnen vorstellen),
- Gewerbsgehilfen und Lehrlinge (eine nur sehr kleine Berufsgruppe bei Frauen, da sie nicht zum Handwerk zugelassen wurden bzw. zu denselben Arbeilen in der Regel ohne Arbeitsvertrag und ohne Bezahlung herangezogen wurden).
Nicht als Erwerbstätigkeit registriert und nicht mitgezählt war also die große Mehrheit der großen und kleinen Bäuerinnen oder all die unverheirateten weiblichen Mitglieder der Familien, heute nennt man sie mithelfende Familienangehörige. Sie konnten als zusätzliche Esser in der bäuerlichen Wirtschaft oder im Handwerksbetrieb ihre Hände keineswegs in den Schoß legen, sondern mußten sich ihren Lebensunterhalt, eine karge Kost und Logis, in der Regel hart verdienen.
Lichtmachen
Die Zündmasse der ersten Zündhölzer enthielt Schwefelantimon und Kaliumchlorat (J. Walcker 1829). Das überall zündende Z. mit weißem Phosphor und Kailumchlorat erfand J. F. Kammerer 1833. R. Ch. Boettger erfand 1848 das Sicherheits-Z. mit Mennige und Kaliumchlorat. (Der Große Brockhaus, 1957)
Wer heute abends vor die Tür geht, kann sich gar nicht mehr vorstellen, wie finster eine Nacht sein kann. Aber auch die gewaltigen Fortschritte in der Beleuchtung, von denen die Chronistin Otto im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts berichtet, lassen uns heute unbeeindruckt:
«Wenn wir jetzt abends im Dunkeln ein befreundetes Haus verlassen, so verabschieden wir uns an der Vorsaaltür und gehen die mit Gas - oder doch mindestens mit Petroleumlampen - erleuchtete Treppe hinab. Auf der Straße brennen überall Gaslaternen... aber wir sehen genug, um jeden Begegnenden, jede bedenkliehe Wegstelle früh genug wahrzunehmen. Wenn wir dann unsere Haustür erreicht haben, empfängt uns aufs Neue der beleuchtete Hausflur... (in der Wohnung) bedarf es nur eines Griffes nach dem bereitgelegten Zündhöhehen — so haben wir Licht...»[7]
Ja, die Erfindung dieses kleinen Streichholzes hatte offensichtlich den Alltag aller Menschen entscheidend verändert. Es hat nicht nur das abendliche Lichtmachen, das allmorgendliche Schüren der Glut in der Feuerstelle oder in den Ofen erleichtert, sondern überhaupt erst die Entwicklung pflegeleichter Öfen und Kochmaschinenmachen möglich gemacht und in vielfältiger Hinsicht die Arbeit der Frauen im Haushalt revolutioniert.
2. «Wenn die Zeiten gewaltsam laut werden...!» (Louise Otto)
Die staatliche Ordnung Deutschlands nach der Französischen Revolution, der Napoleonischen Herrschaft und den Befreiungskriegen war der Deutsche Bund, eine Konföderation von insgesamt zunächst 39 Einzelstaaten, dem sich kurz darauf drei weitere Staaten anschlossen: ein Kaiserreich, nämlich Österreich, fünf Königreiche, ein Kurfürstentum, insgesaml achtzehn Großherzogtümer und Herzogtümer, dreizehn Fürstentümer und schließlich vier Freie Städte (Hamburg, Bremen, Lübeck und Frankfurt).
