Matrillinearität bei den Hopi:

Neue Ansätze

Wie sähe eine Gesellschaft aus, in der Frauen und Männer Status, Privilegien und Verantwortung in gleicher Weise teilten? Bei der Suche nach Antworten auf diese Frage wurde in den letzten Jahren alten Matriarchaten große Aufmerksamkeit gewidmet. Es gibt jedoch noch in unserer Zeit und in unserer Nähe Kulturen, in denen die Abstammung über die weibliche Linie erfolgt (matrilinear) und Frauen die Häuser besitzen (matrilokal: der Mann zieht in das Haus seiner Frau). Unter diesen Gruppen stechen die Hopi als älteste der bestehenden eingeborenen amerikanischen Kulturen hervor. Seit mehr als tausend Jahren leben sie auf dem Tafelgebirge im Nordosten Arizonas.
Bei den Hopi sind die Geschlechter gleichberechtigt. Sie gehören nach Schlegel zu der Kategorie matrilinearer Verwandtschaftssysteme, in denen weder Bruder noch Ehemann die Frauen kontrollieren (im Gegensatz zu anderen Kategorien):

  • Ich war mit der Ansicht ins Hopiland gekommen, daß die Brüder großen Einfluß auf die Frauen ausübten und die Ehemänner praktisch keinen. Was ich dann jedoch sah, war ein fein abgestimmtes Gleichgewicht vorsichtiger Vorschläge und einfühlsamer Einflußnahme von beiden Seiten, während die Frauen tatsächlich den »Hühnerhof« regierten.[1]

Kein Geschlecht ist dem anderen unterlegen. »Die Ergänzung der Geschlechter ist institutionalisiert.«[2] Soziale Verantwortung, nicht Privilegien werden betont. Ein Hopi-Sprichwort sagt: »Jederzeit kann jemand Hilfe gebrauchen, so helfen wir einander.«
Obwohl die Frau bei den Hopi respektiert wird und herausragende Positionen bekleidet, tendierte die anthropologische Literatur dazu, ihren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Status zu ignorieren oder unterzubewerten. Viele Anthropologen kommen natürlich mit eigenen kulturellen Vorurteilen und Erwartungen daher. Da die meisten von ihnen zudem Männer sind, haben sie in der Regel keinen Zutritt zu Frauengruppen und können daher das Verhalten der Frau nicht frei beobachten. Deshalb konzentrieren sie sich auf die Männer. Was eine Person über eine Gesellschaft erfährt, hängt von ihren Fragen ab. Bis heute haben nur wenige Anthropologen Status und Autorität der Frau bei den Hopi genauer untersucht.
Bei der Durchsicht der Literatur über die Hopi drängt sich die Notwendigkeit einer Art Fibel für die Erforschung der Gleichberechtigung unter den Geschlechtern auf.

