Das Problem, das ich zur Diskussion stellen möchte, ist mit der Trennung von Fakten und Werten, von deskriptiven Sätzen und präskriptiven Aussagen verbunden. Die Frage lautet: Sollte der Hochschullehrer nur sittlich neutrales Wissen vermitteln oder sollte es ihm auch gestattet sein, das, was er vermittelt, sittlich zu beurteilen? Dieses Problem betrifft vor allem Vertreter der Geistes- und Sozialwissenschaften, insbesondere aber der Philosophie, und ganz extrem der praktischen Philosophie, der Ethik, weil Phänomene, die Gegenstand dieser Fächer sind, uns nicht nur kognitiv interessieren, sondern auch emotional berühren, und weil wir wertend zu ihnen Stellung nehmen.
Im Jahre 1919 trat Max Weber in seiner berühmten Rede »Wissenschaft als Beruf«, die er vor den Studenten hielt, dagegen auf, daß Hochschullehrer während ihrer beruflichen Tätigkeit eigene Werturteile zum Ausdruck bringen. Wenn sich der Professor auf die Rolle des neutralen Sachkundigen beschränkt, wird er zwar die Erwartungen vieler junger Menschen enttäuschen - sagt Weber, es sind aber unberechtigte Erwartungen. Der Student sollte sich dessen bewußt sein, daß er beim Eintritt in die Hochschule von den Vorlesungen nichts anderes erwarten darf als deskriptive Urteile und sachliche Analysen -; keine Beratung in Lebensfragen.
Weber vertrat das Prinzip der wertfreien Haltung eines Wissenschaftlers in seiner Rolle als Forscher und als Lehrer, indem er sich auf eine bestimmte methodologische Theorie stützte. Diese Theorie wurde durch spätere Autoren ausgebaut und findet heute eine ziemlich breite Anerkennung. Nach dieser Theorie sind Werturteile von einer methodologisch verschiedenen Art als empirische Aussagen; für jeden der Bereiche gelten andere Begründungsmethoden. Nur konditionale, aber nicht kategorische Werturteile können begründet werden. Bei den konditionalen handelt es sich um folgende Behauptungen: Wenn dieses Ziel angestrebt wird, dann sollte, um erfolgreich zu sein, so und so gehandelt werden. Das Problem der Option für ein Ziel kann man dagegen nicht wissenschaftlich entscheiden. Die Begründung von Werturteilen ist immer systemimmanent und deshalb relativ; sie erfolgt im Rahmen eines konkreten Wertsystems. Im Begründungsregreß, bei dem wir uns auf allgemeinere Normen und empirische Urteile berufen, erreichen wir Grundprinzipien, deren Wahl nicht durch Anwendung der wissenschaftlichen Methode zustande kommt. Zwar ist es aufgrund empirischer Kenntnisse möglich, zwischen Zielsetzungen zu unterscheiden, die erfüllbar und solchen, die nicht erfüllbar sind, doch gibt es im Bereich der erfüllbaren eine große Zahl von Möglichkeiten, unter denen die Wahl auf außerwissenschaftlicher Basis getroffen wird. Demnach sind alle Grundprinzipien, auch der sich gegenüberstehenden Systeme, in der gleichen methodologischen Situation.
Als eine fundamentale Kontroverse zwischen normativen Systemen kann eine solche angesehen werden, die weder auf der Annahme von unterschiedlichen Hypothesen noch auf inkorrekten Schlußfolgerungen beruht, sondern auf unterschiedlichen Wertprinzipien (den Wertaxiomen), eventuell auf einer unterschiedlichen Werthierarchie, bei der auch nicht durch überprüfbare Verfahren der Forschung Einstimmigkeit erzielt werden kann. Fundamentale Werthaltungen können in vielen Fällen ihrem Ursprung nach wissenschaftlich erklärt, aber nicht wissenschaftlich begründet werden.