«Die Kleinstaaterei war nun das wahrhafte deutsche geschichtliche Schicksal im 19. Jahrhundert - sie schrie nach Revolution... Im Reiche von ehemals hatte es über all den Hoheiten, Hochwürden und Erlauchten, über kurfürstlichen, herzoglichen und sonstigen Gnaden doch noch den Kaiser gegeben, dessen große Majestät sie alle klein machte. Nun war auch die Majestät etwas Billiges geworden... Kleine Herren mit großen Titeln, kleine Residenzen mit großen Schlössern, kleine zusammengestückte, durch sinnlose Grenzen abgeteilte Länderfetzen mit großem Apparat an Bürokraten und Soldaten, kleine Würdenträger mit großen Manieren, kleiner Geist und große Mäuler; kleine Seelen und große Ordenskreuze: so sah das Leben der Kleinstaaterei aus.»[8]
Unter der Vorherrschaft der beiden Großmächte, insbesondere Österreichs unter der Führung des Fürsten Metternich und erst in zweiter Linie Preußens, wurde der Deutsche Bund durch eine Politik der Restauration zusammengehalten, d. h. einer Politik der Wiederherstellung alter angestammter Vorrechte oder Unfreiheiten. Die demokratischen Hoffnungen und politischen Einigungsbestrebungen, die die Teilnehmer der Befreiungskriege beflügelt hatten - auch der Frauen, die hier zum erstenmal ihre patriotische Begeisterung in Frauenhilfs-und Lazarettvereinen unter Beweis stellten —, wurden eingefroren. Unerfüllt blieb das Verfassungsversprechen, die Bildung einer «Repräsentation des Volkes», die der König von Preußen, Friedrich Wilhelm III., 1815 in Aussicht gestellt hatte. Aber auch die konstitutionellen Verfassungen, die von einigen süd-und mitteldeutschen Fürsten «gewährt» wurden, anerkannten keineswegs das Prinzip der Volkssouveränität, sondern konservierten alte geburtsständische Vorrechte und räumten in ihrem Zweikammersystem allenfalls den adligen und besitzenden Oberschichten begrenzte MiIwirkungsrechte ein. Die Oppositionsbewegung der männlichen akademischen Jugend, die sich in Geheimzirkeln und ersten Studentenverbindungen, den sog. Burschenschaften, zusammenfand, wurde grausam verfolgt und unterdrückt. Auf Grund der Karlsbader Beschlüsse war in den meisten Bundesstaaten bis 1848 die Überwachung der Universitäten, waren Berufsverbote und Zensur an der Tagesordnung.
Die angeblich so gemütliche Biedermeierzeit barg also eine Fülle polilischer Widersprüche und sozialen Sprengstolfs. Oder wurde ihre Gemütlichkeil und bürgerliche Kultur gerade deshalb so betont, weil sie mit politischer Bedeutungslosigkeit erkauft wurde? Spätestens seit 1830 war die Freiheitssehnsucht der Völker jedoch nicht mehr zu unterdrücken, überall in Europa flammte der Kampf gegen die alten Ordnungsmächte auf, z. B. der Freiheitskampf Griechenlands gegen die Türkei (1821 — 1829) oder der Aufstand der Polen gegen das zaristische Rußland (1830), Ereignisse, an denen die Jugend Europas regen Anteil nahm.
In diesem Zusammenhang werden auch erste Frauenvereine mit politischer Tendenz erwähnt, so heißt es zum Beispiel in einer Flugschrift des deutschen Preßvereins von 1833:[9]
«Die Frauen von Zweibrücken haben, um der freundlichen Unterstützung der unglücklichen Polen einen neuen Segen zugeben, nach dem vorleuchtenden Beispiele des Mainzer und Donnersberger Frauenvereins eine große Zahl von Arbeilen (gemeint sind Handarbeiten) teils schon verfertigt, teils vorbereitet. Das Ganze soll zum. Vorteil der Polen verlost werden, das Los zu 12 Kreuzer.»
Blick über die Grenzen: Die Frühsozialistinnen und die Saint-Simonistinnen
Den entscheidenden Anstoß aber hatte die Juli-Revolution 1830 in Frankreich gegeben, mit der die Ideen und politischen Forderungen von 1789 wieder lebendig wurden. Zwar wurde dabei nur ein «ßürgerkönigtum» inthronisiert, mit dessen Hilfe das Besitzbürgertum seinen politischen Einfluß sischerte. Zwar wurden die Aufstände der Arbeiter und Arbeiterinnen, z. B. in Lyon, niedergeschlagen, seit 1834 durch die Septembergesetze die Vereins- und PresseFreiheit wieder aufgehoben. Doch die Erschütterung, die diese bürgerliche Revolution überall in Europa ausgelöst halte, war nachhaltiger als ihre unmittelbaren politischen Folgen. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die politischen Forderungen von Frauen.
