Meine Mutter trinkt ihr Bier. Ich weiß nicht, was sie von mir erwartet. Was könnte ich anderes von ihr erwarten als von mir selbst? Die Solidarität der Frauen ist der letzte Versuch menschlicher Solidarität, die sich einem Wiederbeginn des Größenwahns aussetzt.
Meine Mutter trinkt ihr Bier. Sie schreibt, während ich darauf warte, daß sie mir einen Keks gibt.
Zwischen ihren Beinen, gleitend, immer etwas schmerzhafter für sie, für mich. Plötzliches Weiß. Panik. Zwischen Leben und Tod. Höllenangst.
sie hat Brüste, Körperhaare. Ich rosa. Ihr Körper, ihr Gewebe bewegt mein Blut. Sie flüstert. Ihre Tochter-Mutter Lippen. Ein heimtückisches Wetter läßt uns zwischen zwei Wassern sterben. Ein großer weißer Affe umfaßt sie mit seinen Armen. Ich habe ihre Seele gespalten: Geschlecht eines Mädchens. Die Menschheit eilt über uns hinweg wie eine schnelle Walze. Großer neurotischer Primat. Verrückte Tunte. Anale Geschichte.
Mit einer anderen Frau, als wir viel tranken, wir schliefen nicht miteinander. Wir schrieben, saßen uns gegenüber. Ausnahmezustand. Damit die Schlacht nicht zwischen unseren Körpern ausbricht. Damit sich die Beziehung anderswo herstellt. Damit unsere Körper nicht sofort durch das Fassen der Hände, durch die warme Umarmung verstümmelt werden. Aufhören, uns gegenseitig zu beeindrucken. Anarchie des Paares. Erzählender Schnitt um die bittere mütterliche Abhängigkeit herum. Form des Austauschs und sehr präziser Code. Wir können nur einen Körper zur selben Zeit aushalten. Jede den ihren. Damit das klar ist.
Es gibt immer einen Körper zuviel in unserem Leben. Jede Mutter. Jedes Kind. Derselbe Körper.
Wenn dieser Text kein lesbischer wäre, hätte er keinen Sinn. Gleichzeitig Gebärmutter, Materie und Produktion. In Beziehung zu. Er ist der einzig plausible Weg, mich aus dem Bauch meiner patriarchalen Mutter herauszuholen. Ausreichend meinen Blick von ihr zu entfernen, um sie anders als in ihre metaphorischen Teile zerstückelt zu sehen. Das Symbol durchkreuzen, während ich schreibe. Eine Übung, die mich dekonditioniert, mich dahin bringt, meine eigene Legitimität anzuerkennen. Das, wodurch jede Frau versucht zu existieren: nicht mehr illegitim zu sein. Die Legalität einer Frau wäre, nicht durch den Bauch einer Frau geboren worden zu sein. Dadurch sind beide verloren. Der Bauch der Spezies. Die sich von Generation zu Generation reproduziert. Hündin und Bastard. Gleichermaßen illegitim. Wir müssen nur unten auf den Felsen blicken. Das blutige Laken oder die Verrückte vor dem Paar Ehemann-Psychiater, das dabei ist, sie mit Siegeln zu versehen.
Zwischen meiner Mutter und meiner Tochter. Eher ein lesbischer als inzestuöser Text. Der Inzest als eine unbewußte Art und Weise des Vater-Männlichen, sich das Tochter-Weibliche anzueignen: der Rahmen, die Vergewaltigung in der Tat zu rechtfertigen. Der Inzest Mutter-Sohn bedeutet eher eine symbolische Kastration als eine tatsächliche. Symbol und fleischliche Materie vereinigen sich hier zu einer Verbindung, wo die Tochter-Frau bereits die mögliche Geburt eines neuen Wesens sühnt. Den Vater (körperlich) zu ertragen oder in Vertretung (durch Bruder, Geliebten, Ehemann), bringt jede Frau zu ihrer Illegitimität zurück. Ihr dicker Bauch. Keine Taille, keine Figur, die Tochter.
In der Tat jedoch muß sich eine Frau, wenn sie überleben will, in der Realität behaupten und als symbolische Mutter anerkannt werden: in ihrer Macht inzestuös, aber sexuell unerreichbar für die Reproduktion. Sie füllt also ganz und gar den Raum des Begehrens und kann sich so die Arbeit der Anderen aneignen. Strategische Umkehrung: diese symbolische Frau-Mutter hat ihren Bauch verloren. Aber bewahrt die Farbe ihres Geschlechts. Als zweite Mutter kann sie nur eine Rabenmutter sein. Stark, aber in einem Patriarchat ausgeklammert.
Alle dreißig Jahre wird ein Mädchen geboren, von dem nicht gewiß ist, ob sie den Bauch töten wird und so die erste und letzte legitime Frau wird. So der Geschichte ein Ende macht. Der Fiktion: indem sie das letzte Phantasma von brünstigen Frauen und schönen Schizophrenen, die den diskreten Charme des Stahls an ihrem Handgelenk entlangfahren lassen, auslöscht.
Im innern die Materie ihres Bauches. Lotoskopf. Umgekehrtes Bild, ich verbrenne ihm die Augen. Die Zeit im Herzen der Sprache, mütterliche Zelle. Vibration in Intervallen. Ich bin von innen her gefangengenommen, dieser Körper. Von wo aus ich ausbreche. Weder Pyramide, noch Schloß, noch Hochhaus. Dieser Körper hat das Geschlecht seines Gehirns: weiblich wie am Anfang.
Nichts in der Bewegung ihrer Hand durch ihr Haar kann erobert werden außer durch mein schönes Auge, das sie betrachtet, abgerissen wie ein Knopf. An ihre Brust geheftet.
In was mag sie mich wohl einweihen wollen? Die patriarchalen Mütter können ihre Tochter nur auf den Mann vorbereiten. Vertrauen gibt es nicht zwischen uns. Verkauft, mit Verlust. Halbiert, vervielfältigt, im Blick ein Kristall, unsicher der Nähe oder Entfernung der anderen. Das zu beschreiben bedeutet, daß sich ein Frauenblick auf die Anderen, auf die Sachen richtet. Den eigenen Ort des Begehrens produzieren. Den eigenen Platz in der Entfernung finden. Um nicht mit jeder Zärtlichkeit zu welken. Um der Zärtlichkeit keinen Schlag zu versetzen.
Sie erinnert sich an ihre Vergangenheit, sie, die in der Gegenwart zwischen Stacheldraht schreibt. Vielleicht waren die Männer dazu gezwungen worden, den Strom abzuschalten. Sie geht hindurch.
Ich öffne ihren Mund mit meinem Daumen und Zeigefinger. Der Kampf beginnt schweigend. Absuchen. Ich öffne ihre Lippen: »Monsterrachen« oder »Engelslippen«. Ich muß sehen, meinen Willen durchzusetzen. Sie läßt mich machen, ich bedrohe noch nichts von ihrer wirklichen Identität. Sie ist meine Mutter, sie weiß es, und von mir ist zu erwarten, daß ich es genau so gut weiß. Ihr Mund wie ein unabdingbares und lebenswichtiges Ei, zweideutig. Am Anfang. AAAAA. Mein Daumen bezwingt ihren Unterkiefer. Ihr Atem ist in meinen Augen. Wissen, woraus ihr Atem besteht. Aus den Lebensmitteln, mit denen sie sich ernährt. Meine Mutter trinkt ihr Bier. Schluckt. Ich habe meinen Zeigefinger auf ihrem Zahnfleisch wie um ihr einen Befehl zu geben. Aber das ist nur ein Bild. Sie zeigt ihre Zähne. Überwältigt mich mit ihrem Lachen. Für einen Initialakt: die Übertragung von Macht. Spröde Worte, durch die ich hindurch muß, um die feuchten Worte zu besiegen, die sie durch das Ohr befruchtet haben. Spröde Worte meiner Mutter, voller Versprecher, die ich so bearbeite, als würde ich mich bewaffnen. Sie trinkt ihr Bier. Kriegerin. Ihre Identität ist nicht einfach. Sie verleiht meinem Daumen eine Macht, die ganz anders ist als diejenige, die als ein Ersatzobjekt in meinen Mund hineinkommt. Ich kann nur mit meinem ganzen Körper saugen. Und ihr den Mund öffnen. Sprich zu mir. »Nein. Mama kommt nach dem Schreiben, mein Liebling.«
Die Beziehung zu dieser Frau ist biologisch, materiell. Körper an Körper. Nahrung. Sie hätte mich durch die Speiseröhre zurücknehmen, ihr Kind mit einem Mordshunger wieder hinunterschlucken können. Kannibalismus zum Überleben. Materialismus. Aber sie würde es nicht können. Zum Materialismus führt nur der symbolische Weg. Ich bin noch nicht ihr Kind geworden. Sie ist noch nicht meine Mutter. Kein Wort trennt uns. Einige Jahre später nenne ich sie meine Mutter. Ich habe Mama verloren. Das könnte ein Buch werden.
Jeden Morgen werde ich Mama genannt. Ich stehe auf. Ich küsse sie und bereite ihr Frühstück zu. Wir trennen uns für den Tag. Weil ich dieses Buch schreiben muß. Wie um uns von einer symbolischen Beziehung zu befreien oder um sie auszuführen: lesbische Tochter-Mutter. Aber wir haben noch nicht unsere gegenseitige Autonomie erlangt. Ihr Weg ist mit Dingen übersät, die nicht in ihrer Reichweite sind. Ich öffne die Tür des Kühlschranks. Ich öffne die Schubladen. Ich koche das Essen. Meine Zeit ist durch dieselben Dinge zerteilt. Ich hafte an der Materie. Dinge sind, was ich anfasse. Ich kann sie weder träumen, noch ihren Tauschwert abschätzen. Ganz wie ich, dienen sie mir dazu, mich am Leben zu erhalten, ebenso wie das Kind. »Ich poliere sie unaufhörlich wie schöne Knochen.«
Ich sitze auf einer Bank im Park. Meine Tochter spielt im Sand, ganz in unserer Nähe. Die anderen Mütter, die, wir, sehen ihren Kindern geduldig zu. Wir sprechen uns nicht an: Was gibt es auszutauschen? Ein Kind. Wir können es nicht. Schweigend sehen wir zu, wie sie in einer weißen Blase, der Träne verschwinden. Beim Klang ihrer Schreie. Fiktion von uns Müttern, wie große Strauße holen wir unsere kleinen trockenen Kekse und Kleenex heraus, damit die Kinder aufhören, sich im Sand zu vergraben, uns zu entfliehen.
Dies hier ist der Klan der patriarchalen Mütter. Männern gewidmet. Die ihre Jungen aufziehen. Die nichts zu sagen haben. Ein häusliches Schweigen austauschen. Eingeschlossen. Eine nach der anderen in Widersprüche verwickelt. Meine Tochter spielt im Sand, ganz in unserer Nähe. Die anderen Mütter. Das Schweigen hier ist unerträglich. Alles dreht sich um eine sinnlose Grammatik. Ich habe den Bauch zu früh getötet, allein und primitiv in einem Park, mit für meine ganze Vision, zwischen den Beinen eines Kindes, das glatte Fleisch streifend, die Ungenauigkeit zeitloser Schritte, niedergetrampeltes Gras.
Aus dem kanadischen Französisch von Traude Bührmann
Traude Bührmann
Nachbemerkung
In L'Amèr ou le chapitre effitré wie in allen anderen Texten Nicole Brossards hat die Sprache ihre eigene Struktur. Es ist eine Sprache, die ihre Wurzeln in der Luft hat, eine Sprache, die die Welt neu erfindet. »Wir müssen den Wörtern eine andere Wendung des Geistes geben«, sagt sie, denn die Wörter seien mehrdeutig, mißverständlich. Durch ihren patriarchalen Oberflächen-Glanz gelte es, »ihr inneres Strahlen zum Vorschein zu bringen.«
»Ich habe den Bauch getötet« faßt den Sinn des Textes L'Amèr in gewisser Weise zusammen: die Mutterrolle, die einen bitteren Nachgeschmack hinterläßt, zu verlassen, sich aus der männlichen Leibeigenschaft, die sich vom Gehirn bis zum Uterus erstreckt, zu befreien. »Den Bauch zu töten« bedeutet für die Erzählerin, von der »patriarchalen Tochter« zur »lesbischen Tochter-Mutter« zu werden, die ihre Erfahrung in einer historischen Vision verwurzelt, wo sich die Frau alle ihre Rechte nimmt.
»Als dieser Text 1977 erschien, wurde vor allem seine theoretische Bedeutung als Antwort auf die damaligen ideologischen Debatten hervorgehoben. Das Fiktive des Textes wurde weniger beachtet«, schreibt Louise Dupre in ihrem Vorwort zur zweiten Auflage von L'Amer (1988). »Eine Frau teilt ihr tägliches Leben mit/zwischen ihrer Tochter und ihrer Geliebten. Sie schreibt ein Buch, um sich von dem Bild der 'biologischen Mutter', das ihr von der Gesellschaft aufgezwungen wird, zu lösen und zur 'symbolischen Mutter' zu werden. Der Erzählerin ist der Preis, den sie für ihre Integrität bezahlen muß, bewußt. Sie sieht sich mit Unverständnis und Einsamkeit konfrontiert. So mutig ihr Weg auch ist, er bleibt schmerzhaft.« Dies zeigt sich besonders deutlich in der letzten Passage der gewählten Auszüge: »Meine Tochter spielt im Sand ...«
Diese persönliche Erfahrung, die individuelle Geschichte, ist jedoch die Lebensbedingung, die Geschichte aller Mütter. Hier kommt die ganze Bedeutung der Aussage »Das Private ist politisch« zum Tragen. Das Ich trifft mit dem Wir zusammen, die Leidenschaft der einzelnen bewegt die Gesamtheit der Mütter. Sie werden zu Komplizinnen, werden sichtbar als Frauen, die als Subjekt in die Geschichte eintreten.