Üble Nachrede

»Was Philosophen über Frauen denken«, verdanken wir der aufschlußreichen Arbeit des gleichnamigen Buchs von Annegret Stopczyk. Dank dieser systematischen Aufarbeitung wissen wir, wie Frauen im Lichte des männlichen Denkens in ein finsteres Schattendasein abgedrängt wurden. Diese Geschichte der Verdrängung zu ignorieren, hieße vernünftiger sein wollen als es die Affekte erlauben. Der Wille der Philosophinnen es besser zu machen, kann wiederum zu einer vorschnellen Verdrängung führen, die der Wahrheit der Geschlechterverhältnisse nicht ins Gesicht sehen will.
Wenn Philosophieren Weiterfragen bedeutet, dann ist auch ein Rückfragen unerläßlich nach dem Erbe der Philosophie und den Auswirkungen auf Frauen, die als Philosophinnen zur neuerlichen Selbstauslegung des Menschen gelangen wollen.
Dazu bedarf es meiner Meinung nach der bewußten Distanzierung von einer Geschichtsschreibung, die das den Frauen angetane Unrecht ernst nimmt. Und wenn nötig, durchaus mit dem Pathos und der Vision der Aufklärung, wenn es um die Emanzipation geht.
Der Ermüdung der Frauenbewegung entspricht zur Zeit eine Renaissance der Männerkultur, die eine Reaktion darstellt auf einen Fortschritt zwischen den Geschlechtern, der ambivalent genug, durch die allgemeine Krise verschärft, nicht zum "Fortschrott" verkommen darf.
Deswegen, sei mir ein eigener, nur kurzer Rückblick gestattet - durchaus - in Ächtung der Männer, die von Kultur zu Kultur, von Epoche zu Epoche, so verschieden sie auch sein mochten, sich zusammenfanden in der Ächtung des weiblichen Menschen - der Frau. Konkret geht es mir um die Benennung derjenigen Protagonisten des Geschlechterk(r)ampfes, denen zur Zeit auf der Kulturbühne wieder das große Wort überlassen wird. All die Spielarten von Frauenfeindlichkeit, vornehmer mit dem griechischen Fachbegriff Misogynie kaschiert, haben uns die Dichter und Denker vorexerziert. Die Frauen hatten stets die Rolle einzunehmen, die die Männer ihnen vorschrieben. Wehe, sie spielten nicht mit, so hatten die Zuchtmeister im Rücken die Tradition und in der Hand die Peitsche und immer wieder Denker, die zeitmodern die Stereotypen zu Rechtfertigungen verdichteten. Unter jeder Art von Herrschaft gelten stets die Entwürfe der Herrschenden für das Verhalten der von ihnen unter Druck Gehaltenen. Zur Aufrechterhaltung dieser Vorherrschaft haben sich unsere Dichter und Denker von ausschweifenden Phantasien übermannen lassen, die sich "tief unten" in unsere Kultur eingegraben haben.
Schweigen wir noch von den die Männer vergötternden Religionen, um so enttäuschender die diesseitigen Sinnversuche.
Gleich die griechischen Vordenker unserer Kultur wußten die Frauen klassisch als Wesen mit nur "gemeiner" Seele, philosophisch abzuhandeln. Nur sie, die Herren der edlen Seelen, waren zur Herrschaft über das Gemeine (Frauen und Sklaven) berufen. Generationen von nach Orientierung, nach Wissen und Weisheit Suchenden gaben sich klassischer Bildung hin und verstanden sich unkritisiert als Humanisten. Die sich entwickelnde Philosophie studierte, definierte, normierte, spekulierte, phantasierte und tradierte Bilder von der Frau als dem von Männern zu bestimmenden Wesen. Sämtliche unglückseligen Erfahrungen mit dem heiklen Geschlechtsleben wurden von auserwählten Denkern zur Horrorvision "über die Weiber" schlechthin stilisiert.