«In einer Zeit, da alle Völker sich im Namen der Freiheit auflehnen und der Proletarier seine Befreiung fordert, sollen wir Frauen da etwa passiv bleiben angesichts der großen sozialen Emanzipationsbewegung, die vor unseren Augen abläuft? Ist unser Schicksal so glücklich, daß wir nichts zu fordern hätten? Bis jetzt wurde die Frau ausgebeutet und tyrannisiert. Diese Tyrannei, diese Ausbeutung muß aufhören. Wir werden frei geboren wie der Mann, und die eine Hälfte des Menschengeschlechts darf nicht ungerechterweise der anderen unterworfen sein.»[10]
So beginnt der erste Artikel einer neuen feministischen Zeitschrift, die im Jahr 1832 von drei Frauen zunächst unter dem Titel «La Femme libre» («Die freie Frau») herausgegeben wurde. Die Anknüpfung an die Versprechen der Menschenrechtserklärung von 1789—oder an die Frauenrechtserklärung der Olympe de Gouges aus dem Jahr 1791 — ist offensichtlich. Die- drei Frauen Desiree Veret, Reine Guindorf und Jeanne-Victoire Jacob, nur wenig später die überaus engagierte und begable Suzanne Voilquin und viele andere, von denen wir nur die Vornamen kennen, waren Arbeiterinnen. Die meisten schlugen sich mühsam durch als Näherinnen oderStickerinnen, hatten weiter nichts gelernt, als das Leben zu meistern und die Not. Doch die Lehren Claude-Henri Saint-Simons (1760-1825) und insbesondere sein um 1830 in Paris wirkender Anhänger Prosper Enfantin hatten sie begeistert. C.H. Saint-Simon, der Begründer des von K. Marx sogenannten utopischen Sozialismus, hatte eine Gesellschaftstheorie des «Industrialismus» entworfen, in der «Arbeit» im weitesten Sinne die Basis einer Gesellschaft ohne Ausbeutung sein und das «Glück der größten Zahl» einem Parlament aus Intellektuellen und «Industriellen», durchaus im Sinne von Kapitalisten, Bankiers und Technikern, anvertraut werden sollte. Er setzte sich vehement für die Überwindung der Klassenschranken wie auch der Geschlechtsbarrieren ein, dennoch nicht ausdrücklich für die Befreiung der Frau.
In dieser Frage engagierten sich erst seine Schüler, insbesondere Armand Bazard und Prosper Enfantin, die zugleich von Charles Fourier (1772—1857) beeinflußt waren, dem ersten explizit als Feminist zu bezeichnenden Sozialphilosophen. Für ihn war die Stellung der Frau der Probierstein einer jeden gesellschaftlichen Ordnung, oder, wie seine Kernthese, immer wieder variiert und zitiert, lautete: «Der soziale Fortschritt... erfolgt aufgrund der Fortschritte in der Befreiung der Frau.»[11]
Seil 1828 hielten Bazard und Enfantin in Paris Vorlesungen über die Lehren Saint-Simons, an denen bei hohem theoretischem Niveau von Anfang an zahlreiche Frauen teilnahmen. Um 1830 erhielten diese Vorlesungen einen großen Zulauf, zunehmend auch von Arbeitern und Arbeiterinnen, sie wurden zu «Predigten», in denen schließlich Enfantin als «Vater» der Saint-Simonistischen Familie eine neue Religion der Liebe, ein neues Moralgesetz verkündete, das die Rehabilitierung der Sexualität, die «Emanzipation des Fleisches» und damit die Gleichrangigkeit von Geist und Materie, von Intellekt und Sinnlichkeit, heute sagen wir von Kopf und Bauch, meinte. Obgleich der Versuch der Verbindung von Theorie Lind Praxis, der Gründung von Saint-Simonistischen Gemeinschaften als Wohn-, Lebens- und Arbeitsgemeinschaft mit Werkstätten, Gesundheitsvorsorge und sozialen Einrichtungen scheiterte, hat der Frontalangriff auf die herrschende Moral und ihre Institutionen, insbesondere auch die Ehe, weit über die Grenzen Frankreichs hinaus schockierl. Bezeichnend ist, daß insbesondere in der deutschen Rezeption, auch in der Berichterstattung H. Heines in seinen «Briefen aus Paris», weniger die Sozialrevolutionären Ideen als «die lustige Sinnentummelei» die Provokalion und den Gesprächsstoff lieferte: «Wir müssen unseren Weibern neue Hemden und neue Gedanken anziehen.»[12]
Die Herausgabe einer eigenen Frauenzeitschrift geschah aus der Einsicht heraus, daß auch in der Praxis dieser Sozialrevolutionäre die Frauen wiederum nur in den zweiten Rang verwiesen und ihre Befreiung auf ihre Geschlechtlichkeit reduziert werden sollte. Es war der Versuch, die eigenen Genossen zu überzeugen, insbesondere aber die Frauen aufzuklären und mehr Gefährtinnen zu gewinnen für die Freiheit der Frauen und die des Volkes (siehe Seite 29). Diese Zeitung war ein kühner und zugleich mitreißender Versuch — und ein finanzielles Risiko. Die Häme der bürgerlichen Presse ließ nicht auf sich warten:
