Die schwangere Lesbe oder: So glühend heiß wie Schnee

Analyse eines Oxymorons

Eine Lesbe, schwanger, in leidenschaftlicher Umarmung mit ihrer Geliebten - ein Bild, das Nicole Brossard in ihrem Roman Die malvenfarbene Wüste[1] entwirft - ist ohne Zweifel für uns eine ungewöhnliche Vorstellung. Die schwangere Frau wird wie selbstverständlich als heterosexuell lebend gedacht und wahrgenommen - und zwar nicht nur in dear allgemeinen Offentlichkeit, sondern auch innerhalb der feministischen >Szene<. Die Gründe für die vermeintliche Nichtexistenz lesbischer Mütter sind vielschichtig. Ganz wesentlich ist das Verschweigen der Existenz frauenliebender Frauen an sich, das damit auch lesbische Mütter verneint und ohne Vorbild beläßt. Adrienne Rich schreibt dazu: »Wenn die, welche die Macht haben, der Wirklichkeit Namen und soziale Gestalt zu verleihen, dich lieber nicht sehen oder hören, (...) dann tritt ein Moment der psychischen Gleichgewichtsstörung ein, als schautest du in einen Spiegel und sähest nichts.«[2]
In einer zwangsheterosexuell strukturierten Gesellschaft, in der Lesbisch-Leben weitestgehend ausgeblendet, als pathologische Abweichung definiert oder auf eine spezielle sexuelle Praxis reduziert wird und damit als Sonderfall gilt, als Phänomen, das keinesfalls für alle Frauen >wesensmäßig< sei, scheint lesbische Mutterschaft in ganz besonderem Maße etwas Un-Denkbares zu sein, etwas jenseits aller Vorstellungen und Bilder, die für Frauen entworfen wurden.
Doch selbst in der feministischen Theorie wird die marginale Thematisierung lesbischer Mutterschaft deutlich: Wie die Durchsicht einer Auswahl jüngst erschienener deutschsprachiger Literatur zum Thema Mutterschaft zeigt, wird die heterosexuelle Lebensweise von Müttern fast durchgängig als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt, und daher werden - von wenigen Ausnahmen abgesehen - auch lediglich Erfahrungen und Standpunkte heterosexuell lebender Frauen thematisiert und reflektiert.[3]
Ebenso selbstverständlich wie Mütter (zumindest zeitweise) in Männerbeziehungen lebend oder höchstens noch als Singlefrauen gedacht werden, finden sich Lesben unter der Kategorie 'kinderlose Frauen' subsumiert: Die Behauptung, Lesben blieben »ihr Leben lang in Steuerklasse eins«,[4] oder die Schreibweise kinderlose Frauen/Lesben versus Mütter, die im Mütter-Nichtmütter-Diskurs zum Beispiel im Zusammenhang mit dem »Müttermanifest« zu finden ist, zeugen von dieser Annahme. Eine Fehlannahme, die offenbar nicht in Frage gestellt wird - ungeachtet der Tatsache, daß Schätzungen zufolge jede dritte Lesbe Mutter ist, das heißt, von mindestens zwei Millionen in der BRD lesbisch lebenden Frauen sind 650 000 Mütter.[5]

Die lesbische Mutter als Oxymoron

Lesbisch-Leben und Mutterschaft sind zwei soziale Kategorien, die sich gegenseitig auszuschließen scheinen, daher wirkt die Begriffskombination >lesbische Mutter< als in sich widersinnig, als Paradoxon schlechthin oder, wie Sheila Ortiz Taylor schreibt, als Oxymoron. In ihrem Roman Erdbeben läßt sie den Ex-Ehemann ihrer Protagonistin Arden Benbow ausführen:
Jeder denkende Mensch muß zugeben, daß der Begriff lesbische Mutter ein Oxymoron ist. Ein Oxymoron ist eine rhetorische Figur, bei der das ein Substantiv bestimmende Adjektiv zur Bedeutung dieses Substantivs im Widerspruch steht, wie zum Beispiel brennender Schnee. Schnee ist bekanntlich kalt, und die Bestimmung des Substantivs Schnee durch das Adjektiv brennend ist eine Vergewaltigung unseres logischen Empfindens.[6]
Um den Hintergründen dieses Oxymoroneffekts bzw. dieser scheinbaren Widersprüchlichkeit auf die Spur zu kommen, werde ich im folgenden die Begriffskombination >lesbische Mutter< in ihre beiden Bestandteile zerlegen und die jeweils enthaltenen Bilder und Mythen auf ihre verortende und eindimensionale Sichtweise hin beleuchten.

