5. Kapitel

Widerlegung einiger Schriftsteller, welche die weiber als gegenstände eines mitleids, das an verachtung grenzt, aufgestellt haben

Ich will mit Rousseau anfangen, und eine skizze des weiblichen charakters mit seinen eigenen worten und von meinen anmerkungen und kritiken begleitet bringen. Meine bemerkungen werden alle von wenigen einfachen grundsätzen ausgehen. Das ganze künstliche gebäude ist mit so viel Schlauheit angelegt, dass ich es für nötig halte, die einzelnen teile desselben anzugreifen und meine grundsätze zu nennen.
Sophie, sagt Rousseau, soll ein eben so vollkommenes weib sein, als Emil ein vollkommener mann ist: sie dazu auszubilden muss man erst untersuchen, was für einen charakter die natur ihrem geschlecht gegeben hat.
Rousseau sucht hierauf zu beweisen, das weib müsse schwach und duldsam sein, weil sie weniger körperliche stärke als der mann besitze, und zieht daraus den schluss, ihre bestimmung und pflicht wäre es, ihm zu gefallen, unterworfen zu sein, und sich ihrem gebieter angenehm zu machen weil dies der hauptzweck ihres daseins sei. Um der sinnlichen lust noch einigen schein von würde zu geben, dringt er sehr darauf, dass der mann die befriedigung seiner wünsche nicht durch gewalt von dem weibe erzwinge, sondern ganz von ihrem freien willen abhängen lasse.

Rousseau: >Emil<, Band 3, Buch 5:

»Eine dritte Folge, die sich aus der verschiedenen Einrichtung beider Geschlechter ergibt, ist diese, dass das stärkere dem Anschein nach Herr sein, und im Grunde doch vom schwächern abhängen kann. Dies ist nicht etwa bloss als ein frivoles Herkommen der Galanterie oder als eine prahlerische Grossmut des beschützenden Teils zu betrachten, sondern als ein unveränderliches Gesetz der Natur, die dem Weibe die Erweckung der Wünsche leichter gemacht hat, als dem Manne die Befriedigung derselben, und die eben dadurch letztern, er mag wollen oder nicht, von dem guten Willen der erstem abhängig gemacht, und ihn gezwungen hat auch seinerseits sich gefällig zu machen, damit er mit ihrer Einwilligung der Stärkere sein dürfe. Das Angenehmste, was für den Mann in einem solchen Siege zu liegen pflegt, ist der Umstand, dass es immer noch zweifelhaft bleibt, ob es Schwäche war, die der Stärke weichen musste, oder guter Wille, der sich ergab; und es ist ein sehr gewöhnlicher Kunstgriff der Weiber, diesen Zweifel stets zwischen sich und dem Manne obwalten zu lassen. Der Geist der Weiber passt hierin vollkommen zu ihrer körperlichen Einrichtung: weit entfernt über ihre Schwäche zu erröten, rechnen sie vielmehr dieselbe sich zur Ehre an. Ihre zarten Muskeln leisten keinen Widerstand: sie affektieren eine Unfähigkeit, selbst die leichtesten Lasten zu heben sie würden sich schämen stark zu sein; und warum? Die Ursache ist nicht bloss die, dass sie zärtlich scheinen wollen, nein es liegt dabei noch eine arglistige vorsicht im Hintergrunde: sie suchen sich hierdurch schon im voraus Entschuldigungen, und das Recht, wenn sie es nötig finden, schwach zu sein, zu sichern.«

Ich habe diese stelle aus Rousseaus >Emil< hier eingerückt, um meine leser nicht zu dem argwohn zu veranlassen, als hätte ich vielleicht das raisonement dieses schriftstellers verdreht, um meine behauptungen zu stützen. Übrigens habe ich bereits oben meine überzeugung erklärt, dass diese sätze, zur grundlage der weiblichen erziehung angenommen, zu einem system von arglist und ausschweifender sinnlichkeit führen müssen. Angenommen, das weib wäre bloss dazu geschaffen, dem manne zu gefallen, und unterworfen zu sein so ist die folgerung richtig, dass sie dem bedürfnis, ihrem gebieter sich angenehm zu machen, jede andere rücksicht aufopfern muss. Lasst immer diesen tierischen wunsch der selbsterhaltung die haupttriebfeder aller ihrer handlungen sein, so bald ausgemacht ist, dass ihr charakter in das eiserne bett des Busiris[35] einpassen, und sich, ohne alle rücksicht auf moralische oder fysische unterschiede, ausdehnen oder zusammenziehen lassen muss. Wenn sich dagegen beweisen lässt, dass die zwecke selbst dieses erdenlebens durch praktische, auf jener unwürdigen grundlage aufgeführte regeln völlig zerrüttet werden; so wird man mir doch auch erlauben, den satz, dass das weib bloss um des mannes willen geschaffen sei, für's erste noch zu bezweifeln. Ja, sollte man auch ein geschrei über gottesvergessenheit, vielleicht gar über gottesleugnung gegen mich erheben, so erkläre ich doch geradezu: und wenn auch ein engel vom himmel käme, mir zu sagen, Moses' schöne, poetische kosmogonie und seine geschichte des falles des ersten menschen wären im buchstäblichen sinne wahr; so könnte ich doch schlechterdings nichts glauben, was meine vernunft als etwas den charakter des höchsten wesens herabwürdigendes verwirft: und, da ich mich eben nicht sehr vor dem teufel fürchte, so wage ich es, diesen Unglauben eine eingebung der vernunft zu nennen, statt meine schwäche dem ersten verführer meines gebrechlichen geschlechts auf seine breiten schultern zu wälzen.

Rousseau fährt fort:

»Sobald einmal erwiesen ist, dass Mann und Weib ( von Natur) nicht einerlei Temperament und charakter haben, noch haben dürfen; so folgt daraus, dass sie auch nicht auf dieselbe Weise erzogen werden müssen. Geht manden Winken der Natur nach, so ergibt sich, dass beide zwar zu einer Absicht wirken, deswegen aber doch nicht einerlei tun sollen. Der endzweck ihrer Bestrebungen muss Einer und derselbe, allein die Mittel zur Erreichung desselben, und folglich auch der Geschmack und die Lieblingsneigungen müssen für beide verschieden sein.« .......
»Ich mag die eigentümliche Bestimmung der Weiber betrachten, oder ihre Neigungen beobachten, oder endlich ihre Pflichten durchgehen überall scheint mir Alles gerade auf jene einzig angemessene Erziehungsweise hinzuweisen. Das Weib und der Mann sind beide für einander gemacht: aber ihre gegenseitige Abhängigkeit von einander ist nicht von einerlei Art. Die Männer hängen von den Weibern bloss durch ihre sinnlichen Wünsche ab: die Weiber sind von den Männern sowohl durch ihre Wünsche, als auch durch ihre Bedürfnisse abhängig. Wir könnten eher ohne sie, als sie ohne uns bestehen«….
»Aus diesem Grund muss die Erziehung der Weiber stets in Beziehung auf ihr verhältnis zu den Männern betrachtet werden. Ihnen zu gefallen und nützlich zu sein, sich ihnen lieb und wert zu machen, sie als Kinder zu erziehen, und als Erwachsene zu verpflegen, ihnen mit Rat und Trost beizustehen, und das Leben angenehm und süss zu machen das sind die Pflichten der Weiber zu allen Zeiten, und dazu sollten sie schon von Kindheit auf angewiewiesen werden. So lange wir nicht auf diesen Grundsatz zurückgehen, entfernen wir uns von dem Ziele und alle vorschriften, die wir ihnen geben, werden weder ihre Glückseligkeit, noch die unsrige vermehren.«………..
»Die kleinen Mädchen lieben den Putz fast schon in der Wiege. Nicht zufrieden, hübsch zu sein, wollen sie auch dafür anerkannt werden. An ihrem kleinen Mienen-und Gebärdenspiele sicht man deutlich, dass dieses Streben sie schon beschäftigt: und kaum sind sie im Stande zu verstehen, was man ihnen sagt, so lenkt man sie auch schon dadurch, dass man ihnen sagt, was die Leute von ihnen denken werden. Derselbe Beweggrund würde, kleinen Knaben vorgehalten, gewiss unrecht angebracht sein, und bei weitem nicht so viel auf sie wirken. Wenn sie nur ihre Freiheit behalten und zu spielen haben, so kümmern sie sich sehr wenig darum, was man von ihnen denken mag. Es wird sehr viel Zeit und Mühe erfordern, sie demselben Gesetze zu unterwerfen.«
»Woher auch diese erste Lehre den Mädchen komme; immer wird sie von entschiedenem Nutzen für sie sein. Da der Körper, so zu sagen, früher als die Seele geboren wird; so muss auch die erste Bildung, welche man versucht, die körperliche sein: diese Ordnung bleibt für beide Geschlechter dieselbe, allein der Gegenstand dieser Bildung ist für jedes derselben ein anderer. Bei dem einen Geschlechte ist es die Übung körperlicher Kraft; bei dem andern die Entwicklung körperlicher Reize: nicht als ob von diesen beiden Anlagen (zur Stärke und zur schönheit) immer nur die eine ausschliesslich in einem von beiden Geschlechtern ausgebildet werden dürfte; nein, man muss bloss die Ordnung, in der man sie ausbildet, bei beiden umkehren. Die Weiber müssen Stärke genug haben, Alles, was sie tun, mit Anmut zu tun; die Männer müssen Geschicklichkeit genug besitzen, Alles, was sie tun, mit Leichtigkeit zu verrichten«…..
»Die Kinder beiderlei Geschlechts haben und zwar mit allem Rechte sehr viele vergnügungen mit einander gemein: bleibt dies nicht auch der Fall, wenn sie erwachsen sind? Indessen hat jedes Geschlecht auch wieder seinen eigentümlichen Geschmack, seine besondern Lieblingsneigungen, wodurch es sich von den andern unterscheidet. Die Knaben gehen gerne solchen Spielen nach, die viel Bewegung erfodern, und mit Geräusch verbunden sind, wie zum Beispiel das Trommelschlagen, Kreiselpeitschen und fahren mit kleinen Wagen: die Mädchen hingegen lieben mehr solche Dinge, die in die Augen fallen und zum Putze dienen,als Spiegel, Galanteriewaren, Läppchen,und vorzüglich Puppen. Die Puppe ist der vorzüglichste Zeitvertreib kleiner Mädchen: ein Geschmack, der bei ihnen entschieden, und augenscheinlich ihrer künftigen Bestimmung angemessen ist. Die Kunst zu gefallen liegt, so weit sie auf dem Physischen beruht, bloss im Putze: und nur dieser Teil jener Kunst ist es,den Kinder zu betreiben im Stande sind.« ...
»Wir sehen also hier einen ersten, sehr entschiedenen Geschmack, den wir nur verfolgen und leiten dürfen. Ganz gewiss würde die Kleine von Herzen gern, wenn sie's nur verstünde, ihre Puppe selbst aufputzen, ihr Armschleifen, das Halstuch, den Kopfputz und die Spitzen selbst zurechte machen: allein man lässt ihr bei dem allen ihre Abhängigkeit von dem Belieben Anderer so empfindlich fühlen, dass es ihr selbst bequemer sein würde, wenn sie Alles ihrem eigenen erfindsamen Fleisse verdanken müsste. Auf diese Weise entwickelt sich die vernunft aus den ersten Anweisungen, die man ihr hierüber erteilt: das sind für sie nicht Arbeiten, die man ihr aufgibt, nein, es sind Gefälligkeiten, die man ihr erzeigt. Und, in der Tat, fast alle kleinen Mädchen lernen mit Widerwillen lesen und schreiben: die Nadel hingegen zu führen lernen sie allezeit sehr gern. Sie sehen sich schon im Geist erwachsen, und denken mit vergnügen daran, dass diese Geschicklichkeiten sie einst in den Stand setzen werden, sich zu putzen.«

Das ist doch fürwahr eine blosse erziehung des körpers! Allein Rousseau ist nicht der einzige, der eben nicht undeutlich zu verstehen gegeben hat, dass schon die blosse person eines jungen frauenzimmers, ohne im geringsten geist zu besitzen, (man müsste denn blosses jugendliches feuer als gleichbedeutend dafür gelten lassen) einnehmend sei. Um ihren körper schwach, oder wie es einige nennen mögen, schön zu machen, wird ihr verstand vernachlässigt, und man zwingt das mädchen, still zu sitzen, mit der puppe zu spielen und auf alberne histörchen zu horchen und was auf solche weise die gewohnheit wirkt, das gibt man alsdann für entschiedene naturwinke aus.
Ich weiss sehr gut, dass Rousseaus meinung war, die ersten jahre der jugend müssten zur bildung des körpers angewandt werden, wenn er gleich bei der erziehung seines Emils von diesem plane etwas abgeht. Allein: den körper stärken, wovon geistesstärke grossenteils abhängt, und, ihm bloss einen ungezwungenen anstand geben, dazwischen ist doch ein grosser unterschied.
Man darf hierbei nicht unbemerkt lassen, dass Rousseau seine beobachtungen in einem lande machte, wo die kunst zu gefallen nur verfeinert wurde, um dem laster seine auffallende rauheit zu nehmen. Er ging nicht bis auf die natur zurück, oder seine herrschende Sinnlichkeit störte seine vernunft in ihren verrichtungen; sonst würde er nimmermehr solche rohe folgerungen gezogen haben.
In Frankreich werden knaben und mädchen, vorzüglich aber die letztern, bloss erzogen um zu gefallen; man macht sie einzig und allein auf haltung ihres körpers und auf ihr äusseres benehmen aufmerksam: dagegen wird ihre seele schon in einem sehr frühen alter, durch die weltlichen und geistlichen verwahrungsregeln verdorben, die man ihnen einprägt, um sie gegen unsittsamkeit zu schützen. Ich spreche von vergangenen Zeiten. Selbst die geständnisse, welche mädchen, die noch weiter nichts als kinder waren, in der beichte ablegen mussten, und die fragen, die ihnen der heilige mann dabei vorlegte, (ich habe diese tatsachen von glaubwürdigen personen) waren schon hinreichend, ihnen einen weiblichen charakter aufzudrücken. Mit einem wort, die erziehung, so wie sie die gesellschaft gab, war eine schule von gefallsucht und ranken. In einem alter von zehn bis elf Jahren, ja, oft noch weit früher, fingen die mädchen an die koketten zu spielen, und durften ungescheut von einem etablissement in der grossen weit durch heirat schwatzen. Kurz, man machte sie fast von der wiege an zu weibern, und statt auf gute lehren zu hören, mussten sie auf komplimente horchen. Da auf diese weise ihr geist geschwächt wurde, so sollte nun die natur wie eine stiefmutter verfahren sein, als sie diesen nachgedanken der schöpfung bildete.