«Empören sich doch wahrhaftig etwa ein Dutzend junger Näherinnen gegen die Versklavung ihres Geschlechts. Sie verstehen sich als <freie Frauen> und veröffentlichen unter eben diesem Titel eine Zeitschrift. Indem sie sich abwechselnd der Feder und der Nadel bedienen, greifen sie Woche um Woche die Gesellschaft an, stopfen zerrissenes Zeug und rufen die Frauen zum Widerstand auf. Um die Rebellion einzuleiten, haben sie ihre Familiennamen abgelegt, weil diese von Männern aufgezwungen seien.»[13]
Der Titel der Zeitschrift «Die freie Frau» wurde wegen dieser Anzüglichkeiten bald durch andere ersetzt: «Apostolat des femmes», «La Femme nouvelle», «Tribüne des femmes» u. a., doch im übrigen wußten die Frauen sich gut zu verteidigen, ja gingen immer wieder zum Angriff auf die intellektuellen Borniertheiten und die schlechten Gewohnheiten der Männer über:
«Ich bitte Sie, meine Herren des uneigennützigen <Figaro>, sagen Sie mir doch, was Sie unter menschlicher Würde verstehen, und ob ein halbes Dutzend Näherinnen, wie Sie uns nennen, wenn sie ihre Unabhängigkeit mit Näharbeiten sichern, nicht ebenso respektabel sind, wie so viele andere, die beispielsweise ihre leichte und geübte. Feder in den Dienst dieser oder jener Clique stellen. Nein, meine Herren, nicht aus Schani oder Furcht verzichten wir auf die Namen unserer Ehemänner und Väter, sondern weil wir selbst mit unseren Worten und unseren Werken antworten wollen.»[14]
Was diese Frauen heute zu so bewundernswerten Vorkämpferinnen macht, ist ihre frühe Einsicht in die doppelle Unterdrückung und Ausbeutbarkeil der Frau als Angehörige der proletarischen Klasse und als Vertreterin des weiblichen Geschlechts. Wie beides miteinander zusammenhängt, hatten die Frühsozialisten von Fourier gelernt, doch niemand hat das gesellschaftliche Problem der Frauen so prägnant auf den Begriff gebracht wie die Saint-Simonistin Claire Demar, die in «Meine Moral der Zukunft» u. a. schrieb:
«Ja, die Befreiung der Proletarier, der ärmsten und zahlreichsten Klasse, ist nur möglieh - davon hin ich überzeugt - mit der Befreiung unseres Geschlechts, mit der Assoziation von Kraft und Schönheit, Härte und Lieblichkeit des Mannes und der Frau.»[15]
Modern, und das heißt bis heute nicht gelöst, sind die Widersprüche, die diese Frauen bereits benannt haben und an denen sie scheiterten. Denn so verdienstvoll die grundlegende Ehekritik und der Angriff auf die herrschenden Moral Vorstellungen ihrer Zeit durch die Saint Simonisten waren, sie wurden auch schon von ihren männlichen Vertretern auf eine «freie Liebe» zurechtgestutzt, der die ökonomischen und politischen Konsequenzen zur Gleichstellung der Frauen fehlte. Die Frauen selbst wollten viel mehr, als «nur» der Liebe leben, sie waren sich auch der Konsequenzen bewußt.
Die Provokalion, die in dem gleichen Recht auf Liebe lag, wurde populär in den Romanen und in der Lebensweise der George Sand, deren Männerkleidung und «Zigarren rauchende Emanzipation» für die Philister ein Stein des Anstoßes wurde. Die Rehabilitierung der Sinnlichkeit und Sexualität und die Thematisierung der Geschlechterbeziehungen unter dem Schlagwort «Emanzipation des Fleisches» haben in der Folge zu vielen Mißverständnissen geführt, gegen die sich auch Frauenrechtlerinnen meinten verteidigen zu müssen. So etwa, wenn Louise Otto immer wieder beteuerte, nicht zu den «Emanzipierten» zu gehören. Hier also sind Berührungspunkte bzw. Abgrenzungsversuche zwischen französischer und deutscher Frauengeschichte. Was ist parallel zu diesen «Französischen Zuständen» über die «heimische Misere»[16] zu berichten?
Deutsche Zustände
Zu den politisch bemerkenswerten Ereignissen gehört das Hambacher Fest, eine Volksversammlung von 30 000 Demokraten vom 27. bis 30. Mai 1832 auf dem Hambacher Schloß in der Nähe des kleinen pfälzischen Neustadt an der Weinstraße. Das Hambacher Fest war Ausdruck eines politischen und sozialen Protestes gegen die absolutistischen Regime des Deutschen Bundes und plädierte für einen liberalen Verfassungsstaat und eine nationale Einigung. Es heißt: Frauen nahmen massenhaft teil. Im Aufruf zur Feier des Hambacher Festes waren sie von den Veranstaltern gesondert angesprochen worden: «Deutsche Frauen und Jungfrauen, deren politische Mißachtung in der europäischen Ordnung ein Flecken ist, kommet und schmücket die Versammlung durch eure Gegenwart.»[17]
Einer der Initiatoren, Jacob Siebenpfeiffer, widmete ihnen in seiner Rede besondere Aufmerksamkeit, doch seine politische Schlußfolgerung blieb biedermännisch patriarchal.
