Wie ging es weiter?

Ein Nachwort

Die Geschichte der alten Frauenbewegung endet hier, nicht nur weil die Dachorganisation der bürgerlichen Frauenbewegung, der BDF, aufgelöst, «das Haus», in dem sich die Beteiligten eingerichtet hatten, «zerfallen» war (G. Bäumer). Der Verlust von Rechtserrungenschaften, die Entfernung aller Frauen aus den wenigen höheren Positionen in Schule, Hochschule, Verwaltung und Justiz, die Einführung eines Numerus clausus für Studentinnen waren prinzipiell (z.B. in den Beamtengesetzen) vorbereitet und brauchten nun bloß vollzogen zu werden. Wie alle anderen Demokraten, Linken, Pazifistinnen und Gewerkschaftlerinnen waren nun erst recht Feministinnen gefährdet, die entschieden den engen Zusammenhang zwischen Frauenemanzipation und politischen Verhältnissen, zwischen privater und öffentlicher Unfreiheit, Patriarchat und Diktatur erkannt und bekämpft hatten.
Helene Stöcker zum Beispiel mußte unverzüglich das Land verlassen, Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg kehrten im Frühjahr 1933 erst gar nicht von ihrer Auslandsreise nach Deutschland zurück. Auch Marie Juchacz emigrierte, die SPD-Abgeordnete
Toni Pfülf und die Gewerkschaftlerin Gertrud Hanna nahmen sich das Leben.[1] Kommunistinnen kamen in Gestapohaft, und ins KZ, erst recht alle, die nun aufgrund der «Nürnberger Gesetze» zur jüdischen Rasse gezählt, verfolgt und später ermordet wurden.[2] Die Geschichte der Emigrantinnen wäre erst noch zu schreiben, aber auch die der Frauen aus der Frauenbewegung, die sich unauffällig arrangierten und die Zeitläufe überdauerten: etwa jener Vorsitzenden des Landfrauen Verbandes aus dem Oldenburgischen, die gleich nach 1945 von der englischen Besatzungsmacht das Zeugnis politischer Zuverlässigkeit erhielt und ihren Verband wie seit dem Ende der zwanziger Jahre ununterbrochen weiterführen konnle. Zu wenignoch wissen wir über die Frauen im Widerstand, und zwar auch in jenen alltäglichen, unauffälligen Formen, die als «Listen der Ohnmacht» nützlich waren, für die es aber — zum Glück — bisher keine Orden und Verdienstkreuze gibt.[3]
Doch halten wir fest: Es gibt auch nichts zu beschönigen bezüglich der politischen Einsichtsfähigkeit des weiblichen Geschlechts; zu kurz war offensichtlich die Gelegenheit zu demokratischen Übungen, zu selbstverständlich waren die jahrhundertealten Gewohnheiten, sich anzupassen und zu lügen, zu anfällig war die so disziplinierte Weiblichkeit für einen falschen, unmenschlichen Kult der Mütterlichkeit.

Hat sich demnach — so Virginia Woolf, den «berühmtesten lebenden Romanschriftsteller Englands» (H. G. Wells) zitierend — «die gesamte sogenannte <Frauenbewegung> als Fehlschlag erwiesen», da sie «trotz des Wahlrechts und der Macht die dieses Wahlrecht gebracht haben muß,... der praktischen Auslöschung (ihrer) Freiheit durch die Faschisten oder Nazis nicht widerstanden» hat? In dem Essay «Drei Guineen» aus dem Jahr 1938 hat V. Woolf beinahe alle Argumente des alten und neuen Feminismus vorgebracht, erwogen und bestätigt:
Sie beharrte darauf, daß die materiellen Voraussetzungen — Kapital, Grundbesitz und Grundrechte, die gleichen Ausgaben und Chancen für Bildung, die gleichen Löhne für Frauen und die Bezahlung ihrer privaten Dienste — stimmen müssen, um überhaupt von Selbständigkeit, Autonomie, politischem Einfluß der Frauen reden zu können. Also nicht nur «ein Zimmer für sich allein», sondern «für jede von uns» mindestens «500 (Pfund) im Jahr». Als Antwort auf die oben zitierte Frage machte die Dichterin nebenbei eine kleine Rechnung auf, die die Tatsachen und Schuldzuweisungen in ein Verhältnis setzt. Die englische Frauenwahlrechtsbewegung hatte sich in den fast 100 Jahren Kampf ums Wahlrecht 1919 insgesamt 42 000 Pfund zusammengespart. Doch «wie viel Frieden kann man mit 42 000 Pfund im Jahr kaufen, zu einer Zelt, da dreihundert Millionen Pfund im Jahr für Waffen ausgegeben werden»?[4]