Mythos Mutter oder: Die >ewige Spenderin<

Der Mythos Mutter stützt sich auf das Idealbild der hingebungsvollen, selbstlosen, selbstvergessenen, sich aufopfernden Mutter, die bei dieser Hingabe »eigene Befriedigung«,[7] »hohe Geisteswonnen« und »engelsgleiche Freuden«[8] empfindet. Diesem Bild entsprechend wird Mutter-Sein assoziiert mit der Rolle der »ewigen Spenderin« (Rich 1979) oder - wie Brunhilde Sauer-Burghard zynisch anmerkt - der »letzten Dienerin (...) der westlichen Industriegesellschaft«.[9]
Dieser Mythos setzt sich aus vier verschiedenen Komponenten zusammen: Erstens wird Mutterschaft zur Natur der Frau erklärt und zu einer als unvergleichlich gepriesenen weiblichen Erfahrung und Erfüllung hochstilisiert. Die Möglichkeit für einige (privilegierte) Frauen, die sich für eine Karriere und damit unter Umständen bewußt gegen Kinder entscheiden,[0] läßt das bürgerliche Ideal, in dem sich die Wertbestimmung der Frau (immer noch) über die Mutterschaft vermittelt, weitgehend unangetastet. Die Gebärmutter, so führt Gerburg Treusch-Dieter aus, ist also weiterhin Dreh- und Angelpunkt im Leben von Frauen. Sie betont, daß die Frau (...) als Gebärmutter und Mutter zwar ihr objektiviertes und institutionalisiertes Zeugungsorgan ist, doch ohne daß sie es hat. (...) Ihr bleiben stets nur zwei Möglichkeiten: entweder sich diesem Zeugungsorgan oder ihrem sogenannten biologischen Schicksal zu unterwerfen, wobei sie nie mehr als Leihmutter für ein Leben ist, über das sie nicht verfügt; oder aber sich von der Gebärmutter und Mutter zu emanzipieren. Was jedoch (...) nur auf die Affirmation ihrer Differenz zur Mutter hinausläuft.[11]
Zwei weitere Komponenten, die den Mythos Mutter stützen, sind der Kinderwunsch und die Mutterliebe. Als naturhafte Konstanten gesetzt, gelten sie ebenfalls als ein >natürliches< Bedürfnis und Gefühl von Frauen und schreiben die scheinbar unauflösliche Verknüpfung von biologischer und sozialer Mutterschaft fest.
Philippe Ariés, Elisabeth Badinter und Yvonne Schütze dagegen haben nachgewiesen, daß die Entstehung der Begriffe Kindheit und Mutterliebe im 18. Jahrhundert anzusetzen ist, und sie damit als naturhafte Konstanten in Frage gestellt bzw. als historisch gewordene Formationen ausgewiesen.
Yvonne Schütze bezeichnet die Mutterliebe als »normatives Verhaltensmuster« und wendet sich damit gegen deren Mystifizierung als hehres und heiliges Gefühl, das Frauen beim Anblick ihres Kindes >überfällt< und von da an nie mehr verläßt. Ungeachtet dessen lebt dieses Bild von der natürlichen >Mütterlichkeit<, dem Mythos Mutter - wenn auch leicht modifiziert - im herrschenden Denken fort: auch neuere Modelle von Mutterschaft folgen im wesentlichen diesem Klischee. So werden im »Müttermanifest« Germershausens »Engelfreuden« ersetzt durch den Traum einer Gesellschaft, »die das Kind an der Hand zuläßt«, die Vision einer »bunten und lebensfrohen Welt, die ihre Lebendigkeit auf alle Institutionen ausstrahlen kann« und die Beschwörungsformel »motherhood is beautiful«.[12]
