Man Child: Antwort einer Schwarzen lesbischen Feministin*

  • *Aus: »School Note«, in: The Black Unicorn (W.W. Norton & Company, New York, 1978), S.55.

Dieser Beitrag ist weder eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema lesbische Mütter und ihre Söhne, noch ein >Ratgeber< -Artikel. Es ist ein Versuch, einige Abschnitte aus meiner und meines Sohnes Geschichte näher zu betrachten und mitzuteilen. Ich habe zwei Kinder: eine Tochter von fünfzehneinhalb, Beth, und einen vierzehnjährigen Sohn, Jonathan. Ich erzähle, wie das mit mir und Jonathan war - die theoretische Reflexion überlasse ich einer anderen Zeit und Person. Dies ist die Geschichte einer Frau.
Ich habe anderen lesbischen Müttern keine goldenen Regeln zur Erziehung von Söhnen mitzuteilen, kein Geheimnis, das eure Fragen in ein bestimmtes Licht rückt. Ich formuliere genau dieselben Fragen auf meine eigene Weise und hoffe, wir alle werden schließlich diese Fragen und Bereiche unseres Lebens, die wir miteinander teilen müssen, ansprechen. Wir sind Frauen, die über die Grenzen einer Druckseite hinweg Kontakt mit sich selbst und anderen aufnehmen und unser eigenes Wissen und das der anderen nutzen wollen.
Die wahrhaftigste Anleitung kommt von innen. Ich vermittle meinen Kindern die meiste Kraft durch meine Bereitschaft, in mich hineinzusehen, und indem ich ihnen ehrlich mitteile, was ich dort finde, ohne von ihnen eine Reaktion zu erwarten, die ihrem Alter nicht angemessen ist. Auf diese Weise beginnen sie zu lernen, hinter ihre eigenen Ängste zu schauen.
Alle unsere Kinder sind VorreiterInnen eines Königinnenreichs, das wir noch nicht erreicht haben.
Die wachsende Sexualität meines jugendlichen Sohnes erzeugt eine uns bewußte Dynamik zwischen Jonathan und mir. Es wäre vermessen von mir, hier über Jonathans Sexualität zu sprechen, außer um meine Überzeugung auszudrücken, daß, ganz gleich mit wem er sich entscheidet, dieses Feld zu erforschen, seine Entscheidung nicht-unterdrückerisch, freudig und tief von innen heraus getroffen sein wird - Orte des Wachstums.
Eine der Schwierigkeiten, diesen Beitrag zu schreiben, war zeitlich bedingt: dies ist der Sommer, in dem Jonathan ein Mann wird - körperlich. Und unsere Söhne müssen Männer werden - solche Männer, so hoffen wir, in deren Gesellschaft unsere geborenen und ungeborenen Töchter gerne leben. Ihr Weg ist schwerer als der unserer Töchter, denn sie müssen sich von uns trennen, ohne uns leben. Es ist zu hoffen, daß unsere Söhne das, was sie von uns gelernt haben, mitnehmen ebenso wie die Fähigkeit, es in ihr eigenes Leben zu integrieren.
Unsere Töchter können sich an uns orientieren - an unserem Widerstand, unseren Entwürfen, unseren Träumen; aber die Söhne von Lesben müssen ihre Identität als Mann selbst definieren. Das bedeutet Macht und Verwundbarkeit zugleich. Die Söhne von Lesben haben den Vorteil unserer Überlebensentwürfe, aber sie müssen das, was wir wissen, nehmen und in ihre eigene Männlichkeit übersetzen. Möge die Göttin meinem Sohn Jonathan gnädig sein.