Die besondere Rolle und die Geschichte der Frau im Nationalsozialismus sind bereits gründlich behandelt. [5] Im Hinblick auf das Ende der Frauenbewegung bleibt zu erwähnen, daß die Nationalsozialistinnen der ersten Stunde, die aus der nationalsozialistischen «Bewegung» gekommen waren und die Abrechnung mit dem Feminismus, der bürgerlichen Frauenbewegung theoretisch angeführt hatten, z.B. Elsbeth Zander, Lydia Gottschewski, Sophie Rogge-Börner oder Guida Diehl, sehr bald ergebeneren Frauenschaftsführerinnen weichen mußten. [6] An der Spitze stand die blondzöpfige achtfache Mutter Gertrud Scholtz-Klink, die die unbedingte Unterwerfung unter den Männerwillen und den Führer praktizierte. Wie eine Verhöhnung der Geschichte der Frauenbewegung muß daher die unverfrorene Inanspruchnahme ihres Erbes durch die Nationalsozialisten wirken: Auf einer Ausstellung zum Nürnberger Parteitag 1937 schmückte man sich mit den überdimensionalen Portraits «deutscher Frauenführerinnen», u.a. Louise Ottos, Auguste Schmidts, Helene Langes und Franziska Tiburtius. Darunter ein Spruchband mit dem nicht gerade einfallsreichen Zitat der Reichsfrauenführerin Scholtz-Klink: «Wir achten jede echte Leistung, die In früherer Zeit getan wurde, well das dem Sinn des Nationalsozialismus entspricht.»

Die Frage stellt sich, warum die Pause in der Geschichte der deutschen Frauenbewegung sehr viel länger dauerte als die Zeit nationalsozialistischer Herrschaft. Warum wurden die Errungenschaften und Kämpfe der Frauen des zurückliegenden Jahrhunderts so gründlich vergessen, als erst mehr als eine Generation später — erst Ende der 1960er Jahre — die neue Frauenbewegung ohne Wissen um ihre Vorgängerinnen anscheinend ganz von neuem begann?
Dieser Bruch und Geschichtsverlust der deutschen Frauenbewegung, ihre Trennung in Generationen ist auffällig, gerade auch im internationalen Vergleich.
Ein Teil der Antwort ist in der für die deutsche Geschichte «unbewältigten Vergangenheit» enthalten. Dazu gehörte, daß radikale, unbequeme Einsichten und Positionen verdrängt wurden, man nach 1945 von den Verfolgten und in den Gaskammern Umgekommenen ebensowenig wissen wollte wie von denen, die in der Emigration überlebt hatten und nur zögernd oder gar nicht nach Deutschland zurückkehrten. Gertrud Bäumers «Unfähigkeit zu trauern» ist gewiß nicht nur ihrer Alterssenilität zuzuschreiben, sondern eher typisch für einen politischen Habitus, der in der BRD sehr schnell reüssierte und auch heute, 50 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, aus der Geschichte nichts lernen will. Ihre 1946 veröffentlichte kleine Schrift «Der neue Weg der deutschen Frau» jedenfalls bleibt ein deprimierendes Zeitdokument. In ihrer Schilderung der «Kristallnacht» fällt kein Wort der Scham oder der Trauer. Und als Anweisung für die Bewältigung der Gegenwart ist da zu lesen:

«Es lohnt sich wirklich nicht, den geistigen Kampf mit dem Nationalsozialismus noch einmal wieder aufzunehmen. Man soll nicht ausweichen, selbstverständlich, wo er noch einen Verteidiger findet, und ihr Bedürfnis nach Auseinandersetzung wird die Jugend schon selbst anmelden. Aber im übrigen: Guarda e passa! (Ein Blick auf sie und weiter!)»[7]