Gestand man ihnen einmal keinen verstand zu; so verfuhr man sodann ganz folgerichtig, wenn man sie einem von der vernunft unabhängigen ansehen unterwarf. Um sie zu dieser unterwürfigkeit vorzubereiten, erteilt ihnen Rousseau folgende ratschläge:

»Die Mädchen müssen tätig und arbeitsam sein: noch mehr, sie müssen bei Zeiten den Zwang ertragen lernen. Dieses Unglück (wenn es für sie diesen Namen verdient) ist von ihrem Geschlechte unzertrennlich: und nie werden sie sich davon befreien, ohne an dessen Statt noch weit peinlichere Übel zu erdulden. Sie dürfen sich ihr ganzes Leben hindurch dem unaufhörlichsten und strengsten Zwange, dem des Wohlstandes und der Schicklichkeit nicht entziehen: man muss sie daher gleich anfangs gewöhnen, sich zu zwingen, damit es ihnen in der Folge nicht schwer werde; man muss sie zur Beherrschung aller Einfälle und Launen anhalten, um sie zur Unterwerfung unter fremden Willen zu bilden. Wollen sie, zum Beispiel, immer arbeiten, so müsste man sie zuweilen zwingen Nichts zu tun. Zerstreuungssucht, Eitelkeit und Unbeständigkeit sind Fehler, welche gar zu leicht aus ihren ersten Lieblingsneigungen entstehen, wenn diese eine verkehrte Richtung nehmen und in Einem fort verfolgt werden. Wollt ihr solchen Missbräuchen vorbeugen, so lehrt sie nur immer, sich Gewalt anzutun. Bei den unvernünftigen Einrichtungen, wie sie jetzt einmal unter uns hergebracht sind, ist das Leben einer rechtschaffenen Frau ein unaufhörlicher Kampf mit sich selbst: es ist nicht mehr als billig, dass dieses Geschlecht auch die Schmerzen der Übel, die es über uns gebracht hat, mit uns teile.«

Warum ist das leben einer rechtschaffenen frau ein beständiger kampf? Gerade dieses erziehungssystem, würde ich antworten, macht es dazu. Sittsamkeit, mässigung und selbstverleugnung sind die reifen früchte der vernunft. Sobald dagegen die empfindsamkeit auf kosten des verstandes genährt wird ; so müssen solche schwache wesen durch despotische massregeln in schranken gehalten werden, und sich beständigen kämpfen ausgesetzt sehen. Man gebe nur erst ihrer geistestätigkeit einen weitern Spielraum, so werden edlere leidenschaften und beweggründe ihre wünsche und gesinnungen leiten. Rousseau:

»Zuneigung, vorsorge, ja selbst blosse Gewohnheit werden der Mutter die Liebe ihrer Tochter sichern, wenn sie nur nichts tut, sich ihren Hass zuzuziehen. Sogar der Zwang, in welchem sie die Tochter hält, wird, wenn sie einen weisen Gebrauch davon zu machen weiss, weit entfernt, diese Anhänglichkeit zu schwächen, sie nur noch mehr verstärken; weil Abhängigkeit für die Weiber ein natürlicher Zustand ist, und Mädchen sehr wohl fühlen, dass sie zum Gehorsam geboren sind.«

Allein dies sollte ja erst bewiesen werden. Denn sklaverei würdigt nicht bloss das individuum herab. Ihre wirkungen scheinen sich auch auf die nachkömmlinge zu erstrecken. Wenn man die länge der zeit überdenkt, während der die weiber so sehr abhängig gewesen sind ist's wohl noch zu verwundern, dass einige von ihnen ihre ketten küssen, und sich wie wachtelhündchen anschmeicheln? »Diese Tierart,« sagt ein naturforscher, »trug anfänglich ihre Ohren aufrecht: allein, die Gewohnheit hat die Natur überwältigt, und das, was zuvor bloss Zeichen der Furcht war, ist nun zur schönheit geworden,« Rousseau setzt hinzu:

»Aus eben dem Grunde, weil die Weiber wenig Freiheit haben, oder doch haben sollten, sind sie äusserst geneigt, diejenige, die man ihnen einmal gestattet, übermässig weit zu treiben. Sie fallen in jeder Sache leicht auf das Äusserste und sogar bei ihren Spielen und vergnügungen sind sie ihrer selbst weit weniger als die Knaben mächtig.«

Die antwort darauf ist sehr einfach. Sklaven und pöbel haben sich stets die gleichen ausschweifungen erlaubt, sobald sie einmal das joch der übermacht abgeschüttelt hatten. Der gespannte bogen schnellt heftig zurück, wenn die hand, die ihn mit macht zusammenhielt, plötzlich los lässt. Empfindsamkeit, die wetterfahne, die sich nach äussern umständen dreht, muss entweder einer obermacht unterworfen oder durch vernunft geleitet werden.

Rousseau fährt fort:

»Aus diesem zur Gewohnheit gewordenen Zwange entsteht eine gewisse Lenksamkeit, die die Weiber ihr ganzes Leben hindurch brauchen, weil sie niemals aufhören,es sei nun einem Manne, oder doch den Urteilen der Männer unterworfen zu sein, und es ihnen niemals erlaubt ist, sich über dieses Urteil wegzusetzen. Die erste und wichtigste Eigenschaft einer Frau ist Sanftmut: geschaffen, einem so unvollkommenen Wesen, wie der Mann, das oft so voller Laster und immer voller Fehler ist, zu gehorchen, muss sie schon frühzeitig selbst Unrecht dulden und die Fehltritte eines Gatten ohne Murren tragen lernen. Nicht seinetwegen, nein, um ihres eignen Besten willen muss sie sanftmütig sein! Bitterkeit und Hartnäckigkeit der Weiber vermehren nur ihre Leiden und machen das schlechte Betragen der Männer gegen sie immer schlimmer, weil diese sehr wohl fühlen, dass das nicht Waffen sind, mit welchen jene sie besiegen dürfen.«

Ja fürwahr, geschaffen, mit einem so unvollkommenen wesen, als der mann ist zu leben, sollten sie durch die ausbildung ihrer geisteskräfte die notwenigkeit der duldung und Selbstbeherrschung einsehen lernen. Aber jedes heilige recht der menschheit wird an ihnen durch die anforderung eines blinden gehörsams verletzt, oder gehören die heiligsten rechte einzig und allein dem manne an?
Ein wesen, das eine ungerechte behandlung über sich ergehen lässt, und kränkende beleidigungen mit stillschweigen erträgt, wird bald selbst ungerecht handeln, oder doch unfähig werden, recht und unrecht von einander zu unterscheiden. Ausserdem leugne ich es ab, das eine solche despotische behandlung das richtige verfahren sei, die natürliche anläge zu bilden oder zu verbessern. Denn, im ganzen genommen, haben die männer ein besseres naturell, als die weiber, weil sie mit gegenständen beschäftigt sind, die für den köpf so gut als für das herz interesse haben: und die festigkeit des kopfs teilt auch dem herzen eine gesunde Stimmung mit. Leute von sehr reizabrer empfindsamkeit haben selten ein gutes naturell. Die bildung desselben ist die sache der kühlen vernunft, wenn sie bei zunehmenden Jahren mit glücklicher kunst streitende elemente zu einander mischt. Ich habe nie eine schwache oder unwissende person gekannt, die ein gutes naturell gehabt hätte: obgleich eine, vom temperament abhängende gute laune und jene lenksamkeit, welche zuweilen furcht dem betragen der menschen aufdrückt, gar oft diesen namen erhält. Ich sage dem betragen, denn im herzen oder in der seele darf man nie ächte milde suchen, wenn das, was den schein derselben hat, nicht des nachdenkens ist: und dass blosser zwang eine menge böser launen im häuslichen leben verursacht, werden viele vernünftige männer eingestehen, welche in einigen jener sanften, reizbaren ge schöpfe eine sehr lästige gesellschaft finden.

Rousseau räsoniert weiter:

»Jedes Geschlecht muss seinen Ton behalten. Ein zu sanfter Mann kann eine Frau äusserst ungestüm machen: aber auch den heftigsten Mann, wenn er nur kein Ungeheuer ist, führt die Sanftmut der Gattin in seinen Schranken zurück, und trägt früh oder spät über ihn den Sieg davon.«

Richtig, das tut die Sanftmut der vernunft: niederträchtige furcht aber erregt stets verachtung und tränen sind nur dann beredt, wenn sie über schöne wangen fliessen.
Aus was für stoff muss wohl ein herz gebildet sein, das da, wo es beschimpft wird, in liebe schmelzen, und, statt durch ungerechte behandlung empört zu wterden, die rute des tyrannen noch küssen kann? Darf man nicht mit recht schliessen, dass die tagend einer frau, die ihren mann in demselben augenblick, wo er sie aufs grausamste misshandelt, mit wahrer weiblicher Sanftmut liebkosen kann, nur auf kleinliche zwecke und auf blosse Selbstsucht gegründet ist? Eine solche falschheit ist niemals gesetz der natur, und so scheinbar man auch klugheit dieser art zur tagend prägen mag, so wird moralität doch immer ein schwankender begriff, so bald auch nur der kleinste teil davon auf falschheit beruhen darf. Das sind weiter nichts als notbehelfe und notbehelfe taugen nur für den augenblick.
Der gatte hüte sich wohl, auf einen solchen sklavischen gehorsam zu viel zu trauen. Denn, kann sein weib ihm da mit unwiderstehlicher anmut schmeicheln, wo er entrüstet ist, und auch sie ungehalten sein müsste, wäre nicht schon in ihr durch verachtung jede natürliche aufwallung erstickt so kann sie leicht dasselbe tun, wenn sie sich so eben von einem liebhaber getrennt hat. Dies sind lauter vorbereitungen zum ehebruch: oder, gesetzt auch, furcht vor der welt, oder vor der hölle bezähmte noch ihre begierde, andern männern zu gefallen, wenn sie dem ihrigen nicht mehr gefallen kann; welch ein ersatz lässt sich für ein geschöpf auffinden, das von natur und kunst nur dazu gebildet wurde, den männern zu gefallen? Was kann sie für diese entbehrung schadlos halten, oder wo soll sie sich nach einem neuen geschäft umsehen? Wo soll sie seelenstärke zu dem entschluss hernehmen, darüber mit sich selbst zu rate zu gehen, wenn einmal alte gewohnheiten bei ihr lest gewurzelt sind, und eitelkeit seit langen jahren ihren religiösen geist beherrscht hat?

Doch unser parteiischer sittenlehrer weiss jene verschlagenheit auf eine systematische und sehr scheinbare weise zu empfehlen. Man höre nur:

»Die Töchter müssen stets folgsam und nachgebend, ihre mütter aber nicht immer unerbittlich sein. Um ein junges Mädchen zur Folgsamkeit zu gewöhnen, darf man sie nicht unglücklich machen: um sie für die Sittsamkeit zu gewinnen, darf man sie nicht der Dummheit übergeben, im Gegenteile würde ich nicht ungern sehen, wenn man ihr ein wenig Schlauheit verstatten wollte; nicht um im Falle des Ungehorsams der Strafe auszubeugen, sondern um sich dem Gesetze des Gehorsams selbst zu entziehen. Die Rede kann nicht davon sein, ihr die Abhängigkeit drückend, nein, es ist genug, ihr dieselbe nur fühlbar zu machen. verschlagenheit ist eine dem weiblichen Geschlechte vorzüglich eigne Naturgabe: und, weil ich überzeugtbin, dass alle natürlichen Neigungen an und für sich recht und gesund sind, so ist mein Rat, auch diese Anlage, so wie die übrigen, auszubilden: man suche nur dabei dem Missbrauche derselben vorzubeugen.«

»Alles, was ist, ist gut,« fährt Rousseau jetzt triumphierend fort zu folgern. Zugegeben und doch gibt es vielleicht keinen aforismus, der eine paradoxere behauptung enthält, als diese ist. In beziehung auf gott vorgetragen, sagt er freilich eine erhabenere wahrheit aus. Er überschaut, ich sage es mit tiefer verehrung, das ganze auf einmal; er durchschaute dessen richtiges ebenmass in seinem ersten keime. Der mensch hingegen, der nur abgerissene teile davon übersehen kann, findet viele dinge nicht gut: und es ist ein teil des systems, und daher gut, dass er sich bemühen soll zu ändern, was ihm nicht gut scheint, selbst da noch zu ändern sich bemühen soll, wo er sich vor der weisheit des schöpfers beugt, und das dunkel anbetet, welches er zu erhellen strebt.

Die schlussfolge, die Rousseau weiter zieht, würde richtig sein, wenn nur der grundsatz, aus dem sie fliesst, bewiesen wäre.

»Diese besondre, dem weiblichen Geschlechte eigne Schlauheit und Gewandtheit ist eine sehr billige Entschädigung für das, was demselben an Stärke abgeht. Ohne diesen Ersatz wäre die Frau nicht die Gefährtin des Mannes, sondern seine Sklavin: nur durch die Überlegenheit dieses Talents behauptet sie sich als seines gleichen, und beherrscht ihn, indem sie ihm gehorcht. Das Weib hat Alles gegen sich: unsere Fehler, ihre Furchtsamkeit, ihre Schwäche; sie hat nichts für sich, als ihre List und ihre schönheit. Ist es nicht billig, dass sie beide ausbilde?«

Seelengrösse kann nie mit verschlagenheit oder hinterlist bestehen ich mag nicht ängstlich nach worten suchen, deren eigentlicher sinn doch nur unlauterkeit und falschheit ist. Ich bemerke nur noch, dass, so bald irgend ein teil des menschengeschlechts nach regeln erzogen werden darf, die nicht streng von der Wahrheit abgeleitet sind, die tugend zu einer blossen sache der verabredung herabsinkt. Wie konnte Rousseau, nachdem er solche ratschläge erteilt hatte, die behauptung wagen, der hauptzweck des daseins werde für beide geschlechter immer nur einer und derselbe bleiben, da er wohl wusste, dass der geist, der stets durch die entwürfe, die er verfolgt, seine bildung erhält, nur durch grosse zwecke, in denen kleinigkeiten sich verlieren, erweitert werden muss, wenn er nicht selbst klein werden soll?
Es ist wahr, die männer besitzen überwiegende leibeskräfte: allein, wenn nicht falsche begriffe von schönheit hier im wege ständen, so würden auch die weiber sich deren genug erwerben können, ihren unterhalt sich selbst verdienen - worin doch eigentlich die wahre unabhängigkeit besteht - und die körperlichen Beschwerden und den grad von Anstrengung auszuhalten, welche zur Stärkung des Geistes erfordert werden.

Man erlaube uns demnach ähnliche leibesbewegungen als den knaben, nicht bloss in unsrer kindheit, sondern auch in den jugendjahren, und lasse eben dadurch auch unsern körper zu seiner vollkommenheit gedeihen, damit die Erfahrung lehre, wie weit die natürliche überlegenheit des mannes sich erstrecke. Wie darf man sonst vernunft oder tugend von einem geschöpf erwarten, das in der pfanzenzeit des lebens versäumt worden ist?
Schlechterdings auf keine weise, wenn nicht die winde des himmels, durch zufall dann und wann ein nützliches samenkorn auch auf den wüsten acker führen. Rousseau sagt;

»Schönheit kann man sich nie durch Putz allein geben, und man wird eben nicht so bald damit fertig, wenn man mit Erfolg die Kokette machen will. Doch sind Mädchen auch schon frühern Jahren fähig, ihren Bewegungen eine angenehme Wendung, ihrer Stimme einen einnehmenden Ton, ihrem ganzen Benehmen eine gewisse Haltung zu geben: auch jetzt verstehen sie es schon, mit einer reizenden Nachlässigkeit einherzugehen, gefällige Stellungen anzunehmen, und sich überall in das vorteilhafteste Licht zu setzen. Die Stimme gewinnt mehr Umfang, Stärke und Metall: die Arme werden freier, der Gang sicherer, und das Mädchen fängt an zu fühlen, es gebe eine Kunst die Blicke der Männer an sich zu fesseln, die vom Putze schlechterdings nicht abhängt. Nun kann die Rede nicht mehr bloss von Nadelarbeit und Kunstfleiss sein: jetzt zeigen sich neue Talente, welche ihren künftigen Nutzen schon im voraus ahnen lassen.«.........
»Stünde es bei mir, so müsste eine junge Engländerin ihre reizenden Naturgaben, durch die sie ihrem künftigen Mann einst gefallen soll, mit eben so viel Sorgfalt ausbilden, als eine junge Albanerin die ihrigen für den Harem eines Bassen ausbildet.«

Um die weiber vollends ganz unbedetend zu machen, setzt Rousseau hinzu:

»Das weibliche Geschlecht hat eine biegsame Zunge: es lernt eher, leichter und angenehmer sprechen, als das männliche; auch gibt man ihm Schuld, es spreche mehr. Dies muss so sein, und ich möchte gern diesen vorwurf in einen Lobspruch verwandeln. Mund und Augen sind bei ihnen gleich tätig, und zwar aus einerlei Ursache. Der Mann sagt, was er weiss, das Weib sagt, was gefällt; jener bedarf, um Stoff zum sprechen zu haben, Kenntnisse, diese braucht nur Geschmack; für ihn sind das Hauptaugenmerk nützliche Gegenstände, für sie sind es angenehme. Ihre beiderseitige Unterhaltung bedarf keine andere gemeinschaftliche Form, als die Form der Wahrheit.«
»Man darf also dem Plaudern der Mädchen nicht auf dieselbe Weise, wie dem der Knaben durch die harte Frage: wozu nützt das, was du sagst? Einhalt tun; vielmehr muss man jenen Trieb durch eine andre Frage, die eben nicht leichter zu beantworten ist: wie wird das, was du sagst, aufgenommen werden? in seine Schranken weisen. In diesem frühen Alter, wo sie gut und böse noch viel zu wenig unterscheiden können, um sich zu Richterinnen über irgend Jemand aufzuwerfen, müssen sie sich es zum Gesetze machen, den Personen, mit welchen sie sprechen, nie etwas Anders, als etwas Angenehmes zu sagen: und was die Ausübung dieser Regel noch schwerer macht, ist, dass sie stets einer höhern vorschrift, der, nie eine Lüge zu sagen, untergeordnet bleiben muss.«

Seine zunge auf diese weise zu beherrschen, muss fürwahr grosse geschicklichkeit erfordern: und leider sieht man diese kunst von männern und weibern nur gar zu sehr betrieben! - Wie wenige menschen gibt es, die aus der fülle des herzens sprechen; So wenige, dass ich, die ich die einfalt liebe, mit freuden alle feine lebensart für den vierten teil der tugend hingäbe, welche man einer zweideutigen eigenschaft aufgeopfert hat, die, höchstens, nur die politur der tugend sein sollte.

Doch nun weiter, um die skizze zu vollenden.
Rousseau sagt:

»Man begreift leicht, wenn die Knaben ausser Stande sind, sich richtige Begriffe von Religion zu machen, dass Ideen dieser Art noch weit mehr über den Horizont der Mädchen hinaus liegen. Gerade aus diesem Grunde aber würde ich raten, diese früher damit bekannt zu machen. Denn, wollte man damit so lange warten, bis sie im Stande wären, diese tiefsinnigen Fragen methodisch zu erörtern, so würde man Gefahr laufen, sie nie davon unterhalten zu können. Die vernunft der Weiber ist eine praktische, die sie zwar in den Stand setzt, auf eine sehr geschickte Weise die Mittel zu einem bekannten Zwecke zu entdecken, diesen Zweck selbst aber nicht finden lässt. Das gesellschaftliche verhältnis beider Geschlechter zueinander verdient Bewunderung. Aus dieser verbindung entsteht Eine moralische Person, deren Auge das Weib und deren Arm der Mann ist: wobei jedoch eine solche wechselseitige Abhängigkeit stattfindet, dass das Weib erst von dem Manne lernt, was zu sehen, und der Mann dagegen von dem Weibe, was zu tun ist. Könnte das Weib ebenso wie der Mann zu Prinzipien hinaufsteigen und besässe der Mann, so wie das Weib, jenen glücklichen Blick in die kleinsten Nebenumstände jeder Sache, so würden beide stets unabhängig voneinander, in reiner Trennung leben und ihre gesellige verbindung nicht bestehen können. In der Eintracht aber, die zwischen ihnen herrscht, zielt Alles auf den gemeinschaftlichen Endzweck ab. Man weiss nicht, wer von beiden das Meiste von dem Seinigen hinzutut: jeder Teil folgt dem Anstosse des andern, jeder gehorcht, und doch herrschen sie beide«…
»Schon deswegen, weil die Aufführung des Weibes der öffentlichen Meinung unterworfen ist, muss auch ihr Glaube sich der Autorität fügen. Jedes Mädchen muss die Religion ihrer Mutter und jede Frau die Religion ihres Gatten haben: wäre diese Religion auch noch so falsch, so muss doch jene Folgsamkeit, mit welcher Mutter und Tochter sich der Ordnung der Natur unterwerfen, vor Gottes Augen die Sünde des Irrtums austilgen. Da die Weiber nicht im Stande sind, für sich zu entscheiden, so müssen sie die Ansprüche ihrer väter und Gatten sowie die der Kirche anerkennen.«
»Weil es demnach Autorität ist, was die Religion der Weiber bestimmen muss, so kömmt es nicht sowohl darauf an, ihnen die Gründe des Glaubens vorzutragen, als vielmehr das, was man wirklich glaubt, fasslich darzustellen. Denn ein Glaube, den man dunklen vorstellungen gibt, ist die erste Quelle des Fanatismus; und ein Glaube, den man für ungereimte Dinge fordert, führt zum Wahnsinn oder zur Freigeisterei.«

Unumschränkte und unbestrittene autorität muss gleichwohl, wie es scheint, irgendwo anzutreffen sein. Sollte die entscheidung hierüber nicht das ausschliessliche, unveräusserliche eigentum der vernunft sein ? Von Adam bis zu uns herab hat man die rechte der menschhelt bloss in die männliche linie eingeschlossen. Rousseau hätte seine männliche aristokratie gern
noch weiter treiben mögen. Er gibt ziemlich deutlich zu verstehen, dass er diejenigen gar nicht tadeln würde, welche die weiber in der tiefsten Unwissenheit zu lassen gedächten, wenn es nicht zur bewahrung ihrer keuschheit und um die wahl der männer in den augen der welt tz  rechtferligen, notwendig wäre, ihnen etwas kenntnis der menschen und der durch die menschlichen leidenschaften hervorgebrachten sitten und gebräuche mitzuteilen. Wäre das nicht, so möchten sie immer zu hause bleiben und kinder gebären, ohne dass man nötig hätte, sie durch ausbildung um einen teil ihrer unschuld und reize für den genuss zu bringen. Ausgenommen während des ersten ehejahres, da sie den verstand brauchen könnten, um sich wie seine Sophie zu putzen.

»Ihr Putz ist dem Anschein nach äusserst sittsam und doch im Grunde sehr gefallsüchtig: sie legt ihre Reize nicht aus, nein, sie verbirgt sie vielmehr, aber so, dass die Phantasie sie leicht erraten kann. Wer sie sieht, muss sagen: das ist ein bescheidenen, ein sittsames Mädchen; allein, solange er um sie ist, hängen Auge und Herz an ihrer ganzen Person, und es wird ihm unmöglich, beides von ihr loszureissen.  Man möchte sagen, der ganz so einfache Anzug sei nur deswegen gehörigen Orts angebracht, um wiederum Stück für Stück von der Einbildungkraft abgenommen zu werden.«

Und das wäre sittsamkeit? Und das wäre vorbereitung zur unsterblichkeit? - Noch einmal; was für einen begriff muss man sich von einem erziehungssystem machen, dessen urheber von seiner heldin sagt:

»…dass, ihre Geschäfte gut  zu besorgen, für sie nur immer
Nebensache sei, ihre Hauptsorge  bleibe stets diese, sie
mit so gutem Anstand als möglich zu verrichten.«

Ja wohl sind alle tugenden und vorzüge nur nebendinge bei einer heldin, welcher er ihr von ihren eltern, im vertrauen auf ihre erprobte Unterwürfigkeit, über den punkt der religion sagen lassen kann:

»Dein Gatte wird dich darin zu rechter Zeit schon unterrichten.«

Nachdem er nun auf diese weise den geist des weibes gelähmt, wo nicht gar, um ihn nur schön zu erhalten, ein totes bild daraus gemacht hat, weist er sie jetzt an, ihre denkkraft auch zu üben, damit ein denkender mann in ihrer gesellschaft nicht gähnen möge, wenn er müde ist, ihr liebzukosen. Was in aller weit aber kann denn ein wesen zu denken haben, das bloss gehorchen muss? Würde es nicht die ausgesuchteste grausamkeit sein, ihr den köpf nur zu öffnen, um ihr das klägliche elend ihres geschlechts erst sichtbar zu machen? Doch hier sind Rousseaus fernere vernünftige bemerkungen: wie sie mit demjenigen, was ich bereits, um die sache unparteiisch darzustellen, habe anführen müssen, zu vereinigen sein dürften, darüber mag der leser selbst entscheiden.
Rousseau:

»Leute, die ihr ganzes Leben mit Arbeiten zubringen müssen, um davon zu leben, denken an gar nichts anderes, als an ihre Arbeit oder an ihren vorteil: das sind ihre einzigen, herrschenden Ideen und alles, was Geist an ihnen heissen kann, scheint sich an den Enden ihrer Arme zu befinden. Diese Unwissenheit schadet ihrer Rechtschaffenheit und ihren Sitten so wenig, dass sie oft sogar beiden beförderlich ist. Oft macht man dadurch zu vieles Nachdenken, sozusagen einen vergleich mit seinen Pflichten, und setzt am Ende an die Stelle der Sachen einen leeren Wortkram. Das Gewissen ist der einsichtvollste Philosoph: man braucht eben nicht Ciceros Bücher von den Pflichten zu kennen, um ein rechtschaffener Mann zu sein; und die rechtschaffendste Frau von der Welt kommt vielleicht am meisten in verlegenheit, wenn sie die Frage beantworten soll, was denn eigentlich Rechtschaffenheit sei? Darum bleibt es aber nicht weniger wahr, dass ein gebildeter Geist allein den Umgang angenehm macht: und es ist für den vater einer Familie, der sich in seinem Hause gefällt, etwas sehr Trauriges, wenn er auch hier sich in sich selbst verschliessen muss und Niemand finden kann, der ihn versteht.«………»Überdies, wie wird eine Frau, die sich keine Fertigkeit im Nachdenken erworben hat, ihre Kinder erziehen? Wie wird sie im Stande sein, zu beurteilen, was zu ihrer Bildung notwendig und unentbehrlich ist? Wie wird sie dieselben für Tugenden, die sie nicht kennt, empfänglich machen, wie auf verdienste, für die sie keinen Sinn hat, vorbereiten können? Sie wird nichts tun können, als ihnen schmeicheln, oder sie bedrohen sie entweder frech oder scheu machen: kurz, sie werden unter ihren Händen entweder zu Zieräffchen oder dummdreiste Tölpel, nie aber vernünftige und liebenswürdige Kinder werden.«

