Ihre Sprache erschien den Zeitgenossen zunächst fremd den neuen Generationen klang sie schon vertrauter; das Geschlecht von morgen wird ihr aber aus der Tiefe seines Herzens und seiner Vernunft lauschen. Es wird einig sein das zu verurteilen was sie verurteilte das zu fordern was sie forderte: ihre Stimme wird es zu der seinen machen ihrer Seele sich zugehörig fühlen. Die Regierungen die solange sie lebte nur zweifeln verneinen und spotten konnten werden feierlich der Enthüllung ihres Denkmals beiwohnen und was sie ihr gestern noch zum Vorwurf machten das werden sie dann als neue Wahrheit entdecken. Tot ist nicht die Suttner, tot ist die Politik der Rüstungen: diese unselige und lächerliche, tragische und nichtige Politik die zu leben scheint weil die Konvulsionen ihrer Agonie als Leben gedeutet werden die aber durch alle Völker bereits verurteilt ist.
Aus dem Nachruf von Paul d'Estournelles de Constant [1] in der «Frieden wartet» (1914)
«Untätig in dürftigen Verhältnissen zu Hause bleiben und da versauern, das wollte ich auch nicht. Welt wollte ich noch sehen, Arbeit wollte ich leisten.»
So beschreibt Bertha von Suttner in den «Memoiren» ihren Zustand im Alter von dreißig Jahren. Auch in ihr kündigte sich das freie Mädchen der Zukunft an, das nach neuer Leben und neuem Leben verlangte und den Zugang zum Beruf und, was wichtiger war, zum öffentlichen Leben suchte. Ihr Ziel lag nicht mehr in der Familie am wenigsten in den Zwängen der aristokratischen. Sie begann als Erzieherin, versuchte sich als Sekretärin, schloß eine abenteuerliche Ehe im Bruch mit allen Konventionen und mit dem Willen zu Fahrt in exotische Ferne und kam schließlich als Schriftstellerin des sich formierenden «Naturalismus» zurück. Schon mit dieser Karriere wäre Bertha von Suttner ein glänzendes Beispiel jener zeittypischen Frauengestalten, die sich als erste kühn und ungebrochen aus aristokratischer und bürgerliche Enge zu befreien versuchten. Doch ihre Bedeutung beruht nicht in ihrer privaten Aufsäßigkeit und auch nicht in erster Linie auf ihrem literarischen Talent, obwohl sie mit dem Roman «Die Waffen nieder!» eines der erfolgreichsten Bücher des 19. Jahrhunderts schrieb. Sie stieß in ganz neue, für die Frau damals noch höchst ungewöhnliche Bezirke der Aktion vor. Zu einer Zeit, da in Deutschland und Österreich die Maxime galt, daß vor allem Männer die Geschichte machen und der Krieg die ultima ratio bei der Regelung zwischenstaatlicher Streitfragen sei, als die sogenannten nationalen Einigungskriege Jammer und Greuel durch Europa trugen und ein neues militärisches Wettrüsten Weltkriege mit der Vision der Vernichtung ganzer Völker ankündigte, trat diese Frau auf den Plan, ausgerüstet mit nichts anderem als der Macht ihrer Persönlichkeit, um die Propaganda des Friedens zu organisieren. Bertha von Suttner, die erste deutschsprachige Journalistin von europäischem Ruf, die Schöpferin der österreichischen Friedensgesellschaft, die Trägerin des Friedensnobelpreises vom Jahre 1905, war eine Agitatorin ersten Ranges. Sie wollte Licht in das Dunkel der Unwissenden bringen, die den Krieg für eine notwendige Einrichtung im Leben der Völker hielten, knüpfte an den uralten Wunsch der Menschheit nach einem dauerhaften friedlichen Leben an und appellierte eindringlich an die Vernunft ihrer Zeitgenossen, über die Methoden und Möglichkeiten nachzudenken, wie diese Sehnsucht zu verwirklichen sei. Von der Aufklärung des 18. Jahrhunderts rührte in ihrer geistigen Haltung zweierlei her: die Leidenschaft der Vernunft, sich mit der gegebenen schlechten Wirklichkeit kritisch auseinanderzusetzen und der das als richtig Erkannte in die Tat umzusetzen die Welt zu verändern. Und außerdem lebte in ihr der unerschütterliche Optimismus der Aufklärung. In dem ihr gewidmeten Film «Herz der Welt» von 1952 erwidert sie zuversichtlich und dem Sinne nach durchaus authentisch auf den Einwurf, daß der einzelne nicht gegen den Krieg ankämpfen könne: «Erst war ich allein, jetzt sind es viele. Einmal werden es alle sein!» Daß diese zielklare Humanistin in ihrem Kampf auch bedenklichen Fehleinschätzungen und Illusionen unterlag, daß sie sich zutraute, nicht nur Arbeiter, Bauern und Kleinbürger zu überzeugen, sondern auch die vom Krieg profitierenden Generäle, Generaldirektoren, Rüstungsindustriellen und Waffenschieber sowie die in kriegerischem Denken verwurzelte Feudalkaste, das kann den hohen Rang ihrer Initiative und den und den Wert ihrer auf vorgeschobenem Posten erfüllten weiblichen Aufgabe kaum wesentlich mindern. Diese «Jean d'Arc des Friedens», wie man sie genannt hat, verlebte ihre Kindheit in Prag und Brünn. Die Mutter kam aus dem Bürgertum. Deren Vater, Josef Körner, hatte es in einer aussichtslosen, schlechtbezahlten Karriere als Offizier der des militärischen Fuhrwesens bis zum pensionierten Rittmeister gebracht, als er die zwanzigjährige Tochter an den über fünfzig Jahre älteren Feldmarschalleutnant Graf Kinsky verheiratete. Diese arrivierte damit zur Gräfin, und das war gewiss mehr, als sie in ihren kühnsten Wunschträumen hätte erhoffen dürfen. Dennoch konnte sie das Erreichte kaum befriedigen. Nicht nur, daß der Mann, mit dem sie sich verbunden hatte, alt war und noch vor der Geburt des Kindes starb, auch der Zutritt zur «großen Welt», zum Wiener Hof, blieb ihr auf Grund der Herkunft verschlossen. So sah sie auf die aristokratischen Vorurteile wohl ein wenig resigniert herab und glaubte mehr an den Himmel des Reichtums als an die Konvenienzen des österreichischen Hochadels. In ihr verkörpert sich die Adelsmisere im spätbiedermeierlichen k.u.k. Österreich. Die Lage ist hoffnungslos aber nicht ernst und ihre Tochter erzieht sie zu einer vergnügungssüchtigen leichtlebigen Komtessenexistenz mit Verlobungen und Entlobungen mit Opernstarträumen und fadenscheinig glänzender Staffage. Der Aufbruch in das tätige Leben führte die dreißigjährige Bertha Kinsky in die Familie des Barons Suttner. In dessen prächtigem Wiener Haus in der Canovagasse erteilte sie den vier halberwachsenen Töchtern Sprach und Musikunterricht. Entscheidender aber war für ihre weitere Entwicklung, daß sie in dem jüngsten Sohne der Familie ihren künftigen Mann kennerlernte. In dieser Liebesgeschichte äußern sich zum ersten Male der Mut und die moralische Energie, ohne die ihr späteres Wirken für den Frieden nicht denkbar wäre. Da die Familie Suttner eine eheliche Verbindung mit der verarmten Komtesse mißbilligte, heiratete sie den geliebten Artur Gundaccar ohne Wissen der Eltern in einer entlegenen Vorstadtkirche. Die Trauung geschah in Reisekostüm und Hut, denn die beiden hielten es für geboten, sich für einige Zeit unsichtbar zu machen. Sie traten eine «Hochzeitsreise» in den Kaukasus an.
Neun Jahre lang wurde das ferne fremdartige Georgien der Wohn und Schicksalsort des Ehepaars Suttner. Beide Partner hatten mit ihrem gewohnten Milieu gebrochen und wandelten sich unter den einfachen Lebensbedingungen des damals wenig entwickelten Landes zu anspruchslosen tätigen Menschen. Zunächst versuchten sie sich als Sprach- und Musiklehrer durchzuschlagen, später nahm der Mann eine Stelle als Fabrikangestellter an. In den Nöten des Russisch-Türkischen Krieges von 1877, dessen Schauplatz neben dem Balkan die Kaukasusländer wurden, entdeckten sie ihr Talent für die Journalistik. Artur von Suttner schrieb Kriegsberichte und Reisefeuilletons, Bertha kurze Geschichten und Essays. Das war der Auftakt zu einer langen Reihe literarischer Publikationen. De Schriftstellerlaufbahn der Suttners begann.
Im Mai 1885 kehrten die beiden Abenteurer nach Österreich zurück. Ausgesöhnt mit den Angehörigen, ließen sie sich auf dem Familiensitz der Suttners, dem Schloß Harmannsdorf in Niederösterreich 80 km nordwestlich von Wien nieder. Sie zogen sich nicht zurück, wie Forschungsreisende, die in Ruhe ihre Materialien bearbeiten. Bertha von Suttner suchte die Öffentlichkeit. Sie erschien auf dem Schriftstellerkongress in Berlin, besuchte die Pariser Salons, verkehrte in Wien an der «Abgeordnetentafel» im Hotel Meißl. Eine Frau, die nicht einmal das Recht besaß, bei den Wahlen zum österreichischen Abgeordnetenhaus ihre Stimme abzugeben, ergriff, nachdem 1888 in Paris die «Interparlamentarische Union» zur friedlichen Zusammenarbeit der demokratisch gesinnten Parlamentarier in Europa gegründet worden war, die Initiative zur Bildung einer österreichischen Interparlamentarischen Gruppe. Am 3. September 1891 erschien in der «Neuen Freien Presse», der führenden liberalen Tageszeitung Wiens, ein großer Aufsatz über die Notwendigkeit, die Kriege abzuschaffen. Der Artikel klang in dem Aufruf zur Gründung einer österreichischen Friedensgesellschaft aus. Als Verfasserin zeichnete die Autorin des Romans «Die Waffen nieder!». Eine Flut von Zuschriften unterstützte das Vorhaben. In kurzer Zeit war der Verein konstituiert. Wenige Tage nach der Gründung zählte er bereits gegen 2000 Mitglieder. Das von ihr ausgewählte Gründungskomitee wies fast ausschließlich liberale Aristokraten auf. Daß die Massen einen dauerhaften, für immer gewährleisteten Frieden ersehnten, war für sie unbestreitbar. Den Schwerpunkt ihrer Aufgabe sah sie darum darin, die Staatslenker, Monarchen und Minister zu der Erkenntnis zu bringen, daß Anstrengungen zur Überwindung des Krieges ebenso in ihrem eigenen Interesse wie in dem der Menschheit lagen. Darum versuchte sie vor allem, die Einflußreichen der herrschenden Klassen für den Friedensgedanken zu gewinnen, um über sie die Staatsmänner zu einer Friedenspolitik zu bekehren. Zur Unterstützung dieser Bemühungen sollte eine Volksbewegung geschaffen werden.
Von da an verband sich das Leben Bertha von Suttners ganz mit der Geschichte der bürgerlichen Weltfriedensbewegung. Der Kongreß in Rom war der erste, an dem sie teilnahm. Auf dem Kapitol sprach sie zum ersten Male laut und öffentlich für den Frieden. Bald folgte die Gründung einer Zeitschrift «Die Waffen nieder!» die sie herausgab und redigierte und die ihr getreuer Mitkämpfer A. H. Fried in Berlin verlegte. Von nun an stand sie auf allen Weltfriedenskongressen im Mittelpunkt. Noch im Alter von 70 Jahren unternahm sie eine Agitationsreise durch die Vereinigten Staaten von Amerika, wo sie in mehr als fünfzig Orten Vorträge hielt. Sie kehrte zur Zeit der großen Balkankrise nach Europa zurück, in deren Verlauf es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Bulgarien, Serbien, Montenegro und Griechenland, Rumänien und der Türkei kam, und die Großmächte an den Rand des Krieges gerieten. In Österreich-Ungarn wurden an der serbischen und russischen Grenze Mobilmachungsmaßnahmen getroffen. Es bildete sich jene Lage aus, die 1914 zum Ausbruch des ersten Weltkrieges führte. Ein gütiges Geschick bewahrte sie davor, mitzuerleben, wie der Weltbrand entfacht wurde, den sie hatte verhindern wollen. Am 21. Juni 1914, eine Woche vor den Schüssen von Sarajewo, starb Bertha von Suttner. Ihr engster Mitstreiter, Alfred Hermann Fried überlieferte als ihre letzten vernehmbaren Worte: «Die Waffen nieder! Sag's vielen - vielen.
An Alfred Hermann Fried
4. November 1892 [2]
Heute Ihre beiden Briefe gleichzeitig erhalten. Über Förster [3], Spielhagen [4] usw. hocherfreut. Nun, ich will noch nicht jubeln, bis ich nicht weiß, wie die Donnerstagssitzung [5] ausgefallen, da es ja noch immer möglich ist, daß man sich nicht einigte. Aber dann werde ich einen Freudenschrei ausstoßen. Oldenburg [6] ist durch mich vorbereitet. Ein Ersuchen um Beitritt zum Komitee wird dann, von Förster und Spielhagen ausgehend, mehr Chance haben zu wirken. Besonders Spielhagen - weil Oldenburg auch schriftstellert und daher von der kollegialen Seite gepackt werden muß. Den gewünschten Brandbrief an die bezeichnete Exzellenz werde ich schreiben. [7] Nächstens werden Sie mich mit dem Tod in Korrespondenz setzen ... Bin auf die nächsten Nachrichten gespannt; würde nicht staunen und nicht entmutigt sein, wenn die Sache nicht gleich klappte.
An Alfred Hermann Fried
5. November 1892
Mein lieber Fried! Ich habe schon lange keine größere Freude erlebt, als die mir Ihre Depesche bereitete! Das ist ja herrlich. Ihr Verdienst dabei ist unberechenbar - hätten Sie nicht unermüdlich fortgearbeitet, es wäre nichts zustande gekommen - wenigstens noch lange nicht. Fünfzehn Gründer! Davon sind Förster und Spielhagen allein schon ansehnlich genug. Ist Levysohn [8]auch dabei, so wird das «Berliner Tageblatt» viel für die Publizistik tun und Mosse [9] hoffentlich für die pekuniäre Seite. Die Depesche Wredes [10] ist ohne mein Dazutun abgegangen, sonst hätte ich nicht gestattet, daß mein Name in den Vordergrund gestellt werde. Nun, die Hauptsache werden ja die Begrüßungen bei der ersten großen, öffentlichen Versammlung sein und da werde ich schon trachten, daß Krafft-Ebing, [11] Starhemberg, [12] Oldenburg usw. sich einstellen. Da werden die Deutschen und Österreicher auch. «Schulter an Schulter» arbeiten aber nicht in der alten, zähnefletschenden Manier.
Sie müssen nun trachten, daß unsere Revue [13] für die deutsche Gesellschaft «offiziell» werde. Der Schriftführer müßte dann allmonatlich einen kurzen Bericht einsenden. Wenn in den übrigen Städten von Deutschland noch andere Gesellschaften entstehen, so ist's ja für die Bewegung desto besser. Mein Brief an Roggenbach ist irrtümlicherweise erst heute abgegangen, so daß er Mittwoch in seinen Händen sein wird. Passy [14] schrieb mir heute vergnügte Karte über die bonne nouvelle [15] aus Berlin - als ob ich sie nicht wüßte! Ihr Brief kam, weil in die Deputiertenkammer adressiert, zu spät. Seine Adresse ist Frédéric Passy, de l'Institut, Neully bei Paris. Daß Schlief [16] wegbleibt, ist bedauerlich aber politisch durfte der Verein nicht werden. Wenn nebstbei eine politische, einzig dem Frieden eingeschworene Partei sich bildet, so wäre es ja ganz schön. Daß die E.L.-Frage mit Stillschweigen übergangen wird, [17] ist gut - es muß aber wirklich darüber geschwiegen werden, nicht im Aufruf gesagt, daß man sie verschweigt, weil man sie nicht anerkennt; das würde den internationalen Verkehr der neuen Gesellschaft erschweren. Die Lösung muß sein: Wir sagen nicht, wo in den schwebenden Konflikten das Recht liegt, wir wollen nur, daß eine Rechtsordnung und ein Tribunal geschaffen werde, wo die Kompetenten und die Machthabenden (das sind wir nicht) die Konflikte ohne Gewalt austragen.
An Alfred Hermann Fried
13. November 1892
Die Sympathie Virchows [18] ist wertvoll. Ich würde vorschlagen, diese Sympathie so zu benutzen - zu dem Aufruf etwa folgendes setzen: Durch anderweitige Berufsverpflichtungen verhindert, sich tätig dem Vorstande unserer Gesellschaft anzuschließen, aber voller Sympathie mit unseren Zielen durchdrungen, haben die nachstehenden Persönlichkeiten gestattet, in diesem Aufruf ihre Namen zu nennen und so ihre Übereinstimmung mit dem hier Gesagten zu bekunden: Virchow, Schönaich-Carolath [19] usw.
Die Bürstenabzüge dieses Aufrufs müßten den Betreffenden, die man weiter werben will, zugeschickt werden. Morgen werde ich ein Schema vorlegen. Heute keine Zeit. Sollte der Aufruf schon gemacht sein, so hoffe ich, daß er so kurz als möglich sei. Das vermeidet Widersprüche. Er braucht nicht erst zu bekehren. Es kommen doch nur Gesinnungsgenossen, und die sind - Gott sei Dank - zahlreich.
An Alfred Hermann Fried
13. November 1892
Hier ist also ein Schema. Vielleicht finden die Herren einige Anhaltspunkte darin. Ich glaube, daß vielleicht das Gute daran ist, daß es ein Programm enthält, welches für die fernere Tätigkeit eine Richtschnur gibt und dasjenige eliminiert, was ein Friedensverein nicht machen kann, nämlich selber den Frieden gründen, die politischen Kriegsursachen wegräumen. - Zugleich auch ein zweites Schema für Anzeigen in den Blättern - wird leichter unterzubringen sein als der große Aufruf. Ach, die Überbürdung! Man wird von dem Räderwerk so vieler Maschinen gepackt, daß man sich kaum noch auskennt. Sie sind jetzt auch darin. Ein Glück noch, daß Südekum [20] mithelfen kann. Die Unannehmlichkeiten und Schwierigkeiten in der Vereinsgeburt und Kindheit; ach, die kenne ich auch - darüber hilft nur ein Blick auf die Erhabenheit des Zieles. Mit herzlichem Handschlag dem tapferen Kampfgenossen usw.
An Alfred Hermann Fried
18. Dezember 1892
Zur Präsidentenwahl meine ich nochmals, daß schlimmstenfalls der Posten offenbleiben kann und zwei Vizepräsidenten gewählt werden. Hauptsache wäre ein tätiger Schriftführer. Fallenlassen darf man die Sache nicht mehr. Man freut sich in Bern [21] zu lebhaft darüber; auch von der autographierten Korrespondenz des Büros schon überall hingemeldet. Hodgson Pratt [22] ist entzückt. Also aushalten und Zähigkeit! Kommt man auch nicht gleich ins klare, was man tut - einerlei: das wichtige ist, daß man ist; das übrige ergibt sich.
An Alfred Hermann Fried
21. Dezember 1892
Wie zitternd ist mein Herz dadei! (Bei der für den 21. Dezember angesagten Versammlung der D.F.G. [23]) Wie freute ich mich über Ihren Habemus Papam![24] - Ja, das wäre eine Weihnachtstat!
An Elie Ducommun
9. März 1893 [25]
Lieber Freund und Kollege! Ich habe Ihr Sendschreiben an die Gesundheitskonferenz erhalten, und es wird, hoffe ich, in den Zeitungen vom 12. erscheinen. Das ist ein kleines Meisterwerk. Sie sagen alles, was zu sagen war, und in einer so präzisen Sprache. Ich hoffe, daß es unserer Sache einen ausgezeichneten Dienst erweisen wird. Ich bewundere Sie und Ihre Art, mit der Sie alle heiklen Fragen behandelt haben, die das Büro vorgelegt hatte. Ich hoffe, daß man endgültig die «Nationalitäten» abschaffen wird. Die Gefahr liegt weniger in der Frage selbst als bei den abgeschmackten, exaltierten und lächerlichen Personen, die diese Frage aufwerfen; unsere Zusammenkünfte können nur Ansehen gewinnen, wenn sich diese Leute von uns trennen. Jede Organisation, die sich entwickelt, verdankt ihr Wachstum nicht allein den nützlichen Elementen, die sie assimiliert, sondern auch ihrer Kraft, die schändlichen Elemente abzuschieben.
Haben Sie den hier angeschlossenen Artikel des »Diplomaten-Kurier« gesehen - übrigens ein armseliges pazifistisches Blatt. Der Artikel ist böse, er zeigt aber die verwundbare Stelle unserer Kongresse, er zeigt, welchem Unheil wir ausgesetzt sind, wenn wir nationale, religiöse und andere Diskussionen in unser Werk eindringen lassen. Das trennt uns - und was noch schlimmer ist, das scheidet uns von jenen, welche außerhalb stehen und hindert diese, sich uns anzuschließen. Aber wir werden marschieren, wir werden marschieren! Die Nachricht, die mir Herr Gobat [26] von der Bildung einer parlamentarischen Fraktion in Pest übermitteln ließ, stellt einen hübschen Schritt nach vorwärts dar. Wir werden nun auch eine Schwester-Gesellschaft in Ungarn gründen.
An Bartholomäus Carneri
Harmannsdorf, 10. März 1896 [27]
Teurer Freund! Daß Du mich liebhast, dessen ist mir Dein Brief, ein neuer Beweis, daß Du keiner von den Unseren bist, das weiß ich ja auch längst - weiß es seit dem Tage, an dem Du gefunden hast, daß es schlecht angewendetes Geld wäre, meinem Lebenswerk den Achtungsbeweis eines Legats zuzuwenden. Du findest mein Werk unnütz - beinahe schädlich -, hast aber dabeiei die Martha [28] und das Löwos [29] lieb und wolltest der Martha Schmerz ersparen. Aber, Teurer, wenn ich nicht Schmerz empfände, was wäre dann die Triebkraft meines Handelns? Doch nicht, wie meine Feinde sagen, Eitelkeit? Das glaubst Du sicher nicht. Nein, es ist Schmerz über das Verharren der Menschen in ihrer Barbarei was mich durchdringt und was mich zwingt, mein bißchen Tun dem allgemeinen Untun entgegenzustemmen Würde man nur immer von den nächsten Jahrhunderten abwarten, daß etwas von selber geschehe, so geschähe es nie. Nachdem das Prinzip der Eisenbahn (auch bestritten genug) gefunden war, mußte man die Lokomotive und Bahnen auch bauen, nicht abwarten, bis ein künftiges Geschlecht zu einer solchen Reiseart reif sei...Der aus Angst vor der Verantwortung, also wegen des Übermaßes der Rüstungen nicht ausbrechende Krieg ist nicht Frieden - denn er ist doppelt prekär - erstens, weil die Rüstungen an und für sich ein Ruin sind, ein und materieller und moralischer, denn sie verbrauchen alle Hilfsmittel, sie versklaven und erniedrigen die Menschen, und sie müssen den Kriegsgeist und die Gewaltanbetung aufrechterhalten was ja in allen Schulen auch geschieht, zweitens, weil das In-die-Luft-springen des Pulverfasses der Willkür einiger Leute anheimgestellt bleibt.
... Natürlich kann mit der Abrüstung besonders eines einzelnen - nicht begonnen werden, aber so, wie die ins Unabsehbare steigende Rüstung die Folge des herrschenden Staatsanarchiezustandes ist, so würde die Abrüstung die Folge des Rechtszustandes der Staaten sein.
... Und wenn man uns Evolutionsgläubigen nur nicht immer sagen wollte, daß die Fortschritte der Kultur langsam vor sich gehen, als ob wir das nicht wüßten! Aber darum die Schritte den nächsten Generationen überlassen und selber stille stehen ist keine richtige Anwendung der Erkenntnis von der Langsamkeit der allgemeinen Fortbewegung, denn wir sollen doch auch wissen, daß dieses winzige Von-der-Stelle-Rücken des Ganzen das Resultat der größten Eile und größten Kraftanspannung der einzelnen ist. Ja, Du hast recht: dem «Unabänderlichen» sieht man mit Ruhe ins Gesicht und erspart sich schmerzliche Enttäuschungen; aber nicht recht hast Du hinzuzufügen, daß ich bei solcher Auffassung die gleiche Tätigkeit fortsetzen könnte, denn ich betrachte den jetzigen Zustand eben nicht als unabänderlich und meine ganze Tätigkeit besteht in nichts anderem als in der nach meinen bescheidenen aber standhaften Mitarbeit an der »Abänderung.« Deine Skrupel über die in Gang befindliche Einsetzung eines allgemeinen Schiedsgerichtshofes beruhen auf einer irrtümlichen Auffassung des Planes. Das ist gewöhnlich die Ursache abfälliger Urteile: man glaubt, Herr X. habe etwas Abfällige im Schilde, und hütet sich darum, Herrn X zu fördern. Statt dessen kennt Herr X alle Einwendungen gegen das, was man ihm zumutet, ganz genau, leider kennt «man» aber dasjenige nicht, was er will.
... «Mit Gleichmut die alte Bestie Mensch betrachten, wie sie stets bereit ist, Zündstoff auf Zündstoff zu häufen.» Nein, diesen Gleichmut darf der «junge Gott» im Menschen nicht haben, wenn er über die alte Bestie im Menschen siegen will. Man muß die Zündstoffhäufer, die heute schon in großer Minderzahl, wenn auch noch in der Übermacht sind, nicht im Wahne lassen, daß ihr Reich unantastbar ist. Jedem die Hälfte vom Unrecht gebührt, Der, um es zu hindern, die Hand nicht rührt.
Was uns zwei trennt, ist der Glaube. Glaubtest Du wie ich an die Möglichkeit des Erfolges, Du littest geradeso schmerzlich wie ich über das Nichtstun der Mitwelt, würdest aber selber tun und fändest den eigenen Schmerz und Kummer einen geringen Preis für den winkenden Lohn; nebenbei hättest Du noch die Freuden, die mich oft bewegen, wenn ich sehe, wie das im Werk im Gange ist, wie dort und da immer zahlreicher und immer entschiedener diejenigen auftreten, die die Verwirklichung des von den meisten schon theoretisch Zugegebenen fordern. Möge unser Glaubensunterschied in nichts unsere alte Freundschaft vergällen, aber versuche nicht mehr, mich von meinem Kummer zu befreien - es ist vergebens. Lindern kann ihn nur der, der ihn teilt und der mir im Kampfe hilft. Aber hilft - nicht «durch persönlichen Zauber überwunden», sondern weil er an die Möglichkeit, an die Notwendigkeit dieses Kampfes glaubt. B. S.
An Alfred Nobel
28. November 1896 [30]
Lieber Freund! Ihr Brief hat mich betrübt. Sie geben mir traurige Nachrichten und darin sagen Sie, daß Sie niemanden lieben, der einen ersten Platz in meiner Achtung und meiner Zuneigung einnimmt. Ein krankes Herz? Ich bedauere Sie, denn das ist eine Krankheit, die viel Schmerz veruracht und eine ständige Gefahr bedeutet. Man muß Ihre Lebensweisheit haben, um so leichthin zu sprechen. Aber kein Herz? Das ist falsch. Vielleicht nicht für mich - aber auch da habe ich einige gegenteilige Beweise - nun, ich gebe zu, daß Ihr Herz gegenüber gewissen Personen unerschütterlich ist. Aber Sie sind nicht hart und böse, denn das ist es, was man «ohne Herz» nennt, und das ist nach meiner Erfahrung nur bei jenen Leuten der Fall, die gleichzeitig keinen Kopf haben. Sie sagen, daß die Fortschritte der Friedensbewegung den «Höllenbeschwörern» zu verdanken sind. Vielleicht in gewisser Hinsicht und um die kommenden Generationen vorzubereiten. Aber was bis jetzt erreicht wurde, das ist das direkte Ergebnis individueller Initiative: Was Hodgson Pratt, Randal, [31] Ducommun, Passy und vielleicht auch Frau Suttner getan haben, war die Voraussetzung für jene Organe, durch welche die Welt heute eine parlamentarische Union besitzt, eine Friedensbewegung und die Ratifizierung des Permanenten Schiedsgerichtsvertrages zwischen England und den Staaten. Es sind immer Persönlichkeiten, die ähnliche Werke geschaffen haben: Dunant [32] gründete das Rote Kreuz, Stephan [33] schuf die Postunion, einer von uns kann heute eine friedenstiftende Konferenz von Regierungen anregen und die Einsetzung eines internationalen Tribunals, anfangs nicht obligatorisch, aber als Basis. Es würde genügen, wenn drei oder vier Länder ein Beispiel gäben. Nun ja, ich habe zu alldem beigetragen: auf mein Anraten hat der Kongreß von Rom [34] eine gewisse Diskussion abgesetzt, [35] die das gebrechliche Gebäude zum Einsturz gebracht hätte, durch mich wurde der erste Anstoß zur Bildung des Berner Büros gegeben, das sonst nicht gegründet worden wäre; durch mich hat die Bewegung in Österreich und Deutschland Fuß gefaßt, durch mich wurde die Gesellschaft in Budapest gegründet... Wenn ich bei meinen Nachforschungen weiterblicke, so muß ich sagen, daß ich nichts aber auch gar nichts von all dem ohne Ihre Hilfe hätte machen können, die Sie mir angedeihen ließen und die Sie bis zum heutigen Tag unserem Werk angedeihen lassen.
Die Macht des Goldes ist unentbehrlich,es ist im übrigen von «melinith» [36]-gleicher Wirkung. Geben Sie Archimedes einen Hebel und unserem Büro eine Million: die Welt wird aus den Angeln gehoben. Wenn ich mit dem Prestige, das ich in diesem Augenblick in den literarischen und politischen Kreisen besitze, gleichzeitig die Mittel hätte, mich nach Rußland oder nach Berlin oder Paris zu begeben, wenn wir zu Hunderttausenden Broschüren und Zeitungsartikel verbreiten könnten, dann hätte ich die feste Überzeugung, als Ereignis des 20. Jahrhunderts eine endgültige Institution gründen zu können. Daher nun etwas, worum ich Sie mit gefalteten Händen bitte: Entziehen Sie uns niemals Ihre Unterstützung, selbst nicht jenseits des Todes, uns alle erwartet. Ich habe soeben einen teuren Freund verloren, eine der Stützen unserer Wiener Gesellschaft. Graf Rudolf Hoyos, [37] ein Poet, ein edles Herz - das hat mir großen Kummer bereitet. Gott möge Sie mir erhalten. Dieser Brief verlangt keine Antwort. Ich werde fortfahren
Sie mit Drucksachen auf dem laufenden zu erhalten. B. S.
An Fridtjof Nansen
Harmannsdorf 5. Mai 1898 [38]
Hoch und innig Verehrter! Sie haben nicht Zeit, lange Briefe zu lesen, ich kann also nur andeuten, nicht begründen, das, worum ich bitten will. Sie werden auch, das weiß ich, dem nur Halbgesagten mit vollem Mitempfinden entgegenkommen. Der Welt muß eine neue Ära entstehen: nach dem alten Kriegsheldentum das Heldentum des Wissens und des Forschens. Wer besser als Sie wäre autorisiert, den Weg dahin zu weisen? Heute werden Ihnen Tausende meiner Landsleute lauschen - flechten Sie, ich bitte, in Ihren Vortrag zwei Zeilen, die den Gedanken ausdrücken: das Reich des Krieges muß weichen die Zukunft hat dem Rechte zu gehören. Der Eindruck wird ein großartiger sein, gerade jetzt, wo das Meer wieder durch brennende und in die Luft fliegende Schiffe entweiht wird. Sprechen Sie solche Worte, [39] und Sie geben dadurch dem Friedenswerke einen kräftigen Vorstoß.
In tiefster Verehrung Bertha, von Suttner
An einen Freund
Turin, Grand Hotel d'Europe, 28. September 1898
Heute hat die hier versammelte Komission ihre Arbeiten geschlossen. Das Manifest [40] des Kaisers von Rußland hat natürlich die Grundlage und Richtung der Verhandlungen abgegeben. Sonntag, den 25. nahmen die Turiner «Friedenstage» [41] ihren Anfang mit der hundertjährigen Erinnerungsfeier an den piemontesischen Staatsmann Graf Federigo Sclopis.[42] In der großen Aula der königlichen Universität hatte sich das Festkomitee und ein großes Publikum versammelt. Der Saal war übervoll. General Türr [43] geleitete mich in die vordere Reihe und machte mich mit dem Sindaco [44] von Turin, Baron Casano, dem Statthalter Marchese Guiccioli [45] (ich dachte dabei an Byron, [46] der eine Guiccioli geliebt, die ich in Paris gekannt) und dem Minister Grafen Ferraris [47] bekannt. Wir saßen der Kanzel gegenüber. Als Veranstalter der Feier waren auf den Einladungskarten vierundzwanzig hervorragende Namen angeführt, darunter Biancheri, [48] Präsident der Kammer, Minister Vigliani, die Präsidenten des römischen und des Berner Kassationshofes, der Rektor der Universität, der Präsident der Akademie der Wissenschaften usw. Als erster bestieg Rechtsanwalt Luzatti [49] die Kanzel und gab uns einen Lebensabriß von Federigo Sclopis. Er feierte seine Verdienste, darunter als glänzendstes die Rolle, die er als Vorsitzender des Alabamaschiedsgerichts gespielt. Dann sprach der Vizepräsident des römischen Senats, zugleich Vorsitzender der römischen Friedensgesellschaft, und nach ihm kam unser Frédéric Passy an die Reihe. Er war in seiner Jugend mit Sclopis befreundet gewesen und konnte daher manches Neue und Interessante aus dem Leben des Gefeierten erzählen.
Um zwölf Uhr war die Feier vorüber. Der übrige Sonntag gehörte dem geselligen Beisammensein und der Ausstellung. [50] Besuchern, welche Kunstfreunde sind, wurden mehr Genüsse geboten als sonst auf derlei Weltmärkten zu finden sind, denn reichhaltiger als überall sind hier die Gemälde- und Skulpturhallen gefüllt, und in einem großen, arenagleichen Bau führt ein Orchester von 200 Künstlern wundervolle Konzerte auf. Daß ich im übrigen der Ausstellung nicht viel zu erzählen weiß, wer wird das einem Kongreßmitglied übel nehmen? Man findet, seine alten Freunde, lernt neue Gesinnungsgenossen kennen und will dies zu gründlicher Aussprache benützen; so läßt man den Ausstellungspark mit den vielen Pavillons links liegen, setzt sich mit den Kameraden um einen Kaffeehaustisch und bespricht die Dinge, die man auf dem Herzen hat. In erster Linie das Manifest, aber auch, was sonst in der Welt vorgeht. Unter anderem die Dreyfusaffäre [51]: die hat jetzt doch jeder mehr oder minder im Sinn. Ein Delegierter aus Paris, Gaston Moch, [52] der selber Artillerie-Offizier gewesen und mit dem Verurteilten zusammen diente, weiß da manches Interessante zu erzählen. Er hatte schon im Jahre 1894 hinter die Kulissen der Affäre geblickt und gesehen, daß man einen jüdischen Offizier im Generalstab nicht dulden wollte. Ein eigentümlich Ding ward mir auch erzählt: Das «Journal» brachte im Sommer 1894, also noch vor der Dreyfusanschuldigung einen Feuilletonroman, worin ein Komplott zur Ausmerzung eines unliebsamen Kameraden ausgeheckt und ausgeführt wird: die Schmuggelung eines gefälschten Papieres in das Auskunftsbüro und ähnliches - eine ganze Kette von Intrigen, wie sie tatsächlich gegen den Unschuldigen ausgeführt wurden, als hätten die Paty, [53] Henry [54] usw. sich den Roman zum Muster genommen. Montag des 26. versammelten sich die Delegierten zu ihrer ersten Sitzung im Palais Carignan. Man kennt die Pracht der italienischen Fürstenpaläste. Der Saal, in dem wir tagten, ist von eitel Gold; golden die Tapeten, ganz vergoldete Türen und Fensterläden. Nebenan - ebenso goldstrotzend - das historische Zimmer, in dem Viktor Emanuel [55] geboren wurde. Da der Präsident des Büros sich nach Brüssel begeben mußte, um der Sitzung des Interparlamentarischen Amtes beizuwohnen, so wurde der Vorsitz unserer Verhandlungen dem Rechtsanwalt Luzatti übergeben.
Von den einlaufenden Begrüßungsschreiben will ich nur dasjenige des italienischen Ministerpräsidenten zitieren: «Unser Land - auf Grund der Prinzipien, die dessen Wiedererhebungen inspiriert haben, auf Grund seiner Ideale der Gesittung sowie seiner politischen Interessen - unser Land muß wünschen, daß in zwischenstaatlichen Fragen die juristische Vernunft über den Appell an die Gewalt obsiege. E. Visconti-Venosta» [56]
Der erste Verhandlungsgegenstand drückte sich deutlich im Text des gefaßten Beschlusses aus: «Die Versammlung ist der Meinung, daß die Vereine in der ganzen Ausdehnung ihrer Aktionssphäre Kundgebungen aller Art organisieren sollen in Form von Petitionen, Meetings zugunsten des Gelingens des Zarenvorschlags, und ladet die Vereine ein, die Ergebnisse dieser Kundgebungen dem internationalen Büro in Bern mitzuteilen, welches denselben die größtmögliche Publizität geben wird.» Die englischen Delegierten konnten mitteilen daß in ihrem Lande in dieser Richtung bereits zahlreiche Manifestationen stattgefunden haben. Politische Führer aus dem Parlament haben sich angeschlossen: Sir William Harcourt,[57] Morley,[58] Marquis of Ripon,[59] Earl Crewe,[60] Bryce,[61] Sir John Lubbock,[62] Sir Alfred Lawson,[63] Spencer Watson [64] usw. Daneben zahlreiche Bischöfe und die drei englischen Kardinäle: Vaughan,[65] Loyne [66] und Gibbon.[67] In dem unlängst abgehaltenen Kongreß der Trade-Unions [68] wurde einstimmig und begeistert folgendes notiert: «Dieser Kongreß der organisierten Arbeiter, der die industriellen Klassen Großbritanniens und Irlands repräsentiert, begrüßt mit Genugtuung die Botschaft des Zaren und ruft die Regierung auf, dieselbe möge alle legitimen Mittel zu deren Erfolg anwenden, da der Militarismus ein großer Feind der Arbeit und eine grausame Last für die sich plagenden Millionen ist.»