Die «Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit», die gleich nach 1945 ihre Arbeit in zahlreichen Ortsgruppen wieder aufnahm, an ihrer Spitze Magda Hoppstock-Huth, versuchte die peinlichen Auftritte Bäumers durch öffentlichen Protest zu verhindern. Die IFFF ist übrigens eine der wenigen Organisationen der alten Frauenbewegung, die dank ihrer internationalen Anbindung und Solidarilät die Zeit des Faschismus überdauert hat und bis heule besteht.[8] Doch in dem sich zuspitzenden «Kalten Krieg» zwischen Ost und West fanden Pazifistinnen — schon immer linksverdächtig — kein Gehör, ebensowenig wie die westdeutsche Friedens- und Antiatomkraftbewegung der fünfziger Jahre, die wesentlich von Frauen getragen wurde. Noch weniger hatte der zunächst von west- und ostdeutschen Frauen gemeinsam gegründete «Demokratische Frauenbund» (DFD) nach der Etablierung zweier deutscher Staaten eine politische Chance. Der DFD wurde 1957 nach dem KPD-Verbot in der Bundesrepublik als «kommunistische Tarn-Organisation» eingestuft und verboten.
Einzelne aus der gemäßigten Richtung der bürgerlichen Frauenbewegung versuchten nach 1945 dort wieder anzuknüpfen, wo sie 1933 aufgehört hatten, so insbesondere Agnes von Zahn-Harnack, die gleich im Frühjahr 1945 den «Wilmersdorfer» später «Berliner Frauenbund e. V.» gründete und als integre und überzeugende Sachwalterin der deutschen Frauenorganisationen wieder internationale Verbindungen knüpfte. Nach ersten Zusammenkünften von Frauenorganisationen in den Besatzungszonen wurde 1949 der «Deutsche Frauenring» gebildet, der sich von nun an als Nachfolgeorganisation des «Staatsbürgerinnenverbandes» und damit auch des ehemaligen «Allgemeinen Deutschen Frauenvereins» (ADF) verstand.[10]
1949 gelang es den vier «Müttern des Grundgesetzes», die Gleichberechtigung der Frau auch im privaten Recht im Grundgesetz zu verankern, doch schon gegen erheblichen Widerstand der männlichen Gesetzgeber und nur mit Hilfe eines unerwarteten außerparlamentarischen Protestes der Frauen in den Parteien, Gewerkschaften und Verbänden. [11] Dabei brachten die Parlamentarierinnen hier nur etwas zu Ende, was von der Frauenbewegung und den in ihrem Geist ausgebildeten Juristinnen bereits in den zwanziger Jahren juristisch ausdiskutiert und überfällig war: Gleichberechtigung auch in der Ehe, auch im ehelichen Güterrecht, Abschaffung der ehemännlichen Entscheidungsrechte nicht zuletzt im Hinblick auf die Kindererziehung usf. Doch ihre Einlösung sollte dauern, denn es zeigte sich, daß gerade die Rechte, die sich gegen bestehende Privilegien und Gewohnheiten richten, immer wieder erkämpft und verteidigt werden müssen.
Die wenigen privilegierten Töchter der Frauenrechtlerinnen aber meinten, es nun geschafft zu haben mit der individuellen Möglichkeit, «Zahnarzt oder Rechtsanwalt» zu werden. Auffällig ist, daß zum Beispiel der Anteil der Studentinnen am Beginn der fünfziger Jahre so niedrig war wie nach 1933, nämlich nur knapp über 16 Prozent betrug.[12] Die Mehrheit der Mitläuferinnen, in BDM und Arbeitsdienst groß geworden, um Jugend, Hoffnungen und Leben betrogen, gehörte zu jener «skeptischen Generation» (H. Scheisky), für die Politik, Frauenpolitik gar, ein «garstig Lied» war. Nach dem Tod der alten Führerinnen, einer Art Wachablösung um 1950, gab es daher für die nun in den Frauenverbänden aktiven Funktionärinnen angeblich «keine <Frauenfrage> mehr, ...nur noch (einzelne)
Frauenfragen»,[13] die, wie sie meinten, auf dem Wege gesetzlicher Reformen schrittweise zu lösen wären — ein, wie sich herausstellen sollte, gründlicher Irrtum.
Der große Rückschlag in der Frauenpolitik nach 1950 aber ist nicht allein den Frauen anzulasten, sondern ist durch erneute patriarchalische Übergriffe zu erklären. Denn die Frauen, die bis zur Erschöpfung im und nach dem Krieg das Überleben gesichert, die Trümmer nicht nur praktisch, sondern auch politisch beseitigen halfen und den Wiederaufbau zum Teil auf wichtigen Posten organisierten,[14] wurden mit der Rückkehr der Männer aus Krieg und Gefangenschaft wiederum ins zweite Glied gedrängt. Zu erinnern ist an die Arbeit der sog. Frauenausschüsse und die Tatsache, daß es nach dem Krieg einen Frauenüberschuß von sieben Millionen Frauen gab.[15] Die Restaurationsphase der BRD war nicht nur ökonomisch und politisch reaktionär, auch im Geschlechterverhältnis brachen nun wieder «finstere Zeiten» an. Der Patriarchalismus des «deutschen Vaters» (Rene König), die Heim- und Herdideologie der fünfziger Jahre sitzen den heute Vierzig- bis Fünfzigjährigen noch tief in den Knochen, bildeten Grunderfahrungen für eine Empfindlichkeit oder «Betroffenheit», die die neue Frauenbewegung möglich und endlich notwendig machte. Das «Problem — zunächst noch — ohne Namen» (Betty Friedan) wurde von dieser Generation weltweit auf die politische Tagesordnung gesetzt.

