Marie von Ebner-Eschenbach geb. Gräfin Dubsky

13. September 1830 bis 12. März 1916

Meine letzten Worte lieber Mensch merk sie dir! präg sie dir in die Seele ins Hirn. Gib acht: Wir leben in einer vorzugsweise lehrreichen Zeit. Nie ist den Menschen deutlicher gepredigt worden: Seid selbstlos wenn aus keinem edleren so doch aus Selbsterhaltungstrieb... aber ich sehe, das ist dir wieder zu hoch anders also! ... In früheren Zeiten konnte einer ruhig vor seinem vollen Teller sitzen und sich's schmecken lassen, ohne sich darum zu kümmern, daß der Teller seines Nachbars leer war. Das geht jetzt nicht mehr außer bei den geistig völlig Blinden. Allen übrigen wird der leere Teller des Nachbars den Appetit verderben - dem Braven aus Rechtsgefühl - dem Feigen aus Angst... Darum sorge dafür wenn du deinen Teller füllst,, daß es in deiner Nachbarschaft so wenig leere als möglich gibt. Begreifst du?
Marie von Ebner-Eschenbach «Das Gemeindekind» (1887)

 Ähnlich wie Malwida hatte sich Marie von Ebner-Eschenbach bei der Durchsetzung ihres Anspruchs auf freie Entfaltung der Persönlichkeit vor allem mit den Widerständen in ihrer Familie auseinanderzusetzen. Nur war sie wesentlich strengeren Konventionen unterworfen; denn sie gehörte dem Hochadel an und sie lebte in Österreich, das nach einem Wort von Friedrich Engels vor wie nach der Revolution von 1848 «der reaktionärste der modernen Strömung am widerwilligsten folgende Staat Deutschlands» blieb. Wie bitter sie schon als Kind die Zurücksetzung der Frau empfand, geht aus ihrem Erinnerungsbuch hervor wo sie ihre Ausbildung mit der des Knaben Lessing vergleicht. Dort heißt es in bezug auf das Erlernen der klassischen Sprachen: «Weil er ein Bub war, durfte er das, er mußte sogar Griechisch lernen und Latein. Von seinen Lippen tönte die Sprache in der Themistokles, Demosthenes, Cäsar, Titus geredet hatten. Zum Ruhme gereichte ihm sein Glück... Wofür würde ich angesehen werden wenn ich anfangen wollte Griechisch und Latein zu lernen? Ganz einfach für verrückt. Ich war ja nur ein Mädchen! Himmelhoch türmten sich die Mauern die mich umfriedeten.» Und im Alter von 50 Jahren, als sie ihr Talent als Dichterin längst bewiesen hatte, stöhnte sie unter dem Mangel an Gleichberechtigung und schrieb in einem Briefkonzept die vor allem ihre aristokratische Kaste anklagenden Sätze nieder: «... Bei uns hat eine neu erfundene Naturgeschichte die Entdeckung gemacht, daß die Frau an und für sich nichts ist, daß sie nur etwas werden kann durch den Mann, dem sie in Liebe angehört, dem sie sich in Demut unterwirft, in dessen Leben das ihre aufgeht... Wie aber wenn die Frau in erster Reihe ein menschliches und erst in zweiter ein weibliches Wesen wäre? Wenn sie ebensoviel individuelles Leben besäße wie der Mann und der Ergänzung durch ihn nicht mehr bedürfe als er durch sie und wenn es doch möglich wäre, daß ein wirkliches ein, großes und der Expansion fähiges Talent auch in einer deutschen Frau zur Erscheinung käme? Nähmen wir das einmal an und sehen wir zu was daraus erfolgt. Talent ist nur ein anderes Wort für Kraft. Eine Kraft aber muß sich äußern und diese fragt nicht danach ob ihr willig oder widerwillig Gehorsam geleistet wird. Von der Frau die ein Talent besitzt und es ausüben soll, fordert man ganz einfach, daß sie sich einem Naturgesetz entziehe. Man hört nicht auf ihr vorzuwerfen, daß sie sich gegen die Natur versüdigt, wenn sie ihrer Natur folgt.»
Marie von Ebner-Eschenbach spricht hier in eigener Sache. Sie hat den Hoch und Hofadel Deutsch-Österreichs vor Augen nicht Preußen-Deutschland, wo es längst eine Reihe schriftstellernder Frauen aus den Kreisen des Kleinadels gab, von der Bettina von Arnim bis zur Gräfin Hahn-Hahn von der Helmina von Chézy bis zu Annette von Droste-Hülshoff und Luise von Francois. Aber das Grundproblem der Frauenemanzipation des 19. Jahrhunderts wird in diesen Klagen und Anklagen deutlich sichtbar, auch wenn sie nur für die talentierte Frau spricht und sich der eigentlichen Frauenbewegung nie angeschlossen hat. Ihre literarische Leistung ist der entscheidende Beitrag zu dieser Bewegung. In ihren Erzählungen und Aphorismen hat sie ihre Stellung zur Frauenfrage kundgetan und Entscheidendes zur Stärkung des Selbstbewußtseins der Frau beigetragen. Die Gleichrangigkeit von Mann und Frau gehörte zu ihren unumstößlichen Lebensmaximen.
Marie wurde auf dem mährischen Schloß Zdisslawitz in der Nähe der Stadt Kremsier als Tochter eines böhmischen Exoffiziers aus dem Geschlecht der Dubsky von Trebomyslic geboren. Seine zweite Frau, eine Baronesse Vockel hatte das Schloß als Mitgift in die Ehe gebracht. Da sie kurz nach der Geburt des Kindes starb wuchs Marie vor allem unter der Obhut tschechischer Kinderfrauen und französischer Gouvernanten auf. Als junges Mädchen konnte sie besser Französisch als «Böhmisch» sprechen nnd besser «Böhmisch» als Deutsch. Erst ihre zweite Stiefmutter, eine Gräfin Kolowrat führte sie der deutschen Sprache und Literatur zu. Unter dem Eindruck regelmäßiger Besuche im Burgtheater, wo sie die klassischen Dramen Lessings, Schillers, Goethes und Shakespeares kennenlernte und sich für die Darstellungskunst großer Schauspieler der Rettich der Haizinger des Anschütz der Louise Neumann begeisterte, fühlte sie sich zu eigener dichterischer Produktion angeregt. Sie dachte damals: «Über kurz oder lang werden auch deine Stücke hier aufgeführt. Du bist dazu bestimmt, der Shakespeare des 19. Jahrhunderts zu werden.» Die Ehe mit ihrem Vetter, Moritz Ebner von Eschenbach, einem philosophisch und naturwissenschaftlich hochgebildeten Ingenieur-Offizier, entschied über ihre Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis. Im Jahre 1850 siedelte sie nach Klosterbruck (Louka) bei Znaim (Znojmo) über, wo ihr Mann an der Kadettenanstalt als Lehrer für Physik und Chemie tätig war, und im Jahre 1863 ließ sie sich endgültig in Wien nieder.
Fast fünfundzwanzig Jahre lang hat Marie von Ebner-Eschenbach versucht, sich mit Historien- und Gesellschaftsstücken auf österreichischen Bühnen durchzusetzen. Sie befand sich schon hoch in den Vierzigern, als sie nach vielen Mißerfolgen ihre Laufbahn als Erzählerin begann. «Bozena» (1876), die Geschichte einer Magd, steht am Anfang. Mit «Lotti, die Uhrmacherin», die im Jahre 1879 in der «Deutschen Rundschau», der damals führenden Literaturzeitschrift Deutschlands, veröffentlicht wurde, erzielte sie den Durchbruch zur allgemeinen Anerkennung. Der kleine Entwicklungsroman «Das Gemeindekind» (1887) wurde ihr bekanntestes Werk. Als ihr an der Jahrhundertwende anläßlich des 70. Geburtstags die Wiener Universität die Würde eines Ehrendoktors der Philosophie verlieh, hieß es in der Begründung: «Sie ist unstreitig heute die erste deutsche Schriftstellerin, nicht bloß in Österreich sondern auch in Deutschland - und selbst unter den Dichterinnen der Vergangenheit könnte ihr allein von der Droste der Rang streitig gemacht werden» Die «Dorf- und Schloßgeschichten» (1883) und die «Neuen Dorf- und Schlußgeschichten 1886» bezeugen, wie kritisch sie die Aristokratie betrachtete und wie gut sie die einfache ländliche Bevölkerung kannte. Das Kleinbürgerelend hat sie in Klosterbruck und in Wien scharf beobachtet. Die Industriearbeiterin kommt in ihrem Werk nicht vor. Die Normen für ihre Kritik bezog sie aus einem elementaren Mitgefühl und aus dem Humanismus der josefinischen Aufklärung des 18. Jahrhundert. Wie Herder glaubte sie aus innerster Überzeugung an eine unendliche Entwicklung und Erziehung des Menschengeschlechts und an den rettungswürdigen Kern jedes einzelnen, wie immer er auch geraten sei. Aber die Kraft dazu sah sie weniger in der Aristokratie, deren Frauen in ihrer realistischen Sicht teils zur Oberflächlichkeit, teils zu moralischer Unordnung, teils zu fatalistischer Schicksalsergebenheit neigen. Ihr Herz gehörte jenem resoluten Plebejertum, dessen Frauen hart geprüft sind, sich aber als starke und zähe Persönlichkeiten bewähren. Wie Goethe liebte sie «die Klasse von Menschen, die man die niedere nennt, die aber gewiß vor Gott die höchste ist»
 

