»Von allen Wesen, die, vernunftbegabt,
auf Erden leben
fiel das schlimmste Los
dem Weibe zu.«
Euripides, Medea
Schreibt man Geschichte, so kann man sie sachlich-rational gestalten. Es bleiben ein paar nackte, kühle Fakten und Daten übrig. Verdient die Entstehung von Vereinigungen der Unterdrückten der Erde diese Art der Beschreibung? Ich meine: nein, ihre besondere Not muß mit zum Ausdruck kommen. - Für die Frau war die öffentliche Versammlungsfreiheit bis ins 20. Jh. oft in Frage gestellt. Für die Hausfrau ist sie traditionell gesellschaftlich noch heute tabu. Sogar als Berufstätige verläßt sie das Haus, das ihr seit Jahrtausenden als sozialer Zwangsort zugewiesen ist, nach Beendigung ihrer Arbeit, nicht mehr ohne Einverständnis ihres Mannes. Nur er geht, ohne sie zu fragen, in "seinen" Verein. Im Beruf wiederum ist sie, nach dem Ausebben der ersten Frauenbewegung um 1918, ebenfalls vielfach auf den Weg der stolzen Einzelkämpferin verwiesen, ob als Arbeiterin oder Philosophin. Sie muß sich die Erkenntnis, daß Gemeinsamkeit stärker macht, und die Praxis, den normalen humanistischen Weg zur Erlangung ihrer Menschenrechte im Verein zu gehen, gegen ihr verinnerlichtes Bewußtsein, sie täte damit Unrecht, erst langsam wieder verschaffen. Wo soll sie außerdem die dafür notwendige Kraft hernehmen? Durch die Doppelbelastung mit Mann, Kindern, Haus und Beruf ist sie bereits überbeansprucht. In ihrer dritten Aufgabe, ihre Befreiung zum Menschentum zu bewältigen, wird sie bisher nur von wenig "männlicher" Philosophie und Tatkraft, privat wie gesellschaftlich, unterstützt. Aber auch andere Unterdrückte haben ihr Los gewendet, allerdings nie ohne eigenen Mut und nur unter großen Schwierigkeiten. Es liegt daher nicht unter der Würde geschichtlicher Berichterstattung, auch davon zu erzählen. Und so fing alles an: 1973 erreichte mich, wie alle etablierteren Kolleginnen in der Bundesrepublik ein Brief der Fullbright-Researcherin Dr. Linda McAlister, mit anliegender Empfehlung von Prof. Dr. Wiebke Schrader, aus Würzburg. Er setzte uns davon in Kenntnis, daß amerikanische Philosophinnen, im Zuge der dortigen neuen Frauenbewegung, 1972 eine "Society for Women in Philosophy (SWIP)" gegründet hätten. Sie umfaßt heute ca. 400 Mitglieder. Lindas Idee war es nun, in Deutschland einen ähnlichen Zusammenschluß anzuregen, der sowohl philosophisch-wissenschaftliche Kontakte wie berufsgewerkschaftliche Arbeit (Forderungen nach Bewerbungsquotierung, anonymer Einsendung von Beiträgen zu Kongressen, Oberprüfung von Fragebögen und andere Antidiskriminierungsmaßnahmen) ermöglichen sollte.
Abgesehen davon, daß es in der Bundesrepublik viel weniger Philosophinnen in Professorinnenstellungen gibt-auch heute erst 16 von 262 = ca. 6%- und der Mittelbau noch nicht mit angeschrieben wurde bzw., wie mir oft unter dem Siegel der Verschwiegenheit versichert wird, sich erst recht nicht trauen kann, durch Pochen auf ihr Menschenrecht der Vereinigungsfreiheit bei einem Doktor>vater< die Karriere zu gefährden, tendierten allerdings auch alle Antworten auf Lindas Anfrage, wie sie schrieb, "to be a bit on the timid and conservative side".
Gleichwohl kam am 25/26. 5.1974, unter Lindas und Nancy Newman's (Princeton) Aegide, in Wiebke Schraders immer dankenswert gastfreundlich gebliebenem philosophischen Seminar in Würzburg eine erste Versammlung von 17 Teilnehmerinnen und Teilnehmern Männer, wenn auch nicht in leitender Position, waren als unterstützende Kräfte bei uns von Anfang an nie ausgeschlossen - zustande. Sie gründete eine zunächst lose Gesellschaft unter dem Namen >Assoziation von Philosophinnen in Deutschland(. Letzterer Zusatz wurde gewählt, um Philosophinnen aus der DDR, die damals diese Bezeichnung noch nicht tabuisierte, den Beitritt zu ermöglichen. Das kleine >Symposion< steckte sofort auch einen gewissen Musterrahmen für die spätere Arbeit ab. Es gab philosophische Vorträge ohne speziellen geschlechtsspezifischen Bezug. Daneben kam aberauch dieengagierte Frauenforschung zum Zuge. Den dritten Schwerpunkt bildete stets die Aussprache über die beruflichen Sorgen der Frauen und die Suche nach kurz- oder langfristigen Abhilfen. - Als einzige Professorin wurde ich zur ersten Vorsitzenden gewählt. Ein Bericht über die Gründung konnte, dank dem Entgegenkommen von Prof. Schischkoff, das seine Nachfolger fortsetzen, sofort in der Zeitschrift für philosophische Forschung 28, 1974, 464-65 und der neugegründeten »Information für Philosophie« (Moser) erscheinen.