Die geschilderte metaethische Theorie kann man als den methodologischen Relativismus bezeichnen. Wie bekannt, werden auch andere methodologische Standpunkte in Bezug auf Werturteile und Normen vertreten. Manche halten Werturteile für ganz sicher wahr oder falsch. Wenn jemand den Werturteilen - analog zu den empirischen Aussagen Erkenntnischarakter zubilligt, sowie an die Existenz objektiver Entscheidungskriterien zwischen konkurrierenden Wertsystemen glaubt, dann mag für ihn das Problem der »Wertfreiheit« im Universitätsunterricht nur ein Scheinproblem sein. Oftmals wird er seine wertenden Stellungnahmen als verbindlich zu akzeptierende Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Forschung darstellen. Für Vertreter des methodologischen Relativismus handelt es sich hier jedoch um ein tatsächliches Problem. Trotz meiner grundsätzlichen Übereinstimmung mit Max Webers methodologischer Position kann ich den von ihm an den Hochschullehrer gerichteten extremen Forderungen nicht zustimmen.
Weber führt außer methodologischen Argumenten, die hier am wichtigsten sind, auch noch andere an. Unter hundert Professoren besitzen nach seiner Meinung mindestens neunundneuzig überhaupt nicht solche Eigenschaften, die sie zu Ratgebern in sittlichen Entscheidungen qualifizieren könnten. Wissenschaftliche Kompetenz und das, was Menschen als sittliche Kompetenz empfinden, müssen nicht von derselben Person vertreten sein. Es sind - so sagt Weber - nicht »Führerqualitäten«, die jemanden zu einem ausgezeichneten Gelehrten und akademischen Lehrer machen. Fühlt sich ein Professor zum Berater der Jugend berufen und genießt er ihr Vertrauen, so möge er diese Aufgabe »im persönlichen Verkehr von Mensch zu Mensch« übernehmen. An politischen Kämpfen möge er sich »auf dem Markt des Lebens« beteiligen, aber nicht in den Gebäuden der Hochschule. Es wäre auch sagt Weber - allzu bequem, seinen Bekennermut da zu zeigen, wo die Anwesenden und vielleicht Andersdenkenden zum Schweigen verurteilt sind. Weber nennt solche Hochschullehrer, die versuchen, Studenten in ihrer Werthaltung zu beeinflussen, Demagogen.
Nach Weber sollte der Professor nur mit sachlichen Informationen über die verschiedenen faktisch vertretenen Standpunkte dienen. Er wird die Studenten mit den möglichen Handlungsalternativen und ihren jeweiligen Konsequenzen bekannt machen. Auf diese Weise kann er dazu beitragen, daß die Hörer sich darüber klar werden, was für sie Mittel, und was die angestrebten Ziele sind. Es fordert eine große intellektuelle Anstrengung, Wertüberzeugungen zu systematisieren und sich der eigenen Grundprinzipien, der letzten Wertmaßstäbe, bewußt zu werden. Somit ist es auch keine geringe Aufgabe, mit den Studenten diese rein intellektuelle Obung durchzuführen. Weber meint, man könne dies sogar als eine moralisch relevante Aufgabe betrachten, weil der Lehrer mit ihr »im Dienst sittlicher Mächte« steht: Er schafft bei den Einzelnen Klarheit darüber, welchen Werten sie dienen und stärkt ihr Verantwortungsbewußtsein.
Da die Beschäftigung mit dem Problem, wie man leben soll, nach Weber nicht in den Kompetenzbereich des Wissenschaftlers gehört, so fragt er, wer in der Gesellschaft zu dieser Aufgabe berufen sei. Seine Antwort lautet: ein Prophet oder ein Heiliger. Wenn ein solcher fehlt oder wenn seiner Verkündigung nicht geglaubt wird, dann können auch Tausende von Professoren als staatlich besoldete oder privilegierte kleine Propheten ihn in seiner Rolle nicht vertreten.
In späteren Jahren stellten einige Autoren mit einer ähnlichen methodologischen Orientierung, wie sie Weber hatte, nicht mehr so rigorose Forderungen. Gunnar Myrdal und Alf Ross gestatten es dem Wissenschaftler, eigene Wertvorstellungen zu äußern. Sie verlangen nur, daß ein Wissenschaftler, der zu etwas Stellung nimmt, die Grenzen zwischen dem, was sich unter Wissenschaft fassen läßt und seinen außerwissenschaftlichen Aussagen möglichst deutlich ziehe. Tut er das nicht, so mißbraucht er die Autorität der Wissenschaft, indem er als wissenschaftlich das vermittelt, was nur Ausdruck seiner subjektiven Werteinstellung ist. Ein solches Verhalten kritisiert Ross als unehrlich und warnt davor, daß es mit der Zeit zu einer Herabsetzung der Position der Wissenschaft in der Gesellschaft führt und somit der Gesellschaft schadet.