An Ferdinand von Saar

Wien, den 28ten Februar (18)74 [1]

Lieber guter Saar! Ich bin ganz miserabel liege tief im Bette. Ihren Brief beantworte ich aber doch sogleich, verzeihen Sie mir wenn es in recht elendem Stil geschieht das Nachdenken tut meinem zerquälten Kopf heut gar zu weh. Aufrichtig wie Sie es fordern bester Freund beantworte ich Ihre Frage. Allerdings leistet auch Alt-Gräfin Salm [2] einen Beitrag zu der Summe die ein Kreis von Verehrern Ihres Talentes die Ihnen jedoch unbekannt bleiben wollten, Ihnen zu Füßen zu legen wünschte. Wenn Sie es durchaus verlangen, so werde ich Ihnen aber jede einzelne Persönlichkeit nennen, die sich daran beteiligte. Ebenso gebe ich Ihnen mein Wort darauf, daß Alt-Grfn S. aus der Liste verschwinden, und ihr Beitrag zurückgewiesen werden soll, wenn Sie nämlich aus Gründen die ich nicht kenne u. über die ich mir kein Urteil erlaube, darauf bestehen. Die Absicht, Sie lieber guter Saar jeder materiellen Sorge zu entheben, ist bei mir so alt wie meine Freundschaft für Sie. Ich freute mich deshalb so von ganzen Herzen darüber als ich mich in Reichenhall in dieser Absicht mit A.G.S. begegnete. Ich glaubte Sie stünden mit ihr in den freundschaftlichsten Beziehungen und würden es selbstverständlich finden wenn auch sie sich bemühte unserem hocherehrten Dichter die Last des Lebens zu erleichtern. Darf dies nicht geschehen so will ich ihr denn schreiben, Sie hätten sich unsere Emmischung in Ihre Angelegenheiten auf das höflichste zwar aber auf das entschiedenste verbeten. Soll ich mich anders fassen so sagen Sie mir's. Ich weiß nicht mit ihr umzugehen sie hat eine Rüstung an von Vergangenheit und Nervosität die mich auf ein paar tausend Schritte von ihr hält. Schreiben Sie mir bald! Noch besser gleich das Wort «einige mehr oder minder drückende Schulden» [3] tut mir weh und von diesem Schmerz wenigstens will ich mich befreien. Ich weiß nicht was mich glücklicher machen könnte als die Widmung der «Geigerin»! [4] Und so rasch soll mir die Freude zuteil werden. Ich bewundere Ihren Fleiß. 1000 u. 1000mal Glück auf! Ihre alte Freundin Marie

