Die ökonomisch-ökologische Krise und die Erstarkung des Konservatismus in der BRD sind an der Schule nicht vorübergegangen. Schüler- und Lehrerdasein sind schwieriger geworden. Wir alle kennen Symptome wie individuelle Rückzugstendenzen, Privatisierung und abnehmendes Interesse an gewerkschaftlicher Arbeit. Die durch die gestiegenen Belastungen des Lehrerberufs entstehenden Probleme werden von den Betroffenen häufig eher in Psychotherapie und Selbsterfahrungsgruppen zu lösen versucht als durch veränderndes politisches Handeln. Wir sind überzeugt, daß es nicht der richtige Weg ist, gesellschaftlich bedingte Probleme individuell zu lösen. Andererseits klammern herkömmliche Politikformen Individuelles häufig aus. Es scheint so, als hätten Psychologie und Politik miteinander nichts zu tun.
Die beim Bezirksverband Lüneburg am 3. 12. 1986 gegründete Arbeitsgruppe GEWERKSCHAFTLICHE SCHULUNG UND LEHRERFORTBILDUNG hat sich vorgenommen, Politikformen zu entwickeln, in denen Individuelles und Gesellschaftliches nicht voneinander getrennt sind. Nützlich dafür erscheint uns die KRITISCHE PSYCHOLOGIE, weil sie eine Subjektwissenschaft entwickelt, die die Vermittlung des Individuellen und Gesellschaftlichen in dem Begriff der Handlungsfähigkeit faßt. Auf dieser Basis wollen wir eine gewerkschaftliche Schulungs- und Fortbildungskonzeption erarbeiten. Dabei werden die alltäglichen Konflikte in der Schule und die damit verbundenen Probleme der Betroffenen in einem Analyseprozeß als Niederschläge gesamtgesellschaftlicher Verhältnisse durchdrungen.
Das allgemeine Ziel dieser Fortbildung ist die Erweiterung der politischen Handlungsfähigkeit der Beteiligten.
Die Grundidee für eine solche Fortbildungskonzeption wurde erstmals auf der "Duhner-Woche 1985" entwickelt (vgl. Arbeitsheft 23). Vom 27.-29. Juni 1986 wurde dann vom Bezirk Lüneburg in Zusammenarbeit mit der Universität Hannover ein erstes, Fortbildungsseminar durchgeführt. Es trug den Titel Entfaltete oder eingeschränkte Handlungsfähigkeit? - Schule als gesellschaftlicher Handlungsraum. Die Erfahrungen auf diesem Seminar führten dazu, daß diese Gruppe gemeinsam eine Arbeitsgruppe für die "Duhner-Weche 86" vorbereitete und durchführte: Erweiterung der politischen Handlungsfähigkeit von Lehrern in schulischen Konflikten (vgl Arbeitsheft 25). In beiden Fortbildungen lag der Schwerpunkt der Arbeit in einer theoriegeleiteten und handlungsorientierten Analyse der je eigenen schulischen Praxis.Analyse und Steigerung von Handlungskompetenz muß von systematischer Theoriearbeit begleitet sein, wenn wir nicht in der Pseudokonkretheit unserer Alltagserfahrung stecken bleiben wollen. Deshalb haben wir in diesem Reader Texte der Kritischen Psychologie zusammengestellt, die uns den theoretischen Rahmen liefern, in dem wir Fragen an unseren Schulalltag in der Perspektive seiner Veränderung stellen.
In den ersten beiden Aufsätzen werden Grundgedanken der Kritischen Psychologie vorgestellt. Die Texte 3 - 8 stellen in verschiedener Weise eine kritisch-psychologische Anordnung von Fragen der Subjektentwicklung und der Erziehung dar, während die Aufsätze 9 und lo sich mit in der Pädagogik verbreiteten psychotherapeutischen Konzepten kritisch auseinandersetzen. In den teilweise kontroversen Texten 11 und 12 geht es um die ideologische Funktion von Bildung und Schule. Der letzte Text (Nr. 13) arbeitet am Beispiel der Friedensbewegung die herrschaftsstabilisierende Funktion einer Trennung von Gefühl und Verstand heraus und hat damit eine auch in der Gewerkschaftsarbeit vorhandene Problematik zum Gegenstand.
Wir gehen davon aus, daß dieser Reader über seinen Nutzen für unser Projekt, das grundsätzlich allen Interessierten offensteht, hinaus neue Denkanstöße für die Schularbeit liefert.
AG Gewerkschaftliche Schulung und Lehrerfortbildung