Wie könnte sie auch das, da ja ihr gatte nicht immer bei der hand ist, ihr seine vernunft zu leihen? Denn sie machen ja beide zusammen erst ein moralisches wesen aus. Ein blinder wille, >augen ohne hände<, würde eben nicht sehr weit kommen: und wie leicht kann nun nicht des mannes abstrakte vernunft, welche die zerstreuten strahlen ihrer praktischen vernunft auf einen punkt vereinigen müsste, eben beschäftigt sein, die echtheit eines weines zu untersuchen oder über die wähl der schicklichsten fischbrühe zu entscheiden? Ja der abstrakte herr gemahl kann sich vielleicht beim Spieltische in noch tiefsinnigere betrachtungen verloren haben, und bei jeder Zersplitterung seines vermögens seine ideen verallgemeinern, indess er alle kleinigkeiten der erziehung seiner genossin oder dem zufall überlässt.
Doch, zugegeben, das weib müsse schön, unschuldig und einfältig sein, um eine anziehendere und nachgiebigere gesellschafterin abzugeben; wozu soll denn ihr verstand ganz verwahrlost werden? Und wozu dienen alle jene vorbereitungen, die nach Rousseaus eigenem geständnis, sie doch nur auf sehr kurze zeit zur gebieterin ihres mannes machen können? Denn nie hat wohl jemand die unstetigkeit der liebe mit mehr nachdruck behauptet, als eben dieser filosof. Man höre seine worte:

»Die Freuden der Sinne sind vorübergehend. Der habituelle Zustand des Herzens verliert allemal dabei. Die Phantasie, die jeden Gegenstand mit Reizen schmückt, so lange sie ihn wünscht, verlässt denselben, so bald sie ihn besitzt. Ausser dem einzigen Wesen, welches durch sich selbst existiert, gibt es keine schönheit, als die, welche allein in unserer vorstellung vorhanden ist.«

Gleichwohl kehrt er wieder zu seinen unverständlichen paradoxen zurück, wenn er seine Sophie also anredet:

»Indem Emil Ihr Gatte wurde, ward er Ihr Herr: Sie müssen gehorchen, das ist der Wille der Natur. Wenn indess die Gattin Sophien ähnlich ist, so ist es immer gut, dass der Mann durch sie geleitet werde: auch dieses ist ein Naturgesetz, und gerade der Wunsch, Ihnen so viel Gewalt über das Herz Ihres Gatten zu versichern, als sein Geschlecht ihm über Ihre Person erteilt, war die Ursache, warum ich die Bestimmung seiner Freudenlhren Händen anvertraute. Ich weiss, dass Ihnen dieses manch empfindliches Opfer kosten wird; allein Sie herrschen immer desto gewisser über ihn, je glücklicher Sie sich selbst zu beherrschen wissen; und das, was bereits vorgefallen ist, beweist mir schon, dass diese schwere Kunst doch ihren Mut nicht übersteigt…. »Wollen Sie Ihren Gatten beständig zu Ihren Füssen sehen? halten Sie ihn nur immer in einiger Entfernung von Ihrer Person. Sie werden lange durch die Liebe herrschen, wenn Sie Ihre Gunstbezeichnungen nur selten austeilen und eben dadurch dieselben erst geltend zu machen und ihren Wert zu erhöhen wissen. Auf diese Weise können Sie selbst von den Waffen der Gefallsucht zum Nutzen der Tugend und von den Künsten der Liebe zum vorteil der vernunft Gebrauch machen.«

Ich schliesse meinen auszug (aus Rousseaus Emil) mit der treuen schilderung eines glücklichen ehepaars:

»Bei dem allen rechnen Sie nicht darauf, dass selbst diese Kunst Ihnen immerfort Dienste leisten werde: auch bei der äussersten vorsicht stumpft dennoch wiederholter Genuss jedes vergnügen und vor allen die Freuden der Liebe ab. Hat diese indess nur einmal lang genug gedauert, so füllt die süsse Gewohnheit die Leere aus, und die Reize traulicher Freundschaft treten an die Stelle jener entzückenden Leidenschaft. Kinder knüpfen zwischen denen, die ihnen ihr Dasein gaben, ein ebenso schönes und oft noch weit dauernderes Band, als die Liebe selbst vermochte. Wenn Sie aufhören, die Gebieterin Emils zu sein, so werden Sie doch seine Gattin und Freundin und auch die Mutter seiner Kinder bleiben.«

Kinder knüpfen, wie Rousseau ganz richtig bemerkt, ein weit dauernderes band zwischen ehegatten, als selbst die liebe imstande ist. Die schönheit, gesteht er selbst, wird nicht mehr geachtet, vielleicht gar nicht mehr bemerkt, wenn das neue paar ein halbes jahr zusammen gelebt hat. Erkünstelte reize und ranke der eroberungssucht müssen ebenfalls bald die sinne abstumpfen. Wie kann er also behaupten, ein mädchen müsse für ihren künftigen gatten ebenso, als wenn sie für ein morgenländisches serail bestimmt wäre, erzogen werden?
Ich wende mich jetzt von den träumereien der fantasie und der ausschweifendsten Sinnlichkeit an den gesunden menschenverstand und frage: ob denn wirklich, angenommen, der hauptzweck der ganzen weiblichen erziehung bestehe in der bildung der Zöglinge zu keuschen gattinnen und vernünftigen müttern, die in vorstehender skizze mit so scheinbaren gründen empfohlene art der behandlung, unter allen andern möglichen, zur erreichung dieser absichten am besten berechnet sei? Wird man es wagen zu behaupten, der sicherste weg, ein weib keusch zu erhalten, sei der, sie in den frechsten künsten einer buhlerin zu üben, die freilich die benennung eines tugendhaften bestrebens zu gefallen von dem Wollüstling erhalten, der den ungekünstelten reizen einer herzlichen aufrichtigkeit keinen geschmack mehr abgewinnen kann und für die f reuden, die aus einer zärtlichen vertraulichkeit entspringen, wo freundschaftliche aufschliessung des herzens durch keinen argwöhn gestört und durch verstand erst noch recht anziehend gemacht wird, schon allen sinn verloren hat?
Fürwahr, der mann, der mit einer hübschen häuslichen person ohne seele zufrieden leben kann, der hat schon im rausche der sinnenlust allen geschmack für feinere genüsse verloren; der hat nie jenes sanfte vergnügen empfunden, das gleich dem erfrischenden tau des himmels das lechzende herz erquickt das vergnügen, sich von jemand, der uns verstehen kann, geliebt zu wissen! Auch in der gesellschaft seiner gattin ist er immer noch allein, den augenblick ausgenommen, in dem der mensch bis zum tier herabsinkt. »Der schönste Reiz des Lebens«, sagt ein ernster filosofischer denker, »ist Sympathie; Nichts erfreut uns mehr, als wenn wir an andern Menschen Mitgefühl für jede Empfindung unseres eigenen Herzens wahrnehmen.«

Ginge es hingegen nach dem sinn der vernünftler, die den weibern von dem bäum der erkenntnis zu kosten untersagen, so müssten diese die so wichtigen jahre der jugend, die ganze brauchbarkeit ihres reifern alters und die vernünftigen hoffnungen eines zukünftigen zustandes alle zusammen aufopfern, bloss um sich auf kurze zeit zu gegenständen sinnlicher wünsche zu machen.