Er wußte «die emsige. Hausfrau» zu schätzen, «die jeden Kreuzer zu Rate hält, Weißzeug und Kleidung, Küch' und Keller, Speicher und Garten besorgt ... Im Hause sei das Weib freie Genossin, liebende Mutter, mitverwaltende Wirthin... Doch - herrschen sollen sie nicht! Die Staatsgesetze, welche das Weib zur Regierung berufen, mögen im Interesse der regierenden Familien erdacht seyn; dem. Interesse der Völker, der Würde der Männer widerstreiten sie...»[18]
Im Königreich Sachsen wurde zwischen 1828 und 1838 endlich die Geschlechtsvormundschaft über Frauen abgeschafft, eine noch aus dem Mittelalter stammende Rechtsregel, wonach Frauen sich grundsätzlich bei allen Rechtshandlungen, insbesondere auch vor Gericht, immer durch einen Mann vertreten lassen mußten. In der Regel war dies der Valer oder der Ehemann, manchmal auch, zumindest bei Witwen, ein Ratgeber der eigenen Wahl. Dennoch wurden Ehefrauen — unabhängig von diesem gewaltigen Rechtsfortschritt — über die Ehegesetze auch noch nach der Verabschiedung des Bürgerlichen Gesetzbuches, des BGB, bis 1953 wie Minderjährige behandelt, d.h. bei allen wichtigen Rechtsgeschäften blieben sie von der Genehmigung und Zustimmung ihres Ehemannes abhängig.
In dem Maße, in dem zunehmend individuelles Glück, Zuneigung, Liebe gar und nicht nur die elterliche Entscheidung oder ökonomische Gründe für die Eheschließung eine Rolle spielen, ist auch die Konvenienzehe für die Frauen immer weniger zu ertragen. Die individuelle Emanzipation wird zur Voraussetzung des politischen Handelns. Zum Beispiel:
Kathinka Zitz, geb. Halein: geboren 1801 in Mainz
...Schriftstellerin, Mitarbeiterin von Zeitungen, Zeitschriften und Almanachen, Autorin zahlreicher Gedichte, Novellen, Romane. Sie hatte 1837 den radikal-demokratischen Anwalt Dr. Franz Heinrich Zitz, später Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung, geheiratet, sich jedoch schon ein Jahr nach ihrer Heirat von ihm getrennt, ein Jahr in Paris mit Übersetzungen (u. a. Victor Hugos) ihren Unterhalt bestritten, ließ sich aber nicht scheiden. Eine lange Leidensgeschichte ehelicher Zerrüttung und gleichzeitig doch politischen Engagements begann.[19]
Mathilde Franziska Anneke, geb.Giesler 1817 geboren
...Sie war , seit 1837 in erster Ehe verheiratet mit dem Weinhändler A.v. Tabouillet, von dem sie sich 1843 scheiden ließ. Nach einem aufsehenerregenden Prozeß wurde ihr sogar die einzige Tochter zugesprochen. Ihren Lebensunterhalt versuchte sie sich als Journalistin zu verdienen. Sie veröffentlichte seit 1839 Dichtungen, Feuilletons und ein Theaterstück. Ihr Weg zur Politik begann mit ihrem Eintritt in den «Demokratischen Verein» in Münster, in dem sie auch ihren späteren Mann, Fritz Anneke, kennenlernte.[20]
Louise Aston, geb. Hoche:
...Sie war knapp 30 Jahre alt, als sie sich 1844 mit ihrer Tochter Jenny Louise in Berlin niederließ. Sie hatte eine unglückliche Ehe mil dem 23 Jahre älteren Industriellen Samuel Aston hinter sich. Sic hatten sogar zweimal geheiratet und sich zweimal scheiden lassen. In der Folgezeit hat sie nicht nur als «Amazone des Kostüms» für Aufsehen gesorgt, sondern immer wieder ihre Existenz als Frau aufs Spiel gesetzt und auf eine das Bürgertum provozierende Weise für die Frauensache gestritten.[21]
Der in diesen Biographien beispielhaft gewordene Bruch mil traditioneller Fügsamkeit und Frauenrolle war mehr als ein gesellschaftlicher Skandal. Er deutete Beunruhigung, Protest und zumindest individuellen Widerstand an. Denn abgesehen von den politischen Zuspitzungen, war die innere Rebellion seit langem vorbereitet, im Protest der Romantikerinnen gegen die Zumutungen der Geschlechterrolle, gegen bürgerliche Ordnungen und Institutionen wie Ehe und Familie, gegen «den Mottenfraß der Häuslichkeit, weil man in einer glücklichen Häuslichkeit sonntags immer die Dachziegel vom Nachbarn zählt» (Bettina von Arnim). Zugegeben, dieser frühe romantische Protest blieb unpolitisch, individuell, subjektiv. Doch die Radikalität dieser Subjektivität war eine Voraussetzung für die Personwerdung der Frau, für ihr Selbst-Bewußtsein. Rahel Varnhagen von Ense, geb.Levin (1770—1833), mehr als 30 Jahre lang Zentrum literarischer Geselligkeit in Berlin, hat in ihren Briefen ihre Zeit entlarvt:
«... und kann ein Frauenzimmer dafür, wenn es auch ein Mensch ist?» Briefe hat die Zeit den Frauen als den ihnen gemäßen Ausdruck zugestanden, und Raheis Briefe gehören zur Weltliteratur:
«... kein <Jungfernkranz>, kein Elephant über Theaterbrücken; keine Wohltätigkeitsliste, kein Vivat, keine Herablassung, keine gemischte Gesellschaft, kein neues Gesangbuch, kein bürgerlicher Stern, nichts, nichts konnte mich je schwichtigen.»[22]
3. «Wo der Mangel an Freiheit fühlbar wird, kann es auch kein Glück geben!» (Fiora Tristan)
1843: Ein Jahr des Aufbruchs
War es ein zufälliges Zusammentreffen, oder waren die Zeiten nun endlich so «laut» geworden, daß die Stimmen der Frauen nicht mehr fehlen konnten? Das Jahr 1843 ist in vieler Hinsicht als Aufbruch, als Neubeginn zu bezeichnen.
Das Königsbuch von Bettina von Arnim
1843 erschien Bettina von Arnims umfängliche Schrift «Dies Buch gehört dem König»-,[23] eine sozialkritische Studie über die feudalen Zustände ihrer Gegenwart, die sie literarisiert der «Frau Rat» Goethe in den Mund legt, ergänzt — und dies war in der Tat für eine Literatin ungewöhnlich — durch eine journalistische Reportage über die Vogtlande, ein Armenviertel vor den Toren Berlins. Wie viele preußische Zeitgenossen war sie enttäuscht von dem autoritären Regierungsstil und den anhaltenden politischen Mißständen nach der Thronbesteigimg Friedrich Wilhelms IV. und wollte mit ihrer Widmung nicht nur die Zensur umgehen, sondern dem König ins Gewissen reden. Sie machte sich zur Wortführcrin einer politischen Opposition, ohne sich doch selbst zu gefährden — listig hatte sie durch viele weiße Flecken bzw. Gedankenstriche in ihrem Text Selbstzensur geübt, auch dadurch prangerte sie die Mißstände an.
Ihre Wende zur politischen Schriftstellerin, die öffentlich und praktisch für politisch Verfolgte Partei ergriff, war mit dieser Schrift vollzogen. Doch ihr bereits angekündigtes «Armenbuch» hat Bettina — sehr bald verdächtig als «Kommunistin» oder Aufrührerin beim Weberaufsland (1844) — nicht mehr geschrieben.
«Die Arbeitervereinigung» von Flora Tristan
Ebenfalls im Jahr 1843 —und d.h. fünf Jahre vor dem «Kommunistischen Manifest» von Marx und Engels—veröffentlichte Flora Tristan ihr Buch «Arbeitervereinigung» («Union Ouvriere»), das die Proletarier als Klassen leidenschaftlich und mit großer Überzeugungskraft zu «universaler» Vereinigung aufrief. Denn bis dahin waren die Arbeiter allenfalls in berufsspezifischen, zunftähnlichen Arbeiterbünden zusammengeschlossen. Ausdrücklich sprach sie Männer und Frauen an und begründete im einzelnen, warum sie die Frauen — «die Hälfte der Menschheit» — in diesem Gesellschaflsprojekt für unentbehrlich hielt, ja warum es im Interesse der Männer I iegen mußte, ihre Frauen nicht als Sklaven zu behandeln:
«Ich klage die Rechte der Frauen ein, weil ich überzeugt bin, daß alles Unglück dieser Welt aus dem Vergessen und der Mißachtung folgt, mit der man bisher die natürlichen und unveräußerlichen Rechte der Frauen behandelt hat... Das Verhältnis zwischen dem Herrn und der Sklavin ist belastet durch die Schwere der Kette, die sie beide miteinander verbindet. Da, wo der Mangel an Freiheit fühlbar wird, kann es auch kein Glück geben.... In eurem eigenen Interesse, Männer, zur Verbesserung eurer eigenen Situation, ihr Männer, schließlich im Namen des allgemeinen Wohls (de tous et toutes) fordere ich euch auf, für die Rechte der Frauen einzutreten und sie bis zu ihrer Verwirklichung wenigstens im Prinzip anzuerkennen.«[24]