Vor kurzem habe ich junge Schwarze Männer kennengelernt, von denen ich mit Freude sagen kann, daß ihre Zukunft und ihre Visionen wie auch ihre Sorgen in der Gegenwart mehr mit denen von Jonathan übereinstimmen als meine. Ich habe mit diesen Männern Visionen wie auch zeitweilige Strategien für unser Überleben geteilt, und ich schätze die Räume, in denen wir uns gemeinsam niederlassen konnten. Einige dieser Männer habe ich bei der First Annual Conference of Third World Lesbians and Gays (Erste Jahreskonferenz von Lesben und Schwulen der >Dritten Welt<) kennengelernt, die im Oktober 1979 in Washington, D.C., stattfand. Andere habe ich an anderen Orten getroffen, und ich weiß nicht, welche sexuelle Identität sie haben. Manche dieser Männer sind alleinerziehende Väter. Manche haben Söhne adoptiert. Es sind Schwarze Männer, die träumen und handeln und sich ihrer eigenen Gefühle und Fragen bewußt sind. Es ist ermutigend zu sehen, daß unsere Söhne nicht allein in die Welt hinausgehen.
Wenn Jonathan mich besonders wütend macht, sage ich immer, er bringt das Testosteron in mir zum Vorschein. Damit meine ich, er repräsentiert einen Teil meines Frauseins, den ich ungern anerkenne oder erforsche. Was bedeutet zum Beispiel >wie ein Mann handeln<? Für mich das, was ich ablehne? Für Jonathan das, was er versucht, neu zu definieren?
Schwarze Kinder - weibliche und männliche - im Maul des rassistischen, sexistischen, selbstmörderischen Drachens aufzuziehen, ist gefahrvoll und chancenreich zugleich. Wenn sie nicht gleichzeitig lieben und Widerstand leisten können, werden sie wahrscheinlich nicht überleben. Und um zu überleben, müssen sie loslassen. Das ist es, was Mütter lehren - Liebe, Überleben -, das heißt, Selbstbestimmung und Loslassen. Für beides ist die Fähigkeit, intensiv zu fühlen und diese Gefühle zu erkennen, von zentraler Bedeutung: Liebe empfinden zu können, Angst weder zu ignorieren noch sich von ihr überwältigen zu lassen, sich an tiefen Gefühlen freuen zu können.
Ich würde gern einen Schwarzen Mann aufziehen, der von den korrupten Methoden, die die weißen Väter, die seine Vernichtung so gewiß wollen wie meine, Macht nennen, weder vernichtet wird noch sich damit arrangiert. Ich würde gern einen Schwarzen Mann aufziehen, der erkennt, daß die legitimen Objekte seiner Feindseligkeit nicht Frauen sind, sondern die Besonderheiten eines Systems, das ihn auf Angst und Verachtung gegenüber Frauen wie auch gegenüber seinem eigenen Schwarzen Ich programmiert.
Für mich beginnt diese Aufgabe damit, meinen Sohn zu lehren, daß ich nicht dazu da bin, sein Fühlen für ihn zu übernehmen. Männer, die sich vor dem Fühlen fürchten, müssen sich mit Frauen umgeben, die das Fühlen für sie übernehmen, während sie uns aufgrund eben dieser angeblich >minderwertigen< Fähigkeit, tief zu empfinden, abwerten. Aber auf diese Weise versagen Männer sich selbst ihre eigentliche Menschlichkeit und verstricken sich in Abhängigkeit und Furcht. Als Schwarze Frau, die einer lebenswerten Zukunft verpflichtet ist, und als Mutter, die einen Jungen liebt und aufzieht, der einmal ein Mann werden wird, muß ich alle meine Existenzmöglichkeiten innerhalb eines solchen zerstörerischen Systems prüfen.
Jonathan war dreieinhalb, als meine Geliebte Frances und ich uns begegneten; er war sieben, als wir unser Zusammenleben begannen. Von Anfang an war Frances' und meine Entschlossenheit, in unserem Haus aus der Tatsache, daß wir Lesben waren, kein Geheimnis zu machen, eine Quelle von Problemen und Stärken für beide Kinder. Diese Entschlossenheit erwuchs aus dem Wissen, daß alles, was aus Angst verborgen wurde, immer gegen die Kinder oder uns verwendet werden könnte - ein unvollkommenes, aber nützliches Argument für Ehrlichkeit. Angst zu kennen kann uns frei machen.