Verwandtschaftssystem

Grundlegende Verwandtschaftseinheit ist der Clan mit der weiblich bestimmten Abstammung. Jedem der 21 matrilinearen Clans steht eine Clanmutter vor; meist ist es die älteste Frau, die verantwortlich ist für Haushalt, Überschüsse und Problemlösungen. Während sie der »tatsächliche« Vorstand ist, führt den »zeremoniellen« Vorsitz gewöhnlich ihr Bruder, der für die meisten religiösen Zeremonien zuständig ist. Die Heiligtümer des Clans, wie Fetische und andere geheiligte Gegenstände, befinden sich im Clanhaus unter der Obhut der Clanmutter.
Die wirtschaftliche und soziale Sicherheit der Frau hängt nicht von ihrem Stand ab. Frauen besitzen die Häuser und vererben sie gewöhnlich der jüngsten Tochter.[3] Außerdem gehören Hauseinrichtung, Ernten, Lagerhäuser und Saatgut den Frauen des Clans. Verantwortlich dafür ist die Clanmutter. Quellen, Gärten und Felder befinden sich im gemeinsamen Besitz des Clans und werden den Haushalten durch das weibliche Oberhaupt zugeteilt. Ein Großteil der Tiere und Obstbäume gehört den Männern. Die Kinder »gehören« den Frauen in dem Sinn, daß sie dem mütterlichen Haushalt verbunden bleiben. Der Mann verläßt das Haus seiner Frau bei Trennung und Scheidung, während die Frauen eine feste Zufluchtsstätte haben.
Der Haushalt besteht aus der Frau, ihrem Mann, ihren unverheirateten Töchtern und Söhnen. Ihre verheirateten Töchter und deren Männer und Kinder wohnen in angrenzenden Flachdachräumen, neben- oder übereinander und dem Innenhof zugewandt. Jeder Haushalt ist eine unabhängige wirtschaftliche Einheit; jedes Mitglied arbeitet mit den anderen für das Gemeinwohl. Wird das Pueblo nach der Geburt mehrerer Kinder zu klein, muß der Mann nebenan ein Haus für die Familie bauen.
Frauen sind für alle Tätigkeiten im Haushalt verantwortlich. Frauen und Mädchen sorgen für die Kinder, mahlen das Korn, bereiten das Essen zu, holen das Wasser vom Brunnen, bebauen den Gemüsegarten, töpfern und flechten Körbe. Männer und Jungen bewirtschaften das Land, hüten das Vieh, sammeln Brenn- und Bauholz, spinnen, weben, färben Leder. Gemeinsam mit den Frauen gestalten sie die Zeremonien. Kinder benennen ihre biologische Mutter und deren Schwestern mit der Verwandtschaftsbezeichnung für Mutter, inqu'u; Schwestern bezeichnen ihren Nachwuchs mit dem gleichen Begriff, iti'i. Kinder von Schwestern betrachten einander als Geschwister. Stirbt eine Frau, adoptiert ihre Schwester die Kinder.
In die Kindererziehung teilen sich mehrere Mitglieder des Clans. Die Frauen aus dem Haus des Vaters spielen wichtige Rollen bei Geburt und Namensgebung. Sie entwickeln eine tiefe und dauerhafte Beziehung zum Kind. Kinder haben außerdem noch »zeremonielle« Mütter und Väter, die sie in verschiedenen Organisationen fördern.