Leider verliefen sich die meisten der ersten Mitglieder bald wieder vollständig. Die ganze Sache erschien, insbesondere wegen des Widerstandes derjenigen Philosophieprofessorinnen, die einige Macht hatten, weitgehend aussichtslos. Erst nach geraumer Zeit gelang es, nach Gisela Breitling in Irma Tetter geb. Rombach eine neue engagierte, menschlich unschätzbare Geschäftsführerin zu finden, die die Aufbauarbeit und die damit verbundene Mühsal sowie die auf uns zukommende Verachtung tapfer mittrug. Um auf uns aufmerksam zu machen und neue Mitglieder zu gewinnen, versuchten wir, selbstverständlich immer auf eigene Kosten, auf dem Kongreß der »Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie in Deutschland« eine erste öffentliche Mitgliederversammlung abzuhalten. Erst nach monatelangen Bemühungen, auf unsereanfrage überhaupt eineantwortzu erhalten, ermöglichten unsdie Kollegen Menne und Scheibewenigstens diesesvorhaben. Gleichwohl blieb der 7.10.75 ein eklatanter, persönlicher wie sachlicher Mißerfolg. Mit nur etwa vier erscheinenden mutigen Studentinnen schlug der geheime männliche und weibliche Boykott nochmals voll durch.
Es bedurfte also weiterer mühevoller Einzel- und Kleinüberzeugungsarbeit, ehe ein Jahr später, am 30.-31.10.1976, wiederum in Würzburg, ein offizielles Gründungssymposion zusammengebracht war. Die APHD wurde ein eingetragener Verein mit kompletter Satzung und Vorstandsbesetzung (Gründerinnenunterschriften: Brunke, Hübner, Schrader, Schulz-Seitz, Tetter, Tielsch, Weisshaupt). Leider traf uns ein neuer harter Schlag, weil Frau Tetter plötzlich den Geschäftsführerinnen-Posten wegen schwerer Krankheit aufgeben mußte. Sie starb am 8. 12. 1976. Sie selbst hatte allerdings noch für eine Nachfolgerin, Dr. Ruth-Eva Schulz-Seitz aus Tübingen gesorgt. Außerdem gewannen wir mit Dr. Brigitte Weisshaupt eine kundige Kollegin aus der Schweiz als zweite Vorsitzende. Selbst in schlimmsten Zeiten hielt sie sich an unser Galgenhumormotto: »Und sie bewegt sich doch!«
Denn auch noch die Jahre zwischen 1976 und 1978 blieben schwierig. Statt der "timiden" deutschen Kolleginnen bemühten wir uns nun jedoch in steigendem Ausmaß, ausländische Professorinnen zu interessieren. Es zeigte sich dabei, daß sie in ihren Ländern oft noch stärker vereinzelt und diskriminiert leben mußten, wenn sich das in sozialistischen Ländern auch eher auf die Lehre als die Karriere bezieht. Prof. Dr. Ija Lazari- Pawlowska, Polen, und Prof. Dr. Junko Hamada, Japan waren unter unseren ersten Mitbefürworterinnen. Ruth-Eva Schulz-Seitz bemühte sich vor allem um die Gründung einer eigenen Zeitschrift. Ohne die entsprechenden Mittel und Mitarbeiterinnen mußte sich der Plan jedoch noch zerschlagen. Kurz vor dem Düsseldorfer Kongreß trat sie, enttäuscht, von ihrem Amt zurück. Inzwischen ist ein zweimal jährlich erscheinender Rundbrief installiert, für den wir laufend um Nachrichten bitten. Langsam begriffen wir auch, daß ein stärkerer vereinigter Kampfwille erst von der jüngeren Generation von Philosophinnen zu erwarten war. Die Älteren, von Kahl-Furthmann, über Conrad-Martius bis zu Kanthak oder Pape hatten in ihr Einzelkämpferideal schon zuviel investiert, um sich noch umstellen zu können.