An Ferdinand von Saar

Wien den 28ten Februar (18)74

Lieber guter Saar! Ich bin keine Menschenkennerin und erlaube mir kein selbständiges Urteil mehr über andere. So nehme ich's denn als eine ausgemachte Sache hin, daß sie eine Schlange ist. Jedenfalls eine Schlange, [5] die einen sehr gewinnenden Eindruck macht sie war in Reichenhall und hier mehrmals bei mir und was mich betrifft, ich ließe mich komplett täuschen von ihrem kindlichen und unschuldigen Aussehen. Aber wie gesagt: mich zu täuschen ist eine kleine Kunst. Das trifft man bald.
Ich gebe heute zwei Briefe für Sie auf die Post. Beide rufen Ihre Verzeihung ob ihres Erscheinens an. Aber nicht Ihre Nachsicht! Lesen Sie bester Freund das Lustspiel mit strengem kritischem Auge, fällen Sie ein gerechtes Urteil. Als ich im Herbst mit dem Manuskripte von «Männertreue» [6] bei Laube [7] erschien, freute er sich an dem Stücke, drängte mich es gleich drucken zu lassen was auch geschah und die Folge hatte daß vieles stehen blieb was mich jetzt bitter reut. Laube schien auch sein Interesse für das Stück bald verloren zu haben, bei der Besetzung gab es vielerlei Anstände. Jetzt weiß ich nicht einmal, ob er's überhaupt in dieser Saison noch bringt. Auch «Untröstlich», [8] das schon auf dem Repertoire stand, ist zurückgelegt worden und Wilbrandts [9] «Giordano Bruno» hat den Vortritt erhalten. Ich bin übrigens sehr ruhig über alle diese Dinge; da ich mir keine Hoffnungen mehr mache ist es nicht möglich, daß ich Enttäuschungen erlebe. Meine Anonymität bewahre ich jedenfalls, der Erfolg möge sein welcher er wolle. Geben Sie mir Ihr Wort, daß Sie keinem Menschen verraten von wem «Männertreue» ist.
Und nun zu meinem zweiten heutigen Brief, den habe ich nicht allein geschrieben. Der weitaus größere Teil ist von einem Verehrer des «Innocens» [10] der jedoch gerade so anonym bleiben will wie ich in bezug auf «Männertreue».
Ist «Die Geigerin» fertig? Ich erwarte sie mit unbeschreiblicher Ungeduld. Ich wünschte, daß zugleich mit oder doch sehr bald nach ihr ein Band erschiene mit Ihren gesammelten vier Novellen. Ihr schönes Gedicht in den «Dioscuren» [11] wird allgemein bewundert. Finden Sie in dem Bande nicht auch die «Musikalischen Bilder» von Hermine Wild [12] sehr schön und Anzengrubers «Märchen» [13] bemerkenswert und Bechhöfers [14] «Politik des Spinoza» ganz vortrefflich?
Schreiben Sie mir bald bester Freund! Ich grüße Sie tausendmal und wüßte so gerne, ob Sie in leidlicher Stimmung sind. Unveränderlich und getreu Ihre alte ergebene Freundin Marie E.

An Ferdinand von Saar

Wien, den 24ten Nov(ember) (1)876

Ich danke Ihnen von ganzen Herzen für Ihren prächtigen Brief, beuge mich Ihrem Tadel, freue mich Ihres Lobes. Sie geben mir das Beste was uns von dem Verstehenden zuteil werden kann: Aufrichtigkeit. Ja wenn man während der Arbeit nur einmal ein so unbefangenes Urteil über sich selbst hätte wie nach der Arbeit was wäre da nicht gewonnen! Ich habe mich im Sommer an
eine Aufgabe gewagt, die ich nicht bewaltigen werde, ich weißes und komme doch nicht davon los und es ist vielleicht gut für meine schriftstellerischen Bestrebungen, daß ich jetzt fast keine Zeit zu meiner eigenen Verfügung habe. Ein schwerer Kummer lastet über mir und den Meinen die Frau meines Bruders Adolph meine geliebteste Schwägerin [15] liegt an einem Herzleiden hoffnungslos darnieder und schon sind wir so weit gekommen, daß unsere kühnsten Wünsche nichts mehr für sie erflehen als einen möglichst schmerzlosen Tod. Was nach demselben geschehen soll, wie mein Bruder den furchtbaren Schlag der ihm bevorsteht, ertragen wird darüber sind wir alle noch außerstande auch nur nachzudenken.
Ihre Novellen [16] habe ich nun von neuem und mit der alten Liebe gelesen. «Haus Reichegg» hat durch Hinweglassung der Ball-Episode sehr gewonnen, ist dadurch einheitlicher geworden. Möge das Buch mit seinem reichen Inhalte den großen Erfolg erringen, der ihm gebührt. Aber Sie haben alles von sich selbst zu erwarten und so wenig äußerer Förderung! Noch fand ich in keiner Wiener Zeitung eine Anzeige des Werkes. Ich bitte Sie schicken Sie es doch an
Hieronymus Lorm [17] Dresden, Portikus-Gasse N. 4. Er ist der einzige von allen Journalisten, (von denen ich weiß), der ideale Rücksichten nimmt. Er hat über «Bozena» sehr freundlich warm und eingehend berichtet doch in der «Abend-Post» deren Leserkreis ein «kleinwinziger» ist. Die «Freie Presse» brachte ein paar Zeilen von Adam Wolf, [18] ich bin sehr dankbar dafür, denn ich hoffe, daß mich die Zustimmung des sehr geachteten Historikers davor schützt, in der schlimmsten aller großen Zeitungen ausgelacht und heruntergerissen zu werden. Auf etwas anderes als Tadel von Seite unserer Kritiker mache ich mich nicht gefaßt und danke ihnen und Gott wenn sie nur schweigen! Jetzt gerade in diesem Augenblicke wäre mir, da meine Familie meine literarischen Mißerfolge sehr hoch aufnimmt, ein solcher doppelt peinlich.
Ida ist in Rom bei ihrem Sohne Otto, befindet sich dort vortrefflich, schreibt «kreuzfidel» und kein Wort von bevorstehender Heimkehr. Betty Paoli trauert mit mir um unsere reiselustige Freundin, gönnt ihr aber doch die Erholung von Herzen ist eine vortreffliche Frau. Der Umgang mit solchen Menschen ist das beste, eigentlich das einzige was man im Leben hat. Es ist doch schade lieber guter Freud, daß Sie sich für den ganzen Winter in Pfannberg [19] eingenistet haben!
Sie schreiben nichts von Ihrer eigenen Tätigkeit ich wünsche ihr aus treuster Seele das aller allerbeste Gedeihen! Ihr wunderschüiies Gedicht «Mahnung» hat alle Leute entzückt die ein Herz haben für Poesie.
Leben Sie wohl bester Freund und gedenken Sie meiner mit gewohntem Wohlwollen. Moritz empfiehlt sich Ihnen herzlichst, er und mein persischer Bruder [20] jammern über das Wiener Klima als ob ihre Wiege in Ispahan [21] gestanden wäre. Getreuest Ihre alte Freundin Marie