Werbung, Heirat und Trennung
Im Liebeswerben sind Frauen aktiv und direkt. Um eine Heirat einzuleiten, schenkt das Mädchen dem Jungen ihrer Wahl einen Laib gomi, einen besonderen Maiskuchen. Der Junge muß das Geschenk annehmen, um sie nicht zu verletzen. Wenn er und seine Familie den Antrag annehmen, zieht die zukünftige Braut zur Zeremonie des dreitägigen Maismahlens vorübergehend in das Haus seiner Mutter. Während sie den Mais mahlt, weben die männlichen Verwandten des Mannes ihre Hochzeitsgewänder, die später zu ihrem Leichentuch werden, mit dem ihre Seele in die Welt der Geister entschwebt. Bei einer Scheidung wird sie diese Hochzeitsgewänder mitnehmen, denn sie hat ja dafür mit ihrer Arbeit bezahlt. Der nächste Mann muß sich darum nicht mehr kümmern.[4]
Liebeswerben und Heirat werden von Anthropologen und Anthropologinnen erstaunlich unterschiedlich bewertet. Titiev [5] legt keinen Wert auf die Tatsache, daß das Mädchen die Initiative ergreift. Er betont vielmehr die nächtlichen Ausflüge des jungen Mannes, bei denen er sich mit Decken verhüllt vor dem Fenster des Mädchens einfindet. Während Schlegel die Folgen der Matrilokalität für den Mann gut dokumentiert,[6] läßt Titiev sich gar nicht darüber aus. Oft zögert der Junge, die Bequemlichkeit im mütterlichen Heim gegen harte Arbeit, Verantwortung und Einschränkungen seiner Freiheit einzutauschen. Manchmal geht er auch gar nicht oder erst nach einiger Zeit. Schlegels Studie [7] zeigt als Kontrapunkt deutlich das Gefühlstrauma der Bräute in patrilokalen Kulturen, die diesen weit weniger Unterstützung bieten als die matrilokale Hopikultur den Männern. Die wirtschaftliche, soziale und emotionale Sicherheit bezieht ein Mann aus der erweiterten mütterlichen Familie und nicht aus der, in der er sich fortpflanzt. Obgleich er im Haus seiner Frau ißt und schläft, geht er an Feiertagen meist zum eigenen Clanhaushalt, wo er höher angesehen ist. Er wirkt auch als strenger Lehrer, falls es nottut, doch eher bei den Kindern seiner Schwester als bei den eigenen.
Frauen bei den Hopi müssen nicht verheiratet sein, um wirtschaftlich abgesichert zu sein oder ein Kind aufzuziehen. Die Scheidungsrate in matrilinearen Kulturen ist eher hoch, oft um 50 Prozent. Bei einer Scheidung bleiben Frau und Kinder im eigenen Heim mit ihren Verwandten. Es wird erwartet, daß das Paar sich um Einigung bemüht und der- oder diejenige, von dem/der die Verletzung ausgeht, wird kritisiert, besonders, wenn der Gefährte/die Gefährtin sich »fleißig und zur Zusammenarbeit bereit« zeigt.[8] Bei einer Scheidung zieht der Mann einfach mit seiner Habe aus oder die Frau setzt ihn damit vor die Tür. Wiederverheiratung ist üblich und einfach, zumal ja für die zweite und dritte Heirat keine Geschenke (Mais und Gewänder) mehr ausgetauscht werden müssen. Die Wiederverheiratung muß aber zwischen Personen gleichen Standes erfolgen, das heißt, beide müssen bereits geschieden sein.
Im allgemeinen empfindet die Hopifrau ihren Mann als relativ unwichtig für ihr Leben. Auf die emotionale Abhängigkeit der weißen Ehefrauen (bahana) sieht sie herab.[9] Manchmal trennt sich die Frau von ihrem Mann, nachdem sie ein Mädchen geboren hat. »Jetzt, da ich mein kleines Mädchen habe, brauche ich meinen Mann nicht mehr. Meine Familie besitzt noch Land und meine Brüder werden es für mich bebauen.«[10]
Titiev kann die »mangelnde Stabilität« der Ehen und die »Laschheit« der Scheidungsgebräuche mit der gleichzeitig herrschenden sicheren Sozialstruktur nicht in Einklang bringen. Andererseits erkennt er an, daß die Kernfamilie nicht das ist, was der Hopigesellschaft Dauer verleiht:

  • Die Stärke und Beständigkeit des Haushalts wird durch den Zusammenbruch der Kleinfamilie kaum beeinträchtigt. Dadurch bleibt die Sozialstruktur der Hopi ungebrochen, obwohl solche störenden Elemente wie Ehebruch und Scheidung weitverbreitet sind.[11] (Hervorhebung durch die Verfasserin.)