Mit diesen Ideen im Kopf, wenn auch sonst leeren Händen, versuchten Brigitte Weisshaupt und ich - eigentlich von allen verlassen - auch die Amerikanerinnen (SWIP) lehnten eine Kongreßmitarbeit ab, da sie "blinde" Vortragsauswahl verlangen - trotzdem auf dem internationalen XVI. Weltkongreß für Philosophie in Düsseldorf einen Durchbruch zu erzielen. Dank Kollegen Diemer wurde jedenfalls der Sitzungstermin reibungslos ins Kongreßprogramm aufgenommen. Privat machten wir, selbst, am Ort, mit noch "verbotenen" Plakaten und Programmzettein auf unsere Veranstaltung aufmerksam. Diesmal gelang es damit aber auch, selbst bei Presse und Rundfunk, voll anzukommen (vgl. Bericht in >Information für die Frau(, Deutscher Frauenrat Bonn Folge 11/12 pp. 19-20,1978). Auf mein vorheriges geschicktes Betreiben (Leserbrief in der FAZ: Evans - von Krbek) wurden außerdem zum erstenmal auf einem Kongreß >Philosophinnen< offiziell mitbegrüßt sowie vom Bundeskanzler zum Gartenfest in Bonn miteingeladen. 1982 traten wir der FISP (Födération internationale des Sociétés de Philosophie) als stimmberechtigtes Mitglied bei.
Wichtiger als dieser kurzlebige äußere Glamourwarjedoch der schon auf dieser Düsseldorfer Sitzung einsetzende, nun eigentlich nie mehr abreißende Zustrom von Philosophiestudentinnen, "freien" und universitätsangehörigen Philosophinnen; wie es unserer der Toleranz, statt dem gewohnten >Schuldenken( verpflichteten Satzung entspricht, natürlich aus allen Richtungen, von Christinnen, wie Sigrid Hunke und Elisabeth Gößmann, biszu Marxistinnen und Anhängern anderer Weltanschauungen. Damit konnten wir im Laufe der folgenden Jahre sowohl unsere ohnedies altmodisch gewordene "Präsidial"-Satzung in ein paritätisches Mitbestimmungsmodell umwandeln, wie auch praktisch, im Team arbeitend, lange liegen gebliebene Aufgaben, ressortmäßig aufgeteilt, besser bewältigen. Für solche Erfolge (Kasse, Mitgliederlisten, Rundbriefe, Kongreßvorbereitung und -leitung) stehen Namen wie Maria Austermann, Silvia Benkert, Heide Göttner, Gabriele Gutzmann, Manon Maren-Grisebach, Ursula Menzer, Cornelia Klinger, Myrta Meuli, Christa Schneider u. a.
Erstes größeres Ergebnis dieser fruchtbaren Vorstandsarbeit auf verbreiterter Basis war das 1. Symposion der IAPH am 17.-19.10.1980 in Würzburg. Ca. 40 Teilnehmerinnen sprengten fast schon das gastfreundliche Seminar von Wiebke Schrader. Die Stimmung war hervorragend. Der Name der Vereinigung wurde entsprechend den inzwischen gewonnenen Einsichten in "Internationale Assoziation von Philosophinnen" umgewandelt. Die dort gehaltenen Vorträge erscheinen in diesem "Zürcher" Band mit.
Durch nunmehr regelmäßige, intensivierte Vorstandsitzungen konnte auch die nächste Mitgliederversammlung, auf dem XII. Deutschen Kongreß für Philosophie vom 29. 9.- 3.10. 1981 in Innsbruck gut vorbereitet werden. Nur die österreichischen Kolleginnen und die Presse stellten sich jedoch entschieden positiv zu uns ein. Deutsche Philosophen und Philosophinnen wagten es noch immer nicht, unsere öffentliche Sitzung zu besuchen. Sie spotteten weiter geheim oder auch vernehmlich über unsere menschenrechtlichen Anliegen.
Eine der Hauptaufgaben der Sitzung war die Vorbereitung für das 11. Symposion in Zürich, dem nun jedes zweite oder dritte Jahr ein weiteres folgen soll. Unter verantwortlicher Leitung von Brigitte Weisshaupt, die zum erstenmal auch einige Fremdmittel besorgen konnte, und in aufopfernder Mitarbeit von vielen Zürcher Studentinnen und Studenten, besonders von Myrtha Meuli, erbrachte es einen nunmehr schon bemerkenswerten öffentlichen Erfolg.