An Paul Heyse

Wien, 1. März (18)84

Lieber verehrter Herr Doktor! Geweint habe ich vor Glückseligkeit. Ich verdanke Ihnen eine Freude, [22] die so lange ich lebe nicht erlöschen wird. Von nun an bin ich gefeit gegen Gleichgültigkeit und Mißgunst und unmöglich scheint es mir, daß ich je wieder den Mut sinken lasse. Ihre dankbar ergebene Marie Ebner

An Paul Heyse

Wien, 27. April (18)86
Hochverehrter Freund! Wenn so ein lieber allgütiger Brief von Ihnen kommt lese ich ihn nicht gleich auf einmal. Langsam wird er genossen und jede Zeile ist mir immer von neuem eine Quelle glückseliger Verwunderung. Nie hätte ich mir träumen lassen, nie daß ein solcher Schatz wie ich ihn in den Briefen meines höchstverehrten Dichters besitze wirklich mein Eigentum werden könne.
Ihrer treuen Frau Gemahlin sagen Sie bitte: Sie «laßt die Hand küssen» [23] unsere alte Getreue in Wien, tausendmal laßt sie die Hand küssen für die Wohltat, die ihr mit der Teilnahme für Claire Dubois [24] erwiesen wird. Sie hatte ja wieder sehr gezweifelt an diesem jüngsten Kinde. Aber nicht nur um zu danken komme heute. In den nächsten Tagen meine teuren Gönner und Freunde wird eine Botin die ich Ihnen schicke vor Ihrer Tür stehen und um Einlaß bitten. Sie soll Ihnen beiden sagen, was ich bei dem jetzigen kläglichen Zustand meiner Augen und meines Kopfes zu schreiben unfähig bin, sie soll Ihnen von meiner Liebe und Bewunderung erzählen. Nehmen Sie meine mir sehr werte Nichte Marie Waldburg [25] gütig auf. Sie dürfte im ersten Augenblick etwas verlegen sein aber einige freundliche Worte helfen ihr gewiß bald über das beklemmende Gefühl hinweg mit dem ein junges, gutgeartetes Menschenkind vor diejenigen tritt die es aus ehrfurchtsvoller Entfernung angebetet hat so lang es denkt.
Zahllose Grüße, meine hochverehrten Freunde, unendlichen Dank! Ihre getreue Marie Ebner

An Josef Breuer

Rom, Piazza di Spagna, 9. 3.Nov(ember) (18)98 [26]

Lieber verehrtester Freund! Liebe verehrteste Frau Doktor! Jeden Tag haben wir die Zeitung mit Bangen in die Hand genommen und atmeten erst erlöst auf als wir endlich lasen, daß das Allgemeine Krankenhaus wieder eröffnet und alle Ansteckungsgefahr [27] wieder vorüber sei. Ja wir haben an Sie gedacht in diesen Tagen! Im Herzen war ich zwar überzeugt daß von einer Ausbreitung der Pest in Wien nicht die geringste Rede sein könne aber, daß denn doch Fehler begangen wurden, daß der Unbefangenste fragen muß: wie kann man einem unverläßlichen Menschen wie Barisch war, einen höchst verantwortlichen Posten anvertrauen, daß die Führer der Terreur blanche, [28] zu denen der niederträchtige Lueger [29] und seine Gesinnungsgenossen sich immer mehr auswachsen, zu Vorwürfen [30] gegen unsere Besten begründete Ursache haben, das ist und bleibt mir ein Schmerz ...
Von heute an ist eine sehr liebe Dame aus München die einen Italiener geheiratet hat und hier lebt als Vorleserin und Sekretärin engagiert. Ich gehe mit der Absicht um, etwas Italienisch bei ihr zu lernen, denn was ich infolge meiner Unkenntnis dieser herrlichen Sprache schon für Stückeln aufgeführt habe, das glauben Sie nicht. Zu Neujahr sollen Sie's aber erfahren es kommt ins Postbüchel. Dabei immer in Begeisterung schwebend und tausendmal entzückter als ich dachte von Rom noch sein zu können. Zwei böse Tage ausgenommen, an denen ich recht leidend war, fuhr und spazierte ich immerfort herum. Mina [31] ist ein unvergleichlicher Cicerone [32] war mit mir im Vatikan, Pantheon auf dem Forum etc. Mein erster Weg führte natürlich nach der Peterskirche. Mit der Beschreibung meiner Eindrücke molestiere ich Sie heute nicht. Sie gipfeln in einer unaussprechlichen Dankbarkeit, daß ich all dieses Große und Schöne sehen kann und im hohen Alter noch mit einer Tätigkeit der Begeisterung wie sie mich erfüllt ...
Vive la justice! werde ich erst von ganzen Herzen rufen, wenn ich endlich einmal höre, daß Dreyfus [33] fort ist von der Teufelsinsel. Diese Generalsbagage! Wie können sie sich zu Tische setzen zu Bette legen und schlafen mit dem Bewußtsein, daß der unglückselige Mann noch immer in seinem Käfig schmachtet... Ihre alte treue Marie E.