Auch in der Elternratgeberliteratur der letzten Jahre zeigt sich, daß der Mythos Mutter relativ unhinterfragt reproduziert wird. Die Mutter bleibt Ansprechpartnerin und Hauptverantwortliche für eine optimale Entwicklung des Säuglings und Kleinkindes. Von Ernährungsratschlägen ab dem Beginn der Schwangerschaft, möglichst aber »schon Jahre vorher«, bis zu genauen Normtabellen, nach denen die Entwicklung des Babys zu verfolgen, zu überprüfen und zu fördern ist, läßt die Ratgeberliteratur keinen Zweifel daran, daß die Bedürfnisse des Kindes im Zentrum stehen und von der Mutter »ohne Aufopferungsgestus, (... aber) mit der Ruhe und der Unerschütterlichkeit eines Butlers«[13] zu erfüllen sind. Während die Pädagogik des 19. Jahrhunderts empfahl, den Willen des Kindes zu >brechen<, sollen sich die Eltern des 20. Jahrhunderts von dessen Wünschen und Bedürfnissen leiten lassen und die Bereitschaft entwickeln, ihre Wertmaßstäbe und Lebensgewohnheiten denen des Kindes anzupassen bzw. unterzuordnen. Dieser Leitgedanke zeigt sich auch in der Frage, ob die Erwerbsarbeit der Mutter während der ersten Lebensjahre des Kindes dessen Entwicklung schade. Erst in den letzten Jahren wurde die Auffassung, die Erwerbstätigkeit der Mutter sei mit der Vernachlässigung ihrer Mutter->Pflichten< verbunden, revidiert. Jetzt ist die Meinung vorherrschend, »daß das Interesse des Kindes geradezu die Erwerbsarbeit der Mutter verlange«.[14] Denn, so wird argumentiert, die Zufriedenheit, welche die Mutter aufgrund einer Erwerbsarbeit empfinde, wirke sich positiv auf die Mutter-Kind-Beziehung aus. Was auf den ersten Blick als Entschärfung des normativen Verhaltensmusters >Mutterliebe< interpretiert werden könnte, erweist sich bei näherer Betrachtung jedoch lediglich als weitere Differenzierung, denn die Unterordnung der Bedürfnisse der Mutter unter die des Kindes wird weiterhin als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt und festgeschrieben. Diese mit der Mutterliebe geforderte Selbstlosigkeit findet sich bei Frédérick Leboyer, dem >Vater< der Sanften Geburt, sehr deutlich formuliert:
Die Schönheit und Erhabenheit der Mutterschaft ist sicher die, daß du dich selbst vergißt. Jemand anders wird wichtiger als du. Eine Frau, die sagt: »Das will ich«, ist keine Mutter. Solang du noch »ich, ich« sagst, bist du infantil. Die Größe der Mutter spiegelt sich in ihrer totalen Selbstlosigkeit wider.[15] (Hervorhebung U. S.)
In engem Zusammenhang mit dieser verordneten Selbstlosigkeit steht die entsexualisierte Darstellung der Mutter, die als vierte Komponente des Mythos Mutter zu nennen wäre. Dieses Konstrukt der asexuellen Mutter findet sich sehr überzeichnet in dem von der Kirche entworfenen Bild der Maria, die uns als >reine Magd< präsentiert wird. [16] Wie ich hier ausgeführt habe, gilt bis heute Selbstlosigkeit als wesentliches Merkmal des Mutter-Mythos. Im folgenden werde ich das zweite Element des Begriffs >lesbische Mutter<, nämlich die Lesbe, näher betrachten. Zu prüfen wäre dabei, ob der Lesbe, bzw. dem von ihr existierenden Mythos, das der Selbstlosigkeit entgegengesetzte Charakteristikum, nämlich Selbstbezogenheit zuzuordnen ist.

Mythos Lesbe

Die Sexualwissenschaften und die Psychologie versuchten seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die >sapphische Frau'< die >Lesbierin< »zu beschreiben, zu vermessen, abzuwiegen, zu charakterisieren«,[17] um sie als besondere Spezies bzw. als »Mann-Weib« zu kategorisieren. Auf diese Weise wurde Lesbisch-Sein pathologisiert und die lesbisch lebende Frau dargestellt als »Opfer einer dubiosen Veranlagung oder nebulösen psychischen Entwicklung«;[18] jenseits jeder Entscheidungsmöglichkeit folge sie schicksalsergeben ihrem widernatürlichen Trieb.
Mit diesem sehr negativ und kraß gezeichneten Bild wurde die lesbisch lebende Frau in Kontrast zum Identifikationsmuster der >normalen< Frau gesetzt und ausgegrenzt. Diese Definition, die Lesbisch-Sein als Abweichung und Krankheit festschrieb, bzw. von Seiten der Psychoanalytiker als bewußte oder unbewußte Verweigerung ihrer >natürlichen Bestimmung< als Frau interpretiert wurde, steht im Widerspruch zum Mythos Mutter: Zum einen, weil Mutterschaft um die Jahrhundertwende - zumindest dem bürgerlichen Ideal zufolge - nur im Zusammenhang mit Ehe denkbar war, ganz sicher aber auch, weil »die Reinheit der Mutterfreuden« dem »lesbischen Bösen« (Faderman) unvereinbar gegenüberstand, konnte das lesbische Mann-Weib als Mutter nicht gedacht werden.
Wie Lillian Faderman aufzeigt, hielt sich die Auffassung, Lesbisch-Sein sei eine krankhafte Veranlagung bis weit in das 20. Jahrhundert [19] und wurde auch von einem Teil der lesbisch lebenden Frauen internalisiert und - wie Radclyffe Halls Quell der Einsamkeit (1928) und andere von lesbischen Frauen verfaßte Literatur zeigt - mit der Intention, Verständnis und Mitgefühl zu wecken, reproduziert.[20]
Im Zuge der neuen Frauenbewegung seit den 70er Jahren konstituierte sich ein anderes, neues lesbisches Selbstbild, das vielleicht eher Wunschtraum denn Realität ist, aber dennoch ein Leitbild für ein weibliches Selbstverständnis jenseits der vorgefertigten Frauenrolle - auch für heterosexuell lebende Feministinnen darstellt. Dieser Mythos zeichnet die Lesbe als virgo im ursprünglichen Sinne: als eine, die sich selbst gehört (Rich 1979), die als »lose Frau« (Raymond 1987) ihr »originäres Selbst« ist, das heißt, eine von Kindern und Männern unabhängige Frau, die sich bewußt den patriarchalischen Institutionen Ehe und Mutterschaft verweigert. Deutlich formuliert findet sich dieses lesbische Selbstverständnis bei Ulrike Janz und Rita Kronauer in ihrem Beitrag »Das heterosexistische Patriarchat pflanzt sich fort« - übrigens einer der wenigen deutschsprachigen Texte, in dem lesbische Mutterschaft explizit thematisiert und kritisch reflektiert wird. Sie schreiben:

Es existiert keine Nische lesbisch-autonomer Mutterschaft. Mutter zu sein, bedeutet für Lesben einen ungleich stärkeren Kampf um Unabhängigkeit von Männern und patriarchalen Strukturen, als ihn jede Lesbe ohnehin führen muß. (...) Als Lesbe Mutter zu werden, bedeutet, entweder die Technologien zu nutzen und damit in ihrer Frauen- und Menschenverachtung zu legitimieren, und/oder die Abhängigkeit von Männern und heterosexistisehen Institutionen zu stärken. Beides widerspricht einer lesbischfeministischen Identität, wie wir sie entwickeln wollen.[21]

Karin Rick dagegen ignoriert (wie viele Autorinnen, die sich mit dem Thema Mutterschaft befassen) in ihrem Beitrag »Mythos Mutter - Realität Frau« die Existenz lesbischer Mutterschaft, ordnet vielmehr Mutterschaft eindeutig einer heterosexuellen Lebensweise zu und bezeichnet sie als Hinderungsgrund für eine lesbische Identität und weibliches Begehren. Sie schreibt:

Es muß in Hinkunft darum gehen - will man alternative Lebensformen schaffen, die frauendiskriminierenden Machtverhältnisse verändern -, weibliche Verhaltensmuster zu konstituieren, die sich nicht nach dem männlichen Begehren richten. Dazu gehört der bewußte Verzicht auf ein Kind, der den Blick frei macht für andere Formen von Kreativität ...[22]

An anderer Stelle führt sie aus:

Homosexuelle Beziehungen zwischen Frauen als Entwurf neuer Lebensformen, Zärtlichkeit für das eigene Geschlecht und Lust auf den Körper der Frau zulassen, dem Diktat der Aufopferung für Kinder (...), der Inflation der Gefühle sozusagen, die die Frauen kaputt macht, weil sie sie unter dem Wert verkauft, nicht mehr zu folgen, ist der Widerstand gegen die verordnete Identität der Mutter eine Möglichkeit, subversiv gegen die Allmacht der Familie vorzugehen.[23]

Karin Rick macht hier deutlich, daß sie den Entwurf einer lesbischen Lebensweise, ein lesbisches Selbstverständnis propagiert, das ein Gegenmodell zum Identifikationsmuster >Frau< darstellt: Da die Wertvermittlung der Frau in dieser patriarchalen Gesellschaft scheinbar unauflöslich mit Mutterschaft verknüpft ist, entwirft sich die Lesbe in Abgrenzung dazu als Nicht-Mutter, das heißt, dem Identifikationsmuster >Mutter< - dem Inbegriff weiblicher Unterdrückung - wird, quasi als Abziehbild, als Negativ das der >Nicht Mutter<,[24] gegenübergestellt, wobei, um mit Treusch-Dieter zu sprechen, weiterhin der Uterus im Mittelpunkt bleibt.

Perspektiven

Die Frage, die sich nun stellt, ist, ob das Identifikationsmuster >Nicht-Mutter< das einzige Gegenmodell zur »verordneten Identität Mutter« (Rick) sein kann und ob wir mit dieser Gegenüberstellung nicht ein dualistisches Bewertungssystem beibehalten und damit die Unterschiedlichkeit und Vielfältigkeit von Lebensentwürfen, die jenseits des Gegensatzpaares Mutter/Nicht-Mutter existieren, nivellieren, sie nicht wahrhaben und wahrnehmen wollen: daß es Frauen gibt, die sich - seien sie lesbisch oder nicht - für Mutterschaft entscheiden, obwohl sie die soziale Institution Mutterschaft kritisieren; daß es Frauen gibt, die sich im Mythos Mutter nicht wiederfinden, sondern ihr Mutter-Sein jenseits der verordneten Selbstlosigkeit mit eigenen Lebensperspektiven verbinden wollen und damit riskieren - oft genug auch innerhalb der Frauenbewegung -, als >Rabenmutter< kritisiert oder zumindest mit schiefen Blicken bedacht zu werden.[25]
Zudem gehe ich davon aus, daß die Begriffe >Mutter< und >NichtMutter< nur sehr begrenzt dazu geeignet sind, Lebensrealitäten von Frauen zu beschreiben. So ist die Frage, wie sich eine Frau bezeichnen könnte, die ihre jüngeren Geschwister über Jahre hinweg versorgt hat und sich später für ein Leben ohne Kinder entscheidet, oder eine, die ihr Neugeborenes zur Adoption freigibt, um in ihr kinderloses Leben zurückzukehren, oder die Frau, die sich sehnlichst ein Kind wünscht, aber keine biologische Mutter werden kann und sich deshalb für soziale Mutterschaft entscheidet, indem sie als Co-Mutter Verantwortung für das Kind ihrer Freundin/Geliebten übernimmt oder den Beruf der Erzieherin wählt? Und wie identifiziert sich die Frau, die sich aufgrund ihrer finanziellen Situation gezwungen sieht, ihren Lebensunterhalt als Leihmutter zu verdienen?
Adrienne Rich hat darauf hingewiesen, daß >kinderlose Frau< und >Mutter< ein falscher, künstlich erzeugter Gegensatz ist und dieser Polarisierung[26] patriarchale Denk- und Machtstrukturen zugrunde liegen, weil sie die Bewertung einer Frau ausschließlich im Hinblick auf ihre Gebärtätigkeit und Vernutzbarkeit vornimmt. Diese Spaltung zwischen Müttern und kinderlosen Frauen sieht Adrienne Rich als Fortsetzung der Spaltung zwischen Müttern und Töchtern, dem - wie Mary Daly schreibt - »entscheidenden verlorenen Bündnis«,[27] denn die Tochter stelle enttäuscht fest, daß sich keine »starke Linie von Liebe, Bestätigung und Beispiel von Mutter zur Tochter erstreckt«[28] und wende sich von der Mutter ab mit dem Vorsatz, nie so zu werden und zu leben wie Sie.[29] Im Gegensatz zu Daly aber, die der Vision von Tochterschaft folgt, um den Mythos Mutter, geprägt durch die soziale Institution Mutterschaft, aufzubrechen, plädiert Rich dafür, Mutter Sein aus dem Mythos Mutter herauszulösen und jenseits der Zuschreibungen von Weiblichkeit neu zu definieren. Sie schreibt:

Keine von uns ist >entweder< Mutter oder Tochter; zu unserem Erstaunen, zu unserer Verwirrung und größeren Komplexität sind wir beides. Frauen, Mütter oder nicht, die sich anderen Frauen verpflichtet fühlen, lassen einander zunehmend eine Art von Fürsorge zuteil werden, die all die unklaren Nuancen der Identifikation zwischen tatsächlichen Müttern und Töchtern enthält. In den bloßen Begriff >bemuttern< tragen wir vielleicht als Töchter die negativen Klänge des Märtyrerdaseins unserer eigenen Mutter mit hinein, die Last ihrer tapferen, notwendig begrenzten Bemühungen um uns, die Verwirrung ihrer doppelbödigen Botschaften. Eine Zaghaftigkeit der Einbildungskraft bringt uns dazu, eher Töchter - und somit freie Geister als Mütter - definiert als ewige Spenderinnen - sein zu können. Bemuttern und Nicht-bemuttern waren für uns stark befrachtete Konzepte, genau deshalb, weil, was immer wir auch taten, gegen uns gerichtet wurde.[30]

In ähnlicher Weise stellt Sue Silvermarie, die als eine der wenigen Lyrikerinnen unserer Zeit das Paradoxon Lesbe/Mutter thematisiert hat, auf dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen dar, wie sie dieses Oxymoron für sich aufgelöst hat:

Statt eines Widerspruchs zwischen Lesbierin und Mutter, finde ich heute ein Sich-Überschneiden. Das, was gleich ist zwischen meiner Geliebten und mir, meiner Mutter und mir und meinem Sohn und mir, ist die Mutterbindung - elementar, allumfassend und alles überragend. In der Liebe zu einer anderen Frau entdecke ich den tiefen Drang zu beidem, meiner Geliebten Mutter zu sein und eine Mutter in ihr zu finden. Zuerst fürchtete ich mich vor dieser Entdeckung (...) heute schätze und vertraue ich dem Drama zwischen zwei sich liebenden Frauen, in dem jede zur Mutter und jede zum Kind werden kann. Dies zeigt sich aufs deutlichste, wenn wir miteinander schlafen, wenn die Trennung des Alltags für eine Weile aufgehoben ist. Wenn ich meine Geliebte küsse, streichle und in sie hineingehe, bin ich auch ein Kind, das wieder in seine Mutter hineingeht (...) Ich gehe in meine Geliebte hinein, aber sie ist es, die in ihrem Orgasmus zurückkehrt. Ich sehe auf ihrem Gesicht für einen langen Augenblick die unbewußte Seligkeit, deren Erinnerung ein Kind hinter seinen geschlossenen Augen trägt. Wenn sie mich liebt, dann (...) erfahre ich Intensität auch als ein Herausdrängen, ein Geboren-Sein![31]

Dies, so denke ich, kann ein Anfang unserer Überlegungen sein, wie Mutterschaft eine Neudefinierung erfahren könnte, und richtungsweisend für weitere Denkansätze, die lesbische Identität nicht zu vereinheitlichen suchen, sondern unsere Unterschiede und vor allem unsere Widersprüchlichkeit benennen. Denn der scheinbare Widerspruch, der der >lesbischen Mutter< und der >schwangeren Lesbe< anhaftet, schließt die Möglichkeit einer  Reflexion der konkreten Lebensrealitäten von lesbisch lebenden Frauen aus. Jedoch erst wenn wir die Scheingarantie und die trügerische Hoffnung, mit dem Lebensentwurf >Nicht-Mutter< den entscheidenden Sprung aus der alten Frauenrolle zu schaffen, auflösen, wenn wir aufhören mit dem Kriterienkatalog zu sondieren, was dieren, was Lesbisch-Leben beinhalten soll/ darf und was nicht, und nicht mehr dem Mythos >Mutter< das ebenso starre Gegenmodell und Klischee >Lesbe< entgegenhalten, kann lesbische Mutterschaft als Erweiterung lesbischer Existenz und Identität begriffen werden und damit auch erst in angemessener Weise diskutiert werden: im Hinblick darauf, wie wir Mutterschaft verändern, erleben, kritisieren (wollen).

Autor(en)