Monique Wittig und Sande Zeig haben in ihrem Buch Lesbische Völker eine visionäre Rekonstruktion lesbischer Geschichte entworfen: Eine Gruppe von Amazonen grenzte sich zu einem Zeitpunkt, der das Ende des Goldenen Zeitalters markierte, von ihrem bisherigen Leben ab; sie begannen sich ganz und in völliger Verzückung dem Gebären zu widmen, vernachlässigten andere Interessen und entwickelten eine eigene Kultur, »in der nichts der Analogie zu ihrer Fortpflanzungsfähigkeit entrinnen konnte«. Seitdem beschlossen sie, sich nicht mehr Amazonen, sondern Mütter zu nennen. Denjenigen, die sich weiterhin als Amazonen bezeichneten, blieb diese Idee, sich ausschließlich dem Bewundern schwangerer Bäuche hinzugeben, fremd. Obwohl auch sie Kinder gebaren, setzten sie ihre Entdeckungsreisen fort und zogen ihr ungebundenes Leben vor. Dafür wurden sie von den Müttern abfällig als die bezeichnet, »die ihre Bestimmung« nicht auf sich nehmen.
Ein Sprung in die Gegenwart: Mutterschaft hat sich in patriarchalen Gesellschaften durchgesetzt als Bestimmung und Erfüllung, die dem Frausein Wert verleiht. Gleichzeitig bleibt sie in der allgemeinen Wahrnehmung unhinterfragt mit Heterosexualität bzw. einer heterosexuellen Lebensweise verknüpft und erweist sich als patriarchales Machtinstrument, durch das Frauen auf Reproduktionsarbeit festgelegt werden. Die Kehrseite dieses Entwurfs bedeutet, daß lesbisches Leben und Mutterschaft als etwas Undenkbares gilt: lesbische Mutterschaft ist kein Thema, weder in der Öffentlichkeit, noch im feministischen Diskurs. Werden lesbische Frauen, die Mütter sind oder sein wollen, doch einmal thematisiert, so werden sie von den Medien als ein mit Diskriminierungserfahrungen behaftetes Exotikum präsentiert oder, zumindest in der hiesigen Lesbenbewegung, als politischer Fehltritt bewertet.
Die in diesem Band zusammengestellten Beiträge befassen sich mit dem Thema lesbische Mutterschaft, ohne in das Diskriminierungsklagelied einzustimmen, indem sie die Aufzählung dessen, was uns als Lesben - mit oder ohne Kinder - in dieser Gesellschaft vorenthalten bleibt, fortsetzen, noch wollen sie lesbische Mutterschaft verklären und zu der unvergleichlichen Erfahrung stilisieren, als die uns Mutterschaft meistens präsentiert wird. Vielmehr will dieser Band eine Standortbestimmung leisten, indem verschiedene Aspekte und zum Teil konträre Sichtweisen und Überlegungen zum Thema lesbische Mutterschaft dokumentiert werden. Darüber hinaus wird das Klischee der lesbischen Frau als selbstverständlich kinderlos lebender Frau hinterfragt und aufgezeigt, daß lesbische Mutterschaft in Entwürfen lesbischer Identität nicht ausgeklammert bleiben darf, sondern in die feministische Theorie zur Institution Mutterschaft einzubinden ist. Schließlich wird dokumentiert, wie vielfältig und unterschiedlich Frauen verschiedener kultureller, ethnischer und sozialer Herkunft lesbische Mutterschaft erleben.
Die zusammengestellten Erfahrungsberichte, theoretischen Überlegungen und literarischen Texte zu verschiedenen Aspekten lesbischer Mutterschaft sollen einen Ausgangspunkt markieren und zu einer längst fälligen Diskussion anregen.