An Josef Breuer

Rom 4. Dez(ember) (18)99 (ein halbes Jahr nach Idas Tode)

Bester verehrtester Freund! Sogar Sie haben diesem armen Dreyfus unrecht getan. Ein unausstehlicher Mensch müsse er sein, meinten Sie und siehe da, Mr. Monod [34] der ihn kürzlich besuchte, schrieb an Baronin Meysenbug, man könne sich keinerlei sympathischeren liebenswürdigeren Mann denken. Sein Aussehen soll wunderbar wie das eines Dreißigers sein. Ist das nicht unglaublich? Dieser vom Tode Erstandene?
Seit mehr als vier Wochen bin ich nun hier lieber bester Freund und weiß noch nicht, ob ich gut getan habe herzukommen. Das Wetter war bis jetzt herrlich, die Menschen alle die ich durch Ida kennenlernte sind (Ehepaar Minotto [35] obenan) von unerschöpflicher Güte gegen mich aber wer an den Umgang mit Ida gewöhnt war, der hätte im Himmel ein Heimwehgefühl. So großherzig so weise so lauter bis in die tiefste Tiefe des Herzens hinein ist eben niemand ...
Wie befindet sich Ihr liebes Töchterlein Fräulein Grete? Wie geht es Ihnen allen? Oft sehr sehr oft wandern meine Gedanken zu Ihnen. Doe «N. Fr. Presse» lasse ich mir schicken und lese sie regelmäßig bis mir übel wird, dann trage ich sie ans andre Ende des Zimmers. Wäre ich in Wien, ich würde nur noch in jüdischen Geschäften kaufen, [36] den Aufpasser vorher noch recht aufmerksam auf mich machen. Den Erzbischof von Olmütz [37] habe ich bis jetzt verehrt, seit dem Hirtenbrief, in dem er den Mordbrennern nicht oft genug mit «Geliebte!» aufwarten kann ist er mir in der Seele zuwider. Baronin Meysenbug sagt im «Lebensabend einer Idealistin»: «Fühlte mich heute als Sibylle» ich habe diese Naivität also nicht erfunden und verlege mich auch auf's Prophezeien: die Verwilderung und Verdummung [38] die jetzt herrschen, sind notwendig. Die Menschen müssen zu dem Weltkrieg der bevorsteht präpariert werden. Zu dem gegenseitigen Auffressen schärft man sich jetzt die Zähne. Dieses letzte Wort bringt mich darauf, daß ich jeden zweiten Tag zu Dr. Webb. dem amerikanischen Zahnarzt rennen muß. Er ist übrigens sehr geschickt und ein feiner angenehmer Mensch. Wir verkehren in der Zeichensprache da er weder Deutsch noch Französisch spricht und da ich weder Englisch noch Italienisch spreche. Lieber bester Freund leben Sie wohl. Empfehlen Sie mich Ihrer teuren verehrten Frau.
In Treuen Ihre uralte Marie E.

An Josef Breuer

Löschna 17. Augut (19)02

Lieber verehrter Freund! In Gedanken habe ich Ihnen wenigstens schon fünfzigmal geschrieben, nun geschieht es endlich auch in Wirkliekeit. Daß Sie nicht nach Florenz gereist sind, glaube ich aus Annas Briefen zu schließen. Nun ja nun ja! Daß Frau Schlesinger [39] gestorben ist, erfuhr ich durch Frau Hainisch. [40] Also auch die Arme Schwerleidende erlöst. Frau Hainisch will ihr eine Denkschrift weihen und wünschte meine Mitarbeiterschaft. Aber ich könnte ja nur Phrasen machen, da ich in näherem Verkehr mit Frau Schlesinger nicht gestanden habe. Große Verehrung hat sie mir immer eingeflößt, ein Fünkchen Liebe wollte sich aber nicht herausschlagen lassen aus all der aufrichtigen und warmen Hochschätzung und Bewunderung. Das wäre gewiß wie ein Gespensterl zwischen den Zeilen hervorgekommen, wenn ich über sie geschrieben hätte. Übrigens werden gewichtigere Stimmen sich erheben, die Heyses und A. Wilbrandts und an denen werden wir eine echte helle Freude haben.
Bester, ich habe eine schwächliche Erzählung [41] geschrieben, habe sie vor einigen Tagen an die Redaktion der «Gartenlaube» geschickt, weiß noch nicht ob sie dort Gnade findet. An einer 2. Auflage der «Spätherbsttage» [42] korrigiere ich mich halb tot wie man jetzt schreiben soll. Was würde Ida zu unserem neuesten Lehrbüchlein der Rechtschreibekunst [43] gesagt haben? Ich möchte mir die Haare ausreißen über die zahllosen miserablen Sätze, die in der ersten Auflage stehen geblieben sind. Gut ist ja auch die zweite nicht, aber doch etwas besser. Jetzt lieber Freund hätte ich einen so heißen Wunsch mich gänzlich loszuschälen von dieser verdammten Literatur! Nichts mehr veröffentlichen! Nur noch aufschreiben was mir durch den Kopf fährt, es denen mitteilen die sich dafür interessieren (für diese Durch-den-Kopf-Fahrereien)...
Wir haben in dem schönen Löschna das miserabelste Wetter gehabt den ganzen Sommer. Seit Jahren waren die Ernteaussichten nicht so vortrefflich und nun verfault das geschnittene Getreide auf den Feldern und das nicht geschnittene wächst aus... Es gießt und gießt. In St. Gilgen kann's nicht besser gießen. Ach man hat sein Kreuz! Jetzt werden Sie unsere Ottos [44] bald in Berchtesgaden haben.
Wenn doch mein Luft-Komfortabel schon an meinem Fenster hinge! Gleich stiege ich ein und unternähme einen Flug zu allen meinen Lieben die darin bei Ihnen versammelt sein werden. In den ersten Tagen des Septembers will ich nach Wien und in den ersten Tagen des Oktobers nach Rom und im Frühjahr wohin glauben Sie? Nach Hietzing. [45] Adolph [46] sucht dort für Marianne, die Nichte die Sie in Rom kennenlernten und mich eine Wohnung. Eine bequeme freundliche in der wir von nächsten Jahre an em Winterhome hätten. Denn ich glaube nicht, daß ich die Energie nach Rom zu fahren auch noch in meinem 74.Jahre aufbrächte.
Sie wissen, daß Richard Schaukal [47] der Moderne in Weißkirchen als Bezirkskommissär fungiert. Ich habe diesen jungen Mann der als Mensch und Poet ein Gigerl ist gar nicht ungern... Marianne, die Sie und Ihre liebe Frau vielmals grüßt, rät mir diesen Wisch den ich eben in den Papierkorb werfen wollte abzusenden also auf ihre Gefahr.
Alles erdenkliche Beste an Sie und die Ihren groß und klein! Möge es Ihnen allen vortrefflich gehen. Treuestens Ihre alte Freundin Marie E.