Z. B. Schopenhauers Groll auf seine Mutter Johanna Schopenhauer, haben wir seine gesammelten Vorurteile und Gemeinplätze in seinem Spätwerk »über die Weiber« zu verdanken. Und nicht nur Nietzsche verstand sich in Frauenfragen als sein gelehriger Schüler.
Im weiteren "Fortschritt" der Zeit räsonierte der Wissenschaftler P. J. Möbius 1907 in seinem Buch: »Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes« und konnte damit ungehemmt akademische Lorbeeren ernten. Übrigens erfreut sich dieser "physiologische Schwachsinn" gerade jüngst seiner Wiederauflage.
Und Otto Weininger, der in seinem 1903 erschienenen Buch: »Geschlecht und Charakter« polemisierend gegen die damalige Frauenrechtsbewegung internationales positives Aufsehen erregte, philosophierte die Frauen als »reißende Bestien« und befand die Frauenbewegung als ein Hinüberrollen von der Mutterschaft zur Prostitution, als Ganzes mehr eine Dirnen-, als eine Frauen-Emanzipation. Sein Publikumserfolg war ohnegleichen, sein Buch mußte bis 1920 jedes Jahr neu aufgelegt und in mehrere Sprachen übersetzt werden. Auch dieses "Geschlechts- und Charakter"-Werk hat heute mit seiner neuerlichen Wiederauflage zu nicht unbeachtlichen Diskussionen geführt.
Und weiter im Text; feuilletonistisch angemerkt, aber inhaltlich schwer verdaulich ist die Tatsache, daß ebenfalls weder Karl Marx, Karl Kraus, noch Karl Valentin, um nur die berühmt gewordenen Karls zu nennen, sich unschwer taten in Frauenfragen ihren klugen Kopf zu verlieren.
Die "Liebe" als Entdeckung und Forderung der Frauen nach "Liebe um Liebe" wurde mit einer ungeheuerlichen Dämonisierung des Weiblichen beantwortet. Männer glaubten ihre Männlichkeit = Phallus in Frage gestellt. Phalluskulte und damit im Zusammenhang erregte Kastrationsmythen lehrten Männer fortan das Fürchten vor der begehrenden Frau, vor den Gefahren der Liebe. Der weibliche Sexus, der seit eh und je die Hirne der Männer entzündete, ließ sich nicht einfach unter Kontrolle bringen. Immer gab es Schwierigkeiten.
Unter dem Vorwand die Frau vor dem Rohen und animalischen im Manne zu schützen, ersannen Puritaner aller Couleur die Frau zur Heiligen und Reinen, die ihrem Ehegatten liebevoll unterworfen zu sein hatte.
Außerhalb des Heimes, dem Zentrum der Fürsorge, galt es die erotischen Versuchungen mit den käuflichen "Lustgegenständen", den durch die Frau Eva immer wieder verschuldeten Sündenfall, philosophisch zu verdammen.
Die Idolisierung der Ambivalenz von Jungfrau und Dirne, dient noch bis heute zur Unterhaltung und Sicherung der Herrenkultur. »Lulu«, erzeugt von Frank Wedekind nach der antiken Pandoralegende, ist der zwanghafte Versuch, Jungfrau und Dirne in einer Person zu meistern. Lulu ist der männliche Gegenentwurf zu den damaligen Forderungen der Frauenbewegung nach sexueller Freiheit. Mit theatralischem Pathos wird die Attacke auf die männliche Souveränität dramatisch abgewendet. Lulu, "femme fatale" in purer Reinheit, bringt die Männer, allesamt ihre Opfer, reihenweise um ihren bürgerlichen Verstand. Sie, die von einem Kritiker als »Urbild der Frau, schön wie die Welt am Schöpfungstag, mit einem Lächeln auf den Lippen und dem Nichts im Herzen« bewundert wird, symbolisiert die von Männern gewünschte, wie zugleich gefürchtete Gestalt gewordene weibliche Sexualität. Aber Frank Wedekind sei Dank, findet sich ein Jack the Ripper, der Lulu und ihrem gefährlichen Treiben ein blutiges Ende setzt. Lulu feiert wieder allerorten auf den großen Bühnen ihre Theaterpremieren, zelebriert als Opfermal in der Regie namhafter Theatermänner. Ebenfalls ihre spanische Schwester "Carmen" darf wieder herhalten, um in der männlichen Geheimniskrämerei über das Ewigweibliche die nötige Luststeigerung zu erleben. Mit Leidenschaft gegen die, die Leiden schafft. Und das bedeutet allemal den Tod für Carmen.