Wie konnte überdies Rousseau sittliche würde und beständigkeit von ihnen erwarten, da er ihnen nicht gestattete, die vernunft zur grundlage ihrer fügend, und die Wahrheit zum gegenstand ihrer forschungen zu machen?

Doch alle irrtümer dieses weltweisen entstanden aus allzu grosser fühlbarkeit und fühlbarkeit für ihre reize verzeihen die frauenzimmer sehr leicht! Da, wo er bloss der vernunft gehör geben musste, überliess er sich der leidenschaft, und anstrengung seiner geisteskraft konnte bei ihm, statt den verstand zu erleuchten, bloss die fantasie in flammen setzen. Selbst das, wodurch er sich vor tausenden auszeichnete das feurige temperament und die lebhafte fantasie, die er von der natur erhalten hatte drängten ihn so unaufhaltsam zum andern geschlecht hin, dass er bald lüstling werden musste.Hätte er diese sinnlichen triebe befriedigt, so würde die flamme sehr natürlich von selbst erloschen sein. Seine fügend aber und gewisse romantische delikatesse gestatteten ihm dieses nicht, sondern führten ihn zur Selbstverleugnung hin. Indess, sosehr auch furcht, Zartgefühl oder fügend ihn noch zurückhielten, so erhielt er doch seine fantasie nicht rein, und während er über sinnlichen eindrücken und bildern, welche von dieser nur noch mehr stärke bekamen, brütete, trug er ihnen die glühendsten färben auf und prägte sie seiner seele unauslöschlich ein.

Jetzt suchte er die einsamkeit: nicht, um mit dem naturmenschen zu schlafen; auch nicht, um ferne vom geräusch im schatten eines lieblingsbaums, wieder grosse Newton, naturgesetze auszuspähen; nein, bloss um seinen gefühlen nachzuhängen.

Und das, was er so stark fühlte, hat er nun auch so lebhaft dargestellt, dass er das herz seiner leser fesselt, und ihre einbildungs kraft entzündet, so dass, je nachdem ihre fantasie reizbarer ist, auch ihr verstand mehr oder weniger überzeugt wird, da sie doch bloss mit einem poetisierenden schriftsteiler sympathisieren, der die gegenstände der sinne aufs wollüstigste schattiert oder aufs reizendste verschleiert, kurz mit einer meisterhand, darzustellen weiss.

So beschäftigt er unser gefühl, indess wir unsern verstand tätig glauben, und die irrigen folgerungen erhalten sich in der vorstellung.

Warum war Rousseaus leben zwischen entzücken und elend geteilt? Beides war das werk seiner brausenden fantasie. Hätte er sich nur diese abkühlen können, so würde er sich auch vielleicht mehr seelenstärke erworben haben. Angenommen indess, der hauptzweck dieses lebens bestehe in der ausbildung des intellektuellen teils des menschen, so war gegen die seinige nichts zu sagen: ja er würde wahrscheinlich, hätte ihn nicht der tod so früh zu einem höhern Wirkungskreis abgerufen, noch selbst hier auf der erde mehr ebenmässige glückseligkeit genossen, die sanften freuden des mannes der natur empfunden und sich nicht weiter durch anfachen der leidenschaften, die den zivilisierten mann bestürmen, für den nächsten Schauplatz seines daseins vorbereitet haben.

Doch, friede sei seiner asche: Ich hadere nicht mit ihr nur mit seinen meinungen. Ich zürne nur seinem lebhaften gefühl, das ihn verleitete, das weib zur Sklavin der liebe zu erniedrigen.

» - Verdammte Dienstbarkeit!
Vergöttert bis der Liebe Glut erlischt,
Dann Sklavinnen der Männer, die zuvor
Die Kniee vor uns beugen - «Dryden[36]

 Der gundverderbliche geist von Schriften, deren verfasser die weiber auf eine so hinterlistige weise herabwürdigen, während sie ihren körperlichen reizen abgöttisch huldigen, kann nicht zu oft und nicht zu streng gerügt werden. Wohlan denn, meine teuren Zeitgenossinnen, lasst uns über jene beschränkten vorurteile uns erheben! Wenn die Weisheit um ihrer selbst willen begehrungswürdig ist, wenn die tugend, diesen namen zu verdienen, auf einsicht gegründet sein muss; wohlan, so lasst uns unsern geist durch nachdenken so weit zu stärken suchen, dass unser köpf ins gleichgewicht mit unserm herzen komme. Lasst uns nicht unsre ganze denkkraft auf die kleinlichen vorfalle des tages, noch unsre Wissenschaft auf die kenntnis des herzens eines geliebten oder gatten beschränken nein, die Übung jeder unsrer pflichten bleibe stets der höchsten von allen untergeordnet, der pflicht, unsern geist zu veredeln, und unser herz für einen erhabnem zustand vorzubereiten: Hütet euch demnach, meine freundinnen, euer herz durch jeden unbedeutenden zufall erschüttern zu lassen. Nur das Schilfrohr wird von jedem lufthauch gebeugt, und stirbt am ende des Jahres dahin! Die eiche aber steht unbewegt und trotzt Jahrhunderte den stürmen. Sind wir wirklich bloss dazu geschaffen, die spanne unsres lebens zu durchflattern und zu sterben warum sollten wir nicht dem reiz der sinne nachgehen, und die strenge der vernunft verlachen? Doch ach, selbst dann würde körper und seelenstärke uns entstehen, und wir würden das leben in fieberhaften freuden oder in unerträglicher langeweile verbringen. Jenes er Ziehungssystem aber, das ich in allem ernst von ganzem herzen verworfen sehen möchte, scheint vorauszusetzen, was nie angenommen werden darf, dass uns die tugend gegen die zufalle des lebens schütze, und dass das glück, mit abgelegter binde, jedem wohlerzognen frauenzimmer zulächeln, und einen Emil oder Telemach in ihre arme führen werde. Nein, im gegenteil, der lohn, den die tugend ihren verehrern verheisst, beschränkt sich offenbar auf ihr eigenes herz. Oft muss das tugendhafteste weib mit den quälendsten nahrungssorgen kämpfen und die launen und die bösartigkeit von verwandten ertragen, für die sie durchaus keine freundschaft zu fühlen fähig ist.[37]

Es hat viele weiber in der welt gegeben, die, statt durch die tugend und vernunft ihrer väter und brüder aufrecht erhalten zu werden, vielmehr durch den kampf mit den torheiten und lastern derselben ihrer eigenen seele mehr kraft zu geben wussten; und doch haben sie nie in der person ihres gatten einen halbgott gefunden, der die rechnung, die ihnen die menschheit schuldig war, getilgt und es gewagt hätte, ihre vernunft zu ihrem natürlichen, abhängigen zustand zurückzubringen und das angemasste vorrecht, sich über vorurteile zu erheben, dem manne wieder zuzueignen.
Knox: Versuche[38]

Ende band I.
Neuausgabe des bandes II folgt 1976