An Josef Breuer

Rom, 28.1.(19)05, Piazza di Spagna 9

Lieber bester Freund, es war ganz natürlich meine Absicht, Ihren wohltuenden guten warmen Brief sogleich dankend zu erwidern. Gäbe es doch eine drahtlose Telegraphie die solche Absichten vermitteln wollte! Na es gibt halt keine. Und die Korrekturbogen lagen auf dem Tische und ärgerten mich sooft ich hereinkam vom Pincio [48] oder vom Forum, wo ich wieder auf den Knien gelegen hatte vor dem großen Rom. Also nur um Gottes willen, fort mit diesen Armseligkeiten bevor ich die Feder ansetze, um etwas zu schreiben, das mich freut. Die «Kinderjahre» [49] sind aus dem Wege geräumt, ich bin wieder Herrin meiner Zeit und benütze ihre ersten freien Augenblicke, um zu Ihnen zu kommen und Ihnen zu sagen, daß ich leide unter dem Jammer in Petersburg. [50] Der Brief Gapons [51] an den Kaiser war doch das Schönste und Erschütterndste, das man sich denken kann und darauf sind Gewehrsalven die Antwort. Otto [52] hat jetzt zu tun, ist aber leider erkältet - o weh das ist mir entschlüpft, man erkältet sich ja nicht, verzeihen Sie bester Freund meine Altmodischkeit und hustet, sieht aber doch etwas besser aus als vor einigen Wochen ... Das Wetter ist miserabel es stürmt, es gießt dann scheint wieder die Sonne und auf einmal hat man 15 Grad Réaumur im ungeheizten Zimmer. Das steht uns allerdings heute nicht bevor, die Sonne verkriecht sich alle Augenblicke und wo es in der Wohnung einen Ofen gibt, wird er geheizt. Ich ersehne schöne Tage und die Wiederaufnahme meiner Forumpromenaden mit Hülsen [53] und der Fahrten auf die Passeggiata Margherita in die Villa Borghese [54] und zur Cecilia Metella. [55] Dem Goethe-Montument habe ich meinen Besuch gemacht. Es ist nicht schön. Goethe ein engbrüstiger Jüngling in unglaublich schlecht gemachten Hosen auf einem Säulenkapitell stehend, das auch sechs aufwartende Elefanten tragen könnte. Die Gruppen daneben, denken Sie ich habe auf den ersten Blick gemeint die eine stelle Lotte und Werther vor. Indessen war's Iphigenie und der gänzlich unbekleidete Orest.Es gefällt mir nicht, wenn der Kaiser [56] peroriert aber besser doch als wenn er Kunstwerke erfindet. Der Mephisto auf diesem Goethe-Monument ist dargestellt als Fledermaus mit einem Hanswurstgesicht. Man lächelt aber man ärgert sich über die verächtlichen Bemerkungen der Italiener bei der Betrachtung des kaiserlichen Geschenkes.
Lieber bester Freund leben Sie wohl! Ich danke nochmals für Ihren guten, guten Brief, grüße Ihre teure verehrte Frau und Ihre Kinder und Kindeskinder und bleibe so lang ich lebe, Ihre treue alte Freundin Marle E.

An Josef Breuer

Schloß Zdisslawitz, 12.6. (19)08

Lieber verehrter Freund! Mir täte leid, wenn Sie den Festzug nicht angesehen hätten, die Berge laufen Ihnen nicht davon; er aber tut's und kommt nie wieder. Ich denke mir das Schauspiel sehr schön und hätte jetzt nur den einen Wunsch: der Adel bezahle es aus eigenem Säckel. Wenn er es täte, ich liefe gern in geflickten Schuhen und Kleidern herum und trüge mein Scherflein bei und würde den Wählern des Bürgermeisters, [57] der vor Zorn, daß er bei der Sache nicht die erste Rolle spielte platzen möchte, sagen: Hol euch der Kuckuck wir brauchen eure Groschen nicht.
Ich bin jetzt allein in Zdisslawitz und mußte herzlich lachen über die Sorgfalt mit der unsere guten Leute mich umgeben und über meine Sicherheit wachen. Zu meinem höchsten Ergötzen erfuhr ich, daß sich sogar ein Heger mit geladenem Gewehr im Bedientenzimmer etabliert habe und die Nacht da zubringe seitdem mein Neffe und Beschützer fortgefahren ist. Er kommt übrigens heute oder morgen zurück.
... Ich habe mich im Schreiben unterbrochen um den Leitartikel der «N. Fr. Presse» zu lesen. Ausgezeichnet! Mir kommt vor, daß unser Kaiser [58] noch nie so vortrefflich charakterisiert wurde und mit welchem Schwung mit welcher Wärme und Herzlichkeit ist alles gesagt. «Jedes Wort ein Edelstein.» Ich wollte ich wäre bildschön und sechzehn Jahre alt, da führe ich augenblicks nach Wien und in die Redaktion in die Fichtegasse stürzte hinein und riefe: »Wer hat den heutigen Leitartikel geschrieben?« Und sie möchten mir dann einen Herrn zeigen, der sich heute noch nicht gewaschen hätte und «schiech» aussähe zum Entsetzen - ganz alles eins ich würde ihm um den Hals fallen. Freund ich habe zehn herrlich eingebundene Bücher zum Geschenke bekommen: «Goethes Gespräche» herausgegeben von Biedermann. [59] Und nun lese lese lese ich. Und sitze in einer Schaukel fliege auf und ab; hasse, liebe, bewundere im Staube kniend, gehe achselzuckend, auf den Lippen das Wort spießbürgerlich vorüber. Eine rechte Aufregung, eine solche Lektüre. Dabei hie und da langsam kapitelweise Hamanns «Impressionismus». [60] Da komme ich aus dem Staunen nicht heraus und erhole, erquicke mich, ja erquicke mich, um nur noch eine Weile weiterschnaufen zu können an dem Organ des Gymnasialvereins «Das humanitische Gymnasium» (Heidelberg).
Nun aber ruft mich mein vielgeliebter Garten. Ich nehme meinen Spaten meinen Rechen (beide klein) und gehe jede Falte glätten, die über Nacht im braunen Teppich meines Fichtenhains entstanden ist. Grüße! Grüße! Ihre uralte täglich kindischer werdende M. E.