Sozialisation

Die Sozialisationsmuster bei den Hopi bezeugen weiterhin die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und werfen ein Licht auf die Grundlagen für Selbstachtung und Würde der Frauen. »Die Ansichten der Hopi über soziale Interaktionen und ideologische Auslegungen basieren auf dem Grundsatz, daß die Geschlechter — trotz ihrer Unterschiede - gleich sind.«[12]
Gleichbehandlung und emotionale Sicherheit sind offenbar die Grundthemen in den ersten Jahren der Kindheit. Jungen und Mädchen werden bis zum Erreichen des Erwachsenenalters mehr oder weniger gleich behandelt. Mit ungefähr vier Jahren werden beide für bestimmte Verantwortlichkeiten erzogen. Beide Geschlechter werden im Alter von sechs oder sieben Jahren gemeinsam initiiert und erhalten die gleiche rituelle Unterrichtung. Die Heranwachsenden spielen in gemischten Gruppen und können, wenn sie wollen, bestimmten Zeremonialgesellschaften beitreten wie der Schlangen-Gesellschaft für Männer und der Mamzrau-Gesellschaft für Frauen.[13] Es gibt nur milde Disziplinarmaßnahmen in den ersten Jahren, hingegen sehr viel Zuwendung und Zuneigung. Kinder werden »eher beobachtet als eingeschränkt«.[14] Die starke Abhängigkeit von der Kleinfamilie, so charakteristisch für die westliche Kultur, fehlt bei den Hopi.
»Kinder werden zu Hopi erzogen, erst in der Reifezeit werden Mädchen zu Frauen sozialisiert.«[15] Mit der Pubertät tragen die Mädchen das volle Gewicht der Haushaltspflichten, während die Jungen ihre zeremoniellen Pflichten nicht vor der zweiten Initiation gegen Ende der Teenagerzeit oder in den frühen Zwanzigern zu erfüllen haben. Meist sind sie erst nach ihrer Heirat für eine Herde oder ein Feld verantwortlich.
Matriarchate werden oft als friedliebend, gleichberechtigt und voller Ehrfurcht vor dem Leben beschrieben. Die Entwicklung solcher Eigenschaften ist das Ziel der Hopi-Sozialisation. Hopi heißt »friedliches Volk«. Aggression innerhalb der Gemeinschaft wird bedauert. Unter Männern dauern gelegentliche Kraftproben so lange, bis die Zuschauer intervenieren. Über diese seltenen Kämpfe wird Jahre geredet. Frauen wird das Kämpfen weniger verboten. Obwohl ebenso ungewöhnlich, glaubt man, daß Kämpfe unter Frauen häufiger stattfinden als unter Männern. Meist werden sie durch die Eifersucht eines Mannes angestachelt.[16]
Individuen müssen ihren Einsatz für den Bestand der Gemeinschaft leisten, Privatinteressen dem Gruppeninteresse untergeordnet werden. Bescheidenheit und Konkurrenzlosigkeit herrschen vor. Die Pflicht wird zuerst der Familie und der Gemeinschaft gegenüber erfüllt, und das Streben nach persönlichem Erfolg wird entmutigt. Man sollte vielmehr danach trachten, sich schlechter als die anderen darzustellen. Sich zu schlau oder zu wohlhabend zu zeigen, birgt das Risiko in sich, als Hexe betrachtet zu werden, das heißt, als jemand, der sein Herz der Macht geopfert hat und andere Herzen stehlen muß, um selbst lebendig zu bleiben.
Interessant dabei ist, daß die Hopikinder, die aus dieser unterstützenden, konkurrenzlosen Umgebung kommen, bei Intelligenztests besser abschneiden als andere Ureinwohnerkinder und die meisten weißen Kinder. Sie zeigen außergewöhnliche kreative Fähigkeiten sowie eine Begabung zur intensiven und ausgedehnten Konzentration. Und doch mögen sie es nicht, einzeln gelobt zu werden. Zum Beispiel wird das Kind, das mit den Aufgaben in der Schule am schnellsten fertig ist, so lange sitzen bleiben, bis ein anderes ebenfalls fertig ist. Ein Basketballspiel wird stundenlang ohne Punktrechnung weitergehen, weil die Freude am Spiel zählt und nicht der Wettstreit.[17]
Man erwartet von den Menschen, daß sie eigene Entscheidungen fällen. Pi um'i, »es liegt an dir«, ist ein geflügeltes Wort und bezeugt den Respekt vor der individuellen Autonomie. Die Hopi urteilen schnell, zögern aber mit Ratschlägen, denn jede Person trägt selbst die Verantwortung für die Folgen einer Entscheidung.
Hopi töten nur der Nahrung wegen und verwerten das ganze Tier, sobald es getötet wurde. Niemals soll etwas unnötig gepflückt oder zerstört werden, nicht einmal Unkraut, es sei denn, man will es benutzen.[18] Krankheit kann »weggewünscht« (gebetet) werden, indem man sich auf gute Gedanken konzentriert, so wie bei der Technik der Visualisierung.
Der Hauptunterschied in der Sozialisation der Mädchen und Jungen liegt darin, daß »Aggression bei Frauen als natürlich erachtet«,   während von Männern eher Friedfertigkeit erwartet wird.[19] Heranwachsende Mädchen sind ihren Müttern gegenüber oft sehr ungehörig, was von diesen als natürliche, kindliche Unbedachtheit mit Lachen quittiert wird. Schlegel nennt zwei Hauptgründe dafür, daß Aggressivität eher bei Frauen geduldet wird als bei Männern. Zunächst sind Frauen die Mütter des Volkes und müssen daher ihre natürliche Wildheit entwickeln, um ihre Jungen zu schützen. Außerdem bedroht die weibliche Aggressivität die Solidarität der Gemeinschaft weniger als die männliche Aggression.
Da sie größere Verantwortung für Riten und Rituale tragen, müssen sich Männer zum Wohl der Gemeinschaft besser kontrollieren. Im Gegensatz dazu wird weibliche Aggressivität als natürlicher Aspekt der Autonomie der Hopifrauen ermutigt.
Titiev erklärt sich die weibliche Aggressivität ganz anders. Er sagt: »Knaben sind fügsamer als Mädchen und können ihre Launen besser im Griff halten.«[20] Mädchen hegen zu viele Rachegedanken und sterben dann oft aus Selbstmitleid. Nach Titiev haben die Mädchen ein zu hohes Selbstwertgefühl; sie werden eitel ob ihrer künftigen Rolle als Mütter, die den Fortbestand des Clans sichern. »Sie mißachten sogar die Ratschläge ihrer Brüder und Onkel mütterlicherseits.«[21]
Ist es nicht interessant, daß sich unter den meist wohlwollenden kachinas eine scheußliche befindet? Diese kachina ist ein Monster, das angeblich unartige Kinder frißt. Und Soyoko, wie die kachina heißt, ist weiblich!
Ein typischer Ausspruch einer Frau lautet: »Eine Tochter ziehst du für dich selbst groß-, einen Sohn für jemand anderen.«[22] Mädchen werden deshalb vorgezogen, weil sie mit oder zumindest nahe bei der Mutter bleiben während ein Junge seinen Wohnsitz, seine Arbeitskraft und Verantwortung in den Haushalt seiner Frau einbringt. »Er zieht rüber auf ihre Seite«, ist ein gängiger Ausdruck, der die veränderten Treuepflichten eines Mannes nach der Heirat umschreibt. Töchter sind den Männern ebenso teuer wie den Frauen. Ein alter Mann wird mit seiner Tochter leben, die ihrer Mutter Haus geerbt hat; er hat keinerlei Recht, in seiner Schwiegertochter Haus zu leben. »Ein alter Mann ohne Tochter befindet sich in einer nicht beneidenswerten Situation.«[23] Paare ohne Töchter adoptieren Mädchen, oft das Kind einer biologischen oder klassifikatorischen Schwester der Frau.
Selbst kleine Mädchen sollen mit Respekt behandelt werden. Sie werden weniger streng bestraft als Jungen, denn sie werden »groß werden und piki (Maiswaffeln) für uns backen«.[24] Frauen werden als soziale und spirituelle Quelle des Lebens angesehen. Sie gebären Menschen und ernähren sie und »füttern« auch die Zeremoniengegenstände. Selbst die Hexen, die fremde Herzen stehlen, damit sie länger leben, ziehen das Herz eines Mädchens dem eines Jungen vor, da es ihnen acht zusätzliche Lebensjahre verleiht im Gegensatz zu lediglich vier. Die Sprache enthüllt die zentrale Rolle der Frauen im Denken und in der Kultur der Hopi. Viele Ortsnamen beziehen sich auf die weibliche Anatomie, wie »Pferdescheide«, »Klitorisbrunnen« oder »Mädchenbrustspitze«.
Auch die Frauen selbst halten sich für wichtiger als die Männer, wenngleich sie zugeben, daß auch Männer wichtig sind. Aber der Platz des Mannes ist außerhalb des Hauses, das Haus aber ist das Herz des sozialen Geschehens.
In matrilinearen Gesellschaften sind Einschränkungen während der Menstruation am wenigsten vorhanden, da ja weder Ehemänner noch Brüder Macht über die Frauen ausüben.[25] Es gibt keine Tabus oder Schamgefühle in bezug auf das Menstruationsblut. Menstruation ist einfach etwas, »was Frauen tun«.
Hopi gehen relativ frei und offen mit der Sexualität um; sie ist gut, da sie Leben hervorbringt. Beispielsweise können Hopi entfernte Clanverwandte zwar nicht heiraten, aber gleichwohl Sex mit ihnen haben. Es gibt keine unehelichen Kinder; jedes Kind ist volles Mitglied der Familie seiner Mutter. Wenn der Vater nicht bekannt ist oder seine Familie den Vollzug der angebrachten Rituale verweigert, wird die Familie der Mutter die Rituale ausführen. Wenn die Frau heiratet, wird ihr Mann der soziale Vater ihrer Kinder.