Für die Kampfbereiten
gibt es keinen Ort
der nicht
Zuhause sein kann
oder ist.

Um des Überlebens willen müssen Schwarze Kinder in Amerika zu KämpferInnen erzogen werden. Um des Überlebens willen müssen sie auch dazu erzogen werden, die vielen Gesichter des Feindes zu erkennen. Schwarze Kinder von Lesbenpaaren haben einen Vorteil: sie lernen früh, sehr früh, daß die Unterdrückung in vielerlei Gestalt daherkommt, von denen keine irgend etwas mit ihrem eigenen Wert zu tun hat.
Um einen Kontext zu gewinnen, erinnere ich mich, daß die Jungen in der Schule Jonathan jahrelang als Beschimpfung nicht hinterherriefen: »Deine Mutter ist eine Lesbe!«, sondern: »Deine Mutter ist eine Niggerin!«.
Als Jonathan acht Jahre alt und in der dritten Klasse war, zogen wir um, und er kam in eine neue Schule, in der er als Neuer in der Nachbarschaft ein höllisches Leben hatte. Er spielte nicht gern rauhe Spiele. Er kämpfte nicht gern. Er warf nicht gern mit Steinen nach Hunden. Und all das machte ihn bald zum Prügelknaben.
Als er eines Nachmittags weinend heimkam, erfuhr ich von Beth, daß die Straßenrowdies Jonathan zwangen, ihnen auf dem Nachhauseweg die Schuhe zu putzen, wenn Beth nicht da war, um sie zu vertreiben. Und als ich hörte, daß der Anführer ein kleiner Junge aus Jonathans Klasse war, so groß wie er, geschah etwas Interessantes und sehr Beunruhigendes mit mir. Meine Wut über meine eigene längst vergangene Ohnmacht und mein gegenwärtiger Schmerz über sein Leid ließen mich alles vergessen, was ich über Gewalt und Angst wußte, und, das Opfer beschuldigend, begann ich das weinende Kind auszuschimpfen: »Wenn du noch mal heulend hier reinkommst ...«, und plötzlich hielt ich entsetzt inne.
Auf solche Weise lassen wir zu, daß die Zerstörung unserer Söhne ihren Anfang nimmt - im Namen des Schutzes und zur Linderung des eigenen Schmerzes. Mein Sohn wird verdroschen? Ich war drauf und dran zu verlangen, daß er diese erste Lektion über die Verderbtheit der Macht schluckte: Gewalt geht vor Recht. Ich konnte mich selbst die uralten Entstellungen dessen wiederholen hören, was Stärke und Mut wirklich sind. Nein, Jonathan brauchte nicht zu kämpfen, wenn er nicht wollte, aber irgendwie mußte er sich besser bei dieser Entscheidung fühlen. Der alte Horror überkam mich, das dicke Kind zu sein, das wegrannte aus Angst, ihre Brille könne zu Bruch gehen. Etwa zur gleichen Zeit sagte eine sehr kluge Frau zu mir: »Hast du Jonathan jemals erzählt, daß du früher auch immer Angst hattest?«
Die Vorstellung schien mir damals abwegig, aber beim nächsten Mal, als er weinend und verschwitzt hereinkam, weil er wieder davongelaufen war, konnte ich sehen, daß er sich vor mir oder vor einem Bild der Mutter/Frau, das er und ich in seinem Kopf erzeugt hatten, schämte, versagt zu haben. Dieses Bild der Frau, die alles schaffen konnte, wurde dadurch verstärkt, daß er in einem Haushalt mit drei starken Frauen lebte, seinen lesbischen Müttern und seiner freimütigen älteren Schwester. Zu Hause war Macht für Jonathan eindeutig weiblich.
Und weil unsere Gesellschaft uns lehrt, in einem Entweder/Oder- Muster zu denken - töten oder getötet werden, herrschen oder beherrscht werden -, bedeutete das, daß er entweder unübertrefflich sein mußte oder unzulänglich war. Ich erkannte die Folgen, die sich aus dieser Denkweise ergaben. Denken wir nur an die beiden klassischen Mythen/Modelle von Mutter-Sohn-Beziehungen in der westlichen Welt: Jokaste/Ödipus, der Sohn, der seine Mutter bumst, und Klytämnestra/Orest, der Sohn, der seine Mutter tötet. Ich spürte, daß dies alles mit mir zu tun hatte. Ich setzte mich auf die Treppenstufen, nahm Jonathan auf den Schoß und wischte ihm die Tränen ab. »Habe ich dir je erzählt, wie ich immer Angst hatte, als ich so alt war wie du?« Ich werde niemals den Ausdruck in den Augen dieses kleinen Jungen vergessen, als ich ihm die Geschichte von meiner Brille und meinen Kämpfen nach der Schule erzählte. Es war ein Ausdruck der Erleichterung und zugleich des vollkommenen Unglaubens.
Es ist ebenso schwer für unsere Kinder zu glauben, daß wir nicht allmächtig sind, wie für uns als Eltern, es zu wissen. Aber dieses Wissen ist der notwendige erste Schritt, um Macht neu zu definieren: nicht als Gewalt, Alter, Privileg oder Furchtlosigkeit. Es ist ein wichtiger Schritt für einen Jungen, bei dem die Zerstörung der Beziehungsfähigkeit beginnt, wenn er gezwungen wird zu glauben, daß er nur stark sein kann, wenn er nichts empfindet oder wenn er gewinnt.
Über all das dachte ich ein Jahr später nach, als Beth und Jonathan, zehn und neun, in einem Interview gefragt wurden, welchen Einfluß es ihrer Meinung nach auf sie gehabt habe, die Kinder einer Feministin zu sein.
Jonathan sagte, er glaube nicht, daß der Feminismus für Jungen viel brächte, obwohl es sicherlich gut sei, weinen zu können, wenn ihm danach sei, und nicht Fußball spielen zu müssen, wenn er nicht wolle. Daran denke ich manchmal, wenn ich ihn für den Braunen Gürtel im Taekwondo trainieren sehe. Die wichtigste Lektion, die ich meinem Sohn vermitteln kann, ist dieselbe, die ich auch meiner Tochter vermittle: wie er der sein kann, der zu sein er sich selbst wünscht. Und das kann ich am besten tun, indem ich ich selbst bin und hoffe, daß er davon lernen wird, nicht wie ich zu sein, was nicht möglich ist, sondern er selbst zu sein. Und das bedeutet, seiner inneren Stimme zu folgen statt den heiseren, schmeichelnden oder drohenden Stimmen von außen, die ihn bedrängen, so zu sein, wie die Welt ihn haben will. Und das ist schwer genug.

Jonathan lernt, einige der verschiedenen Gesichter von Mut und Stärke, oder wie immer er das auch nennen will, in sich selbst zu finden. Vor zwei Jahren, als er zwölf Jahre alt und in der siebten Klasse war, nannte einer seiner Schulfreunde, der bei uns zu Hause gewesen war, Frances ständig »das Dienstmädchen«. Als Jonathan ihn korrigierte, bezeichnete der Junge sie daraufhin als »die Putzfrau«. Schließlich sagte Jonathan einfach: »Frances ist nicht die Putzfrau, sie ist die Geliebte meiner Mutter.« Interessanterweise sind es die Lehrerinnen und Lehrer dieser Schule, die sich immer noch nicht von seiner Offenheit erholt haben.
Frances und ich überlegten, diesen Sommer an einer lesbisch-feministischen Konferenz teilzunehmen, als uns mitgeteilt wurde, daß keine Jungen über zehn zugelassen waren. Das stellte uns vor organisatorische wie auch philosophische Probleme, und wir schrieben folgenden Brief:

»Schwestern,
zehn Jahre als lesbisches Paar unterschiedlicher ethnischer Herkunft haben uns sowohl die Gefahren eines allzu vereinfachten Umgangs mit Formen und Lösungen jeglicher Unterdrückung gelehrt als auch die Gefahr, die in einer unvollständigen Vision liegt.
Unser dreizehnjähriger Sohn bedeutet eben so viel Hoffnung für unsere zukünftige Welt wie unsere fünfzehnjährige Tochter, und wir sind nicht bereit, ihn in den tödlichen Straßen von New York zurückzulassen, während wir nach Westen ziehen, um eine lesbisch-feministische Vision einer zukünftigen Welt mit zu entwerfen, in der wir alle überleben und gedeihen können. Ich hoffe, wir können diesen Dialog in nächster Zukunft fortsetzen, denn ich empfinde ihn als wichtig für unsere Vision und unser Überleben.«