Obgleich Flora Tristan bereits eine bekannte und erfolgreiche Schriftstellerin war, fand sie für dieses Werk keinen Verleger. Es gelang ihr, in einer großangelegten Werbe- und Subskriptionskampagne das nötige Geld für eine Veröffentlichung aufzutreiben. Doch auf einer ihrer Propagandareisen für die Vereinigung der Arbeiter durch Südfrankreich starb sie, erst 41 Jahre alt, an Erschöpfung und Typhus. Ihre Beerdigung wurde zu einer Demonstration von Tausenden von Arbeiterinnen und Arbeitern. Um so erstaunlicher ist, daß Marx und Engels, die ihre Schriften kannten und von ihr lernten, sie nur beiläufig oder verächtlich erwähnten.[25]
Leserzuschriften
Geradezu brav und harmlos müssen uns dagegen die Anfänge der deutschen Frauenemanzipationsbewegung vorkommen. Louise Otto hatte 1843 eine Leserzuschrift an die «Sächsischen Valerlandsblätter» geschickt. Der Herausgeber der Zeitung, Robert Blum, hatte in einem Leitartikel vom 22.August 1843 unter der Überschrift «Die Theilnahme der weiblichen Welt am Staatsleben» die Frage aufgeworfen, welche Rolle denn Frauen in Staat und Gemeinde zu spielen haben, und behauptet: «Die Theilnahme der weiblichen Welt am Staatsleben ist nicht nur ein Recht, sie ist eine Pflicht.» Er hatte um Stellungnahmen zu dieser Ansicht gebeten und löste damit eine ganze Flut von Leserinnenzuschriften aus. Louise Otto war die erste, deren Brief, unter der Überschrift «Aus Meißen» und unterzeichnet mit ihrem vollen Namen — also nicht anonym, wie immer wieder falsch erzählt wird —, abgedruckt wurde.
Nach vielen zaghaften und entschuldigenden Vorreden — und frau bedenke, L. Otto war damals immerhin 24 Jahre all und hatte kurz vorher ihren ersten Roman «Ludwig der Kellner» veröffentlicht — leitete sie sehr geschickt zu ihrer Rechtfertigung für die politische Teilhabe der Frauen über. Sie begründete ihr Interesse an der Politik mit ihrer Liebe zu ihrer nächsten Umgebung, ihrer Heimat, die sich in den zerrissenen politischen Verhältnissen Deutschlands erst neuerdings, aber notwendigerweise zur Vaterlandsliebe und Staatsbürgerschaft erweiterte. Ihr war klar, warum in anderen Ländern, z. B. in Amerika und England, «die Politik den Frauen nicht so ferne lag», es waren schließlich konstitutionelle Staaten. Denn —so lautete ihre Schlußfolgerung —
«An der Stellung, welche die Frauen in einem Lande einnehmen, kann man sehen, wie dick von unreinen Nebeln, oder wie klar und frei die Luft eines Staates sei: - die Frauen dienen (ds Barometer der Staaten.»[26]
Dieser Gedanke, daß die Stellung der Frauen in einer Gesellschaft der Gradmesser für sozialen und politischen Fortschritt sei, ist uns nun schon mehrfach begegnet, bei Charles Fourier, den Saint-Simonisten, auch bei Flora Tristan. Kannte Louise Otto vielleicht ihre Schriften, oder liegen solche Gedanken, wenn sie fällig sind, für wache Zeitgenossen einfach in der Luft? Auch andere Zuschriften und Antworten der Redaktion wurden zu diesem offensichtlich heißen Eisen in der sächsischen Zeitung abgedruckt. Die anderen Frauen schrieben nur anonym «Aus Schlesien» oder «Aus dem Weimarischen». Auch für sie war es ein «beglückendes Gefühl, Ansichten, mit welchen man sich bisher vereinzelt fühlte, nun als das Gemeingut mehrerer Gleichdenkenden öffentlich aussprechen zu hören». In der Form ebenso zaghaft, waren ihre Ansichten doch nicht weniger radikal. Die Schreiberin aus Weimar z. B. untersuchte die Gründe, die für die «jämmerliche Teilnahmslosigkeit der Frauen für die öffentlichen Zustände unseres Volkes» verantwortlich wären, und schrieb:
«Ich antworte und stelle allen anderen Ursachen voran: Ihr selbst, Ihr Männer, tragt den wesentlichen Teil der Schuld; euer frostiges, begeisterungsloses Leben bedarf der woll'nen Socken, und darum habt Ihr auch nur Ehre für die also flechtenden und webenden Frauen.»