Nachdem ich diese Standpunkte skizziert habe, möchte ich erneut die Frage stellen, was man hinsichtlich der Werturteilsenthaltung. von einem Hochschullehrer erwarten darf.
Ich übergehe hier die Schwierigkeiten bei einer klaren Abgrenzung von Werturteilen und wertfreien, deskriptiven Aussagen. Auch möchte ich anmerken, daß es die Möglichkeit gibt, mittels scheinbar deskriptiver oder sogar zweifellos deskriptiver Aussagen auf Haltungen einzuwirken. Schon allein durch Vermittlung von Informationen über Fakten, die der Hörer als ungerecht oder grausam empfindet, kann man seine Werthaltungen beeinflussen. Dieser Tatsache bewußt, sprach sich Weber dagegen aus, daß der Hochschullehrer einem scheinbar wertneutralen Verhalten auf die Wirkung entsprechend ausgewählter Fakten rechnet und auf diese »illoyalste Art« versucht, den Studenten seine eigene Stellungnahme aufzudrängen. Mir geht es hier um den Fall, wenn der Hochschullehrer sich über Phänomene, die Gegenstand seiner Vorlesung sind, direkt wertend äußert, wenn er dem informativen Inhalt seiner Vorlesung ab und zu eine wertende Bemerkung beifügt. Das generelle Ablehnen jeglichen derartigen Vorgehens scheint mir übertrieben zu sein. Im Gegensatz zu Weber will ich versuchen, das Recht des Hochschullehrers auf eine explizite Bewertung zu verteidigen.
Alf Ross erwartet von einem Wissenschaftler, daß er seine Wertaussagen ganz klar und eindeutig anders behandelt als das, was er im Rahmen seiner wissenschaftlichen Kompetenz zu vermitteln hat. Dieses Postulat von Ross halte ich für richtig, was aber seine Durchführung betrifft, so glaube ich, daß nicht jedesmal ein Hinweis auf den Rollenwechsel notwendig ist: jetzt spreche ich als Wissenschaftler, jetzt als Bürger oder Mensch. Es genügt das methodologische Wissen des Hochschullehrers einerseits und eine entsprechende methodologische Vorbereitung der Studenten andererseits, um Mißverständnisse zu verhindern.
Wenn die Hochschule keine Erziehungs- sondern eine Bildungsanstalt ist, sollten in jeder Studienrichtung die einzelnen Fächer grundsätzlich als deskriptive Fächer doziert werden und nicht als normative Verkündung eines konkreten Wertsystems. Zum Beispiel Politikwissenschaft als Wissenschaft über politische Institutionen und nicht als Indoktrinierung zugunsten einer Ideologie. Ebenso: Philosophie grundsätzlich als Geschichte der verschiedenen Weit- und Menschenauffassungen und nicht als die eine »wahre« oder »richtige« Weltanschauung. Obwohl bisher eine große Zahl der philosophischen Auffassungen, die in die Geschichte der Philosophie eingegangen sind, von einzelnen Philosophen in Hörsälen als »die richtige« Weltanschauung vorgetragen worden ist, scheint die Forderung einer vielseitigen sachlichen Information auch beim Unterricht der Philosophie berechtigt zu sein. Bei einem grundsätzlich wertneutralen Dozieren des gegebenen Faches sollte es aber dem Hochschullehrer gestattet sein, gelegentlich, besonders im engen Seminarkreis, eigene Werturteile direkt und ganz offen zum Ausdruck zu bringen. Dies sollte ihm gestattet sein, es von ihm verlangen darf man aber nicht. Ob er es tut, mag von individuellen Charaktereigenschaften der gegebenen Person abhängen, von ihrem Expressionsbedürfnis und von ihrem Lebensstil. Die Einen engagieren sich beim Kontakt mit den Studenten ganz spontan nicht nur mit ihren intellektuellen Fähigkeiten, so daß schon das Seminar (hier möchte ich Webers Wort gebrauchen) zum »persönlichen Verkehr von Mensch zu Mensch« wird. Für andere ist das Gebiet der eigenen Werteinstellungen zu privat und zu intim, um es vor Studenten aufzudecken. Auch eine intolerante Atmosphäre, in der ein Hochschullehrer möglicherweise arbeiten muß, kann sein Schweigen verursachen. Ich glaube nicht, daß es zu den moralischen Pflichten eines Hochschullehrers gehört, seine Werturteile zu manifestieren, wenn dafür Repressalien drohen - außer in Sonderfällen, wenn das Schweigen als deutlicher Verrat empfunden wird. Das Manifestieren der eigenen Überzeugung in einer intoleranten Atmosphäre kann natürlich ein Akt der heroischen, verehrungswürdigen Entscheidung eines Menschen sein. Hier hängt sehr viel von der Situation ab. Das Verschweigen dessen, was man für richtig hält, ist jedoch etwas wesentlich anderes als das Verkünden dessen, was der eigenen Überzeugung widerspricht. Die Lüge belastet Lehrer moralisch viel stärker als Vertreter anderer Berufe.