An Josef Breuer

Löschau, 14. Okt. (19)09

Mein lieber innigst verehrter Freund! Vor einigen Tagen träumte mir (eigentlich sollte ich sagen: einigen Nächten) ich hätte Ihnen mein armes Büchlein gebracht, sie hätten es schon recht mißtrauisch angesehen und gesagt: «Was fällt Ihnen denn ein? Das heißt ja gar nichts.» und auf diesen Traum hin lachen Sie mich aus ich bitte! ließ ich das Büchlein, das schon den Reisehabit angelegt hatte, auf dem Tische liegen, schickte es nicht fort. Es hatte mich ohnehin sehr verstimmt, daß meine Herren Verleger das Wagnis unternommen. den «Altweibersommer» in einer Auflage von 3 000 Exemplaren erscheinen zu lassen und ich teilte ihnen meine Bestürzung darüber mit. Aber sie setzten eine stolze und gelassene Miene auf in der sogar ein fadendünner Strahl Liebenswürdigkeit sich entdecken läßt und sprachen: auch wir konnten nicht wissen, in welchem Umfange die festen Bestellungen etc. aber wir können Ihnen heute mitteilen, daß der Band sehr gut bestellt worden ist etc. Also bester Freund, so nehme ich denn meine ganze und Courage zusammen und falle Ihrer lieben Frau mit dem Büchlein ins Haus, möge sie es unter die Fittiche ihrer Güte und ihres Wohlwollens nehmen.
...Bleiben Sie schön gesund Sie alle. Es tut mir so leid, daß Sie in der grauslichen Stadt sitzen, während ich hier die herrlichen Herbsttage mit Wonne genieße. Das Befinden ist so so. Sehr oft habe ich Herzklopfen sehr oft Gallenschmerzen, auch der Kopf tut mir oft recht weh, aber trotzdem geht es mir gut. Meiner innersten Heiterkeit kann diese Bagage diese kleine, kleine Gebrechlichkeits-Kalamität nichts anhaben. Übrigens lese ich: Mulford: «Der Unfug des Sterbens». [61] Allezeit dankbar und getreu Ihre alte Freundin Marie E.

An Josef Breuer

Zdisslawitz 28. Mai 1914

Lieber verehrtester Freund! Für einen guten, hochwillkommenen Brief, der mir vor ach nun schon sechzehn Tagen zukam, habe ich Herzlichst zu danken. Ich hätte es längst getan, wenn es nur etwas besser ginge mit meinem langweiligen Kopfe. Seit nun drei Wochen tost und braust der Sturm ruhelos es ist ein Leiden in der Natur, die Bäume, die Gesträuche, das hohe Gras sind einpört über dieses fortwährende Gerüttelt- und Geschüttelt-Werden. Mein Kopf ist voll Mitgefühl. Heute ist etwas Stille eingetreten wir hoffen auf Regen.
Nun habe ich den ersten Band des «Jean Christophe» [62] gelesen. Sehr schön. Die Szene zwischen dem Onkel Gottfried und dem Kleinen, der Gesang des alten Mannes, der Eindruck auf das Kind, gehören zum Schönsten das ich kenne. Ich danke Ihnen herzlich dafür, daß Sie mir von dem Buche gesprochen haben. Ob ich alle zehn Bände lesen werde, steht noch dahin. (Das ist eine Phrase). Wo steht etwas, das «dahin» steht? Ach ich bin dumm und werde mich hüten diesen Brief zu überlesen, sonst sende ich ihn gewiß nicht ab.
Gisela [63] ist gekommen... die Ruhe in Zdisslawitz wird ihr gut tun. In dem Augenblick ist sogar absolute Ruhe, der Sturm hat sich gelegt; möge er liegenbleiben. Ihre Enkelin, die Fontane zitiert - ja so sind unsere Nachkommen. Nicht ihre eigene Generation die vorige bedarf der Ermahnung. Wissen die Kinder auch wie gut es ihnen geht ?
Lieber lieber hochverehrter und bester Freund verzeihen Sie, daß ich dieses Geschreibsel abschicke.
Ich muß sogar noch einen kleinen Zettel beilegen ganz beschwert mit Grüßen und Empfehlungen an Sie und Ihre liebe verehrte Frau und an alle die Ihren, die meiner freundlich gedenken. Victor empfiehlt sich Ihnen bestens ...
Ihre dankbare und getreue alte Marie E. die kaum mehr hustet, recht passabel schläft, ziemlich wohl wäre, wenn sie nur den Kopf loswerden könnte.