Diese Haltung der englischen Arbeiter - dies sei zwischen Klammern bemerkt - ist doch jedenfalls förderlicher als die der Sozialisten anderer Länder, welche die Absichten des russischen Kaisers verdächtigen und die sagen: «Frieden und Abrüstung, ja - aber wir wollen es machen, [69] wir ganz allein und nach unserer Weise.» Was aber der ganzen Menschheit frommen soll, das muß von allen gemacht werden, das kann nicht das Werk einer Klasse und gegen andere Klassen sein. Elie Ducommun stattete Bericht über die Ereignisse des Jahres ab, die dasselbe als eines der unglücklichsten und entmutigendsten für die Bewegung stempeln könnten, wenn es nicht mit dem Vorschlag des russischen Kaisers, offizieller Untersuchung der Mittel zur Herbeiführung gesicherten Friedens und Einschränkung der Rüstungen, abgeschlossen hätte. Übrigens seien noch zu den Aktiven des Jahres zu rechnen: das Übereinkommen [70] Frankreichs mit England in der Nigerfrage, das Schiedsgericht zwischen Frankreich und Brasilien und schließlich der Abschluß eines ständigen Schiedsgerichtsvertrags [71] zwischen Italien und der argentinischen Republik. Anläßlich dieses Vertrages - des ersten in seiner Art - der als zu befolgendes Beispiel von größtem Segen werden kann, hat die Versammlung eine Glückwunschdepesche an die italienische Regierung abgeschickt.
Dagegen wurde mit Sorge der Gefahr gedacht, die eben jetzt von Argentinien her droht, welches auf dem Punkt steht, mit der Republik Chile Krieg zu führen. Es wurde vorgeschlagen, man möge im Namen des Friedensbüros eine Vertrauensperson nach Argentinien und Chile entsenden, um bei beiden Präsidenten dafür zu plädieren, daß die schwebende Streitfrage einem Schiedsgericht unterbreitet werde. Vielleicht würde unserem Abgeordneten kein Gehör geschenkt, möglicherweise fällt aber ein Wort, das im Namen von zweihundert Vereinen der alten und neuen Welt übermittelt wird, dennoch in die Waagschale der Entschließungen... Dr. Evans Darby [72] wendete ein, der Ausbruch der Feindseligkeiten stehe schon sehr nahe, der Abgeordnete käme sicherlich zu spät, es würde sich die Absendung von Kabeltelegrammen empfehlen. Demzufolge gingen am selben Tage im Namen der Turiner Versammlung zwei Depeschen nach Valparaiso und Buenos Aires ab, worin den beiden Regierungen ans Herz gelegt wird, einen Krieg zu vermeiden, der gerade jetzt angesichts der bevorstehenden, vom russischen Kaiser angeregten Konferenz ein beklagenwertes Hemmnis abgeben würde.
Die sofort abgeschickten Kabeldepeschen [73] kosteten neunhundert Franken. Verschwindende Friedensfreude! - Wenn man bedenkt, wie sparsam die Kriegsverwaltungen sind...
Am 29. fand im Circolo filologico [74] ein Vortragsabend für das große Turiner Publikum statt.. Im Riesensaal kein leeres Plätzchen. General Türr hielt die erste Ansprache und zitierte Stellen aus dem Appell Garibaldis an die Regierungen. Hierauf folgte ich mit Vorlesung meiner Novelle «Es müssen doch schöne Erinnerungen sein», von dem Dichter F. Fontana [75] unter dem Titel «Bei Ricordi» zu diesem Anlasse ins Italienische übersetzt. Dann sprachen Emile Arnaud, [76] Professor Ludwig Stein [77] von der Universität Bern, Novicow [78] u.a. Das Publikum war in so mitvibrierende Begeisterung geraten, daß ich den Mut fand, im Lärm des Schlußapplauses noch einmal auf die Tribüne zu steigen, um an die Versammelten eine kurze Ansprache zu richten, worin ich sie bat, unsere Worte nicht mit bloßem Händeklatschen zu lohnen - wir seien keine beifallheischenden Künstler - wir seien schlichte Kämpfer für eine heilige Sache - sondern durch Anschluß: sie mögen heraufkommen und ihre Namen einzeichnen. Dieser Aufforderung wurde willfahrt, und durch den Vortragsabend hat sich die Mitgliederliste des Turiner Friedensvereins um viele und einflußreiche Namen vermehrt.
Dieser Verein besitzt auch eine Abteilung im Ausstellungsgebäude. Interessant sind die Eintragungen in dem dort aufliedenden Buch. Sogar arabische und chinesische befinden sich darunter. Auch Zwiegespräche: »Je n'y crois pas«, [79] schrieb einer [80] »Je vous plains de tout mon coeur«, setzte anderer darunter. Der Sohn Tolstois schrieb in das Register: [81] »Quale è lo scopo della guerra? L'assassinio«.