Erst als zweiten Grund nannte sie die schlechte und mangelhafte Erziehung der Mädchen, die fehlenden Erziehungsanstalten, die Zurichtung der Frauen auf eine Rolle, die dem Gedarrken der Humanität, dem Geist und den Bedürfnissen der Zeit ihrer Meinung nach nicht mehr angemessen war.[27]
Damit war das Thema Frauenemanzipation endlich auf der Tagesordnung, die politische Debatte war eröffnet und Louise Otto mit der nun folgenden Artikelserie «Frauen und Politik» zur politischen Schriftstellerin und Wortführerin einer deutschen Frauenbewegung avanciert.
Louise Otto (geb. am 26.5. 1819 in Meißen, gest. am 15.3.1895 in Leipzig)
...gilt unumstritten als Initiatorin, als «Mutter der deutschen Frauenbewegung». Denn sie hat diese Bewegung fast ein halbes Jahrhundert lang angeführt, organisiert und schließlich kommentierend begleitet. Wie wenig man ihrem Werk mit den üblichen biedermeierlichen Anekdoten und verehrungsvollen Klischees gerecht wird, zeigt eine gründliche und vorurteilslose Beschäftigung mit ihrem Lebenswerk. Sie war eine ungewöhnliche und unbequeme Frau, treffend ist ihre Kennzeichnung als «rote Demokratin» (so Ernst Bloch) oder ihre Selbstbeschreibung als «soziale Demokratin» und «sozialistische Republikanerin noch in der weiten, für die frühe Arbeiterbewegung typischen Verknüpfung der Forderung nach Freiheit, Demokratie und Einheit des Vaterlandes. Zugleich war sie trotz Distanzierung von den zigarrerauchenden «Emanzipierten» eine frühe Feministin, die in allen Lebensphasen ihren Mut zu politischem Engagement aus der Beziehung und Orientierung an Frauen und einem «umfassenden Freundinrienkreis» bezog.[28]
Louise Otto wuchs in einem bürgerlichen, liberalen Elternhaus in Meißen auf, in dem viel gelesen und diskutiert wurde, auch mit den Töchtern und auch über Politik und die Rechte der Frauen. Früh auf sich allein gestellt, unternahm sie als junge Frau Bildungsreisen in die nähere und fernere Umgebung, arbeitete als Dichterin und Journalistin, zunächst unter Pseudonym, und engagierte sich in der demokratischen Bewegung des Vormärz. Als «Lerche des Völkerfrüh 39 lings» und Autorin sozialkritischer Romane war sie schon um 1848 eine prominente Personlichkeit. Mit der Herausgabe ihrer Frauen-Zeitung «Dem Reich der Freiheit werb' ich Bürgerinnen» im Jahr 1849 gab sie den Anstoß zur Organisierung von Fraueninteressen und Frauenvereinen, die jedoch mit dem Scheitern der Revolution verboten wurden. Sie war lange mit dem zu Zuchthaus verurteilten Revolutionär August Peters verlobt und heiratete ihn nach seiner Entlassung im Jahr 1856. Die Ehe endete mit dem frühen Tod Peters 1864. 1865 gründete sie zusammen mit Auguste Schmidt den «Allgemeinen Deutschen Frauenverein» (ADF), gab ab 1866 das Vereinsorgan «Neue Bahnen» heraus und regte auch die Gründung von Arbeiterinnenvereinen an.
Sie veröffentlichte wichtige Schriften zur Frauenemanzipation, eine große Zahl historischer Romane, Erzählungen und Gedichte sowie Arbeiten zu Kunst und Kultur. Auch wenn sie sich seit 1870 zunehmend aus der aktiven Vereinsarbeit zurückzog — sie lebte in Leipzig in äußerst bescheidenen Verhältnissen, da ihr väterliches Erbe mit der Herausgabe der Frauen-Zeitung verbraucht war —, blieb sie doch der Frauenbewegung allein durch die Redaktion der «Neuen Bahnen» bis zu ihrem Tod wegweisend verbunden.
Lesetips
Ruth-Ellen Boetcher-Joeres: Die Anfänge der deutschen Frauenbewegung: Louise Otto-Peters, Frankfurt 1983
Frauenemanzipation im deutschen Vormärz, hg. v. R. Möhrmann, Stuttgart 1978
Das nächste Jahrhundert wird uns gehören. Frauen und Utopie 1830 bis 1840, hg. v. C. v. Alemann, D. Jallamion, B. Schäfer, Frankfurt 1981
Ingeborg Drewitz: Bettine von Arnim. Romantik - Revolution - Utopie, München 1986