Religion

Das Zeremonialsystem ist »unausgesprochen eingebettet in das Alltagsleben der Hopi — in Institutionen, bei der Kindererziehung, im Brauchtum, in den Künsten, den Wertvorstellungen, Charaktereigenschaften und in der Mentalität«.[26] Obwohl Anthropologen sich oft auf das »männlich orientierte Zeremonialsystem« berufen, ist es doch unmöglich, das religiöse System von der weiblich orientierten Sozialordnung abzuheben.
Die  zwölf Zeremoniengesellschaften gehen quer durch die Clans; jeder Gesellschaft steht der Bruder der Clanmutter vor.
Neun der Gesellschaften sind männlich, drei weiblich; gleichwohl spielen Frauen wesentliche Rollen in den Männergesellschaften und Männer einige größere Rollen in den Frauengesellschaften:

  • Das Beziehungsgeflecht zwischen den Verwandtschafts- und Zeremonialsystemen gibt der sozialen Ordnung der Hopi ein einzigartiges organisches Gleichgewicht und erhält den gleichberechtigten Status von Männern und Frauen. Jedes Geschlecht hat seine eigene, einzigartige und unersetzliche Rolle am jeweiligen Platz. Die sich ergänzenden biologischen Funktionen von Mann und Frau wurden in einem komplexen und ausgewogenen Sozialgefüge verankert.[27]

Wenn es auch weniger Frauen- als Männerzeremonien gibt, so werden diese doch in einer entscheidenden Jahreszeit, der Erntezeit, abgehalten und befassen sich mit Erhaltung, Fruchtbarkeit und Verteilung der Güter, ganz sicher Hauptaspekte einer Hopi-Existenz.
Die Führung einer religiösen Gesellschaft ist keineswegs heldenhafte Machtausübung, wie von den meisten Anthropologen dargestellt. Führerschaft »wird nicht gesucht, erfordert Zurückhaltung und ist mit hohen moralischen Verpflichtungen befrachtet«.[28] Die Betonung liegt auf der Verantwortung für das Wohl des Stammes und nicht auf dem Ansehen oder der Macht des Individuums im Amt. Da der Chef der Bruder der Clanmutter ist, kann sie beträchtlichen Einfluß auf ihn nehmen. Darüber hinaus wird sein Nachfolger unter seiner Schwester Söhnen ausgewählt, die besondere Führungseigenschaften zeigen.
Fundament der Hopireligion ist die Erde, die als Lebewesen: die Mutter, gesehen wird. Die Menschen sind aus ihrem Fleisch gemacht und trinken an ihrer Brust: Ihre Milch sind Gras und Mais. Zwei bedeutende Religionsfiguren sind Mutter Erde und Mutter Mais. Hüterin von Mutter Erde ist die Spinnenfrau, eine der ursprünglichen Erschafferinnen in den Schöpfungsmythen der Hopi. Sie hat die Macht, die Menschen in den Schoß der Erde zurückzuführen. Tatsächlich werden Spinnen, eine weiblich dominierte Insektengesellschaft, bis auf den heutigen Tag bei den Hopi verehrt. Bei der Erschaffung der vier Welten — Teil des Schöpfungsmythos der Hopi — waren es die Ameisen (ebenfalls weiblich bestimmt) in ihren unterirdischen Behausungen (Prototypen der Hopi kivas), die die »guten« Hopi immer dann retteten, wenn eine der Welten zerstört wurde.
Das Symbol dieses Auftauchens zeigt sich den Hopi in zwei Formen der Mutter Erde-Symbole, die in einen Felsen nahe Oraibi (das älteste Pueblo), aber auch anderswo eingemeißelt sind. Das eine ist quadratisch, das andere rund und beide zeigen Ta Puat, Mutter und Kind: das ungeborene Kind im Schoß von Mutter Erde. Jedes Symbol eines Labyrinths zeigt in seinen inneren Linien die Häute des Fötus und in den äußeren Linien die Arme der Mutter wie auch die konzentrischen Grenzen des Hopilands. Ähnliche Labyrinthsymbole werden mit anderen frauenbestimmten Kulturen, wie beispielsweise dem minoischen Kreta, in Verbindung gebracht.
Die drei Zeremonien der Frauen: Lakon,MarawuundOwaqlt, werden von den Frauengesellschaften im Herbst, von September bis Anfang November, aufgeführt. Sie befassen sich mit Fruchtbarkeit, Heilen und Jagen. Heute jagen Frauen und Männer die Kaninchen. In den Frauenzeremonien wird großer Wert auf das Keimen, das Kommen des neuen Jahres und des neuen Lebens gelegt. Mit diesem Zyklus ist die Jungfrau Maraw verbunden, deren Bild in einen Fels in der Wüste gemeißelt ist: Da sitzt sie mit ihren weitgeöffneten Schenkeln, die riesige Vulva geöffnet zu Beischlaf und Befruchtung. Die Symbole sind zugleich mit den Fruchtbarkeitszeremonien der Frauen in das gesamte Wirtschaftssystem der Hopi integriert.

