«Ob Kinder oder keine…«

Gedanken zur gewollten lesbischen Mutterschaft

Lesbische Mütter - zunächst einmal ganz faktisch: Es gibt sie. Damit muß sich die jeweilige Gesellschaft wie auch der Kreis der Insiderinnen, das heißt, die feministische Bewegung und die >Lesbenszene< auseinandersetzen, und beide, oder auch alle drei, haben ihre Schwierigkeiten damit.
Es scheint, als ließen sich in einer ersten groben Differenzierung zwei >Typen< von lesbischen Müttern ausmachen: Die einen, die in ihrer heterosexuellen Lebenszeit ein Kind/ Kinder geboren und sich als Mütter in einem heterosozial strukturierten Rahmen bewegt und identifiziert haben, Frauen also, die meistens per heterosexuellem Geschlechtsakt - auch Liebesakt genannt schwanger geworden sind, gewollt oder auch nicht, und Mütter wurden, bevor sie sich dafür entschieden haben, lesbisch zu leben. Und die anderen, die als lesbisch lebende Frauen die bewußte Entscheidung getroffen haben, sich zu befruchten bzw. befruchten zu lassen, um ein Kind zu gebären und Mutter - lesbische Mutter - zu werden. Rückblickend unterscheiden sich die beiden Gruppen in bezug auf ihre unterschiedliche Eingebundenheit und ihr jeweiliges Selbstverständnis, das heißt, als in einem hetero-orientierten bzw. lesbisch strukturierten Rahmen sich bewegende und verortende Frauen. Hinsichtlich ihres Selbstverständnisses als lesbische Mütter und der unmittelbaren Bedingungen, mit denen beide konfrontiert sind, finden sich Unterschiede wie Gemeinsamkeiten. Der Status, die Position als Mutter mag für die erst später lesbisch gewordene Frau ein unwiderrufliches Mitbringsel aus vergangenen Heterotagen darstellen, mit dem sie sich - wie auch andere Lesben - zwangsläufig zu arrangieren hat. Für die andere, die bereits lesbisch lebende Frau, bedeutet eine Entscheidung zur Mutterschaft hingegen von vornherein, eine lesbische Mutter zu werden; der vermeintliche Widerspruch >Mutter</>Lesbe< ist als ideologischer Widerspruch - so wäre zu vermuten - in der Entscheidung bereits reflektiert, als alltäglich praktisch wirksamer dagegen wird er von beiden wohl ähnlich erfahren. Wie diese Frauen mit den alltäglichen Bedingungen, mit denen sie als Mütter und Lesben konfrontiert sind, fertigwerden und welches Selbstverständnis sie als lesbische Mütter jeweils entwickeln, hängt aber sicherlich nicht nur vom Zeitpunkt der Mutterschaft ab, sondern hier wirken andere wichtige Differenzierungskriterien wie zum Beispiel sozialer Status, ökonomische Situation, Klassenzugehörigkeit oder ethnische Herkunft mit. Es gibt sie eben nicht, die lesbische Mutter, genausowenig wie die Frau oder die Lesbe. Der kleinste gemeinsame Nenner, nämlich Frauen zu sein, die lesbisch leben und ein Kind/Kinder geboren haben - vorausgesetzt, Mutterschaft wird hier als biologische verstanden -, sagt also nur sehr bedingt etwas aus über die jeweilige Lebensrealität dieser Frauen. Werden die Unterschiede nicht berücksichtigt, steht die leidlich bekannte >Einsmachung<, die Vereinheitlichung zu befürchten, samt der darin wirksamen >Bemächtigung< seitens der jeweiligen dominanten, die relative Definitionsmacht innehabenden Gruppe. [1]
Hinsichtlich ihres Status als Mütter allerdings wirkt die soziale Institution Mutterschaft, wie sie sich in den abendländisch-christlichen Gesellschaften im 18. und 19. Jahrhundert im Zuge der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft mit ihrer spezifischen Form der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung formiert hat. Generell ist jede Frau in unserer Gesellschaft mit dieser Institution konfrontiert, insbesondere kann sich eine Frau als Mutter dieser »Durchdringungsmacht«[2] schwerlich entziehen. Mutterschaft gilt nach wie vor als erwartete Form der Selbstrealisierung von Frausein, sie ist immer noch die Folie, von der aus eine qualitative Ausdifferenzierung (gute/böse Mutter) wie auch eine Ausgrenzung (Mutter/Nicht-Mutter/Nicht-Frau) von Frauen je nach ihrem sozialen, kulturellen, ökonomischen Status funktioniert. Die Gleichsetzung von lesbisch lebender Frau mit Nicht-Mutter bzw. >kinderloser Frau< ist gang und gäbe in einer Gesellschaft, in der Kinder immer noch als das Produkt heterosexueller Beziehungspraktiken gedacht werden und als Bestandteil eines existierenden heterosozialen Umfeldes, in dem Frauen ihre reproduktiven Funktionen erfüllen (Eltern/Familie = Vater, Mutter, Kind(er).
Der gesellschaftlich kursierende Unvereinbarkeitsgedanke, der Mutterschaft und lesbisches Leben als sich gegenseitig ausschließend darstellt, korrespondiert auffällig mit einer offensiven Abgrenzung gegenüber Mutterschaft als der zwangsheterosexuellen Institution par excellence, wie sie in verschiedenen kollektiv formulierten lesbisch-feministischen oder lesbisch-separatistischen Positionen zum Ausdruck kommt. [3]
Heute nun, in den frühen neunziger Jahren, tauchen auch hierzulande eine gegenläufige Position und Praxis - beides jedoch noch sehr zaghaft - zum früheren >Gar nicht wollen, was wir nicht sollen< in lesbischen Kreisen auf. Die folgenden Überlegungen zum Phänomen >gewollter lesbischer Mutterschaft< stellen den Versuch dar, diesem möglichen Kurswechsel - als scheinbarem oder tatsächlichem - auf die Spur zu kommen. Darüber hinaus soll mit den hier angerissenen Fragen und Gedanken eine breitere politische Auseinandersetzung mit diesem Phänomen angeregt werden.

In den Anfängen ...

»Ob Kinder oder keine, entscheiden wir alleine!« lautete eine populäre Parole im feministischen Kampf gegen den Abtreibungsparagraphen in den siebziger und frühen achtziger Jahren in der damaligen BRD - eine Parole, die auch von vielen Lesben ohne größeres >lesben-politisches< Bauchweh skandiert werden konnte. Zum einen, das heißt, >abstrakt politisch'l ging es ja schließlich hier um das Selbstbestimmungsrecht aller Frauen, um den Kampf für die >Autonomie< einer sich formierenden politischen Kraft, ein kollektives >Wir<, das sich damals noch relativ ungebrochen gemeinsam stark< fühlte. Den patriarchalen Institutionen Ehe, Kleinfamilie, Mutterschaft und ihren Repräsentanten und >eigentlichen< Nutznießern war ein gemeinsamer Kampf angesagt. Zum anderen, das heißt, >konkret politisch<, hatten Lesben sich (ob Kinder oder keine) - so ein mehr oder weniger offen formulierter Konsens unter lesbischen Feministinnen - qua >lesbisch leben< schon entschieden, und zwar dagegen. Aus tausend guten Gründen. Selbst die - wie es damals noch scheinen mochte wenigen lesbischen Mütter, sofern ihr Status als Mütter ein >Relikt< ihrer Heterozeit darstellte, mußten keine Irritation für den Konsens bedeuten, konnten sie doch diejenigen sein, die nun, als Lesben, endlich nicht mehr sollen oder wollen mußten. Lesbisches Leben avancierte ja spätestens Ende der siebziger Jahre innerhalb der feministischen Bewegung zur radikalen politischen Praxis, zur lebbaren Alltagsutopie jenseits von Mann und Kindern. [4]

... und heute

Heute, in den frühen neunziger Jahren, hat sich - wie gehabt mit einiger Verspätung gegenüber den Entwicklungen in den USA, den Niederlanden, Dänemark und Großbritannien auch innerhalb der alten bundesrepublikanischen feniinistisch orientierten Lesbenszene im Hinblick auf die Relevanz und Interpretation der alten Parole einiges verschoben. Nicht daß die Mehrheit der lesbisch lebenden Frauen heute für einen Abtreibungsparagraphen oder gegen die Idee der Selbstbestimmung wäre. Nein, was neuerdings vielerorts - allerdings häufig eher im intimen Freundinneu- und Liebesbeziehungsrahmen - zur Debatte steht, ist die Frage nach dem >Ob Kinder oder keine< an und für sich. Der Entdeckung eines eigenen unheimlichen Kinderwunsches als Lesbe folgt prompt das offene, trotzige Bekenntnis. Bisweilen, da wo der einstige Konsens noch wirksam ist, wird dieses Bekenntnis zum >eigenen< Kind legitiniatorisch eingebettet in vielstrapazierte und vielseitig dehnbare Forderungen wie der nach dem >gleichen Recht für alle< oder nach dem >Recht auf individuelle Selbstverwirklichung. [5] Dabei verlockt das ehedem kollektiv gemeinte >Alleinentscheiden< der alten Parole - auch hier eine Verschiebung der Perspektive - zum nützlichen Mißverstehen im Siniie einer privat zu treffenden Entscheidung. Der so privatisierten Entscheidung gehen dann lediglich noch die Problematisierung diverser Befruchtungsmethoden voraus, von der sogenannten künstlichen Befruchtung via Samenbank bis zum Deal mit dem Ejakulationsprodukt des (schwulen) Freundes sowie, damit verbunden, Spekulationen über die Notwendigkeit der Existenz oder Präsenz einer Vaterfigur für das geplante Kind.
Was bisher fehlt, ist eine öffentliche, politisch geführte Auseinandersetzung mit dem Thema >gewollte lesbische Mutterschaft<, samt all seinen Implikationen. Daß im Zuge einer solchen Diskussion auch die Situationen und Positionen lesbisch gewordener Mütter, als Mütter und Lesben innerhalb wie außerhalb der >Szene<, zur Sprache kommen würden, wäre ein begrüßenswerter, längst überfälliger Nebeneffekt.
Was ist passiert, daß sich jenes >Ob Kinder oder keine< heute bei vielen lesbisch lebenden Frauen als >doch nicht längst schon getroffene Entscheidung: dagegen< darstellt? Daß lesbisch leben heute weniger denn je darüber aussagt, >wie du's mit der Mutterschaft hältst<? Daß sich wider Erwarten eine relative >Empfänglichkeit< fürs Mutterwerden abzeichnet womöglich nicht trotz, sondern wegen des vermeintlichen Konsenses, sollte er sich in einer genaueren Analyse als allzu dogmatisch-starres Antimodell erweisen.

Um eine differenzierte politische Diskussion zu führen, einschließlich der Frage nach den möglichen Konsequenzen hinsichtlich der existierenden politischen Selbstverständnisse als Lesben/lesbische Feministinnen, gälte es zunächst, solche gesamtgesellschaftlichen, frauenbewegungsspezifischen und >lesbenbewegenden< Bedingungen und Entwicklungslinien auszumachen, die geeignet sind, die wachsende Attraktivität gewollter lesbischer Mutterschaft zu erklären. Zu den gesamtgesellschaftlichen Bedingungen, die hier möglicherweise als Einflußfaktoren für das zu verzeichnende Phänomen gewollter lesbischer Mutterschaft geltend gemacht werden können, gehört eine, vor allem innerhalb des alternativen Spektrums sich abzeichnende Aufwertung der Mutterschaft bzw. der Mütterlichkeit im Zuge der seit den frühen achtziger Jahren allseits zitierten >Krise der Moderne< (Technologie- und Ökologiedebatte, ökonomische sowie soziale und politische Umstrukturierungsprozesse etc.). Heraufbeschworen wird von Teilen der sogenannten >neuen sozialen Bewegungen< bis hin zu den Parteien ein >krisenüberwindendes besseres Weibliches<, das mit Schlagwörtern wie Ganzheitlichkeit, Intuition, Naturnähe, Lebendigkeit, Personenbezogenheit als ein vor allem >mütterliches< qualifiziert wird. [6] Die eingefleischten, eingekörperten vermeintlichen Attribute >mütterlichen Daseins<, vom Leben spenden bis zum Nähren und Behüten, wären zur Rettung des gesamten Planeten wieder zu entdecken und, wo es passend erscheint, geschlechtsunspezifisch anzueignen. >Von den Müttern lernen< ist die zweifelhafte Devise, die sich auch die neuentstandene Mütterbewegung (zum Beispiel im »Müttermanifest«) stolz auf die flatternden Windeln schreibt. [7]
Die Aufwertung der Mutterschaft im Zeichen der Krise kombiniert sich mit einem in den Medien übermittelten - längst in alle Parteiprogramme aufgenommenen - Bild der >emanzipierten, erfolgreichen Frau mit Kind<, die ganz unkonventionell Mutterschaft und Beruf scheinbar problemlos bewältigt [8] (Teilzeitjob, flexible Arbeitszeit und Heimarbeit machen's möglich), ohne daß der Mann als klassischer Alleinernährer und alltäglicher Weltwegweiser unbedingt zur Seite stehen müßte. Dieses Bild mag als attraktives Modell für die >ambitionierte< und >unabhängigkeitsliebende< Frau, das heißt, auch für die eine oder andere lesbisch lebende Frau, seine anziehenden Momente haben. Mutterschaft ist eben auch ohne einen lebenslänglich dazugehörigen Mann denkbar und - wie die hohe Zahl alleinerziehender Mütter beweist - machbar geworden. Die Frau von heute präsentiert sich als weder an die Kittelschürze noch an >sein< Haushaltsgeld gebundene Mutter. Selbst ist die Frau - mit Kind.
Die gesamtgesellschaftlich an Präsenz und Relevanz schnell zunehmende Gen- und Reproduktionstechnologie forciert ihrerseits, auf dem bevölkerungsstrategisch längst etablierten Hintergrund einer bewußten bzw. erzwungenen sogenannten Familienplanung, die Enttabuisierung von nicht per heterosexuellem Geschlechtsakt vollzogenen Befruchtungspraktiken - eine Entwicklung, die gerade auch für lesbisch lebende Frauen nicht ohne Bedeutung ist. Eine Akzeptanz für die >kinderplanende< Lesbe ist zumindest von dieser Seite her in greifbare Nähe gerückt. Bedeutsam ist diese Entwicklung für alle lesbisch lebenden Frauen auch insofern, als damit das letzte Stück Selbstverständlichkeit hinfällig wird, mit dem heute noch viele Lesben ihre Entscheidung zum lesbisch Leben mit einem Leben ohne eigene Kinder, das heißt ohne direktes Eingebundensein in die Institution Mutterschaft, gleichsetzen. Es ergibt sich hier möglicherweise ein ganz neuer Legitimationsdruck, sollte sich gleichzeitig ein liberalisiertes Modell lesbischen Lebens als >gleichberechtigte Lebensweise für Frauen< durchsetzen. Dann nämlich müßte sich auch die lesbisch lebende Frau - vorausgesetzt, sie gehört einer gesellschaftlich privilegierten Schicht an - fragen (lassen), warum sie denn kein Kind habe.
Innerhalb der feministischen Bewegung hat sich seit den späten siebziger Jahren in der BRD deutlich eine Verschiebung von einer vorrangig am Emanzipationsmodell und Egalitätsprinzip ausgerichteten Politik zu stärker am Differenzdenken orientierten Strategien ergeben. Auch in den diversen lesbisch-feministischen Publikationen der letzten zehn Jahre ist diese Verschiebung ablesbar.[9] Der ehemals radikalen Absage an jegliche Form der Attributierung in Dimensionen von >männlich< und >weiblich<, dem Kampf gegen eine gesellschaftlich verortete weibliche Rolle folgte eine Phase der >Rückbesinnung< und versuchten >Neubestinimung< von >nicht-patriarchal durchtränktem weiblichen Sein< - mit all den Sackgassen und Trugschlüssen, die sich bei einem solchen Unterfangen nicht umgehen lassen. Die Ablehnung eines Weiblichen wird jetzt tendenziell abgelöst von der Schaffung und Inbesitznahme eines >eigentlichen weiblichen Anderen<.
Der Figur der Mutter wurde hierbei viel Aufmerksamkeit geschenkt, teilweise führte dies allerdings zu hoffnungslos pathetischen Überfrachtungen, die an jene Zuschreibungen erinnern, die auch in den prophetischen Wendebewegungen im Zeichen der Krise (z.B. New Age) zu finden sind. Auch hier ist die Rede von der nährenden, lebensbejahenden, naturverbundenen Mutter, in der sich die Potenz weiblichen Seins ausdrückt. [10] Im Hinblick auf die Frage nach den möglichen Gründen für die Aktualität gewollter lesbischer Mutterschaft wäre hier zu überlegen, inwieweit eine sogenannte gynozentrische Perspektive [11] - die >ein Weibliches< als Anderes in den Blick nimmt - erst den Raum dafür eröffnet hat, auch aus lesbischer Sicht nicht nur in Abgrenzung über >Mütterliches< nachzudenken.

Weitere mögliche Gründe für den Trend zur gewollten lesbischen Mutterschaft lassen sich nicht zuletzt auch durch einen Blick auf die derzeitige Leberisrealität vieler sich der lesbisch-feministischen Bewegung/Szene zugehörig fühlender Frauen erschließen. Zunächst einmal ist davon auszugehen, daß die meisten von ihnen eine durch die bürgerliche Gesellschaft geprägte weibliche Sozialisationsgeschichte durchlaufen haben, zu der ganz wesentlich die Vermittlung der Mutterschaft als das zukünftig zu erwartende sinn- und identitätsstiftende Ereignis schlechthin gehört. Zudem können viele auf eine mehr oder weniger langandauernde Phase heterosexuell orientierten Lebens zurückblicken, in der eine Auseinandersetzung mit der möglichen eigenen Mutterschaft stattgefunden hatte.
Die vielfach erst im Zuge der neuen Frauenbewegung mehr oder weniger bewußt getroffene Entscheidung zum lesbischen Leben sollte gleichzeitig den radikalen Bruch mit dem antrainierten weiblichen Sozialcharakter bedeuten. Erster Vorsatz war es, sämtliche Normen, Angebote und Zwänge, die eine patriarchale Gesellschaft für Frauen bereithält allem voran die Institutionen Ehe, Kleinfamilie und Mutterschaft bzw., kurz gesagt, die »Heterorealität« [12] hinter sich zu lassen. Der Alltag sollte subversiv sein, die Lebens-und Arbeitsverhältnisse möglichst >unangepaßt-unweiblich< und, wo immer es ging, eingebettet in Frauenzusammenhänge, die sozialen Bezüge selbstbestimmt usw. Die Revolutionierung der Verhältnisse sollte sich gleichzeitig im Kleinen wie im Großen vollziehen. Der Plan war großartig und umfassend, die Realität, das heißt, die Umsetzung daran gemessen relativ kläglich. Eine Umwälzung der Verhältnisse war hier wie dort nicht in Sicht; statt dessen taten sich aber jede Menge engmaschige Verstrickungen in Althergebrachtes und Neumodisches auf. [13]
Der ausgemachte Grund allen Übels, das Kompaktpaket Patriarchat, blendete durch seinen Facettenreichtum, bestach durch flexible Anpassungsfähigkeit, während auf der anderen Seite sich das >Gemeinsame im Kampf< gleichfalls häufig als vorschnell gekochter Einheitsbrei erwies, den bald die einen, bald die anderen nicht mehr zu löffeln bereit waren. Viele der in der euphorischen Aufbruchstimmung noch großzügig entworfenen gemeinsamen Strategien und Ziele entpuppten sich als fragwürdig; Ratlosigkeit und Verunsicherung griffen um sich.
Ist der Wunsch nach lesbischer Mutterschaft also doch womöglich auch eine indirekte Antwort auf diese Entwicklungen? Wird Mutterschaft auch hier wieder - oder immer noch sinn- und identitätsstiftendes Projekt im Kleinen, wenn allerorts der Sinn verlustig geht? Ist der Wunsch nach lesbischer Mutterschaft eventuell eine Ersatzbefriedigung, Ersatz für die angestrebte kollektive Verbindlichkeit und Zugehörigkeit, die sonst nicht in ausreichendem Maß zu finden ist, nicht in den Gruppen, den gemeinsamen Aktionen? Daß lesbische Mutterschaft daneben auch ein Stück hergestellte Normalität im zermürbenden >Anderssein< des Lesbenalltags bedeuten könnte, ist neben den bisherigen Fragen eine weitere Vermutung. [14]
Das Phänomen gewollte lesbische Mutterschaft ausschließlich als Ausdruck oder Resultat von Resignation und Rückzug zu interpretieren, unterschlägt allerdings jene Stimmen, die in dieser Entscheidung einen rebellischen Akt erkennen und damit die Perspektive verknüpfen, die Institutionen Mutterschaft und Familie quasi von innen aushöhlen, zumindest jedoch empfindlich irritieren zu können. Hier wird die gewollte lesbische Mutterschaft häufig als >Erweiterung< lesbischer Selbstentwürfe und Erfahrungsmöglichkeiten begrüßt, als längst fällige Überwindung eines in Antimodellhaftem festgefahrenen, dogmatischen politischen Selbstverständnisses.
Gewollte lesbische Mutterschaft, Zeichen der Resignation, Selbstwiedereingliederung und Rückwärtsbewegung oder/und Erweiterung, Differenzierung von Möglichkeiten jenseits starrer Vorgaben - darüber muß gestritten werden. Zu erfahren wäre dabei mehr über Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen individueller wie politischer Art, die an die Möglichkeit gewollter lesbischer Mutterschaft geknüpft sind. Deutlicher, und damit auch reflektierbar, würde vielleicht auch, warum sich welche Frauen wann, wie und unter welchen Bedingungen mit dem Phänomen gewollter lesbischer Mutterschaft auseinandersetzen. Dazu würde auch die Frage gehören, ob im Zeichen der Gen- und Reproduktionstechnologien nicht sowieso die Entscheidung darüber, wer wie unter welchen Bedingungen Kinder kriegt, kriegen kann, soll, darf, noch viel deutlicher als bisher ökonomisches bevölkerungspolitisches Kalkül sein wird und ob genau diese Entwicklung etwas mit der Attraktivität, die die Möglichkeit gewollter lesbischer Mutterschaft heute umgibt, zu tun hat: im Sinne eines >Sich selbst noch einmal ganz wichtig finden und machen<, sich demonstrativ die eigenen Entscheidungsmöglichkeiten beweisen. [15] So oder so, es wird auch hier nicht zu einer einheitlichen Position von Lesben kommen - muß es auch nicht; entscheidend ist es, die Trends und Themen, wie sie jeweils die >eigene< Szene beherrschen, erst einmal transparent zu machen. Nur so läßt sich - da, wo noch gemeinsam nach Veränderungen auf gesellschaftlicher Ebene gesucht wird - fundiert und realistisch über entsprechende mögliche politische Strategien und Handlungsperspektiven diskutieren.