An Josef Breuer

Zdisslawitz 11. Juli 1914
Lieber verehrtester Freund, wenn ich an meinen hellsten Tagen solchen «Quatsch» schreiben könnte wie Sie, wenn Sie von Ihrem Gehirn behaupten es sei «eine zitternde Gallerte» wäre ich froh. Mein Gott ja, ich gebrauche seit acht Tagen diese Theobromin-Pulver, habe aber seit drei oder vier Tagen ärgere Kopfschmerzen denn je. Dazu kommt noch ein Augenkatarrh und deshalb diktiere ich diese armseligen Zeilen... Zu tun ist da nichts als Geduld haben.
Freilich ist unsere Zukunft verschoben durch den Tod des äußerst energischen und willensstarken Erzherzogs. [64] Meine höchst unmaßgebliche Meinung ist (Sie wissen so gut wie ich, daß ich von Politik gar nichts verstehe), daß wir unter seiner Hand in den Abgrund gestürzt wären, während wir jetzt fortfahren werden in den Abgrund zu gleiten. Jemand der es wissen könnte, sagte mir Erzh. Karl Franz Josef [65] sei ein guter unbedeutender Mann aber die Erzh. Zita die seine ganze Liebe und sein ganzes Vertrauen besitzt, habe das Zeug zu einer Maria Theresia.
Tausend wärmste Grüße. Victor empfiehlt sich Ihnen auf das beste. Bitte lassen Sie mich wissen, wohin ich meinen nächsten Brief richten darf. (Er wird hoffentlich besser ausfallen als dieser). Guten angenehmen Sommeraufenthalt
Lieber verehrtester Freund. Ihrer lieben Frau Ihren Kindern groß und klein alles erdenklich Beste.
Am Nachmittag setze ich noch zwei eigenhändige Zeilen hinzu; es geht dem Kopfe wieder besser. Möge es nur allen die ich lieb habe (es sind ihrer viele), gut gehen, dann ist mir alles recht. Ihre dankbare und getreue Marie E.

An Josef Breuer

Zdisslawitz 17. 8. 1914

Lieber bester Freund ich danke Ihnen für den Händedruck, den ich herzlichst erwidere. Sie sagen mir nicht, wie viele und welche von den Ihren im Felde stehen. Wollen Sie jetzt schon in Wien bleiben? Bitte alles Beste und Innigste an Ihre beiden lieben Damen.
Von Minottos weiß ich nichts. Sie hatten mir vor ihrer Abreise von Rom von überallher Karten zu schicken versprochen. Es kam nichts.
In großer Sorge bin ich um meinen Bruder Victor. Er war als der Krieg ausbrach bei seinem Schwiegersohn in Rußland; eine Tagereise hinter Nishni-Nowgorod. [66] Am 7. erhielt ich ein Telegramm aus Schweden: «Mit Kindern wohlbehalten in Lubco angelangt übermorgen Stockholm.» Seitdem kein Lebenszeichen und in der «N. Fr. Presse» den Artikel des Generaldirektors einer österr. Maschinenfabrik in dem es heißt: «Der achtzigjährige Graf Dubsky unterbrach die Fahrt da er sich den Anstrengungen nicht gewachsen fühlte.» Eine kleine Vorschule zur Hölle die man da durchmacht. In einer anderen Art durchlebt auch mein Großneffe Fritz Kinsky schlimme Stunden. Sein vielgeliebtes Regiment ist schon ausmarschiert oder wird nächstens ausmarschieren (aus Zolkiew [67]) und er hat sich beim Laden einer Browning die linke Hand durchschossen. Jetzt sitzt der arme Bursche in Wr. Neustadt und brennt lichterloh darauf, gesund zu werden und sich als Ordonnanzoffizier melden zu können. Seine Eltern sind in Brüx; auch Philipp ist eingerückt und bis jetzt Gott sei Lob und Dank wohl; tut Dienst beim Kader. Von Fewi kamen gestern zwei Karten. Er war bis jetzt in Hermannstadt [68] beim freiwill. Automobilkorps, schreibt aus Nagyvárad: [69] «Wir fahren noch drei Tage und drei Nächte und rasten nun hier. Die Fahrt ist schön; bei der Einfahrt in jede Station blasen die Trompeten und die Menschen bringen uns Blumen und sind in einem Taumel der Begeisterung.» Mein Neffe Victor ist beim Roten Kreuz; da gibt es schon viel und wird es bald mehr und Schweres zu tun geben.
Mein teurer verehrter Freund daß dieser Krieg kommen müsse, war ich längst überzeugt - (man häuft durch Jahrzehnte Gebirge von Zunder auf und schleicht mit feiger Hinterlist um sie herum und versichert: «zünd sie nicht an!»). - Aber, daß ich ihn erlebe, das überrascht mich. Übrigens geht es mir physisch ganz gut... Antworten Sie mir, wenn sich einmal fünf Minuten einstellen, mit denen Sie nichts anzufangen wissen... Von Ihren Söhnen und Schwiegersöhnen hätte ich ums Leben gern Nachricht. Ihre alte dankbare getreue M. Ebner

An Enrica von Handel-Mazzetti

(Wien) 6. Februar 1915 [70]
Meine liebste teuerste Enrica! Wenn Du nur gespürt hättest. wie oft ich Dir in Gedanken schon gedankt habe. Dein schönes Gebet [71] wurde schon und wird noch an Würdige verteilt eines aber behalte ich für mich. Die Visite der Brieftaube die ist doch schön. Weiß Gott wohin sie geflogen und Botschaft gebracht haben wird, nachdem sie ihren Besuch bei Dir abgestattet. Wir in Wien sind vorläufig in Enthusiasmus über die Blockade Englands. O Gott zuerst Strafe diesen Elenden und dann Frieden, gesegneten Frieden, eine bessere Zeit als sie vor dem Kriege war. Liebste Teuerste ich habe eine kleine Influenza gehabt, stehe noch in ihrem Zeichen und kann nur noch ganz kleine Briefe schreiben, die überdies so arm und jämmerlich sind, daß ich sie um keinen Preis überlese, weil ich sie sonst gewiß nicht abschicken würde. Empfiehl mich verehrungsvoll Deiner Tante und sei von ganzem Herzen umarmt von Deiner alten Marie die Dich liebt, bewundert und im Geiste immer mit Dir und Deinen Werken lebt.