Weber ging nicht so weit wie einige spätere Vertreter der Wertfreiheit, die alles, was als Nichtwissenschaft klassifiziert wird, für weniger wertvoll als Wissenschaft und im Extremfall sogar für sinnlos hielten. Weber fordert nur, daß Werturteile nicht im Vorlesungssaal auftauchen. Das Bewerten gehört zu den unveräußerlichen psychischen Aktivitäten des Menschen. Es bezieht sich unter anderem auf Phänomene, die Gegenstand der Forschung und der Lehre sind, ganz besonders auf Phänomene der Moral. Der Student nimmt in der Regel die vermittelten Informationen als ihm mehr oder weniger sympathisch auf. Das geschieht unabhängig davon, ob der Hochschullehrer versucht, die Ethik konsequent nicht als normative Disziplin, die verkündet, was sittlich gut und was schlecht ist, zu behandeln, sondern als deskriptive Disziplin, die darüber informiert, was bestimmte Personen, Gruppen oder Kulturen als sittlich gut oder schlecht auffassen oder aufgefaßt haben, und wie man diese ihre Überzeugungen unter Berufung auf psychologische, soziologische oder andere Gesetzmäßigkeiten erklären kann. Es scheint mir, daß es nicht angebracht ist, jemanden, darunter auch sich selbst, an die Unterdrückung der Bewertungsreaktionen zu gewöhnen, wobei es gleichgültig ist, ob dies in den Gebäuden der Hochschule oder woanders geschieht. Wenn jemand in seinem Kult der Wissenschaftlichkeit so weit geht, daß er aus seinem psychischen Leben Werturteile verbannen und sein Bewußtsein auf Urteile, die sich wissenschaftlich bewähren können, beschränken möchte, so scheint er als Mensch verarmt zu sein. Wichtig ist dagegen eine solche intellektuelle Selbstkontrolle, die es verhütet, daß Werteinstellungen die Erkenntnisfähigkeit negativ beeinflussen, was ein durchaus erreichbares Ziel ist.
Weber faßte die Artikulation von Werturteilen durch den Hochschullehrer als apodiktische Belehrung, als autoritative Aufdrängung des eigenen Standpunktes auf, als wäre das die einzige mögliche Art des Kontakts mit den Studenten. Zu Webers Zeiten sprach ein Professor sicherlich in viel stärkerem Maße als heute »vom Katheder«. Das »Katheder« kann hier als Symbol der sozialen Distanz gelten. Heute ist der Student in der Regel, wenn es um die Ausführungen eines Professors geht, durchaus nicht »zum Schweigen verurteilt«, wie das Weber drastisch ausdrückte.
Es ist natürlich nicht nur im Fall kontroverser Werturteile, sondern auch im Fall wissenschaftlicher Theorien wichtig, daß der Vorlesende selbst dann, wenn er sich als entschiedener Vertreter einer der Theorien deklariert, jedes Problem als ein prinzipiell offenes behandelt und dem Hörer das Recht auf eigenes Suchen und auf das Beziehen anderer Standpunkte einräumt. Dort, wo der Geist der Partnerschaft herrscht, wo die Beziehung zwischen dem Vorlesenden und dem Studenten trotz faktisch fehlender Symmetrie die Form eines zumindest potentiellen Dialogs annimmt, hat die Äußerung von Werturteilen nichts von der Weberschen »Demagogie« an sich, noch davon, daß jemand als »Prophet« aufzutreten versucht. Sie ist eine Mitteilung der eigenen Überzeugungen an andere Menschen. Die Studenten sind gewöhnlich an diesen Überzeugungen interessiert, weil sie diese mit den eigenen konfrontieren möchten. Ein Dialog läßt die Hoffnung zu, daß meine Überzeugung auch zu der Überzeugung des anderen Menschen wird, weist aber eine analoge Hoffnung des anderen Menschen nicht zurück. Ein Dialog setzt den Glauben voraus, daß wir uns selbst dann gegenseitig achten werden, wenn wir bei unseren unterschiedlichen Meinungen bleiben.