Im Auditorium Maximum der Universität Zürich fanden sich an 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein, die trotz hoher Eigenkosten aus vielen Gegenden Deutschlands und der Welt anreisten. - Die Referate erscheinen in diesem Band. - Unter großer Anstrengung seitens der Herausgeberinnen Manon Maren-Grisebach und Ursula Menzer sowie des Verlegers Herrn Kerz, war es außerdem noch gelungen, pünktlich zu Kongreßbeginn unser "1. Jahrbuch" unter dem Titel "Philosophinnen, VON WEGEN INS 3. JAHRTAUSEND", Tamagnini Verlag, Mainz 1982, herauszubringen. Weitere, ähnliche Jahrbücher sollen folgen, um Philosophinnen spezielle Veröffentlichkeitsmöglichkeiten zu bieten. Dazu kommt der vorliegende Band mit den Würzburger und Züricher Vorträgen, dessen Drucklegung freundlicherweise der Ammann-Verlag, Zürich, übernahm. (Hrsg. Halina Bendkowski und Brigitte Weisshaupt).
Unsere "gewerkschaftliche" Tätigkeit erweiterte sich in den Jahren ebenfalls beträchtlich. Immer mehr Studentinnen und Kolleginnen, dabei auch Nichtmitglieder, baten um Rat oder Hilfe, wenn sie den noch immer nicht eingedämmten kleinen oder großen Diskriminierungen in ihrer Laufbahn ausgesetzt waren. Nicht alle sind heute mehr geneigt, diese Vorfälle fraulichdemütig oder karrierebewußt mit gekrümmtem Rücken hinzunehmen. Wie der uns allmählich mögliche Überblick zeigt, häufen sich nicht nur die öffentlich gewagten Klagen, sondern auch die echten Prozesse um von vornherein ungünstige Zusammensetzung von Berufungsgremien. Rechtlich denkende Rektoren mußten an verschiedenen Universitäten deswegen selbst schon Rügen an die Fakultäten erteilen. In Amsterdam führte Hannelore Schröder einen ersten Prozeß aufgrund des dort schon gültigen besseren Indiskriminierungsgesetzes durch.
Gewiß kann unsere Einschaltung mit Mahnung odergutachten in diesen Fällen meist keine entscheidende Wende herbeiführen. Noch gibt es an den Universitäten wie auch bei den die Berufungen aussprechenden Kultusministern allzuviele Beamte, die nicht fest auf dem Boden des Art. III unserer Verfassung stehen, d. h. ihn nicht mit allen ihren Kräften zu verwirklichen trachten. Selbst diese unsere Arbeit ist aber nicht umsonst gewesen. Mitsamt der der anderen Frauenbeauftragten oder autonomen Vereine wird sie, als überindividuelle, auch stets unersetzlich bleiben. Denn sogar in gewissem Umfang besiegtes Unrecht wächst ständig nach. Es sind Instanzen nötig, die den Standard halten. Wir stärken damit außerdem noch die Philosophinnen, die, ohne ihr Recht auf wohlverdiente, bessere Berufswege erhalten zu haben, auf den Scherben ihres Lebens sitzen bleiben, und machen dort nachdenklicher, wo männliche Macht oft noch ganz unbewußt vor Recht geht. Auch ein schlechtes Gewissen zu erzeugen, ist schon ein kleiner humanistischer Erfolg.
Im Überblick über die nunmehr neunjährige Geschichte unserer Assoziation von Philosophinnen, läßt sich also nicht sagen, daß wir, in den Augen vieler, mehr als ein "Ärgernis" (Kierkegaard) geworden sind. Immerhin ist durch uns schon jetzt der seit der Antike vergessene Name und Beruf der "Philosopha", neben dem "Philosophus", wieder bekannt geworden. Kolleginnen beginnen erneut zu realisieren, daß sie, soviel jede auch auf eigene Anstrengung und Durchsetzungskraft angewiesen bleibt, dabei doch Mitstreiterinnen haben, mit denen es Zusammenarbeit gibt. Am erfreulichsten, aus meiner persönlichen philosophischen Sicht heraus, ist es aber, wieder einmal bestätigt zu finden, daß Sozialität und Gerechtigkeitssuche für den anderen erst das abschließende menschliche Glück ausmacht. Denn, wie ein die Gleichberechtigung der Frauen schon in der Antike fordernder und praktizierender Philosoph erkennt:
»Man kann nicht in Freude leben, ohne vernünftig, anständig und gerecht zu leben. Aber man kann auch nicht vernünftig, anständig und gerecht werden, ohne Spaß daran zu haben.« (Epikur, Rata sententia 5)
Nur die Aussicht auf das Glück, das man daraus zieht, nicht die Ermahnung zu einer lästigen Pflicht, motiviert den Menschen erfolgreich zur Praktizierung der Solidarität. Mit John Stuart Mill ist zu wünschen, daß auch der Philosophus allmählich wieder begreift, daß ihm Gleichberechtigung trotz Arbeitslosigkeit mehr einbringt, als gerade seinen Weisheitsberuf zu 94% allein zu beanspruchen. Auch dafür also steht unsere Gründung einer »Assoziation« von Philosophinnen.