Noch einmal sei auf Karl Kraus verwiesen, der ein glühender Bewunderer Otto Weiningers und ein persönlich engagierter Förderer von Frank Wedekind und August Strindberg war. Seinen Günstlingen galt Otto Weininger als der letzte große Philosoph schlechthin und so wirkten sie als seine bedeutendsten Echoten in der Dramenwelt.
Karl Kraus also, der in einem Reprint seiner berühmten Zeitschrift: »Die Fackel« zu neuem Ruhm gelangt ist, entwickelt dort zur Heilung aufbegehrender intellektueller Frauen die Therapie der Zwangskopulation. Es geht in diesem Dokument zu deutsch um die zu organisierende Vergewaltigung (Zwangskopulation) der gegen das Patriarchat rebellierenden Frauen mit sozial und intellektuell unter ihnen Stehenden zur Wiederherstellung der intellektuellen Suprematie des männlichen Geschlechts. Deutlicher ist das Interesse des Mannes an Vorherrschaft nicht zu formulieren.

Nun melden sich die Philosophinnen zu Wort.
Konfrontiert mit einer überwältigenden, antifeministischen Kulturtradition, wird ihnen zugleich warnend von allen Seiten nahe gelegt, nur nicht männerfeindlich zu sein, wenn sie ernst genommen werden wollen. Konstruktivität ist gefragt und von Nöten. Fürwahr. Auffallend ist ihre Bereitschaft sich der Idee der Menschheit verpflichtet zu fühlen. Ihr Idealfall ist der Mensch an sich und für sich. Umstandslos reflektieren sie die Entwürfe freier Menschen, die sich nicht mehr dualistisch als Frau und Mann gegenüberstehen.
Aber ist der Idealfall bereits der Realfall? Niemand würde das behaupten wollen, denn die Utopie, das wissen wir alle, ist ohne Ort.
Ein erfahrbarer Ort ist die Realität zwischen Frauen und Männern. Dichtern und Denkern war sie ein Dauerproblem, das sich kurz, aber treffend mit dem Konflikt: Eros als Trauma beschreiben läßt. Der Inhalt dieses Traumas waren die Frauen. Konsequent geschlechtsspezifisch und patriarchalisch abgesichert, erklärten sie die Frau zum Sündenbock ihres reichlich beschriebenen Unbehagens. Gleichgültig, ob sie die Frau zur Erlöserin ihrer Malaise hochstilisierten oder als Sünderin und Unglücksbringerin verdammten, es muß ihnen zugute gehalten werden, daß sie zumindest künstlerisch dem Konflikt nicht ausgewichen sind. Unbegreiflich bleibt, wie wenig Phantasie sie entwickelt haben, das Geschlechterproblem aus der Herrschaftsproblematik herauszudenken, um es real gesellschaftlich zu entkrampfen.
Die Frage ist, wie die Frauen, Objekt und daher Opfer des Traumas sich dieser Problematik stellen. Wie geschieht die Aufarbeitung des Traumas aus weiblicher Sicht? Wo bleibt die Angst der Denkerinnen, wo die reale Angst der Frauen vor den realen Vor-Herrschaften? Weiter gefragt: Warum gibt es keine "männerfeindliche" Philosophie?
Eine Frage ist eine Frage, wenn sie eine Frage ist. Antworten werden mit Spannung erwartet.

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