Bei der Äußerung von Werturteilen geht es mir natürlich um die eigenen Überzeugungen des Hochschullehrers. Diese können eventuell mit der öffentlichen Meinung oder mit dem durch die herrschende Gruppe propagierten Wertsystem übereinstimmen, sollten aber in jedem Fall echte, authentische Überzeugungen der gegebenen Person sein. Ein Lehrer darf nur das richtig heißen, was er selbst für richtig hält. Deshalb meine ich, daß keine gesellschaftliche Institution den Hochschullehrer dazu verpflichten dürfe, den Studenten von dieser Institution bestimmte Werturteile zu vermitteln. Eine solche Praxis würde der Autonomie des menschlichen Gewissens widersprechen. Sie würde auch bedeuten, daß man Wissenschaftler in Funktionen einspannen möchte, die nicht zu ihrem Aufgabenbereich gehören, und sie würde in vielen Fällen dazu führen, daß man versuchen würde, Wissenschaftler mehr oder weniger zwangsweise damit zu beauftragen, öffentlich die jüngsten Entscheidungen machtausübender Kreise zu unterstützen, also politisch zu agieren. Weber erwähnte in seinem Vortrag, daß in der heutigen Weit die Gelehrten vom Staat bezahlt werden. Jemand muß finanzieller Fürsorger der Wissenschaft sein. Die gebührenden Gegenleistungen dafür, die dem Ethos des Gelehrten entsprechen, sind gewissenhafte Forschungsarbeit und gewissenhafte Lehrtätigkeit. Nicht mehr darf erwartet werden.
Wenn Menschen etwas von ihrer individuellen Weltauffassung zum Ausdruck bringen, wenn die Einmaligkeit der Person in Erscheinung tritt, dann zeigen sich gewöhnlich Unterschiede in den Ansichten darüber, was gut und was schlecht, insbesondere aber, was besser und was schlechter ist. Auch das ist eine Tatsache, die man als natürlich hinnehmen sollte, ohne danach zu streben, daß auf jedem Gebiet vereinbarte Einstellungen vertreten werden. Es muß zwar auch bei Anerkennung der Wertpluralität eine Grenze geben, über die hinaus man nicht gehen darf, wenn man die gemeinsame Existenzgrundlage der Gesellschaft nicht zerstören will. Doch außer der - meiner Meinung nach - notwendigen Übereinstimmung in der negativen Bewertung solcher Taten wie Totschlag, Raub, Vergewaltigung oder Brandstiftung, Taten, die durch die Gesetzgebung aller zivilisierten Völker verboten sind, und außer meiner Meinung nach - sehr erforderlichen Übereinstimmung im Anerkennen der Menschenrechte, bleibt ein riesiger Bereich schwieriger, oft verworrener, sehr komplexer wertbezogener Probleme, die sowohl das individuelle wie das Gemeinschaftsleben betreffen. Nicht ohne Grund können die Anschauungen einzelner Menschen über die optimale Lösung dieser Probleme unterschiedlich ausfallen. Selbst dann, wenn wir alle z. B. die Idee der Gerechtigkeit anerkennen, können wir uns in Fragen ihrer Interpretation, des Bereichs ihrer Anwendbarkeit, der ihr eventuell zuerkannten Priorität, falls sie mit anderen von uns geschätzten Werten in Konflikt kommt, unterscheiden. Es ist nichts Beunruhigendes daran, wenn einzelne Hochschullehrer verschiedene Wertauffassungen vertreten und dadurch den komplizierten Bereich des Guten und des Bösen von verschiedenen Gesichtspunkten aus beleuchten.
Meine Ausführungen zielten vor allem darauf ab, Max Webers Forderung, ein Hochschullehrer solle sich im Hörsaal immer wertneutral verhalten, in Frage zu stellen. Zwar liegen Lernziele im Universitätsunterricht auf der kognitiven Ebene, und man sollte wertende Stellungnahmen nicht mit Erkenntnis verwechseln, doch scheint es mir nicht notwendig zu sein, dem Wertfreiheitsprinzip mit aller Konsequenz treu zu bleiben.