 

Schluß

Bei den Hopi erfreuen sich die Frauen einer wirtschaftlich sicheren Position, die unabhängig von ihrem Stand ist. Sie sind voll an wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen beteiligt. Die Vorrangstellung der Frauen im Erb- und Verwandtschaftssystem sowie die der Männer bei den freiwilligen Geheimgesellschaften sichern beiden Geschlechtern Stabilität und gleichwertigen Status.
Schlegel [29] sagt voraus, daß matrilineare Systeme wegen ihrer Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an wechselnde Umweltbedingungen weiter überleben werden. Darüber hinaus sind in solchen Systemen verschiedene Organisationsformen möglich. Selbst wenn zum Beispiel das Zeremoniensystem der Hopi zusammenbräche, könnte die Matrilinearität weiterbestehen. Matrilineare Organisationen bieten nachfolgenden Generationen selbst unter Kolonialismus und Unterwerfung Schutz, wie die Erfahrung der eingeborenen Völker Amerikas zeigt.
Ein Vergleich der Entdeckungen von Anthropologinnen und Anthropologen über die Hopi ist sehr lehrreich. In ihren Angaben über Verwandtschaft, Sozialisation und Religion spielen die Anthropologen Titiev, Fred Eggan und Euler ständig Rolle, Bedeutung und Autorität der Hopifrau herunter; während die Anthropologinnen Schlegel, Dorothy Eggan und Thompson weit ausgeglichenere Materialien über weibliche und männliche Rollen liefern.
In ihrer Diskussion des Verwandtschaftssystems unterschätzen die Anthropologen die Initiative der Frau im Liebeswerben ebenso wie die Bedeutung einer Erbin für die Clanvorsitzende. In der Interpretation der Heirats- und Scheidungsbräuche der Hopi erlauben sie, daß ihre Ansichten über die europäisch-amerikanische Kleinfamilie ihnen den Blick auf die Hopi mit Vorurteilen trübt. Anthropologen negieren oder unterschätzen solche Sozialisationsaspekte wie die vergleichsweise größere Bedeutung weiblicher Kinder für die Clanstruktur, ebenso die außergewöhnlichen Aspekte der Mutter-Tochter-Beziehung. Die Beteiligung der Frauen in religiösen Bereichen wird kaum diskutiert, was den Eindruck vermittelt, das religiöse Leben der Hopi werde ausschließlich von Männern bestimmt. Die ausgeglichenere Sichtweise der Anthropologinnen auf die Hopigesellschaft führt zu der Schlußfolgerung, daß matrilineare, matrilokale Verwandtchaftssysteme bei der Suche der Frauen nach ihrer Utopie weiter erforscht werden müssen.

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