Die Frage des Separatismus ist keineswegs einfach. Ich bin dankbar, daß eines meiner Kinder männlich ist, denn das hilft mir, ehrlich zu bleiben. Jede Zeile, die ich schreibe, schreit es heraus: Es gibt keine einfachen Lösungen! Ich bin in überwiegend weiblichen Umfeldern aufgewachsen, und ich weiß, wie entscheidend dies für meine eigene Entwicklung war. Ich wünsche und brauche oft die Gesellschaft von Frauen, ausschließlich Frauen. Ich bin mir bewußt, daß unsere eigenen Räume unverzichtbar sind, damit wir uns entwickeln und neue Energie schöpfen können.
Aus denselben Gründen finde ich als Schwarze Frau es notwendig, mich zeitweilig in rein Schwarze Gruppen zurückzuziehen - wegen der unterschiedlichen Entwicklungsstufen und der unterschiedlichen Interaktionsebenen. Oft werde ich im Gespräch mit Männern und weißen Frauen daran erinnert, wie schwierig und zeitraubend es ist, jedesmal den Bleistift neu zu erfinden, wenn du eine Mitteilung machen willst.
Aber das bedeutet nicht, daß meine Verantwortung für die Erziehung meines Sohnes aufhört, wenn er zehn ist, ebensowenig wie für die meiner Tochter. Bei beiden wird diese Verantwortung jedoch immer geringer, je mehr sie Frau und Mann werden. Sowohl Beth als auch Jonathan müssen wissen, was sie gemeinsam haben und was nicht, wo sie miteinander verbunden sind und wo nicht. Und Frances und ich, die wir als erwachsene Frauen und Lesben immer mehr zu unserer Stärke finden, erfahren immer wieder von neuem, daß Unterschiede nicht bedrohlich sein müssen.
Wenn ich mir die Zukunft ausmale, denke ich an die Welt, die ich mir für meine Tochter und meinen Sohn wünsche. Das heißt, ich denke an das Überleben der Menschheit - Überlebensdenken. Sehr wahrscheinlich wird es immer Frauen geben, die mit Frauen leben, Frauen, die mit Männern leben, Männer, die Männer wählen. Ich arbeite für eine Zeit, in der Frauen mit Frauen, Frauen mit Männern, Männer mit Männern, alle gemeinsam eine Welt gestalten, in der weder Brot noch Identität gegen Gehorsam getauscht werden, noch Schönheit oder Liebe. Und in dieser Welt werden wir unsere Kinder aufziehen mit der Freiheit zu wählen, wie sie sich am besten verwirklichen wollen. Wir tragen gemeinsam die Verantwortung für Betreuung und Erziehung der Kinder, denn daß sie aufgezogen werden, ist letzten Endes die Aufgabe der Spezies.
Innerhalb dieses dreiteiligen Musters von Beziehung/Existenz wird das Aufziehen der Kinder die gemeinsame Verantwortung aller Erwachsenen sein, die sich für das Zusammensein mit Kindern entscheiden. Selbstverständlich werden die Kinder, die jeweils in einer dieser drei Beziehungsformen aufwachsen, verschieden sein, was der ewigen Suche danach, wie wir unser Leben am besten gestalten können, eine besondere Würze verleiht.
Jonathan war dreieinhalb, als Frances und ich uns begegneten. Heute ist er vierzehn. Ich glaube, die Lebensperspektive, die Jonathan durch seine lesbischen Mütter gewonnen hat, ist eine wertvolle Ergänzung seiner menschlichen Sensibilität. Jonathan hat den Vorteil gehabt, in einer nichtsexistischen Beziehung aufzuwachsen, einer Beziehung, in der die in dieser Gesellschaft als natürlich geltende Gegebenheit von Herrschenden/Beherrschten in Frage gestellt wird. Und zwar nicht nur, weil Frances und ich lesbisch sind, denn leider gibt es auch Lesben, die immer noch in den patriarchalen Mustern von Beziehungen mit ungleicher Machtverteilung gefangen sind. Diese Gegebenheit von Machtbeziehungen wird in Frage gestellt, weil Frances und ich - oft schmerzlich und mit wechselndem Erfolg - immer wieder von neuem versuchen, unsere Gefühle in Bezug auf Macht, unsere eigene und die anderer, zu überprüfen und zu reflektieren. Und wir erforschen behutsam die Bereiche, in denen es darum geht, wie Macht zwischen uns beiden und zwischen uns und den Kindern eingesetzt und ausgedrückt wird, sowohl offen als auch auf andere Weise. Ein guter Teil unserer zweiwöchentlichen Familientreffen ist diesem Erforschen gewidmet.
Als Mütter haben Frances und ich Jonathan unsere Liebe, unsere Offenheit und unsere Träume geschenkt, um ihm bei der Entwicklung seiner Visionen zu helfen. Am wichtigsten ist, daß er als Sohn von Lesben ein unschätzbares Modell gehabt hat - nicht nur von einer Beziehung, sondern vom Sich-Beziehen.
Jonathan ist heute vierzehn. Als ich mit ihm über diesen Beitrag sprach und ihn um Erlaubnis bat, einiges aus seinem Leben mitteilen zu dürfen, habe ich ihn gefragt, was seinem Gefühl nach der negativste und was der positivste Aspekt daran war, mit lesbischen Müttern aufgewachsen zu sein.
Er sagte, der größte Vorteil, den es ihm gebracht habe, sei, daß er viel mehr über Menschen erfahren habe als die meisten anderen gleichaltrigen Kinder, die er kannte, und daß er viele der Vorurteile nicht habe, die einige andere Jungen über Männer und Frauen hätten.
Und der für ihn negativste Aspekt, sagte Jonathan, sei der Spott, den er von manchen Kindern heterosexueller Eltern zu hören bekäme.
»Du meinst, von Kindern aus deiner Klasse?« fragte ich. »Ach wo,« antwortete er prompt. »Die aus meiner Klasse wissen es besser. Ich meine andere Kinder.«

Aus dem amerikanischen Englisch von Cornelia E. Kahler

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