Der Aufbruch gemeinsam mit der Studentenbewegung und den Bürgerrechtsbewegungen war deshalb von Bedeutung, weil damit die politischen Herrschaftsverhältnisse insgesamt in Frage gestellt wurden. Doch die Zuspitzung, die solche Herrschaftskritik in der Einbeziehung auch der privaten Beziehungen, der Geschlechterverhältnisse erhielt, war die Radikalisierung, die der neuen Frauenbewegung noch heute ihre Stoßkraft gibt. Selbstbestimmung gerade auch im Privaten, im weiblichen Lebenszusammenhang, in Fragen der Liebe und Sexualität (deshalb die Kampagne gegen den § 218) und die Bewußtwerdung bisheriger Unterdrückung und Leiderfahrungen, ja die Organisation von Bewußtwerdungsprozessen in sog. Selbsterfahrungsgruppen standen am Anfang und haben einen kollektiven Lernprozeß eingeleitet. Selbstbestimmung und Selbsterfahrung wurden Kennzeichen und Methode des neuen Feminismus, keineswegs allgemeine Rechtsfragen oder Gleichberechtigungsprobleme oder gar die Anknüpfung an historische Kämpfe oder bisher Uneingelöstes — ganz im Gegenteil. Die neue Bewegung war bemüht um Abgrenzung von trügerischen Gleichberechtigungsparolen und von den Resten bürgerlicher Frauenpolitik, die sich als Frauenverbände im vorparlamentarischen Raum allzu genügsam etabliert hatten. Ausgehend von den Marxismusdebatten in der Studentenbewegung und ihren kulturrevolutionären Ansprüchen, lag anfangs allenfalls die historische Anknüpfung an die proletarische Frauenbewegung nahe, doch eigentlich mehr aus theoretischem Interesse an der «richtigen» Emanzipationstheorie. Erst als im Fortgang der Bewegung die historische Frauenforschung mit ihren Grabarbeiten begann und eine bisher verschüttete und von der Geschichtswissenschaft verschwiegene Frauengeschichte entdeckte, wurde auch die Geschichte der Frauenbewegung zu einer Quelle widerständigen Bewußtseins und politischer Identifikationsmöglichkeiten. Parallel zu den Phasen der neuen Frauenbewegung und ihren Themen und Debatten — über Lohn für Hausarbeit, die Mütterlichkeit oder Gewalt gegen Frauen -, wurden dann jeweils andere politische Richtungen rehabilitiert, doch in der gegenseitigen Abgrenzung manchmal das Ziel, die nur sogenannte allgemeine, weil Männergeschichte, zu revidieren, vernachlässigt.
Das «Private auch als das Politische» zu begreifen, dieses Leitmotiv des neuen Feminismus, aber macht nur Sinn, wenn das bisher sogenannte Private nicht im Individuellen verbleibt, wenn  es gesellschaftlich Bedeutung gewinnt. Der Anspruch, im weitverzweigten Netz von Frauenprojekten eine Gegenkultur und Gegenöffentlichkeit zu bilden, kann nicht nur auf Selbsterfahrung und «Betroffenheit» vertrauen. Zur Teilhabe an Kultur und Politik und ihrer Veränderung, zu einem neuen Selbstbewußtsein gehören auch das Wissen und die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte.