Julie (fünf Jahre alt) und ich sind in der Damentoilette im Restaurant Thunder. Sie sitzt auf der Toilette und drückt. Ich warte. Sie lächelt und kichert etwas unsicher, dann sagt sie:
»Du bist eine Lesbe, nich?«
»Ja«, sage ich. »Bin ich. Du weißt, was das heißt, oder?«
»Ja«, sagt sie.
»Eine Lesbe ist eine Frau, die Frauen liebt«, sage ich. Sie nickt. »Und Männer, die Männer lieben«, fügt sie hinzu. »Ja«, sage ich. »Männer, die Männer lieben, werden schwul genannt. Lesbe heißt es normalerweise nur bei Frauen.« »Daddy is schwul«, meint Julie. »Ach ja?« lächle ich. »Wie kommst du darauf?« »Er liebt einen Mann. Er hat einen Freund, den er liebt.« »Weißt du, ob sie sich lieben oder ob sie nur gute Freunde sind?« frage ich.
»Wahrscheinlich Freunde«, sagt Julie.
»Das denke ich auch«, stimme ich zu. »Manchmal benutzen die Leute die Worte schwul oder lesbisch, wenn sie Freunde oder Freundinnen meinen, aber meistens bedeutet es Geliebte. Kate und ich sind Geliebte.«
»Was sind Geliebte?« fragt Julie schließlich.
Niemals in unseren vielen Gesprächen über Frauen, die Frauen lieben, Männer, die Männer lieben, Frauen, die Männer lieben, Männer, die Frauen lieben, Empfängnis, Schwangerschaft, Wehen und Geburt, Empfängnisverhütung und künstliche Befruchtung hat sie nach dem Thema Geliebte gefragt.
»Geliebte sind Freundinnen, die miteinander Liebe machen«, beginne ich. »Liebe machen heißt, sich umarmen und küssen und einander körperlich Freude zu bereiten.«
»Kann ich mal zugucken?« fragt sie schlicht.
Ich hole tief Luft. »Nein«, antworte ich schlicht.
Überraschung malt sich auf ihrem Gesicht. »Meinst Du, Kate hatwas dagegen?« fragt sie ungläubig. Julie kennt Kate seit ihrer Geburt.
»Ich habe etwas dagegen«, erwidere ich. »Du?« Sie ist verblüfft. »Aber ich bin doch deine Tochter.«
Unwillkürlich muß ich lächeln. »Du kannst bei einem bißchen Liebemachen zugucken«, sage ich. »Das hast du ja schon. Du hast schon viele Male gesehen, wie wir uns umarmen und küssen.«
Sie nickt.
»Aber das übrige Liebemachen ist etwas ganz Privates zwischen zwei Erwachsenen. Niemand kann dabei zugucken. Es ist etwas, das sie nur miteinander teilen.«
»Was tut ihr denn?« fragt sie.
»Wir umarmen uns und küssen uns überall. Liebemachen ist eine Art, mit deinem Körper zu sagen, ich liebe dich, indem du der Person, die du liebst, mit deinem Körper Freude machst.«
Julies Gesicht ist rot vor Konzentration, einen Pups herauszudrücken. Ihre Augen füllen sich mit Wasser. Wenn ich sie in diesem Zustand ansehe, habe ich das Gefühl, in etwas Intimes und äußerst Verwundbares einzudringen. Sie dagegen ist sich ihrer nicht bewußt.
»Zieht ihr euch aus?« fragt sie in gelassen interessiertem Ton.
»Ja, meistens ziehen wir uns aus.«
»Ziehen Männer sich auch aus?«
»Meistens ja, glaube ich.«
Ich beschließe, die Verbindung zur Fortpflanzung herzustellen.
»Wenn Männer und Frauen Liebe machen, öffnet die Frau manchmal ihre Vagina, um den Penis des Mannes aufzunehmen. So können sie ein Baby machen. Wenn Frauen miteinander Liebe machen, berühren sie einander überall und küssen einander überall und berühren einander an der Vagina und an der Klitoris, weil sich das schön anfühlt. So wie du manchmal deine Vagina und deine Klitoris berührst, weil sich das schön anfühlt.«
Julie bestätigt das schöne Gefühl nicht, sondern sagt: »Ich stecke meinen Finger in meine Vagina, und dann rieche ich daran. Ich liebe es, wie meine Vagina riecht.«
»Ich liebe den Geruch von Vaginas auch«, pflichtete ich ihr bei.
»Meine Vagina riecht so gut«, fährt sie begeistert fort. »Manchmal tue ich meinen Finger hoch und runter in meiner Vagina« -sie zeigt es, indem sie ihren Finger leicht zwischen ihren Schamlippen reibt -, »um eine Menge Geruch zu kriegen. Und wenn ich fertig bin mit Riechen, wische ich meinen Finger mit Toilettenpapier ab oder am Teppich - meistens am Teppich, um Bäume zu sparen. Mutter Natur mag das.«
»Ja«, lächle ich sie an. Dies ist nicht der richtige Moment, um an den Teppichboden der Vermieterin zu denken. Dann sage ich:
»Liebemachen ist eine Art, wie Erwachsene >ich liebe dich< sagen und zusammen Freude haben. Kinder und Erwachsene sagen auf verschiedene Art >ich liebe dich<.«
»Ja«, sagt Julie und nickt. »So wie wenn ich auf deinem Schoß sitze und du mir ein Buch vorliest. Das ist unsere Art zu sagen, >ich liebe dich<.«
»Genau«, sage ich. »Bist du fertig?«
»Ja«, sagt sie und macht sich bereit zum Gehen.
Aus dem amerikanischen Englisch von Cornelia E. Kahler